1 Vorwort Sie halten den Tagungsband der Fachtagung „Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!“ in der Hand. Die Tagung wurde von der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES) organisiert und fand am 28. August 2009 im Technopark in Zürich statt. Die Fachtagung stand im Zeichen der Krisen: Wirtschaftkrise, Energiekrise, Klimakrise. Die SES ist überzeugt von der Notwendigkeit einer fundamentalen Wachstumsdebatte, weil es in einer begrenzten Welt logischerweise kein ewiges Wachstum geben kann. Diese Fachtagung bot eine der wenigen Plattformen zur Diskussion dieser zentralen Thematik. Ziel dieses Tagungsbandes ist die Verbreitung der von den ReferentInnen an der Fachtagung kommunizierten Informationen. Der Tagungsband enthält einen kurzen Überblick über den Inhalt der Tagung, schriftliche Beiträge der ReferentInnen und ein TeilnehmerInnenverzeichnis. Die hier abgedruckten Beiträge von Geri Müller, Andreas Fischlin, Andrea Burkhard, Patrick Hofstetter, Jörg Adolf, Klaus Bitzer, Sylvia Kotting-Uhl, Rolf Iten, Hermann Knoflacher, Dennis L. Meadows und Barbara Haering wurden eigens für diesen Tagungsband verfasst. Die beiliegende CD-ROM enthält sämtliche Präsentationen, die von den ReferentInnen an der Tagung gezeigt wurden. Einig waren sich Andreas Fischlin, Andrea Burkhard und Patrick Hofstetter in der Analyse. Der Klimawandel ist real, er ist dramatisch und es muss gehandelt werden. Keine absolute Einigkeit bestand betreffend der notwenigen Massnahmen. Während Andreas Fischlin primär die wissenschaftlichen Grundlagen vermittelte, legte Andrea Burkhard dar, was unter den gegebenen politischen Voraussetzungen überhaupt möglich ist. Patrick Hofstetter kritisierte die politische Trägheit und machte klar, wo es konkret harzt. Viel weniger Einigkeit bestand im zweiten Themenblock. Für Jörg Adolf von Shell liegt Peak Oil noch in weiter Ferne, ganz anders sieht dies hingegen ASPO-Mitglied Klaus Bitzer, für ihn ist Peak Oil erreicht. Er sagt: „Von den fossilen Energien müssen wir uns entwöhnen, bevor sie zu Ende gehen“. Silvia Kotting-Uhl zeigte anhand des energiepolitischen Konzepts der deutschen Grünen auf, welche konkreten Massnahmen in eine post-fossile und post-nukleare Zukunft führen. Im dritten Block betonte Rolf Iten die Notwenigkeit eines qualitativen und nachhaltigen Wachstums sowie eines massiven Strukturwandels. Für Dennis L. Meadows stellt ein sogenannt nachhaltiges Wachstum hingegen eine Fantasie dar, die meist gebraucht wird, um von den wirklichen Problemen abzulenken. Hermann Knoflacher legte den Fokus auf die Probleme einer anachronistischen Verkehrspolitik und meint: „das heutige Verkehrssystem ist sozusagen eine Welt der Verrückten“. Barbara Haering setzte mit eindrücklichen Worten einen optimistischen Schlusspunkt und zitierte Leonard Cohen: „There is a crack, in everything. That’s how the light get’s in!" Wir bleiben dran! Die Fachtagung der SES im Jahr 2010 wird die Diskussion weiterführen: Energiekrise und die Alternativen werden das Thema am 17. September 2010 sein. Die SES wünscht eine spannende und lehrreiche Lektüre. Zürich, im Dezember 2009 Bernhard Piller Projektleiter SES Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! 2 Impressum Herausgeberin: Schweizerische Energie-Stiftung SES Sihlquai 67, 8005 Zürich E-Mail: [email protected] www.energiestiftung.ch PC-Konto: 80-3230-3 Gestaltung Titelbild: Claudius Fischer, Würenlingen Fotografie: Angel Sanchez, Scriptum, Flüelen Interview: Linda Rosenkranz, Luzern Druck: Bookstation, Sipplingen, BRD CD-Produktion: Adcom, Neuenhof Organisation und Redaktion: Bernhard Piller, Zürich Publikationsjahr: Dezember 2009 Auflage: 1’000 Exemplare Abdruck mit Quellenangabe erwünscht 2 Inhalt 3 Inhalt 1 Vorwort ...................................................................................................................... 1 2 Impressum ................................................................................................................ 2 3 Inhalt .......................................................................................................................... 3 4 SES-Fachtagung 2009 ............................................................................................. 7 4.1 Thema .................................................................................................................................... 7 4.2 Klimawandel – Peak Oil – Grenzen des Wachstums ...................................................... 7 4.3 Fragestellungen .................................................................................................................... 8 4.4 Zielgruppen ............................................................................................................................ 8 4.5 Sponsoring ............................................................................................................................. 9 4.6 ReferentInnen ...................................................................................................................... 10 4.6.1 Leitung und Moderation ............................................................................................................... 10 4.7 5 Programm ............................................................................................................................ 11 Geri Müller: Einführung ........................................................................................ 12 5.1 Leitbegriffe ........................................................................................................................... 12 5.2 Suffizienz .............................................................................................................................. 13 5.3 Die Alternative ..................................................................................................................... 13 6 Peter Haerle: Leitung und Moderation ............................................................... 15 7 Andreas Fischlin: Klimawandel – Wissensstand und politische Handlungsnotwendigkeit ..................................................................................... 16 7.1 Einleitung ............................................................................................................................. 16 7.2 Drei Kernaussagen ............................................................................................................. 17 7.2.1 Der Klimawandel ist da und höchstwahrscheinlich Mensch gemacht .................................. 17 7.2.2 Je wärmer die Welt wird, desto stärker wird eine anwachsende Zahl von Systemen in Mitleidenschaft gezogen .............................................................................................................. 18 7.2.3 Technologisch und ökonomisch ist ein drastischer Klimawandel immer noch abwendbar 18 8 7.3 Die sieben Thesen .............................................................................................................. 20 7.4 Fazit ...................................................................................................................................... 21 7.5 Literatur ................................................................................................................................ 22 Andrea Burkhard: Klimapolitik der Schweiz am Vorabend des Peak Oil..... 26 8.1 Einleitung ............................................................................................................................. 26 8.2 Architektur des internationalen Klimaregimes ................................................................ 26 8.3 Nationales klimapolitisches Umfeld ................................................................................. 28 8.3.1 Reduktionsziele bis 2020 ............................................................................................................ 28 8.3.2 Massnahmen ................................................................................................................................. 29 3 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! 8.3.2.1 Instrumente Fahrzeuge ....................................................................................................... 29 8.3.2.2 Instrumente Gebäude und Industrie ................................................................................. 29 8.3.2.3 Wirkungsabschätzung der verschiedenen Massnahmen .............................................. 30 8.3.3 Anpassung an die Klimaänderung ............................................................................................. 31 8.3.4 Sekundärer Nutzen ...................................................................................................................... 31 8.3.5 Moderate volkswirtschaftliche Auswirkungen ........................................................................... 32 8.4 Ausblick ................................................................................................................................ 32 8.5 Fazit ...................................................................................................................................... 32 9 Patrick Hofstetter: Die Diskrepanz zwischen wissenschaftlich Nötigem und politischer Trägheit. Wo harzt es in der Schweizer Klimapolitik? ................ 33 9.1 Einleitung ............................................................................................................................. 33 9.2 Reduktionsziele am 2-Grad-Ziel orientieren ................................................................... 33 9.3 Sonderfall Schweiz ............................................................................................................. 35 9.4 Wo stehen die Treibhausgasemissionen der Schweiz? ............................................... 35 9.5 Kosten und Nutzen aktiver Klimapolitik ........................................................................... 37 9.6 Die Schweiz fährt beim Klimaschutz international besonders günstig ....................... 40 9.7 Wo steht die Schweiz bezüglich Verhandlungsangeboten? ........................................ 41 9.8 Aktuelle Beispiele ungenügender politischer Rahmenbedingungen .......................... 43 9.9 Eine integrierte Sichtweise ist angebracht ...................................................................... 43 9.10 Der Umbau hin zu einem postfossilen Wirtschaftssystem ist attraktiv ....................... 44 9.11 Wo harzt es? ....................................................................................................................... 44 9.12 Ja, wir können und müssen .............................................................................................. 45 9.13 Quellen ................................................................................................................................. 46 10 Jörg Adolf: Energiesicherheit und CO2-Lösungen – Eckpfeiler im globalen Energiemix 2050 ................................................................................ 47 10.1 Wachstumsgrenzen, Energie und Klima ......................................................................... 47 10.2 Shell und Szenarien ........................................................................................................... 48 10.3 Drei „harte“ Wahrheiten ..................................................................................................... 49 10.3.1 Steigende Energie-Nachfrage ................................................................................................ 50 10.3.2 Knapperes Energie-Angebot .................................................................................................. 51 10.3.3 Drängende Klima-Problematik ............................................................................................... 51 10.4 Shell Long-term Energy Scenarios to 2050 .................................................................... 52 10.4.1 Szenario Scramble ................................................................................................................... 52 10.4.2 Szenario Blueprints .................................................................................................................. 53 10.4.3 Szenarien im Vergleich ........................................................................................................... 54 10.5 Energiesystem im Wandel ................................................................................................. 55 11 Klaus Bitzer: Ist Peak Oil erreicht? Die Sicht der ASPO ............................. 57 11.1 Einleitung ............................................................................................................................. 57 11.2 Die unterschiedlichen Sichtweisen zu Peak Oil ............................................................. 58 11.3 Peak Oil im Licht diverser Interessen- und Berufsgruppen .......................................... 60 11.3.1 Die Erdölindustrie ..................................................................................................................... 61 4 Inhalt 11.3.2 11.3.3 Politische Gruppierungen ........................................................................................................ 61 Die USA ..................................................................................................................................... 62 11.4 Der Zeitpunkt des globalen Fördermaximums ............................................................... 62 11.5 Die Methode von Hubbert ................................................................................................. 63 11.6 Divergierende Reserveangaben ....................................................................................... 64 11.7 Der nicht existierende „demand peak“ ............................................................................ 67 11.8 Fazit ...................................................................................................................................... 68 12 Silvia Kotting-Uhl: Energie 2.0 – Die grünen Massnahmen bis 2020: Energiesparen, Erneuerbare und Effizienz .................................................... 69 12.1 Unsere Aufgabe .................................................................................................................. 69 12.2 Grüne Maßnahmen und ihre Wirkung ............................................................................. 70 12.2.1 Grüne Maßnahmen im Strombereich .................................................................................... 70 12.2.2 Grüne Maßnahmen im Wärmebereich .................................................................................. 73 12.2.3 Grüne Maßnahmen im Bereich Verkehr ............................................................................... 75 12.2.4 Emissionshandel, ökologische Finanzreform, Forschungsoffensive ................................ 77 12.3 Zusammenfassung ............................................................................................................. 78 13 Rolf Iten: Braucht es Wachstum für den Klimaschutz? .............................. 79 13.1 Einleitung ............................................................................................................................. 79 13.2 Ökonomische Ansätze zum Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Umwelt .................................................................................................................................. 79 13.2.1 Neoklassische Wachstumstheorie ......................................................................................... 80 13.2.2 „Neue Wachstumstheorie“ ...................................................................................................... 80 13.2.3 Ecological Economics .............................................................................................................. 80 13.2.4 Weitere wachstumskritische Ansätze .................................................................................... 81 13.2.5 Fazit ............................................................................................................................................ 81 13.3 Evidenz für die Schweiz ..................................................................................................... 81 13.4 Die globale Dimension ....................................................................................................... 84 13.5 Schlussfolgerungen ............................................................................................................ 85 13.6 Literatur ................................................................................................................................ 87 14 Hermann Knoflacher: Energie und Mobilität – Wir werden in Zukunft mehr im Kopf brauchen als in den vergangenen Jahrzehnten ............................ 88 14.1 Zum Thema ......................................................................................................................... 88 14.2 Evolutionärer Erklärungsansatz........................................................................................ 89 14.3 Zeiteinsparung durch Geschwindigkeitserhöhung ........................................................ 91 14.4 Effizienzverluste durch falsche Strukturen ...................................................................... 91 14.5 Der zentrale Irrtum: Die Freiheit der Verkehrsmittelwahl ............................................. 92 14.6 Die Bedeutung der Struktur ............................................................................................... 93 14.7 Therapie im Mobilitätsbereich ........................................................................................... 95 14.7.1 Bauliche Korrektur .................................................................................................................... 95 14.7.2 Finanzielle Reparatur der Fehler ........................................................................................... 96 14.7.3 Organisatorische Korrekturen ................................................................................................ 96 14.7.4 Wirkungen ................................................................................................................................. 97 5 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! 14.8 Literatur ................................................................................................................................ 98 15 Dennis L. Meadows: Some causes and consequences of limits to growth in petroleum use: 2010 - 2030 .......................................................................... 99 15.1 Preface ................................................................................................................................. 99 15.2 Limits to Growth - the 30-Year Update ............................................................................ 99 15.3 Entering the period of decline ......................................................................................... 102 15.4 Peak Oil .............................................................................................................................. 105 15.5 The energy return on investment (EROI) ...................................................................... 108 15.6 Easy and difficult Problems ............................................................................................. 109 16 Interview mit Dennis L. Meadows: Nachhaltiges Wachstum ist eine Fantasie von Leuten, die Aufmerksamkeit von den wirklichen Problemen abziehen wollen ................................................................................................. 111 17 Barbara Haering: There is a crack in everything. That’s how the light get’s in .......................................................................................................................... 116 17.1 Einleitung ........................................................................................................................... 116 17.2 Ein Rückblick in Kürze ..................................................................................................... 116 17.3 Und sind so weit als wie zuvor? ..................................................................................... 117 17.4 Vier strategische Achsen ................................................................................................. 118 17.4.1 Globale Wirkungsgefüge ....................................................................................................... 118 17.4.2 Verteilungsfragen, Gerechtigkeit und Umweltsicherheit .................................................. 118 17.4.3 Zusammenwirken von Wissenschaft und Politik ............................................................... 120 17.4.4 Wertewandel ........................................................................................................................... 123 17.5 Ausblick .............................................................................................................................. 123 18 6 TeilnehmerInnenliste SES Fachtagung 2009 ................................................ 125 SES-Fachtagung 2009 4 SES-Fachtagung 2009 Klimawandel, Erdölknappheit, Wirtschaftskrise Zeit für eine Wachstumsdebatte! Freitag, 28. August 2009 Technopark, Technoparkstrasse 1, 8005 Zürich, Auditorium 8:30 – 17:30 Uhr 4.1 Thema Zum einen gehen uns die fossilen Energieträger aus. Peak Oil ist erreicht. Zum anderen muss der Ersatz fossiler Energieträger stattfinden, bevor der Klimawandel verheerende ökologische und wirtschaftliche Konsequenzen mit sich bringt. Nach wie vor werden Klimapolitik und Peak Oil aber als zwei unterschiedliche Themen, statt als ein zusammenhängendes Problemfeld diskutiert. Die SES-Fachtagung bietet die einmalige Chance die doppelte Energiekrise als ein Ganzes wahrzunehmen und diese im Kontext der Grenzen des Wachstums zu diskutieren. 4.2 Klimawandel – Peak Oil – Grenzen des Wachstums Die Abhängigkeit von den fossilen Energieträgern Öl und Gas ist eines der größten Zukunftsprobleme der Schweiz, wie auch der gesamten Weltgesellschaft. 70% des Schweizer Energiebedarfs werden fossil gedeckt. Dieser Anteil ist seit Jahren gleich hoch. Aus zwei unausweichlichen Gründen müssen wir uns von dieser Abhängigkeit lösen: die fossilen Energieträger gehen uns aus und die Klimaerwärmung nimmt rasant zu. Gerade im Jahr 2009, in dem es in der Schweiz um ein neues CO2-Gesetz und global um ein Kyoto-Nachfolgeabkommen geht, werden wichtige Weichen gestellt. Die Schweizer Klimapolitik muss den nötigen Beitrag leisten, um die weltweite Erhöhung der Durchschnittstemperatur gegenüber der vorindustriellen Zeit auf höchstens 1,5 Grad zu begrenzen. Die Analysen der KlimawissenschaftlerInnen sind eindeutig: Um die allerschlimmsten Auswirkungen der stattfindenden Klimaerwärmung abzuwenden, muss jetzt gehandelt werden. Dass ein unbegrenztes Wirtschaftswachstum in einer begrenzten Welt unmöglich ist, mag logisch klingen. Selbstverständlich ist diese Erkenntnis aber längst nicht für alle. Wachstumskritische Stimmen sind kaum zu vernehmen. Eine Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Mehrenergieverbrauch wurde bis anhin weltweit nirgends erreicht. In der momentanen Weltwirtschaftskrise stellt sich somit die grundsätzliche Frage, ob die Krise als Chance zum Strukturwandel genutzt werden kann. 7 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! 4.3 Fragestellungen Ziel der Fachtagung ist eine vertieft geführte Diskussion der unterschiedlichen Positionen und Argumente im Spannungsfeld Peak Oil, Klimaerwärmung und Grenzen des Wachstums. Die Klimaerwärmung findet statt und Peak Oil ist jetzt. Es stellt sich somit die Frage, wie wir zukünftige Klima- und Ressourcenkrisen mindestens so abfedern können, dass sie nicht total katastrophal ausfallen. Hilft Peak Oil und Peak Gas uns schneller von der klimazerstörenden, fossilen Abhängigkeit zu lösen, als es eine völlig ungenügende Klimapolitik kann? Lassen sich überhaupt alle endlichen Energieträger durch Erneuerbare Energien substituieren? Stellt die 2000-Watt-Gesellschaft die Lösung dar, oder braucht es einen radikaleren Strukturwandel? Wann haben wir die Grenzen des Wachstums erreicht, oder haben wir sie bereits überschritten? Und eine alte Frage stellt sich wieder neu: Ist ein anderes Wachstum überhaupt möglich? Führen die aktuellen Wirtschafts-, Energie-, Klima-, Umwelt- und Hungerkrisen zu einem Epochenbruch? 4.4 Zielgruppen Es ist gleichermassen die Gesellschaft, die Politik, die Wissenschaft, und die Wirtschaft angesprochen. • Energiewirtschaft • Banken, Versicherungen • Erdölbranche • Erdgasbranche • Energiefachstellen • Automobilbranche • Energieagenturen • im Energiebereich engagierte NGOs • Bundesämter (BAFU, BFE, SEKO) • StudentInnen • Verbände aus dem Bereich der erneuerbaren Energien • Forschungsinstitute PSI, ETH, Unis, FHs usw. • Verbände der Energiewirtschaft • EnergiepolitikerInnen • Investoren • Allgemein energiepolitisch Interessierte • Unternehmensberatungen • Medien 8 SES-Fachtagung 2009 4.5 Sponsoring Patronate: SponsorInnen: Hamasil Stiftung Zürich Stiftung Hélène & Marcel Perincioli Die SES dankt allen Patronatsgeber und SponsorInnen herzlich für ihre grosszügige Unterstützung der Fachtagung. 9 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! 