Parergon, Etui, Cover Verhüllung des Klangs: zur

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Verhüllung des Klangs: zur kritischen Theorie der Warenästhetik
von Tonträgern
Von Roger Behrens
Zwischen der ästhetischen Thematik des Parergons als ornamentales Beiwerk und
der materialistischen Theorie der Warenästhetik scheint nur eine Schwelle zu liegen;
einsteigend wäre diese Schwelle mit einem einschlägigen Hinweis Kants aus der
Kritik der Urteilskraft zum Parergon zu überschreiten. «Was man Z i e r a t e n
(parerga) nennt, d.i. dasjenige, was nicht in die ganze Vorstellung des Gegenstandes
als Bestandstück innerlich, sondern nur äußerlich als Zutat gehört und das
Wohlgefallen des Geschmacks vergrößert, tut dieses doch auch nur durch seine
Form: wie Einfassungen der Gemälde, o d e r Gewänder an Statuen, oder
Säulengänge um Prachtgebäude. Besteht aber der Zierat nicht selbst in der schönen
Form, ist er, wie der goldene Rahmen, bloß um durch seinen Reiz das Gemälde dem
Beifall zu empfehlen angebracht: so heißt es alsdann S c h m u c k , und tut der echten
Schönheit Abbruch.»1 Auch wenn Kant mit Gemäldeeinfassung, Gewand und
Säulengang ganz im Bereich der Kunst bleibt, ist es ein Weniges, hier eine erweiterte
Lesart anzumelden, die etwas ganz Alltägliches als Zierat, Parergon oder Schmuck
erfaßt: nämlich die Verpackung und Reklame als Beiwerk der Waren. So ließe sich
im Kantischen Stil formulieren: Wo das Parergon nicht selbst in der schönen Form
besteht, sondern um durch sinnlichen Reiz die Ware dem Käufer anzuempfehlen
angebracht ist, also wo es nicht gebrauchswert- sondern rein tauschwertorientiert
ist: heißt es alsdann eine sehr ausgeklügelte Form der Verpackung – und so ist hier
eine erste grobe Definition dessen gewonnen, was im folgenden als Warenästhetik
thematisiert werden soll. Das Parergon soll also hier aus der Perspektive der
Warenästhetik befragt werden: die Verpackung als das die Ware unmittelbar
Umhüllende sowie die Reklame, die in jeder Hinsicht, räumlich wie inhaltlich, von
der Ware ganz entfernt fungieren kann, konvergieren heute mehr und mehr zu einem
Verpackunsgdesignkomplex, der seine ganz eigenwilligen Formen mitbringt, der
zumindest neben der parergonalen Funktion zur Ware längst auch Eigenständigkeit
gewonnen hat. Schließlich sind mit der Verpackung und Reklame auch Phänomene
umgrenzt, denen der Mensch, sofern er im Kapitalismus wesentlich als Käufer und
Verkäufer von Waren agiert, weit häufiger, vielleicht auch bewußter begegnet als den
1
Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft, Theorie-Werkausgabe in zwölf Bänden, hrsg.
von Wilhelm Weischedel, Bd. X, Frankfurt/M. 1968, S. 306. Die kursiven Textstellen
– also auch «Parerga» – fügte Kant in der Ausgabe von 1793 hinzu.
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Rahmen und Beiwerken der Kunst. Wobei – und das steht hier ebenso zur
Disposition – sich die Frage aufdrängt, ob nicht das Verpackungsdesign selbst
schon Kunst ist; Designer jedenfalls geben ihren Produkten gerne diesen Anschein.
Ein weites Feld also, das deshalb einerseits einen erweiterten Begriff des Parergons
bedarf, andererseits einen konkret umgrenzten Gegenstand. Hier sollen in die
vorgeschlagene Theorie der Warenästhetik deshalb Überlegungen zur Emblematik
und zur Allegorie mit aufgenommen werden, die Walter Benjamin schon in den
Kontext des Verpackungs- und Verhüllungsbeiwerks stellte, nämlich in den Kontext
des Etuis, wie es im letzten Jahrhundert Mode war. Und neben der
warenästhetischen Problematisierung der Verpackung, in der Überlegungen von
Wolfgang Fritz Haug aufgegriffen werden,2 soll das Phänomen der Verpackung
über eine Philosophie des Designs thematisiert werden. Hier ist insbesondere auf
Wolfgang Welschs Aufsatz "Perspektiven für das Design der Zukunft" zu
reflektieren.3 Dies also zur methodisch-theoretischen Breite und Weite des
Untersuchungsfeldes. Der Gegenstand ist deshalb bestimmter eingekreist: es wird
um Schallplatten und ihr Hüllendesign gehen. In der Schallplattenhülle vereinigen
sich mithin Besonderheiten der musikalischen Warenform mit Allgemeinheiten der
Verpackung und der Verpackungsgeschichte.
Zunächst ein paar Stichpunkte, die das Allgemeine betreffen: Als Haug Ende der
60er Jahre seine Kritik der Warenästhetik entfaltete, betrat er nicht nur theoretisches
Neuland, sondern das praktische Feld seiner Untersuchung, eben die Verpackung,
war selbst noch relativ jung: zwar finden sich erste Werbung und
Verpackungsgestaltung schon im 19. Jahrhundert; was die Reklame angeht, so sind
Anzeigen für Bücher sogar schon seit dem 15. Jahrhundert bekannt.4 Doch eine
direkt in den Dienst von Profit und Verkauf gestellte affirmative Praxis der Reklame
und Produktpräsentation hat erst in der Nachkriegszeit ihren Ursprung: nicht länger
waren nur einige wenige Luxusgüter wie Rauchwaren und Parfüms aufwendig
umhüllt, sondern insgesamt wurde der Warenverkehr nach Richtlinien des
Marketing und der Werbung organisiert. Die Entwicklung der Massenproduktion
und zunehmende Tauschwertorientierung erforderte es, der Einzelware ein
2
Vgl. Wolfgang Fritz Haug: Kritik der Warenästhetik, Frankfurt/M. 1972.
3
Wolfgang Welsch: "Perspektiven für das Design der Zukunft", in: Ästhetisches
Denken, Stuttgart 1990, S. 201–218.
4
Vgl. Werner Sombart: Der moderne Kapitalismus, München und Leipzig 1924, Bd.
II/1, S. 410; nach: Haug, Kritik der Warenästhetik, a.a.O., S. 19.
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individuelles «Gesicht» zu geben. Neue Produktionstechniken machten die Waren –
vor allem Lebensmittel – haltbarer: zwischen Produktion und Verkauf wie auch
zwischen Kauf und Erwerb der Waren lagen immer größere Zeitspannen, in denen
nun die Ware im Schaufenster beworben oder in verzierten Dosen aufbewahrt
werden konnte. Auch waren ob der Haltbarkeit längere Transportwege möglich,
Designs fungierte.»6 In den 60er Jahren, im Zuge der Entwicklung der
Popularmusik, erhalten Schallplattenhüllen ihr heute bekanntes Aussehen; ab den
60er Jahren oblag die Gestaltung der Hüllen nicht mehr allein den
Werbeabteilungen der Plattenindustrie, sondern zunehmend waren die Musiker
dafür verantwortlich. Firmen wurden gegründet, mit denen sich Designer und
unterstützt
von
s c h ü t z e n d e n , platzsparenden u n d
leichten
Transportverpackungstechniken. Mit dem Stichwort «Funktionsdesign» kann der
Künstler auf Hüllengestaltungen spezialisierten. Die Schallplattenhülle erhielt
schließlich – auch im Zuge musikalischer Veränderungen – zunehmend eine
Beitrag der Kunst zur Verpackung und Reklame benannt werden. Schließlich, als
Bedingung wie auch schon Ergebnis eines warenästhetisch verschönerten
Funktion für das Hören: sie sollte erzählende, sinnvermittelnde Bilder zur Musik
geben, in die sich der Hörer während des Musikgenusses vertiefen konnte: gerade
Kapitalismus, spielt die Entdeckung, ja regelrechte Erfindung der Jugend als neue
Käuferschicht eine nicht unerhebliche Rolle im verpackungsdesignten
Tauschverkehr. Die Besonderheiten so mancher Verpackung, wie etwa die auf
im Bereich der elaborierten Rockmusik oder der psychodelischen Musik bekamen
Schallplattenhüllen in ihrer Gestaltung eine musikalische Wirkung, die den bloß
informativen Charakter gewichtiger Begleitexte auf den Hülle der Schallplatten
Schallplattenhüllen zu findende Emblematik, entwickelten sich zu spezifischen
Ausdrucksträgern sogenannter Jugend- und Subkulturen. Mit dem
Verpackungsdesign und den Emblemen der Produktmarken gelingt es dem
Kapitalismus ein gänzlich neues, scheinbar jenseits von ökonomischer und sozialer
Situation liegendes Identifikationsfeld zu etablieren: «Ihre wichtigsten
Identifikationserlebnisse [erwirbt die Jugend] nicht durch Arbeit oder Krieg,
Religion oder Politik, sondern im Konsum.»5 Initial des Konsums ist dabei weniger
der Tausch- noch Gebrauchswert der Dinge, sondern deren ästhetische Umhüllung,
die Verpackung und die mit ihr reklamierte Lebensweise. Gerade
Schallplattenhüllen, als Verpackungen des wichtigsten Ausdrucksträgers von
Jugendkultur, nämlich Musik, zeigen so bisweilen auch ambivalente
Doppelstrukturen auf, die es der Jugend als Käuferschicht erlauben, Produkte zu
erwerben, mit denen zugleich vermeintliche Kritik an der produktions- und
konsumorientierten Gesellschaft verkauft wird.
sogenannter Klassik weit überstiegen. Zum imaginären Konzertsaal der Musik im
Wohnzimmer kam das imaginäre Museum der Schallplattenhülle hinzu.
