Die Zeit − Wirtschaft : Strom aus der Welle Die Zeit, Hamburg, Germany Die Zeit, Hamburg, Germany DIE ZEIT Strom aus der Welle Das Meer steckt voller Energie. Pioniere versuchen, sie in Elektrizität umzuwandeln Von Lothar Lochmaier Walfang, Handel, Krieg das war die Vergangenheit von Stromness. Die Zukunft des kleinen Fischerdorfs liegt womöglich im Umweltschutz. Dafür spricht, dass sich das Meer vor der zweitgrößten Ansiedlung auf den britischen Orkneyinseln ständig bewegt. Und aus Bewegung lässt sich alles mögliche machen: Strom zum Beispiel. Das erste Wellenkraftwerk ist in Stromness bereits zu besichtigen: dreieinhalb Meter breit, 150 Meter lang sieht aus wie eine knallrote Wellenschlange. Sinnigerweise haben die Schöpfer ihr Werk Pelamis getauft, für griechisch: Seeschlange. Hinter deren futuristischem Äußeren verbirgt sich ein komplexes High−Tech−Innenleben. Der schwimmende Energiekonverter leitet den durch die horizontale und vertikale Wellenbewegung erzeugten Strom über ein Kabel am Meeresboden an eine Station an Land. Technisch basiert das schwimmende Kraftwerk auf einfachen physikalischen Prinzipien: Es nutzt die Dynamik der Wellen und passt sich flexibel den unterschiedlichen Bewegungsmustern an. Hydraulische Generatoren wandeln die Bewegungsenergie, die in den Wellen steckt, in elektrische Energie um. Pelamis gilt in Expertenkreisen als eines der aussichtsreichsten Projekte, Meereswellen in Strom umzuwandeln. Eine verrückte Idee? Mitnichten, sagt Kai Uwe Graw, Professor für Grund− und Wasserbau an der Universität Leipzig. Er sieht sogar Chancen für deutsche Standorte, etwa für kleinere Bojensysteme in der Ost− oder Nordsee. Für mehr bleibe wegen der wenigen schifffahrtsfreien Bereiche in den deutschen Küstengewässern allerdings kaum Platz. Der hiesige Stromversorger EnBW verkündete bereits, an einem »geeigneten Standort« das erste deutsche Meeresenergiekraftwerk bauen zu wollen. Im hohen Norden, auf den schottischen Orkneyinseln, laufen die Vorbereitungen für die Zukunft ohne Öl, Gas und Atom schon auf Hochtouren. Das im vergangenen Jahr gegründete European Marine Energy Centre (EMEC) nimmt die unterschiedlichen Prototypen für Wellenenergiekraftwerke, darunter auch Pelamis, unter die Lupe. Finanziert wird das Zentrum von der Europäischen Union und britischen Regierungsstellen. »Die potenziellen Betreiber wissen, dass die Lösungen überall einsatzfähig sind, wenn sie in diesem rauen Umfeld bestehen«, sagt EMEC−Direktor Andrew Mill. »Pelamis ist so konstruiert, dass die Schlange sogar großen Meereswellen trotzt, weil sie unter diesen hindurchtauchen kann«, sagt Max Carcas, Geschäftsentwickler bei der Konstruktionsfirma Ocean Power Delivery (OPD) in Edinburgh. Den ersten größeren Auftrag für die Wellenschlange hat Carcas bereits unter Dach und Fach. Ein Konsortium unter der Führung von Enersis, einem von Portugals führenden Energieunternehmen, investiert in diesem Jahr an der Nordküste des Landes acht Millionen Euro in den Bau eines schwimmenden Wellenenergiekonverters. Das portugiesische Projekt startet mit zwei Anlagen. Läuft alles planmäßig, wird es 1500 Haushalte mit Strom versorgen. Weitere 30 schwimmende Energieschlangen sollen dann hinzukommen, mit insgesamt 30 Megawatt installierter Leistung. Außer den schottischen Pionieren hoffen weltweit mehrere