4.6 ReferentInnen Dr. Jörg Adolf, Abteilung Unternehmenskommunikation und Wirtschaftspolitik, Shell Deutschland Oil GmbH, Hamburg Prof. Dr. Klaus Bitzer, Abteilung Geologie Universität Bayreuth, Vorstandsmitglied ASPO, Bayreuth Andrea Burkhardt, stv. Abteilungschefin, Sektionschefin Klima, Ökonomie und Umweltbeobachtung, Bundesamt für Umwelt (BAFU), Bern Prof. Dr. Andreas Fischlin, Terrestrische Systemökologie ETHZ, hauptverantwortlicher, koordinierender und führender Autor der IPCC-Berichte, Mitempfänger des Friedensnobelpreises 2007, Zürich Dr. Barbara Haering, Geschäftsleitung econcept, Mitglied des Europäischen Forschungsrats und des ETH-Rats; Zürich Dr. Patrick Hofstetter, Leiter Klimapolitik WWF Schweiz, Zürich Dr. Rolf Iten, Mitglied der Geschäftsleitung INFRAS Forschung und Beratung, Zürich Prof. Dr. em. Hermann Knoflacher, Institut für Verkehrswissenschaften, Forschungsbereich für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik, Technische Universität Wien, Präsident Club of Vienna, Wien Sylvia Kotting-Uhl, MdB, Umweltpolitische Sprecherin Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen, Berlin Prof. Dr. Dennis L. Meadows, Director of the Institute for Policy and Social Science Research at the University of New Hampshire and Professor of Policy Systems, Autor der vom Club of Rome beauftragten Studie „Die Grenzen des Wachstums“ (1972), New Hampshire USA Geri Müller, Nationalrat Grüne Kanton AG, Präsident Schweizerische Energie-Stiftung SES, Baden 4.6.1 Leitung und Moderation Peter Haerle, Publizist und Gesprächsleiter, Zürich 10 SES-Fachtagung 2009 4.7 Programm 8:30 Eintreffen, Kaffeebar 8:50 Begrüssung, Einführung Geri Müller I Schweizer Klimapolitik 9:00 Klimawandel - Wissensstand & politische Handlungsnotwendigkeit Andreas Fischlin 9:30 Die Klimapolitik der Schweiz am Vorabend des Peak Oil Andrea Burkhardt 10:00 Die Diskrepanz zwischen wissenschaftlich Nötigem und politischer Trägheit. Wo harzt es? Patrick Hofstetter 10:30 Pause 10:50 Panel I Klimapolitik mit Andreas Fischlin, Andrea Burkhardt und Patrick Hofstetter II Peak Oil / Ressourcenverknappung 11:20 Energiesicherheit und CO2-Lösungen - Eckpfeiler im globalen Energiemix 2050 Jörg Adolf 11:50 Ist Peak Oil erreicht? Die Sicht der ASPO Klaus Bitzer 12:20 Mittagessen 13:40 Politische Rahmenbedingungen für eine zukunftsfähige Energiepolitik Sylvia Kotting-Uhl 14:10 Panel II Peak Oil mit Jörg Adolf, Klaus Bitzer und Sylvia Kotting-Uhl III Grenzen des Wachstums 14:40 Braucht es Wachstum für den Klimaschutz? – Ökonomische Thesen zum Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Klimaschutz Rolf Iten 15:10 Pause 15:30 „Energie und Mobilität – Wir werden in Zukunft mehr im Kopf brauchen als in den vergangenen Jahrzehnten“ Hermann Knoflacher 16:00 Causes and consequences of limits to growth in energy: 2010 - 2030 Dennis L. Meadows 16:40 Panel III Grenzen des Wachstums mit Rolf Iten, Hermann Knoflacher und Dennis L. Meadows IV Schlussreferat 17:10 “There’s a crack in everything, that’s how the light gets in” (Leonard Cohen) Barbara Haering 17:30 Ende der Tagung 11 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! 5 Geri Müller: Einführung Geri Müller Präsident der Schweizerischen Energie-Stiftung, Nationalrat Grüne/AG, Stadtrat und Vizeammann der Stadt Baden Bahnhofstrasse 7 CH-5400 Baden [email protected] 5.1 Leitbegriffe Begriffe in unseren Köpfen entscheiden, wie wir die Welt wahrnehmen und gestalten. Wachstum ist ein solcher Begriff. Wachstum ist der Leitstern unserer Marktwirtschaft. Wachstum ist der Leitbegriff unserer politischen Entscheidungen, ja der Inbegriff ihres Glücks. Nehmen wir den Bericht des Bundesrats zum Jahr 2007 – am Vorabend des Ausbruchs der jetzigen Finanzkrise. Die Landesregierung schwelgte im Glück. Denn alle Indikatoren standen auf Wachstum: Einkommen, Bautätigkeit, Exporte, Auftragsbücher. Aber Begriffe, besonders Leitbegriffe, können auch die Wirklichkeit verstellen. Parallel zu den Wirtschaftsindikatoren wuchsen auch der Fluglärm, der Verkehr, die Boni und nahmen die Burnouts zu. Sind auch sie Inbegriffe des Glücks? Wachstum und Marktwirtschaft denken wir automatisch zusammen. Doch der eigentliche Grund, wieso diese beiden Begriffe scheinbar ohne einander undenkbar sind, liegt beim Geldausleihen. Wer mit Fremdkapital Güter und Maschinen kauft, muss mehr Gewinn erwirtschaften als für sein Überleben notwendig ist, um die Zinsen und das teure Fremdkapital zurückzahlen zu können. Das bedingt Wachstum für das Einzelunternehmen und die Gesamtwirtschaft. Aber: Neuere Studien, zum Beispiel von Ökonomieprofessor Mathias Binswanger zeigen, dass Marktwirtschaft auch ohne teures Geldausleihen und also ohne Wachstumszwang funktionieren kann. 12 Geri Müller: Einführung Häufig müssen neue Begriffe alte ablösen, weil sich die alten zu weit von der ursprünglichen Bedeutung entfernt haben. Wachstum hat sich in unseren Köpfen von seinem zwingend notwendigen Gegenbegriff entfernt: dem Niedergang oder Tod. Wir leben in der Illusion, dass der Tod nicht notwendig ist. Finanzkrisen, in denen Unmengen von Kapital vernichtet wird, erleben wir als Schicksalsschlag, als Ausnahme von der Regel des Wachstums. Suffizienz, der neue Begriff, der den Leitstern Wachstum ablösen muss, umfasst sowohl das Wachstum als auch den Tod. Suffizienz denkt, ökonomisch gesprochen, Einnahmen und Ausgaben zusammen. Und zwar für alle Lebensbereiche, die zusammengehören. 5.2 Suffizienz In unserem Privatleben leben wir suffizient. Unsere Ausgaben werden durch unsere Einnahmen begrenzt. Wer mehr als die 6‘000 Franken ausgibt, die er im Monat verdient, den bestraft das Leben. Er wird in den nächsten Monaten sparen und den Gürtel enger schnallen müssen. Suffizienz, das ist die Milchbüchlirechnung. Und manchmal sind Milchbüchlirechnungen besser als die Doppelte Buchhaltung. Was hat nun Suffizienz mit Energie zu tun? Bei der Energie verhalten wir uns überhaupt nicht suffizient. Wir tun, als wäre Öl, Gas und Uran in unendlichen Massen vorhanden. Zurzeit haben nur die Industriestaaten, also ca. ein Fünftel der Weltbevölkerung, Zugang zu allen Energiequellen. Aber mit der Industrialisierung von China und anderen Schwellenländern wächst der Energiehunger. Der USA, der EU, Russland und China ist die Verknappung bewusst. Der Kampf um Zugang zu den fossilen Energieträgern Rohöl, Gas, Kohl, Uran spitzt sich zu. Der Peak von Billigöl kommt immer näher. Die Ölförderung wird exzessiv teuer. Nicht nur, weil das Rohöl immer schwieriger zugänglich wird. Länder, die nicht gehorsam ihre fossilen Rohstoffe an die grossen Industrienationen liefern, werden angegriffen. Das Muster ist immer gleich. Die USA marschiert unter einem Vorwand in diese widerspenstigen energiereichen Länder ein. Im Irak waren es die angeblichen Massenvernichtungswaffen und der unmenschliche Diktator Saddam Hussein. Der wahre Grund aber war Saddams Drohung, sich nicht an Opec-Vereinbarungen zu halten. Über 600 Milliarden US-Dollar kostete dieser Krieg. Auch im Iran, der autonomen Region Uiguren in China und im Kaukasus dasselbe Bild: Hier tobt der Krieg um Öl. Auch hier werden Menschenrechtsverletzungen zum Vorwand genommen, um den Krieg um Öl zu führen. Doch genau so wenig wie Wachstum naturgegeben ist, sind wir zwingend abhängig von fossilen Rohstoffen. Es gibt Alternativen. 5.3 Die Alternative Die 2000-Watt-Gesellschaft ist eine Methode, suffizient mit Energie umzugehen. Die Vorgaben sind simpel: Jede und jeder hat pro Jahr eine Leistung von umgerechnet 2000 Watt zur Verfügung. Alle können frei einteilen, wie sie ihr Energiekonto verwenden möchten. Wer aber seine 2000 Watt vor Ablauf des Jahrs verbraucht hat, muss für den Rest des Jahres frieren – oder bei FreundInnen Unterschlupf suchen. Die 2000-Watt-Gesellschaft ist keine Utopie. Die 13 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! ETH hat errechnet, wie der Energieverbrauch der Schweizerin und des Schweizers von heute 6000 Watt auf 2000 Watt pro Jahr heruntergeschraubt werden kann. Ohne Verlust von Komfort. Schon mit heutiger Technik könnte man in der Schweiz 80 Prozent des Stromverbrauchs mit Sonnenergie herstellen. Sonnenkollektoren, Windenergie, Nullenergiehäuser – die Schweiz kann jetzt vorausgehen in der Entwicklung von neuen grünen Technologien. Sie wird Nullenergie-Kühlschränke und -Wäschetrockner konstruieren. Sie wird gewappnet sein für das postfossile Zeitalter. Sie kann sich und der Welt beweisen, dass sie ohne fossile Energieträger und ohne Uran auskommt. Sie wird ihr Wissen, ihre Erfindungen und Maschinen rund um die grüne Energie exportieren! Denn die Nachfrage nach suffizienter Energienutzung wird steigen. Beginnen wir heute mit der Zukunft! Investieren wir heute in die Energie von morgen! 14 Peter Haerle: Leitung und Moderation 6 Peter Haerle: Leitung und Moderation Peter Haerle Publizist, Gesprächsleiter, Zürich Forchstrasse 21 CH-8032 Zürich [email protected] 15 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! 7 Andreas Fischlin: Klimawandel – Wissensstand und politische Handlungsnotwendigkeit Andreas Fischlin Systems Ecology, Institute of Integrative Biology: Ecology, Evolution, and Disease, Department of Environmental Sciences ETH Zürich Universitätsstr. 16 – CHN E21.1 CH-8092 Zürich [email protected] www.sysecol.ethz.ch 7.1 Einleitung Unsere Gesellschaft steht heute vor einer Reihe von Herausforderungen: Finanzkrise, Nahrungskrise, Ressourcenkrise, Klimakrise. Dabei nimmt der Klimawandel eine besondere Stellung ein: Die Herausforderung ist endlich durch weite Kreise erkannt worden, liegt allerdings grösstenteils noch in der Zukunft, und die Konsequenzen sind ausserordentlich breit, d.h. sie reichen in praktisch alle Bereiche unserer modernen Gesellschaft hinein. Vordergründig scheint der Klimawandel lediglich nach einem radikalen Technologiewandel zu verlangen, d.h. der praktisch vollständigen Dekarbonisierung aller zivilisatorischen Tätigkeiten. Bei näherem Hinsehen ergibt sich allerdings eine grosse Palette von Anforderungen und es stellt sich die Frage, ob ein solcher Technologiewandel zur Lösung des Klimaproblems allein schon genügt? Gestützt auf den heutigen Wissensstand zum Klimawandel, den ich aufgrund des letzten UNO Klimaberichts kurz zusammenfasse, möchte ich sieben entscheidende „Handlungselemente“ als Thesen zur Lösung der Klimakrise, die vorerst noch in erster Linie eine politische ist, skizzieren. 16 Andreas Fischlin: Klimawandel – Wissensstand und politische Handlungsnotwendigkeit 7.2 Drei Kernaussagen 1 Der letzte UNO Klimabericht des IPCC (IPCC, 2007g; IPCC, 2007c; IPCC, 2007a; IPCC, 2007b) stellt heute die verlässlichste Wissensbasis und Entscheidungsgrundlage für einen vernünftigen Umgang mit der Klimafrage dar. Er enthält folgende drei Kernaussagen: 7.2.1 Der Klimawandel ist da und höchstwahrscheinlich Mensch gemacht Eine Fülle von Messungen, wissenschaftlichen Erhebungen und Untersuchungen machen es 2 erdrückend klar: Der Klimawandel ist da und höchstwahrscheinlich Mensch gemacht. Die Erde hat sich um 0.74°C erwärmt (IPCC, 2007d). Elf der letzten zwölf Jahre gehören zu den wärmsten, seit man Temperaturen mit Instrumenten misst (IPCC, 2007d), was durch reinen Zufall kaum mehr „erklärbar“ ist, da die Wahrscheinlichkeit p einer solchen Beobachtung bei Annahme statistischer Unabhängigkeit aufeinanderfolgender Jahre der winzigen Zahl von p = ~1.25 × 10-14 entspricht, und selbst bei Berücksichtigung langjähriger Klimaphasen immer noch sehr klein ist, d.h. p = 0.001 beträgt (Zorita et al., 2008). Die Tatsache, dass in den letzten Jahren, z.B. seit 2005, die Temperaturen einen Abnahmetrend zeigen, ist klimatologisch bedeutungslos und im Rahmen der natürlichen Variabilität zu verstehen. Dieser natürliche und zufällige Anstieg und Abfall der Temperaturen ist erwartet worden, stellt keinen Widerspruch zu den Vorausberechnungen des IPCC dar und passt exakt zum Bild des Klimawandels gemäss unserem Verständnis (Easterling & Wehner, 2009). Zudem sind die Temperaturen im Vergleich zum Ende des letzten Jahrhunderts immer noch relativ hoch (Wanner et al., 2009). Schliesslich sei auch darauf hingewiesen, dass die Schweiz besonders stark betroffen ist, zeigen die Messungen doch eine Zunahme der Temperaturen von durchschnittlich 1.5°C (Frei et al., 2008, Abbildung 1). Das entspricht etwa dem Doppelten der weltweiten Erwärmung. Auch die Niederschläge zeigen in den meisten Regionen der Erde signifikante Veränderungen, in höheren Breitengraden eine Zunahme, in tieferen, d.h. vielen Entwicklungsländern, eine Abnahme. Mit der langfristigen Tendenz zu höheren Temperaturen geht Hand in Hand eine riesige Zahl von weiteren Effekten wie beispielsweise ein weltweiter Schwund der Gletscher, das Abschmelzen des Packeises, auftauender Permafrost, der Anstieg des Meeresspiegels, früheres Verschwinden von Schneebedeckungen, verschobene Blühdaten sowie Aufbruchdaten der Zugvögel, und verfrühte Erntereifen (Rosenzweig et al., 2007). Auch Extremereignisse wie Dürren (Sommer 2003), Waldbrände (Australien, Kalifornien, Portugal, Spanien, Griechenland), Überschwemmungen (Schweiz), und möglicherweise selbst die Intensität von tropischen Hurrikanen (Katrina 2005) haben in Häufigkeit und/oder Intensität in den letzten Jahren auch infolge des Klimawandels zugenommen. 1 IPCC steht für Intergovernmental Panel on Climate Change und wird oft auch UNO Klimarat genannt und ist eine effiziente Organisation, die aus wenigen Organen besteht. Seine Hauptarbeit, die Verfassung von Sachstandsberichten wie den Klimaberichten, wird durch politisch unabhängige Wissenschaftler geleistet. http://www.ipcc.ch 2 Gemäss UNO Klimarat (IPCC) ist hier eine Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit dieser Aussage von über 90% gemeint. 17 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! 7.2.2 Je wärmer die Welt wird, desto stärker wird eine anwachsende Zahl von Systemen in Mitleidenschaft gezogen Mit fortschreitendem Klimawandel beginnen sich zunehmend drastische Konsequenzen abzuzeichnen: Je wärmer die Welt wird, desto stärker wird eine anwachsende Zahl von Systemen in Mitleidenschaft gezogen. Darunter fallen bei uns die Gletscher, deren Existenz im Alpenraum schon in naher Zukunft ohne wirksamen Klimaschutz grösstenteils bedroht ist (Zemp et al., 2006; Haeberli et al., 2007; Fischlin & Haeberli, 2008) und bei ungebremstem Klimawandel lediglich die höchstgelegensten sowie grössten Gletscher dieses Jahrhundert überleben dürften (Hoelzle et al., 2007); Permafrost, der Berghänge zunehmend weniger stabilisieren kann (Harris et al., 2003; Gruber & Haeberli, 2007); Veränderungen im Wasserhaushalt, die im Frühjahr vermehrt zu Hochwassern und Überschwemmungen und im Sommer zu Wasserknappheit führen können; und viele Gebirgslandschaften, wie sie uns lieb geworden sind wie z.B. die Lärchen-Arvenwälder im Engadin oder Oberwallis, dürften nach menschlichen Massstäben für immer verschwinden (Fischlin & Gyalistras, 1997). Anderswo sind es Korallenriffe, die durch chronisches Ausbleichen infolge wärmeren Meerwassertemperaturen absterben und auch durch die Versauerung der Meere besonders gefährdet sind (Fischlin et al., 2007; Hoegh-Guldberg et al., 2007). Zu den ebenfalls stark gefährdeten Systemen gehören alle Regionen mit Mittelmeerklima, Tundra, Nadelwälder, das arktische Packeisbiom, Mangroven, Salzmarsche, tropische Regenwälder, und allgemein Küstenregionen der Meere (IPCC, 2007h, Box TS.5., S. 44). Auch viele Infrastrukturen und technische Einrichtungen wie Verkehrswege, Bauten, Wasserversorgung, Kühlanlagen, Kraftwerke sind direkt oder indirekt betroffen und Menschen die in Küstenregionen und Flussschwemmebenen leben, sind besonders betroffen (IPCC, 2007f, S.12). Schliesslich bedroht ein drastischer Klimawandel auch mancherorts die Nahrungsmittelproduktion bis hin zur menschlichen Gesundheit (Confalonieri et al., 2007; Easterling et al., 2007). Trotz verbleibenden Unsicherheiten ergibt sich ein eindeutiges Bild: Es zeichnet sich eine bedenkliche und bei ungebremstem Klimawandel klar äusserst gefährliche Entwicklung ab, die in ihren extremen Auswirkungen unbedingt vermieden werden sollte, da sie die menschliche Zivilisation in ihren Grundfesten zu erschüttern droht (IPCC, 2007h, S. 73; Schneider et al., 2007; Fischlin, 2009; Schneider, 2009; Smith et al., 2009). 7.2.3 Technologisch und ökonomisch ist ein drastischer Klimawandel immer noch abwendbar Der letzte Klimabericht besagt aber auch: Technologisch und ökonomisch ist ein drastischer Klimawandel immer noch abwendbar. Nicht nur das technologische, sondern auch das ökonomische Potential zur Dekarbonisierung ist sehr hoch und wird oft völlig unterschätzt. Obwohl das ökonomische Potential im allgemeinen geringer als das technologische ist, sprechen die von IPCC zusammengestellten Zahlen eine deutliche Sprache: Weltweit, alle Sektoren zusammengenommen, ist um 2030 eine Emissionsreduktion von 78% gegenüber dem Stand von 1990 möglich, falls konsequent Marktkräfte mobilisiert werden, d.h. ein wirksamer 3 Emissionshandel aufgebaut wird und für das Emissionsrecht für eine Tonne CO2-eq etwa 3 Mit 1 t CO2-eq bezeichnet man eine Menge an Treibhausgasen, welche die gleiche Klimawirksamkeit entfalten wie 1 t CO2. Methan (CH4) ist ein ca. 21 mal so starkes Treibhausgas wie CO2, Lachgas (N2O), das insbesondere bei übermässigem Düngen entsteht, ist ca. 310 mal ein so starkes Treibhausgas wie CO2 (Diese Umrechnungsfaktoren haben zurzeit Gültigkeit, d.h. kommen während der jetzt laufenden Abrechnungsperiode des Kyoto- 18 Andreas Fischlin: Klimawandel – Wissensstand und politische Handlungsnotwendigkeit 4 100$ bezahlt werden muss (IPCC, 2007e, Figure SPM.6, S.11). Auch halten sich die Vermeidungskosten entgegen oft vorgebrachten Befürchtungen klar in Grenzen. So schätzt IPCC, dass das Wirtschaftswachstum selbst bei den höchsten untersuchten Klimaschutzzielen nie um mehr als höchstens 0.12% verlangsamt wird, was akkumuliert bis 2030 einer bloss um ein Jahr verspäteten Erreichung des gleichen „Wohlstands“ gleichkommt. Bei diesen Berechnungen sind die positiven Aspekte wie Gewinne dank geringeren Energiekosten oder Einsparungen an Gesundheitskosten oder neue, zurzeit wenig erprobte Technologien nicht einmal berücksichtigt worden. In Anbetracht der ansonsten fatalen Folgen wird das Erreichen ambitiöser Klimaschutzziele als eine Voraussetzung einer nachhaltigen Entwicklung der Menschheit eingeschätzt (Yohe et al., 2007). Ich denke, ein drastischer Klimawandel würde es voraussichtlich auch mit sich bringen, dass sich die Fähigkeit der Erde, Menschen zu beheimaten (Tragekapazität), mengenmässig wesentlich verringerte (Cohen, 1995). Durch einen grundlegenden und konsequenten Technologiewandel in Richtung einer praktisch vollständigen Dekarbonisierung lässt sich also ein wesentlicher und unabdingbarer Beitrag zur Vermeidung eines drastischen Klimawandels leisten. Soll die Erderwärmung auf 5 maximal 2°C begrenzt werden , dann ergeben sich laut IPCC folgende Etappenziele: Industrieländer reduzieren ihren Treibhausgasausstoss bis 2020 um 25 bis 40% und bis 2050 um 80 bis 95% gegenüber 1990 (Gupta et al., 2007). Auch die Entwicklungsländer sind hierbei gefordert: Laut neuesten Untersuchungen ist deren Beitrag zur Erreichung des 2°C Klimaziels eine Senkung ihrer Treibhausgasemissionen bis 2020 um 15 bis 30% (den Elzen & 6 Höhne, 2008) gegenüber gegenwärtigen Wachstumstrends . Allerdings bleibt zur Vermeidung eines drastischen Klimawandels nur noch wenig Zeit (IPCC, 2007e, Figure SPM.6, S.11), soll die Erderwärmung auf maximal 2°C begrenzt werden7. Dann müssen nämlich gemäss den Szenarien mit einer gewissen Aussicht auf Realisierung die globalen Gesamtemissionen an Treibhausgasen schon ab etwa 2015 zu sinken beginnen. Insbesondere neueste Forschungsresultate, die nach der Veröffentlichung des IPCC Klimaberichts erschienen sind, unterstreichen diese Dringlichkeit: Der Klimawandel gestützt beispielsweise auf neueste Beobachtungen und Analysen aus der Arktis und Antarktis scheint sich zu beschleunigen und weit schneller abzulaufen als dies die Klimamodelle, die im Klimabericht verwendet wurden, vorausberechnet haben (Stroeve et al., 2007; Charbit et al., 2008; Comiso et al., 2008; Haas et al., 2008; Zhang et al., 2008; Kwok et al., 2009; Steig et al., 2009). Protokolls zur Anwendung, obwohl sie nicht ganz dem neuesten Wissensstand entsprechen, s.a. Fischlin et al., 2003, S.68). Es genügt dann schon eine entsprechend geringer Menge an CH4 oder N2O, um die gleiche Klimawirksamkeit wie CO2 zu erzeugen. 4 Entspricht etwa 24 Rappen pro Liter Heizöl bzw. Benzin (Burkhardt, 2009). 5 Zu diesem klimapolitischen Ziel bekennt sich die Schweiz (z.B. Bundesratsbeschluss Ende 2008) sowie schon seit längerem, d.h. auf dem Wissensstand der 90er Jahre abstützend, die EU (vgl. hierzu auch Fischlin, 2009) 6 Dies ist streng genommen kein bloss linearer Trend, sondern wird oft auch als die “Business as Usual”Entwicklung bezeichnet 7 Zu diesem klimapolitischen Ziel bekennt sich die Schweiz (z.B. Bundesratsbeschluss Ende 2008) sowie schon seit längerem die EU 19 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! 7.3 Die sieben Thesen Es ist allerdings fraglich, ob die erwähnten Klimaschutzziele alleine durch einen radikalen Technologiewandel wie der vollständigen Dekarbonisierung erreichbar sind. Hierzu seien folgende Bedenken angeführt: 8 • Jetzige politische Rahmenbedingungen – auf internationaler Ebene z.B. das KyotoProtokoll, auf nationaler das CO2-Gesetz – genügen alleine nicht, um wirksame Marktmechanismen, wie z.B. den Emissionshandel, zu mobilisieren. Hierzu sind ebenfalls hohe Emissionspreise erforderlich, die sich nur einstellen werden, falls international und national – z.B. Ende Jahr in Kopenhagen – ein Bekennen zu anspruchsvollen Klimazielen wie dem 2°C Schutzziel explizit vorgenommen wird und der hierzu erforderliche politische Wille allgemein und unmissverständlich erkennbar wird. Zögerliches Verhalten bewirkt stumpfe Werkzeuge, da dadurch niedrige Emissionspreise resultieren und die Marktmechanismen ungenügend spielen (IPCC, 2007e, Figure SPM.6, S.11). • Alleine ein Technologiewandel im herkömmlichen Sinn verstanden – z.B. Umstellungen bei der Energieversorgung und Konsumption –, genügt nicht, da neueste wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass ebenfalls im land- und forstwirtschaftlichen Bereich in der Grössenordnung von etwa 30% Beiträge (IPCC, 2007e, Figure SPM.6, S.11) zur Sequestrierung von CO2 sowie die Reduzierung bisheriger Treibhausgasemissionen vonnöten sind, um anspruchsvolle Klimaziele wie das 2°C Ziel überhaupt noch erreichen zu können. Zudem darf man in diesem Zusammenhang nicht die Tatsache übersehen, dass in vielen Entwicklungsländern der Löwenanteil der Treibhausgasemissionen aus dem land- und forstwirtschaftlichen Bereich stammen, der zurzeit am weltweiten, anthropogenen Treibhausgasausstoss einen erheblichen Belastungsanteil um ca. einen Fünftel ausmacht (Fischlin, 2008). • Mit Ausnahme des südamerikanischen Kontinents hat der ökologische Fussabdruck praktisch überall den kritischen Wert 1 überstiegen und beträgt zurzeit weltweit durchschnittlich ca. 1.2 (Kitzes et al., 2008). Damit ist längerfristig die Nachhaltigkeit unserer jetzigen Zivilisation grundsätzlich in Frage gestellt. • Verhaltensänderungen haben zu erhöhtem Konsum – z.B. vermehrtem Treibstoff-, Strom- oder auch Fleischkonsum – und damit zu gestiegenen Landansprüchen geführt. Sie haben so beigetragen, dass der ökologische Fussabdruck auf das heutige Niveau angewachsen ist. Es sind deshalb wiederum vergleichbare Verhaltensänderungen notwendig, aber in umgekehrter Richtung, die zur Lösung des Nachhaltigkeitsproblems beitragen können und müssen. Verhaltensänderungen auf gesell- 8 Dieses Konzept drückt aus, wie gross die Landfläche ist, die ein Mensch benötigt, um all die Güter her- bzw. bereitzustellen, die er bzw. sie im Verlaufe einer Zeiteinheit, z.B. einem Jahr, konsumiert. Z.B. die Produktion von Nahrungsmitteln, die jemand im Verlauf eines Jahres verspeist, benötigt bei einer gegebenen Landwirtschaft bestimmte Acker- bzw. Graslandflächen. Dieser Landbedarf kann dann mit der effektiv pro Kopf vorhandenen, auf allen Kontinenten nutzbaren Landfläche verglichen werden. Das resultierende Verhältnis zwischen Inanspruchnahme und effektiv vorhandener Fläche wird als ökologischer Fussabdruck bezeichnet. Bei einem Verhältnis unterhalb 1 ist die Nachhaltigkeit nicht gefährdet, jedoch Werte oberhalb 1 deuten auf Übernutzung hin. Eine solche Inanspruchnahme ist nicht nachhaltig befriedigbar. Sie kommt meist nur dank Abbau an natürlichem Kapital zustande und ist nur solange aufrechtzuerhalten bis das Kapital gänzlich aufgebraucht ist. Demgegenüber sind natürliche Ressourcen auf Dauer, das heisst nachhaltig nutzbar nur dann, wenn sie lediglich im Umfang ihrer Erneuerung genutzt werden („Von den Zinsen statt dem Kapital leben!“). 20 Andreas Fischlin: Klimawandel – Wissensstand und politische Handlungsnotwendigkeit schaftlicher aber auch individueller Ebene in Richtung Suffizienz sind vermutlich auch schon alleine deshalb notwendig, damit die durch den Technologiewandel erzielbaren Effizienzsteigerungen voll und im erforderlichen Umfang zum Tragen kommen können (Vermeidung des sog. „Rebound Effect“). 9 • Es zeichnet sich infolge des im letzten Jahrhundert stark gesunkenen EROI und der Überschreitung des Peak Oil bei den wichtigsten Förderstätten beim Erdöl nach ca. 2010 ein Rückgang der nutzbaren Mengen ab (Hubbert, 1949; Campbell & Laherrere, 1998; Kerr, 1998; Toman & Darmstadter, 1998; Zhao et al., 2009). Infolge der heute einseitigen Erdölabhängigkeit ist damit die Sicherheit unserer Energieversorgung, insbesondere der Industrieländer, ohnehin, möglicherweise schon bald in Frage gestellt. Ähnliches gilt für andere nicht erneuerbare Ressourcen (Fischlin et al., 1991; Vitousek et al., 1997; Raven, 2002). • Das Wachstum der menschlichen Bevölkerung hält an. Bis Mitte Jahrhundert dürfte sie um weitere 2 Milliarden auf etwa 9 Milliarden ansteigen (Lutz et al., 2008). Knappe Ressourcen werden also pro Kopf noch knapper (Cohen, 1995; Meadows et al., 2009) und damit verschärft sich jegliche Ressourcenproblematik bezüglich Zugang, Verteilung und Konsequenzen für die menschliche Gesundheit, die Umwelt und das Klima. • So ergeben sich auch für Fragen der sozialen Gerechtigkeit innerhalb und zwischen den Nationen grosse und zusätzliche Herausforderungen, denen zu begegnen eine besondere Aufgabe, insbesondere politische, darstellt (Thomas & Twyman, 2005; Höhne et al., 2007; Raupach et al., 2007). 