Tonträger wurden zunächst gar nicht, dann unbedacht verpackt. «Erst ab 1910
begann man, Schallplatten in Papierumschlägen zu transportieren und zu verkaufen.
Alle wichtigen Informationen befanden sich auf dem Label, und bald trug man
diesem Umstand durch ein Loch in der Verpackung Rechnung. Später erhielten die
Papierhüllen ausgefeiltere und kennzeichnende Designs, oft bildeten sie eine Art
Rahmen für das Label, das in vielen Fällen als Mittelpunkt eines integrierten
5
Walter Grasskamp: "Die große Maskerade. Kritik der Kulturrevolution", in: Der lange
Marsch durch die Illusionen. Über Kunst und Politik, München 1995, S. 11–54, hier
S. 20.
Gerade die Verpackung der Schallplatte zeigt eine Vielfalt, auch Bedeutungs- und
Sinnvielfalt, die die Besonderheit der Schallplatte gegenüber anderen Produkten
kennzeichnet: die Schallplattenhülle ist wohl diejenige Verpackung, um deren
Gestaltung mit Abstand am meisten Aufwand betrieben wird.7 Nicht nur das auf der
üblichen quadratischen Hülle von 31,5 cm mal 31,5 cm wohl jeder Kunststil schon
zur Anwendung gekommen ist, ebenso jede grafisch denkbare Form, jede Farbe,
jeder über die Musik hinausgehende denkbare Inhalt; es wurde oft genug versucht,
die Form der Hülle selbst zum Gegenstand der Gestaltung zu machen: es gab
durchsichtige oder zerrissene Hüllen, dreieckige oder runde; es gab Hüllen aus Jute,
Holz, Metall, Plastik. Es gab bewußt einfach produzierte, und solche, die der Käufer
sich selbst gestalten sollte. Schließlich darf nicht vergessen werden, daß wohl nahezu
jeder, der sich Musik von Schallplatte auf Kassette überspielt, schon produktiv tätig
war und sich Kassettenhüllen selbst anfertigte. «HIStory», das neuere Album des
Megastars Michel Jackson, verschlang 70 Millionen US-Dollar Produktionskosten,
10 Millionen zusätzlich kostete ein Video zur Platte und – immerhin – 2 Millionen
Dollar kostete die Gestaltung der CD-Hülle. Noch eine Eigenart der Schallplatte
besteht in ihrer Doppelstruktur als Ware und Sammlerobjekt: längst hat die
6
Dominy Hamilton: "Einleitung", in: Storm Thorgerson und Roger Dean, Das Buch
der Schallplattenhülle, Zürich 1980, S. 7–12, hier S. 8.
7
Dieser Aufwand übersteigt noch den von Buchumschlagsgestaltungen; auch ist die
Variationsbreite von Schallplattenhüllen-Gestaltungen noch höher als bei den
aufwendig verpackten Luxusgütern, etwa Parfümflakons.
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Schallplatte die Briefmarke oder die Münze als Sammlerobjekt abgelöst. Tonträger
sind das Sammlerobjekt des Spätkapitalismus.8
– Songs, Verpackung, auch Bühnenshow und dergleichen – aufeinander verweisen,
von ‹Konzeptalben›.)
Hier liegen also die Besonderheiten der Verpackung der Schallplatte gegenüber
anderen Verpackungen – Besonderheiten, die vermutlich mit den Besonderheiten des
zu verpackenden Produkts zu tun haben: aus künstlerischer Perspektive läßt sich
Gleichwohl hat die besondere Funktion der Schallplattenhülle bislang in der
Musiktheorie, auch der Popularmusiktheorie, kaum Beachtung gefunden. Nach
Hermann Rauhe gehört die Verpackung der Musik hinter den Primärkomponenten
sagen, die nicht-bildliche Musik eröffnet für die Gestaltung ihrer Verpackung eine
Bedeutungsvielfalt, die bei anderer verpackter Kunst, etwa der Literatur – mithin dem
Buch – nicht erreicht wird. Es läßt sich dies in Begriffen einer Theorie der
(Diastematik, Rhythmik, Harmonik und Form), Sekundäkomponenten
(Instrumentation und Arrangement) und Tertiärkomponenten (Interpretation,
Aufnahme- und Wiedergabetechnik) lediglich zu den Quartiärkomponenten (neben
Warenästhetik benennen: Was sich an der zu verkaufenden Musik an
«warenästhetischem Schein» zuträgt, kann keine Oberflächengestaltung der Musik
sein, denn Musik hat keine Oberfläche und ist als Kunstform selbst schon Schein.
Werbung, Lancierung).11 Soweit Adorno die Verpackung der Musik überhaupt
berücksichtigen konnte (immerhin war das Verpackungsdesign hier erst in den
Anfängen), rechnet er sie zu den «Epiphänomenen»;12 – wenn Adorno in der
Die Warenästhetik «beginnt daher nicht, wie bei Lebensmitteln, bereits mit der
Oberflächengestaltung des Gebrauchsobjektes, sondern erst mit der Verpackung
(etwa der Schallplattenhülle).»9 Welche Bedeutung die Schallplattenhülle für die
Musik hat, zeigt sich unter anderem anschaulich daran, daß die Bezeichnung
‹Album› in der Popularmusik zu einem musikalischen Terminus avanciert ist:
Schallplattenalben waren in den frühen 20er Jahren aufklappbare Sammelbücher10,
in denen klassische Werke zusammengestellt waren (Schallplatten hatten seinerzeit
nur ungefähr fünf Minuten Spieldauer, weshalb etwa Symphonien über mehrere
Platten verteilt werden mußten). Die Rockmusik hat die aufklappbare
Schallplattenhülle nun wiederentdeckt, da sie besonders viel gestalterischen Freiraum
bietet; zugleich bezeichnet man mit ‹Album› nicht nur die Hülle der Schallplatte,
sondern die Musik einer Schallplatte. Das Album ersetzt geradezu den Werkbegriff
in der populären Musik. (So spricht man in der Popmusik bei Tonträgern, die eine
in sich geschlossene Arbeit darstellen, wobei die einzelnen Elemente der Produktion
Einleitung in die Musiksoziologie vom Warencharakter der Musik spricht, so meint
er weniger deren Veröffentlichung auf Tonträger als vielmehr die musikalischen
Formen, die sich Markterfordernissen anpassen.13 Der britische Musiksoziologie
Simon Frith kommt zu dem merkwürdigen Schluß, es gäbe «zwar nur wenige
8
Vgl. zur Thematik des Sammelns: Walter Benjamin: Das Passagen-Werk, in:
Gesammelte Schriften, hrsg. von Rolf Tiedemann, Bd. V.1., Frankfurt/M. 1991,
Konvolut H, S. 269ff. bes. S. 271f. und S. 274f. Der Schallplattensammler zeigt
wohl Ähnlichkeit zum Büchersammler, den Benjamin als «einzigen» nennt, «der seine
Schätze nicht unbedingt aus ihrem Funktionszusammenhang gelöst hat.» (S. 275)
9
Hans-Jürgen Feurich: "Warengeschichte und Rockmusik", in: Wolfgang Sandner
(Hg.): Rockmusik. Aspekte zur Geschichte, Ästhetik, Produktion, Mainz 1977, S.
53–80, hier S. 59. Inwiefern sich eine Warenästhetik auch in der Musik schon im
Warending selbst strukturell verkörpert, kann hier nicht ausgeführt werden, vgl.
allerdings Anm. 13.
10
Ein Querverweis zum Sammeln: das Wort «Album» ist als «Sammel- oder
Gedenkbuch» seit dem 17. Jahrhundert als Fremdwort bezeugt.
11
Vgl. dazu als Überblick: Liviu von Braha: Phänomene der Rockmusik,
Wilhelmshaven 1983, S. 22ff. Von Braha bezieht sich auf: Hermann Rauhe,
Popularität in der Musik, Karlsruhe 1974. Dörte Wiechell schlägt in: Pop-Musik,
Analysen und Interpretationen, Köln 1974, S. 119, eine mit den Rauheschen
Tertiärkomponenten beginnende Interpretation vor.
