Im Spektrum - BIOspektrum

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I M S PE KTR U M · VOR SCH AU
The Föhr Reef
Ein Korallenriff in Handarbeit
© Springer-Verlag 2014
ó Als ein Wunder der Natur erstreckt sich entlang der Küste Australiens das Great Barrier
Reef. In seiner überschwänglichen Fülle an Formen und Farben ist es einzigartig und zugleich
ein fragiles Ökosystem, dessen Gesundheitszustand als Indikator für die Auswirkungen der
globalen Erwärmung, Verschmutzung und Übersäuerung der Meere gilt.
Der sich durch den Klimawandel dramatisch
verändernde Zustand der Korallenriffe war den
australisch-stämmigen Zwillingsschwestern Margaret und Christine Wertheim (die eine Physikerin, die andere Künstlerin) bewusst, die am
Great Barrier Reef aufwuchsen und die Aufmerksamkeit eines breiten Publikums auf diese
Veränderungen lenken wollten. Ausschlaggebend für die Kombination aus Natur und
Naturwissenschaft war Margaret Wertheim, die
Korallen als Variation des „hyperbolischen
Raumes“ kennt – einer abstrakten mathematischen Struktur.
Die Mathematikprofessorin Daina Taimina
wählte bereits 1997 die Form des Häkelns als
ideales Medium für die Umsetzung der hyperbolischen Geometrie. Mithilfe korallenartiger
Gebilde gelang es ihr, den hyperbolischen Raum
zu visualisieren. Daina Taiminas Algorithmus
war strikt mathematisch: ein in sich selbst
gekrümmter und sich an jedem Punkt weiter
ausdehnender Raum – ein wenig wie ein Salatblatt oder gewellte Häkelteilchen, in denen reihenweise überzählige Maschen aufeinanderprallen. Dies entspricht der natürlichen Bauweise
von Korallen. Indem die Wertheim-Schwestern
Variationen und Abweichungen in den Häkelcode einführten, entdeckten sie eine sich kontinuierlich entwickelnde Taxonomie von Formen,
die Korallenriffen ähnelten. Mit Häkelnadel und
Wolle schufen sie naturgetreu fransige Anemo-
nen, zinnenartige Korallen und verschnörkelte
Blumentiere, eine textile Nachbildung der teilweise verblichenen maritimen Wunderwelt.
Mit dem 2003 in Los Angeles, USA, gegründeten Institute for Figuring als Schnittstelle von
Kunst und Wissenschaft gelang es Margaret und
Christine Wertheim, das Projekt des gehäkelten
Korallenriffs als ökologisches Mahnmal und kollektives Kunstwerk in diversen Kunstmuseen
auszustellen.
Das Hyperbolic Crochet Coral Reef (HCCR) ist
seinem Wesen nach ein gemeinschaftliches,
dynamisches Projekt, welches Menschen aus
allen Gesellschaftsschichten verbindet. Mit der
Hilfe über 5.000 Freiwilliger entstanden lokal
gehäkelte Satellite Reefs in den USA, Japan, Südafrika und England, Lettland und Kroatien, in
denen sich Geometrie, Handarbeit, Meeresbiologie, ökologisches Bewusstsein und kollektive
Kunstpraxis vereinen.
Das deutsche Satellite Reef – The Föhr Reef
entstand im Museum Kunst der Westküste auf
der Nordseeinsel Föhr zwischen Januar und Juni
2012. An dem grenzübergreifenden Projekt in
Verbindung mit dem Museum Sønderjylland in
Dänemark beteiligten sich über 750 Teilnehmer,
entweder bei lokalen Häkelsitzungen oder durch
Zusendungen der gehäkelten Korallen aus
Deutschland, den Niederlanden, Dänemark,
Österreich, Luxemburg und der Schweiz. Aus
über 5.000 Korallen wurde ein 30 Quadratmeter
großes Riff entwickelt, das von Juni bis September 2012 präsentiert wurde.
Nach Ausstellungen im Museum Kunst der
Westküste, im Museum Sønderjylland in Tondern und dem Museum der Universität Tübingen
wird The Föhr Reef vom 23. Juni bis zum 14.
Dezember 2014 im Deutschen Textilmuseum
Krefeld in der Ausstellung „Häkelkosmos – Von
˚ Über 750 fleißige Teilnehmer(innen) aus
sechs Ländern gestalteten in unzähligen
Häkelstunden mehr als 5.000 Korallen für
das Föhr Reef. © Gerhard Kassner.
Korallenriffen, Biotopen und schwarzen
Löchern“ zu sehen sein.
Parallel zum Föhr Reef entstand das West Coast
Plastic Reef – ein giftiges Riff in Form wild
wuchernder Konglomerate aus Plastikabfällen,
welches als postmoderner Zwilling zum gehäkelten Riff aus Garn auftritt. Das Plastic Reef
wird auf der Sonderausstellung „Anthropozän“
des Deutschen Museums in München ab Dezember 2014 zu sehen sein.
Die ausgesprochen starke globale sowie mediale Verbreitung der Satellite Reefs lässt hoffen,
dass sich bezüglich des Klimawandels und der
stetig wachsenden Ansammlung von Plastikmüll in den Meeren Veränderungen im
Denken der Menschen ergeben, um die hierdurch besonders gefährdeten Naturphänomene
unserer Erde schützen und bewahren zu
können.
ó
Martina Nommsen,
Gabriela von Hollen-Heindorff,
Museum Kunst der Westküste, Föhr
Weitere Informationen zum HCCR-Projekt auf
www.crochetcoralreef.org, zum Museum Kunst der
Westküste auf www.mkdw.de
VORSCHAU
WISSENSCHAFT
ANWENDUNGEN &
PRODUKTE
KARRIERE, KÖPFE &
KONZEPTE
Aufbau und Funktion einer bakteriellen
Nanomaschine
Präparation von Hartgeweben und anderen
Materialien
Toxikologie-Preisträger 2014
Bildgebende Massenspektrometrie
Membranfusion für den direkten Zellimport
Wachstumskontrolle durch
Transkriptionsinhibitoren
Special: DNA-/RNA-Sequenzierung
Tissue Engineering
Im Spektrum: Vom Spinnen in der Kunst
Erscheinungstermin: 02. September 2014
BIOspektrum | 04.14 | 20. Jahrgang
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