7.4 Fazit Ich denke, eine vernünftige Klimapolitik heisst eine ambitiöse Klimapolitik und eine umfassende Neuausrichtung unserer Zivilisation bezüglich Nachhaltigkeit, denn nur so lassen sich die Risiken des Klimawandels auf ein vielleicht erträgliches Mass reduzieren (Fischlin, 2009). Alles andere erscheint fahrlässig und setzt die Zukunft unserer Zivilisation aufs Spiel. Für ein kleines Industrieland wie der Schweiz, ergeben sich die gleichen Anforderungen wie für jedes andere Industrieland auch. Zudem dürfte sich in Anbetracht unserer Kleinheit, der starken Auslandsabhängigkeit und der Ressourcenarmut unser Wohlstand nur dann auch auf Dauer erhalten lassen, wenn wir im Klimaschutz hinsichtlich der ohnehin früher oder später unabwendbaren Energiewende vorausschauend handeln. 9 EROI steht für „Energy Return On Investment“ und bezeichnet das Verhältnis zwischen dem zur Förderung eines Energieträgers aufzubringenden Energieaufwand und dem im Träger schlussendlich gespeicherten, nutzbaren Energiemenge. Sinkt der EROI auf 1, lohnt sich die Förderung energietechnisch nicht mehr, ungeachtet der Menge allenfalls noch vorhandener, bislang ungenutzter Vorräte z.B. an Erdöl. 21 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! 7.5 Literatur Burkhardt, A., 2009. Vermeidungskosten in der Schweiz. Campbell, C. & Laherrere, J., 1998. 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Das bedeutet: Wenn wir Klimapolitik machen, machen wir ebenso Energiepolitik – und vice versa. Auch in der Klimapolitik sind wir mit Fragen der Endlichkeit konfrontiert; die Klimawissenschaften beschäftigen sich stark mit der Frage, wie viel Treibhausgase das System aufnehmen kann, ohne dass irreversible Veränderungen zu erwarten sind. Einzelne Auswirkungen des Klimawandels werden uns voraussichtlich in den nächsten Jahrzehnten sehr konkret vor Augen führen, dass beispielsweise die im Gletschereis gebunden Wasservorräte – ebenso wie die Erdölvorräte – zur Neige gehen. Davon wird wiederum ein wichtiger, nicht fossiler Teil unserer Energieversorgung tangiert werden: Die Stromproduktion der Schweiz ist mit den Wasserkraftwerken und mit den wassergekühlten Kernkraftwerken direkt von Wassermenge und -temperatur in den Fliessgewässern abhängig. 8.2 Architektur des internationalen Klimaregimes Auf internationaler Ebene haben sich die Staaten im Rahmen der UNO organisiert. Die Verabschiedung der Klimakonvention (UNFCCC) anlässlich des Erdgipfels 1992 war ein Meilen26 Andrea Burkhard: Klimapolitik der Schweiz am Vorabend des Peak Oil stein für ein koordiniertes Vorgehen auf internationaler Ebene. Die Industrieländer verpflichten sich im Rahmen der Konvention zu Massnahmen zur Emissionsreduktion sowie zur Unterstützung der Entwicklungsländer bei der Anpassung an den Klimawandel. Seit 1995 treffen sich die Unterzeichnerstaaten der Klimakonvention jährlich zur Konferenz der Vertragsparteien (Conference of the Parties, COP). Zu den bisher wichtigsten Resultaten der Konferenzen zählen das Kyoto-Protokoll von 1997, das den Industriestaaten verbindliche Reduktionsziele auferlegt, und die Marrakech Accords von 2001, welche die Umsetzung des Kyoto-Protokolls regeln. Abbildung 1: Internationale Klimapolitik Die Mission der Klimakonvention, die von fast allen Staaten der Welt unterzeichnet ist, lautet: Es soll die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre auf einem Niveau stabilisiert werden, das eine gefährliche Störung des Klimasystems verhindert. Konkret heisst dies, dass je nach Bevölkerungsentwicklung die Emissionen pro Kopf auf 1 bis 1,5 Tonnen CO2eq zu beschränken sind. Heute sind wir weit von diesem Ziel entfernt, nämlich bei etwa 6 Tonnen pro Kopf weltweit. Das bedeutet, dass einerseits die Industriestaaten ambitiöse Reduktionsziele verfolgen müssen, andererseits aber auch die Schwellen- und Entwicklungsländer substantielle Leistungen zu erbringen haben. Ein weiterer wichtiger Meilenstein ist nun die Klimakonferenz in Kopenhagen im Dezember 2009. Dort will man weitere Reduktionsziele in einem Nachfolgeabkommen zum KyotoProtokoll vereinbaren und in ein mittelfristiges Regime für den Zeitraum 2013 bis 2020 einbetten. Bis 2050 – das ist in politischer Währung schon sehr langfristig – müssen die Emissionen noch deutlich weiter sinken, nämlich weltweit um mindestens 50 bis 80 Prozent. Für die Industriestaaten bedeutet dies sogar, dass sie zwischen 80 und 95 Prozent reduzieren müssen. 27 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! 8.3 Nationales klimapolitisches Umfeld Die Schweizer Klimapolitik verfolgt mit dem bestehenden, heute gültigen CO2-Gesetz das Ziel, die im Kyoto-Protokoll eingegangene Verpflichtung (8 % Reduktion im Zeitraum 20082012 gegenüber 1990) zu realisieren. Die Prognosen des BAFU lassen erwarten, dass wir das Ziel knapp erreichen. Die zukünftige nationale Klimapolitik kennt zurzeit drei politische Projekte, die allesamt Reduktionen des CO2-Ausstosses im Jahr 2020 gegenüber dem Niveau von 1990 anstreben. Abbildung 2: Vorliegende politische Projekte Die Revision des CO2-Gesetzes versteht sich als indirekter Gegenvorschlag zur Klimainitiative. Dazu kommt auf der nationalen Bühne ein wichtiges neues Element: Ab dem Jahr 2010 werden maximal 200 Millionen Franken aus der CO2-Lenkungsabgabe für die Gebäudesanierung und für erneuerbare Energien im Gebäudebereich verwendet. 8.3.1 Reduktionsziele bis 2020 Das in der Botschaft entworfene CO2-Gesetz sieht in der Basisvariante eine Reduktion von 20 Prozent (gegenüber 1990) vor. Sollten sich andere Industriestaaten im Rahmen der internationalen Verhandlungen ebenfalls zu weitergehenden Zielen bekennen, will der Bundesrat sich sogar zu 30 Prozent Reduktion verpflichten. Im Unterschied zum heute gültigen CO2Gesetz, das auf CO2 fokussiert, soll das neue Gesetz alle relevanten Treibhausgase erfassen und damit das internationale Klimaregime adäquat abbilden. Die Reduktionsziele für die einzelnen Sektoren sind so festgelegt, dass das Gesamtziel eingehalten werden kann, auch wenn die Methanemissionen aus der Landwirtschaft und weitere nicht energetische Emissionen nur geringfügig zurückgehen. Umso grösser muss aus diesem Grund die Reduktion in den drei Sektoren Fahrzeuge, Gebäude und Industrie ausfallen. 28 Andrea Burkhard: Klimapolitik der Schweiz am Vorabend des Peak Oil Abbildung 3: Reduktionsziele einzelner Sektoren bis 2020 gegenüber 1990 8.3.2 Massnahmen Das CO2-Gesetz hat den Vorzug, dass es bereits ein ganzes Paket von Massnahmen bereithält, mit denen die Reduktionsziele zu erreichen sein müssten. Die wichtigsten werden im Folgenden kurz aufgeführt. 8.3.2.1 Instrumente Fahrzeuge • Der CO2-Emissionszielwert für den Durchschnitt der neu verkauften Personenwagen wird verbindlich festgelegt. Diese Massnahme ist bereits ab 2012 vorgesehen. • Einführung der Pflicht für Hersteller und Importeure von fossilen Treibstoffen, mindestens einen Viertel der verursachten Treibstoffemissionen durch Treibhausgas mindernde Massnahmen im In- oder Ausland zu kompensieren. Bei Bedarf, d.h. wenn die Massnahme nicht die beabsichtige Wirkung erzielt, ist 2015 und 2018 eine Erhöhung der Kompensationspflicht auf maximal 35% möglich. Die betroffenen Unternehmen können sich zu Kompensationsgemeinschaften zusammenschliessen. • Zusätzlich kann auch eine CO2-Lenkungsabgabe auf Treibstoffen eingeführt werden, falls dies zur Zielerreichung notwendig sein sollte. 8.3.2.2 Instrumente Gebäude und Industrie Das wichtigste Element ist hier die CO2-Abgabe auf Brennstoffen, die ja bereits eingeführt ist. Sie beträgt laut Vorschlag des Bundes mindestens 36 Fr. pro Tonne CO2, das heisst etwa 9 Rappen pro Liter Heizöl. Erzielt die Abgabe nicht genügend Wirkung, kann der Bund sie in zwei Schritten erhöhen. Die Idee dahinter ist, dass die Verteuerung der Brennstoffe Anreize zur Effizienz sowie zum Umstieg auf andere Energieträger setzt. Das bereits erwähnte Gebäudeprogramm, das mit 200 Millionen aus diesen Mitteln alimentiert wird, soll weitergeführt werden. Es ist auf eine Dauer von 10 Jahren angelegt und wird nach 5 Jahren evaluiert. Das Programm ist zweigeteilt: Mindestens zwei Drittel der Mittel fliessen über Programmvereinbarungen mit den Kantonen in energetische Gebäudesanierungen. Maximal ein Drittel steht für erneuerbare Energien, Abwärmenutzung und Gebäude29 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! technik zur Verfügung. Der Rest – ca. 400 Mio. Franken im Jahr – fliesst via Krankenkassen an die Bevölkerung und via AHV-Kassen an die Unternehmen zurück. Für Industriebetriebe gibt es weiterhin die Möglichkeit, sich von der Lenkungsabgabe befreien zu lassen, wenn sie ihretwegen in ihrer Wettbewerbsfähigkeit eingeschränkt würden. Von der Abgabe befreite Unternehmen vereinbaren mit dem Bund ein Reduktionsziel. Wie sie diese Ziele erreichen, ist letztlich ihre Sache. Sie können auch Emissionsrechte von anderen Unternehmen oder in beschränktem Umfang ausländische Emissionszertifikate anrechnen. Für Unternehmen mit einem Ausstoss ab 5'000 Tonnen pro Jahr ist ein Cap and TradeSystem vorgesehen, das möglichst mit demjenigen der EU verbunden werden soll. Abbildung 4: Inländischer Emissionshandel (ETS) und internationaler Zertifikatehandel 8.3.2.3 Wirkungsabschätzung der verschiedenen Massnahmen Welche Wirkungen werden nun den oben aufgeführten Massnahmen zugeordnet? Für eine Reduktion von 20 Prozent gegenüber 1990 müssen insgesamt rund 10,5 Millionen Tonnen CO2eq eingespart werden. Ein bedeutender Teil (64%) ist als Inlandleistung vorgesehen. 30 Andrea Burkhard: Klimapolitik der Schweiz am Vorabend des Peak Oil CO2-Reduktion (Mio. Tonnen CO2eq) 2012 0 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 -1 -2 -3 -4 -5 -6 Gebäudeprogramm Lenkungsabgabe ETS (Inland) PW-Emissionsvorschriften Pfand Abbildung 5: Wirkungsabschätzung der geplanten Massnahmen bis 2020 8.3.3 Anpassung an die Klimaänderung Ein neues Element im revidierten Klimagesetz ist das Thema Adaptation, also die Anpassung an die Klimaänderung. Hier soll der Bund eine koordinierende Funktion wahrnehmen und Grundlagen erarbeiten sowie Wissenslücken schliessen zu den Risiken und Auswirkungen der Klimaänderung. Auf dieser Basis entwickelt der Bund eine Anpassungsstrategie, wobei hier zu betonen ist, dass er dies in Absprache mit den Kantonen und der Privatwirtschaft (z.B. Gebäudeversicherungen) tun soll, da die eigentlichen Massnahmen ja vor allem lokaler Natur sind und sein werden. 8.3.4 Sekundärer Nutzen Neben der primären Klima-Wirkung haben klimapolitische Massnahmen im Inland eine Anzahl positiver Nebeneffekte: • Rückgang des fossilen Energieverbrauchs und damit verbundener externer Kosten (z.B. Gesundheitskosten infolge von Luftschadstoffen) • Investitionen in klimafreundliche Technologien • Reduktion der Auslandabhängigkeit durch Rückgang der Ölimporte um 13% (17%) Æ verringerter Geldabfluss von 1 bis 1,5 Mrd. Fr. • Geringeres Risiko infolge von Ölpreisschwankungen • Geringeres Risiko von Klimaänderungen, wenn internationales Klimaregime post 2012 griffig Æ weniger Klimaschäden und damit weniger Anpassungsbedarf Æ geringere Risikoexposition der Exportwirtschaft 31 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! 8.3.5 Moderate volkswirtschaftliche Auswirkungen Die volkswirtschaftlichen Auswirkungen der vorgeschlagenen Reduktionsmassnahmen bis zum Jahr 2020 sind moderat. Es ist mit keinen nennenswerten Wachstums- und Wohlstandseinbussen zu rechnen. Zudem sind keine gravierenden Auswirkungen auf die Wirtschaftsstruktur der Schweiz zu erwarten. 8.4 Ausblick Wie geht es weiter in der Klimapolitik? Sowohl auf der nationalen wie auch auf der internationalen Ebene sind zahlreiche Meilensteine in Sichtweite: Abbildung 6: Meilensteine der nationalen und internationalen Klimapolitik 8.5 Fazit Die Klimapolitik nach 2012 setzt den Treibhausgasemissionen Grenzen. Man könnte sagen, sie baut ein Fass mit Boden. Wir haben Ziele und Massnahmen, wir gehen sowohl die Ursachen als auch die Folgen der Klimaänderung an. 32 Patrick Hofstetter: Die Diskrepanz zwischen wissenschaftlich Nötigem und politischer Trägheit. Wo harzt es in der Schweizer Klimapolitik? 9 Patrick Hofstetter: Die Diskrepanz zwischen wissenschaftlich Nötigem und politischer Trägheit. Wo harzt es in der Schweizer Klimapolitik? Dr. Patrick Hofstetter Leiter Klimapolitik WWF Schweiz WWF Schweiz Hohlstrasse 110 CH-8010 Zürich [email protected] 9.1 Einleitung Die Ausgangslage wäre klar. Um gefährliche Auswirkungen des Klimawandels zu verhindern, darf die globale Erwärmung nach heutigem Kenntnisstand 2 Grad Celsius sicher nicht überschreiten. Daraus kann abgeleitet werden, wie schnell und stark die weltweiten Emissionen reduziert werden müssen. Eine Reduktion der Treibhausgasemissionen in Industrieländern um 40% bis 2020 wird als nötig erachtet, damit die globalen Emissionen noch vor 2017 zu sinken beginnen und die Bedürfnisse der Entwicklungsländer nicht zusätzlich eingeschränkt werden. Die Schweizer Klimapolitik des Bundesrates und der economiesuisse bleibt weit dahinter zurück und ignoriert die Chancen und den volkswirtschaftlichen Nutzen einer aktiven Klimapolitik. Trotz hohem Problembewusstsein der Schweizer Bevölkerung scheint die Mehrheit der EntscheidungsträgerInnen in Politik und Verbänden nicht bereit, den Schritt in eine klimaverträgliche Zukunft zu tun und das fossile Zeitalter, welches uns alle satt gemacht hat, freiwillig zu verlassen. 9.2 Reduktionsziele am 2-Grad-Ziel orientieren Die anno 1992 in Rio verabschiedete Uno-Klimarahmenkonvention will in ihrem Zweckartikel nichts weniger als die Verhinderung von gefährlichen Auswirkungen des Klimawandels. Solche gefährlichen Auswirkungen sind zwar schon manchenorts zu beobachten. Aber überproportional zunehmen werden sie mit grosser Wahrscheinlichkeit gemäss heutiger wissen33 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! schaftlicher Erkenntnisse bei einer weltweiten Erwärmung von 2 Grad Celsius und mehr gegenüber vorindustriellem Wert. Darum haben bereits über 120 Länder – darunter seit kurzem auch die Schweiz – verkündet, dass eine Erwärmung von mehr als 2 Grad Celsius bzw. die damit verbundene Gefahr katastrophaler Klimafolgen untragbar seien. U.a. eine grosse Gruppe von Inselstaaten fordert aus nachvollziehbaren Gründen, die Erwärmung auf unter 1.5 Grad zu begrenzen, um solche Folgen mit grosser Sicherheit statt nur Wahrscheinlichkeit weitgehend zu vermeiden. Wird eine Erwärmungsgrenze gesetzt und gesagt, mit welcher Wahrscheinlichkeit diese unterschritten werden soll, dann können Klimamodellierer berechnen, welche Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre längerfristig gerade noch tolerierbar ist und welche Emissionsmengen somit noch zulässig sind. Figur 1 zeigt diese Zusammenhänge. Um die Erwärmung unter 2 Grad zu halten, sind global Emissionsreduktionen von mindestens 80% bis 2050 nötig, aber auch Reduktionen in den Industrieländern um 40% von 1990 bereits bis 2020. Dies wurde kürzlich auch vom in der Schweiz zuständigen Bundesrat Moritz Leuenberger bestätigt, als er den bundesrätlichen Vorschlag in der Botschaft zum CO2-Gesetz ins rechte Licht rückte: „Für das 2-Grad-Ziel sind 40 Prozent Absenkung [der Treibhausgasemissionen gegenüber 1990] das rechnerische und logische Ergebnis. Insofern sind selbst die 20 Prozent ein unbefriedigender Kompromiss.“ (Basler Zeitung 18.11.2009) Figur 1: Sechs Stabilisierungsszenarien, wie sie vom IPCC berechnet wurden, wobei zwischen roter und blauer Linie jeweils die 66% der wahrscheinlichsten Temperaturerhöhung gezeigt wurde. Eine Treibhausgaskonzentration von 445ppm CO2-Äq (linkes Ende des grünen Szenarios I) hat somit eine 50% Wahrscheinlichkeit (schwarze Linie), dass die globale Erwärmung unter 2 Grad bleibt. Soll die Erwärmung mit einer Wahrscheinlichkeit von 83% unter 2 Grad bleiben, so muss die Treibhausgaskonzentration auf 375ppm CO2-Äq reduziert werden (siehe rote Pfeile). Die Hinweisblasen zeigen die nötigen Emissionsreduktionen der Industrieländer von 1990 bis 2020. Gleichzeitig müssen die NichtIndustrieländer ihre Emissionen um 15-30% unter deren unkontrollierte Referenzentwicklung senken (IPCC 2007). 34 Patrick Hofstetter: Die Diskrepanz zwischen wissenschaftlich Nötigem und politischer Trägheit. Wo harzt es in der Schweizer Klimapolitik? 9.3 Sonderfall Schweiz Es könnte natürlich sein, dass die Schweiz gar kein Interesse an der Bekämpfung des gefährlichen Klimawandels hat, oder schon alles dafür getan hat, oder aber sie sich im Unterschied zu anderen Ländern eine aktive Klimapolitik gar nicht leisten kann. Tatsächlich gibt es Entscheidungsträger und Lobbygruppen, die solche Argumente ins Feld führen. Deshalb soll hier mit ein paar Mythen aufgeräumt werden (siehe auch Fricker et al. 2007). Während es seit Beginn der Industrialisierung weltweit bisher um 0.74 Grad Celsius wärmer geworden ist, sind es in der Schweiz bereits 1.5 Grad. Aufgrund der zentralkontinentalen Lage und der durch das Abschmelzen der Gletscher abnehmende Albedo, welche wiederum die Absorption und damit Erwärmung verstärkt, dürfte sich die Schweiz auch in Zukunft überdurchschnittlich stark erwärmen. Deshalb macht es sicherlich Sinn, sich in der Schweiz auf eine Erwärmung um 3 bis 5 Grad bis Ende 2100 einzustellen, was nicht nur die Alpenlandschaft und -wirtschaft neu definieren wird. Schon heute liegt die Schweiz bei den wetterbedingten Schäden pro Kopf unter den TopTen-Ländern – in den letzten Jahren sogar oft als einziges Industrieland. Selbst wenn die Erfassung und Schadensabdeckung dank der ausgebauten, obligatorischen Gebäudeversicherung hoch ist und die Vergleichbarkeit der Daten somit schmälert: Wir wissen alle, dass die fragile Alpenwelt und die grossen Niederschlagsmengen im Wasserschloss Europas tatsächlich erhebliches Zerstörungspotential haben. Die Schweiz ist also vom Klimawandel stärker betroffen als andere Industrieländer. 9.4 Wo stehen die Treibhausgasemissionen der Schweiz? Das CO2-Gesetz will die CO2-Emissionen von 1990 bis 2010 um 10% reduzieren. Bis 2008 ist lediglich eine Stabilisierung auf dem Niveau von 1990 gelungen und Bundesrat und Parlament nehmen es hin, dass die gesetzten Ziele verfehlt werden. Optimistisch ist der Bundesrat, dass die Kyoto-Ziele erreicht werden können (Reduktion der Treibhausgase um 8% im Durchschnitt von 2008-2012 gegenüber 1990). Neben Rechentricks (Emissionsreduktionen im Ausland, CO2-Absorption durch Wälder) hofft der Bundesrat vermutlich vor allem auch auf milde Winter ohne Sturmschäden. Anders sind die Ziele kaum zu erreichen. Gebäudeheizungen und der Strassenverkehr sind in der Schweiz mit Abstand die grössten Emissionsquellen. Figur 2 zeigt einen Vergleich der CO2-Emissionen pro Wohnung in verschiedenen Ländern. Dabei zeigt sich klar, was wir eigentlich schon wussten: Die Schweiz ist ein Land von ölbeheizten Häusern. Ob dies damit zu tun hat, dass das Heizöl nirgends in Europa billiger ist als in der Schweiz? 35 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! CO2-Emissionen pro Wohnung [t/a] 5 4.5 4 3.5 3 2.5 2 1.5 1 0.5 Sw U itz K er la n Be d lg iu m I re la nd Ita ly G re ec e EU 15 Au st N r et he ia rla nd s Fr an ce G er m an y g Sw al ed en Fi nl an d D en m ar k Sp ai n rtu Po N or w ay 0 Figur 2: Vergleich der Schweiz mit den EU-15-Ländern (Daten: Odyssee, BFE) Noch schlechter schneidet der schweizerische Neuwagenpark ab. Seit Jahren stellt die Schweiz die klimaschädlichste Neuwagenflotte auf die Strasse (Figur 3). Die Gründe hierzu liegen nicht nur in der grossen Kaufkraft, sondern auch beim billigen Benzin und der im Vergleich mit anderen Ländern sehr geringen Autoimportsteuer. CO2-Emissionen von Neuwagen in Gramm pro km (2007) 180 170 160 150 140 130 Figur 3: Emissionen von Neuwagen im Vergleich (Daten: Eurostat, auto-schweiz) Die Beispiele Wohngebäude und Fahrzeuge zeigen, dass die Schweiz sich weder auf einem klimaverträglichen Niveau befindet, noch klimaverträglicher wäre als vergleichbare Länder. Figur 4 zeigt, dass die im Vergleich zu anderen OECD-Ländern tiefen pro-Kopf-Emissionen vielmehr daher rühren, dass die Schweiz die energie- und CO2-intensive Industrie und Herstellung von Konsumgütern weitgehend ins Ausland verlagert hat und die entsprechenden Produkte importiert. Zusätzlich zu den inländischen 7.5 Tonnen Treibhausgasemissionen pro EinwohnerIn und Jahr kommt ein Nettoimportüberschuss von rund 11 Tonnen, und dieser katapultiert die Schweiz in die Top Ten der Welt. 36 Patrick Hofstetter: Die Diskrepanz zwischen wissenschaftlich Nötigem und politischer Trägheit. Wo harzt es in der Schweizer Klimapolitik? Figur 4: Umfassende Modellierung sämtlicher weltweiter Handelsbeziehungen und deren Treibhausgasrucksack für das Jahr 2002 (Hertwich & Peters 2009) 9.5 Kosten und Nutzen aktiver Klimapolitik Die Schweiz ist also besonders betroffen vom Klimawandel und gehört zu den Grossemittenten. Wie sehen denn die Kosten und Nutzen einer aktiven Klimapolitik aus? Das Beratungsunternehmen McKinsey hat in einer aktuellen Studie (Figur 5) dargelegt, dass die Schweiz bei einem durchschnittlichen Ölpreis von 100$/Barrel bis 2030 18.4 Mio. t CO2-Äq reduzieren kann und sich jede Massnahme selber zurückzahlt oder gar satte Erträge abwirft. Heute bekannte Technologie genügt. Die Massnahmen konzentrieren sich dabei auf den Strassenverkehr und Gebäude und bestätigen das grosse Klimaschutzpotential dieser Sektoren. Um dieses Potential auch zu realisieren, müssten alle Entscheidenden vollständig informiert sein und volles Vertrauen haben, dass sich ihre Investition tatsächlich zurückzahlt. Denn die Kosten beziehen sich auf die technische Lebensdauer der getroffenen Massnahmen und einen realen Zinssatz von 2.5%, welcher keine Restrisiken zulässt. 37 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! Figur 5: Grenzvermeidungskosten von Klimaschutzmassnahmen in der Schweiz. Negative Kosten auf der Abszisse entsprechen Nettonutzen der Erträge. Die Kosten beinhalten keine Transaktionskosten und berücksichtigen keine sekundären Nutzen (McKinsey 2009a). Auch eine Untersuchung von Infras (2008) bestätigt, dass selbst bei Wirtschaftswachstum gemäss offiziellen Langfristprognosen bis 2035 die CO2-Emissionen um 60% reduziert werden können, ohne das als Modellinput geforderte Wirtschaftswachstum zu verlangsamen (Figur 6). Ob bei abgeschwächtem Wirtschaftswachstum die Emissionen noch stärker gesenkt werden könnten, wurde nicht untersucht. 38 Patrick Hofstetter: Die Diskrepanz zwischen wissenschaftlich Nötigem und politischer Trägheit. Wo harzt es in der Schweizer Klimapolitik? Figur 6: Nicht nur die inländischen sondern auch die grauen Emissionen wurden für das Reduktionsziel von 60% bis 2035 berücksichtigt. Die nötigen Massnahmen konzentrieren sich auf die Verbesserung von Energieeffizienz und der Substitution von fossilen durch erneuerbare Energien. Der kleine Anteil der Suffizienz ist eine Konsequenz der Internalisierung externer Kosten in die Energiepreise und damit den Verzicht auf besonders energieintensive und damit verteuerte Produkte. Studien zu den wirtschaftlichen Auswirkungen von Klimaschutzmassnahmen modellieren oft nur direkte Kosten und Nutzen. Deshalb wurde in Econcept (2009) der luftschadstoffbedingte Sekundärnutzen im Jahre 2020 von verschiedenen Klimaschutzzielen untersucht. Während es die Bundesratsbotschaft mit einer CO2-Reduktion von 10-15% im Inland gerade auf Zusatznutzen von rund 100 Mio. Fr. pro Jahr bringt, verspricht das Ziel der eidgenössischen Volksinitiative für ein gesundes Klima (-30% im Inland von 1990 bis 2020) Zusatznutzen von 540 Mio. Fr. pro Jahr und das Ziel der Allianz für eine verantwortungsvolle Klimapolitik (40%) gar 800 Mio. Fr. pro Jahr. Denn je weniger fossile Energien verbrannt werden, desto geringer die Luftbelastung und desto weniger schadstoffbedingte Krankheitsfälle und vorzeitige Todesfälle. Noch schwieriger zu quantifizieren sind die Vorteile einer aktiven Klimapolitik für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit. Zwar wurden diese Vorteile in aktuellen Studien gezeigt (Bretschger 2009, Cadot et al. 2009), sie werden aber gerne ignoriert. Fakt ist, dass die Schweiz bezüglich Patenten und Wettbewerbsfähigkeit regelmässig Spitzenplätze belegt und ihr heutiger Wohlstand massgeblich auf diesen Faktoren beruht. Wie Figur 7 jedoch zeigt, war die Tendenz in 6 von 8 Umwelttechnologiebereichen negativ. Andere Länder mit aktiverer Umweltpolitik holen auf und überholen uns. 39 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! Patente Tendenz Relativer Rang Patentantei l‐Index Aussenhandelsspezialisierung Relativer komparativer Rang Vorteil‐Index Energieerzeugung Energieeffizienz 40 11 1 4 abnehmend Stark abnehmend 48 26 3 4 Materialeffizienz Nachhaltige Mobilität Nachhaltige Wasserwirtschaft 42 ‐18 ‐15 1 7 8 Zunehmend abnehmend abnehmend ‐42 ‐58 18 9 10 5 Abfall‐ und Kreislaufwirtschaft ‐15 8 abnehmend 50 6 Weisse Biotechnologie Nanotechnologie ‐12 ‐3 6 5 zunehmend abnehmend 0 50 4 2 Figur 7: Für die Tendenz wurden die Jahre 2004-2006 mit der Periode 2001-2003 verglichen. Die Untersuchung konzentrierte sich auf die export- und technologiestärksten Länder der Welt (UBA 2008, Innovationsdynamik und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in grünen Zukunftsmärkten) 9.6 Die Schweiz fährt beim Klimaschutz international besonders günstig Die offiziellen Uno-Buchhaltungsregeln des Kyoto-Protokolls berücksichtigen pro Land nur die Inlandemissionen. Da die Reduktionsziele für Klimagase in Prozent ausgehandelt werden, fährt die Schweiz besonders günstig. Wie Figur 4 (Seite 37) zeigt, emittieren Kanada und die Schweiz praktisch gleich viel pro Kopf und Jahr, wenn Import und Export berücksichtigt werden: rund 18t CO2-Äq. Wird der Handel nicht berücksichtigt, werden also nur Inland10 emissionen betrachtet, so bleiben die Emissionen für Kanada auf unglaublichen 18 Tonnen, für die Schweiz sinken sie jedoch auf nur noch 7.5 Tonnen. Bei einer Reduktionsvorgabe von 40% bis 2020 für beide Länder müsste Kanada demnach pro Kopf über 7 Tonnen reduzieren, die Schweiz jedoch nur 3 Tonnen. Das gleiche prozentuale Reduktionsziel ist deshalb für Länder mit hohen Inlandemissionen nicht etwa leichter zu erzielen, sondern deutlich ambitiöser. Ausser natürlich, wenn die Emissionen in Kanada viel billiger zu reduzieren wären als in der Schweiz. Figur 5 hat zwar bereits gezeigt, dass die Emissionsreduktionen in der Schweiz äusserst günstig sind. Trotzdem soll für diese Fragestellung auch noch Figur 8 beigezogen werden. Diese Grafik zeigt, dass die Schweiz mit so günstigen Kosten pro Tonne reduziertem Treibhausgas rechnen kann, gerade weil sie ihre Hauptemissionen in den Bereichen Gebäude und Verkehr hat. Reduktionen bei der Schwerindustrie kosten deutlich mehr. Einzig die nötigen Investitionen in die Massnahmen sind in den Bereichen Gebäude und Verkehr höher. Nur ist dies im Land der Finanzwirtschaft kein Nachteil, sondern sogar ein Vorteil! Die Schweiz profitiert also davon, dass Reduktionsziele in Prozenten festgelegt werden und die Hauptemissionssektoren der Schweiz besonders günstige Vermeidungskosten aufwei10 In Figur 4 werden für die Emissionen im Inland abzüglich der Emissionen in exportierten Produkten rund 15 Tonnen pro Kopf ausgewiesen. Ohne diesen Abzug, gemäss den Buchhaltungsregeln des Kyoto-Protokolls, sind es rund 18 Tonnen pro Kopf. 40 Patrick Hofstetter: Die Diskrepanz zwischen wissenschaftlich Nötigem und politischer Trägheit. Wo harzt es in der Schweizer Klimapolitik? sen. Gleichzeitig verursacht der Konsum in der Schweiz grosse Mengen grauer Emissionen im Ausland. Deshalb fordert die Allianz für eine verantwortungsvolle Klimapolitik, dass auch 11 jene grauen Emissionen durch Massnahmen im gleichen Umfang reduziert werden . Figur 8: Viele Klimaschutzmassnahmen verursachen anfänglich zusätzliche Investitionskosten, welche sich je nach Ersparnis von fossilen Energien und deren Marktpreis über die Lebensdauer amortisieren. Die Investitionsintensität ist auf der x-Achse aufgetragen, die resultierenden Nettokosten über die technische Lebensdauer auf der y-Achse. Dabei handelt es sich um weltweite Mittelwerte für die wichtigsten Sektoren (McKinsey 2009b). 