12
Theodor W. Adorno: Einleitung in die Musiksoziologie. Zwölf theoretische
Vorlesungen, in: Gesammelte Schriften, hrsg. von Rolf Tiedemann, Bd. 14,
Frankfurt/M. 1997, S. 398: «Die gesellschaftliche Distribution und Rezeption der
Musik ist bloßes Epiphänomen; das Wesen ist die objektive gesellschaftliche
Konstitution der Musik in sich … Denn die Fragen, die sie [die Musiksoziologie,
Anm. R.B.] an Distribution und Rezeption der Musik heranbringt, wären selber zu
determinieren von denen nach dem gesellschaftlichen Gehalt der Musik und von der
theoretischen Interpretation ihrer Funktion.» Notizen zur Schallplatte finden sich bei
Adorno in: "Nadelkurven", in: Gesammelte Schriften (Musikalische Schriften VI), S.
525–529.
13
Adorno: Einleitung in die Musiksoziologie, a.a.O., S. 213: «Jeder einzelne Schlager
ist die Reklame seiner selbst, die Anpreisung seines Titels.» Und S. 225:
«Lebensbejahung … ist prinzipiell ihre [die Musik, Anm. R.B.] Funktion heute, die
einer Sparte in der allgemeinen Reklame für die Welt, deren es um so mehr bedarf, je
weniger die aufgeklärten Menschen der Positivität des Bestehenden zuinnerst
vertrauen.» Freilich ist es nur ein kleiner Schritt, diesen Mechanismus, der die Musik
zur Reklame ihrer selbst macht, in den faktischen Kontext der Produktwerbung wie
etwa die Promotion-Tounee, die Musikwiedergabe in Rundfunk, Fernsehen, Film und
Video und schließlich die Schallplatte zu stellen. Vgl. Feurich: "Warengeschichte und
Rockmusik", a.a.O., S. 61.
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Anhaltspunkte dafür, daß die Hüllen irgendeine Auswirkung auf den Verkauf einer
Platte haben,»14 räumt aber ein: «Die Geschichte der Rockmusik ist … mit
Veränderungen der Verpackungsmethoden verbunden.»15 Gleichwohl besteht
Einigkeit darin, daß die Schallplatte selbst die bestimmende ökonomische Form der
Musik ist. Bei Frith heißt es: «Die Warenform der Musik ist die Schallplatte …
Schallplatten sind ein Mittel der kulturellen Herrschaft.»16 Frith folgert daraus einen
immanenten Widerspruch der Rockkultur, der durch die Dialektik von «echter», also
Live-Musik und verpackter Schallplattenmusik bestimmt wird: «Rockkultur wird
durch einen kommerziellen Prozeß vermittelt, der seinem Wesen nach
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Arbeiten zur Popularmusik exemplarisch sind –, die die massenkulturell produzierte
und verbreitete Musik derart unter dem Verdikt der Ware stehen sieht, daß alle
Wege aus der Warenlogik heraus versperrt scheinen: hier sind Verbindungslinien zu
einem emanzipatorischen Potential, welches unter Umständen gegen oder trotz des
Zur-Ware-Werdens von Kunst denkbar ist, abgeschnitten.
Für diesen Ansatz steht auch die Theorie der Warenästhetik, wie sie Wolfgang Fritz
Haug entwickelt hat. Während in der Theorie Adornos vom Verfall der Kunst zum
bloßen Massenprodukt die ästhetischen Prozesse zunehmend ökonomisch
widersprüchlich ist … Die Live-Musik wird in den Dienst des Plattenverkaufs
gestellt.»17
determiniert erklärt werden, geht Haug vom ökonomischen Standpunkt aus; was
Haug Ästhetik nennt, fungiert dabei nicht als vorrangig im Bereich der Kunst
verortbare Wahrnehmungsreflexivität, nicht als besondere Form der Urteilskraft,
Die Musik, ihre Schallplattenaufnahme und deren Verpackung scheint als Komplex
mehr als andere Produkte und deren Verpackungsbeiwerk durch eine eigentümliche
Dialektik ökonomischen Seins und ästhetisch-kulturellen Scheins geprägt zu sein.
So liegt es nahe, daß selbst bei den genauen und umfangreichen Untersuchungen
zur Musik deren ökonomisch-kommerzielle Vernetzung und Vernutzung oft vom
musikalisch-ästhetischen Ausdruck abgekoppelt wird.18 Das heißt, die ästhetischen
Qualitäten der Musik werden von den der ökonomischen Verteilung getrennt
betrachtet. Andererseits gibt es aber auch die Perspektive – für die etwa Adornos
sondern verlängert die Marxsche Theorie vom Fetischcharakter der Ware
hinsichtlich ihres Erscheinens in der Zirkulationssphäre. Ästhetik meint Schein.19
Mit Adorno teilt Haug die Ansicht, daß der Mensch dem Scheincharakter der
Kunstwaren in totaler Weise anheimfällt, hat er sich als Käufer einmal auf die
verblendende Struktur ökonomisch verwalteter Massenkultur eingelassen. Haug
übersieht also die historische Dialektik der Warentauschgesellschaft,
beziehungsweise kritisiert er Ansätze, die auf solche Dialektik insistieren; dies
betrifft Marcuses Hoffnung auf die Große Weigerung gegen die
Konsumgesellschaft, vor allem aber Benjamins Warentheorie.20
14
Simon Frith: Jugendkultur und Rockmusik. Soziologie der englischen Musikszene,
übersetzt von Hans-Hinrich Harbort, Reinbek bei Hamburg 1981, S. 104.
15
Simon Frith: Jugendkultur und Rockmusik., a.a.O., S. 103f.
16
Simon Frith: Jugendkultur und Rockmusik., a.a.O., S. 86.
17
Simon Frith: Jugendkultur und R o c k m u s i k . , a.a.O., S . 86. Auf
Schallplattenindustrieerfolge ist vielfach hingewiesen worden. Exemplarisch hier: Peter
Wicke: Anatomie des Rock, Leipzig 1987, 83ff., bes. 89: In der Zeitschrift "Billboard"
war 1968 zu lesen: «Wie haben Marketing-Studien der Musikindustrie durchgeführt
und Anzeichen für ein unbegrenztes Wachstumspotential in diesem Bereich
konstatieren können.» Vgl. auch: Peter Wicke: Rockmusik. Zur Ästhetik und
Soziologie eines Massenmediums, Leipzig 1987, S. 161ff.
18
Nocheinmal dazu Peter Wicke: Rockmusik, a.a.O., S. 169: «Ein Zugang zur Musik,
in welcher Form auch immer, ohne dem EMI-Konzern Profite zu bringen, ist in
Großbritannien de facto unmöglich – und sei es nur durch das Wechseln der Batterien
des Kassettenrekorders.» Die konzentrierte und imperiale Organisation der Hi-FiIndustrie und Schallplattenfirmen ist undurchdringbar, durchzieht den Besitz von
Kinos, Rundfunkstationen, Musikzeitschriften, elektronischen Bauteilen,
Instrumentenfabriken etc. Dies, so Wicke, wirft die Frage nach dem Produzenten des zu
vermarktenden Produkts erneut auf: Wer produziert hier eigentlich was?
Haug betrachtet seine Kritik der Warenästhetik als Weiterentwicklung der
Marxschen Kritik der politischen Ökonomie. Marx’ ökonomischen
Grundannahmen eines vielfältig antagonistisch organisierten Tauschverkehrs sind
auch Haugs Grundannahmen. Warenästhetik – Verpackungsdesign und Reklame –
stellt eine höhere Form der ökonomischen Grundwidersprüche dar, nämlich eine
19
Vgl. Haug: Kritik der Warenästhetik, a.a.O., S. 17: «Das Ästhetische der Ware im
weitesten Sinne: sinnliche Erscheinung und Sinn ihres Gebrauchswert …»
20
Daß Haug zu derart pessimistischen Einschätzungen kommt, hat wohl mit der Gewalt
des untersuchten empirischen Materials zu tun; wie kein anderer hat Haug sich zu
dieser Zeit mit sozialphilosophischer Fragestellung in den 60er Jahren den konkreten
Ausformungen der Ideologie des Kapitalismus zugewandt, hat Anzeigen und
Zeitschriften ganz im Benjaminschen Stil untersucht. Ebenfalls mit Adorno teilt er die
Ansicht, der gegenwärtige ökonomische Zustand sei monopolkapitalistisch. Zu
Marcuse: vgl. Haug: "Das Ganze und das ganz Andere. Zur Kritik der reinen
revolutionären Transzendenz", in: Bestimmte Negation. "Das umwerfende
Einverständnis des braven Soldaten Schwejk" und andere Aufsätze, Frankfurt/M. 1973,
S. 94–122.
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Möglichkeit, den ökonomischen Strukturzusammenhang zumindest zeitweilig zu
verdecken. Haug spricht deshalb von der «Warenästhetik als Scheinlösung des
Widerspruchs von Gebrauchswert und Tauschwert.»21 Dieser Widerspruch besteht
darin, daß der Tauschwert dem Gebrauchswert der Ware übergeordnet,
beziehungsweise umgekehrt Sinnlichkeit und Genuß dem Kapitalisierungsprozeß
Vorgang bestimmt durch einen Prozeß der «äußeren Verschönerung», der
«Gestaltung der funktional abgelösten Oberfläche der Sache», wie Haug es nennt.
Dieses ist möglich, weil durch den Tauschvorgang selbst schon ein
Abstraktionsprozeß eingeleitet ist, den Haug «ästhetisch» nennt, ausgehend von
Marx‘ Bestimmung der Ware als «sinnlich übersinnliches» Ding:25 «Die
untergeordnet sind. Hierbei treten der Warenverkäufer, der auf dem
Tauschwertstandpunkt steht, und der Käufer, der den Gebrauchswertstandpunkt
ästhetische Abstraktion der Ware löst Sinnlichkeit und Sinn der Sache, die als
Tauschträger fungiert, von dieser ab und macht sie getrennt verfügbar.»26 Der
vertritt, in Widerspruch zueinander. Für den Warenverkäufer scheint dieser
Widerspruch nur lösbar, indem über den Tauschvorgang den Waren ein scheinbarer
bündigste Begriff, mit dem Haug diesen Prozeß der Warenästhetisierung beschreibt,
entwickelt er in Anlehnung an Benjamin: Ästhetisierung als
Gebrauchswert beigegeben wird. Dieser kann real sein, wird aber – so Haug –
zunehmend zu einem «Gebrauchswertversprechen».22 Entweder, weil durch den
ökonomischen Druck der Kapitalist gezwungen ist, von der Ware tatsächlich aus
«Ausdrucksabstraktion».27
lösen;23
Kostengründen ihre Gebrauchsfunktion zu
oder es wird über das
Gebrauchswertversprechen direkt in die Bedürfnisstruktur des Käufers eingegriffen
und eine neue Ware mit neuem Gebrauch erfunden.24 In beiden Fällen ist dieser
21
Haug: "Die Rolle des Ästhetischen bei der Scheinlösung von Grundwidersprüchen der
kapitalistischen Gesellschaft", in: Das Argument Nr. 64, 13. Jg. (Juni 1971), Heft 3,
S. 190–113, hier S. 194.
22
Haug: Kritik der Warenästhetik, a.a.O., S. 60.
23
Von der Schellackplatte über das Vinyl bis zur CD kann nur eine
produktionstechnische Verschlechterung in Sachen Haltbarkeit festgestellt werden,
auch wenn Klangqualität und Speicherkapazität zunächst dagegen sprechen. Vgl.
Adorno: "Nadelkurven", a.a.O., S. 525: «An Sprechmaschinen und Schallplatten
scheint in Geschichte das gleiche sich zuzutragen wie vormals an Photographien: der
Übergang von der Manufaktur zum industriellen Betrieb verändert mit der Technik der
Verbreitung zugleich das Verbreitete … Die Platten, aus verändertem Gemisch jetzt
gefertigt, verbrauchen sich rascher als die alten; die verschwundenen Nebengeräusche
leben im grelleren Ton der Instrumente und des Gesangs fort. Nicht anders hat
Geschichte aus den Photographien die schüchterne Beziehung zum sprachlosen Objekt
verjagt, die in Daguerreotypien noch waltet … Kunstgewerblichen Korrekturen des
kalkulablen Qualitätsverlustes widerstreitet die reale ökonomische Situation.»
24
Feurich spricht unter Berufung auf Adorno in diesem Zusammenhang vom Kitsch als
zusätzlicher Gebrauchsfunktion, "Warengeschichte und Rockmusik", a.a.O., S. 64:
«Eine ästhetische Kategorie, die diesen Funktionswandel erfaßt, ist die des Kitsches.
Denn was ihn von dem bloß Trivialen unterscheidet, ist eben der Zuwachs an
Gebrauchswerten: d.h. an prätentiösen Bild- und Gefühlskomplexen, die die Menschen
in ihren dauerhaft unbefriedigten Wünschen ausbeuten und an diese zugleich Angebote
zu temporären Befriedigungserlebnissen heften … Der Kitsch erweist sich in diesen
Analysen [Adornos, Anm. R.B.] als musikalisch-ästhetische Variante desjenigen
Assoziationsvokabulars, mit dem die Produktbild-betonende Werbung den primären
Hans-Jürgen Feurich hat hinsichtlich von Schallplattenhüllengestaltung in
Anlehnung an Haug formuliert: «Erst mit der Verpackung wird ein Konsumartikel
zum Markenartikel, d.h. zu einem mit einem gesetzlich geschützten Namen
versehenen Produkt, das, in seiner Marktindividualität nicht mehr substituierbar, sich
tendenziell dem Druck der Gebrauchswertkonkurrenz zu entziehen vermag.»28 Und:
«Das optimale Ziel jeder Absatzpolitik, den Substitutionsspielraum einer
musikalischen Ware ohne Rückwirkungen auf deren Popularität zu reduzieren,
verlangt daher die Verlagerung der Originalität aus dem innermusikalischen
Strukturzusammenhang in den Sound, vor allem aber in die außermusikalische
Darbietungsform,»29 repräsentiert durch die Schallplattenhüllengestaltung. Einher
Gebrauchscharakter einer Ware verschmilzt und sie so um scheinbar zusätzliche
Gebrauchsfunktionen anreichert.»
25
Karl Marx: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band, in: MarxEngels-Werke, hrsg. vom Inst. für Marxismus-Leninismus beim ZK d. SED, Bd. 23,
Berlin 1959, S. 86.
26
Haug: Kritik der Warenästhetik, a.a.O., S. 60; vgl. zur Musikentwicklung auch:
Feurich: "Warengeschichte und Rockmusik", a.a.O., S. 57f.: «Kants Unterscheidung
zwischen dem Wohlgefallen am Schönen und dem Wohlgefallen am Angenehmen, die
das historische Auseinandertreten von Sinnlichkeit und ästhetischem Sinn in der
Kunstentwicklung vor allem des Rokoko begrifflich mitvollzieht, wäre ohne den
Hintergrund der versinnlichten Warenwelt des 18. Jahrhunderts historisch kaum
verstehbar, zu deren spezifischen Erscheinungen die gegenständliche Luxusproduktion
im Rokoko und die sich zunehmend verbreitenden Reiz- und Genußmittel ebenso
gehören wie die Sprache der ‹Empfindsamkeit› und die sonstigen Reizelemente, ohne
die der Markterfolg der Telemannschen Musik kaum erklärbar wäre.»
27
Vgl. Haug: Kritik der Warenästhetik, a.a.O., S. 172f.
28
Feurich: "Warengeschichte und Rockmusik", a.a.O., S. 58.
29
Feurich: "Warengeschichte und Rockmusik", a.a.O., S. 75.
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geht das mit dem, was Adorno als das «Waren-Hören» bezeichnet hat: «Die
Unterschiede in der Rezeption der offiziellen ‹klassischen› und der leichten Musik
haben keine reale Bedeutung mehr. Sie werden einzig noch aus Gründen der
Absatzfähigkeit manipuliert: Dem Schlagerenthusiasten muß ebenso versichert
werden, daß seine Idole nicht zu hoch für ihn seien, wie dem Besucher der
Tanz und Motorik»33 zu sehen, kann durchaus positiv gedeutet werden; immerhin:
solche Rudimente werden in der Popmusik auch durch das Bandkollektiv aktiviert.
Selbst bei Elvis Presley, der gleich mehrere der Stereotypen auf sich vereinigt, gibt
es solche Spannungsreste: wenn wir vom «King of Rock ’n’ Roll» reden, bedienen
wir zwar den eigentlich gröbsten Stereotyp, wie er warenästhetisch auch schnell
Philharmoniker sein Niveau bestätigt.»30 Nun können zweifelsohne auch graphische
Elemente als Stereotypen dienen; gerade der Darstellung von Musikern wird hierbei
seinen Ausdruck auf den Plattenhüllen hat – und doch ist in dieser Rede vom König
in unbezweifelbar postfeudalen Verhältnissen ebenso Wunsch enthalten; der
aber besondere Bedeutung beigemessen. Feurich spricht von einer «optischen
Aufwandskonkurrenz», die durch «Individualisierung der Produkte» gelingt, indem
Wunsch nach dem König, wie man ihn vom Märchen kennt. Überhaupt ist, um
solche Spannung in der Warenästhetik einmal festzuhalten, die Bilderwelt der
man dem Musikstar eine gewisse Exzentrik und Virtuosentum zubilligt, die
geschichtlich mit Paganini ihren ersten Höhepunkt hat.31 Was Helmut Rösing für
die Darstellung von Musikern im Fernsehen festhält, kann durchaus auch für die
Schallplattenverpackung mit sehr viel Anleihen aus der Fabelwelt, dem
Mittelalterlichen, auch dem Totenreich bestückt.
Darstellung auf Schallplattenhüllen übertragen werden: «Besonders beliebt sind
Halbportraits oder gar Gesichtsausschnitte von Dirigenten und Solisten, die, wenn
sie ihre Sache gut machen, durchaus schauspielerische Attitüden annehmen: geschlossene Augen und leicht lächelnd entspanntes Gesicht, grimmiges Furioso zu
zusammengepreßten Lippen und unheilvoll herabgezogenen Augenbrauen,
motorische Ekstase mit wehendem Haar und einigen Schweißperlen auf der Stirn.
Man fühlt sich unweigerlich erinnert an Karikaturen, wie sie z.B. von Liszt als
Klavierspieler und Dirigent existieren, mit dem entscheidenden Unterschied freilich,
daß das hier gar nicht als Karikatur gemeint ist.»32 Diese Stereotypen finden sich
ebenso auf Schallplattenhüllen. Doch führt solche Stereotypenbestimmung letztlich
nicht dazu, in jeder bildlich-künstlerischen Darstellung Stereotypologien ausmachen
zu können? Existieren hier nicht auch Reste oder mindestens Spannungen, die über
den Stereotyp hinausweisen? Rösings Hinweis etwa, im Dirigenten – vor allem in
seiner Zeichengebung – «Rudimente dieser urtümlichen Verbindung von Musik,
30
Adorno: Dissonanzen. Musik in der verwalteten Welt, in: Gesammelte Schriften,
a.a.O., Bd. 14, S. 21; vgl. auch Feurich: "Warengeschichte und Rockmusik", a.a.O.,
S. 76: «Beispielhaft hierfür ist die Hüllengestaltug von Schallplatten im Bereich des
Schlagers oder der kommerziellen Popmusik: Anders als etwa auf dem Gebiet der
autonomen Musik sind auf ihnen nur ausnahmsweise musikbezogene Kommentare
abgedruckt.»
31
Vgl. Feurich: "Warengeschichte und Rockmusik", a.a.O., S. 73ff., S. 76f.
32
Helmut Rösing: "Zur Rezeption technisch vermittelter Musik. Psychologische,
ästhetische und musikalisch-funktionsbezogene Aspekte", in: Hans Christian Schmidt
(Hg.): Musik in den Massenmedien Rundfunk und Fernsehen. Perspektiven und
Materialien, Mainz 1976, S. 44–66, hier S. 55.
Dieser Blick auf die Warenästhetik, der die Oberflächengestaltung nach Stereotypen
bestimmt, entspricht weitgehend der Haugschen Theorie, die keinen Ausweg kennt –
und schon gar nicht innerhalb der Ware selbst diesen Ausweg vermutet. Haug
bindet hier seine Untersuchungen zum Teil an eine analytische Methodik, die –
wenn man so will – selbst schon Züge des Stereotypen trägt: die Koppelung der
warenästhetischen Ausdrucksabstraktion an die psychische Struktur libidinöser
Kräfte. Durch «Liebesreize» werden die Waren zum Zwecke ihrer Verwertung
ästhetisch optimiert. Auf die Frage, wie sich die Warenästhetik beim Menschen
durchsetzt und manifestiert, antwortet Haug, die Waren entlehnen «ihre ästhetische
Sprache beim Liebeswerben der Menschen … Starker ästhetischer Reiz, Tauschwert
und Libido hängen aneinander wie die Leute in der Geschichte von der goldenen
Gans, und wertvoll werden die Ausdrucksmittel, sie kosten auch ein Vermögen.»34
Die besondere warenästhetische Strategie der Sexualisierung scheint in der
Popmusik ein spezifisches Verdichtungsfeld gefunden zu haben – schon Adorno
und Horkheimer sprachen in der Dialektik der Aufklärung diesbezüglich vom
Pornographischen in der Kulturindustrie. Haug widmet sich in seiner Untersuchung
der ausführlichen Analyse des Plattencovers von R OLLING S TONES ’ "Sticky
Fingers", gestaltet von Andy Warhol. «Die Hülle der Platte zeigt hautenge, von
einem Schmalhüftigen getragene Jeans vom Gürtel abwärts bis zum oberen Drittel
der Schenkel. Der Stoff der Hose macht sich … zum betont anschmiegsamen
Material, unter dem sich der Körper abzeichnet.»35 Warhol sei aber nicht der
Aufklärer, der die Warenästhetik und -logik auf die Spitze treibe. Haugs Urteil:
33
Rösing: "Zur Rezeption technisch vermittelter Musik", a.a.O., S. 54.
34
Haug: Kritik der Warenästhetik, a.a.O., S. 20.
35
Haug: Kritik der Warenästhetik, a.a.O., S. 112.
Behrens: Parergon, Etui, Cover
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«Nicht nur entlarvt Warhol die Warenästhetik auf eine Weise, die ihre Larve wieder
nur als Werbung fungieren läßt, die raffinierter ist als die entlarvte. Schlimmer noch:
auf diese Weise teilt die angeblich mit ihren eigenen Mitteln unterlaufene
Warenästhetik Zynismus mit, der mit der Enttäuschung darüber verschmilzt, daß
man nur mehr Verpackung in den Händen hält.»36 So richtig dieses Urteil in der
(‹transversale›) Identitäten schaffen.»39 Haug und Welsch argumentieren geradehin
diametral: was Haug aufgrund der ästhetischen Abstraktion der Ware an Auflösung
des Zusammenhangs von Sinn, Sinnlichkeit und Bedeutungssinn prognostiziert,
erkennt Welsch als die Möglichkeit eines pluralen Designs schlechthin. Noch
einmal mit Rückblick auf die Kritik Salzingers an Haug läßt sich ebenfalls für
Grundkritik auch sei, so ist es doch in bezug auf die soziale und letzthin
sozialgeschichtliche Logik der Ware und ihrer Ästhetik eindimensional. «Haugs
Welsch sagen, daß er ‹Design› vom Funktionszuammenhang des Produktes löst
und die Sache nicht als Einheit begreift. Desweiteren treffen sich Haug und Welsch
Einwände gegen die Verpackungsästhetik,» kritisiert Helmut Salzinger Haugs
Analyse des ROLLING -S TONES -Covers, «sind deshalb undialektisch, weil er
darin, daß bei dem einen die warenästhetischen Objekt der Verpackung wie bei dem
anderen die Designobjekte unbemerkt zu Kunstwerken geraten. Auch wenn Haug
übersieht, daß die Verpackung in diesem Zusammenhang bereits selber Inhalt
geworden ist. Das Album ist nicht bloß die Platte, sondern die Platte in einem
ästhetischen-funktionalen Kontext, der das ganze Ding, das Album, zur eigentlichen
die ökonomischen Verhältnisse zur Grundlage seiner Untersuchung macht und
Welsch sich direkt an Designer, als ‹Produzenten› wendet, ist doch – wie
grundsätzlich zu kritisieren wäre – fast nichts «über die Produktionsverhältnisse zu
Ware macht.»37 Gleich ob warenlogisch unabdingbar verstrickt oder nicht, so muß
doch zumindest vermerkt werden, daß die Popgruppen zum Teil aus ganz banalen
ästhetischen Gründen sich für eine bestimmte Hüllengestaltung entscheiden.
Nichtsdestotrotz kann diese designästhetische Perspektive eine Verkürzung
bedeuten, der vielleicht viele Künstler obliegen.
erfahren, unter denen die Designobjekte entstanden sind.»40 Schließlich ist bei
beiden auch nichts, um mit Selle weiter nachzuhaken, über «die
Rezeptionsverhältnisse und über die Regeln des historisch-tatsächlichen Gebrauchs»
zu erfahren: bei Haug ist der Rezipient auf die Dualität von Warenverkäufer und
Käufer reduziert; Welsch vermutet den Menschen in einem allein theoretisch
deduzierten und empirisch kaum überzeugenden postmodernen «Leben im
Plural».41 Welsch kann seine affirmative Perspektive auf das Design nur
formulieren, weil sich mittlerweile ein Wissen um die manipulative Wirkung von
Werbung und Verpackung, von Produktdesign also, etabliert hat, das glaubt der
Warenästhetik dadurch zu entkommen, indem man deren Mechanismen in
durchschauender Erklärung affirmiert.
Während für Haug das Urteil über Design insgesamt krass ausfällt, schlußfolgert
Welsch aus den Umständen, die Haug für die Warenästhetik maßgeblich hält, eine
noch gar nicht voll ausgeschöpfte Pluralität und Transversalität der Bedeutungen.
Dies macht einen Vergleich interessant. Bei Haug ist zu lesen: «Das einzige Design
– also der einzige Plan –, der fürs Kapital zählt, ist das Profitstreben … In
kapitalistischer Umwelt kommt dem Design eine Funktion zu, die sich mit der
Funktion des Roten Kreuzes im Krieg vergleichen läßt … Es betreibt Gesichtspflege
und verlängert so, indem es an einigen Stellen verschönernd wirkt und die Moral
hochhält, den Kapitalismus wie das Rote Kreuz den Krieg. Das Design hält so
durch eine besondere Gestaltung die allgemeine Verunstaltung aufrecht.»38 Dagegen
ist bei Welsch zu lesen: «Das Design muß bewußt viele und unterschiedliche Wege
gehen. Es muß die Pluralität zu schätzen und zu artikulieren lernen. 2. Das Design
muß nicht nur soziale, nationale, lokale oder unternehmerische Identitäten
berücksichtigen, sondern auch Kristallisationspunkte für neue, querlaufende
36
37
38
*!*!*
«Die Spannung zwischen Emblem und Reklamebild läßt
ermessen, welche Veränderungen seit dem XVII Jahrhundert mit
der Dingwelt vor sich gegangen sind.»42
Eine Theorie der Verpackung als emblematisches Beiwerk zur Ware, als Parergon,
welches zur Einheit der Ware gehört und diese aber doch im ästhetischen Schein
39
Welsch: "Perspektiven für das Design der Zukunft", a.a.O., S. 215.
Haug: Kritik der Warenästhetik, a.a.O., S. 112f.
40
Vgl. Helmut Salzinger: Swinging Benjamin. Erweiterte Neuausgabe, Hamburg 1990,
S. 104ff., hier: S. 106.
Gerd Selle: Die Geschichte des Designs in Deutschland von 1870 bis heute.
Entwicklung der industriellen Produktkultur, Köln 1978, S. 8.
41
Vgl. Welsch: "Perspektiven für das Design der Zukunft", a.a.O., S. 215.
Haug: Kritik der Warenästhetik, a.a.O., S. 174f.
42
Benjamin: Das Passagen-Werk, a.a.O., S. 440.
Behrens: Parergon, Etui, Cover
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übersteigt, soll hierbei entfaltet werden. Dabei gilt es nicht nur die Dialektik im
dinghaften Bereich der Ware zu berücksichtigen, also bezüglich der Schallplatte die
Musik, das Vinyl und die Hülle, sondern auch gerade die durch das Parergonale
provozierten Sozialformen von Subkulturen. Mit Seitenblick auf die Warentheorie
Walter Benjamins soll diese Dialektik der Verpackung als Parergonales
entschlüsselt werden. Der Besonderheit der Schallplattenhülle kann sich dabei
zunächst auf der phänomenalen Ebene mit Benjamin angenähert werden, nämlich in
ihrer Funktion als Schutzhülle, als Etui, als Cover. Als Verpackung, die nicht nur
Reklamezwecken dient, sondern zugleich auch das Produkt schützt, erfüllt das Etui
eine eigenständige Funktion. Die historischen Wurzeln für die Schutzbedürftigkeit
der Dinge hat Benjamin für das 19. Jahrhundert nachgezeichnet: «Die
Umfunktionierung der Allegorie in der Warenwirtschaft ist darzustellen… [Dazu
der bürgerliche Versuch], die Ware auf sentimentale Art zu vermenschlichen: der
Ware, wie dem Menschen, ein Haus zu geben [vgl. Anhang 3: Die Werbung spricht
in Punkt 4 von der Wohnlichkeit der Schallplatte]. Das versprach man sich damals
von den Etuis, den Überzügen und Futteralen, mit denen der bürgerliche Hausrat der
Zeit überzogen wurde.»43 Durch den Funktionalismus der Moderne verschwinden
die Etuis, so Benjamin. Heute zeigt sich jedoch, daß die Etuis gerade dort fortlebten,
wo die technischen Apparaturikonen des funktionalen Fortschritts im Alltag
anzutreffen sind, zum Beispiel der Schallplatte. Im Sinne einer Metaphysik der
Mode läßt sich auch bei der Schallplattenhülle vom Kleid der Ware sprechen – im
Englischen spricht man von dem «jacket design» der Hülle –, das durchaus seine
Moden hat. Die Schallplatte verschwinded nicht gleich in der bedruckten
Kartonhülle, sondern in einem weicheren Papiercover;44 dieses ist bisweilen
zusätzlich innen mit Plastikfolie ausgeschlagen. Der echte Sammler schützt zudem
seine Schallplattenhüllen mit einer festen Plastikhülle; – bei CDs ist es nicht
unüblich, die kratzempfindliche Plastikhülle in einer Pappbox zu schützen. Wie sehr
diese Schutzfunktion des Covers schließlich eine eigene Form- und Bildsprache
entwickelt, die weit über die Schutzbedürftigkeit des Tonträgers hinausweist, zeigt
sich interessanterweise darin, daß bislang alle Versuche scheiterten, Sammelalben für
Schallplatten, Kassetten oder CDs in den Verkehr zu bringen, in denen die Tonträger
ohne Hülle platzsparend einsortiert werden können – auch die neuen CD43
Benjamin: Zentralpark, in: Gesammelte Schriften Bd. I.2, a.a.O., S. 671.
44
Diese Innenhülle hat auch Reklamefunktion: es werden katalogartig die im Programm
des Plattenlabels vertriebenden Schallplatten beworben. Oft wird sie auch in die
Hüllengestaltung mit einbezogen und erhält weitere Informationen zur Musik (Texte
und Fotos zum Beispiel).
Behrens: Parergon, Etui, Cover
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Abspielgeräte, in denen mitunter 200 oder mehr CDs Platz binden, scheinen den
Hörer nicht richtig motivieren zu können, sich der CD-Hüllen zu entledigen.
Die eigene Form- und Bildsprache der Schallplattenhülle ergibt sich aus dem
doppelten Rätselcharakter dieser Ware: Rätsel ist sie in ihrer phantasmagorischen
Warenform, aber auch als Musik. Dieser Rätselcharakter ist dabei offensichtlich:
kaum ist verstehbar, geschweige denn sichtbar, wie auf den schwarzen
Vinylscheiben, den matt-braunen Tonbändern oder den silberfunkelnden CDs
Musik sein kann: von der Form her können nur mit technischem Gerät
Rückschlüsse auf den Inhalt gezogen werden.45 Deshalb verbindet sich mit der
Schallplattenhülle immer auch ein Moment von Überraschung und Geschenk – auf
der Hülle wird dem Rätselcharakter keineswegs entgegengewirkt, sondern im
Gegenteil verdichtet er sich zum emblematischen Rebus. Wo die Musik ihren
Rätselcharakter verliert, wird auch die Verpackung dieser Musik zunehmend
unaufwendiger gestaltet. Dies ist nicht nur bei den produktionskostensparenden
Serien («The best of …») oder den dezent-serious wirken wollenden
Klassikeinspielungen (die Gestaltung der «Deutsche Grammophon»-Tonträger
dürfte einiges zur Kanonisierung des Klassikbegriffs beigetragen haben) auffällig,
sondern vor allem anhand der Tonträgergestaltung der zwei Lager sogenannter
Technomusik: während die einen durch billigste computergrafische Tricks und
fraktale Geometrie die Hüllen ornamental überfrachten, setzen die anderen auf
absolute Informationsreduktion, so daß bisweilen nicht einmal die Musikernamen zu
lesen sind, ja gänzlich weiße Hüllen geliefert werden (der Grund: Techno ist
wesentlich DJ-Musik und entsteht am Plattenspieler aus dem Kombinieren von
Tonträgern, indem Sequenzen nach verschiedenen Verfahren zusammengemischt
werden; der DJ hütet das Geheimnis, auf welche Sequenzen er zurückgreift, dadurch,
daß er neutrale Hüllen benutzt und von den Schallplatten die Labelaufkleber
unleserlich macht; die Produktion kommt ihm durch radikalen Informationsverzicht
entgegen – es ist übrigens der DJ, der es als Experte vermag, anhand der
Rillenzeichnung eine Schallplatte zu identifizieren).
Es ist dieser Rätselcharakter, der die Bedeutungsvielfalt von Schallplattenhüllen auch
anders erklären läßt als allein durch warenästhetische Ausdrucksabstraktion oder als
postmoderne Designpluralität. Während Welsch das Design affirmativ darauf
verpflichtet, wirksam zu werden, «indem es tiefsitzende Bilder, Bedürfnisse oder
45
Bisweilen sind bei Schallplatten am Ende der Rille kleine Signaturen, die Aufschluß
über die Produktion geben; berühmte Toningenieure kennzeichneten die Platten früher
namentlich (dies war etwa bei den Blue-Note-Platten üblich).
Behrens: Parergon, Etui, Cover
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Erwartungen wachruft oder verändert… [, denn] wichtiger als die mathematische
Logik ist für den Designer daher heute die ikonische und emotionale Logik…»,46
kommt Haug zu dem Schluß: «Es gibt Warengattungen, für die den Menschen in
den gegenwärtigen kapitalistischen Gesellschaften keine Gebrauchswertbegriffe
mehr zur Verfügung stehen. An ihre Stelle ist der gesetzlich geschützte Warenname
getreten.»47 Bei beiden verdichtet sich das Design zu einer Ikonologie der Marke, im
Schallplattenjargon: des Labels. Dagegen setzt Benjamin eine differenzierte Theorie
Behrens: Parergon, Etui, Cover
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emblematische Deutung der Verpackung legt in der Warenlogik eine Spannung frei,
die unter Umständen durchaus sprengend und befreiend eingreifen kann. In diesem
Sinne betont Susan Buck-Morss die Nähe zwischen den Surrealisten einerseits und
Emblematikern des Barock andererseits zu Benjamins Theorie vom dialektischen
Bild und der Theorie der Phantasmagorie.53
der Allegorie und Emblematik.
Es ist nun zu vermuten, daß keine Ware so stringent, ja geradezu plakativ die
klassische Emblematik des Barock aufgreift, mindestens aber Emblematik
erzählerisch einzusetzen weiß, wie die Schallplattenhülle. Kurz zur Begriffsklärung:
Haug betreibt eine geschichtliche Herleitung der Warengestaltung aus der
Ökonomie: da die Warenästhetik kaum Vorläufer kennt, ist sie in gewisser Hinsicht
geschichtslos. Auch Welsch, indem er die Pluralität als gänzlich neues Paradigma
das Emblem als Kennzeichen oder Sinnbild meint «eine Montage aus visuellem Bild
und sprachlichem Zeichen, von dem man wie von einem Bilderrätsel ablesen kann,
was die Dinge ‹bedeuten›.»54 Dabei ergibt sich der Rätselcharakter des Emblems
sieht, beschreibt seine Vorstellungen vom Design ohne geschichtlichen Rahmen.
Anders Benjamin: die Ware ist für ihn nicht ein bloßes Produkt der Ökonomie, ihre
Gestalt ist nicht allein Design. Die Ware hat ihre Vorläufer in der Allegorie und im
Emblem: «Die Ware ist an die Stelle der allegorischen Anschauungsform
getreten.»48 Und: «Die Embleme kommen als Waren wieder.»49 Darin liegt
schließlich auch die dialektische Dichte der Ware: «Die gegenständliche Umwelt des
Menschen nimmt immer rücksichtsloser den Ausdruck der Ware an. Gleichzeitig
geht die Reklame daran, den Warencharakter der Dinge zu überblenden. Der
trügerischen Verklärung der Warenwelt widersetzt sich ihre Entstellung ins
Allegorische. Die Ware sucht sich selbst ins Gesicht zu sehen.»50 Ähnlich, so
erläutert Susan Buck-Morss, speichern die Waren «die Phantasie-Energie für eine
Umwandlung der Gesellschaft in verdinglichter Form … wie in einer früheren Zeit
die religiösen Symbole.»51 Die Ausdrucksabstraktion der Ware ergibt sich nicht erst
durch ihre perfekte Verpackung. Allein, die phantasmagorische
Ausdrucksabstraktion entsteht, wenn die warenproduzierende Gesellschaft «von der
Tatsache, daß sie eben Waren produziert, abstrahiert.»52 Die allegorische und
durch die Bedeutungsvielfalt, ja Überfülle der Bedeutung der Dinge. «Die
Allegoriker häufen emblematische Bilder aufeinander, als ließe sich ihre Willkür und
Zusammenhanglosigkeit durch die bloße Anzahl der Bedeutungen wettmachen.»55
Jedoch, wie Liselotte Wiesenthal bemerkt: «In der Macht über die Bedeutungen liegt
aber zugleich die Ohnmacht des Allegorikers begründet. Der ‹bodenlose Tiefsinn›
zeigt seine Haltlosigkeit. Er verliert im ‹extremen Rückgang auf die Worte für
Konkreta› deren ‹Mitteilungs›charakter. Die von ihm betrachteten Gegenstände sind
‹unfähig›, ‹einen Sinn auszustrahlen›. Die Allegorie wird in ihrer extremen
Ausprägung Ausdruck des sinnlosen Kombinierens, des ‹entleerten Emblems›.
Jedes einzelne Emblem kann fallengelassen werden; denn in ihrer
Bedeutungslosigkeit sind die Embleme austauschbar.»56
Nun ist die Popularkultur übervoll mit Überfülle an Emblemen und Allegorien. Es
ist mithin eine doppelte Überfülle, weil zu der Wiederholung des barocken
Naturbildes sich noch eine Unzahl an kultureller Emblematik hinzugesellt, die sich
teilweise aus den subkulturellen Alltagserfahrungen speist, zum Teil aber auch
versucht, die Zeichen und Marken der Konzerne umzudeuten. Die Marke ersetzt
mithin den Ausdrucksträger der kulturellen Identität: die Texturen der subkulturellen
Moderne sind bestimmt von den Signes von Auto- und Motorradmarken,
Sportvereinen, Bekleidungsmarken oder den allegorischen Zeichen der Plattenlabels.
46
Welsch: "Perspektiven für das Design der Zukunft", a.a.O., S. 216.
47
Haug: Kritik der Warenästhetik, a.a.O., S. 28.
48
Benjamin: Zentralpark, a.a.O., S. 686.
49
Benjamin: Zentralpark, a.a.O., S. 681.
53
Vgl. Buck-Morss: Dialektik des Sehens, a.a.O., S. 276.
50
Benjamin: Zentralpark, a.a.O., S. 671.
54
Buck-Morss: Dialektik des Sehens, a.a.O., S. 201.
51
Susan Buck-Morss: Dialektik des Sehens. Walter Benjamin und das Passagen-Werk,
übersetzt von Joachim Schulte, Frankfurt/M. 1993, S. 46.
55
Buck-Morss: Dialektik des Sehens, a.a.O., S. 214.
56
Liselotte Wiesenthal: Zur Wissenschaftstheorie Walter Benjamins, Frankfurt/M. 1973,
S. 128, zit.n. Buck-Morss: Dialektik des Sehens, a.a.O., S. 508.
52
Benjamin: Das Passagen-Werk, in: Gesammelte Schriften Bd. V.2, a.a.O., S. 822.
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Schließlich geben die Musikgruppen sich selbst auch Embleme, verschlungene
Zeichen von Bild und Schrift, oft in Anlehnung an Naturformen, an das Morbide,
und schließlich taucht auch der Totenkopf als Emblem wieder auf. Freilich greiften
auch hier geschichtliche Prozesse sichtbar ein: wurde früher noch der vom Auto
abgebrochene Mercedesstern als Zeichen des kleinen Sieges über den Kapitalismus
stolz getragen, neben den politischen Symbolen wie das A-im-Kreis, Hammer und
Sichel oder Friedenszeichen, so sind das Friedenszeichen und das Marken-Signes
mittlerweile als beliebige Accessoires des Konsums gleichgeschaltet.
*!*!*
Abschließend wären Überlegungen anzustellen, die vielleicht geeignet sind, eine
Verbindungslinie zwischen dem parergonalen Design der Schallplatte und der sie
umgebenden (sub-)kulturellen Praxis herzustellen, um einen Einblick in die
mögliche Reichweite heutiger Emblematik zu bekommen. Und wieder kann hier auf
eine Besonderheit der Schallplatte als Ware verwiesen werden, denn für sie trifft
gerade nicht zu, was Feurich festhält: «Die den Gebrauchswert von Waren
abwägende Rationalität des Einkaufens wird … tendentiell vom ‹stummen Vorgang
des Abholens› abgelöst.»57 Es hat nämlich gerade die Schallplatte eine Bandbreite
möglicher Distributionsformen entwickelt, die von den sogenannten «Mega-Stores»,
Großkaufhäuser nur für Schallplatten, bis hin zu den spezialisierten informellen
Raritätenladen reicht. Besonders in den kleineren Läden erfährt man Neuigkeiten
über die Musikszene oder gibt welche weiter. Diese Orte spiegeln also in der Sphäre
des Verkaufs denselben Unterschied, der zwischen Woodstock oder den Bayreuther
Festspielen und einem Kammer- oder Clubkonzert besteht. Hier scheint wohl naiv
die Hoffnung von Wolfgang Welsch anzusetzen, wenn er fordert, daß «der
Aufgabenbereich des Designs … sich nicht im Objekt-Design [erschöpfen],
sondern … bereits bei der Einrichtung der Lebensverhältnisse und der Prägung von
Verhaltsformen» beginnen soll.58 «Die Aufgabe des Designs verlagert sich heute
zunehmend von der Objektgestaltung, … zur Rahmengestaltung. Es gilt … die
Rahmen-Bedingungen unserer Lebensverhältnisse zu verändern.»59 Gleichwohl
kann dieser Verweis auf das Thema des Parergons nur spekulativ gedeutet werden,
57
Feurich: "Warengeschichte und Rockmusik", a.a.O., S. 58; Feurich bezieht sich auf:
Ernest Zahn: Soziologie der Prosperität, Köln und Berlin 1960, S. 105.
58
Welsch: "Perspektiven für das Design der Zukunft", a.a.O., S. 217.
59
Welsch: "Perspektiven für das Design der Zukunft", a.a.O., S. 218; Welsch begreift
hier den Rahmen wörtlich als das, was das Zentrum, die sozialen Zentralbedingungen
um- und einrahmt.
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denn Welsch verfügt über keinen eigenständigen Begriff des Rahmens, weshalb
letzthin seine Forderung sich der Haugschen Kritik stellen müßte, bloße
Oberflächen-Kosmetik sozialer Beziehungen zu sein.
Ein gehaltvoller Begriff des Rahmens, der nicht nur metaphorisch ist, bräuchte hier
eine Funktionsbestimmung, wie sie etwa von Simmel geleistet wurde: «Der Rahmen,
die in sich zurücklaufende Grenze eines Gebildes, hat für die soziale Gruppe sehr
ähnliche Bedeutung wie für ein Kunstwerk. An diesem übt er die beiden Funktionen,
die eigentlich nur die zwei Seiten einer einzigen sind: das Kunstwerk gegen die
umgebende Welt ab- und es in sich zusammenzuschließen; der Rahmen verkündet,
daß sich innerhalb seiner eine nur eigenen Normen untertänige Welt befindet, die in
die Bestimmtheiten und Bewegungen der umgebenden nicht hineingezogen ist;
indem er die selbstgenügsame Einheit des Kunstwerkes symbolisiert, verstärkt er
zugleich von sich aus deren Wirklichkeit und Eindruck. So ist eine Gesellschaft
dadurch, daß ihr Existenzraum von scharf bewußten Grenzen eingefaßt ist, als eine
auch innerlich zusammengehörige charakterisiert, und umgekehrt: die
wechselwirkende Einheit, die funktionelle Beziehung jedes Elementes zu jedem
gewinnt ihren räumlichen Ausdruck in der einrahmenden Grenze.»60 Simmels
umrahmte, abgegrenzte Gruppen lassen sich mithin als Gruppen von Subkulturen
lesen, deren kulturell-praktisch Eigenart darin zu beschreiben wäre, daß sie in
besonderer Weise die kulturelle Symbolik emblematisch zu deuten wissen. Indem
sie, wie John Clarke analysiert, eine Praxis der Stilschöpfung entwickeln, die mit der
Ethnologie Lévi-Strauss’ als Bastelei (bricolage)61 beschreibbar ist, geben sie im
Umgang mit den Produkten der Massenkultur, wie zum Beispiel der Schallplatte,
diesen Produkten und ihrem Design noch nachträglich eine Bedeutungsdimension,
die die Bedeutungsschichten der Tauschlogik zu transformieren in der Lage
scheinen. Sie aktivieren eine emblematische Praxis.
Anhang 1:
Die Geschichte der Schallplatte kurz erzählt
60
Georg Simmel: Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung,
in: Gesamtausgabe, hrsg. von Otthein Rammstedt, Bd. 11, Frankfurt/M., S. 694.
61
Vgl. John Clarke: "Stil", in: ders. u.a.: Jugendkultur als Widerstand. Milieus, Rituale,
Provokationen, hrsg. vom Arbeitskreis "Kommunikationsverhältnisse", übersetzt von
Thams Lindquist und Susi Büttel, Frankfurt/M. 1981, S. 133–157, hier S. 136f.
Behrens: Parergon, Etui, Cover
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1830 entwickelt Wilhelm Weber einen Autographen, einen mit Ruß beschichteten
Papierzylinder, mit dem die Schwingungen einer Stimmgabel sichtbar gemacht
werden konnten. Am 27.12.1877 wird von Th. A. Edison der erste Phonograph als
Patent angemeldet. Dem ging das Parleophon des französischen Dichters Charles
Cros voraus; das Papier wurde durch Wachswalze ersetzt. Edison verwendet
weitgehend nur graphisch verpackt, ohne Abbildungen der Musiker; oder es
existieren verschiedene Coverversionen für unterschiedliche Käufergruppen. Dieses
geschieht noch bis in die 60er Jahre hinein. Ab 1939 gibt es Bildhüllen, meist mit
grellfarbigen Zeichnungen. In den 50er Jahren entwickeln sich Stereotypen der
Covergestaltung, nicht zuletzt durch den Einfluß der Jugend als Käuferschicht, aber
Stanniolwalzen. 1887 folgt die Entwicklung des Grammophons durch Emil Berliner:
Schallplatten aus rundem Zinkblech; 1890: einseitig bespielbare Schallplatte aus
auch, um deren Eltern nicht zu verstören (also Verzicht auf Darstellung vermeintlich
rebellischer Musiker). Mit der Rockmusik der 60er Jahre bekommen die Rockbands
Hartgummi; 1898: Schellackplatte; 1903: 30cm-Platte mit 78 U/min und 4,5
Minuten Spieldauer. Erste doppelseitig bespielbare Schallplatten 1904. 1922
selber immer mehr Einfluß auf die Covergestaltung. Das Cover erhält zunehmend
die Funktion, daß man es während des Musikhörens betrachten – also «lesen» –
elektro-akustische Aufnahmen ersetzen die mechanisch-akustischen mit
Riesentrichtern. 1946 Magnet-Tonband als Zwischenträger. 1948 werden Lackfolien
statt Wachsplatten benutzt, im selben Jahr: Langspielplatte (Columbia) in den USA;
kann. Im Zuge der psychodelischen Musik spielt die Schallplattenhülle eine große
Rolle. Es entstehen sehr aufwendige Plattenhülle, die auch hohe Produktionskosten
verschlingen. Mit dem Punk (in den 70er Jahren) wird die Plattenhülle auch zum
1950: 8 bis 10 Minuten Spielzeit durch Füllschrift (variabler Rillenabstand).
Langspielplatten in Deutschland seit 1951, Kunststoffplatten aus PVC/PVA, 33 1/2
U/min = 25 Minuten pro Seite. Die Single, eine 17 cm Kunststoffschallplatte mit 45
U/min, folgt 1953. Erste Veröffentlichung einer Stereoschallplatte 1958. 1965:
Musikkassetten. 1967: Stereophonie. 1970: Quadrophonie, 1973: Dolby B. In den
80er Jahren wird die CD eingeführt, die zu Beginn der 90er Jahre die VinylSchallplatten zunehmend verdrängt; gleichzeitig, da Vinyl-Schallplatten für
bestimmte Musikstile wie zum Beispiel HipHop benötigt werden, etabliert sich eine
vornehmlich von DJs initiierte «Safe-the-Vinyl»-Kampagne. In 90er Jahren folgt die
«interaktive» CD-ROM (Musik, unterstützt durch Computeranimationen und
Videosequenzen). Die bespielbare CD und neue Musikdatenträger kommen auf den
Markt. Analoge Aufzeichnungsverfahren werden zunehmend durch digitale ersetzt
(MD, DAT). Die Speicherung von Musik erfolgt allerdings vorläufig noch primär in
Form von Tonträgern; das Radio hat die private Musiksammlung nicht verdrängt, ob
die Datennetze dies vermögen, bleibt abzuwarten.
Träger von Protestformeln. Bilder (etwa obszöne Darstellungen nackter Frauen)
werden zensiert. Spätestens mit dem HipHop der 80er Jahre wird es Gewohnheit,
Plattencover mit anstößigen Texten (beziehungsweise bei anstößigen Textinhalten
der Musik) mit einem Aufkleber «Parental Advisory. Explicit Lyrics» zu versehen,
der bisweilen gleich auf den Hüllen aufgedruckt ist. Solche Aufkleber gesellen sich
zu den großflächigen, das Cover verdeckenden, ja auch zerstörenden «Nice-Price»Aufklebern der Industrie, um Billigpressungen anzupreisen. Mit der CD etabliert
sich zunehmend das Booklet, eine kleine, in die Plastikhülle einschiebare Broschüre
mit Informationen zu den Stars und der Musik.
Anhang 2:
Die Geschichte der Schallplattenhülle kurz erzählt
1910 erste Papierumschläge für Schallplatten, zum Teil mit Loch in der Mitte. 1911
folgen bedruckte Papiere, zum Teil mit spärlichem Design (Rahmenornamente),
zumeist mit Werbung (zum Beispiel für Schallplattennadeln). In den 20er Jahren
folgt die Darstellung «charakteristischer Szenen» auf den Hüllen (tanzende
Jugendliche). Schon vor 1920 gab es «Alben»: zusammenklappbare Hüllen in Form
von Büchern. Schallplattenaufnahmen mit Jazz – als die Musik der Afroamerikaner
– werden, damit sie auch in den rassistischen Südstaaten verkaufbar sind,
Anhang 3:
Werbetext von einem Innencover
(von CBS-Records, 70er Jahre)
Here’s how Records give you more of what you want:
1. They’re your best entertainment buy. Records give you top quality for less
money than any other recorded form. Every album is a show in itself. And once
you’ve paid the price of admission, you can hear it over and over again.
2. They allow selectivity of songs and tracks. With records it’s easy to pick out the
songs you want to play, or to play again a particular song or side. All you have to do
is lift the pick-up arm and place it where you want it. You can’t do this as easily with
anything but a long-playing record.
3. They’re convenient and easy to handle. With the long-playing record you get
what you want to hear, when you want to hear it. Everybody’s familiar with records,
Behrens: Parergon, Etui, Cover
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too. And you can go anywhere with them because they’re light and don’t take up
space.
4. They’re attractive, informative and easy to store. Record albums are never out of
place. Because of the aesthetic appeal of the jacket design, they’re beautifully at
home in any living room or library. They’ve also got important information on the
backs – about the artists, about the performances or about the programme. And
because they’re flat and not bulky, you can store hundreds in a minimum of space
and still see every title.
5. They’ll give you hours of continuous and uninterrupted listening pleasure. Just
stack them up on your automatic changer and relax.
6. They’re the proven medium. Long-playing records look the same now as when
they were introduced in 1948, but there’s a world of difference. Countless
refinements and developements have been made to perfect the long-playing record’s
technical excellence and ensure the best in sound reproduction and quality.
7. If it’s in recorded form, you know it’ll be available on records. Everthing’s on
long-playing records these days … your favourite artists, shows, comedy, movie
sound tracks, concerts, drama, documented history, educational material … you
name it. This is not so with any other kind of recording.
8. They make a great gift because everybody you know loves music. And everyone
owns a record player because it’s the musical instrument everyone knows how to
play. records are gifts that say a lot to the person you’re giving them to. And they
keep on remembering.
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