BRENNPUNKT ARZNEI Jhrg. 13, Nr. 1 – März 2008 0HARMAKOTHERAPIE 2ATIONALEUNDRATIONELLE0HARMAKOTHERAPIEINDER0RAXIS Wie diagnostizieren Sie eine Borreliose? Es dürfte nicht mehr lange dauern, dann kommen wieder die ersten Patienten mit einer Zecke in die Praxis. Ob winzige Jungzecke oder vollgesogenes Exemplar – wie man das Tierchen entfernt, ist klar: Mit einer feinen Pinzette oder einer speziellen Zeckenzange am Kopf packen und zügig rausziehen (siehe Titelbildstreifen). Ganz falsch wäre es, den Zeckenkörper weiter hinten zu packen bzw. Äther, Benzin oder Klebstoff draufzuträufeln. Denn ein derart malträtierter Holzbock spuckt schnell noch eine Ladung Darminhalt unter die Haut, bevor er seinen Geist aufgibt – und wenn er zu den Borrelienträgern gehört, verpasst er dem Patienten damit gleich eine geballte Ladung Keime. Ohne eine solch unglückliche Aktion sind Borreliosen nach einem Zeckenbiss eher selten – trotzdem muss sich wohl jeder Hausarzt gelegentlich der Frage stellen, ob der Patient nun mit Borrelien infiziert ist oder nicht. Deswegen finden Sie rechtzeitig vor Beginn der Zeckensaison in diesem Heft Seite 20 einiges zu Diagnose und Therapie der Borreliose. Kardiologen empfehlen Zurückhaltung bei Endokarditis-Prophylaxe Bisher wurde vor zahnärztlichen und etlichen anderen Eingriffen relativ großzügig eine antibiotische Endokarditis-Prophylaxe betrieben. Inzwischen hat sich die Erkenntnis verbreitet, dass man dabei recht viele Patienten unnötig einer nicht völlig risikofreien Antibiotikagabe aussetzt. Deswegen haben nun weltweit die einschlägigen Fachgesellschaften die Empfehlungen zur antibiotischen EndokarSeite 4 ditis-Prophylaxe erheblich restriktiver gefasst. Ibuprofen-Salbe ist besser als ihr Ruf Dem strengen Pharmakologen gelten die bei Patienten durchaus beliebten „Rheuma-Salben“ als nutzloser Schmierkram. Doch ganz so wirkungslos ist zumindest Ibuprofen-Salbe bei chronischen Knieschmerzen nicht, wie eine aktuelle Studie zeigt: Bei längerer Behandlung lindert sie die Schmerzen fast ebenso gut wie orales Ibuprofen, und die Nebenwirkungen fallen geringer aus. Seite 8 Wissenschaftlich fundierte Empfehlung für Ihre Patienten So verlängern sie ihr Leben um 14 Jahre Weil es für beinahe jedes Leiden eine effiziente Behandlung zu geben scheint, fristet die Prävention ein Schattendasein. Was eine aktuelle Studie herausgefunden hat, eignet sich allerdings durchaus, um den Patienten einen gesunden Lebensstil doch noch schmackhaft zu machen: Wer sich an vier einfache Regeln hält – nämlich Nichtrauchen, moderate Bewegung, moderater Alkoholkonsum und mehrmals täglich ein Griff in die Obstschale – kann damit rechnen, dass er (im Schnitt) um 14 Jahre länger lebt als ein Präventionsmuffel, der sich um diese Seite 12 einfachen Maßnahmen nicht schert. (ERAUSGEBER+ASSENËRZTLICHE6EREINIGUNG(ESSEN Seite 2 Editorial KVH • aktuell Nr. 1 / 2008 Hausaufgaben gemacht – aber der Druck bleibt Sehr geehrte Mitglieder der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg, es hat wieder nicht gereicht. Auch im vergangenen Jahr lagen die Ausgaben für Arznei- und Heilmittel in Hamburg über dem vereinbarten Rahmen. Um 8,88 Prozent sind die Ausgaben gegenüber 2007 gestiegen, bundesweit waren es 8,08 Prozent. Vereinbart war in Hamburg eine Steigerung von 5,6 Prozent. Trotzdem ist der gewohnte Aufschrei der Krankenkassen, Politik und ihrer professoralen Entourage weitgehend ausgeblieben. Das hat Gründe. Zum einen liegt es daran, dass die vorgenannten Zahlen aus der Schnellinformation der ABDA entnommen sind, die sich in den vergangenen Jahren regelmäßig als recht ungenau erwiesen haben. Zum anderen hält sich die Überschreitung des vereinbarten Budgets für Hamburger Verhältnisse im Rahmen. Wichtiger aber sind zwei andere, vergleichsweise neue Entwicklungen: Die qualitative Betrachtung regionaler Daten und die Rabattverträge. Mit dem Recht, Rabattverträge zwischen Krankenkassen und Pharmaindustrie zu vereinbaren, kam die Politik einer alten Forderung der Kassen nach. Ganz offenbar gab und gibt es auch noch immer preisliche Spielräume, denn die Kassen haben in großer Zahl solche Rabattverträge vereinbart. Zwar werden die Motive auf Pharmaseite nicht immer lauter sein (es geht häufig darum, kleinere Anbieter vom Markt zu verdrängen), und damit wird sich der Spareffekt spätestens dann aufgebraucht haben, wenn sich der „Wettbewerb“ auf wenige große Anbieter beschränkt hat, aber bis dahin fließt Geld an die Kassen. Allerdings: Weder die KV noch der einzelne Arzt wissen um diese Verträge. Diese unterliegen – verständlicherweise – dem Geschäftsgeheimnis. Aus dem Ausbleiben des Aufschreis der Kassen kann aber geschlossen werden, dass die Rückflüsse wohl hoch genug sind, um die Überschreitung der Budgets (die natürlich ohne Rabatte gerechnet werden) zu übersteigen. Darüber hinaus liegen nun im zweiten Jahr mit dem „Arzneimittelatlas“ qualitative regionale Daten vor. Und die zeigen für Hamburg, dass die Ärztinnen und Ärzte im Bereich der „Grundversorgung“ ihre Hausaufgaben gemacht haben. Dort liegt Hamburg im bundesweiten Vergleich auf dem drittbesten Platz! Finanzielle Probleme macht die „Spezialversorgung“, die in Hamburg traditionell und aus nachvollziehbaren Gründen besonders stark ist. Gerade in diesem Bereich finden die – in aller Regel sehr teuren – Innovationen statt. Um mit diesen rational umgehen zu können, erhalten Sie nun auch in 2008 wieder die Pharmakotherapie-Hinweise der KV Hamburg. Sie sollen Ihnen eine Hilfe sein, damit wir auch am Ende dieses Jahres sagen können: Hausaufgaben gemacht. Mit freundlichen Grüße Walter Plassmann KV Hamburg, stellvertretender Vorsitzender Nr. 1 / 2008 KVH • aktuell Seite 3 Editorial 2 Neue Empfehlungen zur Prophylaxe der infektiösen Endokarditis Dr. med. Jutta Witzke-Gross 4 Gefahren durch Fentanylpflaster Dr. med. Klaus Ehrenthal 7 Chronische Knieschmerzen bei älteren Patienten Ibuprofen-Salbe ist besser als ihr Ruf Dr. med. Klaus Ehrenthal, Dr. med. Joachim Feßler Inhaltsverzeichnis 8 Blutzucker mit Insulin senken: Welches Therapieregime ist richtig? Ein Zwischenbericht über die 4-T-Studie Dr. med. Michael Viapiano 10 Vier Punkte verlängern das Leben um 14 Jahre Dr. med. Klaus Ehrenthal 12 Arzneimittel verordnet: Wann sollten Sie dem Patienten vom Autofahren abraten? 14 Dr. med. Günter Hopf Sparpotenzial bei der Therapie der Psychosen Einige atypische Neuroleptika gibt es jetzt als Generika Klaus Hollmann 17 Gibt es verordnungsfähige Expektoranzien? Klaus Hollmann 19 Diagnose und Therapie der Borreliose Dr. med. Wolfgang LangHeinrich 20 Arzneimittel: Sind Innovationen wert, was sie kosten? Dr. med. Jürgen Bausch 23 Parenterale Ernährung: Indikation, Organisation, Verordnung Klaus Hollmann 28 Sicherer verordnen Kodein: Vorsicht in der Stillzeit Glukokortikoide: Paradoxe Allergie Lakritze: Hypokaliämische Hypertonie Neue Therapieempfehlungen Herzinsuffizienz Hausärztliche Leitlinie Diabetes mellitus Typ2 – die Tischversion zum Aussschneiden 31 31 31 32 35 Impressum Verlag: info.doc Dr. Bernhard Wiedemann und Anne Haschke-Wiedemann GbR, Pfingstbornstr. 38, 65207 Wiesbaden Herausgeber: Kassenärztliche Vereinigung Hessen, Georg-Voigt-Straße 15, 60325 Frankfurt Redaktionsstab: Dr. med. Joachim Fessler (verantw.), Dr. med. Klaus Ehrenthal, Dr. med. Margareta Frank-Doss, Dr. med. Jan Geldmacher, Dr. med. Harald Herholz, Klaus Hollmann, Dr. med. Günter Hopf, Dr. med. Wolfgang LangHeinrich, Dr. med Alexander Liesenfeld, Renata Naumann , Alexandra Rieger, Karl Matthias Roth, Dr. med. Michael Viapiano, Dr. med. Jutta Witzke-Gross Fax Redaktion: 069 / 79502 501 Wissenschaftlicher Beirat: Prof. Dr. med. Ferdinand Gerlach, Institut für Allgemeinmedizin der Universität Frankfurt; Prof. Dr. med. Sebastian Harder, Institut für klinische Pharmakologie der Universität Frankfurt Die von Mitgliedern der Redaktion oder des Beirats gekennzeichneten Berichte und Kommentare sind redaktionseigene Beiträge; darin zum Ausdruck gebrachte Meinungen entsprechen der Auffassung des Herausgebers. Mit anderen als redaktionseignen Signa oder mit Verfassernamen gekennzeichnete Beiträge geben die Auffassung der Verfasser wieder und decken sich nicht zwangsläufig mit der Auffassung des Herausgebers. Sie dienen der umfassenden Meinungsbildung. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in dieser Veröffentlichung berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- oder Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Wie alle anderen Wissenschaften sind Medizin und Pharmazie ständigen Entwicklungen unterworfen. Forschung und klinische Erfahrung erweitern unsere Erkenntnisse, insbesondere, was Behandlung und medikamentöse Therapie anbelangt. Soweit in dieser Broschüre eine Dosierung oder eine Applikation erwähnt wird, darf der Leser zwar darauf vertrauen, dass Autor und Herausgeber große Sorgfalt darauf verwandt haben, dass diese Angaben dem Wissensstand bei Fertigstellung der Broschüre entsprechen. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Herausgeber jedoch keine Gewähr übernommen werden. Jede Dosierung oder Applikation erfolgt auf eigene Gefahr des Benutzers. Seite 4 Für Sie gelesen KVH • aktuell Nr. 1 / 2008 Neue Empfehlungen zur Prophylaxe der infektiösen Endokarditis Dr. med. Jutta Witzke-Gross Mit einigen Monaten Verspätung gegenüber der American-Heart-Association hat jetzt auch die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz-Kreislauf-Forschung e. V. in Zusammenarbeit mit der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie und in Kooperation mit zahlreichen weiteren medizinischen Fachgesellschaften aus Deutschland, Österreich und der Schweiz das Positionspapier zur Prophylaxe der infektiösen Endokarditis in der Zeitschrift Kardiologie 2007 [1] veröffentlicht. Bisher war es medizinischer Standard, bei vielen Patienten vor jedem zahnärztlichen, aber auch urologischen, gynäkologischen, internistischen, dermatologischen, orthopädischen oder herzchirurgischen Eingriff ein Antibiotikum zur Endokarditisprophylaxe zu verabreichen. Dies betraf Patienten mit angeborenen, erworbenen oder operierten Herzfehlern mit Restbefund, nach Herzklappenprothesen inkl. Gefäßprothesen/Grafts, bei Zustand nach bakterieller Endokarditis aber auch bei Patienten mit Mitralklappenprolaps mit begleitender Mitralklappeninsuffizienz oder hypertroph obstruktiver Kardiomyopathie. Gemäß des jetzt veröffentlichten Positionspapiers wird die Indikation zur Endokarditisprophylaxe auf einen erheblich engeren Patientenkreis, und zwar auf den mit erwartungsgemäß schwerem Verlauf einer Endokarditis, begrenzt. Bisher wurden unnötig viele Patienten behandelt Was hat zu diesem Paradigmenwechsel bei der Endokarditisprophylaxe geführt? Die in dem Positionspapier unter verschiedenen Aspekten aufgeführten Gründe sollen im Wesentlichen kurz aufgelistet werden: – Effektivität und Effizienz einer Endokarditisprophylaxe seien beim Menschen bisher nicht im Rahmen einer prospektiven, randomisierten und placebo-kontrollierten Studie untersucht worden. Die Annahme der Effektivität und Effizienz stütze sich auf uneinheitliche Expertenmeinungen, tierexperimentelle Daten, Fallberichte, Daten aus Studien zu Teilaspekten des Konzeptes beziehungsweise widersprüchliche Daten aus Beobachtungsstudien. Bei diesen Patienten wird weiter prophylaktisch behandelt Die neuen Empfehlungen beschränken die Endokarditis-Prophylaxe auf Patienten, bei denen ein schwerer bzw. fataler Verlauf zu erwarten ist. Das sind: Patienten mit Herzklappenersatz (mechanische und biologische Prothesen), Patienten mit rekonstruierten Klappen unter Verwendung von alloprothetischem Material in den ersten sechs Monaten nach Operation, Patienten mit überstandener Endokarditis, Patienten mit angeborenen Herzfehlern – zyanotische Herzfehler, die nicht oder palliativ mit systemisch-pulmonalen Shunt operiert sind, – operierte Herzfehler mit Implantation von Conduits mit oder ohne Klappe (Anmerkung: Conduits sind Gefäßprothesen) oder residuellen Defekten (turbulente Blutströmung im Bereich des prothetischen Materials), alle operativ oder interventionell unter Verwendung von prothetischem Material behandelten Herzfehler in den ersten 6 Monaten nach Operation (z.B. nach Mitralringraffung, Schirmchenimplantation), herztransplantierte Patienten, die eine kardiale Valvulopathie entwickeln. Nr. 1 / 2008 KVH • aktuell – Transitorische Bakteriämien, die ja für die Entstehung der infektiösen Endokarditis verantwortlich gemacht werden, träten bei medizinischen Eingriffen mit einer extrem variablen Frequenz auf (zum Beispiel bei Zahnextraktionen in einer Häufigkeit von 10 bis 100 Prozent). In 7 bis 68 Prozent der Fälle werden Bakteriämien aber auch bei täglichen Aktivitäten wie zum Beispiel Zähne putzen oder Essen beobachtet. – Bei weit mehr als 50 Prozent der Patienten mit infektiöser Endokarditis ließe sich in der Anamnese kein vorhergehender Eingriff finden. – Das Lebenszeitrisiko für eine infektiöse Endokarditis in der Normalbevölkerung betrage fünf bis sieben zu 100.000 Patientenjahre und steige bei Patienten mit Klappenersatz wegen Klappenprothesenendokarditis auf 2160 zu 100.000 Patientenjahre an. Das absolute Risiko einer infektiösen Endokarditis nach Zahnbehandlungen liege Schätzungen zufolge in der Normalbevölkerung bei 1:14.000.000 und steige bei überstandener Endokarditis auf 1:95.000 an. Diese Zahlen belegen, dass eine sehr große Anzahl von Patienten mit Inkaufnahme möglicher Unverträglichkeitsreaktionen auf das Antibiotikum behandelt werden müssten, um einen Endokarditisfall zu vermeiden. Seite 5 Zahnbehandlung: Riesige Unterschiede beim Endokarditis-Risiko Unter Berücksichtigung dieser Aspekte wurde jetzt die Indikation zur Endokarditisprophylaxe auf die Patienten mit dem größten zu erwartenden Nutzen eingegrenzt, das heißt also wie schon oben erwähnt auf die Patienten, bei denen ein schwerer bzw. fataler Verlauf zu erwarten ist (siehe Kasten unten auf der gegenüberliegenden Seite). Dabei bleibt aber zu beachten, dass auch für diese Patienten eine Effektivität noch nicht nachgewiesen sei. Es ist daher vorgesehen, die vorliegenden Empfehlungen nach dem Vorliegen neuerer Studienergebnisse in fünf Jahren zu überarbeiten. Über die Leitlinie der American Heart Association hinaus lässt die deutsche Autorengruppe dem behandelnden Arzt bei den Patienten, die nicht im Kasten aufgelistet sind, noch die Möglichkeit einer individuellen Abwägung der Indikation zur Endokarditisprophylaxe. Dies trifft besonders für die Patienten zu, die gemäß der bisherigen Leitlinien schon regelmäßig eine Endokarditisprophylaxe durchgeführt haben ohne Auftreten von unerwünschten Nebenwirkungen und bei denen der behandelnde Arzt oder sie selbst gerne die Prophylaxe fortführen möchten. Im Einzelnen sind die folgenden Punkte bei der Endokarditisprophylaxe zu beachten: Einnahmezeit Foto: Wiedemann Das Antibiotikum sollte 30-60 Minuten vor der geplanten Prozedur verabreicht werden. Nur für die Fälle, in denen dies nicht möglich ist, können die Patienten bis zu zwei Stunden nach dem Eingriff das Antibiotikum noch sinnvollerweise erhalten. Auf vielen Epithelzellen der Mundschleimhaut drängeln sich die Streptokokken: Sollte das Eindringen der Keime antibiotisch blockiert werden, wenn sich Zahnärztliche Eingriffe Antibiotikaprophylaxe bei allen Eingriffen, die mit Patienten mit Klappenfehlern einem oralen Eingriff unterziehen müssen? einer Manipulation der Gingiva, der periapi- Seite 6 KVH • aktuell Nr. 1 / 2008 kalen Zahnregion oder mit einer Perforation der oralen Mucosa einhergehen, bei Entnahmen von Biopsien sowie bei Platzierung kieferorthopädischer Bänder und bei intraligamentärer Anästhesie. Das Antibiotikum sollte in der Regel Streptokokken der Viridansgruppe erfassen. Generell sollten alle Patienten mit Herzklappenfehlern auf die Bedeutung einer optimalen Oralhygiene und der Teilnahme an zahnärztlichen Prophylaxeprogrammen hingewiesen werden. Eingriffe am Respirationstrakt: Antibiotikaprophylaxe bei Tonsillektomie oder Adenektomie sowie bei Inzision der Mucosa oder Biopsieentnahmen, nicht jedoch bei einer rein diagnostischen Bronchoskopie. Liegt ein florider Infekt vor, muss mit Streptokokken der S.