9.7 Wo steht die Schweiz bezüglich Verhandlungsangeboten? Für die Zeit nach der ersten Verpflichtungsperiode des Kyoto-Protokolls (2008-2012) sind alle Industrieländer aufgefordert, Reduktionsangebote einzureichen, damit der 2007 an der Klimakonferenz in Bali vereinbarte Zielkorridor von 25-40% Reduktion der Treibhausgasemissionen realisiert werden kann. Wie Figur 9 trefflich illustriert, sind die bisherigen Verhandlungsangebote keinesfalls berauschend. Dies hat auch damit zu tun, dass man bei Verhandlungen nicht alle Karten von Beginn weg auf den Tisch legen will. Als taktisches Argument mag das taugen, wenn es um andere multilaterale Verhandlungen geht, die auch über mehrere Jahre ohne Schaden verzögert werden können. Beim Klimaschutz geht es jedoch nicht um irgendeinen Kompromiss. Ziel muss sein, das weitestgehend mögliche Abkommen zu treffen, um den Klimakollaps abzuwenden. 11 http://www.klimaallianz.ch/ , http://assets.wwf.ch/downloads/vernemlassungsantwort_co2_gesetz.pdf 41 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! Figur 9: Verhandlungsangebote im August 2009 Das Verhandlungsangebot der Schweiz richtet sich im Wesentlichen nach der Botschaft des Bundesrates zur Revision des CO2-Gesetzes. Hierzu schreibt die Botschaft (S.34): „Bei der Festlegung der zukünftigen Reduktionsziele für die Schweiz stützt sich der Bundesrat auf wissenschaftliche Erkenntnisse des IPCC und dem Grundsatz der gemeinsamen aber differenzierten Verantwortung in den internationalen Verhandlungen“. Zu erwarten wäre also, dass die Schweiz ihre Emissionen um 40% bis 2020 reduziert. Ein Irrtum: Trotz diesem Bekenntnis reduziert die Schweiz ihre Emissionen im Basisfall nur um 20% von 1990 bis 2020. Davon sogar bis zur Hälfte im Ausland, womit also eine Inlandreduktion von 10% bleibt. Falls sich die EU, die USA und grosse Schwellenländer ebenfalls zu mehr Klimaschutz verpflichten, würde die Schweiz auf 30% erhöhen (davon mindestens 15% im Inland). Wie Bundesrat Leuenberger richtig erklärte: Dieses Verhandlungsangebot hat nichts mit dem zu tun, was die Schweiz tun müsste. Figur 10 zeigt auch, dass andere europäische Länder deutlich weiter gehen wollen, falls ein neues Klimaabkommen zu Stande kommt. Die Schweiz fällt also mit ihrem aktuellen Verhandlungsangebot und Gesetzesentwurf klar hinter die Länder mit aktiver Klimapolitik zurück. Die Diskrepanz zur Forderung der Allianz für eine verantwortungsvolle Klimapolitik (Reduktion 40% im Inland plus nochmals gleichviel im Ausland) ist riesig. Es liegt nun am Parlament, den ungenügenden Entwurf des Bundesrates grundlegend zu überarbeiten. 42 Patrick Hofstetter: Die Diskrepanz zwischen wissenschaftlich Nötigem und politischer Trägheit. Wo harzt es in der Schweizer Klimapolitik? 0 -5 -10 7% 21% Kyoto-Ziele bis 2010 -15 -20 -25 Anteil CDM/JI Anteil Inland -30 -35 -40 -45 Wahrscheinlichkeit grösser 50%, dass Stabilisierung unter 2 Grad Erwärmung Figur 10: Angekündigte Treibhausgas-Emissionsreduktionsziele von 1990 bis 2020, falls ein neues globales Klimaabkommen zu Stande kommt. Rot eingetragen die geltenden Reduktionsziele von 1990 bis 2010 gemäss Kyoto-Protokoll. 9.8 Aktuelle Beispiele ungenügender politischer Rahmenbedingungen Anhand von drei Beispielen aus dem Jahre 2009 soll gezeigt werden, dass wir heute weit weg von einer aktiven Energie- und Klimapolitik sind. 1. Die Vernehmlassungsunterlagen des BFE zur Festlegung von Mindeststandards für elektrische Geräte machten Vorgaben, welche den Stromverbrauch bis 2020 gerade um 1% reduziert hätten. Die Umweltverbände haben darauf einen umfassenderen Vorschlag vorgelegt, welcher mit Anwendung der best practice eine Reduktion von 10% ermöglicht hätte. Verabschiedet wurde nun ein Vorschlag, welcher den Stromverbrauch um 1.5% reduzieren soll. Allerdings steht dieser bereits wieder auf der Abschusslinie, weil damit das Cassis de Dijon-Prinzip verletzt würde. 2. Die Vernehmlassungsunterlagen der UREK-S zur Einführung eines Bonus-MalusSystems für Neuwagen hätte eine Reduktionswirkung von 0.2 Mio. Tonnen CO2 bis 2020 erlaubt. Dies obschon mit einem zielgenauen Bonus-Malus basierend auf handelbaren Verbrauchsgutschriften eine Reduktion von 2 Mio. Tonnen CO2 möglich und nötig wäre. 3. Die Vernehmlassungsunterlagen des Bundesrates zur Revision des CO2-Gesetzes schlagen vor, den heute gültigen Maximalsatz für die CO2-Abgabe von 210 auf 120 Fr./t CO2 zu reduzieren. Eine Erhöhung wäre dagegen angemessen, angesichts der fehlenden Wirksamkeit der aktuellen Klimapolitik. 9.9 Eine integrierte Sichtweise ist angebracht Eine aktive Klimapolitik darf nicht nur das Anliegen des Umweltministers bleiben. Alle Departemente sind oder werden davon betroffen. Es geht eben nicht einfach nur um eine Redukti43 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! on der Treibhausgase: Neue Sicherheitsfragen stellen sich und künftig werden auch Klimaflüchtlinge von der Schweiz Hilfe erwarten. Anpassungsmassnahmen und Vorsorge gegen Naturgefahren müssen koordiniert, geplant und bezahlt werden. Peak Oil, Peak Gas und Peak Uranium sowie das Bedürfnis einer hohen Versorgungssicherheit sind direkt an die Klimapolitik gekoppelt. Investitionen in grüne Technik beleben die Schweizer Wirtschaft und bremsen den auch geopolitisch nicht ungefährlichen Abfluss von Petrodollars – eine Winwin-Situation. Wir brauchen eine integrierte Wirtschafts-, Finanz-, Sicherheits-, Entwicklungs, Energie- und Klimapolitik. 9.10 Der Umbau hin zu einem postfossilen Wirtschaftssystem ist attraktiv Wollen wir bis 2050 auf das Verbrennen fossiler Energien verzichten, dann müssen wir unsere Infrastruktur jetzt auf das postfossile Zeitalter vorbereiten. Ein Umbau ist unerlässlich, und je früher ein Land diesen Umbau angeht, desto weniger zukunftsunverträgliche Investitionsentscheide werden gefällt und desto eher kann sich die Schweiz auf dem Markt mit klimaverträglichen Lösungen behaupten. Der Bundesrat liess die wirtschaftlichen Folgen seines Vorschlages zur künftigen Klimapolitik abschätzen und die Botschaft zur Revision des CO2Gesetzes fasst die Ergebnisse wie folgt zusammen (S. 4 in der Botschaft): „Die volkswirtschaftlichen Auswirkungen der vorgeschlagenen Reduktionsmassnahmen bis zum Jahr 2020 sind moderat. Es ist mit keinen nennenswerten Wachstums- und Wohlfahrtseinbussen zu rechnen. Zudem sind keine gravierende strukturellen Effekte zu erwarten.“ Diese drei Sätze fassen die Mentalität der Schweizer Politik gut zusammen: Es werden nur die Kosten und nicht der Nutzen und die Chancen untersucht. Die Messgrösse ist das BIP. Und man will das Fell waschen, ohne es nass zu machen, also die heutige Struktur nicht gravierend anpassen. Die Botschaft erwähnt dann auch noch (S.71): „In den verwendeten Gleichgewichtsmodellen sind ausserdem alle CO2-Reduktionsanstrengungen mit Kosten verbunden. […] Weitere Untersuchungen bezüglich der Vermeidungskosten in der Schweiz sind im Gange.“ Obschon die Resultate von Figur 5 bereits im Januar 2009 vorlagen, wurde in der Botschaft vom 26. August davon ausgegangen, dass es keine Klimaschutzmassnahmen gibt, welche netto gar nichts kosten, sondern sogar einen Nutzen bringen. Natürlich wird in der Botschaft erwähnt, dass es auch positive Effekte gäbe. Diese werden aber nicht quantifiziert. 9.11 Wo harzt es? Nach dieser ausführlichen Analyse der heutigen Situation sollen nun die Ursachen für diese Situation angesprochen werden. Für eine aktivere Klimapolitik müssen möglichst viele dieser Punkte verbessert werden. 44 • Der Bund versteht Klimaschutz nicht als Priorität. • Die multiple Dimension des Klimaproblems würde einen integrierten Ansatz verlangen, was viele Akteure überfordert. Patrick Hofstetter: Die Diskrepanz zwischen wissenschaftlich Nötigem und politischer Trägheit. Wo harzt es in der Schweizer Klimapolitik? • Die Bundesverwaltung arbeitet trotz departementsübergreifenden Arbeitsgruppen innerhalb der Amtsgärtchen, was zu wenig integrierten Programmen führt. Der aktuelle Vorschlag zur Revision des CO2-Gestezes illustriert dies: der Bereich Land- und Forstwirtschaft fehlt ganz einfach. • Das neoliberale Staatssekretariat für Wirtschaft verschläft nicht nur die Wirtschaftskrise, sondern auch die Chancen einer aktiven Klimapolitik. • Einzelne Kantone haben in vielen klimarelevanten Bereichen keine oder unzureichende regulatorische Kompetenz, verhindern aber gleichzeitig Massnahmen auf Bundesebene. Hierzu als Beispiel die Antwort des Regierungsrates des Kantons Zürich zur Revision des CO2-Gesetzes (März 2009): „Mit den in den Bereichen [Gebäude, Verkehr und Industrie] bekannten Möglichkeiten ist für die Periode 2010-2020 […] eine inländische CO2-Senkung von höchstens 1% pro Jahr denkbar. Andernfalls müssten Mengenbeschränkungen im Verkehrsbereich oder Sanierungsverpflichtungen im Gebäudebereich ausgesprochen werden. Das lehnen wir ab, insbesondere weil die volkswirtschaftliche Entwicklung zu stark beeinträchtigt würde.“ Anmerkung des Autors: Eine Reduktion von 3% pro Jahr ist nötig. • Klimaschutz wird von Entscheidungsträgern primär als (wirtschaftliche) Last verstanden. Hierzu gibt es aber keine Evidenz. • Partialinteressen der fossilen Energiewirtschaft dominieren die Klimapolitik des Wirtschaftsdachverbandes economiesuisse. • Firmen in zukunftsfähigen Branchen lassen sich mundtot machen. • Verbände haben die Tendenz, jene zu schützen, die den Strukturwandel ohnehin nicht überleben. 9.12 Ja, wir können und müssen Die Herausforderung, gefährliche Auswirkungen des Klimawandels zu verhindern, wächst täglich. Wir kennen alle wichtigen Antworten, haben die Technologie und wissen, dass Handeln günstiger ist als Abwarten. Deshalb haben wir Grund zur Zuversicht. Neben Zuversicht gilt es, oben genannte Hemmnisse abzubauen und für die verschiedenen Akteure an folgenden Punkten weiterzuarbeiten: • Klimaschutz muss in der Bevölkerung ein prioritäres Thema bleiben. • Firmen und Verbände müssen sicherstellen, dass sie Marktchancen realisieren können und nicht in Strukturerhaltung erstarren. • Der Bund muss das „Klima“ als gemeinsame Herausforderung anpacken und übergreifende Lösungen suchen. Eine umfassende Klimapolitik wäre ein erkennbares Zeichen hierfür. • Die Politik darf das Thema nicht zur links-rechts-Frage degradieren und muss ihren Horizont über die laufende Legislatur hinaus erweitern. 45 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! Und schliesslich gilt es auch klar zu sagen, was man will, wie dies Barack Obama am 24.2.2009 getan hat: „So I ask this Congress to send me legislation that places a market-based cap on carbon pollution and drives the production of more renewable energy in America. That‘s what we need.“ 9.13 Quellen Allianz für eine verantwortungsvolle Klimapolitik (2006). Klima-Masterplan; Der Weg zu einer klimaverträglichen Schweiz. http://assets.wwf.ch/downloads/kmp_d_web.pdf Bretschger L., Energy prices, growth, and the channels in between: theory and evidence, ETH Zürich, June 2009 Cadot O., Gonseth C., Thanlmann Ph (2009). The Effect of Energy Efficiency Enhancement on Innovation and Competitiveness. Studie im Auftrag des Energie Trialog Schweiz und des Bundesamtes für Energie. http://www.energietrialog.ch/cm_data/Cadot_Efficiency_Innovation_2009.pdf Econcept 2009, Reduktion von CO2-Emissionen: Gutachten zu Sekundärnutzen durch Luftschadstoffreduktion, Zürich 2009 http://assets.wwf.ch/downloads/sekundarnutzen_wwf_09_02_16.pdf Fricker HP., Hofstetter P. (2007). Die sieben Mythen der schweizerischen Klimadiskussion, 27.9.2007, NZZ Hertwich & Peters 2009, Carbon Footprint of Nations: A Global, Trade-Linked Analysis, Environ. Sci. Technol., 2009, 43 (16), pp 6414–6420 DOI: 10.1021/es803496a http://www.carbonfootprintofnations.com/ Infras 2008, WIRTSCHAFT, WACHSTUM UND UMWELT SKIZZE EINER KLIMAVERTRÄGLICHEN SCHWEIZER WIRTSCHAFT 2035 http://assets.wwf.ch/downloads/studie_klimavertraglicheschweiz2035.pdf IPCC 2007, Climate Change 2007: Synthesis Report, Contribution of Working Groups I, II and III to the Fourth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change, Core Writing Team, Pachauri, R.K. and Reisinger, A. (Eds.), IPCC, Geneva, Switzerland. www.ipcc.ch McKinsey 2009a, SWISS GREENHOUSE GAS ABATEMENT COST CURVE, Zürich 2009 SWISS www.mckinsey.com/locations/swiss/news.../swiss_greenhouse_gas_study.pdf McKinsey 2009b, Version 2 of the Global Greenhouse Gas Abatement Cost Curve - January 2009 https://solutions.mckinsey.com/ClimateDesk/default.aspx UBA 2008, Innovationsdynamik und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in grünen Zukunftsmärkten, Berlin April 2008 http://www.isi.fhg.de/n/startseite- e/Studie_Gruene_Zukunftsmaerkte_kurz.pdf 46 Jörg Adolf: Energiesicherheit und CO2-Lösungen – Eckpfeiler im globalen Energiemix 2050 10 Jörg Adolf: Energiesicherheit und CO2-Lösungen – Eckpfeiler im globalen Energiemix 2050 Dr. Jörg Adolf Abteilung Unternehmenskommunikation und Wirtschaftspolitik Shell Deutschland-Österreich-Schweiz Shell Deutschland Oil GmbH Suhrenkamp 71-77 D-22284 Hamburg [email protected] 10.1 Wachstumsgrenzen, Energie und Klima Bereits Jahre 1972 machte der Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit „Die Grenzen des Wachstums“ auf mögliche Grenzen des globalen Wirtschaftswachstums aufmerksam. Zusammentreffend mit der ersten Ölkrise brachte es der Bericht in den folgenden 12 Jahren in vielen Ländern zum Bestseller. Dennoch schienen die Grenzen des Wachstums noch Ende der 1990er Jahre fern. Natürliche Ressourcen wie Erdöl waren mehr als reichlich verfügbar und billig – 1998/99 lag der Preis für ein Barrel Rohöl bei $ 10, ein weiterer Rückgang wurde befürchtet. Der ökologische Fußabdruck der Menschheit war zwar erheblich größer geworden. Gleichwohl wähnte man sich insbesondere in den Industrieländern – dank erfolgreicher lokaler und regionaler Umweltprogramme - ökologisch bereits auf dem richtigen Weg. Innerhalb weniger Jahre hat sich die Wahrnehmung komplett gewandelt. Im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts kam es zu einer ausgeprägten Verteuerung der Rohstoffe auf breiter 13 Front – nach einer langen Phase fallender Rohstoff-Preise. Am spürbarsten war der Preisanstieg beim Leit-Energieträger Öl, der innerhalb von weniger als 10 Jahren zwischenzeitlich auf fast 150 US-Dollar pro Barrel anstieg. Und die Hinweise auf einen beschleunigten Klimawandel verdichten sich – aufgrund verbesserter wissenschaftlicher Erkenntnis oder durch 12 Inzwischen ist ein zweiter Update erschienen: Donella Meadows, Jorgen Randers, Dennis Meadows, Limits to Growth. The 30-Year Update, White River Junction, Vermont 2004. 13 Vgl. Klaus Matthies, Rohstoffpreise 2008, HWWI Policy Report Nr. 8, Hamburg 2008, S. 5 und 13 f.; World Bank, Global Economic Perspectives 2009. Commodities at the Crossroads, Washington 2008, S. 3. 47 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! 14 häufigere Umweltschadensereignisse mit zum Teil enormen volkswirtschaftlichen Schäden. Kein Wunder, wenn die Sicherheit und Nachhaltigkeit der künftigen Energieversorgung, wenn unser wachstumsorientiertes, ressourcenabhängiges Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell wieder stärker ins Zentrum politischer wie gesellschaftlicher Diskussionen rücken. 10.2 Shell und Szenarien Die wichtigste Aufgabe für die Energiewirtschaft und Klimapolitik heute lautet: Wie kann Energieversorgung künftig sicher, bezahlbar und gleichzeitig immer nachhaltiger gewährleistet werden? Shell ist nicht nur als globales Energie-Unternehmen einer der führenden Produzenten von Erdöl und Erdgas – der Anteil an der Welt-Produktion liegt bei 2 bzw. 3%. Shell beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Frage: Was kommt nach dem Öl? Und wie 15 wird unsere Energieversorgung morgen aussehen? Hierzu bedient sich Shell der SzenarioTechnik. Synopse wichtiger Shell “KPIs” • aktiv in 100+ Ländern • weltweit 102.000 Beschäftigte • ≈ 2% der globalen Rohöl-Produktion • 45.000 Tankstellen; 10 Mio. Kunden/Tag • ≈ 3% der globalen Erdgas-Produktion • Gewinn: $ 26,5 Mrd. • Investitionen (netto): $ 32 Mrd. • eingesetztes Kapital: ∅ $ 148,1 Mrd. • THG-Emissionen: 75 Mio. Tonnen Geschäftsjahr 2008 Abbildung 1: Wichtige Key Performance Indicator (KPI) von Shell Szenarien werden seit den späten 1960er Jahren verstärkt in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft genutzt. Von Shell werden Szenarien seit der ersten Ölkrise erfolgreich in der strategi- 14 Vgl. Intergovernmental Panel on Climate Change (IPPC), Climate Change 2007: Synthesis Report, Valencia/Spain 2007; Munich Re, Natural Catastrophes 2008. Analyses, Assessments, Positions, München 2009, S. 38f. 15 Vgl. Arie de Geus, The Living Company, Boston/Massachusetts 1997, S. 4. 48 Jörg Adolf: Energiesicherheit und CO2-Lösungen – Eckpfeiler im globalen Energiemix 2050 schen Unternehmensplanung eingesetzt. Gegenwärtig erstellt, veröffentlicht und beteiligt 16 Shell sich an unterschiedlichen Szenario-Formaten: 1. Zum einen die Shell Global Scenarios, die drei alternative Zukünfte - Open Doors, Low Trust Globalisation und Flags - bis ins Jahr 2025 entwickeln. Die Shell Global Scenarios skizzieren dabei mögliche wirtschaftliche, politische, soziale und demografische Randbedingungen für die weitere Entwicklung der globalen Energieversorgung. 2. Mit der langfristigen Zukunft des globalen Energiesystems befassen sich andererseits die Shell Long-term Energy Scenarios in zwei Szenarien - Scramble und Blueprints bis 2050. 3. Darüber hinaus beteiligt sich Shell an der Szenarien-Arbeit wichtiger Institutionen und Organisationen – zum Beispiel beim World Business Council for Sustainable Development oder bei der International Energy Agency und anderen. Szenarien sind keine Prognosen, sondern konsistente, in sich plausible Entwicklungspfade. Szenarien wollen wesentliche strukturelle Unsicherheiten, wichtige Stellschrauben und Weichenstellungen aufzeigen. Ihr Ziel ist es, das Verständnis künftiger Entwicklungen und damit Entscheidungsgrundlagen und Zukunftsstrategien zu verbessern, nicht aber die Zukunft 17 möglichst exakt vorherzusagen. Szenario-Technik geht davon aus, dass es eine nicht reduzierbare Ungewissheit gibt. Zwischen vergangenen, heutigen und künftigen Ereignissen existieren kausale Beziehungen. Dabei kann unterschieden werden zwischen fundamentalen Trends und variablen Szenarien-Annahmen. Fundamentale Trends sind heute schon fast vollständig vorherbestimmt, unabhängig von weiteren zwischenzeitlichen Ereignissen – man kann deshalb auch sagen 18 „harte Wahrheiten“. Auf diesen fundamentalen Trends aufbauend werden dann Szenarien entwickelt. Da es nicht die eine zu erwartende Zukunft gibt, „denkt“ Szenario-Methodik in alternativen Zukunftsentwürfen oder kurz: multiplen Zukünften. Deshalb werden in der Regel mindestens zwei, manchmal aber auch mehrere alternative Szenarien betrachtet. 10.3 Drei „harte“ Wahrheiten Im Hinblick auf das globale Energiesystem sind drei langfristige Entwicklungsdynamiken oder „harte Wahrheiten“ zu beachten. 16 Vgl. Shell International, Shell Global Scenarios to 2025, London 2005; Shell International, Shell Long-term Energy Scenarios to 2050, Den Haag 2008, mehr Information unter: www.shell.com/scenarios; International Energy Agency, Energy Technology Perspectives 2008. Scenarios and Strategies to 2005, Paris 2008; World Business Council for Sustainable Development, Establishing a Global Carbon Market, Genf 2007, www.wbcsd.org. 17 Zu Szenario-Technik und –Konzepten vgl. Shell International, Scenarios: An Explorer’s Guide, Den Haag 2008; sowie Kees van der Heijden, Scenarios. The Art of Strategic Conversation, West Sussex 2005, 2nd Edition, Kap. 6-8. 18 Vgl. Jeroen van der Veer, The Resources Trilemma between Efficiency, Social Justice and Security, Speech at st the St. Gallen Conference, May 31 , 2007. 49 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! 10.3.1 Steigende Energie-Nachfrage Bis zur Mitte des Jahrhunderts wird die Erdbevölkerung von heute 6,7 auf über 9 Mrd. Menschen anwachsen. Nach, ja sogar noch während der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise wird sich die wirtschaftliche Entwicklung weiter Welt-Regionen fortsetzen. Starkes Bevölkerungswachstum und rasche Wirtschaftsentwicklung findet primär in Schwellen- und Entwicklungsländern statt. Wirtschaftliche Entwicklung heißt dort Industrialisierung, Urbanisierung, Mobilisierung und Motorisierung immer breiterer Bevölkerungs-schichten. Der wirtschaftliche Take-Off ist damit das energieintensivste Entwicklungsstadium einer Volkswirtschaft. Die gleichzeitige Integration immer weiterer Regionen in die Weltwirtschaft kann dann zu einem überproportionalen Wachstum der globalen Energie-Nachfrage führen – so wie in den Jah19 ren 2000-2005. Wohlstand und Energieverbrauch GJ pro Kopf(PEV) 400 300 USA Europa EU 15 200 Japan Süd-Korea 100 China Indien 0 0 10 20 30 40 BIP pro Kopf (PPP, '000 2000 USD) Source: Shell International BV, Oxford Economics and Energy Balances of OECD and Non-OECD Countries ©OECD/IEA 2006 Abbildung 2: Wohlstand und Energieverbrauch Aufgrund des starken Wirtschaftswachstums in den vergangenen Jahren übersteigt der Energie-Konsum in den Schwellen- und Entwicklungsländern seit 2005 bereits den EnergieVerbrauch in den OECD-Ländern. Bis 2030 werden die Nicht-OECD-Länder ihren EnergieVerbrauch noch einmal um drei Viertel steigern. Weltweit wird bis 2030 mit einer Zunahme um fast die Hälfte gerechnet, bis zur Mitte des Jahrhunderts fast eine Verdoppelung des heu20 tigen Energieverbrauchs für möglich gehalten. 19 Vgl. Shell International, Shell Global Scenarios to 2025, a.a.O., S. 190f. Vgl. International Energy Agency, World Energy Outlook 2008, Paris 2008, S. 81; Shell International, Shell Long-term Energy Scenarios to 2050, a.a.O., S. 44. 20 50 Jörg Adolf: Energiesicherheit und CO2-Lösungen – Eckpfeiler im globalen Energiemix 2050 10.3.2 Knapperes Energie-Angebot Die weltweiten Kohlenwasserstoff-Vorkommen sind prinzipiell groß genug, um die steigende Welt-Energienachfrage auch künftig abzudecken. So liegen die stati(sti)schen Reichweiten allein der konventionellen Kohlenwasserstoff-Reserven bei 42 Jahren für Erdöl, bei 47 Jahren für Erdgas, bei 130 Jahren für Steinkohle sowie bei 285 Jahren für Braunkohle. Zusätzlich existiert noch ein Vielfaches an unkonventionellen Kohlenwasserstoff-Vorkommen sowie technisch und/oder wirtschaftlich noch nicht erschlossener Ressourcen. Die stati(sti)schen Reichweiten konventioneller Öl- und Gas-Ressourcen liegen einschließlich Reserven bei 21 über 60 bzw. rund 100 Jahren, bei beiden Kohle-Arten jeweils deutlich über 1.000 Jahren. Mittelfristig kann die Förderung leicht zugänglicher Öl- und Gas-Vorkommen (easy oil and gas) dennoch kaum noch mit dem erwarteten Wachstum der globalen Energienachfrage mithalten. Um Energie ausreichend verfügbar zu machen, müssen die Investitionen in die Erschließung konventioneller und unkonventioneller Kohlenwasserstoff-Vorkommen, in alternative Energien und in neue Energie-Technologien entsprechend signifikant erhöht werden; bis zum Jahre 2030 sind voraussichtlich Investitionen in Höhe von 26.300 Mrd. US-Dollar in 22 die globale Energiewirtschaft erforderlich. Erschwerend kommt hinzu, dass der Zugang privater Investoren zu wichtigen Öl- und Gasvorkommen vielfach beschränkt ist. Zudem erwarten die Ressourcen-Halter angesichts der energiepolitischen Diskussion und Aktion in den Verbraucherzentren weniger einen Oil Peak im Sinne einer Angebotsspitze als einen potenziellen Demand Peak. Immerhin erreichte die 23 Erdölnachfrage in der OECD bereits im Jahr 2005 ihren Peak. Die nationale ProduzentenSicht mag dann wiederum zu vorsichtigerer Investitionspolitik veranlassen. 