Dutzend meist kleinerer Entwicklerbüros darauf, dem Meer Energie abgewinnen und selbst Geschäfte machen zu können. Größere Investoren blieben bisher aus. Händeringend bemühen sich die kreativen Ingenieure immer wieder um frisches Wagniskapital. Dazu gehören britische Unternehmen wie SMD Hydrovision und Marine Current Turbines. Das Unternehmen will mit einem unter Wasser betriebenen zweiflügligen Rotorensystem namens Seagen die Meeresströmung zwecks Stromproduktion nutzen. Ein Prototyp arbeitet bereits an der englischen Küste. Das amerikanische DIE ZEIT 1 Die Zeit − Wirtschaft : Strom aus der Welle Unternehmen Ocean Power Technologies hat bereits mit dem spanischen Energieversorger Iberdrola eine Vereinbarung zum Bau mehrerer Wellenenergieanlagen in Frankreich und Spanien unterzeichnet. Das Bojensystem PowerBuoy soll eine Leistung von bis zu 2,5 Megawatt haben. Mit technisch ausgereiften Meeresenergieparks rechnet der Leipziger Experte Graw allerdings erst in zehn bis fünfzehn Jahren. Die Stromernte könnte im Laufe der Entwicklung trotzdem enorm sein. Der Londoner Weltenergierat hat errechnet, dass Wellen− und Gezeitenkraftwerke mehr als ein Zehntel des künftigen Strombedarfs der Menschheit decken könnten. »Wellenenergie kann durchaus zu vergleichbaren Kosten wie die Windenergie oder andere erneuerbare Energien produziert werden«, sagt der Schotte Max Carcas und hofft schon auf einen baldigen Höhenflug von Pelamis. Dass die Energiegewinnung im Meer durchaus wirtschaftlich werden könnte, hält auch Graw für plausibel. Hinter den Kulissen ist der Wettbewerb um die lukrativsten Standorte bereits entbrannt. »Schottland hat das Potenzial, zum Saudi−Arabien der Wellen− und Gezeitenkraft zu werden«, erklärt Professor Ian Brydon von der Robert−Gordon−Universität in Aberdeen. Allerdings konkurrieren die Europäer mit anderen Standorten um den Spitzenplatz, zum Beispiel in den USA. In einer Anfang dieses Jahres veröffentlichten Studie kalkuliert das amerikanische Electric Power Research Institute (EPRI), eine Non−Profit−Organisation, das Standortpotenzial vor der amerikanischen Küste auf 300 000 Megawatt das entspricht der Leistung von ungefähr 300 Atommeilern. »Wir verfolgen mit längerfristiger Orientierung unterschiedliche Energieprojekte mit Wellen− und Gezeitentechnologien«, sagt Roger Bedard, Leiter der Ozeanenergieforschung bei EPRI. Als geeignete Standorte haben die Szenarien von EPRI die Regionen Hawaii, Maine, Massachusetts, Oregon und Kalifornien identifiziert. Noch stehen die Pläne nur auf dem Reißbrett. Dass die Energiepioniere der Ozeane aber auch bei den Big Playern in der Wirtschaft zunehmend Gehör finden, bestätigt ein vor kurzem mit deutscher Beteiligung zustande gekommener Deal: Im Mai übernahm Voith Siemens Hydro aus dem schwäbischen Heidenheim die im schottischen Inverness ansässige Firma Wavegen. Die beiden Unternehmen ergänzen sich hervorragend. Die Deutschen gehören beim Bau von Wasserkraftwerken zu den führenden Unternehmen weltweit das 1990 gegründete Unternehmen Wavegen ist technologisch einer der Vorreiter beim Bau von Wellenenergiesystemen. Voith Siemens Hydro schmiedet derzeit unterschiedliche Pläne für küstennahe Wellenkraftwerke, die von Hafenbetreibern und Energieversorgern finanziert und betrieben werden könnten. DIE ZEIT, 24.05.2006 22/2006 DIE ZEIT 2