-anginosus-Gruppe sowie mit Staphylokokkus aureus gerechnet werden. In dem Positionspapier wird die Gabe eines Aminopenicillins mit Betalaktamaseinhibitor, Cefazolin oder Clindamycin bzw. bei Beteiligung von methicillinresistenten S.-aureus-Stämmen Vancomycin oder ein anderes MRSA-wirksames Antibiotikum empfohlen. Eingriffe am Gastrointestinal- und Urogenitaltrakt: Prophylaxe nur noch bei Harnwegsinfekt oder Bakteriurie Eine generelle Endokarditisprophylaxe wird nicht mehr empfohlen, auch nicht bei Biopsieentnahmen, da bisher nur Einzelbeobachtungen vorliegen, die einen Zusammenhang zwischen Bakteriämie in Folge von Eingriffen am Gastrointestinal- oder Urogenitaltrakt und dem Auftreten einer infektiösen Endokarditis berichten. Liegt allerdings eine Harnwegsinfektion oder Bakteriurie mit Enterokokken vor, sollte vor dem Eingriff ein Antibiotikum gegeben werden, das wirksam gegen Enterokokken sein soll (zum Beispiel Ampicillin, Piperacillin oder Vancomycin). Eingriffe an Haut, Hautanhangsgebilden oder muskuloskelettalem Gewebe Bei Eingriffen bei vorliegender Infektion. Das Antibiotikum sollte gegen Staphylokokken und betahämolysierende Streptokokken wirksam sein. Empfohlen wird ein staphylokokkenwirksames Penicillin oder Cephalosporin bzw. bei Beta-LactamAllergie Clindamycin, Vancomycin oder andere MRSA-wirksame Antibiotika. Bei Beteiligung von methicillinresistenten S.-aureus-Stämmen werden MRSA-wirksame Antibiotika empfohlen. Herzchirurgische Eingriffe Eine Antibiotikaprophylaxe wird generell bei allen herzchirurgischen Eingriffen mit Implantation von Fremdmaterial (zum Beispiel Klappenersatz, aber auch Schrittmacherkabel) empfohlen. Das Antibiotikum sollte nach lokaler Erreger- und Resistenzsituation ausgewählt werden. Als häufigste Erreger früher Klappenprothesen­ endokarditiden werden koagulase-negative Staphylokokken, gefolgt von S. aureus angegeben. Es wird empfohlen, die Prophylaxe unmittelbar vor der Operation zu beginnen und bei längeren Prozeduren zu wiederholen, aber spätestens 48 Stunden post­ operativ zu beenden. Bedeutung für unsere Praxis Was bedeuten die neuen Endokarditis-Richtlinien für meinen Praxisalltag? Bei den Patienten, die gemäß den bisherigen Richtlinien eine Endokarditisprophylaxe durchgeführt haben, überprüfe ich, ob die Indikation nach den aktuellen Empfehlungen noch fortbesteht. Ist dies nicht mehr der Fall, bespreche ich mit dem Patienten die geänderte Sachlage und rate in der Mehrheit der Fälle Nr. 1 / 2008 KVH • aktuell Seite 7 dazu, die Endokarditisprophylaxe zu beenden. In Einzelfällen (beispielsweise bei besonders ängstlichen Patienten) werde ich aber von der Möglichkeit einer individuellen Entscheidung Gebrauch machen und dem Patienten die Weiterführung der Endokarditisprophylaxe empfehlen (zum Beispiel bei deutlich myxomatös veränderter Mitralklappe mit deutlicher Prolabierung und leicht bis mittelschwerer Mitralklappeninsuffizienz). Im Arztbericht wird der Hausarzt über meine diesbezügliche Entscheidung gezielt informiert. Erachte ich eine Fortführung der Endokarditisprophylaxe für nicht mehr erforderlich, rate ich dem Patienten, den Endokarditispass zu vernichten. Da sehr viele Endokarditispässe im Umlauf sind und nicht alle Patienten regelmäßig kardiologisch untersucht werden, ist es sehr wichtig, dass Haus­ ärzte, Fachärzte und Zahnärzte über diesen Paradigmenwechsel informiert werden. Bei der Aussprechung einer erstmaligen Empfehlung zur Endokarditisprophylaxe werde ich mich überwiegend an die neuen Richtlinien halten, aber in Einzelfällen auch hier individuell entscheiden. Allen Patienten mit Klappenauffälligkeiten werde ich intensiver als bisher geschehen eine optimale Mundhygiene und regelmäßige Kontrolluntersuchungen beim Zahnarzt ans Herz legen. Interessenkonflikte: keine Literatur: 1 Naber C K, Al-Nawas B, Baumgartner H et al.: Prophylaxe der infektiösen Endokarditis. Der Kardiologe 2007, 4: 243 - 50 Gefahren durch Fentanyl-Pflaster Dr. med. Klaus Ehrenthal Für Sie gelesen Die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) hat Ende Dezember 2007 erneut mit einem „FDA Public Health Advisory“ auf Gefahren bei der Anwendung von transdermalen therapeutischen Systemen (TTS) mit dem starken Opioid Fentanyl hingewiesen [1]. Schon vor zwei Jahren lagen der FDA 120 Berichte über Todesfälle durch Falschanwendung von Fentanyl-Pflastern vor, inzwischen sind weitere Berichte hinzugekommen. Worin liegen die Anwendungsfehler nach Meinung der FDA? Fehler seitens der Ärzte sind beispielsweise nicht indizierte Verschreibungen: bei postoperativen Schmerzen, bei Kopfschmerzen, bei gelegentlichen oder leichten Schmerzen, bei anderen Schmerzzuständen, für die TTS mit Fentanyl nicht zugelassen sind. Wegen der guten Wirksamkeit von starken Opioiden kommt es häufiger zu Fehlanwendung der vermeintlich sicheren Fentanyl-Pflaster durch Ärzte. Auch durch Patienten können Anwendungsfehler zu Überdosierungen des Opioids mit bedrohlichen Atemlähmungen führen: durch zu häufiges Wechseln der Pflaster, durch die gleichzeitige Anwendung mehrer TTS-Pflaster, durch die gleichzeitige Anwendung von wirkungsverstärkenden Analgetika, durch Wärmebehandlung oder Fieber mit dadurch beschleunigter Resorption. Häufige Gefahren in der Hausarztpraxis: Mehrere Pflaster sind gleichzeitig im Einsatz oder alte Pflaster wurden nicht entfernt. Wärme durch Fieber (und auch Heizdecken!) erhöht die Resorption. KVH • aktuell Seite 8 Nr. 1 / 2008 Welche Indikationen sind für eine TTS-Behandlung mit Fentanyl in Deutschland zugelassen? Die Behandlung chronischer Schmerzen, die nur mit Opioid-Analgetika ausreichend behandelt werden können, bei Patienten ab zwei Jahren. Welche Indikationen sind nicht für eine TTS-Behandlung mit Fentanyl geeignet ? Keine Indikation besteht bei kurzfristigen Schmerzzuständen. Keine Indikation besteht für eine kurzfristige postoperative Schmerzbehandlung. Kontraindikationen für Fentanyl-TTS bestehen in Deutschland bei bradycarden Rhythmusstörungen, bei schwer beeinträchtigter ZNS-Funktion, während der Geburt sowie bei Kaiserschnitt. Bedeutung für unsere Praxis Was bedeutet das für die Praxis? Bei der Anwendung von Opioid-haltigen TTS wie Fentanyl-Pflastern muss zur Vermeidung tödlicher Zwischenfälle mit Atemlähmung durch Überdosierung stets eine indikations- und dosisgerechte Anwendung durch den Verschreiber vorgenommen werden. Die korrekte Anwendung durch Patienten und/oder Pflegedienste muss gewährleistet sein. Insbesondere müssen Laien im Umgang mit einem starken Opioid über Gefahren einer Falschanwendung informiert werden. Keinesfalls dürfen gleichzeitig mehrere Pflaster und/oder weitere Analgetika mit sedierender Komponente unkontrolliert verwendet werden. Das Zerschneiden von TTS-Pflastern (als Matrixpflaster oder Membranpflaster), um geringere Dosen anzuwenden, ist keinesfalls zulässig. Sie müssen wegen der Restinhalte stets korrekt entsorgt werden, beispielsweise über die Apotheke. Interessenkonflikte: keine Literatur: 1. http://www.fda.gov/cder/drug/advisory/fentanyl_2007.htm Für Sie gelesen Chronische Knieschmerzen bei älteren Patienten Ibuprofen-Salbe ist besser als ihr Ruf Dr. med. Klaus Ehrenthal, Dr. med. Joachim Feßler Etwa ein Drittel aller Patienten über 50 Jahren leidet an chronischen Knieschmerzen. Diese oft multimorbiden Patienten werden deswegen häufig über längere Zeit mit nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAIDs) wie Diclofenac oder Ibuprofen behandelt. Da NSAIDs bei der häufigen Polypharmakotherapie des älteren Patienten vermehrt zu Komplikationen und Interaktionen führen, wurde in einer randomisierten und kontrollierten Studie bei 26 Hausärzten in England die Wirkung einer IbuprofenSalbe gegenüber oralem Ibuprofen untersucht [1,2]. Die Gelenksbefunde wurden nach dem WOMAC-Osteoarthritis-Index (Western Nr. 1 / 2008 KVH • aktuell Seite 9 Ontario and McMaster Universities) bewertet. Der durchschnittliche WOMAC-Index, der noch erträglich ist, beträgt 31, in der Studienpopulation betrug er 38-41. Als Outcome wurden schwere (erforderliche Hospitalisation, Tod) und leichtere Nebenwirkungen (erforderliche Therapieänderungen wegen gastrointestinalen, renovaskulären, respiratorischen Nebenwirkungen, Veränderungen von klinischem Befund und Labor) bewertet. Es wurde abschließend neben den Ergebnissen (Schmerzen, Nebenwirkungen) die gesundheitsbezogene Lebensqualität bewertet. Insgesamt wurden aus den 26 beteiligten Hausarztpraxen mit insgesamt 233 558 Patienten 585 Fälle ausgewählt, die 50 Jahre oder älter waren, die mit einer Verschreibung eines NSAIDs oral oder topisch im vergangenen Jahr behandelt worden waren und bereits fünf Jahre lang an einer Osteoarthritis des Knies gelitten hatten. Nach gründlicher Voruntersuchung einschließlich Labor wurden die Patienten nach ihren Wünschen entweder einer randomisierten Gruppe (282 Fälle) mit Anwendung von topischem (138 Fälle) oder oralem (144 Fälle) Ibuprofen oder der „preference study group“ (303 Fälle, Anwendung der Medikation nach Wunsch des Probanden) zugewiesen. Die durchschnittliche Tagesdosis betrug für orales Ibuprofen 1,2g, für topische NSAIDs 1,5g. Nach 3, 6, 12 und 24 Monaten wurde der Befund erhoben. 83 Prozent der Patienten konnten nach mindestens 24 Monaten nachuntersucht werden. Wirkung der Therapie in beiden Formen (topisch versus oral): In dieser insgesamt sehr sorgfältig durchgeführten Untersuchung fanden sich im WOMAC-Score nach 24 Monaten keine signifikanten Unterschiede zwischen den mit topischem Ibuprofen und oralem Ibuprofen behandelten Patienten, lediglich grenzwertige Beschwerdebesserungen durch orale Therapie. Bei den Nebenwirkungen fanden sich keinerlei Unterschiede für schwere Nebenwirkungen in beiden Gruppen. In beiden Gruppen kam es zu zwei Todesfällen. Der einzige Unterschied bei den leichten Nebenwirkungen fand sich bei einer geringeren Häufigkeit von Atemwegsbeschwerden in der Gruppe mit IbuprofenSalbentherapie. Im Labor zeigte sich lediglich beim Serumkreatinin ein signifikanter Unterschied in der randomisierten Gruppe: Hier war das Serumkreatinin bei den mit Salbe behandelten Patienten nach zwölf Monaten etwas niedriger (im Schnitt 3,7 mmol/l). Zusammenfassend zeigt die Studie: Im Gegensatz zu der bisher vorherrschenden Meinung ist eine langdauernde Salbenbehandlung beim chronischen Knieschmerz mit einer oralen Ibuprofen-Behandlung vergleichbar. Die ein- bis zweijährige Dauerbehandlung von chronischem Schmerz bei einer Osteoarthrose des Knies mit topischen oder oralen NSAIDs ließ in der vorliegenden Studie keine signifikanten Unterschiede in der Wirkung und bei schweren Nebenwirkungen erkennen, wenn auch allgemeine Schmerzen („overall pain“) in der topischen Gruppe nach drei Monaten und bei Studienende gering häufiger vorkamen und deswegen das Behandlungskonzept etwas öfter gewechselt wurde als in der oralen Gruppe. Deutlich war allerdings bei den leichteren Nebenwirkungen der Unterschied bei den Atembeschwerden: Hier lag die orale Therapiegruppe signifikant höher. Immerhin hatten in der oralen Gruppe elf Prozent wegen Nebenwirkungen die Einnahme von NSAIDs beendet. Ältere Patienten und Patienten der unteren sozialen Schichten tendierten zur Behandlung mit Salben. Zusammenfassend formulieren die Autoren: „Orale und topische nichtsteroidale antientzündliche Medikamente haben kurzfristig lindernde Effekte bei Nach zwei Jahren Behandlung kein wesentlicher Unterschied zwischen Salbe und Tablette KVH • aktuell Seite 10 Nr. 1 / 2008 Patienten mit Osteoarthritis. Orale NSAIDs haben eine hohe Rate von unerwünschten Nebenwirkungen. Die Anwendung von oralen oder topischen NSAIDs hat eine gleichwertige Wirkung auf Knieschmerzen bei langdauernder Behandlung. Topische NSAIDs können eine nützliche Alternative zu oralen NSAIDs sein.“ Bedeutung für unsere Praxis Nicht nur Medikament, sondern auch Streicheleinheit Was bedeutet das für die Praxis? Das gerade bei Hochbetagten mit chronischen Knieschmerzen durch Osteoarthritis eher unterschätzte Risiko einer länger dauernden oralen Medikation mit NSAIDs sollte bei der Wahl zwischen topischer und oraler Therapie bedacht werden. Für die Behandlung eines akuten Kniegelenksschmerzes bei Osteoarthritis sollten weiterhin die oralen NSAIDs wegen des schnelleren Wirkungseintritts bevorzugt werden, für eine chronische Behandlung Multimorbider eignen sich auch die topischen NSAIDs. Wegen der geringeren Nebenwirkungen und Interaktionen ist eine Salbenbehandlung besonders auch wegen der Polymedikation vieler alter Menschen oft die bessere Alternative. Es sollte jedoch nicht vergessen werden, dass wir in erster Linie akute Schmerzzustände des Kniegelenks therapieren, die chronischen sollten eher mit allgemeinen Maßnahmen und nicht medikamentös behandelt werden. Sollte trotz dieser zurückhaltenden Grundeinstellung eine medikamentöse Maßnahme erforderlich sein, kann diese auch topisch erfolgen. Die vorliegende Studie zeigt, dass es bei langdauernder Anwendung keine gravierenden Unterschiede in der Wirkung gibt. Eine vom Pflegenden fürsorglich angewendete Salbenbehandlung (Achtung: grünes Rezept!) kann für den alten Menschen zudem eine wichtige „Streicheleinheit“ in der hausärztlichen Medizin bedeuten. Interessenkonflikte: keine Literatur: 1 Underwood M, Ashby D, Cross P, Hennessy E, Letley L, Martin J, Mt-Isa S, Parsons S, Vickers M, Whyte K, and the TOIB study team: Advice to use topical or oral ibuprofen for chronic knee pain in older people: randomised controlled trial and patient preference study. doi:10.1136/bmj.39399.656331.25, Updated information: http:// bmj.com/cgi/content/full/bmj.39399.856331.25v1 2 Cross P, Ashby D, Harding G, Hennessy E, Letley L, Parsons S, et al.TOIB Study Group: Are topical or oral ibuprofen equally effective for the treatment of chronic knee pain presenting in primary care: a randomised controlled trial with patient preference study. BMC Mucoloskeletal Disord 2005;6:55. Für Sie gelesen Blutzucker mit Insulin senken: Welches Therapieregime ist richtig? Ein Zwischenbericht über die 4-T-Studie Dr. med. Michael Viapiano Die Senkung des erhöhten Blutzuckerspiegels beim Diabetes mellitus Typ II ist ein wesentliches Therapieziel, um Spätkomplikationen wie z. B. Herzinfarkt und Schlaganfälle zu vermeiden. Für das Erreichen dieses Therapieziels ist häufig die Gabe von Insulin erforderlich; dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn orale Antidiabetika nicht mehr ausreichen. Diabetologen definieren als Voraussetzung für den Beginn einer Insulintherapie beispielsweise, dass das HbA1c trotz einer Therapie mit zwei oralen Antidiabetika Werte von mehr als sieben Prozent erreicht. Nr. 1 / 2008 KVH • aktuell Wenn damit auch relativ eindeutig geklärt werden kann, wann eine Insulintherapie zu beginnen ist, so ist die Entscheidung, welche Insuline bzw. Insulinkombinationen als Therapieregime verabreicht werden sollten, sehr viel schwerer zu treffen – gerade vor dem Hintergrund der Vielzahl von existierenden Insulinarten mit unterschiedlichen Wirkstärken, -dauern und -spektren. Daher wurde im Jahr 2006 die 4-T-Studie (Treating to Target in Type 2 Diabetes) ins Leben gerufen [1]. Es handelt sich dabei um eine auf drei Jahre angelegte, offene, randomisierte und kontrollierte Multicenterstudie, in die 708 Patienten eingeschlossen wurden, die mindestens vier Monate mit der maximal verträglichen Dosis von Metformin und einem Sulfonyl-Harnstoff behandelt worden waren. Unter diesem Therapieregime lag der HbA1c-Spiegel zwischen sieben und zehn Prozent. Für drei zu untersuchende Patientengruppen wurden folgende Optionen als Therapieregime festgelegt: Gruppe 1: 2 x am Tag Verabreichung eines Mischinsulins (biphasisches Insulin aus kurzwirksamem und mit Protamin verzögertem Insulinaspart). Gruppe 2: 3 x am Tag zu den Hauptmahlzeiten ein prandiales, schnellwirkendes Kunstinsulin. Gruppe 3: 1 x am Abend vor dem Zubettgehen ein langwirkendes Basalinsulin (hier bestand die Option einer zusätzlichen morgendlichen Spritze bei Bedarf). Kontrolliert werden sollte in der Studie die Entwicklung des HbA1c-Wertes, das Auftreten von Hypoglykämien und die Gewichtsentwicklung. Nachdem nun das erste Studienjahr abgelaufen ist und eine Zwischenauswertung der erreichten Zielwerte stattgefunden hat, lässt sich Folgendes feststellen: Generell besteht bei einem prandialen bzw. biphasischen Insulintherapieregime das höhere Risiko von Hypoglykämien. Die Basalinsuline hatten hier mit durchschnittlich 2,3 Ereignissen im Studienjahr deutlich weniger Hypoglykämien zu verzeichnen als das prandiale Insulin mit 12 Ereignissen und das biphasische Insulin mit 5,7 Ereignissen. Der angestrebte Zielwert des HbA1c von 6,5% oder weniger ist nur von einer geringen Zahl der Probanden realisiert worden. Er wurde von 17% in der Gruppe mit dem biphalischen Insulin, von 24% in der Gruppe mit der prandialen Insulingabe und von 8% in der Gruppe mit dem Basalinsulin erreicht. Seite 11 Erhöhte HypoglykämieGefahr bei prandialer bzw. biphasischer Insulingabex Welche Gründe können für diese enttäuschenden Studienergebnisse vorliegen? Eine Möglichkeit ist, dass aufgetretene Hypoglykämien unter der Insulintherapie dazu führten, dass die Insulindosis nicht weiter gesteigert wurde, um ggf. noch einen besseren HbA1c-Wert zu erreichen. Ein weiterer Grund können auch fehlende Schulungsmaßnahmen für die Patienten hinsichtlich der Umstellung ihrer Lebensführung und Ernährungsweise gewesen sein. Um die Ursachen und Gründe jedoch abschließend bewerten zu können, ist das Ende der Studie in zwei Jahren abzuwarten. Vor allen Dingen können ggf. die noch laufenden zwei Studienjahre Auskunft darüber geben, welche Insulinkombination für diejenigen Patienten von Vorteil ist, die unter einer alleinigen Basalinsulingabe die Zielwerte ihres Blutzuckers bzw. des HbA1c nicht erreichen. Was bedeutet diese Zwischenauswertung nun für die Praxis? Bedeutung Die bisherigen Ergebnisse der Studie geben deutliche Hinweise darauf, dass die prandialen und biphasischen Insuline nicht ideal für den Einstieg in die Insulintherapie sind und den Patienten sogar einem unnötig hohen Hypoglykämierisiko aussetzen. Derzeit ist eine gravierende Umstellung der in Deutschland vorherrschenden für unsere Praxis KVH • aktuell Seite 12 Nr. 1 / 2008 Therapieregime bei der Insulingabe also nicht erforderlich. Die beste Vorgehensweise für Patienten mit HbA1c-Werten über sieben Prozent scheint zu sein, eine Metformingabe fortzuführen und um ein basales Insulin zu ergänzen. SulfonylHarnstoffe sollten nicht mit Insulin kombiniert werden. Wichtiger noch als die Auswahl eines speziellen Therapieregimes aus den unterschiedlichen Insulintypen ist es, generell die Entscheidung zum Beginn einer Insulintherapie zu treffen. Eine genauso große Rolle zur Vermeidung von Spätkomplikationen eines Diabetes spielt die Veränderung der Lebens- und Ernährungsweise der Patienten, wo vor allen Dingen das Beendigen von Rauchen und Gewichtsabnahme im Vordergrund stehen, sowie die Kontrolle und ggf. Behandlung des Blutdrucks, ggf. ergänzt um Senkung der Blutfette. Diese Basismaßnahmen tragen sicherlich zu einem großen Anteil zur Erreichung von Therapiezielen im Rahmen der Diabetesbehandlung bei, unabhängig davon, welche Insulinform gewählt worden ist. Über die weiteren Schlussfolgerungen, die aus der 4-T-Studie zu ziehen sind, werden wir Sie nach dem Vorliegen der endgültigen Studienergebnisse in zwei Jahren informieren. Interessenkonflikte: keine Literatur: 1 McMahon GT, Dluhy RG: Intention to Treat – Initiating Insulin and the 4-T-Study. New England Journal of Medicine 2007; 357; Seite 1-3 Für Sie gelesen Vier Punkte verlängern das Leben um 14 Jahre Dr. med. Klaus Ehrenthal Die überwältigende Evidenz für gesundheitliche Effekte durch Lebensstilfaktoren ist gut dokumentiert. Um solche Effekte zu quantifizieren, wurden von Kay-Tee Khaw et al. in Cambridge/England in der „EPIC-Norfolk Prospective Population Study“* [1], von 1993 bis 1997 insgesamt 20 244 Männern und Frauen im Alter von 49 bis 79 Jahren beobachtet. Sie lebten in einer normalen Umwelt, vier Lebensstilfaktoren wurden nach einer körperlichen Untersuchung per Fragebogen erhoben und die Mortalität bis 2006 nachverfolgt. Die Probanden litten weder an Krebs noch an kardiovaskulären Erkrankungen. Folgende Daten der Lebensführung wurden erhoben und Punkte für positives Verhalten vergeben: Rauchgewohnheit (Nichtrauchen wurde mit einem Punkt bewertet). Bewegung (einen Punkt gabe es für „aktiv sein“ – z.B. 30 Minuten pro Tag Radfahren, Schwimmen oder Ähnliches als Ausgleich bei einer sitzenden Tätigkeit). Alkoholgenuss (ein Punkt für „moderate“ Trinkgewohnheit entsprechend 8 bis maximal 112 g Alkohol pro Woche; das ist eine Spannbreite etwa von einem kleinen Bier bis zu einer Flasche Bordeaux pro Woche). Obst- und Gemüseverzehr (ein Punkt für fünfmal täglichen Verzehr von Obst und Gemüse, entsprechend >50mmol/l Vitamin C im Serum). * Die Norfolk Prospective Population Study ist ein Teil des „European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition (EPIC)“-Programms Nr. 1 / 2008 KVH • aktuell Seite 13 Nach durchschnittlich elf Jahren der Nachbeobachtung des Verlaufs und etwaiger Erkrankungen wurde bis 2006 das relative Sterberisiko ermittelt. Die Gesamtmortalität bei 1977 Sterbefällen insgesamt für Männern und Frauen variierte eindrucksvoll und signifikant mit den dokumentierten Lebensstilmerkmalen. 6285 Probanden erreichten alle vier Punkte; setzt man ihr um die Faktoren Alter, Geschlecht, Bodymass-Index (BMI) und Zugehörigkeit zu sozialen Schichten korrigiertes relatives Sterberisiko (RR) auf 1,0, dann ergab sich für die anderen Probanden folgendes Bild: bei 7788 Personen mit drei Punkten lag das RR bei 1,39, das Sterberisiko war also um 38 Prozent erhöht; bei 4570 Personen mit nur zwei Punkten verdoppelte sich das relative Sterberisiko (RR 1,95); bei 1407 Personen mit nur einem Punkt stieg das relative Sterberisiko auf das zweieinhalbfache (RR 2,52); 196 Personen, die keinen Punkt erreichten, hatten ein vierfach erhöhtes Sterberisiko (RR 4,04). Besonders auffällig war dieser Anstieg des Sterblichkeitsrisikos bei Menschen mit null Punkten einer gesunden Lebensführung: bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen RR: 5,02, bei Krebserkrankungen RR: 3,74, bei anderen Erkrankungen RR: 3,56. Null Punkte: Sterberisiko steigt auf das Vierfache. Die Umrechnung auf das entsprechende Risiko durch Alter, Geschlecht, BMI und soziale Schichtung hatte keinen Einfluss auf die Effekte der gesunden Lebensführung. Von den 6285 Personen, die alle vier Punkte gesunder Lebensführung erfüllten, waren nach 11 Jahren noch 95 Prozent am Leben, von denen, die keinen Punkt erfüllten, waren es nur noch 75 Prozent. Sie hatten etwa die gleiche Lebenserwartung, wie 14 Jahre ältere Personen, die alle vier Kriterien eines gesunden Lebensstils erfüllten. Was bedeutet das für die Praxis? Bedenkt man die mitunter unbefriedigende Therapietreue bei einer medikamentösen Behandlung von Patienten – im Alter eher noch schlechter – so zeigt die EPICStudie, dass die vier genannten einfachen Maßnahmen der Lebensstiländerung Nichtrauchen, körperliche Aktivität, Alkoholreduktion, ausreichender Obst- und Gemüseverzehr von sehr überzeugender Effektivität sind. Statistisch können so 14 Lebensjahre gewonnen werden gegenüber dem Verzicht auf alle vier Maßnahmen! Die gesundheitsfördernden Maßnahmen sind zudem preisgünstig. Mit den vorherrschenden mechanistischen Vorstellungen (die von der Industrie seit Jahrzehnten der Bevölkerung nahegebracht wurden) „für jede Beschwerde oder Krankheit muss es ein Medikament geben“ sollte aufgeräumt werden. Eigeninitiative der Patienten sollte durch uns Ärzte mit Zuwendung und allen unterstützenden Maßnahmen einer empathischen und geduldigen Kommunikation belohnt werden. Interessenkonflikte: keine Literatur: 1. Khaw KT, Wareham N, Bingham S, Welch A, Luben R, Day N: Combined Impact of Health Behaviours and ortality in Men and Women: The EPIC-Norfolk Prospective Population Study. PLoS Medicine 2008; 5: e12 www.plosmedicine.org / Jan 2008, Vol 5, Issue 1, e12, p 0001-0009 http://www.srl.cam.ac.uk/epic/ Bedeutung für unsere Praxis Man sollte den Patienten klar machen: Das Leben wird im Schnitt um 14 Jahre verlängert! Seite 14 Beiträge der Redaktion KVH • aktuell Nr. 1 / 2008 Arzneimittel verordnet Wann sollten Sie dem Patienten vom Autofahren abraten? Dr. med. Günter Hopf In KVH-Pharmakotherapie aktuell wurde bereits ausführlich über das mögliche Sicherheitsrisiko von Arzneimitteln im Straßenverkehr berichtet (KVH-Pharmakotherapie Nr. 39, Dezember 2004). Im folgenden Beitrag finden Sie noch einige Hinweise, die während einer Diskussion bei der 50. Sitzung des ADAC-Ärzte-Collegiums im vergangenen Jahr besprochen wurden. Grundsätzlich muss unterschieden werden zwischen erstmaliger/einmaliger Gabe eines Arzneimittels und Dauergebrauch, zwischen therapeutischer Wirkung und unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW). Erstmalige bzw. einmalige Anwendung eines Arzneimittels Tabelle 1: Arzneimittel mit (möglichem) Einfluss auf die Verkehrstüchtigkeit Antiasthmatika Antibiotika Antidepressiva Antidiabetika Antiepileptika Antihistaminika Antihypertensiva Antikoagulantien Appetitzügler Barbiturate Digitalis-Glykoside Grippemittel Muskelrelaxanzien Narkotika Neuroleptika NSAR Ophthalmika Opiate/Opiode Sedativa/Hypnotika Stimulantien „traditionelle“ Arzneimittel wie Klosterfrau Melissengeist mit 79 Vol% Ethanol Tranquilizer In diesen Fällen sollte ein verordnender Arzt die Hinweise in den Fachinformationen des Herstellers beachten, auch wenn diese oft nur aus produkthaftungsrechtlichen Gründen erfolgen und häufig unklar bleiben (z.B. „nicht bekannt“, „vernachlässig­ barer Einfluss“, „nicht untersucht“). Die Sicherheitsaufklärungspflicht des Arztes erfordert einen Hinweis für den Patienten, zum Schutz des verordnenden Arztes dokumentiert in den Patientenunterlagen (z.B. mit einem Buchstaben wie „V“). In Tabelle 1 sind die Arzneimittelgruppen aufgezählt, bei denen eine mögliche Beeinträchtigung bei einer Teilnahme im Straßenverkehr (oft in Kombination mit einer Einschränkung des Bedienens von anderen „Maschinen“) besteht. Als Faustregel kann gelten: Alle im ZNS angreifenden oder auf das Herz/Kreislaufsystem wirkenden Arzneistoffe (beginnend bei Koffein!) können sich bei erstmaliger Einnahme negativ auf die Fahrtüchtigkeit auswirken. Dauergebrauch eines Arzneimittels Hier gilt ein differenziertes, individuelles Vorgehen. In der Regel kann eine gut verträgliche Dauertherapie Krankheitssymptome ausgleichen und auf diese Weise eine Teilnahme am Straßenverkehr ermöglichen. Zwei typische Beispiele: Antiepileptika: Nach entsprechend langer Anfallsfreiheit (EU: 1/2, 1 oder 2 Jahre je nach Land und Art der Anfälle) unter der Therapie ist im Einzelfall zu prüfen, ob der Patient wieder in der Lage ist, sich z.B. hinter das Steuer eines PKW zu setzen. Opiate: Bei einer, von einem erfahrenen Schmerztherapeuten genau titrierten Dauertherapie mit Opiaten ist in Einzelfällen eine Teilnahme am Straßenverkehr wieder möglich (vorgestelltes, gut dokumentiertes Beispiel eines Patienten mit Phantomschmerzen vor dem Expertengremium). Auswirkungen auf die Verkehrstüchtigkeit aufgrund der therapeutischen Wirkung im Vergleich zu UAW Der Wirkungsmechanismus eines Arzneimittels lässt in der Regel eine grobe Abschätzung zu, ob der Patient am Straßenverkehr teilnehmen kann oder besser nicht. Zu berücksichtigen sind – wie oben erwähnt – erstmalige Gabe und Dauergebrauch, aber zusätzlich auch die Dosis und die individuellen Besonderheiten des Patienten wie z.B. Körpergewicht, Ernährung, Ausprägung und Art der Grunderkrankung, Komorbidität, Alter und unter Umständen auch genetische Besonderheiten. So wird bei ultraschnellen Metabolisierern Kodein so schnell in Morphin umgewandelt, dass nicht nur bei stillenden Müttern eine Gefährdung des Neugeborenen eintreten kann (und eingetreten ist – siehe Seite 31), sondern ein Patient mit einer derartigen Nr. 1 / 2008 KVH • aktuell Seite 15 Genmodifikation bei einer Teilnahme am Straßenverkehr sich selbst oder andere gefährden kann. Das Auftreten von UAW kann die Abschätzung der Verkehrstauglichkeit weiter erschweren. Für das Auftreten einer UAW gelten individuelle und situative Besonderheiten in verstärktem Maße. Zusätzlich ist das Erkennen einer UAW generell schwierig, vor allem wenn die UAW einen Krankheitszustand imitiert oder eine bereits bestehende Erkrankung verschlechtert (so genannte „paradoxe“ UAW). Im untenstehenden Kasten wurde versucht, an Hand von Beispielen einige UAW nach dem Grad ihres Gefährdungspotentials für den Straßenverkehr zu typisieren. Die obigen Ausführungen gelten für den bestimmungsgemäßen Gebrauch von Arzneimitteln. Als bekannt wird vorausgesetzt, dass eine Teilnahme am Straßenverkehr verboten ist bei Arzneimittelmissbrauch/ -sucht, gleichzeitigem Alkoholkonsum (vor allem mit ZNS-wirksamen Arzneimitteln), gleichzeitiger Einnahme von Drogen wie Cannabisprodukten, Amphetaminen, Kokain, Heroin, LSD, Rauschpilzen etc. Da die Nachweismethoden für diese Stoffe sehr empfindlich sind und es derzeit keine unteren Grenzwerte für die Fahruntüchtigkeit gibt (bei Cannabis in Diskussion), sollte bei Verdacht auf Drogensucht eine vorbeugende Beratung durchgeführt werden. Das Strafmaß (Bußgeld bei folgenloser Drogenfahrt, Freiheitsstrafe, Geldstrafe und Typisierung von UAW nach dem Grad der möglichen Gefährdung im Straßenverkehr und dem Grad der Erkennbarkeit durch den Patienten (von A bis D zunehmend problematisch) A: UAW aufgrund des therapeutischen Wirkungsmechanismus, grundsätzlich bekannt, z.B.: Müdigkeit und Aufmerksamkeitsstörungen insbesondere unter Benzodiazepinen und ihren Derivaten, aber auch unter allen Psychopharmaka mit sedierenden Eigenschaften Sehstörungen unter diagnostischer oder therapeutischer lokaler Anwendung von Ophthalmika Müdigkeit unter Antihistaminika (gilt grundsätzlich auch bei den sog. „nicht sedierenden“ Antihistaminika) und Grippemitteln. B: Mit der therapeutischen Wirkung nicht verbundene, oft selten und akut eintretende, grundsätzlich aber bekannte UAW, z.B.: anaphylaktische systemische Reaktionen nach z.B. Diclofenac i.v. oder Hyposensibilisierungslösungen. C: Von Patienten nicht oder schwer erkennbare oder einschätzbare UAW, z.B.: Amnesien unter kurzwirksamen Benzodiazepinen Psychosen oder andere Wesensveränderungen unter Psychopharmaka, bekannt z.B. auch unter Antiinfektiva [3] Suizidgedanken, z.T. auch durchgeführte Suizide unter Gyrasehemmern schleichender Verlust kognitiver Fähigkeiten bei Arzneimitteln mit anticholinergen UAW, insbesondere bei Älteren (Vertreter von vielen Arzneimittelgruppen wie Antiemetika, Bronchodilatatoren, Glukokortikoide, [4]). D: UAW aufgrund von Interaktionen Bei Multimedikation ist nicht absehbar, ob die Fahrtüchtigkeit durch Wechselwirkungen beeinträchtigt sein kann. Die Anzahl möglicher Wechselwirkungen steigt exponentiell mit der Anzahl der eingenommenen Substanzen, vor allem, wenn die Einzelsubstanzen bereits die Fahrtauglichkeit beeinträchtigen, wie die gleichzeitige Anwendung von psychotropen Arzneimitteln und freiverkäuflichen ethanolhaltigen Mitteln, wie beispielsweise Tonika oder Herzweinen. Seite 16 KVH • aktuell Nr. 1 / 2008 Führerscheinentzug bei einer Gefährdung des Straßenverkehrs) kann erheblich sein. Beispiele für die Empfindlichkeit der modernen Nachweismethoden: Ein Cannabisjoint am Abend erzeugt am Morgen noch relevante Blutkonzentrationen von Tetrahydrocannabinol, Ecstasy auf einer Samstagabendparty führt zum Nachweis von MDMA noch am Montagmorgen. Arzt muss fragen, ob der Patient Auto fährt Grundsätzlich muss ein Teilnehmer am Straßenverkehr selbst Vorsorge treffen, dass er durch vorliegende körperliche oder geistige Mängel andere Verkehrsteilnehmer nicht gefährdet (§§ 1 und 3 StVO). Die Pflicht zur Sicherheitsaufklärung des Arztes wird dadurch aber nur unwesentlich gemindert. Nach juristischer Ansicht muss ein Arzt in entsprechenden Fällen von sich aus den Patienten befragen, ob er gegenwärtig ein Kraftfahrzeug führt [1]. Bei uneinsichtigen Patienten kann sogar die Durchbrechung der ärztlichen Schweigepflicht nach den Grundsätzen des rechtfertigenden Notstandes gerechtfertigt sein. Diese Rechtsauffassung wurde 2007 bestätigt [2]. Etwas relativiert werden diese juristischen Hinweise dadurch, dass laut einer nicht repräsentativen Umfrage bei Staatsanwaltschaften, Gerichten, Polizeidienststellen, der Gutachterkommission bei der Ärztekammer Nordrhein, Gerichtsmedizinern und anderen Gutachtern keine oder nur wenige Fälle bekannt sind, in denen Medikamente bei bestimmungsgemäßem Gebrauch allein als mitursächlich für Verkehrsvergehen betrachtet wurden. Häufiger sind Fälle mit Kombinationen von Arzneimitteln mit Alkohol oder Drogen, bei denen jedoch der letztgenannte Gebrauch strafbestimmend war. Dies wird Anwälte nicht hindern, bei Verkehrsverstößen vor Gericht auf Strafmilderung für ihren Mandanten wegen angeblichen Fehlens einer entsprechenden Medikamentenaufklärung des Arztes zu plädieren oder gar ein Mitverschulden des Arztes anzunehmen. Daher gilt: Vorbeugen durch entsprechende Aufklärung und Dokumentation kann hilfreich sein. Nachfolgend noch einige Listen und Informationen über Arzneimittel im Straßenverkehr, die als Übersicht hilfreich, im Einzelfall jedoch zu pauschal sein können: – ABDA, Leitfaden „Arzneimittel und Straßenverkehr“, 2. Aufl. 1999, Eschborn – ADAC, Medikamente im Straßenverkehr, München, 2005 – Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen (bast): Verkehrsteilnahme und -erleben im Straßenverkehr bei Krankheit und Medikamenteneinnahme, M162, 2004 – W. Schubert et al.(Hrsg), Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung, Kommentar, Kirschbaum Verlag Bonn, 2002 Interessenkonflikte: keine Sechs wichtige Punkte für das Patientengespräch über‘s Autofahren 1 Alle eingenommenen Arzneimittel berücksichtigen (von mitbehandelnden Ärzten, aber auch freiverkäufliche!). 2 Auf Warnungen in der Packungsbeilage hinweisen (vor allem bei Ersteinnahme). 3 Dosierungen vorgeben und vor Überdosierung warnen. 4 Auf Langzeitwirkungen aufmerksam machen (Hang-overEffekte am Morgen). 5 Keine verschreibungspflichtigen Arzneimittel auf Empfehlungen von Freunden einnehmen. 6 Eigenverantwortliche Einschätzung des Fahrvermögens vor Antritt und während einer Fahrt. Literatur: 1 Weltrich H: Zur Sicherheitsaufklärung des Arztes bei behandlungsbedingter Fahr­ unsicherheit, Rhein. Ärztebl. 1997; (12): 17 2 Laum H.D.: Patienten auf Fahrunsicherheit hinweisen, Rhein. Ärztebl. 2007; (8): 15 3 Sorgenfrei T et al., Psychogene Wirkungen von Antiinfektiva, AVP 2008; 35: 14 4 Eisenmenger W: Protokoll der 50. Sitzung des ADAC-ÄrzteCollegiums, München, 2007 KVH • aktuell Nr. 1 / 2008 Seite 17 Sparpotenzial bei der Therapie der Psychosen Beiträge der Redaktion Einige atypische Neuroleptika gibt es jetzt als Generika Klaus Hollmann Die Beseitigung oder Abschwächung psychotischer Symptome, die Abschwächung der Negativsymptome, die Sedierung und die möglichen unerwünschten extrapyramidal-motorischen Störungen sind die vier Hauptwirkungen der Anti­ psychotika. Die Substanzen unterscheiden sich in der klinischen Wirkstärke auf die verschiedenen Symptome und hinsichtlich der unerwünschten Wirkungen. Dabei hängen die erwünschten und unerwünschten Wirkungen der Neuroleptika wesentlich von der Affinität der entsprechenden Substanzen zu einer Reihe von NeurotransmitterRezeptoren im zentralen Nervensystem ab. Allen atypischen Antipsychotika ist gemeinsam, dass ihre 5-HT2-antagonistische Wirkung gleich stark oder stärker als die D2-Blockade ist. Dabei übt das Verhältnis 5-HT2/D2-Blockade offenbar einen entscheidenden Einfluss auf die „atypischen Eigenschaften“ eines Antipyschotikums aus. Allerdings zeigen auch Pipamperon und Cholprotixen, die zu den klassischen Antipsychotika gerechnet werden, eine stärkere Affinität zu 5-HT2- als zu D2-Rezeptoren. Neben der D2-Plus-Hypothese werden also noch andere Erklärungsansätze für den Wirkmechanismus von atypischen Antipsychotika von Bedeutung sein (Quelle: Medizinische Chemie, Steinhilber, SchubertZsilavecz, Roth; Deutscher Apotheker Verlag Stuttgart 2005). Der Einsatz der Neuroleptika erfolgt primär bei schizophrenen und manischen Psychosen. Hinzu kommt häufig die Anwendung bei Unruhezuständen von dementen Patienten. Die Leitlinie des NICE-Instituts aus dem Jahr 2006 sieht atypische Neuroleptika bei der Erstbehandlung und beim Vorliegen nicht akzeptabler Nebenwirkungen unter der bisherigen Medikation mit typischen Neuroleptika vor. Bei Patienten, die bisher mit typischen Neuroleptika gut eingestellt sind, wird nicht empfohlen, auf atypische Neuroleptika umzustellen. Die modernen Antipsychiotika bieten einige nützliche Optionen. Das Risiko extrapyramidaler Nebenwirkungen ist grundsätzlich geringer als bei den alten Medikamenten. Als Gruppe unterscheiden sich die modernen Antipsychotika erheblich bezüglich ihrer Pharmakologie und der Risiken spezifischer Nebenwirkungen. Mit Ausnahme von Clozapin bieten sie aber keine wesentlichen Vorteile bezüglich In-vitro-Rezeptoraffinität ausgewählter Antipsychotika im Vergleich Neuroleptikum D1 D2 D3 D4 5-HT2A M1 α1 H1 Amisulpirid 0 +++ +++ k.A. 0 0 0 0 Clozapin ++ + ++ +++ ++ +++ + +++ Olanzapin ++ +++ + ++ +++ ++ ++ ++ Quetiapin ++ ++ ++ ++ +++ 0 +++ +++ Risperidon + ++ + + +++ 0 ++ +++ Ziprasidon ++ +++ ++ +++ +++ 0 ++ + +++ = stark, ++ = mittel, + = gering, 0 = sehr gering oder nicht vorhanden; k.A. = keine Daten verfügbar Quelle: Medizinische Chemie (Steinhilber, Schubert-Zsilavecz, Roth); Deutscher Apotheker Verlag Stuttgart 2005 KVH • aktuell Seite 18 Therapie kostet sieben Euro pro Tag Nr. 1 / 2008 Effektivität und Verträglichkeit. Einige bergen in Verbindung mit Diabetes, Hyperlipidämie und Hypertonus wichtige potenzielle Nebenwirkungen. Es erscheint sinnvoll, bei der Behandlung schizophrener Psychosen Medikamente beider Gruppen (herkömmliche und neu entwickelte) in Betracht zu ziehen und die Patienten über die relevanten Vorteile, Risiken und Kosten zu informieren, die mit der jeweiligen Auswahl verbunden sind (Gardner et al. Modern antipsychotic drugs: a critical overview 2005). Die Tagestherapiekosten für atypische Neuroleptika liegen bei durchschnittlich sieben Euro und die Umsatzentwicklung steigt sprunghaft. Im Jahr 2006 lag die Steigerung über 13 Prozent (Quelle: Arzneiverordnungsreport). Diese Umsatzentwicklung kann nicht damit begründet werden, dass es zu einem Anstieg an neuen Patienten mit Schizophrenie gekommen ist. Keinem Patienten, der von herkömmlichen Antipsychotika nicht profitiert oder der unter nicht therapierbaren Nebenwirkungen leidet, soll und darf aus finanziellen Gründen eine Behandlung mit besser wirksamen oder verträglichen Medikamenten vorenthalten werden (Dose Psychiat Praxis 2007 Jan;34(1):46-9). Bei guter Führung des Patienten erkennt man Frühdyskinesien und kann intervenieren. Frühdyskinesien sind voll reversibel. Problematische Nebenwirkungen der Spätdyskinesien der Typika kann man damit verhindern. Tagestherapiekosten Wirkstoff DDD-Kosten in Euro Haloperidol 0,65 Benperidol 0,24 Fluphenazin 0,64 Thioridazin 1,60 Perazin 0,49 Perphenazin 1,76 Promethiazin 0,57 Melperon 2,62 Sulpirid 2,77 Levomepromazin 1,74 Pipamperon 2,31 Chlorprothixen 1,01 Clozapin 2,52 Amisulprid 3,14 Olanzapin 7,06 Risperidon 7,94 Quetiapin 6,73 Aripiprazol 8,19 Zeldox 5,47 In Auszügen entnommen aus dem Arzneiverordnungsreport 2007 Folgende Wirkstoffe der Gruppe der atypischen Neuroleptika sind zwischenzeitlich aus dem Patent entlassen worden und die nun zu erwartenden Einsparungen sind immens: Amisulpirid, Clozapin, Olanzapin, Risperidon. Der Markt wird nach Ablauf des Patentes des „atypischen“ Neuroleptikums Risperidon (RISPERDAL) mit Generika überschwemmt, berichtet das arzneimittel-telegramm. Bereits am 15. Dezember haben 28 Firmen 163 Risperidon-Präparate als Generika angeboten. Ergebnis: eine Halbierung der Kosten! Immer dann, wenn ein atypisches Neuroleptikum eingesetzt werden soll, sollte man also prüfen, ob man mit den zur Verfügung stehenden Generika den individuellen Therapieprinzipien gerecht wird. Fazit Auch typische Neuroleptika sind indiziert. Wichtige Substanzen der Atypika stehen jetzt als Generika (Amisulpirid, Clozapin, Olanzapin und Risperidon) zur Verfügung. Interessenkonflikte: keine Nr. 1 / 2008 KVH • aktuell Gibt es verordnungsfähige Expektoranzien? Klaus Hollmann Bei Patienten über zwölf Jahren dürfen Expektoranzien meist schon deswegen nicht auf das Kassenrezept, weil sie nicht verschreibungspflichtig sind. Es gibt aber auch verschreibungspflichtige Medikamente mit expektorierender Wirkung und manch ein Pharmareferent suggeriert, dass man diese Präparate ja bedenkenlos zu Lasten der Krankenkasse verordnen kann. Doch Vorsicht: Wer solchen Einflüsterungen nachgibt, kann Probleme bekommen! Expektoranzien sollen die Bronchialsekretion stimulieren oder durch verflüssigende Wirkung das Abhusten erleichtern, wenn das Bronchialsekret zäh ist. Grundlage jeder expektorationsfördernden Maßnahme ist bekanntlich die ausreichende Flüssigkeitszufuhr, da ungenügende Wässerung die Viskosität der Bronchialsekrete erhöht. Entsprechende Medikamente sind allenfalls Adjuvantien, für die eine Überlegenheit gegenüber ausreichender Hydrierung des Patienten nicht durch kontrollierte Studien belegt ist. Es fehlen aussagekräftige klinische Belege, dass sich der Verlauf von Lungenerkrankungen mit Expektoranzien günstig beeinflussen lässt. Selbst bei Beatmungspatienten ließ sich ein Nutzen der systemischen Gabe von Expektoranzien zur Verbesserung der Bronchialtoilette nicht nachweisen. Der klinische Nutzen auswurffördernder Mittel ist daher nach wie vor zweifelhaft (Quelle: Arzneimittelkursbuch 2007/08, 15. Ausgabe, Seite 2099). Arzneimittel, die durch wissenschaftliche Studien in ihrer Wirksamkeit nicht belegt sind und die in den Behandlungsleitlinien der Fachgesellschaften nicht genannt werden, bringen dem niedergelassenen Vertragsarzt ein Problem: Ihre Verordnung kann regelmäßig als unwirtschaftlich bezeichnet werden. Die Verordnung unwirtschaftlicher Medikamente führt wiederum zu einem Regress. Bei den Expektoranzien kommen weitere Argumente hinzu, die den leistungsrechtlichen Bereich berühren: Für Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, sind solche Arzneimittel von der Versorgung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgenommen, die bei Erkältungskrankheiten und grippalen Infekten angewendet werden. Unter anderem werden hier hustenlösende Mittel genannt. Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel sind von der Versorgung innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen. Dies soweit der Patient das zwölfte bzw. bei einer vorliegenden Behinderung das 18. Lebensjahr vollendet hat. Allerdings können nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden, wenn sie bei der Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung als Therapiestandard gelten und der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen dies in einer Richtlinie formuliert hat. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat eine solche Begründung im Zusammenhang mit Expektoranzien nicht abgegeben. Etwas verwirrend: Der Wirkstoff Acetylcystein (ACC) ist n der Dosis von 200 mg nicht verschreibungspflichtig, er kann vom Apotheker ohne Rezept abgegeben werden. Höher dosierte Präparate – z. B. in einer Dosierung von 600 mg ACC pro Tablette – sind dagegen verschreibungspflichtig. Seite 19 Beiträge der Redaktion KVH • aktuell Seite 20 Nr. 1 / 2008 Zu Lasten der GKV könne der Arzt doch dieses verschreibungspflichtige ACC-haltige Arzneimittel verordnen, so die Empfehlung der Industrie. Eine höchst problematische Empfehlung: Weicht der niedergelassene Vertragsarzt auf ein – aus welchen Gründen auch immer – verschreibungspflichtiges Arzneimittel mit expektorierender Wirkung aus, besagen die Arzneimittelrichtlinien, dass solche Verordnungen unwirtschaftlich sind (siehe Kasten auf dieser Seite). Aus den Arzneimittel-Richtlinien: „Der Vertragsarzt soll nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel zu Lasten des Versicherten verordnen, wenn sie zur Behandlung einer Erkrankung medizinisch notwendig, zweckmäßig und ausreichend sind. In diesen Fällen kann die Verordnung eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels unwirtschaftlich sein.“ Beiträge der Redaktion Man muss zusammenfassen: Die Verordnung eines Expektorans zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung geht mit erheblicher Regress­gefahr einher. Dieses führt zu der Empfehlung – falls der Patient ein Expektorans bekommen soll – auf grünem Rezept die ACC 200 Therapie zu verordnen, nicht aber auf Kassenrezept die ACC 600 Therapie. Interessenkonflikte: keine Zeckenbiss führt relativ selten zur Infektion Diagnose und Therapie der Borreliose Dr. med. Wolfgang LangHeinrich Zecken können zahlreiche Infektionserreger durch Biss übertragen und schwere Krankheiten verursachen unter anderem die Frühsommer-Meningo-Enzephalitis (FSME) und die Lyme Borreliose. Die FSME-Erkrankung wird durch Viren verursacht. Gegen sie ist ein Schutz durch Impfung möglich. Diese wird von der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert-Koch-Institut für alle Personen, die in FSME-Risikogebieten leben oder beruflich bzw. im Rahmen von Freizeitaktivitäten zeckenexponiert sind, empfohlen. Impfungen von Personen, die in einem Zeckenrisikogebiet leben, sind Krankenkassenleistung. Die Lyme-Borreliose ist die weltweit am häufigsten auftretende durch Zeckenbiss übertragene bakterielle Infektion. Sie wird durch Borrelien, in erster Linie Borrelia burgdorferi, übertragen. In Deutschland treten pro Jahr ca. 100 000 Erkrankungen auf. Die Lyme-Borreliose ist eine stadienhaft verlaufende Multiorganerkrankung, die sich mit wechselnden Symptomen sehr variantenreich am häufigsten an Haut, Gelenken und am Nerven­sys­tem manifestiert. Es können aber alle Organe des Körpers, also auch Sinnesorgane, das Muskelsystem und die inneren Organe befallen sein. Da die Krankheitsanzeichen der Borrelieninfektion Symptomen anderer Infektionskrankheiten entsprechen können, ist eine Abgrenzung zu diesen oft schwierig. Im Gegensatz zu Nordamerika – dort wird die Lyme-Borreliose ausschließlich durch Borrelia burgdorferi s. l. verursacht – gibt es in Europa verschiedene Borrelia burgdorferi Spezies. Dies und eine große Formvariabilität – Anpassung an die Bedingungen des Wirtes – sowie eine Antigenvariabilität sind der Grund dafür, dass es in Europa noch keine Schutzimpfung gegen Borrelien gibt. Borrelien haben einen langsamen Generationszyklus, was die Ursache für die relativ lange Dauer der Antibiotikabehandlung ist. Die Infektion bereitet sich Nr. 1 / 2008 KVH • aktuell Seite 21 von der Bissstelle langsam auf den ganzen Körper aus. Wegen der zunächst geringen Keimzahl sind borellienspezifische Antikörper erst Wochen nach dem Biss nachweisbar. Klassischerweise wird eine Borrelieninfektion in drei Stadien eingeteilt, die im Einzelfall aber extrem variabel verlaufen kann. Der untenstehende Kasten gibt eine Übersicht. Die Zecke muss ca. 16 bis 24 Stunden saugen, damit überhaupt Borrelien übertragen werden. Nach einem Zeckenbiss kommt es in Deutschland bei 2,6 bis 5,6 Prozent der Betroffenen zu einer Serokonversion (Nachweis von Antikörpern) und bei 0,3 bis 1,4 Prozent der Betroffenen zu einer manifesten Erkrankung. Eine prospektive populationsbasierte Studie im Raum Würzburg hat in zwölf Monaten 313 Borreliosefälle gefunden. Das entspricht einer Inzidenz von 11 auf 100.000 Einwohner. Hierbei traten folgende Erkrankungshäufigkeiten auf: – 89 Prozent Erythema migrans, weitere drei Prozent Erythema migrans in Verbindung mit anderen Organmanifestationen. – drei Prozent Neuroborreliose Stadium II. – zwei Prozent Borrelienlymphozytom. – weniger als ein Prozent Karditis. Nur wenige Infektionen nach Zeckenbiss. Foto: Wiedemann Die potenziellen Folgen des Zeckenbisses Der Biss einer Zecke kann eine Borreliose hervorrufen – allerdings kommt es nur bei etwa 0,3 bis 1,4 Prozent der Gebissenen tatsächlich zu einer manifesten Erkrankung. Deren Symptome können recht variabel und unspezifisch sein, wie die folgende Liste zeigt: Stadium I (Tage bis Wochen nach Zeckenbiss) – Erythema migrans der Haut – grippeähnliche Symptome wie Kopf- und Gliederschmerzen, Fieber und Müdigkeit. Stadium II (Wochen bis Monate nach dem Biss) – Lymphozytom/Lymphadenosis cutis benigna – lymphozytäre Meningoradikulitis (Bannwarth Syndrom) – bei Kindern Meningitis, isolierte Fazialisparese – Karditis, Kardiomyophatie. Stadium III (Monate bis Jahre nach Biss) – Akrodermatidis chronica atrophicans – Lyme-Arthritis (Monoarthritis des Knies) – Encephalomyelitis. Wenn auch selten, können grundsätzlich fast alle anderen Organe und Nerven befallen sein. Augen: Keratitis, Ureitis, Papillitis, Pan­ ophtalmie. Muskulatur: Myositis. Leber: Hepatitis. Mit Ausnahmen des Nervus Olfactorius alle Hirnnerven. Polyneuropathie/Polyneuritis, meist in Verbindung mit einer Akrodermatidis chronica atrophicans. Borrelien-induzierte Vaskulitis (sehr selten). KVH • aktuell Seite 22 Erythema Migrans und Meningoradikulitis sind die häufigsten Symptome Nr. 1 / 2008 Und bei den chronischen Erkrankungen: – fünf Prozent Lyme-Arthritis. – ein Prozent Akrodermatitis atrophicans. – keine chronische Neuroborreliose. Das Bannwarth-Syndrom (Meningoradikulitis) ist nach dem Erythema migrans die häufigste Manifestation einer (akuten) Lyme-Borreliose. Die isolierte Neuritis (ohne radikuläre Symptomatik) wird überwiegend bei Kindern beobachtet. Die Lyme-Borreliose ist eine klinische Diagnose. Laboruntersuchungen eignen sich nur zur Diagnosebestätigung bzw. zum Ausschluss einer Borrelieninfektion. Für Verlaufs- und Therapiekontrollen sind sie ungeeignet. Die Prävention der Borreliose Vermeidung von Zeckenbissen durch geeignete Kleidung Absuchen des Körpers nach Zecken und ggf. Entfernen nach Aufenthalt in einem Risikogebiet Keine prophylaktische Antibiotikagabe bei symptomlosen Patienten nach Zeckenbiss Keine routinemäßige Borrelienserologie bei symptomlosen Patienten nach Zeckenbiss Beobachtung der Stelle auf Hautveränderung über ggf. mehrere Wochen. Die Therapie der Borreliose orientiert sich an der Symptomatik Erythema migrans Doxycyclin oral 2 x 100 mg (1 x 200 mg) 14 bis 21 Tage Amoxicillin oral 3 x 500 bis 1000 mg 14 bis 21 Tage Penicillin V 10 bis 21 Tage 3 x 1000 mg oral Akute Neuroborreliose Ceftriaxon 1 x 2000 mg i.v. 14 bis 21 (30) Tage Cefotaxim 3 x 2000 mg i.v. 10 bis 24 (30) Tage Penicillin G 3-4 x 3000 mg i.v. 14 bis 21 (30) Tage Chronische Neuroborreliose: Behandlung wie bei akuter Neuroborreliose, aber 21 bis 30 Tage Arthritis Amoxicillin 3 x 500 bis 1000 mg oral 14 bis 21 (30) Tage Doxycyclin 2 x 100 mg (1 x 200 mg) oral 10 bis 24 (30) Tage Ceftriaxon 1 x 2000 mg i.v. 14 bis 21 (30) Tage Cefotaxim 3 x 2000 mg i.v. 14 bis 21 (30) Tage Akrodermatidis chronica atrophicans Amoxicillin 3 x 500 bis 1000 mg oral 14 bis 21 (30) Tage Doxycyclin 2 x 100 mg (1 x 200 mg) oral 14 bis 21 (30) Tage Ceftriaxon 1 x 2000 mg i.v. 14 bis 21 (30) Tage Cefotaxim 3 x 2000 mg i.v. 14 bis 21 (30) Tage Eine Borrelieninfektion wird indirekt durch den Nachweis spezifischer Antikörper im Patientenserum geführt. In den ersten zwei bis drei Wochen nach Infektion ist dieser trotz schon ggf. bestehender Symptome in der Regel negativ. Der Nachweis von Antikörpern steigt mit der Krankheitsdauer: – Stadium I 20 bis 50 % – Stadium II 70 bis 90 % – Stadium III 90 bis 100 % Bei kürzerer Krankheitsdauer lassen sich zunächst nur IgM-Antikörper nachweisen, bei längerer Krankheitsdauer überwiegen IgG-Antikörper. IgMAntikörper neben IgG-Antikörpern schließt ein Borrelienstadium III nicht aus, hingegen sprechen isolierte IgM-Antikörper gegen eine Borrelieninfektion Stadium III. Kommt es zu einer Reinfektion lassen sich IgMAntikörper oft nicht nachweisen. Die Höhe der Antikörpertitter hat nichts mit der Dauer und Schwere der Erkrankung zu tun. Die Bewertung des Immunoblot ist nur im Zusammenhang mit der Klinik möglich: Bei Verdacht auf Neuroborreliose führt die Bestimmung von spezifischen intrathekalen Antikörpern bei 75 Prozent der Patienten nach drei Wochen und 99 Prozent der Patienten nach acht Wochen zur Diagnosesicherung. Bei symptomlosen Patienten nach Zeckenbiss sind keine prophylaktischen Antibiotika indiziert. Eine diagnostizierte Lyme-Borreliose muss jedoch antibiotisch behandelt werden (siehe Kasten auf der gegenüberliegenden Seite). Je früher umso erfolgreicher, umso eher werden Spätmanifestationen verhindert. Der Therapieerfolg ist in den frühen Stadien am deutlichsten, hier sinken auch die Antikörper rascher als bei der Spätmanifestation, dies ist allerdings keine Therapiekontrolle. Die Wirksamkeit von Doxycyclin, Amoxicyclin, Penicillin G, Ceftriaxon und Cefotaxim ist belegt. Sichere Erkenntnisse über die optimale Dosierung und die Therapiedauer gibt es nicht. Anhaltspunkte liegen für Ceftriaxon und Cefotaxim vor, dass Nr. 1 / 2008 KVH • aktuell Seite 23 die Behandlung bei der Neuroborreliose mit 10 Tagen zu kurz ist und ein länger als 30 Tage dauernde Therapie keine besseren Ergebnisse bringt. Durch eine falsch negative Diagnose und eine nicht ausreichende Behandlung kann die Borreliose chronifizieren und zu irreversiblen Folgeschäden führen. Eine nicht rechtzeitig erkannte und ausreichend behandelte Borreliose kann ein legenslanges Leiden für die betroffenen Patienten bedeuten. Interessenkonflikte: keine Literatur: Wilske B, Fingerte V: Information zur Lyme-Borreliose, Nationales Referenzzentrum (NRZ) für Borreliose am Max von Pettenkofer Institut München, 2002 Wilske B et al. MiQ 2000, Lyme-Borreliose. M. Mauch, H et al (eds). Qualitätsstandards in der mikrobiologischinfekttiologischen Diagnistik. München, Jena 2000. 1-58 Belnka L-J, Horst Kotte M. A., Lorenz H, Diagnostik und Therapie der Lyme-Borreliose Bioscientia 8/2004, Mai 2007 AWMF Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie Neuroborreliose 2005, Georg-Thieme-Verlag Stuttgart Bundesverband Zecken Krankheiten: Gesundheitspolitische Forderungen Lyme-Borreliose 2006 Zecke quetschen oder mit Äther beträufeln: Das erhöht die Infektionsgefahr! Kann die Zecke ungestört saugen, wandern in den ersten 16 bis 24 Stunden keine Borrelien ins dermale Gewebe. Anders sieht es aus, wenn die Zecke durch Benzin, Äther, Klebstoff oder Ähnliches malträtiert wird. Bevor sie von dem angewandten Mittel endgültig außer Gefecht gesetzt wird, regurgitiert sie oft Mageninhalt und kann dabei gleich eine ganze Portion Borrelien unter die Haut spritzen. Das gleiche passiert, wenn der Zeckenleib mit den Fingern oder einer zu großen Pinzette gequetscht wird. Deswegen gilt grundsätzlich: Die Zecke nicht chemisch irritieren und den Leib der Zecke beim Entfernen nicht drücken! Das Tier sollte mit einer feinen, spitzen Pinzette direkt am Kopfende gepackt (siehe Titelbild dieses Heftes) und zügig aus der Haut herausgezogen werden. Zu diesem Zweck gibt es im übrigen auch reichlich spezielle Zeckenpinzetten, -zangen oder -karten auf dem Markt. Sie sind allesamt so konstruiert, dass man die Zecke aus der Haut befördern kann, ohne ihren Leib zu quetschen. Das Bild auf Seite 22 entlarvt übrigens noch ein Märchen: Der Saugapparat hat zwar kräftige Widerhaken, aber kein Gewinde. Deswegen das Tier bitte nicht umständlich drehen, wie bisweilen empfohlen, sondern ganz ohne Umstände flott herausziehen! Arzneimittel Sind Innovationen wert, was sie kosten? Dr. med. Jürgen Bausch Was ist eigentlich eine Innovation? Ein Blick in den Brockhaus hilft weiter: „Innovation ist die allgemeine, planvolle zielgerichtete Erneue­rung und auch Neugestaltung von Teilbereichen, Funktionselementen oder Verhaltenswei­sen im Rahmen eines bereits bestehenden Funktionszusammenhangs mit dem Ziel, bereits bestehende Verfahrensweisen zu optimieren oder neu auftretenden oder veränderten Funk­ tionsanforderungen besser zu entsprechen.“ Die Sicht des Herstellers Überträgt man diese Definition auf den Arzneimittelmarkt, dann ist klar, dass der Hersteller jede auf den Markt gebrachte Neuzulassung als Innovation betrachtet. Und daraus durch Preisgestaltung und Marketingmaßnahmen das Recht ableitet, seinen Marktanteil am Ausgabenblock der Krankenversicherungen generieren zu dürfen. Dieses vermeintliche Herstellerrecht stößt schon seit längerem auf den Widerstand der Ver­sicherungssysteme, der Versicherten und der für die Gesundheitspolitik Der kritische Blickwinkel Seite 24 Pharmafirmen geben mehr Geld für Werbung als für Forschung aus KVH • aktuell Nr. 1 / 2008 verantwortlichen Funktionsträger des Staates. In Ländern, in denen der Staat die finanzielle Verordnungsver­antwortung den verordnenden Ärzten teilweise oder ganz aufgebürdet hat, regt sich der Wi­derstand auch deutlicher bei den Verordnern. Forschung und Entwicklung von innovativen Arzneimitteln ist unstrittig teuer. Die Ausgaben der Industrie für Werbung übersteigen jedoch bei weitem die Forschungskosten (PLoS Me­dicine Bd. 5 / Nr. 1). Die Sicht der Patienten Der Preis von Gesundheitsleistungen und speziell der von Arzneimitteln wird vom Durch­schnittsbürger verglichen mit anderen Dingen des täglichen Lebens (Nah­ rungsmittel, Getränke, Bekleidung etc.). Weil der Patient im Sachleistungssystem den Arzneimittelpreis nicht aufbringen muss und in der Regel auch gar nicht erfährt, interes­siert ihn allerdings lediglich die Frage, was er draufzahlen muss. Im Falle der Selbstmedikation oder in der Kostenerstattung (Privatversicherte) reagiert der Patient bei Apothekenverkaufspreisen über zehn Euro durchaus preiselas­ tisch; begin­nend mit der Frage beim Arzt nach preiswerteren Verordnungsvarianten bis zum Einkauf über Internet­apotheken. Die Frage Innovation interessiert den Patienten meist marginal, das Mittel muss helfen und darf nichts kosten. Da Kosmetika, die ja den Arzneimit­teln nicht ganz unähnlich sind, nicht zwingend als Gegenstände der Daseinsvorsorge gese­hen werden, stehen sie auch nicht im Fokus der Kritik wie Arzneimittel und dürfen bei Luxus­befriedigung durchaus auch sehr teuer sein („man gönnt sich ja sonst nichts“). Die Sicht der Kassenmanager Warum ein Kassenmanager immer erst die Nebenwirkungen sieht Das natürliche Los eines Kassenmanagers ist der Versuch, die Beitragseinnahmen mit den Ausgaben in Balance zu halten. Es geht darum, die Ausgaben den Einnah­men anzupassen, keine Schulden zu machen und den Beitragssatz nicht zu erhöhen. Aus dieser Sicht sind Innovationen nur dann ein medizinischer Fortschritt, wenn sie dem Patienten wirklich nutzen und das zu einem Preis, den der Arzneimitteletat im Haus­halt verkraftet, ohne rot zu werden. Der nahe liegende Gedanke, dass man mit Arzneimit­teln auch sparen kann, ist erstens nicht weit verbreitet und wird zweitens auch nicht ge­glaubt. Das häufige Argument hat sich historisch verbraucht. Kosten und Nutzen einer Inno­vation müssen also im Einklang stehen mit der Finanzsituation des Kostenträgers. Weil dies aber überall auf der Welt ein Traum geblieben ist, müssen sich die Vertragsärzte heute mit einem immer unübersichtlicher werdenden Re­gelungsgeflecht herumschlagen (Negativlisten, Verordnungsausschlüsse für OTC-Präparate und Lifestylemedikamente, kasseneigene Positivlisten mit und ohne Rabattmedi­kamente, Rabattverträge mit Monopräparaten oder Sortimentsverträge und Festbetragsrege­lungen). Da auch dies nicht ausreicht, um die Ausgaben zu zügeln, wird aus Kassensicht nach der arzneimittelrechtli­chen Zulassung (Wirksamkeit, Sicherheit, Qualität) eine vierte Hürde eingefordert, die die Erstattungsfähigkeit für die Versicherten nach Art und Höhe festlegt. Letztendlich also eine Erstattungsregelung nach Kassenlage durch Preisfest­setzung oder Rabatte. Aus diesen Sachzwängen zur Vorlage einer ausgeglichenen Haushaltsbilanz entwickelt sich letztendlich eine Denkstruktur, die bei einem neuen innovativen Arzneimit­tel nicht zuerst die Vorteile für die Versicherten erkennt, sondern die Etatbelastung erkennt. Dadurch richtet sich der Blick bei Innovationen nachdrücklich auf die Nachteile in Form von uner­wünschten Wirkungen, den zum Zeitpunkt der Zulassung nicht vorhandenen Nachweis eines Langzeitnutzens – festgemacht an harten Endpunkten – und weitere kritische Fragen. Die Sicht der Politiker Das Verhalten der Gesundheitspolitiker im Speziellen und der Politik im Allgemeinen zu Arzneimittelinnovationen ist letztendlich mit „Verlogenheit“ richtig beschrie- Nr. 1 / 2008 KVH • aktuell ben. Lauthals wird versichert, dass die Forschung gefördert, der Wirtschaftsstandort Deutschland gesichert und dem Arbeitsplatzabbau Einhalt geboten wird. Diesen verbalen Schalmaienklängen steht eine interventionistische und regelwütige Gesundheitspolitik gegenüber, die letztendlich nur dem Dogma der einnahmeorientierten Ausgabenpoli­tik folgt. Die Eckdaten des realpolitischen Handelns zum Thema Arzneimittelinnovationen hat beispielsweise der für die Gesundheitspolitik im Bundesgesundheitsministerium verantwortliche Franz Knieps markiert: 1 Innovationen im Gesundheitswesen sind juristisch kaum gestaltbar. Sie sind allenfalls durch Veränderung gesetzlicher Rahmenbedingungen beeinflussbar. 2 Innovationen bedrohen nicht die solidarische Krankenversicherung, aber sie sind, wenn sie für alle verfügbar sein sollen, nur in Abhängigkeit von den finanziellen und politischen Rahmenbedingungen in der GKV zu erreichen. 3 Innovationen sind ohne anerkannte Evaluation in hohem Maße strategieanfällig. Da­her bedarf es ergänzender administrativer oder vertraglicher Steuerungsinstrumenta­rien zur Sicherung der Qualität und Wirtschaftlichkeit. 4 Innovationen sind nicht mehr isoliert als einzelne Produkte oder einzelne Verord­ nungssektoren zu sehen, sondern müssen sich im gesamten Verordnungsprozess vom Ergebnis für den Patienten her legitimieren. (F. Knieps, Allokation im marktwirtschaftlichen System, Band 40, S. 58; Herausgeber: Albring und Wille, Peter-Lang-Verlag, Frankfurt). Man darf getrost davon ausgehen, dass dies nicht die Meinung eines einzelnen Herrn widerspiegelt. Akteure, die in der Gesundheitspolitik in Deutschland etwas zu sagen haben, denken sehr ähnlich. Auch wenn sie anders sprechen und handeln. Die Sicht der Wissenschaftler und der Verbände Vollkommen losgelöst von der Frage der Kosten und der Erstattung ist Innovation allerdings ein Thema, das sehr differenziert gesehen und auch diskutiert wird. Der VfA (Verband for­schender Arzneimittelhersteller) hat bereits seit vielen Jahren innovative Arzneimittel folgen­dermaßen definiert: „Innovative Arzneimittel sind solche, die eine neue, bislang therapeutisch nicht genutzte Substanz einer Wirkstoffklasse ent­halten, einen weiterentwickelten Wirkstoff enthalten, der gegenüber der Muttersubstanz eine spezifischere Wirkung, geringere Nebenwirkungen und/oder verbesserte pharmako­logische Eigenschaften aufweist, einen therapeutisch bereits genutzten Wirkstoff für ein neues Anwendungsgebiet ein­setzen, einen therapeutisch bereits genutzten Wirkstoff in einem höheren Reinheitsgrad ent­halten, einen Wirkstoff in einer neuen Applikationsform einsetzen, Stoffe in einer neuen, therapeutisch zweckmäßigeren Kombination enthalten“. Das konnte nicht unwidersprochen bleiben, da ein sehr weitgehender Begriff für Innova­tion gewählt wurde. Die Kölner Pharmakologen Fricke und Klaus sind deswegen einen sehr pragmatischen Weg gegangen und haben ein Definitionsraster gefunden, welches seit Jahren weitge­hend in der deutschen Fachwelt akzeptiert wird. Sie teilen in vier Kategorien ein: 1 Neuartiger Wirkstoff oder neuartiges Wirkprinzip. 2 Verbesserung pharmakologischer Qualitäten bereits bekannter Wirkprinzipien. 3 Analogpräparate mit marginalen Unterschieden zu eingeführten Wirkstoffen. 4 Nicht ausreichend gesichertes Therapieprinzip. (siehe auch „Innovation im Arzneimittelmarkt“, Springer Verlag 2000, S. 68 und 69). Obwohl der zweite Anlauf zur Entwicklung ei­ner Positivliste gescheitert ist, hat diese Diskussion weiter an Fahrt gewonnen. Denn bereits bei der Konzeption Seite 25 Seite 26 Die Sicht eines Ökonomen: Innovativ ist nur, was dem Patienten nützt KVH • aktuell Nr. 1 / 2008 der Posi­tivliste ging es dem Gesetzgeber nicht mehr nur um den Zulassungsstatus der Arzneimit­tel auf dem deutschen Markt. Sondern der Auftrag an die Positivlis­ tenkommission war: Positiv zu listen sind alle auf dem deutschen Markt zugelassenen Arzneimittel, die „einen mehr als geringfügigen the­rapeutischen Nutzen, gemessen am Ausmaß des erzielbaren therapeutischen Effekts“ haben. Bemerkenswert und festzuhalten ist: Innovationen haben keinen Sonderstatus erhalten. Der Nutzen war maßgebliches Kriterium. Dabei ist es bis heute geblieben. Der erbitterte Widerstand der Industrie gegen die Einrichtung des IQWiG, gegen seinen Vorsitzenden und gegen manche ergangenen Bewertungen zum therapeutischen Nutzen einzelner Wirkstoffe hat seine Hauptursache darin, dass Politik und Wissenschaft immer nachdrücklicher fordern: Der Nachweis der Wirksamkeit eines Arzneimittels ist die not­wendige Voraussetzung für den Marktzugang. Die Erstattung jedoch ist nicht davon abhängig, ob ein Medikament innovativ ist, sondern ob es dem Patienten auch wirklich nützt. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit und unbeeinflusst von rein medizinischen Kriterien hat der Vorsitzende des Sachverständigenrats im Gesundheitswesen, Prof. Eberhard Wille, bereits 1994 das Nutzenspektrum pharmazeutischer Innovationen aus volkswirtschaftlicher Sicht skizziert (Allokation im Marktwirtschaftlichen System Band 35, S. 44; Herausgeber: Albring und Wille, Peter-Lang-Verlag, Frankfurt) – die Grafik unten auf dieser Seite zeigt Willes Ansatz. Es ist unschwer zu erkennen, dass die Innovation erst dann an Wert gewinnt, wenn sie nicht nur wirkt, sondern auch einen Patientennutzen hat. Die Kosten-/Nutzenfrage ist bei (vorwiegend therapeutische (diagnostische Innovation) all diesen ErörInnovation) reale Effekte terungen unterintermediäre Effekte schwellig immer finale Effekte dabei. Sie soll aber direkte indirekte direkte hier nicht vertieft indirekte werden, weil wichtangibel intangibel tangibel intangibel tige Grundsatzfra•Minderung des •Gestiegene •Vermeidung von Berufs•Zugewinn an Freizeit gen: „Was ist ein Im Prinzip gilt auch hier das Krankheitsrisikos Lebensqualität* und Erwerbsunfähigkeit beim Patienten* nebenstehende WirkungsMenschenle­b en spektrum, allerdings in Häufig•Verringerung der •Ausräumung •Senkung temporärer •Weniger Sorgen um keit und Intensität u. U. abgeKrankheitsintensder BefürchArbeitsunfähigkeit Anpassungslasten der wert?“ und: „Sind schwächt ität tungen Angehörigen •Höhere ArbeitsproduktiviMenschenleben in tät •Reduktion der •Schmerz•Absicherung des Arztes Morbiditätsdauer linderung* als Selbstzweck •Einschränkung den jeglichen AltersKrankenhausaufenthalten •Gewonnene •Bessere Re•Geringere Zukunftsund künftigen ArztbesuLebensjahre; konvaleszenzängste gruppen gleich chen gestiegene Lefähigkeit benserwartung* viel wert?“ abso•Fortfall häuslicher Pflegeleistungen* lut ungeklärt sind. •Einsparung von Arzneisowie Heil- und HilfsmitZum gegenwärteln tigen Zeitpunkt reicht der Hinweis: * Diese Wirkungen befinden sich im Grenzbereich zwischen tangibel und intangiblen Effekten Im Vergleich wird Der Nutzen pharmazeutischer Innovationen aus volkswirtschaftlicher Sicht nach Wille eine neue Therapie finanziell an (siehe obenstehenden Text). dem Aufwand gemessen, den man bislang zur Problemlö­sung brauchte. Je größer die Differenz, desto kritischer die Nachfrage nach dem Nutzen. pekuniäre Effekte (gehen nicht in KNA ein) Die Sichtweise der Ärzte in Klinik und Praxis Vermutlich verletzt man niemanden ernsthaft, wenn man die Auffassung vertritt, dass Ärzte Arzneimittelneuheiten generell als innovativ, fortschrittlich, besser Nr. 1 / 2008 KVH • aktuell Seite 27 wirkend und nützlicher ansehen, als das, was bislang eingesetzt wurde, insbesondere dann, wenn sie mit dem traditionellen Arzneimittelarsenal nicht erfolgreich bei der Lösung ihrer Patien­tenprobleme waren. Anders sind die Markterfolge vieler Wirkstoffe nicht zu erklären, denn Marketing allein reicht schon lange nicht mehr aus. Das Bessere ist des Guten Feind. Zumal Klinikärzte per se aus ihrem Selbstverständnis heraus den medizinischen Fortschritt sozusagen „gepachtet“ haben und viele niedergelassene Kollegen eine (scheinbar) mo­derne und innovative Therapie für ein Markenzeichen ihrer Praxis halten. Diese noch weit verbreitete Verhaltensweise ist weltweit üblich und Umsatzgarant für viele neuen Produk­te. Selbst wenn man auf sie leicht verzichten könnte, weil in manchen Bereichen ein Op­timum an Versorgung mit preiswerten generischen Wirkstoffen bereits längst etabliert ist (z. B. HCT und ACE-Hemmer, topische Kortikoide und Beta-2-Sympathicomimmetica, Standardhumaninsuline etc.). Der agierende Arzt kann bei seinem Klientel vergleichsweise gut Arzneimittelwirkungen beobachten. Er hat das direkte Patientenfeedback, inklusive vieler extramedikaler Ein­flussfaktoren. Aber eine systematische Nutzenbewertung unter EBM-Kriterien vermag der Einzelarzt nicht zu leisten. Immer verfügt man als noch so erfolgreicher Arzt nur über eine anekdotische Evidenz. Die hilft bei der Bewältigung des beruflichen Alltags enorm. Das Zeitalter der hochevidenzbasierten Nutzenbewertung hat jedoch längst begonnen. Institutionen wie z. B. der G-BA müssen aufpassen, dass sie bei der Umsetzung von IQWiG-Entscheidungen zum Nutzen (und demnächst auch zu Kosten) nicht in gravieren­de Akzeptanzprobleme mit den versorgenden Ärzten mit ihrer anekdotischen Evidenz ge­raten. Einen ersten Vorgeschmack des Widerstands hatten wir bereits bei den Analoginsulinen oder der Sinnhaftigkeit von Knochenmarkstransplantationen bei bestimmten ma­lignen Knochenmarkserkrankungen. Die negativen Entscheidungen von NICE in Großbritannien zu diversen Arzneibehand­ lungen hatten übrigens auf die Umsatzentwicklung der Produkte, wie Eva Susanne Diet­rich vom WINEG 2007 evaluiert hat, keinen negativen Einfluss. Die Hunde haben gebellt, aber die Karawane ist weitergezogen. Dennoch wächst die Zahl der Ärzte kontinuierlich, die jeden neuen Wirkstoff kritisch be­äugen, zurückhaltend rezeptieren und die schlechten Erfahrungen nach der Markteinfüh­rung die anderen machen lassen. Und der Budgetdruck insgesamt auf die KVen samt dem hochaufgerüsteten Arsenal zur Malträtierung des einzelnen Verordners werden auch in Zukunft dazu beitragen, dass nur solche Wirkstoffe mit innovativem Charakter ei­ne gute Marktchance haben werden, die den Patientennutzen einschließlich Kosten gut belegen können. Schlussbemerkung Für „Erfinder“ von Schritt- oder gar Sprunginnovationen mag das dargestellte Szenario ärmlich und erbärmlich erscheinen. Aber die Finanzmittel der sozialen Sicherungssyste­me sind begrenzt und wachsen nicht mehr merklich nach oben bei dennoch, allein durch den Altersaufbau der Bevölkerung steigenden Kosten. Die Preisgestaltung im innovativen Onkologie- und Rheumatologiemarkt ist nicht mehr nachvollziehbar. Mit weiteren finan­ziellen Einschnitten ist zuverlässig zu kalkulieren. Innovation ist kein Freifahrtschein für Raubritterpreise. Interessenkonflikte: keine Konflikt zwischen anekdotischer Evidenz des Arztes und der Evidenz aus großen Studien KVH • aktuell Seite 28 Nr. 1 / 2008 Parenterale Ernährung Wann ist sie indiziert, wie wird sie organisiert, wie verordnet? Klaus Hollmann Bei der medizinischen Behandlung eines Patienten ist auch die Ernährung ein wichtiger Bestandteil im Gesamtkonzept. Es stehen heute effektive und sichere Methoden für eine supportive Ernährung zur Verfügung, die für Vertragsärzte beispielsweise dann interessant werden können, wenn ein mori­bunder Patient aus dem Krankenhaus entlassen wird und zu Hause palliativ betreut werden muss. Oder wenn die Pflegekräfte im Heim eine parenterale Ernährung für notwendig halten und den Vertragsarzt damit in lange Diskussionen verwickeln. Kann ein Patienten sich über einen längeren Zeitraum (> 3 Tage) nicht auf dem „normalen Weg“ ausreichend ernähren (ICD 10; Ernährungsproblem, R63.3), dann kann eine parenterale Ernährung angezeigt sein. Die Zufuhr der Nährstoffe richtet sich nach dem Energiebedarf und dieser ist individuell zu ermitteln. Foto: Klaus Rose, picture-alliance / OKAPIA KG, Germany Ziele der parenteralen Ernährung (PE) Eine künstliche Ernährung als Therapie hat eine Verbesserung des Ernährungsstatus und damit eine günstige Beeinflussung des Krankheitsbildes zum Ziel. Bei einem unheilbaren Leiden erfolgt die Ernährung palliativ zum Erhalt der subjektiven Lebensqualität. Vor jeder Infusionstherapie sollte ein Infusionsplan erstellt werden. Die Nährlösungen werden in Form von Monokomponentenlösungen, Kombinationslösungen oder individuell an den Bedarf des Patienten adaptiert als Allin-one-Lösungen angeboten. Bei den Monokomponentenlösungen werden die Nährlösungen (Aminosäurelösungen, Kohlenhydratlösungen sowie Fettemulsionen in der Regel in verschiedenen Flaschen) getrennt voneinander verabreicht. Die Infusionstechnik ist aufwendig, denn die Lösungen müssen parallel oder nacheinander infundiert werden. Die Infektionsgefahr ist groß, da der Katheter der ständigen Manipulation ausgesetzt ist. Monokomponentenlösungen eignen sich besonders gut zur Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution. Kombinationslösungen, die auch als Mischbeutelinfusionen oder Komplettlösungen bezeichnet werden, beinhalten entweder Kohlenhydrate, Aminosäuren und Elektrolyte in Zwei-Kammerbeutel-Systemen oder bei Drei-Kammerbeutel-Systemen zusätzlich Fett. Die Zusammensetzung ist an den durchschnittlichen Bedarf eines Erwachsenen angepasst. Die Aminosäuren-, Kohlenhydrat- und Fettlösungen werden erst vor Anlegen der Infusion durch das Trennen der Kammern im Mischbeutel selbst vermischt. Apothekenpflichtige Fertigarzneimittel, die Vitamine und Spurenelemente enthalten, können je nach Bedarf über einen externen Zugang in das Beutelsystem eingespritzt werden. Diese Arzneimittel sind verordnungsfähig zu Lasten der GKV. Nr. 1 / 2008 KVH • aktuell Seite 29 Die Kombinationslösungen in den Mischbeuteln bieten sich in der ambulanten Versorgung des Patienten an. Man spricht von einer heimparenteralen Ernährung. In der Regel kann eine Standard-Gesamtnährlösung (siehe unten) zur Deckung des Energie- und Nährstoffbedarfs verwendet werden. Die Verordnung einer individuell zusammengestellten parenteralen Ernährungslösung führt zur erheblichen Steigerung der bereits enormen Kosten. Die parenterale Ernährung wird typischerweise bei Tumorpatienten mit Peritonealkarzinose oder (Sub-)ileus, bei Patienten mit KurzdarmEnteral vor parenteral syndrom z. B. wegen Morbus Crohn, bei Z. n. ischämischen Nur wenn sich eine künstliche enterale Ernährung nicht realisieren Darmerkrankungen mit Dünnlässt, ist die parenterale Ernährung tatsächlich indiziert. darminfarkt (z. B. MesenteriEine kurzfristig hypokalorische Ernährung wird besser vertragen alarterien- oder -venenthromals eine hyperkalorische Ernährung. Nur in seltenen Fällen ist eine bose), Strahlenenteritis und bei permanente parenterale Ernährung erforderlich schweren Darmmotilitätsstörungen durchgeführt. Eine Indikation in der ambulanten Versorgung liegt vor, Wichtig ist die Prognose. wenn Obwohl es keine wissenschaft der Patient nicht in der Lage ist, sich ausreichend oral oder lich begründete zeitliche Grenze enteral zu ernähren, gibt, wird empfohlen, dass der die ärztliche Einschätzung einen mindestens vierwöchigen Patient eine mindestens einZeitraum für die Heim-PE erwarten lässt, monatige Prognose hat, damit der Patient die Maßnahme wünscht bzw. einverstanden ist, eine parenterale Ernährung als anzunehmen ist, dass durch die PE der Krankheitszustand oder sinnvoll angesehen wird. Ein die Lebensqualität gebessert bzw. erhalten werden. präfinaler Patient, so der wissenschaftliche Konsens, profitiert Absolute Kontraindikationen nicht von einer parenteralene ethische Aspekte (z. B. terminaler Zustand, Ablehnung des Ernährung. Der Umstand, dass Patienten), die Definitionen nicht präzise kein geeigneter venöser Zugang. sind, zeigt, dass es sich hier um Relative Kontraindikationen eine sensible und stets individu Möglichkeit der enteralen Ernährung, elle Entscheidung handelt. Dem Hepatopathie im Rahmen der totalen PE, (mutmaßlichen) Willen des Pati Stoffwechsel-, Wasser- und Elektrolytstörungen (z.B. bei Diaenten ist besondere Rechnung betes, Hyperlipidämie), zu tragen und der Aspekt Le Leber- und Niereninsuffizienz, Hyperhydratation, Herzinsuffibensqualität hat hohe Priorität. zienz, Hyperkaliämie. Die Dauer der parenteralen Ernährung ist meist kürzer als ein Jahr, weil die Patienten entweder versterben (99 Prozent der Tumorpatienten) oder weil sie wieder auf orale bzw. enterale Ernährung umgestellt werden können. Die Organisation der parenteralen Ernährung muss vor Entlassung aus dem Krankenhaus erfolgen und erfordert etwa zwei bis drei Tage Arbeit des Ernährungsteams. Zu den Aufgaben gehören: die Überprüfung der Equipment für parenterale Ernährung Verordnungs- und Erstattungssituation Infusionspumpe zu Lasten der GKV verordnungs- Hilfsmittelverordnung und erstattungsfähig Feld 7 markieren Infusionsständer zu Lasten der GKV verordnungs- Hilfsmittelverordnung und erstattungsfähig Feld 7 markieren Portnadeln, Infusions­ zu Lasten der GKV verordnungs- Hilfsmittelverordnung systeme, Spritzen, Kanülen und erstattungsfähig Feld 7 markieren Verbandmittel (Pflaster, Kompressen etc.) zu Lasten der GKV verordnungs- Arzneimittelverordnung und erstattungsfähig Feld 7 nicht markieren Desinfektionsmittel und Handwaschlotionen Kosten müssen vom Patienten getragen werden. KVH • aktuell Seite 30 Nr. 1 / 2008 Indikation, die sorgfältige Information, Aufklärung und Einwilligung des Patienten und seiner Angehörigen, die Erstellung eines Ernährungsplans, die Beauftragung einer für die Maßnahmen qualifizierten Apotheke oder eines spezialisierten Versorgungsunternehmens für die Zubereitung des Beutels, die Lieferung der Materialien nach Hause und die Durchführung der Ernährung vor Ort, die individuelle Schulung des Patienten bzw. seiner Angehörigen, je nach seinem Willen und Selbstständigkeitsgrad durch das Ernährungsteam, die Festlegung des Monitorings. Die Ernährungsbeutel werden meist nur einmal pro Woche zum Patienten geliefert. Die Beutel müssen im Kühlschrank bei 4 °C gelagert werden. Vor der Infusion wird auf Zimmertemperatur über mehrere Stunden erwärmt. Mikronährstoffe (Vitamine, Spurenelemente) weisen eine Preisliste der Dreikammerbeutel begrenzte Haltbarkeit auf Dreikammerbeutel Variante StückVerkaufpreis(€) Preis (€) / Preis (€) / und sollten deshalb erst unml zahl für diese Stückzahl Beutel ml mittelbar vor Nutzung dem Ernährungsbeutels zugefügt NuTRIflex® Lipid basal 1875 5 555,58 111,12 0,296 werden. 2500 5 718,57 143,71 0,287 Die Standards für die techNuTRIflex® Lipid plus 1250 5 526,35 105,27 0,421 nische Durchführung der 1875 5 713,99 142,80 0,381 heimparenteralen Ernährung sind hauptsächlich em2500 5 848,02 169,60 0,339 pirisch entwickelt worden NuTRIflex® Lipid plus 1250 5 444,88 88,98 0,356 und haben sich bewährt. Bis elektrolytfrei wissenschaftlich besser beNuTRIflex® Lipid special 1250 5 687,98 137,60 0,550 gründbare Alternativen zur 1875 5 889,68 177,94 0,474 Verfügung stehen, sollten sie NuTRIflex® Lipid special 1250 5 692,59 138,52 0,554 zugrunde gelegt werden. elektrolytfrei 1875 5 737,70 147,54 0,393 NuTRIflex® Lipid peri 1250 5 438,38 87,68 0,351 1875 5 555,58 111,12 0,296 2500 5 718,57 143,71 0,287 1000 6 448,13 74,69 0,448 1500 4 390,32 97,58 0,260 2000 4 478,67 119,67 0,239 1500 4 604,25 151,06 0,403 2000 4 746,96 186,74 0,373 1000 6 689,14 114,86 0,689 1500 4 632,24 158,06 0,421 2000 4 800,88 200,22 0,400 2000 4 864,54 216,14 0,432 986 4 406,04 101,51 0,412 1477 4 586,21 146,55 0,397 OliClinomel® 2,2 % GF-E OliClinomel® 3,4 % GF-E OliClinomel® 4 % GF-E OliClinomel® 5 % GF StructoKabiven 3 StructoKabiven 3 elektrolytfrei 986 4 406,04 101,51 0,412 1970 4 766,40 191,60 0,389 StructoKabiven Inf.-Lsg 1970 4 766,40 191,60 0,389 Preise: Lauertaxe VK, 15.12.2007 Kostentransparenz Lassen Sie sich eine konkrete Kostenübersicht für die verordneten Ernährungslösungen, Vitaminlösungen und Hilfsmittel vom Hersteller bzw. Lieferanten erstellen und reichen Sie diese mit der Abrechnung der KV als „Vorsorgliche Meldung über einen kostenintensiven Patienten“ ein. Die Prüfgremien werden den Fall als Praxisbesonderheit quantifizieren. Interessenkonflikte: keine Nr. 1 / 2008 KVH • aktuell Kodein: Vorsicht in der Stillzeit Die deutsche Arzneimittelüberwachungsbehörde (BfArM) empfiehlt bei einer wiederholten Einnahme Kodein-haltiger Präparate das Stillen zu unterbrechen. Ursache war ein Fallbericht über den Tod eines Säuglings. Er starb an einer Morphinüberdosierung (Blutkonzentration 70 ng/ml), weil seine Mutter das verordnete Kodein (30 mg plus 500 mg Paracetamol, zwei Tabletten alle zwölf Stunden gegen Schmerzen nach Episiotomie, nach zwei Tagen auf die Hälfte reduziert) ultraschnell zu Morphin metabolisierte. Die genetische Variante der ultraschnellen Metabolisierer (ein Prozent der Finnen, zehn Prozent der Griechen, bis 29 Prozent der Äthiopier, Anteil in Deutschland nicht bekannt) ist klinisch relevant. Neben einem grundsätzlichen Vermeiden einer Dauertherapie mit Kodein-haltigen Präparaten beim Stillen (genetische Untersuchungen zum Metabolisierungsstatus der Mutter sind kostenträchtig) ist noch ein sorgfältiges Beobachten der Säuglinge zu diskutieren (Anzeichen von Trinkschwäche, Somnolenz oder Lethargie). Quelle: Lancet 2006; 368: 704, Pharm. Ztg. 2007; 152: 125 Glukokortikoide: Paradoxe Allergie Bei einer Patientin traten nach unterschiedlichen Glukokortikoid-Injektionen Exantheme auf. Im Epikutantest konnte nur eine Spätallergie von Typ IV auf Dexamethason, in einer oralen Ausweichexpositionstestung zusätzlich auch auf Triamcinolon nachgewiesen werden. Die Autoren diskutieren allergische Reaktionen innerhalb einer Glukokortikoidgruppe nach Goosens (nicht zu verwechseln mit der Gruppeneinteilung I bis IV nach Wirkungsstärke) sowie mögliche Kreuzreaktionen mit anderen Gruppen. Sie weisen darauf hin, dass die systemische Gabe nur sehr selten Allergien verursacht, während bei einer topischen Gabe Kontaktallergien mit einer Inzidenz von 1,1 bis 2,6 Prozent in der Literatur zu finden sind. Kortikoide der Gruppe D2 nach Goosens (Hydrokortison, Methylprednisolon, Prednicarbat) scheinen häufiger Kontaktallergien zu verursachen als Kortikoide der Gruppe D1 (Momethason, Betamethason, Clobetasol, Fluticason). Budesonid verursacht vergleichsweise besonders häufig Kreuzallergien. Insbesondere bei chronischen Ekzemen ist eine Glukokortikoidallergie differentialdiagostisch zu bedenken. Quelle: Dtsch Med Wschr. 2007; 132: 1692-95 Lakritze: Hypokaliämische Hypertonie Eine 60-jährige Patientin hatte eine seit Jahren, auch mit einer Dreierkombination (Betablocker, Diuretikum, Sartan) schwer einstellbare Hypertonie ohne Nachtabsenkung, verbunden mit einer Hypokaliämie, die auch nach Weglassen des Diuretikums weiter bestand. Differentialdiagnostisch wurde ein primärer Hyperaldosteronismus ausgeschlossen. Nachdem die Patientin einen täglichen Verzehr von circa 100 g Lakritz eingestanden hatte, normalisierten sich unter Lakritzabstinenz innerhalb von acht Wochen die Blutdruckwerte mit Nachtabsenkung sowie die Kaliumwerte, so dass die Therapie der Hypertonie allein mit einem Betablocker ausreichte. Die in Lakritze enthaltene Gycyrrhetinsäure hemmt die Umwandlung von Cortisol in Cortison und führt dadurch zu einer Aktivierung des renalen Mineralokortikoidrezeptors. Die Einnahme großer Mengen Lakritz sollte daher bei schwerer hypokaliämischer Hypertonie differentialdiagnostisch erwogen werden. Quelle: Dtsch. Med. Wschr. 2007; 132: 2448 Seite 31 Sicherer verordnen Dr. med. Günter Hopf KVH • aktuell Seite 32 Sicherer verordnen Dr. med. Günter Hopf Nr. 1 / 2008 Neue Therapieempfehlungen bei Herzinsuffizienz Auf dem Therapiesymposium der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft wurden aktuelle Therapieempfehlungen zur chronischen Herzinsuffizienz vorgestellt. Neben Prävention, spezifischer Behandlung von Begleiterkrankungen und nicht-medikamentöser Therapie sind Medikamente, insbesondere bei NYHA III und IV oft in Kombination, zur Senkung der Sterblichkeit (S) und der Hospitalisierungsrate (H), zur Hemmung der Progredienz (P) und zur Besserung der Beschwerden, der Lebensqualität etc. (B) Mittel der Wahl. Sie erfordern jedoch aufgrund ihrer hohen Wirksamkeit und spezifischer unerwünschter Wirkungen eine stetige Kontrolle der Patienten und der Therapie. Die untenstehende Tabelle gibt einen kursorischen Überblick über die Wertigkeit. Dabei bedeuten: positiver bzw. nur gering positiver Einfluss auf den jeweiligen Parameter negativer bzw. nur gering negativer Einfluss auf den jeweiligen Parameter unterstrichene Gruppen sind primär einzusetzen. Quelle: Therapiesymposium der AkdÄ, Köln, 14.11.2007 Substanzgruppe S H P B Bemerkung ACE-Hemmer Aldosteron-Antagonisten AT-II-Antagonisten maximale Dosis 12,5 – 25 mg, Epleronon nicht so wirksam wie Spironolacton * *kardiovaskuläre Mortalität gesenkt, Gesamtmortalität ist aber nicht ausreichend gesunken Betarezeptorenblocker Coenzym Q (Ubichinon) keine überzeugenden Studien Crataegus nur bei NYHA I - II zugelassen Digitalis Indikation insbesondere Vorhofflimmern Diuretika keine Endpunktstudien, aber in der Praxis unverzichtbar Kalziumantagonisten negativer Effekt auf alle Parameter, sie haben keinen Stellenwert mehr Phosphodiesterasehemmer Sterblichkeit erhöht, Hospitalisierungsrate erhöht, sie haben keinen Stellenwert mehr Vasodilatanzien Erratum Im letzten Heft (Nr. 4 / Dezember 2007) hat uns auf Seite 15 der Druckfehlerteufel ein überflüssiges „m“ in den Beitrag „Erythropoietine können Mortalität steigern“ geschmuggelt. So entstand ein Hb-Wert von „9 bis 10 mg/dl“. Natürlich hätte es heißen müssen „9 bis 10 g/dl“. Wir bitten das Versehen zu entschuldigen. Nr. 1 / 2008 KVH • aktuell Seite 33 Seite 34 KVH • aktuell Nr. 1 / 2008 Tischversion KVH • aktuell Therapie Die Therapie besteht in nichtmedikamentösen Maßnahmen (Ernährungsberatung, Motivation zu Bewegung, Schulung), die gleichberechtigt neben der Therapie mit oralen Antidiabetika (Metformin, Sulfonylharnstoffen) und Insulinen stehen. Das Therapieziel, gemessen am HbA1c-Wert, ist individuell festzulegen. Beginn der medikamentösen Therapie, wenn a) mit nichtmedikamentösen Maßnahmen das Therapieziel nicht zu erreichen ist, b) sofort bei entsprechender Risikokonstellation, c) Diabetessymptome schnell beeinflußt werden müssen. Orale Medikation (OAD): Primär Monotherapie übergewichtiger Patient: Metformin normalgewichtiger Patient: Glibenclamid. Insulin: Wenn Therapieziel mit OAD nicht zu erreichen ist:. Werden andere OAD oder Insulin-Analoga verordnet, ist der Patient darüber zu informieren, dass derzeit keine ausreichenden Belege zur Sicherheit im Langzeitgebrauch und zur Risikoreduktion klinischer Endpunkte vorliegen. Information zur Blutzuckerselbstmessung und zum Verhalten bei Hypo- bzw. Hyperglykämien Konsequente Blutdruckeinstellung: RR < 130/80, bei Nephropathie RR < 120/80. Kontrolle der Werte ist engmaschig anzustreben Therapie mit Statinen Strukturierte Betreuung entsprechend DMP/ Gesundheitspass Diabetes Überweisung an diabetische Schwerpunktpraxis, wenn Therapieziel in angemessener Zeit nicht zu erreichen ist Überweisung an diabetische Fußambulanz zur Mitbehandlung bei diabetischem Fußsyndrom ab Wagner-Armstrong Stadium 2. Stoffwechselselbstkontrolle: Blutzuckermessungen sollen durchgeführt werden, wenn therapeutische Konsequenzen gezogen werden. Bei Patienten unter Sulfonylharnstoffen (Hypoglykämiegefahr): Ggf. 1 mal pro Monat ein BZ-Tagesprofil, bei Problempatienten ggf. häufiger. Bei Insulinpatienten muss individuell festgelegt werden, wie oft pro Woche und zu welchem Zeitpunkt (nüchtern, postprandial, nachts um 2 Uhr) der Blutzucker gemessen werden soll. Diabetes mellitus Seite Typ3 2 Hinweise Eine strenge Blutdruckeinstellung vermindert das Risiko für makrovaskuläre Folgeerkrankungen (KHK, pAVK, Apoplex) deutlicher als eine strenge HbA1cSenkung! Die HbA1c-Senkung ist bedeutender für die Vermeidung mikrovaskulärer Folgeerkrankungen (Nephropathie, Retinopathie). Vorgehen bei akuten Stoffwechselentgleisungen (z. B. bei Infektionen): Unverzügliche Therapieanpassung oder Umstellung der Therapie (z. B. von OAD auf Insulin). Überweisung/Mitbehandlung Überweisung in eine diabetologische Schwerpunktpraxis oder in ein Krankenhaus bei Stoffwechselentgleisungen, z. B. mehrfach schwere Hypoglykämien, Hyperglykämie mit Vigilanzminderung, bei diabetesbedingten Komplikationen, perioperative Umstellung, Kinderwunsch und Schwangerschaft, Gestationsdiabetes. Weiterleitung in eine diabetologische Schwerpunktpraxis, wenn nach einem halben Jahr eingehender Bemühungen die vereinbarten Therapieziele nicht erreicht wurden. Durchführung der strukturierten Schulung in einer diabetologischen Schwerpunktpraxis, falls nicht beim Hausarzt möglich. Überweisung zum Augenarzt bei Erstdiagnose und danach mindestens einmal pro Jahr. Bei Vorliegen akuter, komplexer Fußläsionen (Wagner-Stadien 2- 5 und/oder Armstrong B/C/D) sollte Vorstellung in einem spezialisierten Zentrum erfolgen. Bei Verdacht auf eine diabetische Neuro-Osteoarthropathie (DNOAP) - Charcot-Fuß - soll umgehend eine Vorstellung in einer spezialisierten Einrichtung erfolgen. Diabetes und Depression: Diabetiker weisen ein hohes Risiko für die Entwicklung einer Depression auf (3bis 4fach höhere Prävalenz im Vergleich zu Nichtdiabetikern). Als Screening für depressive Störungen sollte der Arzt die depressive Stimmung (Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit), den Verlust von Interesse und Freude sowie die Antriebsminderung erfragen. Bei psychischer Beeinträchtigung mit Krankheitswert sollte Mitbehandlung durch Spezialisten erfolgen. Korrespondenzadresse Ausführliche Leitlinie im Internet Hausärztliche Leitlinie PMV forschungsgruppe Fax: 0221-478-6766 Email: [email protected] http:\\www.pmvforschungsgruppe.de www.pmvforschungsgruppe.de > publikationen > leitlinien www.leitlinien.de/leitlinienanbieter/deutsch/pdf/ hessendiabetes »Diabetes mellius Typ 2« Tischversion 1.0 30. Jan. 2008 info.doc Verlag GbR, Pfingstbornstr. 38, 65207 Wiesbaden PVSt Deutsche Post AG, Entgelt bezahlt, 68689 Tischversion Tischversion Epidemiologische Studien zeigen einen Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Herz-Kreislauferkrankungen und hohen Serumcholesterinwerten. Diese bzw. die Höhe der HDL- und LDL-Werte stellen jedoch nurprogrediente einen von Diabetes mellitus Typ 2 ist eine chronisch mehreren Risikofaktoren Deshalb empfiehlt sich für Stoffwechselstörung. Diedar. Erkrankten sind Hochrisikoden HausarztfürbeimikroVorliegen Dyslipidämie die Einteilung patienten undeiner makroangiopathische Erkraninkungen. eine Risikogruppe anhand von des systematischen AlgoBei Diagnosestellung Diabetes mellitus rythmen Scores (NCEP, Somit erfolgt eine Typ 2 oder haben bereits ca. PROCAM). 50% der Patienten makroAbschätzung des Risikos für kardiovaskuläre Ereignisse vaskuläre Erkrankungen. (10-Jahresrisiko) und darauf die Festlegung der Behand- Ziele der hausärztlichen Betreuung sind: lungsstrategie mit dem Patienten. Für die Risikoeinstufung Diagnostik diabetischenHessen Vorstadien wie des orientiert sich dievon Leitliniengruppe an der folgenden metabolischen Syndroms Einteilung der NCEP (National Cholesterol Education Frühedes Diagnostik manifesten Diabetes mellitus Program National des Heart, Lung, and Blood Institute, Typ 2 mit qualitätsgesicherter Methodik http://www.nhlbi.nih.gov/guidelines/cholesterol/index.htm): Fettstoffwechselstörung Dyslipidämie von diätetischen mellitus Empfehlungen für Typ eine Diabetes 2 Einhaltung „Herzgesunde Ernährung“ Nur mäßiger Konsum von Alkohol und Vermeidung von Nikotin Zur Diagnose eines Diabetes dürfen nur qualitäts- gesicherte Maßnahmen Einsatz kommen. Geräte Indikationsstellung für einezum medikamentöse Therapie zurUmfassende, Blutzuckerselbstmessung dürfen für diagnostische unmittelbare medikamentöse Behandlung Zwecke nicht eingesetzt aller Patienten mit hohemwerden. Risiko (Gruppe 1: 10-Jahresrisiko >20%) und Anstreben eines LDL von 100 mg/dl. Vorgehensweise bei derbei Blutzuckerbestimmung Medikamentöse Therapie Patienten der Gruppe 2 und 3 nach individueller Entscheidung unter BerückKeine Teststreifen zur Diagnosestellung verwenden sichtigung der Lipidwerte und nach Erprobung lebensstil(hohe Ergebnisvariabilität)! ändernder MethodeMaßnahmen. der Wahl: Natrium-Fluorid-Röhrchen! Bei Für Patienten der besteht Risikogruppe 4 (0-1 sind Serumglukose wegen derRisikofaktor) in-vitro-Glykolyse lebensstilmodifizierende Maßnahmen im Allgemeinen die Möglichkeit falsch niedriger (nicht jedoch zu ausreichend. hoher) Messwerte. Serum muss spätestens 1/2h Motivation zu Lebensstiländerung durch entsprechende Schulung (Bewegung, Ernährung) koronare Herzkrankheit (KHK), b) KHK-Äquivalente, c) Festlegung individualisierter Therapieziele gemäß Diabetes mellitus, d) 2 oder mehr Risikofaktoren**: der Risikokonstellation und Lebenssituation: 2. Mäßig hohes Risiko (10-Jahresrisiko 10-20%): 2 RisikoBesteht das Therapieziel in der Vermeidung von faktoren* bei errechnetem Risiko**. Folgeschäden, ist eine normnahe BZ-Einstellung 3. Moderates Risiko (10-Jahresrisiko < 10%): 2 Risikoanzustreben (< 6,5% HbA1c). aktoren* bei errechnetem Risiko**. Bei älteren Patienten muß der HbA1c-Zielwert indivi4. Niedriges Risiko: 0-1 Risikofaktor* duell gewählt werden:rauchen, es kann Hypertonie, ein höherer niedriges Zielbe*Risikofaktoren: Zigaretten reich toleriertunter werden, solange keine Symptome HDL-Cholesterin 40mg/dl, familiäre Belastung mit auftreten. vorzeitiger KHK, Alter (Männer über 45 Jahre, Frauen über Je nach Risikogruppe ein LDL werden. von 100 mg/dL (Gruppe nach Entnahmewird gewonnen Serumproben 1), 130 (Gruppe 2+3) bzw.dürfen 160 mg/dL zurmg/dL Glucosebestimmung ohne(Gruppe Zusatz 4) von angestrebt. Glykolysehemmstoffen nicht verwandt werden. Ent- 55 Jahre); **errechnetes Risiko: Bsp. mit PROCAM Score Diagnostische Diabetes mellitus Typ 2 (s. Rückseite) oderKriterien elektronischem NCEP-Risikokalkulator Anmerkung: Diabetiker ohne KHK oder KHK-Äquivalente Nüchtern-BZ: und ohne Risikofaktoren profitieren bei einem 126 zusätzliche mg/dl (Plasma venös) bzw. 110 mg/dl LDL<115 mg/dL laut der jetzigen Studienlage nicht bzw. von (Vollblut kapillär) oder Gelegenheitsblutzucker einer2-Stundenwert Therapie mit einem CSE-Hemmer. nach oraler Glukosebelastung: während des oGTT. Merke: Bei medikamentöser Therapie: CK kontrollieren! Durchführung des oGTT nach WHO-Richtlinien am (Rhabdomyolyse möglich!) Morgen Keine Kombinationstherapie CSE-Hemmer + Fibrate/ 3 Tage zuvor kohlenhydratreiche Ernährung (>150g Makrolide/Azol-Antimykotika. KH/d) Wechselwirkungen auch mit anderen Medikamenten möglich! Test nach 10 bis 16 Stunden Nahrungs- und Bei Makrolidtherapie CSE-Hemmer pausieren! Alkoholabstinenz Statine vor chirurgischen bei akut auftreIm Sitzen oder Liegen;Eingriffen vor und und während des Tests tenden schweren Erkrankungen vorübergehend abkeine körperlichen Aktivitäten, nicht Rauchen setzen! Auf Compliance achten, auf abendliche EinnahBlutentnahme zum Zeitpunkt 0 und 120 Min., me des CSE-Hemmers hinweisen. sachgerechte Probenaufbewahrung und Evidenzbasierte Patienteninformationen sind unter Verarbeitung. www.gesundheitsinformation.de abrufbar. 1. Hohes Risiko (10-Jahresrisiko über 20%): a) Bestehende 200 mg/dl (Plasma venös, Vollblut kapillär). Therapieschritte nach “International Task Force for Bei Fehlen von diabetestypischen Symptomen: Prevention of Coronary Heart Disease”: Zweimaliger Nachweis vonMaßnahmen, erhöhtem Nüchtern-BZ Basis sind nichtmedikamentöse die auf eine oder postprandialem BZ.zielen: Veränderung des Lebensstils Bei diabetestypischen Symptomen genügt des normalen Körpergewichtes oderein Erhalten maliger Nachweis bei vonÜbergewicht erhöhtem NüchternblutGewichtsreduktion Steigerung derpostprandialem körperlichen Aktivität zucker oder Blutzucker. Bei Unklarheit: 75g oGTT nach WHO-Richtlinien sprechende Röhrchen für die Blutabnahme bzw. Arzneimittelauswahl: Es sollten Wirkstoffe eingesetzt Kapillaren sind in der Regel Labor zu und be- NNH werden, für die Endpunktstudien mit vom günstiger NNT ziehen. Keine Gel-Monovetten und Serumröhrchen vorliegen (Simvastatin, Pravastatin). Für Simvastatin (20 mg verwenden. und 40 mg) und Pravastatin (40 mg) ist eine Senkung sowohl Störungwirkungen den der Gesamtmortalität als auf auch derBZ-Stoffwechsel kardiovaskulärendurch Morta- Medikamente wie z. B. Glukokortikoide, Furosemid, lität belegt. Bei Multimorbidität und Multimedikation sollte die Phenytoin, Diazoxid und Epinephrin beachten. Indikation für eine medikamentöse lipidsenkende Therapie Keinestreng körperliche besonders gestelltAktivitäten werden. des Patienten vor und