10.3.3 Drängende Klima-Problematik Entscheidend für die Zukunft des globalen Energiesystems dürfte jedoch vielmehr das Thema CO2-Peak und damit die Klimafrage sein. Mit steigendem Energieverbrauch nimmt 24 schließlich auch der globale ökologische Fußabdruck (ecological footprint) zu. Energieverbrauch und energiebedingte CO2-Emissionen aus fossilen Energieträgern machen heute fast die Hälfte des globalen ökologischen Fußabdrucks aus. Und CO2-Emissionen aus dem Verbrauch fossiler Energieträger sind für rund drei Fünftel der anthropogenen TreibhausgasEmissionen verantwortlichen. Wenn der Verbrauch fossiler Energieträger weiter wie bisher wächst, werden sich die globalen Treibhausgas-Emissionen von heute knapp 30 Gigatonnen bis zur Mitte des Jahrhunderts auf über 60 Gigatonnen verdoppeln; die atmosphärische CO2-Konzentration könnte von 380 auf rund 700 ppm ansteigen. Das wiederum könnte einen Temperatur-Anstieg von 25 sechs Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zur Folge haben. Die Folgen und Risiken eines derart ungebremsten Klimawandels sind unübersehbar. Wenn jedoch der 21 Vgl. Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Reserven, Ressourcen und Verfügbarkeit von Energie-Rohstoffen, Hannover 2008, S. 35-79. 22 Vgl. International Energy Agency, World Energy Outlook 2008, a.a.O., S. 88f. 23 Vgl. Organisation of the Oil Exporting Countries (OPEC), World Oil Outlook 2009, Wien 2009, S. 9 und 52f. 24 Zum Konzept des ökologischen Fußabdrucks vgl. World Wildlife Fund, Living Planet Report 2008, London 2008, S. 14-17. 25 Vgl. IPPC, a.a.O. , S. 67. 51 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! globale Temperatur-Anstieg nicht höher als 2 bis 2,4 Grad Celsius sein soll, dürfte die atmosphärische CO2-Konzentration – entsprechend den aktuellen IPPC-Klimaszenarien - 350 bis 400 ppm nicht übersteigen. Dazu dürfen die globalen CO2-Emissionen höchstens bis 2015 steigen; anschließend müssten sie bis 2050 um mindestens 50 bis 85 Prozent gegenüber dem Jahr 2000 zurückgeführt werden. Die doppelte Herausforderung, die steigende Energienachfrage einer wachsenden Menschheit zu decken und gleichzeitig die globale Klima-Problematik zu lösen, wird gemeinhin auch als die globale Energiefrage (‚the energy challenge’) bezeichnet. 10.4 Shell Long-term Energy Scenarios to 2050 Um die Herausforderungen der globalen Energiefrage besser zu verstehen, hat Shell in seinen aktuellen Shell Long-term Energy Scenarios zwei mögliche Energie-Zukünfte für die nächsten vier Jahrzehnte entwickelt – Scramble und Blueprints. Shell Energie-Szenarien bis 2050 Eine Welt der Energie-Sicherheit und reaktiven Wandels. Eine Welt neuer Koalitionen und beschleunigten Wande Abbildung 3: Shell Energie-Szenarien bis 2050 10.4.1 Szenario Scramble In Scramble versuchen alle Länder, sich im globalen Wettbewerb eine sichere, wirtschaftliche und bezahlbare Energieversorgung zu verschaffen. Versorgungssicherheit ist Schlüsselthema der Energiepolitik und Energiewirtschaft. Es kommt zu Ressourcen-Nationalismus, einem Wettlauf um günstige Energiequellen sowie zum bevorzugten Einsatz heimischer Energieträger. Energiepolitik ist primär Angebotspolitik. Es werden keine zusätzlichen Maßnahmen zur Beeinflussung der Energienachfrage – wie eine Verteuerung der Energienut52 Jörg Adolf: Energiesicherheit und CO2-Lösungen – Eckpfeiler im globalen Energiemix 2050 zung – ergriffen. Und auch eine systematische und gezielte Weiterentwicklung der globalen Klimapolitik findet nicht statt. Quantitatives Wirtschaftswachstum steht im Zentrum der Politik. Die globale Wirtschaftsentwicklung bleibt – dank günstiger Energieversorgung vor allem mit Kohle – im ersten Vierteljahrhundert weitgehend intakt. Der materielle Wohlstand breiter Bevölkerungs-schichten, vor allem in den Schwellenländern, nimmt weltweit zu. Die globale Energienachfrage und mit ihr die CO2-Emissionen legen ebenfalls deutlich zu. Durch die weiter fortschreitende Globalisierung werden Spannungen in den internationalen Beziehungen eher verstärkt. Gegen Ende des Betrachtungszeitraumes kommt es zu verstärktem Handlungsdruck – wenn sich die Ungleichgewichte zwischen Energienachfrage und Energieangebot zunehmend verschärfen, oder wenn globale Klima-Ereignisse zu politischem Handeln zwingen. Da Klimaschutz in erster Linie als ökonomische Belastung empfunden wird, erfolgt politisches Handeln nur sehr spät und fast ausschließlich reaktiv. Unter den Bedingungen von Scramble kommt es folglich nur zu einem langsamen und sehr allmählichen, technologischen Wandel. Es entstehen keine Umbrüche in der Wirtschaftsstruktur. Die Wertschöpfungsstrukturen entwickeln sich vielmehr kontinuierlich auf dem Pfad der jüngeren Vergangenheit. Die Energiepreise unterliegen ausgeprägten Schwankungen, was wirtschaftliche und politische Planungen erschwert. Daher bestimmen heutige Techniken auch künftig das Bild, das heißt in erster Linie sparsamere und effizientere Nutzung bereits etablierter Energieträger, Nischenfunktion sowie Ergänzungsbeiträge alternativer Energieträger und -technologien zum künftigen Energie-Mix. 10.4.2 Szenario Blueprints In Blueprints geht es um planmäßiges und koordiniertes Vorgehen sowie um aktive Gestaltung der Zukunft im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung. Hier werden die Implikationen der globalen Energiefrage frühzeitig erkannt. Aus Sorge um die Energiesicherheit, um Umwelt und Klima, aber auch mit Blick auf neue Marktchancen entwickelt sich rasch Handlungsdruck für die Politik. Dabei gehören nicht nur Bürger und Verbraucher, sondern auch Wirtschaft und Unternehmen zu den Antreibern. Anfangs sind es nur lokale und regionale Initiativen, rasch wird jedoch eine kritische Masse von Befürwortern für einen nachhaltigen Wandel erreicht. Qualitatives Wachstum und nachhaltige Wirtschaftsentwicklung stehen im Zentrum der politischen Bemühungen. Die globale Wirtschaft entwickelt sich weniger energie- und CO2intensiv, aber dennoch robust. Schon der Stern-Review hat gezeigt, dass die Kosten und Risiken eines ungebremsten Klimawandels hoch sind und die Vorteile energischen klimapoli26 tischen Handelns langfristig überwiegen. Da Verbraucher und Investoren Wandel auch als ökonomischen Vorteil erfahren, lässt sich ein umfassender Wechsel in nationalen und internationalen Politik-Regimen erwirken. Energiepolitik setzt frühzeitig und systematisch ökonomische Anreize für sparsamen Energieeinsatz und Klimagas-Reduktion. In Blueprints kommt es von allen Seiten zu starkem Veränderungsdruck und in der Folge zu beschleunigtem Strukturwandel. Das hohe Veränderungstempo führt zwar zu gesellschaft26 Vgl. Nicolas Stern, The Economics of Climate Change. The Stern Review, Cambridge 2007, insbesondere Part II und Part III. 53 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! lich-politischen Spannungen, am Ende aber auch zu einem Durchbruch in der internationalen Klimapolitik. Herzstück der globalen Klimapolitik ist die Etablierung eines weltweiten Emissionshandelssystems – zunächst in der EU, dann in immer mehr Ländern, einschließlich der USA und später China. Die Ausweitung des EU-Emissionshandels zu einem globalen Capand-Trade-System, aber auch verlässliche Rahmenregulierungen stimulieren Innovation und Investitionen in neue Technologien. Die internationale Auktionierung von Emissionszertifikaten schafft finanzielle Mittel für eine breite Beteiligung der Schwellen- und Entwicklungsländer am technologischen Wandel. Alternative Energie-Technologien einschließlich geologischer CO2-Einspeicherung (CCS) brei27 ten sich schnell über alle Erdteile aus. Bis 2030 flacht die Nachfragekurve nach zusätzlichen fossilen Energieträgern weitgehend ab. 10.4.3 Szenarien im Vergleich Globale Energienachfrage 1000 Blueprints – frühzeitige Aktion 1000 Exajoule pro Jahr (Energieträger) Exajoule pro Jahr (Energieträger) Scramble – späte Reaktion 800 600 400 200 0 800 600 400 200 0 2000 2010 2020 2030 2040 2050 Erdöl Kohle Biomasse Wind 2000 2010 2020 2030 2040 2050 Erdgas Nuklear Solar Sonst. Erneuerbare Source: Shell International BV and Energy Balances of OECD and Non-OECD Countries©OECD/IEA 2006 Abbildung 4: Globale Energienachfrage – Scramble und Blueprints im Vergleich In beiden Szenarien wird sich die globale Energieversorgung bis 2050 deutlich diversifizieren. Kohle könnte im Zeitraum 2020/2030 zum wichtigsten Primärenergieträger aufsteigen. Der Anteil des Energieträgers Erdöl am globalen Primärenergieverbrauch geht von heute etwa einem Drittel mit maximal 100 Millionen Barrel pro Tag auf höchstens ein Fünftel im Jahre 2050 zurück. Gleichwohl wird Öl auch dann noch eine tragende Rolle im globalen Energie-Mix spielen. Erneuerbare Energien kommen – nach rasantem Wachstum - in 2050 27 Zu den Grundlagen von CCS vgl. Manfred Fischedick et al., Geologische CO2-Speicherung als klimapolitische Handlungsoption. Technologien, Konzepte, Perspektiven, Wuppertal Spezial 35, Wuppertal 2007. 54 Jörg Adolf: Energiesicherheit und CO2-Lösungen – Eckpfeiler im globalen Energiemix 2050 auf einen Anteil von mindestens 30% im globalen Energiemix. Insgesamt liegt der Energieverbrauch in Blueprints im Jahre 2050 um etwa ein Achtel unter demjenigen von Scramble. Die CO2-Emissionen sind durch bestehende Energie-Infrastrukturen und damit für beide Szenarien bis ins Jahr 2020 weitestgehend vorherbestimmt und entwickeln sich bis dahin mehr oder weniger parallel. Aufgrund späteren Handelns wird in Scramble jenseits 2020 lediglich eine Stabilisierung der globalen CO2-Emissionen bei etwa 40 Gigatonnen erreicht. In Blueprints führt nach 2020 ein niedrigerer Energieverbrauch, aber auch der verstärkte Einsatz von CO2-Minderungstechnologien wie CCS zu einem deutlich geringeren CO2-Ausstoß; insgesamt sinken die CO2-Emissionen 2050/2020 um etwa ein Drittel. Während die CO2-Emissionen in Scramble im Jahre 2050 etwa 50% über dem Basisjahr 2000 liegen, erreichen sie in Blueprints – dank energischer Klimaschutzmaßnahmen – etwa wieder das Ausgangsjahr 2000. Wegen des geringeren CO2-Niveaus, aber auch wegen des strukturierteren, planmäßigeren Wandels wäre eine Blueprints-Zukunft vorzuziehen. Blueprints macht insbesondere auch deutlich, dass und wie schwer es wird, das Zwei-Grad28 Ziel als obere Grenze einer akzeptablen Erderwärmung sicher zu erreichen. Globale CO2-Emissionen Scramble – späte Reaktion Blueprints – frühzeitige Aktion 50 Gigatonnen pro Jahr Gigatonnen pro Jahr 50 40 30 20 10 40 Without CO2 capture & storage 30 20 10 0 0 2000 2010 2020 2030 2040 2050 2000 2010 2020 2030 2040 2050 Nord-Amerika Europa Asien & Ozeanien - Schwellenländer Middle East & Afrika Asien & Ozeanien - Industrieländer Latein-Amerika Source: Shell International BV and Energy Balances of OECD and Non-OECD Countries©OECD/IEA 2006 Abbildung 5: Globale CO2-Emissionen 10.5 Energiesystem im Wandel Der Wettbewerb um Ressourcen wird härter und gleichzeitig das Klima-Problem immer drängender. Langfristige Energiesicherheit muss gewährleistet, CO2-Lösungen gefunden 28 Zu klimapolitischen Zielen vgl. William Hare, Verhindern einer gefährlichen Klimaänderung. Wie viel ist zu viel? in: Michael Müller et al. (Hg.), Der UN-Klimareport. Bericht über eine katastrophale Bestandsaufnahme, Köln 2007, S. 285-292. 55 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! werden. Hierzu bedarf es eines fundamentalen Strukturwandels des globalen Energiesystems. Dabei sollte (mehr) Energie nicht nur sauberer bereit gestellt werden, sondern für die Menschen auch immer noch bezahlbar sein. Idealerweise könnten diese Anforderungen durch eine bahnbrechende neue Technologie 29 oder Innovation erfüllt werden, und zwar rasch. Tatsächlich ist trotz intensiver Forschungsund Entwicklungsarbeit, trotz enormer Investitionen bis heute kein Königsweg für die Energieversorgung von morgen in Sicht. Es gilt vielmehr: TANIA – There Are No Ideal Answers! Alle heutigen Energie-Optionen und Klima-Technologien werden folglich auch morgen noch benötigt; keine davon ist verzichtbar. Zum anderen zeichnet sich zwar bei Energieversorgung und Klimapolitik ein beschleunigter Strukturwandel ab. Wissenschaft, Politik und Unternehmen wollen den Wandel. Doch es wird im globalen Energiesystem keine Revolution stattfinden; insbesondere auf der Angebotsseite kann es nur eine Evolution geben. Denn ein grundlegender Wandel der Energieversorgung benötigt Zeit und ist an bestimmte technisch-ökonomische Voraussetzungen gebunden. Bevor sich neue Technologien im Markt etablieren, bedarf es nachhaltiger technologischer Innovation, Kosten müssen reduziert und umfangreiche Investitionen vorgenommen werden. So liegen für die Marktdurchdringung heutiger Energieträger historische Erfahrungen vor. Danach vergehen in der Regel mehr als zwei Jahrzehnte bis zur Etablierung einer neuen oder alternativen Energietechnologie. Verflüssigtes Erdgas hat heute – 45 Jahre nach Markteinführung – einen Marktanteil von etwa 2% am globalen Energiemix erreicht, Biokraftstoffe stehen heute bei etwa 1% und Windkraft könnte dies – 25 Jahre nach den ersten 30 Windparks in Dänemark und in den USA – im nächsten Jahrzehnt schaffen. Der Umbau des globalen Energiesystems wird Jahrzehnte dauern und Rückschläge werden dabei unvermeidlich sein. Und Unternehmen und Verbraucher können die Klima-Problematik nicht ohne Hilfe lösen. Denn Klimawandel „ ... is the greatest example of market failure we 31 32 have ever seen.“ Die Politik muss vielmehr „ein Klima des Wandels schaffen“. Nur wenn die Regierungen stabile Rahmenbedingungen und Anreize schaffen, in neue EnergieQuellen sowie in neue Energieeinspar- und Klimaschutz–Technologien zu investieren, wird sich dieser Wandel beschleunigen lassen. Da es sich beim Klimawandel um ein globales Problem handelt, bedarf es zudem eines globalen Rahmens – erste wichtige Schritte dahin, nicht mehr und nicht weniger erhoffen wir uns von der nächsten Weltklimakonferenz! 29 Zu disruptive technologies / innovations vgl. Clayton M. Christensen, The innovator’s dilemma, Boston 1997/New York 2003. 30 Vgl. Shell International, Energy Needs, Choices and Possibilities. Scenarios to 2050, London 2050, S. 12-14; Peter Voser, Changing Fortunes – Global Energy, Speach at Spruce Meadows Economic Roundtable, Calgary, Aberta, Canada, Sept 11th 2009. 31 Vgl. Nicholas Stern, a.a.O., S. 1. 32 Vgl. Jeroen van der Veer, States should create a Climate for Change, in: Financial Times, January 24th, 2007, p. 13. 56 Klaus Bitzer: Ist Peak Oil erreicht? Die Sicht der ASPO 11 Klaus Bitzer: Ist Peak Oil erreicht? Die Sicht der ASPO Prof. Dr. Klaus Bitzer Abteilung Geologie Universität Bayreuth, Vorstandsmitglied ASPO Universität Bayreuth Universitätsstr. 30 D-95444 Bayreuth [email protected] 11.1 Einleitung Der Begriff „Peak Oil“ beschreibt den Zeitpunkt der maximalen Erdölförderung, der zugleich den Beginn einer kontinuierlichen Abnahme der Erdölförderung markiert, die auch durch zusätzliche technische Massnahmen allenfalls kurzzeitig aufgehalten werden kann. Es erscheint für viele Menschen wenig einsichtig, ausgerechnet beim Zeitpunkt maximaler Erdölproduktion an eine bevorstehende Abnahme der Förderung von Erdöl denken zu sollen. Tatsächlich haben jedoch das Produktionsmaximum und die darauf folgende Abnahme der Erdölförderung für die meisten Länder der Erde bereits stattgefunden. In den USA hat beispielsweise seit Erreichen des Fördermaximums im Jahr 1970 trotz allen technischen Fortschritts die Erdölförderung um mehr als 40% abgenommen. Während das Fördermaximum für viele Erdöllagerstätten der Erde unbestritten ist, wird die Frage nach dem Zeitpunkt des globalen Fördermaximums kontrovers diskutiert. Dabei wird in der Öffentlichkeit der Begriff “Peak Oil“ oft unzulässig auf die Aussage verkürzt, er sei gleichbedeutend mit dem Ende des Erdöls. Kein Erdölgeologe wird bestreiten, dass auch in Zukunft noch förderbares Erdöl vorhanden sein wird. Die geförderten Mengen werden jedoch mit Sicherheit weit unter dem liegen, was heute gefördert wird, und es wird erheblich aufwendiger und teurer sein, es zu fördern. Es müsste ein Vielfaches der bis jetzt bekannten Lagerstätten gefunden werden, um den Zeitpunkt des Erdölfördermaximums nennenswert in die Zukunft zu verlagern; für die Existenz von Lagerstätten dieser Größenordnung gibt es jedoch keinerlei Hinweise. Seit dem Beginn der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts wird von der Menschheit jedes Jahr mehr Erdöl verbraucht als gefunden wird. Ursache hier- 57 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! für ist nicht etwa ein abnehmendes Explorationsinteresse sondern schlicht die Tatsache, dass die grossen Lagerstätten bereits früh gefunden wurden. Abbildung 1: Eine der letzten Pumpe auf dem Ölfeld Ayoluengo in Nordspanien. Das Feld wurde in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts gefunden. Die grossen Hoffnungen, die in das Feld gesetzt wurden, konnten nie erfüllt werden. Die Förderung liegt mittlerweile im Bereich von 5 barrel pro Tag. Im Hintergrund sind Windräder zu erkennen (Quelle: eigene Aufnahme). 11.2 Die unterschiedlichen Sichtweisen zu Peak Oil Die unterschiedlichen Sichtweisen auf die Existenz eines globalen Produktionsmaximums und seines Zeitpunktes beruhen im Wesentlichen auf der Frage, wieweit Produktionsrückgänge durch eine Nachfragereduzierung und nicht-geologisch bedingte Produktionsbeschränkungen (Kosten, politische Bedingungen) verursacht werden, und nicht durch eine geologisch bedingte Verknappung der Erdölförderung. Unterschiedliche Sichtweisen gibt es auch bei den Fragen, wieweit technischer Fortschritt künftig zu einer Erhöhung der Ölförderung wird beitragen können und in welchem Maße neue große Lagerstätten gefunden werden können. Diejenigen, die den Zeitpunkt von „Peak oil“ weit in die Zukunft verlegen, gehen davon, dass dies der Fall sein wird. Die Erwartung weiterer technologischer Durchbrüche bei der Erdölförderung ist jedoch wenig aussichtsreich, wenn man sieht, dass seit mehr als 40 Jahren an der „enhanced oil recovery“ (EOR) geforscht worden ist, ohne dass die durchschnittliche Ausbeute bei der Erdölförderung deutlich zugenommen hätte. Auf die Auffindung neuer Lagerstätten hat die EOR ohnehin keinen Einfluß, und die derzeitige Auffindung neuer Lagerstätten, wie etwa vor Brasilien und im Golf von Mexiko, liegt im Rahmen dessen, was 58 Klaus Bitzer: Ist Peak Oil erreicht? Die Sicht der ASPO im Rahmen der „Peak Oil“ Theorie prognostiziert wird: Mengen, die weit unterhalb dessen liegen, was nötig wäre, um den Zeitpunkt des Fördermaximums nennenswert in die Zukunft zu verlegen. Abbildung 2: Creaming curve, mit der der Auffindungsverlauf der Erdöllagerstätten auf den Kontinenten dargestellt wird. Die grüne Kurve für den Mittleren Osten zeigt, dass mit den ersten 2000 Bohrungen etwa 800 Milliarden barrel Öl gefunden wurden, die folgenden 2000 Bohrungen brachten dagegen nur noch 50 Milliarden barrel. Am ungünstigsten ist die Kurve für Europa: mit 20000 Bohrungen wurden gerade einmal 90 Milliarden barrel gefunden. Die gesamte auffindbare Menge kann aus solchen Diagrammen abgeleitet werden (Quelle: Jean Laherrere, 2004). Obwohl einerseits klar ist, dass Erdöl und Erdgas in begrenzten Mengen auf der Erde vorhanden ist, gehen die Ansichten über ein Fördermaximum weit auseinander. Ein hervorstechendes Merkmal dieser Diskussion ist die emotionale und von unterschwelligen Ängsten geprägte Tonlage vieler Kritiker der „Peak Oil“ Theorie. Es wird teilweise unterstellt, es handle sich um eine Erfindung der Erdölindustrie (die freilich mehrheitlich von „Peak Oil“ nichts wissen will), oder es handle sich um den Versuch von Wachstumskritikern, die das bestehende Wirtschaftssystem zerstören wollen oder gar um eine Diskussion von Leuten, die Freude an Untergangsszenarien haben. Immer wieder melden sich auch die Verfechter einer These über die abiotische Entstehung von Erdöl zu Wort, in der die Herkunft des Erdöls nicht aus organischer Materie, sondern aus dem Erdinnern zugeschrieben wird, womit letztlich die Begrenztheit von Erdöl und Erdgas in Frage gestellt wird. Die Vertreter dieser Richtung schreiben die Probleme unzureichender Erdölverfügbarkeit dem Unvermögen der Erdölindustrie zu, die an den falschen Stellen gebohrt habe und die Förderung ineffizient durchführe. Aus erdölgeologischer Sicht besitzt die Theorie abiotischen Erdöls kein tragfähiges wissenschaftliches Fundament; sie hat sich als kommerziell erfolglos erwiesen. Es spiegeln sich jedoch in dieser Vorstellung die unterschwelligen Ängste und die verzweifelte Hoffnung, mit der eine Welt erträumt wird, in der das energetische Füllhorn weiterbestehen möge. In dieser 59 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! zunehmend von schrillen Tönen durchsetzten Diskussion ist die Vermittlung der geologischen Sachverhalte schwierig geworden, zumal die Datengrundlage in vielerlei Hinsicht unbefriedigend ist. 11.3 Peak Oil im Licht diverser Interessen- und Berufsgruppen In der Diskussion über „Peak Oil“ melden sich Interessen- bzw. Berufsgruppen zu Wort, die in unterschiedlicher Weise davon betroffen sind. Eine neutrale oder bejahende Position zum Konzept von „Peak Oil“ wird mehrheitlich von folgenden Gruppen eingenommen: • Geologen und Erdölingenieure: Der überwiegende Teil dieser Gruppe sieht die Begrenztheit der Erdöllagerstätten und kennt aus eigener Erfahrung die Schwierigkeiten der Prospektion und der Erschliessung. Im Dienst der Erdölindustrie verbietet sich den Angehörigen dieser Gruppe jedoch die öffentliche Diskussion darüber. Nicht zuletzt sind aus diesem Grund vor allem pensionierte Erdölgeologen und Ingenieure und Fachleute aus dem akademischen Bereich die Protagonisten bei der Diskussion um „Peak Oil“. • Wirtschaftsbereich regenerative Energien: Gehör findet die Diskussion um „Peak Oil“ im Bereich der regenerativen Energien, da sich mit dem Erreichen des Erdölfördermaximums ein Geschäftsfeld eröffnet. „Peak Oil“ als Thema wird jedoch meist nur so weit als nützlich betrachtet, wie es die Diskussion um den Klimawandel nicht beeinträchtigt, da es in diesem Zusammenhang als kontraproduktiv gesehen wird. • Umfeld der Atomindustrie: Verfolgt man die zahlreichen blogs und Diskussionen im Internet zum Thema „Peak Oil“, so entsteht der Eindruck, als käme Befürwortern der Atomenergie die Nachricht vom Erreichen eines Fördermaximums beim Erdöl gelegen; Hinweise auf eine Begrenztheit von Uran-Vorkommen werden in den meist sehr kenntnisreichen Kommentaren auf aggressive Weise gekontert mit der Behauptung, dass die globalen Uranvorräte nahezu unerschöpflich seien. Während hier mitunter der Eindruck entsteht, dass hinter solchen Äusserungen Personen stehen, die der Atomwirtschaft nahestehen, sind offizielle Äusserungen aus dem Bereich der Atomwirtschaft zum Thema „Peak Oil“ nicht ersichtlich. Eine ablehnende Position zum Konzept von „Peak Oil“ wird mehrheitlich von folgenden Gruppen eingenommen: 60 • Wirtschaftswissenschaftler: Hier trifft die Vorstellung eines Fördermaximums überwiegend auf Ablehnung, da sich ein wachstumszentriertes Wirtschaftsmodell mit der Vorstellung einer Ressourcenbegrenzung nicht zu vertragen scheint. Es herrscht, vereinfacht gesagt, die Ansicht, man könne zusätzliches Erdöl finden, wenn man bereit wäre, Geologen und Ingenieuren einen höheren Lohn zu zahlen. • Klimaschutz: Für die in der Klimadiskussion engagierten Akteure wird „Peak Oil“ zumindest als potentiell kontraproduktiv gesehen, da es mit dem Thema Klimawandel in Konkurrenz um öffentliche Aufmerksamkeit steht und die Gefahr besteht, die falsche Botschaft zu vermitteln: dass nämlich die abnehmenden fossilen Energieträger Klaus Bitzer: Ist Peak Oil erreicht? Die Sicht der ASPO automatisch zu einer Reduktion von Kohlendioxid führen würden und die geplanten Maßnahmen zum Klimaschutz deshalb nicht notwendig seien. Tatsächlich geht das IPCC in seinen Szenarien von einer Ressourcenverfügbarkeit aus, die zumindest für Erdöl aus geologischer Sicht problematisch ist. • OPEC: Als unsinnig wird die Vorstellung eines Fördermaximums von der OPEC angesehen, die auf große eigene Reserven hinweist (jedoch keine unabhängige Bewertung ihrer Lagerstätten zulässt), und die darauf aufmerksam macht, dass regenerative Energien und insbesondere Biokraftstoffe im Vergleich zu Erdöl unökonomisch seien. • IEA: Nachdem bis vor kurzem die künftige Erdölverfügbarkeit lediglich anhand des künftigen Bedarfs hochgerechnet wurde, ist mit dem World Energy Outlook 2008 und den Äusserungen von Fatih Birol, dem Chefökonomen der IEA, ein Wechsel eingetreten. Das Eintreten eines Fördermaximums wird nicht mehr grundsätzlich in Frage gestellt, aber in die weitere Zukunft (Jahr 2020) gestellt. In ähnlicher Weise äussern sich auch die Autoren des kürzlich erschienenen World Energy Outlook 2009. Das Auftreten eines „Peaks“ wird hier nicht mehr als Folge einer physikalischen Verknappung gesehen, sondern als Folge einer abnehmenden Nachfrage („demand peak“). Dies erscheint angesichts der grossen Probleme bei der Einführung alternativer technischer Konzepte beim Individualverkehr (Elektroauto, Brennstoffzelle etc.) reichlich konstruiert: sowohl Verbraucher als auch die Automobilindustrie wären vermutlich froh, wenn das Konzept des internen Verbrennungsmotors für die nächsten Jahrzehnte weitergeführt werden könnte. Die Einführung des Elektroautos wird nicht angestrebt, weil es ein technisch besseres oder preisgünstigeres Konzept wäre, sondern weil die Aussichten auf die künftige Erdölverfügbarkeit keinen anderen Weg lassen. • Europäische Regierungsorganisationen und Behörden: Überwiegend wird das Erdölfördermaximum nicht thematisiert. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover stellt das Fördermaximum ähnlich wie die IEA in die Zukunft. 11.3.1 Die Erdölindustrie Die Erdölindustrie ist in dieser vereinfachten Einteilung schwer einzuordnen, da sie sich an der öffentlichen Diskussion kaum beteiligt und mehrheitlich von einer künftigen Produktionsausweitung ausgeht. Der Sachverhalt eines Fördermaximums mit einem Produktionsabfall ist der Industrie jedoch aus eigener Anschauung bekannt und wird nicht grundsätzlich in Frage gestellt, sondern in die Zukunft verlagert. Ablehnende Stellungnahmen zu „Peak Oil“ kommen von Exxon und Saudi-Aramco. Total hält das Eintreten des Fördermaximums vor 2020 für wahrscheinlich und will sich im Nuklearbereich stärker engagieren. 11.3.2 Politische Gruppierungen Politische Gruppierungen verhalten sich unterschiedlich zum Thema „Peak Oil“. Soweit solche Gruppen ein wachstumsorientiertes Wirtschaftsmodell vertreten, wird „Peak Oil“ entweder nicht thematisiert oder abgelehnt. Wachstumsorientierung wird am ehesten von linksori61 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! entierten Gruppierungen in Frage gestellt; das Thema „Peak Oil“ wird dort meist im Zusammenhang mit einer grundsätzlichen Kapitalismuskritik aufgegriffen. Auch einzelne Vertreter im wertekonservativen Bereich haben das Thema, von den Medien weitgehend ignoriert, aufgegriffen. Für umweltorientierte Parteien gilt überwiegend die Priorität für das Thema Klimaschutz. Angesichts der möglichen wirtschaftlichen Konsequenzen von „Peak Oil“ (negatives Wirtschaftswachstum) wird das Thema in Deutschland von den Volksparteien und von den Gewerkschaften als ungeeignet für den öffentlichen Diskurs betrachtet. In dieser Weise verhält sich auch die Medienlandschaft. 11.3.3 Die USA In den USA äussern sich konservative Zeitungen und Kommentatoren besonders ablehnend zum Thema „Peak Oil“. Es wird allein das Problem des politischen Zugangs zu den Erdöllagerstätten gesehen. Neben politischen und militärischen Lösungen wird auf künftige technische Fortschritte verwiesen. Anstrengungen zur Einsparung von Energie, Subventionierung und Umstellung auf regenerative Energien wurden bis vor kurzem als Angriff auf freies Unternehmertum und amerikanische Werte gesehen; ob Barack Obama hier eine Änderung bewirken wird, bleibt abzuwarten. Andererseits existieren auch Äusserungen im konservativen Umfeld, in denen die Verknappung von Erdöl als Chance zur Rückbesinnung auf vermeintliche amerikanische Werte gesehen wird. Beide Haltungen wirken auf Europäer in ihrer teils holzschnittartigen Vergröberung befremdlich, zumal in manchen Äusserungen auch vor dem Einfordern militärischer Lösungen nicht zurückgeschreckt wird. In liberalen Kreisen wird das Thema überwiegend als ein technisch handhabbares Problem aufgegriffen und in geringerem Umfang als ein zumindest technisch nicht lösbares, wenn nicht gänzlich unlösbares Problem. Prominenter Vertreter dieser Gruppe ist Richard Heinberg. 11.4 Der Zeitpunkt des globalen Fördermaximums Man könnte denken, dass ein Blick in die Statistiken reichen sollte, um die Frage nach dem globalen Fördermaximum beantworten zu können. Leider ist dies nicht der Fall. Selbst innerhalb der ASPO (Association for the Study of Peak Oil) und den ihr nahestehenden Gruppen ist die Sichtweise nicht einheitlich. Die Aussage über den Zeitpunkt des globalen Fördermaximums ist im Wesentlichen aus folgenden Gründen schwierig: 62 • je näher man sich am Zeitpunkt des Fördermaximums befindet, umso schwieriger ist die Feststellung eines Fördermaximums zu verifizieren, da es sich um ein lokales Maximum handeln könnte und die Produktion noch einmal über den bisherigen Maximalwert ansteigen könnte. Auch das US-amerikanische Fördermaximum wurde erst rückblickend mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung sichtbar. • die verfügbaren Daten zur Produktion sind keineswegs einheitlich, selbst innerhalb der Gruppe der OECD-Länder werden unterschiedliche Zahlen genannt. Auch die Berechnungseinheiten sind unterschiedlich und angesichts unterschiedlicher Dichte der Erdölsorten nicht ohne weiteres ineinander überführbar: Gewicht (Tonnen) oder Volumen (barrel). Wenig glaubwürdig sind auch die Zahlen nationaler Erdölgesell- Klaus Bitzer: Ist Peak Oil erreicht? Die Sicht der ASPO schaften, die oft über viele Jahre hinweg trotz erheblicher Fördermengen gleichbleibende Reserven nennen. • neben geologischen oder technischen Gründen kann es auch politische, wirtschaftliche oder gesellschaftliche Gründe für einen Förderrückgang geben, so zum Beispiel in der Nordsee nach dem Piper-Alpha Unglück im Jahr 1988. Eine wirtschaftliche Rezession kann zu einer zeitweiligen Reduzierung des Energiebedarfs und der Erdölförderung führen, und im anschliessenden Aufschwung könnte die Produktion wieder ansteigen. • neben dem konventionellen Erdöl ist in den vergangenen Jahren auch anderes, „unkonventionelles“ Öl auf den Markt gekommen, unter anderem auch Biokraftstoffe. In vielen Statistiken wird unter „all liquids“ alles zusammengefasst, was an flüssigen Energieträgern produziert wird, die zurückgehende Produktion aus konventionellem Erdöl wird so hinter steigenden Mengen unkonventionellen Öls verdeckt. So ist es nicht verwunderlich, dass die Statistiken zur Erdölförderung unterschiedliche Befunde liefern. Betrachtet man die Daten im BP Statistical Review of World Energy vom Juni 2009, so ist die Erdölproduktion im Jahr 2008 auf einem Höchststand mit 3,9288 Gt. Für den globalen Verbrauch wird dagegen ein Rückgang von 3,939 Gt im Jahr 2007 auf 3,9279 Gt im Jahr 2008 angegeben. Im Bericht der deutschen Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) ist in der Studie von 2009 dagegen von einem globalen Fördermaximum im Jahr 2006 in Höhe von 3,917 Gt die Rede. Auch die Energy Watch Group (EWG) sieht das globale Fördermaximum für 2006 erreicht. Dagegen nennen die US-amerikanischen Kollegen der ASPO ein Fördermaximum für Juli 2008 mit 86,9 Millionen barrel pro Tag (Rohöl inklusive anderer flüssiger Energierohstoffe „all liquids“). Auch für die IEA (International Energy Agency) liegt das bisherige Fördermaximum im Juli 2008 bei 74,74 Millionen barrel Rohöl pro Tag. Es herrscht innerhalb der ASPO die Ansicht, dass seit 2004 ein Plateau erreicht ist, das Schwankungen unterliegt. Das genaue Einmessen des höchsten Punktes dieses Plateaus wird vermutlich erst möglich sein, wenn der Abstieg begonnen hat. 11.5 Die Methode von Hubbert Um diese Unsicherheiten bei der Bestimmung des Zeitpunktes des Fördermaximums zu umgehen, kann die zeitliche Entwicklung der Auffindung von Erdöl und die Entwicklung der Erdölreserven und der historische Verlauf der Erdölproduktion analysiert werden. Auf diesem Ansatz beruht die Methode von Hubbert. Hier ist die Datenlage und die Interpretation zum Teil jedoch noch schwieriger; ist schon die Abschätzung einer Lagerstätte eine mit Unsicherheiten behaftete Angelegenheit, so wird die Reservestatistik zusätzlich durch Neubewertungen alter Lagerstätten verändert. Solche Neubewertungen werden teilweise als Neufunde deklariert; aus Ressourcen werden bei steigenden Preisen Reserven, und selbst die Definition von Reserven und Ressourcen ist international nicht einheitlich. Daten hierzu sind in vielen Staaten Staatsgeheimnis. 63 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! Abbildung 3: Förderverlauf für eine Erdöllagerstätte bzw. eine Erdölprovinz. Der Anstieg der Produktion wird von einem Fördermaximum und einem anschliessenden Abfall der Produktion gefolgt. Ein derartiger Kurvenverlauf wird näherungsweise auch die globale Erdölförderung beschreiben (Quelle: Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover). 11.6 Divergierende Reserveangaben Entsprechend uneinheitlich sind die Aussagen zu den Reserven. So gibt der BP Statistical Review of World Energy vom Juni 2009 erstmals einen leichten Rückgang der Reserven auf 170,8 Gt an. Die bundesdeutsche BGR schätzt dagegen gegenüber der letzten BGR-Studie im Jahr 2001 die Reserven im Jahr 2007 um 10,5 Gt höher auf 157,3 Gt. Sie liegt damit niedriger als die Schätzungen von BP und OPEC. Schätzungen von Exxon und vom Oil & Gas Journal liegen mit 180,6 Gt bzw. 181,1 Gt sogar noch höher. Teilweise werden hierbei die Teersande Kanadas mit eingerechnet und damit eine ganz andere Kategorie von Erdöllagerstätte einbezogen. Für die EWG liegen die Reserven dagegen deutlich niedriger mit 116,2 Gt. Wesentliche Gründe für die abweichenden Zahlen liegen in der Bewertung der mittelöstlichen Lagerstätten, wo in der Mitte der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts eine politisch motivierte Neubewertung von Lagerstätten vorgenommen wurde, die auf dem Papier zu einer Verdoppelung der sicheren Reserven geführt hat, und in der Tatsache, dass unsichere Ressourcen in die Kategorie von sicheren Reserven überführt wurden. Die Unsicherheit über die Reservensituation dieser Länder ist einer der Hauptgründe für die abweichenden Ansichten zwischen EWG und BGR und anderen Organisationen über das künftige Förderprofil. Für die BGR ist eine Erhöhung der Förderung „unter den gegebenen Rahmenbedingungen“ bis ins Jahr 2023 möglich. Dagegen hat sich unlängst Fatih Birol von der IEA in einem Interview Ende Juli dieses Jahres deutlich pessimistischer gezeigt. So geht 64 Klaus Bitzer: Ist Peak Oil erreicht? Die Sicht der ASPO die IEA jetzt davon aus, dass der Förderrückgang der derzeit genutzten Felder statt zuvor angenommener 3,7% nun 6,7% beträgt. Mit Blick auf die Situation im Jahr 2030 schreibt Birol, dass der Förderrückgang aus den bestehenden Feldern durch Neufunde ausgeglichen werden muss, die dem Vierfachen der Förderkapazität Saudi Arabiens entsprechen. Wo diese riesigen Lagerstätten liegen sollen, ist jedoch nicht bekannt; es ist anzunehmen, dass sie nicht existieren. Fatih Birol spricht von einem Fördermaximum im Jahr 2020 und deutet an, dass bereits im Jahr 2010 ein Engpass bei der Erdölversorgung eintreten könne. Auch die BGR prognostiziert, dass „trotz der bereits jetzt anlaufenden Substitution von Erdöl eine physische Verknappung spürbar sein wird“. Im Hinblick auf die derzeitigen Entwicklungen in der Erdölindustrie ist dies als wahrscheinlich anzunehmen. So berichten alle größeren Erdölfirmen von erheblichen Kürzungsprogrammen; Shell hat allein in der ersten Jahreshälfte die Kosten um 700 Millionen $ gesenkt, BP hat 2000 Millionen $ eingespart (teilweise auch durch Währungsgewinne). Die Explorations- und Entwicklungsprogramme vieler Felder stehen auf dem Prüfstand; von Personalabbau ist überall die Rede. Shell verzeichnet in der ersten Jahreshälfte einen Produktionsrückgang von 5,3% im Vergleich zum gleichen Zeitraum in 2008. 20% aller Positionen im senior management wurden gestrichen. Sämtliche Investitionen sollen um 10% gekürzt werden. Dies sind nicht die Anzeichen, die eine Aufbruchstimmung in der Erdölindustrie signalisieren, mit der die erforderlichen Felder von der vierfachen Größe Saudi-Arabiens gefunden und erschlossen werden können, von denen Fatih Birol spricht. Dass diese Felder vermutlich nicht existieren, geht auch aus folgender Beobachtung hervor: laut BP Statistical Review of World Energy vom Juni 2009 haben die Länder, aus denen derzeit 60 % der globalen Förderung kommen, das Fördermaximum überschritten; nur 40 % der Förderung kommen aus Ländern mit noch wachsender Förderung, überwiegend Länder, die der OPEC angehören. Dies macht es schwer, zu glauben, eine derart drastische Ausweitung der Förderung sei in diesen Ländern noch möglich. Staatliche Organisationen äussern sich selten deutlich zum Thema „Peak Oil“. Umso interessanter ist die Aussage der US Army im Joint Operating Environment 2008, wonach bis zum Jahr 2012 die weltweite Kapazitätsreserve bei der Erdölproduktion vollständig verschwunden sein könnte und bis zum Jahr 2015 das Produktionsdefizit 10 Millionen barrel pro 33 Tag erreichen könnte. 33 Vgl: http://www.jfcom.mil/newslink/storyarchive/2008/JOE2008.pdf 65 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! Abbildung 4: Globaler Verlauf der Erdölförderung seit 1990. Seit etwa 2004 zeichnet sich ein Förderplateau ab, das vermutlich das globale Fördermaximum anzeigt. Eingetragen sind die Prognosen der IEA von 2006 und 2008 (Quelle: www.theoildrum.com). Sehr deutlich werden die Befürchtungen eines bevorstehenden Fördermaximums in einem Editorial im JPT (Journal of Petroleum Technology) vom August 2009 mit Sadad Al-Husseini, dem ehemaligen Vize-Präsidenten der größten Ölgesellschaft der Welt, Saudi Aramco. Nach seiner Ansicht hat die Ölindustrie in den vergangenen Jahren an der Kapazitätsgrenze gearbeitet und kann die notwendige Elastizität bei der Erdölversorgung nicht mehr gewährleisten. Trotz aller Anstrengungen war die Industrie in den vergangenen Jahren nicht in der Lage, über 86 Millionen barrel pro Tag hinaus zu produzieren. Er weist ebenso wie die ASPO auf die fatale Praxis der Umdeklarierung von Ressourcen in Reserven hin und die sich daraus ergebenden unrealistischen Prognosen über Erdölverfügbarkeit. Die Gewinnung unkonventionellen „schwierigen“ Erdöls ist eine unsichere Angelegenheit angesichts schwankender Erdölpreise. So erwägt beispielsweise die mexikanische Erdölfirma Pemex, das mit großen Hoffnungen gestartete Chicontepec Projekt trotz der dramatisch zurückgehenden Erdölförderung Mexikos nicht weiter fortzuführen. 3,4 Milliarden $ wurden dort bislang investiert, die Förderung beträgt zurzeit 30'000 barrel pro Tag und bleibt damit weit unter dem angestrebten Ziel von 72'000 barrel pro Tag. Für jedes barrel Produktionskapazität waren mehr als 100'000 $ Investitionen erforderlich, weitere 8 Milliarden hätten in 2009 investiert werden sollen. Insgesamt geplant sind 20'000 Bohrungen, mit denen eine Förderung von 1 Mio. barrel schwer zu verarbeitendem Schwerstöl pro Tag erreicht werden soll. Das entspricht einer durchschnittlichen Förderung von 50 barrel pro Bohrung und Tag; in Saudi Arabien liegt dieser Wert bei 10'000 barrel Leichtöl pro Bohrung und Tag. Diese Zahlen und die Tatsache, dass dieses Feld nach dem Niedergang des Feldes Cantarell heu66 Klaus Bitzer: Ist Peak Oil erreicht? Die Sicht der ASPO te der grösste Hoffnungsträger Mexikos ist, machen deutlich, wie sehr sich die Verhältnisse in der Erdölgewinnung mittlerweile geändert haben. Trotz dieser Sachlage mag die Erdölindustrie bis auf wenige Ausnahmen nicht von „Peak Oil“ sprechen. Die betroffene Industrie mag ihr Geschäftsmodell nicht vorzeitig aufgeben und hat vermutlich auch keine klaren Vorstellungen von einem „Plan B“. 11.7 Der nicht existierende „demand peak“ Die Existenz eines geologisch-technisch bedingten Förderrückgangs wird mitunter freilich auch von einer anderen Seite, wenn nicht negiert, so doch zumindest ignoriert. So sprechen auch manche Umweltorganisationen vor allem von einem „demand peak“ und nicht von einem „supply peak“, wie er von der ASPO gesehen wird. In Stellungnahmen etwa zu Fragen der Gewinnung von Erdöl aus den kanadischen Teersanden sprechen solche Organisationen von einem Maximum in der Nachfrage nach Erdöl, so als würde der Verbraucher sich freiwillig aus Einsicht in umweltpolitische Notwendigkeiten oder über den Preis in seinem Erdölkonsum einschränken. Substitution von Erdöl und Erdgas durch regenerative Energiequellen ist vorerst auch bei Preisen von 147 $ pro barrel nur über den Weg der Subventionierung möglich. Wenngleich dies mittlerweile zu einem gewissen Teil geschieht, ist es nicht vernünftig, die Begrenztheit von Erdöl und Erdgas und die Existenz eines „supply-peaks“ zu ignorieren. Die Befürchtung, ein geologisch bedingter „supply-Peak“ könnte die angestrebten Ziele zum Klimaschutz in Frage stellen, ist kurzsichtig. Investoren für kanadische Teersande lassen sich von wenig glaubhaften Warnungen vor einem „demand-peak“ von ihren Investitionen nicht abbringen. Der Verbraucher wird bereit sein, noch wesentlich höhere Energiepreise zu zahlen, wenn ihm keine andere Möglichkeit bleibt. ASPO ist wie viele andere Umweltorganisationen davon überzeugt, dass das Ende des fossilen Zeitalters eine gute Nachricht ist. Um die Gesellschaft auf die künftige Energieverfügbarkeit einzustellen, braucht es glaubhafte Argumente. Damit wirklich ein „demand peak“ eintritt bedarf es noch grosser Überzeugungsarbeit und vor allem eines Modells, wie wirtschaftliche und gesellschaftliche Abläufe in einer Niedrigenergie-Gesellschaft organisiert sein sollen. 67 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! 11.8 Fazit Wann also ist „Peak Oil“? Wer auf diese Frage ein konkretes Datum erwartet, wird mit dieser Information wenig anfangen können. Es geht vielmehr um die Einsicht in die Begrenztheit natürlicher Ressourcen und darum, dass der Mensch verantwortungsvoll mit Ressourcen umgehen und sich auf veränderte Bedingungen rechtzeitig einstellen muss. Ob „Peak Oil“ bereits im Jahr 2005 erreicht wurde oder erst im Jahr 2015 erreicht wird, ist letztlich von zweitrangiger Bedeutung. Die geologischen Hinweise, dass „Peak Oil“ erreicht ist, sind vielfältig und sollten als Signale zum Handeln aufgefasst werden. Die Arche Noah musste gebaut werden, bevor es zu regnen begann. Von den fossilen Energien müssen wir uns entwöhnen, bevor sie zu Ende gehen. Abbildung 5: Ein Bild mit Symbolcharakter: die Tankstelle in Ayoluengo wurde mittlerweile in eine Bar umfunktioniert (Quelle: eigene Aufnahme). 68 Silvia Kotting-Uhl: Energie 2.0 – Die grünen Massnahmen bis 2020: Energiesparen, Erneuerbare und Effizienz 12 Silvia Kotting-Uhl: Energie 2.0 – Die grünen Massnahmen bis 2020: Energiesparen, Erneuerbare und Effizienz Silvia Kotting-Uhl Umweltpolitische Sprecherin, Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen Bundeshaus MdB - Büro Sylvia Kotting-Uhl Platz der Republik 1 D-11011 Berlin [email protected] 12.1 Unsere Aufgabe Wer die Klimakrise ernst nimmt, weiß, dass sie die derzeit größte Herausforderung für die Menschheit ist. Wenn es uns nicht gelingt, die globale Erwärmung bei 2 Grad aufzuhalten, werden weite Teile der Welt unbewohnbar werden – durch Ansteigen des Meeresspiegels, Ausbreitung der Wüstenregionen und Austrocknung bisheriger Nahrungsmittelanbaugebiete. Millionen von Menschen werden zu Flüchtlingen werden. Die internationale Wissenschaft sagt uns, dass bis 2050 die CO2-Emissionsproduktion in den Industriestaaten um 80 Prozent gegenüber dem Vergleichsjahr 1990 reduziert werden muss, um das 2-Grad-Ziel zu erreichen – dahin müssen wir kommen. Ich möchte in diesem Beitrag erläutern, wie wir Grüne dieses Ziel für Deutschland angehen wollen. Die deutsche Politik hat sich eine erste Wegmarke gesetzt: die Reduzierung des CO2Ausstosses bis 2020 um mindestens 40 Prozent gegenüber 1990. Auch hat Deutschland erste Schritte getan, um diese Marke bis 2020 zu erreichen. Betrug der CO2-Ausstoss 1990 noch 1030 Millionen Tonnen (t), so konnte er bis 2005, dem Ende der Amtszeit von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, bereits auf 866 Millionen t gesenkt werden. 16 der 40 Prozentpunkte sind damit geschafft. Doch dies können nur die ersten von vielen Schritten auf dem Weg zu den geforderten 40 Prozent sein. Bis 2020 müssen wir unseren CO2-Ausstoss noch um weitere 24 Prozent gegenüber 1990 bzw. 248 Millionen t verringern. Die Menschen werden aber weder in Deutschland noch in anderen industrialisierten Ländern bereit sein einen Lebensstil zu akzeptieren, wie er in Ländern vorherrscht, die noch heute einen solch kleinen CO2Ausstoss besitzen. Dies bedeutet, dass wir schnell viel dazu lernen müssen: anders zu produzieren, anders zu transportieren, anders zu konsumieren. Die Energieversorgung muss 69 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! vollständig umgestellt werden. Wir brauchen andere Energie aus erneuerbaren Quellen, und wir müssen anders, nämlich deutlich effizienter, mit ihr umgehen. 12.2 Grüne Maßnahmen und ihre Wirkung Bündnis 90/Die Grünen haben ein Energiekonzept vorgelegt, das konkrete Maßnahmen benennt, mit denen sogar eine Reduktion um 27 Prozentpunkte bzw. 280 Millionen t bis 2020 realistisch ist. Und dies ohne Atomkraft und ohne Neubau von Kohlekraftwerken. Unser Konzept betrifft die drei wichtigen Sektoren Strom, Wärme und Verkehr. Und bei allen liegt die Zukunft in den drei großen E‘s: Energieeffizienz, Energieeinsparung und erneuerbare Energien. 12.2.1 Grüne Maßnahmen im Strombereich In Deutschland ist zwar eine Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Stromverbrauch gelungen, doch noch immer steigt die Nachfrage nach Strom jährlich um mehr als 0,5 Prozent. Und auch der Stromverbrauch ist von 472 Terawattstunden (TWh) im Jahr 1995 auf inzwischen 540 TWh pro Jahr gestiegen (Stand 2007). Wir Grüne wollen diesen Trend umkehren: Durch ein „Effizienzpaket Strom“ soll Deutschland zur energieeffizientesten Volkswirtschaft der Welt werden, damit andere Länder unserem Beispiel folgen. Konkret soll der Stromverbrauch in Deutschland um mindestens 5 TWh jährlich gesenkt werden, so dass er bis 2020 um 16 Prozent niedriger ist als 2005. Nach unseren Schätzungen kann der CO2Ausstoss auf diese Weise um 45 bis 65 Millionen Tonnen verringert werden. Neben anderen Instrumenten umfasst das Effizienzpaket die folgenden Maßnahmen: 1. Der Stromsparfonds: Wir wollen einen Fonds von jährlich eine Milliarde Euro auflegen, mit dem zusätzlich in Stromeinsparung investiert wird. Der Fonds soll unter anderem aus den Erlösen künftiger Auktionen beim Emissionshandel finanziert werden. Mit ihm werden diverse Aktivitäten zur Stromeinsparung, z.B. der Kauf effizienter Elektrogeräte, unterstützt. 2. Einführung hoher Effizienzstandards für Elektrogeräte: Nach der EU-ÖkodesignRichtlinie werden in Kürze für alle gängigen Elektrogeräte europaweite Mindesteffizienzstandards für den Stromverbrauch festgelegt. Wir Grüne schlagen vor, dass ehrgeizige Mindeststandards nicht nur festgelegt, sondern auch im Dreijahresrhythmus aktualisiert werden. Die Standards sollen sich dabei an dem Stromverbrauch des effizientesten auf dem Markt erhältlichen Produktes orientieren („Top-RunnerAnsatz“). 3. Bessere Kennzeichnung der Energieeffizienz: Wir brauchen europaweit eine aussagekräftige und dynamische Verbrauchskennzeichnung für die gängigsten Elektrogeräte. Jede Verbraucherin und jeder Verbraucher muss sofort erkennen können, ob er es mit einem effizienten Stromsparer oder einem verschwenderischen Stromschlucker zu tun hat. 4. Anreize für Energie-Audits: Auch in der Industrie liegt ein großes Potenzial zur Energieeinsparung. Wir schlagen vor, Unternehmen aus Branchen mit hohem Strombe70 Silvia Kotting-Uhl: Energie 2.0 – Die grünen Massnahmen bis 2020: Energiesparen, Erneuerbare und Effizienz darf Steuerermäßigungen einzuräumen, wenn sie Audits zur Reduzierung des Energieverbrauchs durchführen oder ein Energie-Managementsystem einführen. 5. Staatliche Bürgschaften für Energiespar-Contracting: Energiespar-Maßnahmen erfordern meist eine hohe Anfangsinvestition, die erst nach einem längeren Zeitraum durch die eingesparten Kosten gedeckt wird. Für Unternehmen ist diese Eigenleistung meist zu hoch. Es gibt aber EnergiedienstleisterInnen, die sich darauf spezialisiert haben, die Einsparmaßnahmen im Auftrag durchzuführen und diese aus der monatlichen finanziellen Ersparnis der AuftraggeberIn zu finanzieren. Diese Unternehmen können ihre Maßnahmen oft nicht voll ausschöpfen, da bei langfristigen Maßnahmen das Insolvenzrisiko der AuftraggeberIn ein unkalkulierbares Risiko für größere Investitionen darstellt. Hier sollte der Staat als Bürge auftreten und das Risiko abfedern. Neben Energieeinsparung und Energieeffizienz setzen wir Grüne auf die erneuerbaren Energien. Sie sind der Schlüssel zu einer nachhaltigen klimafreundlichen Stromerzeugung. Atomkraftwerke oder Kohlekraftwerke mit CO2-Abscheidung und –speicherung („CCS“) sind keine Alternative. Unter den fossilen Energieträgern kann allenfalls Erdgas auch in Zukunft eine Rolle spielen. Auch dank des von der rot-grünen Bundesregierung (SPD/Grünen) eingeführten Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) ist der Ausbau der erneuerbaren Energien im Strombereich in Deutschland eine große Erfolgsgeschichte. Aber das Ende der Möglichkeiten ist noch nicht erreicht. Der Beitrag der Erneuerbaren im Strombereich kann und soll deutlich wachsen. 2005 stellten die Erneuerbaren einen Anteil von 10 Prozent des Gesamtstroms von Deutschland zur Verfügung (ca. 60 TWh). Fossile Energien kamen auf 68 Prozent (ca. 408 TWh) und die Atomenergie auf 22 Prozent (ca. 132 TWh). Bis 2020 wollen wir den Anteil erneuerbarer Energien an der Bruttostromproduktion auf 43 Prozent erhöhen (ca. 217 TWh), fossile Energieträger sollen in etwa einen Anteil von 51 Prozent beisteuern (ca. 306 TWh), und nur noch knapp 6 Prozent werden von der Atomenergie geliefert (ca. 30 TWh). Die Quellen erneuerbarer Energie für die Stromproduktion sollen 2020 vor allem Windkraft (ca. 94 TWh) und Biomasse (ca. 40 TWh) sein, aber auch die Wasserkraft (ca. 25 TWh) und der Stromimport aus dem Ausland (ca. 26 TWh) sollen einen wichtigen Teil beitragen. Da Windkraft, Bioenergie und Wasserkraft bereits heute bedeutende Teile der deutschen Stromproduktion aus erneuerbaren Energien abdecken, muss vor allem auch der massive Ausbau von Fotovoltaik (auf ca. 20 TWh) und Geothermie (auf ca. 12 TWh) gefördert werden. Durch einen solchen Paradigmenwechsel in der Stromerzeugung ließe sich der CO2-Ausstoss um weitere 75 bis 85 Millionen t verringern. Das grüne Konzept sieht eine Reihe von Maßnahmen vor, die helfen sollen, diesen Wechsel zu vollziehen: 6. Durch eine Stabilisierung und Optimierung des EEG sollen alle erneuerbaren Energien (Solar, Wind, kleine Wasserkraft, nachhaltig angebaute Bioenergie, Erdwärme und Meeresenergien) weiterhin optimale Investitionsbedingungen erhalten. Neue AkteurInnen – speziell aus dem Mittelstand – brauchen einen privilegierten Zugang. Das bedeutet eine feste garantierte Einspeisevergütung und eine feste Vergütungsdauer. Jeder Bürger in Deutschland, der eine Photovoltaik-Anlage auf seinem Dach installiert, jeder Bauer, der eine Biogas-Anlage auf dem Hof hat, jede Genossenschaft, die eine Windkraft-Anlage baut, soll den damit erzeugten Strom ins Netz einspeisen kön71 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! nen und dafür bezahlt werden. Ebenso brauchen wir eine Qualitätssicherung für das eingespeiste Biogas und für nachhaltig angebaute Pflanzen. 7. Wir wollen ein Biogaseinspeisegesetz schaffen, in dem die Vorrangigkeit von Biogas im Erdgasnetz mit Privilegierung des dezentral und nachhaltig erzeugten Biogases bei der Einspeisung und Durchleitung geregelt wird. Zudem soll es feste Vergütungssätze und Vergütungszeiträume für das eingespeiste Biogas geben, die einen wirtschaftlichen Betrieb der Biogasanlagen inklusive Einspeisung ermöglichen. 8. Die Entwicklung einer Europäischen Biogasstrategie: Die Biogaserzeugung wird in Deutschland weiter stark zunehmen. Und auch andere Länder werden die Biogaserzeugung ausbauen. Ein Teil des erzeugten Biogases wird über die vorhandenen Pipelines im europäischen Markt verkauft werden. Damit könnte Deutschland einen Teil seines Gasbedarfes aus ausländischen Biomethanpotenzialen decken. Wir Grüne streben an, dass bis 2020 9 Milliarden m³ Erdgas durch heimisches und weitere 9 Milliarden durch importiertes Biomethan ersetzt wird. Die Biomethanimporte machen damit rund 2 Prozent der europäischen Biogaspotenziale (ohne Deutschland) aus. Wenn davon 35 Prozent in den Stromsektor fließen, können damit 30 TWh Strom aus Biogas erzeugt werden. 9. Die Förderung der Geothermie: Die Stromerzeugungspotenziale der Geothermie sind immens. Wir Grüne fordern ein „100-Erdwärmeanlagen-Programm“: Die Bundesregierung soll das Fündigkeitsrisiko für die ersten 100 Anlagen übernehmen oder zumindest eine entsprechende Versicherung bereitstellen. Außerdem befürworten wir Tiefbohr- und Seismikprogramme mit dem Ziel, schnell in großem Umfang Erkenntnisse anhand einer Reihe von Projekten zu generieren, die dann auch anderen Projekten zur Verfügung stünden. 10. Zu der heimischen Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien kommt nach unserer Vorstellung ergänzend der Import von erneuerbaren Energien hinzu. Studien haben aufgezeigt, dass in großem Umfang Strom aus sonnenreichen und windstarken Regionen erzeugt und zu günstigen Kosten nach Mitteleuropa transportiert werden könnte. Für 2020 werden 5 Prozent der Bruttostromerzeugung durch Importe zum Beispiel aus Nordeuropa, von wo insbesondere Wasserkraft als auch Windenergie zur Verfügung gestellt werden kann, sowie aus der MENA-Region (Nordafrika, Naher Osten) angenommen. Auch wenn es aufgrund eines verzögerten Netz- oder Anlagenausbaus nicht zu dem hier prognostizierten Stromimport kommen sollte, kann unser Ziel, die CO2-Emissionen bis 2020 um 40 Prozent zu senken, erreicht werden. 11. Bürokratieabbau: Leider werden der Umsetzung neuer Gedanken in Deutschland immer noch zu viele bürokratische Steine in den Weg gelegt. Diese wollen wir so schnell wie möglich abbauen. Nimmt man die Auswirkungen des Effizienzpaketes und des Wechsels zu den Erneuerbaren zusammen, erhält man eine Einsparung von 115 bis 150 Millionen t CO2 bis 2020 allein im Stromsektor. Dies sind 11 bis 15 der geforderten 40 Prozentpunkte. 72 Silvia Kotting-Uhl: Energie 2.0 – Die grünen Massnahmen bis 2020: Energiesparen, Erneuerbare und Effizienz 12.2.2 Grüne Maßnahmen im Wärmebereich Fast 60 Prozent des deutschen Energieverbrauches geht in die Wärmeproduktion, bei den privaten Haushalten sind es sogar über 90 Prozent (ohne Verkehr). Sie verwenden ihre Energie im Wesentlichen für die Raumwärme (über 75 Prozent) sowie für die Bereitstellung von warmem Wasser (12 Prozent). Etwas abgeschwächt gilt diese Tendenz auch für den Bereich Gewerbe, Handel und Dienstleistungen. Bei der Industrie werden für die Wärmebereitstellung über 80 Prozent der Energie verwendet. Hier schlägt die Produktionswärme mit fast zwei Dritteln des Energiebudgets zu Buche. Dazu lässt sich ihr Anteil an den gesamten deutschen CO2-Emissionen auf rund 25 Prozent abschätzen. Einsparung ist daher auch bei der Wärmebereitstellung ein wesentliches Stichwort. Durch verbesserte Dämmung lässt sich der Energiebedarf im Gebäudebereich signifikant verringern. Darüber hinaus muss jedoch etwas bei der Art der Wärmegewinnung verändert werden. Denn zum einen werden in Deutschland riesige Mengen Wärme erzeugt, die faktisch bei der Produktion verpuffen: Der größte Teil der bei der Stromerzeugung entstehenden Abwärme – etwa zwei Drittel der eingesetzten Primärenergie – geht ungenutzt verloren. Zum anderen ist das Standbein der deutschen Wärmeerzeugung noch immer die Verbrennung fossiler Rohstoffe. Ungefähr ein Drittel der Energie wird in Gebäuden verbraucht (rund 4.000 von 14.000 Petajoule [Pj]), wobei ca. 19 Prozent der CO2-Emissionen (ca. 165 Millionen t) entstehen. Die CO2-Emissionen der Wohngebäude (ca. 120 Millionen t) entstehen vor allem durch Heizung und Warmwasserbereitung. Bei den Nichtwohngebäuden (ca. 45 Millionen t) kommen zusätzlich bedeutende Anteile der CO2-Emissionen durch die Gebäudeklimatisierung und kühlung hinzu. Wir halten es für realistisch, den Endenergieverbrauch in Gebäuden deutlich reduzieren zu können: Der durchschnittliche Endenergieverbrauch von Bestandsgebäuden könnte bei Wohngebäuden von 250 kWh/m2a auf mind. 100 kWh/ m2a und bei Nichtwohngebäuden von heute durchschnittlich 300 kWh/m2a auf mindestens 200 kWh/m2a gesenkt werden. Der Endenergieverbrauch von Neubauten muss dafür von derzeit durchschnittlich 100 kWh/m2a auf mind. 60 kWh/m2a gesenkt werden. So ließen sich ab dem Jahr 2020 jährlich ca. 30 bis 35 Millionen t CO2 einsparen. Dieses Ziel verfolgen wir mit unserem grünen Gebäudesanierungspaket: 1. Finanzielle Anreize sollen dazu beitragen, die energetische Sanierungsquote des deutschen Gebäudebestandes von derzeit 0,6 bis 0,7 Prozent pro Jahr auf mindestens 2 Prozent bei Wohn- und auf mindestens 4 Prozent bei Nichtwohngebäude anzuheben. Hier bietet sich vor allem das Gebäudesanierungsprogramm der KfWFörderbank an, die schon heute günstige Kredite zur Sanierung von Gebäudebeständen vergibt. 2. Verschärfung der Energieeinsparverordnung (EnEV): Neu errichtete Wohnhäuser sollen danach einen Energieverbrauch von 60 kWh/m2a („Niedrigenergiehaus 60“) und bestehende Gebäude nach ihrer Sanierung einen Energieverbrauch von 100 kWh/m2a einhalten. Die entsprechenden Werte für Nichtwohngebäude sollen 100 kWh/m2a für Neubauten und 200 kWh/m2a für sanierte Altbestände betragen. Dies führt zu einer weiteren Steigerung der energetischen Sanierungsquote und einem geringeren Zuwachs an CO2-Emmissionen durch Neubauten. Insgesamt rechnen wir hier ab dem Jahr 2020 mit einer jährlichen Einsparung von ca. 29 Millionen t CO2, allein durch eine höhere Sanierungsquote und eine verschärfte EnEV. 73 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! 3. Mit weiteren Förderprogrammen wollen wir finanzielle Anreize setzen, die technische Ausstattung der Gebäude (z.B. Heizungsanlagen, Umwälzpumpen, Thermostate, Abstimmung des Heizungsnetzes) zu erneuern oder zu optimieren. Damit ließ sich der CO2-Ausstoß bis 2020 um ca. 10 Millionen t bei Wohngebäuden und ca. 2 Millionen t bei Nichtwohngebäuden verringern. 4. Auch die Einführung eines Energieausweises, welcher über den Endenergieverbrauch eines Gebäudes Auskunft gibt, setzt Anreize für VermieterInnen, den Verbrauch des Hauses möglichst zu verringern. Wir rechnen hier mit einer zusätzlichen Einsparung von ca. 0,6 Millionen Tonnen. Neben der Einsparung von Wärme im Gebäudebereich lassen sich bis 2020 auch 85 bis 95 Millionen t CO2 durch Änderungen in der Wärmeproduktion einsparen. Der Königsweg zur Einsparung von Primärenergie ist die Kraft-Wärme-Kopplung (KWK), also die parallele Gewinnung von Strom und Wärme in zumeist kleineren Kraftwerken. Dazu müssen Kraftwerke dort gebaut werden, wo ihre Abwärme benötigt wird. Auch aufgrund des rot-grünen Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes (KWKG) von 2002 gibt es in Deutschland bereits solche „Doppelkraftwerke“. Allerdings beträgt ihr Anteil erst etwa 11 Prozent an der Stromversorgung und etwa 9 Prozent an der Versorgung mit Raum- und Prozesswärme. Das Potenzial ist jedoch deutlich höher: 30 Prozent an der gesamten Stromerzeugung Deutschlands und 14 Prozent im Wärmebereich bis 2020 halten wir Grüne für realistisch. Aber nur, wenn kräftig in den Bau von Kraftwerken und Wärmenetzen investiert wird. Solange noch fossile Energieträger eingesetzt werden müssen, sollen Gaskraftwerke als Übergangstechnologie eine besondere Rolle spielen. Sie weisen höhere Wirkungsgrade und niedrigere CO2-Emissionen auf als Kohlekraftwerke. Zudem können sie später auch mit Biogas betrieben werden. Sie sind also in mehrfacher Hinsicht eine Investition in die Zukunft. In unserem grünen Energiekonzept fordern wir deshalb: 5. Das KWKG so zu verbessern, dass es zu Investitionen in den Ausbau von KWKAnlagen anreizt. Auch für die Stromerzeugung aus Abwärme soll es einen Bonus geben. 6. Die Fern- und Nahwärmenetze auszubauen und einen fairen und diskriminierungsfreien Netzzugang zu etablieren. Die KWK kann ihre Klima schonende Wirkung natürlich am besten entfalten, wenn sie in Kraftwerken angewandt wird, die regenerative Energie erzeugen. Mit einer Gesamtmenge von 291 Pj nehmen die erneuerbaren Energien im deutschen Wärmesektor heute jedoch gerade einmal 5,4 Prozent ein. Dominiert wird die Wärmeproduktion in Deutschland noch immer von Erdöl (1533 Pj bzw. 28,7 Prozent), Kohle (575 Pj bzw. 10,8 Prozent) und Erdgas (2942 Pj bzw. 55,1 Prozent) Unser Ziel ist es, die Erzeugung von Wärme aus regenerativen Quellen bis 2020 auf ca. 1177 Pj bzw. einen Anteil von 28,1 Prozent zu erhöhen. Zwar stellt nach unserer Konzeption auch 2020 der fossile Energieträger Erdgas den Großteil der in Deutschland produzierten Wärmeenergie bereit (2230 Pj bzw. 53,3 Prozent), doch hätten wir die ökologisch weitaus bedenklicheren Energieträger Erdöl (639 Pj bzw. 15,3 Prozent) und 74 Silvia Kotting-Uhl: Energie 2.0 – Die grünen Massnahmen bis 2020: Energiesparen, Erneuerbare und Effizienz Kohle (139 Pj bzw. 3,3 Prozent) weitgehend verdrängt. Unser Konzept sieht dabei folgende Maßnahmen vor: 7. Die Einführung eines Erneuerbare-Energien-Wärmegesetzes, welches festlegt, dass bei der Errichtung, dem Austausch und der Modernisierung von Wärmeerzeugungsanlagen und bei dem Betrieb von Wärmenetzen ein anteiliger Mindesteinsatz von Wärme aus regenerativen Energiequellen verwendet werden muss. Wer dieser Verpflichtung nicht folgen will oder kann, zahlt eine Ersatzabgabe, die zur Förderung von regenerativen Wärmeerzeugungsanlagen, Wärmespeicheranlagen, Energieeinsparprogrammen und Wärmenetzen verwendet wird. 8. Eine deutliche Aufstockung und Umgestaltung des Marktanreizprogramms zur Förderung erneuerbarer Energien im Wärmebereich. Rechnet man die CO2-Einsparungen durch einen geringeren Wärmebedarf mit den Einsparungen durch einen Wechsel hin zur Wärmeerzeugung mit KWK und aus erneuerbaren Energien zusammen, ergibt sich eine Gesamtreduktion von 115 bis 130 Millionen t CO2 bis 2020. Dies entspricht 11 bis 13 Prozent des Ausstoßes im Vergleichsjahr 1990. Auch im Wärmebereich findet sich also hinreichend Potential, die 40-Prozent-Marke bis 2020 zu realisieren. 12.2.3 Grüne Maßnahmen im Bereich Verkehr Der CO2-Ausstoß des Gesamtverkehrs ist zwischen 1990 und 2005 als einziger Sektor in Deutschland gestiegen, und zwar von 158 auf 167 Millionen t. Er ist damit für 19 Prozent des Gesamtausstoßes an CO2 verantwortlich. Wir Grüne haben uns zum Ziel gesetzt, den Energieverbrauch im Verkehrssektor bis 2020 um 17 Prozent zu senken, von ca. 2650 auf 2200 Pj. Dies sollte zu einer CO2-Einsparung von 35 bis 40 Millionen t CO2 führen. Darüber hinaus soll der Anteil regenerativer Energien im Verkehrssektor bis 2020 von 3 Prozent (ca. 80 Pj) auf 20 Prozent (ca. 440 Pj) angehoben werden, welches den CO2-Ausstoss um weitere 15 bis 20 t senkt. Wir gehen davon aus, dass im Bereich Verkehr insgesamt zwischen 50 und 60 Millionen t CO2 bzw. 30 Prozent des Gesamtausstoßes eingespart werden können. Die klassischen Strategien für einen umweltfreundlichen Verkehr sind die „3 V’s“: Verkehr vermeiden, verlagern und verträglich gestalten. Verkehrsvermeidung bedeutet nicht Mobilitätsbeschränkung. Unser Maßnahmenpaket soll vielmehr dafür sorgen, dass Fahrten eingespart werden können, die häufig auch von den Mobilen selbst als Belastung angesehen werden: 1. Unser Konzept sieht vor, den baupolitischen Schwerpunkt zu verlagern: Weg vom Neu- und Ausbau von Straßen, die in Zeiten des demographischen Wandels vielfach überflüssig sind; hin zum Erhalt und zur Sanierung bestehender Straßen. Ausnahmen sollten jedoch für dauerhaft hoch belastete Straßen gelten. 2. Die Besteuerung von Grundstücken („Grundsteuer“) sollte unserer Ansicht nach reformiert werden. Das Ziel dabei ist, Wohnen in Städten mit wenig Flächenverbrauch günstiger und „Bauen auf der grünen Wiese“ teurer zu machen 75 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! 3. Die steuerliche Begünstigung beruflicher Fahrten („Pendlerpauschale“) muss gesenkt werden. Ein häufig unterschätztes Potential liegt in der Verlagerung von Verkehr auf umweltverträglichere Verkehrsmittel. Unser Maßnahmenpaket zur Verkehrsverlagerung soll dieses Potential locker machen: 4. Viele kurze Strecken können auch zu Fuß oder mit dem Rad zurückgelegt werden. Um eine Verlagerung in diese Richtung zu unterstützen, wollen wir finanziell in den Stadtumbau investieren, um eine fußgänger- und radfahrerfreundliche Stadt zu schaffen. Der Verkehr soll sich am Menschen orientieren und nicht umgekehrt. Bis 2020 soll so der Anteil der Strecken, die in Deutschland mit dem Rad zurückgelegt werden, von 9 auf 18 Prozent verdoppelt werden. Für längere Strecken und für den Güterverkehr befürworten wir generell die Verlagerung von der Straße auf die Schiene. Die S-Bahn zur Arbeit soll eine wirkliche Alternative zur beruflichen Autofahrt werden. Güter mit der Bahn zu transportieren soll vorteilhafter sein als der Transport mit dem LKW. 5. Wir setzen uns für eine deutliche Stärkung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) ein. Dazu gehört eine grundlegende Reform der ÖPNV-Finanzierung, die Transparenz und stärkere Anreize für das Gewinnen zusätzlicher Fahrgäste schafft. 6. Durch die Entwicklung eines kostenlosen technischen Standards für die Erhebung einer Citymaut sollen Städte ermuntert werden, diese bis 2020 einzuführen und damit einen wirksamen Verlagerungsanreiz zu schaffen. 7. Die in Deutschland seit 2005 bestehende LKW-Maut soll angehoben und auf weitere Fahrzeuge ausgedehnt werden. 8. Die Verwaltung des deutschen Schienennetzes soll nach unserer Vorstellung eine öffentliche Aufgabe bleiben. 9. Wir wollen die Wettbewerbsbedingungen von Flugzeug und Bahn einander angleichen, in dem die bisher in Deutschland bestehenden Subventionen für den Luftverkehr, z.B. die Steuerbefreiung von Kerosin und die Mehrwertsteuerbefreiung für Auslandsflüge, abgebaut werden. Das dritte Standbein unserer Maßnahmen für den Verkehrssektor ist, den Verkehr umweltverträglich zu gestalten: Die Fahrt mit Auto, Bus, LKW und Bahn soll so wenig Energie verbrauchen wie möglich. Und die dann noch verbrauchte Energie soll soweit wie möglich aus regenerativen Quellen stammen. Im Einzelnen sieht unser Konzept das folgende Maßnahmenpaket vor: 10. Die Festsetzung verbindlicher Grenzwerte für neue Pkw von 120g CO2 pro km im Jahr 2012 und einem Grenzwert von 80g CO2 pro km im Jahr 2020. Dies entspricht in etwa einem Verbrauch von 4,5 Liter (l) Diesel oder 5,0 l Benzin pro 100 km für 2012 bzw. einem Verbrauch von 3,0 l Diesel oder 3,4 l Benzin pro 100 km für 2020. 76 Silvia Kotting-Uhl: Energie 2.0 – Die grünen Massnahmen bis 2020: Energiesparen, Erneuerbare und Effizienz 11. Eine Reformierung der Besteuerung von Kraftfahrzeugen, so dass emissionsarme Fahrzeuge belohnt und CO2-Schleudern viel stärker zur Kasse gebeten werden als heute. Dies stellt einen Anreiz zur Entwicklung und Verwendung sparsamer Kraftfahrzeuge dar. 12. Die Einführung eines niedrigeren Tempolimits von 120 km/h auf Autobahnen, 80 km/h auf zweispurigen Landstraßen und 30 km/h (mit Ausnahmen) innerorts. 13. Marktanreizprogramme für alternative Antriebe, wie Hybrid- oder Plug-In-HybridAntriebe. Dabei streben wir das Ziel an, dass 2020 in Deutschland mindestens eine Millionen Elektrofahrzeuge im Einsatz sind. 14. Die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit von Kraftstoffen aus nachwachsenden Rohstoffen, z.B. durch Steuerbegünstigungen. Unser Ziel ist ein Anteil von 15 bis 20 Prozent dieser Kraftstoffe am Gesamtkraftstoffverbrauch im Jahre 2020. 15. Die Umstellung des öffentlichen Verkehrs auf alternative Antriebe, alternative Kraftstoffe und Ökostrom. 12.2.4 Emissionshandel, ökologische Finanzreform, Forschungsoffensive Nach und nach muss der Klimaschutz für alle Bereiche der Gesellschaft zum Maßstab werden. Neben den einzelnen Maßnahmen in den Bereichen Strom, Wärme und Verkehr wollen wir allgemeine gesamtgesellschaftliche Maßnahmen umsetzen, die den Umschwung in den drei Sektoren unterstützen, beschleunigen und auf Dauer sichern sollen. 1. Das wichtigste Mittel ist, der Verschmutzung durch CO2 einen stabilen, deutlich spürbaren Preis zu geben. 2005 wurde in Europa der Emissionshandel eingeführt. Klimaschädliche CO2-Emissionen sind seitdem nicht mehr kostenlos möglich. Der Handel mit Emissionszertifikaten eröffnet die Chance, ambitionierte Klimaschutzziele mit effizientem Mitteleinsatz zu erreichen. Jetzt kommt es darauf an, den Emissions-handel ökologisch anspruchsvoll, marktwirtschaftlich effizient und administrativ ein-fach auszugestalten: 100 Prozent der Emissionsrechte müssen europaweit versteigert und bisher ausgeklammerte Sektoren mit einbezogen werden. 2. Der Ansatz, dem Ausstoß von CO2 einen Preis zu geben, muss auch auf andere Bereiche der Gesellschaft übertragen werden. Mit einer ökologischen Finanzreform wollen wir erreichen, dass ökologisches Verhalten belohnt und klimaschädliches Verhalten sanktioniert wird. Beispielsweise können umweltfreundliche Produkte steuerlich begünstigt und umweltschädliche Produkte mit einer zusätzlichen Abgabe belegt werden. Das erzielte zusätzliche Steueraufkommen wollen wir in Form jährlicher Energiegutschriften an die BürgerInnen zurückgeben. Auch sind umweltschädliche Subventionen und Privilegien, z.B. für Kohle und Kerosin, abzuschaffen. 3. Einer der zentralen Voraussetzungen dafür, unseren Lebensstandard mit einer klimafreundlichen Lebensweise zu vereinen, ist die Entwicklung neuer Technologien. Effizientere Stromnetze und Geräte helfen Strom zu sparen. Innovative Speichertechnologien und Kraftwerke für regenerative Energien ermöglichen den vollständigen Ausstieg aus der atomaren und fossilen Stromerzeugung. Verbesserte Materialien zur Gebäudeisolierung und effizientere Anlagen zur Erzeugung, zum Transport und zur 77 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! Speicherung von Wärme erlauben uns, in beheizten Wohnungen zu sitzen auch ohne die Atmosphäre mit unseren Abgasen zu verschmutzen. Und emissionsfreie Kraftstoffe und Antriebe schenken uns Mobilität ohne einen weiteren Klimawandel. Wir Grüne wollen deshalb eine Bildungs- und Forschungsoffensive starten, in der wir langfristig in die Entwicklung klimafreundlicher Technologien investieren. Unter anderem Streben wir an, die Forschungsmittel im Erneuerbare-Energien-Bereich bis 2010 zu verdoppeln und bis 2020 zu verzehnfachen. 12.3 Zusammenfassung Das Ziel, bis 2020 den Ausstoß von CO2 in Deutschland gegenüber 1990 um 40 Prozent oder 412 Millionen t zu verringern, ist keine Utopie. 164 Millionen t bzw. 16 Prozent konnten schon bis 2005 eingespart werden. Und mit dem grünen Energiekonzept lassen sich auch die verbleibenden 248 Millionen t bzw. 24 Prozentpunkte innerhalb der nächsten 11 Jahre erreichen, wenn nicht sogar mehr. Doch dazu müssen wir den Karren an jedem Ende anpacken. Im Stromsektor können wir bis 2020 den Stromverbrauch gegenüber 2005 um 16 Prozent senken und den Anteil erneuerbarer Energien auf 43 Prozent erhöhen. Dies würde gegenüber 2005 115 bis 150 Millionen t CO2 bzw. 11 bis 15 Prozentpunkte einsparen. Der Wärmebereich bietet weitere Möglichkeiten: Technische Verbesserungen und striktere Regeln für die Wärmenutzung, der konsequente Einsatz der Kraft-Wärme-Kopplung und ein Anteil regenerativer Energien von 21,8 Prozent bieten die Chance für eine CO2-EmissionsVerringerung gegenüber 2005 um weitere 115 bis 130 Millionen t bzw. 11 bis 13 Prozentpunkte. Aber auch die Potentiale des dritten wichtigen Bereiches, dem Verkehrssektor, dürfen wir nicht ungenutzt lassen. Der Energieverbrauch in diesem Sektor kann bis 2020 um 17 Prozent gesenkt und der Anteil regenerativer Energien auf 20 Prozent ausgebaut werden. Aus diesen Maßnahmen ergibt sich eine weitere Reduzierung des CO2-Ausstosses gegenüber 2005 um 50 bis 60 Millionen t bzw. 5 bis 6 Prozentpunkte. Richtig umgesetzt, führt das grüne Energiekonzept also bis 2020 zu einer Minderung des CO2-Ausstosses um 280 bis 340 Millionen t bzw. 27 bis 33 Prozentpunkten gegenüber 2005. Zusammen mit den 2005 bereits eingesparten 164 Millionen t bzw. 16 Prozentpunkten hat die Umsetzung unseres Konzeptes demnach zur Folge, dass die Reduktionsmarke von 40 Prozent gegenüber 1990 bis 2020 nicht nur erreicht, sondern sogar überschritten wird. Unser grünes Energiekonzept zeigt: Ob wir den Kampf gegen den Klimawandel gewinnen können, ist nicht mehr eine Frage des Wissens, der Technologie oder des Geldes. Wissen, Technologie und Geld gibt es genug. Es ist nun vielmehr eine Frage des politischen Willens. 78 Rolf Iten: Braucht es Wachstum für den Klimaschutz? 13 Rolf Iten: Braucht es Wachstum für den Klimaschutz? Dr. Rolf Iten Mitglied der Geschäftsleitung, INFRAS Forschung und Beratung Infras Binzstrasse 23, Postfach CH-8045 Zürich [email protected] 13.1 Einleitung Die Wirtschaftswissenschaften beschäftigen sich schon länger mit der Frage, ob sich Wirtschaftswachstum mit nachhaltiger Entwicklung – oder spezifischer mit Klimaschutz – vereinigen lassen. Die Antworten darauf sind vielfältig. Die verfügbaren theoretischen und empirischen Grundlagen führen zum Schluss, dass sich Wirtschaftswachstum positiv auf den Klimaschutz auswirken kann und ein stringenter Klimaschutz im Gegenzug Chancen für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung mit sich bringt. Voraussetzung dafür ist ein massiver Strukturwandel, der nur durch eine weltweite Internalisierung der externen Kosten im Klimabereich erreicht werden kann. 13.2 Ökonomische Ansätze zum Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Umwelt Seit Beginn des 20. Jahrhunderts befassten sich Wirtschaftswissenschaftler mit theoretischen Ansätzen zum Wachstum. Erst seit den frühen 70er Jahren wurde die Umwelt als Erklärungsgrösse in die Wachstumsanalyse der Wirtschaftswissenschaften mit einbezogen und versucht, den Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Umweltproblemen theoretisch zu modellieren. Heute sind die theoretischen Erklärungsansätze vielfältig. Im Folgenden werden die wichtigsten Ansätze kurz dargestellt: 79 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! 13.2.1 Neoklassische Wachstumstheorie In den 1970er Jahren wurde die Diskussion über die Interaktion zwischen Wachstum und Umwelt, inspiriert durch die Vorhersagen des „Club of Rome“ (MEADOWS ET AL. 1972), vorerst vom Konzept der „Grenzen des Wachstums“ dominiert. Diese frühen Artikel basieren auf neoklassischen Wachstumsmodellen und sind getrieben durch die zentrale Annahme des exogenen technologischen Fortschritts. Eine Kritik dieser Modelle im Zusammenhang mit der Umweltthematik kam von GRADUS/SMULDERS (1993). Die Autoren wiesen darauf hin, dass der technische Fortschritt nicht einfach exogen gegeben ist, sondern dass dieser u.a. durch die Umweltpräferenzen der Gesellschaft beeinflusst werden kann. Mit der Entwicklung der neoklassischen Position ging die Natur als Produktionsfaktor –wie das bei den Klassikern (Ricardo und Smith) noch der Fall war – verloren. Erst John Hartwick (1977, 1978) entwickelte ein neoklassisches Wachstumsmodell, welches nicht-erneuerbare Ressourcen einbezieht. Dieses wurde von Solow verfeinert (siehe z.B. SOLOW 1986). Gemäss diesem Modell ist ein konstanter Pro-Kopf-Konsum möglich, sofern alle Gewinne aus der Nutzung von Ressourcen in erneuerbares Kapital reinvestiert werden (Hartwick Regel der Generationengerechtigkeit). 13.2.2 „Neue Wachstumstheorie“ Seit den 1990er Jahren befassen sich „neue Wachstumstheorien“ u.a. mit der Bedeutung der Umweltpolitik für die Entwicklung von Wachstum und Umwelt (SMULDERS 1999). In den neueren Modellen (z.B. moderne Ressourcenökonomie) wird der technische Fortschritt endogen als Ergebnis ökonomischer Aktivitäten (private und öffentliche Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen, Ausbildung, Lerneffekte, Spillover-Effekte) modelliert (BRETSCHGER 2005a). Technologischer Fortschritt beinhaltet dabei das Potenzial, knappe natürliche Ressourcen zu ersetzen (BRETSCHGER 2005b). Adäquate Preissignale – die nicht unter herkömmlichen Marktbedingungen entstehen – treiben die nötigen Innovationen sowie einen „wissensbasierten" Strukturwandel voran. Die Hauptfrage ist, ob der technologische Fortschritt genügend schnell neue, effiziente Technologien hervorbringt, um langfristig das Problem der Ressourcenknappheit zu beseitigen. 13.2.3 Ecological Economics Als Gegenposition zur neoklassischen Ressourcenökonomie ist die Schule der Ecological Economics zu nennen (siehe als wichtige Vertreter z.B. GEORGESCU-ROEGEN 1971 oder DALY 1993). Die Vertreter der ökologischen Ökonomie fokussieren bei der Analyse des Zusammenhangs zwischen ökonomischen Aktivitäten und ökologischen Prozessen auf die thermodynamischen Gesetze und Materialbilanzmodelle und versuchen so, die Grenzen des Wachstums zu erklären. Sie geben dem technologischen Fortschritt weit weniger Gewicht und kommen in der Regel zu deutlich anderen (wachstumskritischeren) Schlussfolgerungen als die herkömmlichen ökonomischen Ansätze. In ihren Modellen geht es primär um (physikalisches) Naturkapital, das sie als begrenzt sehen. Viele sind der Meinung, dass in Zukunft keine oder zu wenig nachhaltige Technologien vorhanden sein werden, und damit eine Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Umweltverschmutzung langfristig nicht möglich ist. Damit ist „ein nachhaltiges Wachstum unmöglich“ (DALY 1993). 80 Rolf Iten: Braucht es Wachstum für den Klimaschutz? 13.2.4 Weitere wachstumskritische Ansätze Neben der genannten Schule der „Ecological Economics“ gibt es eine Vielzahl wachstumskritischer Ansätze. In der Schweiz ist der Ansatz von H. C. Binswanger erwähnenswert (BINSWANGER 2006). Er betont die Bedeutung der Einführung des Geldes und die immer weitere Ausbreitung der Geldwirtschaft für das Wirtschaftswachstum: „Unter der Einwirkung des Geldes weitet sich der ökonomische Kreislauf zu einer nach oben offenen Spirale aus“. Gemäss Binswanger liegt der echte Grund für das Wachstumspostulat in der Funktionsweise der modernen Wirtschaft, die immanent auf Wachstum ausgerichtet ist. Um das Funktionieren der Wirtschaft sicherzustellen, gehe es nicht um die Aufrechterhaltung einer beliebig hohen, sondern nur um die Aufrechterhaltung einer minimalen globalen Wachstumsrate. Gemäss Binswanger drängt es sich auf, Wege zu suchen, „wie in geordneter Weise der Spirallauf der Wirtschaft wieder allmählich in einen Kreislauf zurückgeführt werden könnte“. Binswanger hat in früheren Arbeiten gezeigt, wie er sich das vorstellt. In einer Studie aus dem Jahre 1983 „Arbeit ohne Umweltzerstörung“ zeigt er Wege auf, wie „Ökonomie und Ökologie versöhnt werden können“. Eine wichtige Rolle spielt dabei eine ökologische Steuerreform (Rentenfinanzierung durch eine Energieabgabe, vgl. BINSWANGER ET AL. 1984). 13.2.5 Fazit Die ökonomische Wachstumstheorie hat sich im Laufe des letzten Jahrhunderts entwickelt. Die neoklassische Wachstumstheorie war der erste Versuch, das Phänomen des Wirtschaftswachstums modellgemäss erklären zu können. Die Erklärungsfaktoren für das Wachstum sind in der neoklassischen Wachstumstheorie exogene Faktoren, im Vordergrund stehen das Bevölkerungswachstum und der technische Fortschritt. Die neue Wachstumstheorie versucht, den technischen Fortschritt zu endogenisieren, was für die Wirtschaftspolitik zu neuen relevanten Schlussfolgerungen führt. Das Wachstum kann gemäss diesem Ansatz etwa durch Bildungsinvestitionen, aber auch durch Umweltschutzinvestitionen, die beide den technischen Fortschritt beschleunigen, gefördert werden. Aus diesem Ansatz wurde auch die moderne Ressourcenökonomie entwickelt, die aufzuzeigen versucht, unter welchen Bedingungen Wirtschaftswachstum und ökologische Grenzen vereinbar sind. Als Gegenposition ist die Schule der Ecological Economics zu nennen, die stärker auf die Grenzen des Wachstums in einem ökologischen System hinweist. Seit den 1970er Jahren sind auch vermehrt wachstumskritische Ansätze entwickelt worden, die die Logik des Wirtschaftswachstums und insbesondere der Zweckmässigkeit, die Wirtschaftspolitik auf die Zielgrösse Wirtschaftswachstum abzustellen, in Frage stellen. 13.3 Evidenz für die Schweiz Infras hat 2007 im Auftrag des WWF eine Studie erarbeitet, die einen Beitrag zu dieser Diskussion in der Schweiz liefert. Vier Fragen standen im Vordergrund: • Kann die Schweiz ihre CO2-Emissionen unter Einbezug der heute verfügbaren Technologien bis 2035 um 60% gegenüber 2001 absenken und somit auf einen Weg der Klimaverträglichkeit einschwenken? 81 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! • Welchen Beitrag können dazu die verfügbaren Teilstrategien (Effizienz, Substitution und Suffizienz zur Minderung von CO2-Emissionen bis 2035 leisten? • Welche Wirkungen hat diese Reduktion der CO2-Emissionen auf das Wirtschaftswachstum und die Sektorstruktur der Schweiz? • Welche politischen Rahmenbedingungen sind dazu notwendig? Die Fragen wurden mit Hilfe einer Input-Output-Struktur für die Schweiz untersucht. Die folgende Figur visualisiert die Vorgehenslogik: in Mio.t CO2 Emissionen (weiss und grau) 160 Referenzzustand eingefrorene Technologie 140 120 Autonomer t echnischer Fortschritt 100 Effizienz Trendentwicklung 80 Substit ut ion 60 Nachfragerückgang -60% ©INFRAS 40 Rest emissionen 20 0 19xx 2001 2035 Figur 1: Teilstrategien zur Reduktion zur Reduktion der CO2-Emissionen des Referenz-Zustands 2035; Quelle INFREAS 2007 Als Ausgangsbasis für die Analyse haben wir eine Basisstruktur der Schweizer Wirtschaft 2035 erstellt, die mit eingefrorener Technologie des Jahres 2001 gemäss dem vom SECO prognostizierten Potenzialwachstum von rund 1% pro Jahr (SECO 2006) weiterwächst und einen Strukturwandel aufweist, der gemäss Ecoplan 2006 für kaum veränderte Rahmenbedingungen in Bezug auf die relativen Energiepreise – also den Preis von Energieprodukten gegenüber anderen Gütern – bis 2035 zu erwarten ist. Für jede der Teilstrategien wurde anschliessend untersucht, wie stark diese die CO2Emissionen des Referenzzustands 2035 verringern kann und welche politischen Rahmenbedingungen gelten müssen, damit dieses Potenzial auch erreicht wird. Pro Gütergruppe der Schweizer Wirtschaft wurde analysiert, welche Anpassungen der Produktions- und Konsumstrukturen unterteilt nach den vier Teilstrategien mit den heute verfügbaren und marktfähigen Technologien möglich sind, um die angestrebte Abnahme der grauen und weissen CO282 Rolf Iten: Braucht es Wachstum für den Klimaschutz? Emissionen um 60% gegenüber 2001 zu erreichen. Dabei bildete die verfüg-bare Literatur (u.a. zu verschiedenen Einsparpotenzialen) die Grundlage für die Auswahl von Massnahmen und deren Reduktionspotenziale. Beispiele für berücksichtigte Massnahmen bei den Teilstrategien Effizienz und Substitution sind: • Minergie P-Standard für alle Neu- und Ersatzneubauten. Dieser reduziert bis 2035 die CO2-Emissionen für Wärme beim Wohnen um 50%. • Verringerung des Durchschnittsverbrauchs beim motorisierten Individualverkehr über eine Verbrauchsabsenkung in Richtung 4l/100 km im Durchschnitt. • 25% weniger CO2-Emissionen bei den Fahrzeugen dank mehr erneuerbaren Treibstoffen bis 2035. • Bei der Wärmeerzeugung von Haushalten wird eine Reduktion der CO2-Emissionen um 40% erzielt, teilweise durch Umstellung von Öl- auf Gasheizung (25% tiefere Emissionen), teilweise durch Umstellung auf erneuerbare Energien oder Wärmepumpen. Figur 2 gibt einen Überblick über die Ergebnisse: in Mio. Tonnen CO2 120 +49% zu 2001 100 80 graue CO2-Emissionen -16% (-20 Mio.t) +24% zu 2001 weisse CO2-Emissionen -29% (-30 Mio.t) 82 -13% zu 2001 60 -49% (-34 Mio.t) 40 -11% (-5 Mio.t) -55% zu 2001 20 -60% zu 2001 33 2035 Suffizienz Ziel 2035 0 2001 ©INFRAS 2035 "eingefrorene Technologie" 2035 Auton. tech. Fortschritt 2035 Effizienz 2035 Substitution Figur 2: Quelle CO2-Emissionen nach Wirkungsbereichen: Quelle INFRAS 2007 Ohne weitere Anstrengungen würde nur der autonome technische Fortschritt stattfinden und lediglich zu einer Reduktion der CO2-Emissionen um 22% führen. Damit läge der CO2Ausstoss in der Schweiz aber noch 24% über dem Niveau von 2001. Die beiden bedeutendsten Teilstrategien Effizienz und Substitution bergen zusammen bis 2035 ein Potenzial 83 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! von knapp 75% der angestrebten Entwicklung in Richtung Klimaverträglichkeit. Bis zur angestrebten Reduktion von 60% gegenüber 2001 fehlt noch ein Beitrag von 4% über die Suffizienz. Um diesen zu realisieren, braucht es keine weiteren Massnahmen. Die für die Realisierung der Effizienz- und Substitutionspotenziale notwendigen Rahmenbedingungen ziehen per se bereits Nachfrageanpassungen nach sich, welche die verbleibenden 4% der Emissionsreduktion mindestens mit sich bringen. Um die Potenziale nutzen zu können, ist im Sinne einer Grobsteuerung eine Internalisierung der externen Kosten der Nutzung fossiler Energien notwendig. Das bedeutet, es braucht eine sektorübergreifende Energie- oder CO2-Steuer und einen Beitritt zum Emissionshandelssystem der EU, das bis jetzt Emissionen von Brennstoffen der Sektoren Energie und Industrie umfasst. Wichtige weitere Massnahmen sind u.a. die Einführung des Minergie P-Standards beim Neubau und Ersatzneubau von Häusern, Einführung der Überwälzbarkeit energetischer Investitionen auf die Mieter, Mindestenergiestandards für Geräte und Anlagen, Absenkung des durchschnittlichen Flottenverbrauchs von Personenwagen auf 4 l/100 km durch zusätzliche preisliche Anreize, Fokussierung der Raumplanung auf verkehrsarme Strukturen. Die verfügbare Literatur zeigt, dass die unterstellten Massnahmen und politischen Rahmenbedingungen das Wirtschaftswachstum nur schwach oder gar nicht negativ tangieren (Ecoplan 2006, McKinsey 2007, IPCC 2007). 13.4 Die globale Dimension In der globalen Dimension sind verschiedene Aspekte zu beachten, die das Problem massiv verstärken. Zu nennen sind Armut, Hunger und kriegerische Konflikte. Die Finanzierung von Anpassung und Vermeidung insbesondere im Süden beansprucht grosse Finanzen, welche nicht sichergestellt sind. Auf globaler Ebene tritt die Trittbrettfahrerproblematik noch verschärfter auf als auf nationaler Ebene. Nicht zuletzt sind auch Governance Probleme zu nennen, die das Finden und Umsetzen von Lösungen zusätzlich erschweren. Nichtsdestotrotz zeigen die verfügbaren Analysen, dass Wirtschaft und Klimaschutz unter einen Hut zu bringen sind: Die makroökonomischen Auswirkungen von Klimaschutzmassnahmen sind verkraftbar, wenn wir rasch handeln. Der 4. Assessment Report des IPCC-Bericht zeigt auf, dass die Auswirkungen auf das BIP-Wachstum einer Strategie zur Erreichung des 2 Grad-Ziels sehr gering sind. Bis 2030 ist mit einer kumulierten Wachstumseinbusse von 3% zu rechnen. Dies entspricht einer Verzögerung des Wachstumsprozesses um ein Jahr. Das globale BIP ist auch bei der Verfolgung des 2 Grad-Ziels ein Jahr später auf demselben Niveau wie im „Business as Usual-Fall“: 84 Rolf Iten: Braucht es Wachstum für den Klimaschutz? Figur 3: Quelle: 4th Assessment Report IPCC. Der Stern-Report (Stern 2006) zeigt auf, dass die Kosten-Nutzen Bilanz eines verstärkten Klimaschutzes positiv ist: Mit Aufwendungen von ca. 1% des BIP können Schäden von bis zu 20% des BIP verhindert werden. Es zeigt sich aber auch, dass der Investitionsbedarf für Klimaschutz sehr gross ist. Gemäss IEA müssen Regierungen weltweit 400 Mia $/a mehr in Energiesysteme investieren, um das Energiesystem in Richtung Klimaverträglichkeit umzubauen. Die EU rechnet damit, dass es für ein Kopenhagen-Agreement ca. 80 Mia €/a an Nord-Süd Transfers braucht. Eine neue Studie der UNO fordert, dass 500 Milliarden Dollar jährlich investiert werden müssten, um künftige Klimaschäden abzuwenden. 13.5 Schlussfolgerungen Die Auswertung der verfügbaren Grundlagen zum Thema Wirtschaftswachstum und Umwelt bzw. Klimaschutz führen zu folgenden Schlussfolgerungen: • Wirtschaftswachstum kann sich positiv oder negativ auf die Umwelt auswirken. Wirtschaftswachstum wirkt sich heute negativ auf die Umwelt aus, da externe Effekte vorliegen und die deshalb zu tiefen Preise für die Nutzung der Umwelt zu einer Übernutzung der natürlichen Ressourcen führen. Das heutige Wirtschaftswachstum ist deshalb nicht nachhaltig. • Wirtschaftswachstum kann sich positiv auf die Umwelt auswirken, wenn die externen Effekte internalisiert sind und die zusätzlichen Einkommen für vergleichsweise umweltschonendere Aktivitäten ausgegeben werden, was in der Regel zu erwarten ist. • Die Internalisierung der externen Effekte verändert das Preisgefüge und fördert so den technologischen Fortschritt und die Innovationstätigkeit. 85 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! • Durch den technischen Fortschritt verbessert sich nicht nur die Ressourceneffizienz, sondern auch die gesamtwirtschaftliche Effizienz einer Volkswirtschaft. Dadurch wird eine umweltverträgliche Form des Wirtschaftswachstums gefördert. Durch technischen Fortschritt und die damit steigende Ressourceneffizienz können die „Grenzen des Wachstums“ hinausgeschoben werden. Ein qualitativ (und nicht unbedingt quantitativ) steigender Wohlstand für alle, zu dem auch eine saubere Umwelt gehört, wäre dann bei sinkendem (konstantem) Ressourcenverbrauch und damit unter Beachtung der Generationengerechtigkeit langfristig möglich. • Mittels Entkoppelung der Umweltbelastung von der wirtschaftlichen Entwicklung können Unternehmen unter idealen Bedingungen prosperieren und dabei gleichzeitig ihren Ressourcenverbrauch und Schadstoffausstoss senken. • Die Entkoppelung ist nicht quasi-automatisch erreichbar, sondern erfordert den Einsatz von Politikmassnahmen. Die Umweltpolitik muss in den noch nicht entkoppelten Bereichen umso effektiver sein, d.h. technischer Fortschritt und Struktur-wandel müssen forciert und durch geeignete Umweltmassnahmen unterstützt werden, damit sie den negativen Wachstumseffekt überkompensieren und eine absolute Entkoppelung einleiten. • Ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum hilft mit, die anstehenden grossen sozialen und ökologischen Herausforderungen wie die steigende Finanzierungslücke der Altersvorsorge, steigende Gesundheitskosten, lokale und globale Umweltprobleme zu meistern. Allerdings ist Wirtschaftswachstum kein Allheilmittel. Für jeden der genannten Problembereiche sind sachgerechte Politiken zu entwickeln bzw. zu optimieren, um eine Nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen. Insgesamt lässt sich aus unserer Sicht folgendes Fazit ziehen: 86 • Wirtschaftswachstum ist per se weder gut noch schlecht. Wirtschaftswachstum kann zur Lösung einiger der anstehenden ökologischen und sozialen Probleme beitragen. Voraussetzung dafür ist, dass die politischen Rahmenbedingungen so gesetzt werden, dass die wirtschaftliche Entwicklung in die richtigen Bahnen gelenkt wird. • Dazu braucht es zwingend (1) wirksame institutionelle und regulatorische Arrangements auf nationaler und globaler Ebene, (2) eine neue „Wachstumspolitik“ mit einer vollständigen weltweiten Internalisierung der externen Kosten, eine an den Klimaschutzzielen orientierte Bildungs-, F&E- sowie Innovationspolitik sowie (3) eine globale und faire Nord-Süd-Ressourcenpolitik kombiniert mit einem angemessenen sozialen Ausgleich innerhalb der Industrieländer und zwischen den Industrieländern und den Entwicklungsländern. • Unter diesen Kardinalbedingungen kann Wirtschaftswachstum auch für Umwelt und Gesellschaft positive Wirkungen entfalten und zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen. • BIP als alleiniger wirtschaftspolitischer Indikator für „Wachstum“ genügt deshalb nicht – es braucht neue Messkonzepte, welche das „Wachstum“ bzw. besser die „Entwicklung“ aussage-kräftig abbilden. Rolf Iten: Braucht es Wachstum für den Klimaschutz? 13.6 Literatur Binswanger H.-C. et al. (1983): Arbeit ohne Umweltzerstörung von Hans Christoph Binswanger, Heinz Frisch, und Hans G. Nutzinger von Fischer S. Verlag GmbH Binswanger H-C. (2006): Die Wachstumsspirale – Geld, Energie und Imagination in der Dynamik des Marktprozesses, Metropolis. Bretschger L. (1998): Growth Theory and Sustainable Development. Edward Elgar Publishing Limited, Cheltenham, UK. Daly H. (1996): Beyond Growth: The Economics of Sustainable Development. Ecoplan (2006): Energieperspektiven – wirtschaftliche Auswirkungen. Energieszenarien und ihre wirtschaftliche Auswirkungen auf die Schweiz in einem globalen Kontext, Resultate aus dem Mehrländer-Gleichgewichtsmodell MultiSwissEnergy. Georgescu-Roegen N. (1971): The Entropy Law and the Economic process, Cambridge, MA: Harvard University Press. Gradus, R., Smulders, S. (1993): The Trade-off between Environmental Care and Long-Term Growth – Pollution in Three Prototype Growth Models, Journal of Economics, No.1: 25–51 Hartwick J.M. (1977): Intergenerational equity and the investing of rents from exhaustible re-sources. American Economic Review 67, p. 972-974. Hartwick J.M. (1978): Substitution among exhaustible recourses and intergenerational equity. Review of Economic Studies 45, p. 347-354. INFRAS (2007): Wirtschaft, Wachstum und Umwelt – Skizze einer klimaverträglichen Schweizer Wirtschaft 2035, im Auftrag WWF Schweiz. IPCC (2007): Climate Change 2007 – Mitigation of climate change, working group III, Summary for policy makers, Intergovernmental panel on climate change, WMO, UNEP IPCC (2007): CLimate Change 2007 – Mitigation of climate change, working group III, Sum-mary for policy makers, Intergovernmental panel on climate change, WMO, UNEP, 2007. McKinsey&Company (2009): Swiss Greenhouse Gas Abatement Cost Curve. Meadows D.L. et al. (1972): The Limits to Growth. Club of Rome. SECO (2006): Langfristige Wachstumsszenarien des BIP, EVD, Bern 2006. Smulders S. (1999): Endogenous Growth Theory and the Environment, in Handbook of Environmental and Resource Economics. Solow R. M, (1986): On the Intergenerational Allocation of Natural Resources, Scandinavian Journal of Economics, Blackwell Publishing, vol. 88(1), pages 141-49. Solow R.M. (1956): a contribution to the theory of economic growth, Quarterly Journal of Eco-nomics, VOl. 70, pp. 71-102. Stern N. et al. (2006): STERN REVIEW – The economics of climate change, HM Tresary, London. 87 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! 14 Hermann Knoflacher: Energie und Mobilität – Wir werden in Zukunft mehr im Kopf brauchen als in den vergangenen Jahrzehnten Em. O. Univ. Prof. DI Dr. Hermann Knoflacher Technische Universität Wien, Institut für Verkehrswissenschaften, Forschungsbereich für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik, Präsident Club of Vienna, Wien Institute for Traffic Planning and Traffic Engineering Gusshausstrasse 30/231 A-1040 Wien [email protected] 14.1 Zum Thema Zwei naheliegende Zugänge zum Thema: • • Populär aber anspruchsvoll: die historische Version „Wer es nicht im Kopf hat, muss es in den Beinen haben“ oder in einer zeitgemäßen Formulierung „Wer genug PS in den „Beinen“ hat, braucht wenig im Kopf“. Bei 240 oder mehr PS in den „Beinen“ wird es schon schwierig sich vorzustellen, wie wenig noch im Kopf sein muss. Der physikalische Zugang: klar und einfach; Energie für Mobilität = f (m, v,η ) . Masse, Geschwindigkeit und Wirkungsgrad oder Effizienz bestimmen den Aufwand an Energie für Mobilität. Sieht man zunächst vom Flug- und Schiffsverkehr ab, verfügen Fußgeher und Radfahrer durch ihre geringe Masse, ihre geringe Geschwindigkeit und – systemisch betrachtet – über eine relativ hohe Effizienz und ihre Flexibilität, die von keinem sonstigen technischen Verkehrsmittel erreicht werden kann über die besten Voraussetzungen für eine nachhaltige Mobilität. Der Fußgeher ist enorm wendig, steigungsfähig und hat geringe Ansprüche an Breite sowie Tragfähigkeit der Verkehrswege. Der öffentliche Verkehr folgt mit einigem Abstand und hat pro Person wesentlich mehr Masse zu bewegen, erreicht aber wesentlich höhere Geschwindigkeiten. Der Wirkungsgrad wird entscheidend vom Besetzungsgrad geprägt sowie von Antriebsformen der technologischen Entwicklung. Nichtsdestotrotz liegt der spezifisch energetische Wirkungsgrad in der Regel bei einem Zehntel der nicht motorisierten Verkehrsteilnehmer oder darunter. Personenkraftwagen sind wesentlich ungünstiger mit ihrer spezifisch größeren Masse pro beförderte Person, energetisch wegen der hohen Geschwin88 Hermann Knoflacher: Energie und Mobilität – Wir werden in Zukunft mehr im Kopf brauchen als in den vergangenen Jahrzehnten digkeit die sich zumindest mit dem Quadrat der Geschwindigkeit im Energieverbrauch niederschlägt und ihrem außerordentlich niedrigen Wirkungsgrad bei der heutigen Form der Benutzung. Im Verhältnis zu den nicht motorisierten Verkehrsteilnehmern liegt ihre Systemeffizienz deutlich unter einem Prozent. Will man daher Mobilitätsenergie sparen, dann folgt aus der Logik der Physik, dass • die Geschwindigkeiten verringert werden müssen, • die Masse individuell und gesamt zu reduzieren ist und • der Wirkungsgrad – im System – erhöht werden muss. Daraus resultieren für die politische Entscheidungsfindung, Stadt- und Verkehrsplanung folgende zwingenden logischen Konsequenzen: • absolute Priorität für Fußgeher/innen: Mit dieser Verkehrsart muss man alles, was man täglich braucht, leicht, sicher und angenehm erreichen. • Priorität für den Radverkehr, wo möglich, als Ergänzung für Fußgeher bei geeigneter Topographie für Reiseweiten bis ca. 5 (15) km. • Der öffentliche Verkehr ist als Substitut für längere Wege eine energetisch brauchbare Mobilitätsform, setzt aber voraus, dass seine Haltestellen für Fußgeher und Radfahrer ungehindert, sicher und bequem erreicht werden können. • Der heute dominierende Pkw wäre in einer rationalen Gesellschaft nur mehr als Bewegungsprothese für Gruppen, die darauf angewiesen sind, einzusetzen. Damit entfällt im Wesentlichen die breite private Pkw-Nutzung wie sie heute vorhanden ist. Dies führt nun zur zentralen Frage, warum eine Gesellschaft, die für sich in Anspruch nimmt, wissenschaftlich auf der Höhe und aufgeklärt zu sei, diese elementaren Anforderungen für eine menschliche Form der Mobilität nicht umgesetzt hat bzw. sie nicht umsetzt. 14.2 Evolutionärer Erklärungsansatz Rund sechs Millionen Jahre als Zweibeiner haben zur Entwicklung der menschlichen Kultur und Zivilisation vor allem als Folge der Wechselbeziehungen zwischen Händen, Gesicht und Gehirn, dem „Begreifen“ geführt. Informationssysteme und Handlungsweisen zwischen Menschen sind raumzeitlich durch die Fußgehgeschwindigkeit bestimmt. Diese liegt bei zwei bis drei km/h, beim Laufen bis zu 12-14 km/h und garantiert eine weitgehend sichere, unfallfreie Bewegung aufgrund der Verarbeitungsfähigkeiten der Sinne und des Gehirns. Die durch die externe Energienutzung möglich gewordenen höheren Geschwindigkeiten technischer Verkehrssysteme des 19. Jahrhunderts bedeuten auf der Zeitachse einen riesigen Sprung weit über die evolutionären Grenzen des Menschen hinaus. 89 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! Abbildung 1: Höhere Geschwindigkeit führt nur zu längeren Wegen und zu höherem Verkehrsaufwand = -wachsum Fasziniert von dieser Mühelosigkeit entstand das herkömmliche traditionelle Verkehrswesen auf der Grundlage von Mythen. Die zentralen Mythen, auf denen sämtliche technischen Verkehrsanlagen errichtet und betrieben werden, sind • Mobilitätswachstum • Zeiteinsparung durch Geschwindigkeit und • Freiheit der Verkehrsmittelwahl. Mit der Veränderung der Geschwindigkeiten von der Normalität des Menschen zur Abnormalität technischer Systeme entstand eine Ver-rückung, die weder wahrgenommen, noch verantwortet wurde. Das heutige Verkehrssystem ist daher sozusagen eine Welt der Verrückten. Der Mythos des Mobilitätswachstums beruht auf einem Beobachtungsfehler durch Einschränkung des Mobilitätsbegriffes auf den motorisierten Verkehr, insbesondere den Autoverkehr. Es entstand ein Mobilitätsbegriff ohne Zweck, der lediglich die Bewegung der Autos zählte. Es wurde weder gefragt woher und wohin, noch warum Menschen mit dem Auto fahren bzw. fahren müssen. Da jeder Weg einen Zweck verfolgt, nämlich am Ziel die Mängel des Ausgangspunktes zu kompensieren, ist jede räumliche Mobilität ein Ausdruck des Mangels am Ausgangspunkt. Wachstum dieser räumlichen Mobilität bedeutet daher nichts anderes als zunehmender Mangel der jeweiligen Ausgangspunkte. Zweck jeder Bewegung ist die Hoffnung auf eine Befriedigung des Mangels am Ziel. Mobilität kann daher nur im Zusammenhang mit den Reisezwecken erfasst werden. Und die Reisezwecke haben sich durch die technischen Verkehrsmittel nicht geändert, es sind die Wege zur Arbeit, zur Ausbildung, zum Einkauf, zu den dienstlichen Verpflichtungen, zum Besuch, zur Freizeit und nach Hause. Wer diese Wege mit dem Auto erledigt kann sie nicht gleichzeitig zu Fuß, mit dem Fahrrad oder 90 Hermann Knoflacher: Energie und Mobilität – Wir werden in Zukunft mehr im Kopf brauchen als in den vergangenen Jahrzehnten dem öffentlichen Verkehr erledigen. Dem beobachteten Wachstum der Autofahrten entspricht daher ein ebenso großer nicht beobachteter Anteil des Mobilitätsverlustes aller anderen Verkehrsteilnehmer. Wer daher vom Mobilitätswachstum spricht gilt nachweisbar als verrückt gemessen am realen Systemverhalten. 14.3 Zeiteinsparung durch Geschwindigkeitserhöhung Würden Geschwindigkeiten zur Zeiteinsparung im Verkehrssystem führen, müssten Gesellschaften, die über schnelle technische Verkehrsmittel verfügen, Zeitüberschüsse aufweisen, also gemütlicher sein als solche, die langsamer unterwegs sind. Auf der Annahme der Zeiteinsparung durch Geschwindigkeit wurden sämtliche Investitionen in schnelle Verkehrssysteme begründet und berechnet, weil im Wesentlichen der gesamte Nutzen, der den Kosten gegenübergestellt wird, aus den „Zeitgewinnen“ schneller Verkehrssysteme abgeleitet wird. Diese Annahmen, aus der individuellen Erfahrung auf das System extrapoliert, entsprechen leider nicht dem realen Systemverhalten. Sämtliche empirischen Befunde zeigen weltweit eine Reisezeitkonstanz, unabhängig davon, ob Gesellschaften über technische Verkehrsmittel verfügen oder nicht. