Don`t be a may be - Tabakwerbung

Werbung
VG München, Urteil v. 30.09.2015 – M 18 K 13.4835
Titel:
Don't be a may be - Tabakwerbung
Normenketten:
VTabakG §§ 22 II Nr. 1 b, 53 II Nr. 1
VwGO §§ 74, 80 V, 113 I 1
LStVG Art. 6, 7 II Nr. 1
GDVG Art. 23 S. 2
JGG § 1 II
Schlagworte:
Jugendlicher, Heranwachsender, Rauchen, Veranlassung, Zigarettenmarke, Tabakerzeugnis
Entscheidungsgründe
Bayerisches Verwaltungsgericht München
Aktenzeichen: M 18 K 13.4835
Im Namen des Volkes
Urteil
vom 30. September 2015
18. Kammer
Sachgebiets-Nr. 540
Hauptpunkte:
Besondere Eignung einer Tabakwerbung, Jugendliche und Heranwachsende zum Rauchen zu veranlassen
(hier verneint)
Rechtsquellen:
In der Verwaltungsstreitsache
... GmbH vertreten durch die Geschäftsführer ...
- Klägerin bevollmächtigt:
1. Rechtsanwälte ...
2. Rechtsanwälte ...
gegen
Freistaat Bayern vertreten durch: Landratsamt München Gewerberecht, Gesundheitsrecht, Recht im
Veterinärwesen, Lebensmittelrecht Mariahilfplatz 17, 81541 München
- Beklagter wegen Tabakwerbeverbot
erlässt das Bayerische Verwaltungsgericht München, 18. Kammer,
durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht ..., die Richterin am Verwaltungsgericht ..., den
Richter am Verwaltungsgericht ..., die ehrenamtliche Richterin ..., die ehrenamtliche Richterin ... aufgrund
der mündlichen Verhandlung vom 30. September 2015 am 30. September 2015 folgendes Urteil:
I.
Der Bescheid des Landratsamtes München vom 8. Oktober 2013 in Gestalt des Bescheides vom 17. April
2015 wird aufgehoben.
II.
Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn
nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich mit der Klage gegen eine Anordnung des Beklagten, mit der ihre aktuelle
Werbekampagne für die Zigarettenmarke ... in wesentlichen Punkten eingeschränkt bzw. untersagt wird.
Die Klägerin ist die Deutschlandzentrale des amerikanischen Tabakkonzernes ..., einem der weltweit
größten Hersteller von Tabakprodukten. Sie hat ihren Verwaltungssitz in ...
Für die von ihr vertriebene Zigarettenmarke ... startete die Klägerin Ende 2011 eine neue Werbekampagne,
die auf der Verwendung der englischen Worte „BE“ und „MAYBE“ aufbaut. Die Wörter stehen, so wie sie in
der Kampagne verwendet werden, für Entschlossenheit einerseits (BE) und Zögerlichkeit andererseits
(MAYBE).
Die Kampagne in Gestalt von Plakaten, Flyern, Kinowerbung, Thekentellern usw. verwendet sowohl reine
Textmotive wie auch Slogans in Verbindung mit verschiedenen Bildmotiven und dem ... Logo.
Mit Schreiben vom ... Juni 2012 übersandte das Bayerische Landesamt für Gesundheit und
Lebensmittelsicherheit dem Landratsamt München eine Beschwerde von zwei Mitarbeitern der Universität
..., die darauf hinwiesen, dass die „MAYBE“ Kampagne der Klägerin, die nach jahrelangen Forschungen
zum Thema „Kindermarketing“ entstanden sei, gegen § 22 Abs. 2 Nr. 1 b des Vorläufigen Tabakgesetzes
(VTabakG) verstoße, da sie besonders geeignet sei, Jugendliche und Heranwachsende zum Rauchen zu
veranlassen. Sie stelle Jugendliche und Heranwachsende in alterstypischen Situationen dar und verknüpfe
deren Bedürfnisse mit dem Produkt der Zigarette ... Sie ersuchten, die Einstellung der Kampagne in der
Außenwerbung zu veranlassen. Dem Schreiben beigefügt waren Plakate für die Werbung mit Fotomotiven
und Slogans wie beispielsweise „MAYBE NEVER FELL IN LOVE“, „MAYBE NEVER FEELS FREE“, „NO
MORE MAYBE“.
Daneben gingen weitere Verbraucherbeschwerden beim Landratsamt München ein, so aus ..., von wo das
Forum „...“ die Einleitung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens gegen die Klägerin forderte.
Die vom Landratsamt angehörte Klägerin führte unter Berufung auf eine beigefügte gutachterliche
Stellungnahme vom ... Juli 2012 aus, die Kampagne richte sich gezielt an erwachsene Raucher und
spreche deren zentrale Werte wie Liebe, Lebensfreude und Freiheit an. Es sei Ziel der Kampagne,
erwachsene Raucher zum Wechsel zur Marke ... zu veranlassen.
Im Sommer 2012 setzte die Klägerin die Außenwerbung deutschlandweit aus, da mehrere Bundesländer
mit der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Kampagne befasst waren. In der Folgezeit fanden zwischen den
Parteien, teilweise unter Beteiligung des zuständigen Staatsministeriums und des Wirtschaftsministeriums,
verschiedene Besprechungen statt. Die Klägerin erklärte ihre Bereitschaft, künftig die verwendeten
Werbemotive vor Verwendung in der Öffentlichkeit der Wettbewerbszentrale zur Prüfung vorzulegen und
erst nach deren Billigung zu verwenden. Der Beklagte erklärte hierzu, die Beurteilung der
Wettbewerbszentrale sei für seine künftigen Entscheidungen nicht bindend, würde jedoch bei
Verbraucherbeschwerden berücksichtigt.
Im November 2012 nahm die Klägerin die Plakatwerbung im Außenbereich wieder auf, zunächst mit reinen
Text-, dann auch mit neuen Bildmotiven. Verwendet wurden Slogans wie „Change (bzw. Freedom, bzw.
History) does not start with a MAYBE, don’t be a MAYBE“. Entgegen der Ansicht von Herrn Prof. A. und
Herrn Dr. E. vertrat das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit hierzu die
Auffassung, dass die neuen Bildmotive eine Verbesserung hinsichtlich des Jugendschutzes seien.
Prof. A. und Dr. E. übersandten mit Schreiben vom ... Dezember 2012 auf Bitten des Beklagten eine
Begutachtung der Fortsetzung der Kampagne, die sie ebenfalls für rechtswidrig erachteten, da sie den
Jugendlichen frühere Slogans ins Bewusstsein rufen würde (sog. Relaunch). Die Wirkung der Kampagne
auf Jugendliche sei auch durch eine repräsentative Befragung von tausend Jugendlichen bestätigt worden.
Auf weitere Bitten des Landratsamtes München äußerten sich Prof. A. und Dr. E. mit Schreiben vom ... und
... Februar 2013 u. a. zu den Kosten der Kampagne (vorsichtige Schätzung 73,738 Mio. Euro, möglich auch
100 Mio. Euro) und gaben mit Schreiben vom ... April 2013 die erbetene wissenschaftliche Stellungnahme
zu dem von der Klägerin vorgelegten Gutachten von Prof. K. ab. Sie stellten abschließend fest, dass die
Frage, welche Altersgruppe von der Werbung der Klägerin besonders angesprochen werde, eine
empirische Frage sei, deren Abklärung in der Verwaltungspraxis schwierig sei. Zwangsläufig müssten
erfahrungsbasierte und theoretisch abgeleitete Erkenntnisse zur Wirkungsweise von Tabakwerbung
ausreichen.
Mit Schreiben vom ... Mai 2013 hörte der Beklagte die Klägerin zu dem Entwurf eines beabsichtigten
Untersagungsbescheides an. In der Stellungnahme vom ... Juli 2013 wandte sich die Klägerin gegen die
gegen sie erhobenen Vorwürfe, zeigte sich enttäuscht darüber, dass das Landratsamt vom vereinbarten
gemeinsamen Vorgehen unter Einbeziehung der Wettbewerbszentrale abgerückt sei und teilte mit, die
Werbemotive der vierten Staffel würden nicht mehr benutzt, sondern nur noch Motive, die von der
Wettbewerbszentrale gutgeheißen worden seien. Die Gutachter, auf die sich der Beklagte stütze, seien
ausgemachte Tabakgegner. Ein Sofortvollzug der beabsichtigten Anordnung würde zu schweren
Wettbewerbsnachteilen gegenüber den Hauptkonkurrenten führen. Die Entfernung der Werbematerialien
sei nicht innerhalb der vorgesehenen Monatsfrist möglich.
Mit Bescheid vom 8. Oktober 2013 untersagte der Beklagte der Klägerin ab sofort, im Rahmen ihrer
Werbung sowohl die Wörter „MAYBE“ und „BE“ (Ziff. 1a) wie auch die bisher im Rahmen der „MAYBE“
Kampagne verwendeten Foto- und Textmotive (Ziff. 1b) zu verwenden. Die Untersagung bezog sich auf
sämtliche Werbeformen, insbesondere Plakate einschließlich Litfaß- oder sog. „Citylight“- Säulen und Plakaten, Zahl- bzw. Thekenteller, Videos und Plakate in Verkaufsstellen und Gaststätten, Kinowerbung und
Flyer. Unter Ziff. 2 wurde angeordnet, die in öffentlich zugänglichen Bereichen noch genutzten Werbeträger
bis spätestens einen Monat nach Zustellung des Bescheides zu entfernen, Kinowerbung und Flyer bis zu
diesem Zeitpunkt einzustellen. Ausgenommen von der Untersagung wurde die Werbung in gedruckten
Veröffentlichungen, die ausschließlich für im Tabakhandel tätige Personen bestimmt sind oder in ihrem
redaktionellen Teil weit überwiegend Tabakerzeugnisse oder ihrer Verwendung dienende Produkte
betreffen bzw. ausschließlich für eine entsprechende Öffentlichkeit bestimmt sind und nur an diese
abgegeben werden, so wie Werbung für Tabakerzeugnisse in Diensten der Informationsgesellschaft im
Sinne des Art. 2 d der Richtlinie 2003/33/EG.
Die sofortige Vollziehung der Ziff. 1 und 2 dieses Bescheides wurde angeordnet (Ziff. 4) und für den Fall der
Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtungen aus Ziff. 1 und 2 ein Zwangsgeld in Höhe von 20.000,-- € je
Verstoß angedroht (Ziff. 5).
In der Begründung des Bescheides wurden die Staffeln der Kampagne unter Hinweis auf die dem Bescheid
beispielhaft beigefügten Motive einzeln erörtert. Die Kampagne sei insgesamt geeignet, den Tatbestand des
§ 22 Satz 1 Nr. 1b VTabakG zu erfüllen, der es verbiete, Werbung für Tabakerzeugnisse zu machen, die
ihrer Art nach besonders geeignet sei, Jugendliche und Heranwachsende zum Rauchen zu veranlassen.
Unter Berücksichtigung des Rauchverhaltens dieser Gruppe und der in der Werbung der Klägerin
angesprochenen Themenbereiche sei insbesondere nach der Auswertung der Universität ... davon
auszugehen, dass sich die Kampagne insgesamt vor allem an jugendliche und heranwachsende Raucher
wende. Dies gelte nicht nur für die Werbung in den ersten Staffeln, in denen Fotomodelle eingesetzt worden
seien, die von Jugendlichen deutlich jünger als 30 Jahre geschätzt worden seien, sondern auch für die in
den Folgestaffeln abgebildeten älteren Personen, da diesbezüglich die Werbung im Hinblick auf die direkte
Verknüpfung mit den vorangegangenen Staffeln rechtswidrig sei. Die Anordnung liege im Ermessen des
Beklagten und sei geeignet, weitere Rechtsverstöße zu verhindern und erforderlich, um die Interessen des
Gesundheits- und Jugendschutzes durchzusetzen. Die meisten Raucherkarrieren würden vor dem 21.
Lebensjahr beginnen. Im Gegensatz zur abnehmenden Zahl der Raucher insgesamt sei die der jungen
Raucher bis 24 Jahre gestiegen. Firmenintern sei hierfür der Erfolg der „Maybe“-Kampagne“ angesehen
worden. Es komme nicht auf die Rechtswidrigkeit einzelner Motive an, vielmehr habe die gesamte
Kampagne unterbunden werden müssen, um dem Jugendschutz ausreichend Rechnung zu tragen. Mit der
unzulässigen Werbung verschaffe sich die Klägerin auch einen Vorteil gegenüber rechtskonform werbenden
Konkurrenten. Der Klägerin verblieben auch nach dem Verbot ausreichend Möglichkeiten, gesetzeskonform
für ihr Produkt zu werben.
Mit Schriftsatz vom ... Oktober 2013, eingegangen am selben Tag, erhob die Klägerin durch ihren
Bevollmächtigten Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München gegen den Bescheid vom 08.
Oktober 2013 und beantragte gleichzeitig den Erlass einer Anordnung nach § 80 Abs. 5
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) dahin, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziff. 1 und 2 des
Bescheides vom 08. Oktober 2013 wiederherzustellen und im Hinblick auf das in Ziff. 5 angedrohte
Zwangsgeld anzuordnen (M 18 S 13.4834).
Zur Begründung der Klage wurde ausgeführt, die Werbekampagne verstoße nicht gegen § 22 Abs. 2 Satz 1
Nr. 1 b VTabakG. Bei Beachtung der geforderten restriktiven Auslegung der Norm könne eine allgemeine
Werbewirkung nicht als Kriterium für eine Jugendspezifik hergeleitet werden. Die besondere Eignung hätte
im Einzelfall nachgewiesen werden müssen. Der Gesetzgeber habe sich für die Zulässigkeit von
Tabakwerbung in bestimmten Bereichen entschieden, so dass Ausnahmen restriktiv auszulegen seien. Die
positive Darstellung eines Produktes sei ebenso wenig jugendspezifisch wie der Gebrauch
englischsprachiger Begriffe, der in der Werbung weit verbreitet sei. Ein situativer und wertespezifischer
Jugendbezug könne nicht mit den beanstandeten Wörtern, Angaben und Bildelementen begründet werden.
Der Beklagte habe insoweit ungeprüft die subjektive Meinung von Prof. A. und Dr. E. übernommen. Die
vermittelten Werte seien universelle Werte für alle Altersgruppen. Würde man sie alle als jugendspezifisch
ansehen, käme dies einem Werbeverbot gleich. Die behauptete Fortwirkung der Kampagne könne aufgrund
der kurzen Laufzeit der Werbung nicht angenommen werden und sei auch nicht nachgewiesen. Die
Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG seien nicht gegeben, da die Werbung der Klägerin nicht
ordnungswidrig sei. Der Beklagte habe das ihm eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt und aufgrund
spekulativer Tatsachenerwägungen entschieden. Er habe den kooperativen Weg verlassen und gegen
seine Pflicht zum konsequenten Verwaltungshandeln verstoßen. Der Bescheid sei unverhältnismäßig, da
durch die Verwendung bestimmter Wörter eine Vielzahl möglicher Werbemaßnahmen kontextunabhängig
verboten würde. Teilweise sei er auch zu unbestimmt, da nicht erkennbar sei, auf welche Motive sich der
Tenor beziehe. Schließlich würden sowohl die Meinungs- wie die Berufsfreiheit der Klägerin verletzt, Art. 5
und 12 Grundgesetz (GG).
Im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtes München vom 11.
Dezember 2013 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ziff. 1a in vollem Umfang, gegen Ziff. 1b
teilweise wiederhergestellt und die aufschiebende Wirkung gegen die Zwangsgeldandrohung angeordnet.
Im Übrigen wurde der Antrag abgelehnt.
Die Klägerin erhob gegen den Beschluss Beschwerde (AZ 20 CS 14.43). Im Erörterungstermin beim
Bayerischen Verwaltungsgerichtshof am 7. April 2014 schlossen die Beteiligten einen Vergleich, in dem die
Klägerin auf den Einsatz von Bild- und Textmotiven der Staffeln 1 bis 4, auf die streitgegenständliche
Kinowerbung und die streitgegenständlichen Flyer (Ziff. 1) und der Beklagte im Gegenzug auf den
hinsichtlich der Außenwerbung der Staffeln 5 bis 9 angeordneten Sofortvollzug (Ziff. 2) verzichtete. Beide
Parteien waren sich dabei darüber einig, dass unter „Textmotiven“ im Sinne der Ziff. 1b des Bescheides
vom 8. Oktober 2013 nur die konkreten Ausgestaltungen der Plakate gemeint waren und nicht die Slogans
als solche vom Verbot umfasst würden (Ziff. 3). In Ziff. 4 des Vergleiches vereinbarten die Parteien das
Bemühen um eine für beide Seiten akzeptable Selbstverpflichtung der Klägerin und damit auch um eine
Beendigung des beim Verwaltungsgericht anhängigen Klageverfahrens. Durch den Vergleich wurde gemäß
Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes der Beschluss des Verwaltungsgerichtes München vom 11.
Dezember 2013 in Nr. V und VI unwirksam, im Übrigen modifiziert.
Ab Ende Juli 2014 nahm die Klägerin nach längerer Pause die Kampagne mit neuen Text- und Fotomotiven
wieder auf.
Die Vergleichsbemühungen der Beteiligten in der Folgezeit scheiterten, da keine Einigung über die weitere
Verwendung der zentralen Aussage der Werbekampagne „DON´T BE A MAYBE“ und darauf basierender
Slogans erzielt werden konnte. Der Beklagte änderte daraufhin mit Bescheid vom 17. April 2015 den
Bescheid vom 8. Oktober 2013 dahingehend, dass er der Klägerin mit sofortiger Wirkung untersagte, das
Wort „MAYBE“ als a) Substantiv, b) als Ableitung von einem Substantiv (z. B. MAYBE-FREE) oder c) sofern
es ganz oder teilweise durchgestrichen ist (Ziff. 1.1) und die Verbindung des Wortes „BE“ a) mit dem Wort
..., b) mit dem Abbild einer ...-Packung oder c) mit der Abbildung des ...-Logos, sofern der Werbeträger
neben dem Wort „BE“ auch das Wort „MAYBE“ aufweist (Ziff. 1.2), weiterzuverwenden. In Ziff. 2 wurde
angeordnet, die derzeit noch in öffentlich zugänglichen Bereichen genutzte Werbung vom Außenbereich
innerhalb eines Monates, die am Verkaufsort, bei Veranstaltungen und in der Gastronomie innerhalb von
drei Monaten, jeweils gerechnet ab Zustellung des Bescheides, zu entfernen bzw. einzustellen. Davon
ausgenommen wurde erneut die Werbung für den Fachhandel und Fachzeitschriften (Ziff. 3). Die sofortige
Vollziehung der Ziff. 1 und 2 des Bescheides wurde angeordnet. In Ziff. 5 wurden Zwangsgelder für
Verstöße gegen die Ziff. 1 und 2 des Bescheides, gestaffelt nach Art und Ort der Werbung zwischen 5.000,- € und 200.000,-- € angedroht.
Zur Begründung wurde ausgeführt, im Hinblick auf die gerichtlichen Verfahren werde der Bescheid vom 8.
Oktober 2013 gemäß Art. 48 Abs. 1 Satz 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrens(- und Vollstreckungs)
Gesetz (BayVwVfG) teilweise zurückgenommen. Die Rücknahme des rechtswidrigen belastenden
Verwaltungsaktes sei möglich, da der Empfänger kein Interesse am Bestand eines solchen habe. Das
Verbot werde auf die Nutzung der Worte „MAYBE“ und „BE“ beschränkt, soweit sie für die Kampagne
typisch sei, nämlich nur noch in Verbindung mit dem Wort ..., dem Logo oder einer ... Packung. Es erstrecke
sich nicht auf die nicht mehr verwendeten Staffeln der Kampagne. Zur Notwendigkeit des Verbotes sowie
zur Abwägung der gegenseitigen Interessen werde auf die Ausführungen des Bescheides vom 8. Oktober
2013 verwiesen. Ergänzend wurde ausgeführt, dass durch den substantivisch oder personalisierten
Gebrauch der Worte „BE“ und „MAYBE“ die Texte auf die besonders geschützte Zielgruppe und deren
psychische Situation ausgerichtet würden. Die Klägerin sei sich der besonderen Bedeutung der Worte
durchaus bewusst und habe sie als nationale und internationale Marke beim Eidgenössischen Institut für
geistiges Eigentum schützen lassen. Das Verbot der ganzen Kampagne sei auch unter MarketingGesichtspunkten zu beantworten, wonach auch der Erfolg einer Werbung nicht in einzelnen Teilen, sondern
unter Berücksichtigung der Kampagne als Ganzes zu beurteilen sei.
Mit Schriftsatz vom ... Mai 2015 erweiterte die Klägerin die Klage und wandte sich nun gegen den Bescheid
vom 8. Oktober 2013 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 17. April 2015.
Gleichzeitig beantragte sie im Rahmen eines Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende
Wirkung der Klage gegen die Ziff. 1 und 2 des Bescheides wiederherzustellen und in Bezug auf die
Androhung des Zwangsgeldes anzuordnen (M 18 S 15.2027).
In der Klagebegründung wies sie unter Bezugnahme auf das bisherige Vorbringens darauf hin, dass schon
die tatbestandlichen Voraussetzungen für ein Einschreiten nicht gegeben seien. Auch die Markeneintragung
führe nicht zur besonderen Eignung, Jugendliche und Heranwachsende zum Rauchen zu veranlassen. Der
Beklagte habe sich durch den Änderungsbescheid insbesondere von dem vor dem Bayerischen
Verwaltungsgerichtshof geschlossenen Vergleich losgesagt. Nach Ziff. 3 des Vergleiches dürften die
Slogans gerade weiterverwendet werden.
Der Beklagte äußerte sich zu dem Vorbringen mit Schriftsatz vom ... Mai 2015 und trug vor, die
Bindungswirkung des Vergleiches sei nicht missachtet worden, sie habe nur für das damalige Eilverfahren
und die Anordnung des Sofortvollzuges bestanden. Es werde im Bescheid ausführlich dargelegt, worin die
besondere Eignung der untersagten Verwendung der Wörter „MAYBE“ und „BE“ liege. Die Untersagung der
Verwendung dieser Schlüsselwörter sei gegenüber dem alten Bescheid wesentlich eingeschränkt worden.
Die Klägerin habe sich stets zu erreichen bemüht, dass die als einheitliches Konzept angelegte Kampagne
in ihre Einzelheiten zerlegt werde, bis der wahre Kern nicht mehr erkannt werden könne. Mit dem
Änderungsbescheid sei der im Eilverfahren vertretenen Rechtsauffassung des Gerichtes Rechnung
getragen worden.
In der mündlichen Verhandlung am 30. September 2015 wurde die Sach- und Rechtslage in diesem
Verfahren und im Verfahren M 18 S 15.2027 erörtert. Das Eilverfahren wurde von den Beteiligten
übereinstimmend für erledigt erklärt und mit Beschluss vom gleichen Tag eingestellt.
Im Klageverfahren beantragte die Klägerin,
den Bescheid des Beklagten vom 8. Oktober 2013 in der Fassung des Bescheides vom 17. April 2015
aufzuheben.
Die Vertreter des Beklagten beantragten,
Klageabweisung.
Zum Verlauf der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes, insbesondere der Gestaltung der Werbekampagne,
des Inhaltes der angefochtenen Bescheide und des Vorbringens der Beteiligten im Gerichtsverfahren, wird
auf den Inhalt der Gerichtsakte aus diesem Verfahren sowie den Verfahren M 18 S 13.4843, M 18 S
15.2027 und auf die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist auch in der durch die Einbeziehung des Bescheides vom 17. April 2015 geänderten Fassung
zulässig. Die Klägerin hat den Änderungsbescheid vom 17. April 2015, ihr zugestellt am 21. April 2015,
innerhalb der Klagefrist des § 74 VwGO in das seit 17. Oktober 2013 anhängige Klageverfahren einbezogen
(vgl. BVerwG, U. v. 30.10.1997 - 3 C 35/96).
Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 8. Oktober 2013 in Gestalt des Bescheides
vom 17. April 2015 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Rechtsgrundlage für die Anordnung des Beklagten ist Art. 23 Satz 2 des Gesundheitsdienst- und
Verbraucherschutzgesetzes (GDVG) i. V. m. Art. 7 des Bayerischen Landesstraf- und Verordnungsgesetzes
(LStVG). Danach können die allgemeinen staatlichen Behörden für Gesundheit, Veterinärwesen, Ernährung
und Verbraucherschutz zur Erfüllung ihrer Aufgaben für den Einzelfall Anordnungen (nur) treffen, um u. a.
rechtswidrige Taten, die den Tatbestand eines Strafgesetzes oder einer Ordnungswidrigkeit verwirklichen,
zu verhüten oder zu unterbinden. Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG enthält damit die allgemeine Befugnis bzw.
Ermächtigung für die Sicherheitsbehörde, zur Erfüllung ihrer Aufgabe, die öffentliche Sicherheit und
Ordnung durch Abwehr von Gefahren und durch Unterbindung und Beseitigung von Störungen
aufrechtzuerhalten (Art. 6 LStVG), Anordnungen für den Einzelfall zu treffen, wobei der Behörde sowohl
bezüglich des Einschreitens überhaupt („ob“) wie auch hinsichtlich der Art des Einschreitens („wie“)
Ermessen eingeräumt ist.
Gemäß § 53 Abs. 2 Nr. 1 des VTabakG in der Neufassung der Bekanntmachung vom 9. September 1997,
zuletzt geändert durch Art. 61 der Verordnung am 31. August 2015, BGBl. I, 1474, begeht eine
Ordnungswidrigkeit, wer vorsätzlich oder fahrlässig u. a. der Vorschrift des § 22 Abs. 2 Satz 1 VTabakG
zuwiderhandelt.
Gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 b VTabakG ist es verboten, im Verkehr mit Tabakerzeugnissen oder in der
Werbung für Tabakerzeugnisse allgemein oder im Einzelfall Bezeichnungen, Angaben, Aufmachungen,
Darstellungen oder sonstige Aussagen zu verwenden, die ihrer Art nach besonders dazu geeignet sind,
Jugendliche oder Heranwachsende zum Rauchen zu veranlassen.
Zweck der Regelung ist es, angesichts des „wohl nicht mehr ernsthaft bestreitbaren gesundheitlichen
Risikos beim Genuss bestimmter Tabakerzeugnisse“ (so BTDrS. 7/255, allgemeine Begründung des
VTabakG) als „Aufgabe moderner Gesundheitspolitik Missbräuchen auf dem Gebiet der Werbung für
Tabakerzeugnisse von vornherein einen Riegel vorzuschieben“ (BTDrS. a. a. O. zu § 22).
Werbung ist kommerzielle Kommunikation mit dem Ziel oder der direkten oder indirekten Wirkung, den
Verkauf eines Tabakerzeugnisses zu fördern. (§ 21 a Abs. 1 Nr. 1 VTabakG i. V. m. Art. 2 b der Richtlinie
2003/33/EG vom 26. Mai 2003 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der
Mitgliedsstaaten über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen jeder Art)
In der Bundesrepublik Deutschland ist Werbung für Tabakerzeugnisse - im Gegensatz zu den meisten
anderen EU-Staaten - eingeschränkt erlaubt. Es besteht ein Werbeverbot für Tabakwerbung im Radio, im
Fernsehen, im Internet, in Printmedien mit engen Ausnahmen z. B. für im Fachhandel tätige Personen, im
Wege des Produkt Placement sowie für Sponsoring bei grenzüberschreitenden Veranstaltungen oder von
Hörfunkprogrammen. Von diesen Ausnahmen abgesehen ist Werbung für Tabakerzeugnisse in den hier
streitgegenständlichen Werbeformen erlaubt, also Außenwerbung z. B. durch Plakate und Lichtreklame,
Werbung am Verkaufsort, im Kino nach 18.00 Uhr und in Form verschiedener verkaufsfördernder Aktionen
wie z. B. der Verteilung von Flyern.
Auch die an sich erlaubte Werbung für Verkaufserzeugnisse unterliegt weiteren Einschränkungen, die in §
22 Abs. 2 VTabakG geregelt sind. Danach ist Werbung verboten, die den Eindruck gesundheitlicher
Unbedenklichkeit vermittelt oder darauf hindeutet, dass Tabakprodukte naturrein seien, ferner Werbung, die
das Inhalieren des Tabakrauches als nachahmenswert erscheinen lässt und - worum es in diesem
Verfahren geht - Werbung die besonders geeignet ist, Jugendliche oder Heranwachsende zum Rauchen zu
veranlassen. Der durch die Vorschrift geschützte Personenkreis beschränkt sich nicht auf Jugendliche bis
zum Erreichen der Volljährigkeit, sondern umfasst entsprechend § 1 Abs. 2 JGG auch volljährige Personen
bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres.
Die Ende 2011 von der Klägerin gestartete Werbekampagne verstößt allein durch die Verwendung der
Wörter „MAYBE“ und „BE“ in dem in den angefochtenen Bescheiden des Beklagten definierten Umfang
nicht gegen § 22 Abs. 2 Nr. 1 b VTabakG. Sie ist insoweit nicht besonders dazu geeignet, Jugendliche oder
Heranwachsende zum Rauchen zu veranlassen, und erfüllt damit nicht den Tatbestand einer
Ordnungswidrigkeit.
Bezeichnungen, Angaben, Aufmachungen, Darstellungen oder sonstige Aussagen, denen eine solche
besondere Eignung zugesprochen werden kann, setzen voraus, dass ihre (Haupt)Zielgruppe aus
Jugendlichen und Heranwachsenden besteht. Die besondere Eignung ist nur dann gegeben, wenn die
Werbung den geschützten Personenkreis mehr als andere anspricht. Personen unter 21 Jahren sind eine
besonders begehrte Zielgruppe für Werbemaßnahmen allgemein und als potentielle Rauchanfänger für den
Zigarettenmarkt im Besonderen. Wenn sie im gleichen Maß wie andere von einer bestimmten Werbung
angesprochen werden, kann eine besondere Eignung für unter 21-Jährige nicht bejaht werden. Dabei ist im
Hinblick auf die Tatsache, dass Tabakwerbung, in Form der Außenwerbung, grundsätzlich erlaubt ist, die
Einschränkung restriktiv auszulegen.
Auch wenn es, wie vorliegend die von den Beteiligten im Verwaltungsverfahren vorgelegten
gegensätzlichen Gutachten und die Aussage des LGL zeigen, schwierig ist, eine besondere Eignung der
Werbung für einen bestimmten Personenkreis festzustellen, haben sich Kriterien herausgebildet, die für die
Beurteilung der besonderen Eignung herangezogen werden können.
So ist eine solche insbesondere dann anzunehmen, wenn blickfangmäßig mit jugendtypischen oder
jugendspezifischen Elementen und Situationen geworben und so ein Vorbild aufgebaut wird, dem
Jugendliche und Heranwachsende nacheifern sollen (KG Berlin vom 07.04.1989 - 5 U 70/89).
Jugendspezifische Elemente sind beispielsweise die bildliche Darstellung von Jugendlichen und
Heranwachsenden, insbesondere in jugendtypischen Situationen und Umgebungen, mit jugendtypischer
Kleidung oder sprachlichen Elementen und Äußerungen, die dem typischen Wortschatz und Umgangston
dieser Gruppe zuzuordnen sind (vgl. Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Kommentierung zum VTabakG, C
900, § 22, Rn. 16).
Eine entsprechende Regelung für Werbung für Tabak und Alkohol findet sich in § 6 Abs. 5 des
Staatsvertrages über den Schutz der Menschenrechte und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien
(JStMV), der u. a. eine Kinder und Jugendliche besonders ansprechende Art der Darstellung verbietet.
Der Hinweis der Klägerin, dass ihre Werbung grundsätzlich nicht an Jugendliche und Heranwachsende
gerichtet ist, sondern darauf abzielt, über 21-jährige Raucher zu einem Wechsel zur Marke ... zu
veranlassen, ist daher unbehelflich, da die subjektive Absicht des Werbenden für die Beurteilung der
besonderen Eignung nicht entscheidend ist. Für die besondere Eignung kommt es nicht auf die subjektive
Zweckbestimmung der Werbung aus der Sicht des werbenden Unternehmers an, auch nicht auf einen
tatsächlich messbaren Eintritt des gewünschten Werbeeffektes, sondern allein darauf, dass der geschützte
Personenkreis durch die besonders ihn ansprechende Werbung zum Rauchen veranlasst werden kann.
Für die (erlaubte) Zigarettenwerbung hat sich daher der Deutsche Zigarettenverband (DZV), dem die
Klägerin nicht angehört, Wettbewerbsregeln für die Vermarktung von Tabakprodukten verordnet, die u. a.
die Einhaltung des Kinder- und Jugendschutzes gewährleisten und verhindern sollen, dass Kinder und
Jugendliche durch Marketing-Aktivitäten von Tabakunternehmen besonders angezogen werden. Dazu
gehört z. B. der Verzicht auf den Einsatz von besonders jugendlichen oder jugendlich wirkenden Personen
als Models, auch die Nennung und Darstellung von Prominenten, die als Vorbild dienen könnten und andere
jugendtypische Bezüge. Dieser Werbekodex war auch Grundlage für den dem Bescheid beigefügten
Entwurf einer Selbstverpflichtung der Klägerin betreffend Marketingaktivitäten für Tabakprodukte in der
Bundesrepublik Deutschland, über den letztlich keine Einigung zwischen den Beteiligten erzielt werden
konnte.
Für die besondere Eignung reicht es, wie bereits erwähnt, nicht aus, dass die Werbung in ihrer Art
gleichermaßen geeignet ist, neben anderen Personengruppen auch Jugendliche und Heranwachsende zum
Rauchen zu veranlassen. Tabakwerbung ist wie Werbung für jedes andere Produkt, schon aufgrund der
finanziellen Mittel, die für Werbung von einem Unternehmen aufzubringen sind, darauf ausgerichtet, einen
möglichst breiten Personenkreis zu erreichen. Kinder, Jugendliche und Heranwachsende sind dabei
allgemein eine besonders interessante Zielgruppe der Werbewirtschaft, da sie einerseits über ein
beachtliches wirtschaftliches Potential verfügen, andererseits besonders offen und neugierig, aber auch
möglicherweise unkritischer, leichter zu beeinflussen und empfänglicher für Werbung als ältere Verbraucher
sind (vgl. auch Dr. M. Gericke, Werbung gegenüber Kindern und Jugendlichen, NJW 2015, 3185).
Unstreitig dürfte auch sein, dass der Werbung immanent stets die Aufforderung zum Kauf des beworbenen
Produktes innewohnt, die sich ebenfalls an den gesamten Adressatenkreis richtet. Dass die Werbung damit
auch auf Jugendliche und Heranwachsende zielt, ist aber nicht ausreichend für die besondere Eignung,
denn damit müsste jegliche Zigarettenwerbung verboten werden, da dieser Personenkreis generell für die
Tabakindustrie interessant ist. In Anbetracht der gesetzgeberischen Entscheidung für die Zulässigkeit der
Tabakwerbung im gesetzlich definierten Umfang sind die weiteren Einschränkungen in § 22 VTabakG
restriktiv auszulegen (vgl. BGH vom 15.10.1987, I ZR 180/85).
Bei der Werbung der Klägerin in der durch den Bescheid vom 17. April 2015 verbotenen Form kann keine
über die mit jeder Werbung beabsichtigte Absatzsteigerung eines Produktes hinausgehende besondere
Eignung im Sinne von § 22 Abs. 2 Nr. 1 b VTabakG festgestellt werden.
Die Frage, ob eine Werbung ihrer Aufmachung, Darstellung usw. nach besonders geeignet im Sinne von §
22 Abs. 2 Nr. 1 b VTabakG ist, ist, da es sich hierbei um ein unbestimmtes Tatbestandsmerkmal handelt,
gerichtlich vollumfänglich überprüfbar. Abzustellen ist bei der Beurteilung auf die Sichtweise eines
durchschnittlichen Angehörigen des geschützten Personenkreises (vgl. OLG Hamm vom 19.10.2006 - 4 U
83/06). Auch wenn die Mitglieder des Gerichtes dieser Altersgruppe nicht angehören, sehen sie sich
aufgrund ihrer Lebenserfahrung und ihrer Stellung als Verbraucher in der Lage, die Frage der besonderen
Eignung selbst zu beurteilen und nach den aus dem gesamten Verfahren gewonnenen Erkenntnissen eine
Überzeugung zu bilden und eine Entscheidung zu treffen. Eine Beweiserhebung hätte nach Auffassung des
Gerichtes nicht das Ergebnis gebracht, eine objektiv gültige Klärung der Frage herbeizuführen, da der
Begriff der besonderen Eignung stets eine subjektive Komponente beinhaltet, die durch objektive Indizien
ergänzt werden muss. Die Möglichkeit, unterschiedliche Auffassungen zu dem Thema, jeweils gestützt auf
wissenschaftlich fundierte Aussagen zu begründen, zeigt sich an den diametral gegensätzlichen Gutachten,
die die Beteiligten im Verwaltungsverfahren vorgelegt haben. Ein einheitliches, unangreifbares Ergebnis
hätte auch eine Beweisaufnahme nicht gebracht, so dass der Begriff der besonderen Eignung tatrichterlich
ausgefüllt werden konnte und durfte.
Das Gericht hält an der im Eilverfahren vertretenen Rechtsauffassung fest, dass in der allgemeinen
Verwendung der Wörter „BE“ und „MAYBE“ keine besondere Eignung liegt, Jugendliche und
Heranwachsende zum Rauchen zu veranlassen. Dies gilt auch für die durch den Bescheid vom 17. April
2015 hinreichend bestimmte verbotene Verwendung.
Eine besondere Eignung lässt sich nicht aus der Tatsache herleiten, dass, wie der Beklagte vorträgt, die
sinkende Zahl minderjähriger Raucher den Druck auf die Zigarettenindustrie erhöht, gerade diese
Altersgruppe verstärkt zu bewerben. Mit diesem Argument, so richtig es sein mag, wäre jede Tabakwerbung
von vornherein verboten aufgrund des Bestrebens der Tabakindustrie, neue Raucher, die naturgemäß im
Wesentlichen unter 21 Jahre sind, zu gewinnen.
Ebenso wenig spricht für eine besondere Eignung die Markeneintragung, die eine erfolgreiche Marke, durch
die sich ein Unternehmen vom anderen absetzen kann, schützen und sichern will und die ihm ggf.
wettbewerbsrechtliche Vorteile verschaffen kann.
Im Kern begründet der Beklagte die besondere Eignung nach wie vor mit der Verwendung der Wörter „BE“
und „MAYBE“, die, im Gegensatz zum allgemeinen Sprachgebrauch von der Klägerin in ihrer Werbung
substantivisch verwendet werden, wobei in den neuen Werbemotiven im Wesentlichen nur das Wort
„MAYBE“ im Sinne eines Zauderers, Unentschlossenen oder sogar Verlierers verwandt wird.
Die Verwendung der englischen Sprache allein entfaltet, wie das Gericht schon im Eilverfahren ausgeführt
hat, aufgrund der Verbreitung der Kenntnis der englischen Sprache bei der Gesamtheit der Bevölkerung,
der Verbreitung von Anglizismen (z. B. Shop, Store, Callcenter, und dergleichen) keine jugendspezifische
Wirkung. Die Wörter „BE“ und „MAYBE“ in der durch das Verbot konkretisierten Form sind auch keine
Begriffe, die besonders oder in einer bestimmten Weise von Jugendlichen gebraucht werden und
(zumindest anfänglich) nur von einer bestimmten Altersgruppe auch in einem bestimmten Sinn verstanden
werden, ehe sie im Einzelfall in den allgemeinen Sprachgebrauch übernommen werden (zu den Top 10 der
Jugendwörter 2015 www.jugendwort.de). Solche Wörter, oft Neuschaffungen aus verschiedenen Wörtern
oder gebräuchliche Wörter, die in einer vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichenden Bedeutung
verwendet werden, werden von „älteren“ Personen, selbst wenn sie ihnen vom Hören bekannt sind, nicht
oder zumindest nicht in der von den Jugendlichen verwendeten Bedeutung verstanden. „BE“ und „MAYBE“
sind in der von der Klägerin beabsichtigten Bedeutung nicht dem jugendtypischen Wortschatz zuzurechnen.
Die Bedeutung der Begriffe, wie sie in der Kampagne verwendet werden, wird auf den ersten Blick nicht
deutlich, erst auf den zweiten Blick wird der Sinn des Wortspieles deutlich. Der damit ausgedrückte
Widerstreit zwischen dem negativen Image einer Person, die sich nicht traut, nicht weiß, was sie will, und
der Person, die ihr Leben in die Hand nimmt und entscheidungsfreudig ist - und die ... raucht -, trifft zwar auf
Jugendliche und Heranwachsende, aber im gleichen Umfang auch auf über 21-Jährige zu. So wird von dem
Journalisten ... eine ganze Generation als „...“ in einem Buch gleichen Titels beschrieben, wobei es sich
dabei um die Generation der um 1980 Geborenen handelt, die mittlerweile das Alter von 30 Jahren erreicht
bzw. überschritten hat und „zaudert, zögert und die ganze Zeit vielleicht sagt“ (www...html.). Im Gegensatz
dazu bezeichnet die ... Studie 2015 die Jugendlichen und jungen Heranwachsenden als „Generation im
Aufbruch“, die optimistisch in die Zukunft schaut, ein stabiles Wertesystem hat und sich zunehmend
(gesellschafts)politisch engagiert www...html). Dies zeigt, dass die Ausrichtung der Texte der
streitgegenständlichen Werbekampagne nicht Werte und Situationen betreffen, die nur oder im
Wesentlichen für den geschützten Personenkreis von Bedeutung und damit jugendspezifisch sind. Dies gilt
auch für die durchgestrichene Version des Wortes „MAYBE“, das genauso für Unentschlossenheit steht.
Auch die notwendige Betrachtung der Werbung im Zusammenhang (BGH vom 17.07.2013 - I ZR 34/12)
führt nicht zu diesem Ergebnis. Allein schon die Tatsache, dass der in Ziff. 1 des Tenors des Bescheides
vom 17. April 2015 festgelegten Verwendung der Wörter „BE“ und „MAYBE“ keine besondere Eignung,
Jugendliche und Heranwachsende zum Rauchen zu veranlassen, zukommt, verbietet es, der gesamten
Kampagne, die aus völlig unterschiedlichen Text- und Fotomotiven besteht (auch wenn diese durch die
Schlüsselwörter verbunden sind) in ihrer Gesamtheit die besondere Eignung zuzuschreiben. Auch wenn
einzelne Werbemotive in der Vergangenheit gegen § 22 Abs. 2 Nr. 1 b VTabakG verstoßen haben, was
nach Ansicht des Gerichtes bei nicht mehr verwendeten Motiven der Staffeln 1 bis 4 durchaus der Fall war
(vgl. Beschluss vom 11.12.2013, M 18 S 13.4834), rechtfertigt dies nicht die Einschätzung der Kampagne
insgesamt als rechtswidrig. Auch die vom Beklagten im Bescheid zitierten Aussagen zur marketingtechnischen Wirkung der Kampagne halten diese (nur) für „auch geeignet, Jugendliche zum Rauchen zu
veranlassen (... im Handelsblatt)“ bzw. sehen darin „nicht ausschließlich eine Werbung, die sich an
Erwachsene richtet“ (...). Dass die Tabakwerbung auch geeignet ist (neben anderen), Jugendliche und
Heranwachsende zum Rauchen zu veranlassen, reicht aber für die Erfüllung des Tatbestandes der
Vorschrift nicht.
Auch wenn man den Schlüsselwörtern keine Jugendspezifik zuschreiben kann, können sie nach Ansicht
des Gerichtes durchaus so verwendet werden, dass die besondere Eignung bejaht werden könnte. So kann
durch entsprechende Aussagen oder Darstellungen, die Aufmachung einzelner Werbemotive, z. B. durch
Fotos, durchaus ein jugendtypischer Bezug geschaffen werden, durch den eine besondere Eignung im
Sinne der Vorschrift zu bejahen wäre. Als Beispiel wird auf kombinierte Foto/Textmotive der 4. Staffel
verwiesen, die beispielsweise jugendlich wirkende Personen beim „Stagediving“ oder „Parcouring“ (über
einen Zaun klettern, bekleidet in einen Bach springen) zeigen. Hier werden Situationen und Verhalten
dargestellt, mit denen sich der geschützte Personenkreis besonders identifizieren kann.
Aber im Übrigen ist auch bei diesen Motiven eine Fortwirkung in dem Sinn, dass sie dazu führen, dass sich
Jugendliche und Heranwachsende von der Kampagne besonders zum Rauchen animiert fühlen, nicht zu
bejahen, zumal diese Motive schon lange nicht mehr im Gebrauch sind und die gesamte Kampagne über
ein Jahr ausgesetzt war.
Auch wenn die Untersagung in den angefochtenen Bescheiden in ihrer Allgemeinheit und Abstraktheit als
rechtswidrig zu beurteilen ist, ermöglicht andererseits die Verwendung der Schlüsselwörter der Klägerin
eine solche Bandbreite an Werbemöglichkeiten, dass jeweils im Einzelfall, wie oben erwähnt, zu prüfen ist,
ob ein Werbemotiv gegen § 22 Abs. 2 Nr. 1 b VTabakG verstößt. Dem Beklagten steht dabei neben der
Möglichkeit von Verbotsanordnungen das Ordnungswidrigkeitenverfahren zur Verfügung.
Mit der Rechtswidrigkeit der Ziff. 1 des Bescheides waren auch die weiteren angefochtenen Punkte
aufzuheben. Der Klage war damit vollumfänglich stattzugeben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt ergeht gemäß § 167 VwGO i. V. m.
§§ 708 f. Zivilprozessordnung (ZPO).
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil
innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier
Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die
Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im
Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für
Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird.
Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO
genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in
§§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
...
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 250.000,-- festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG-).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof
zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,-- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen
wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache
Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht
München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde
auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses
eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.
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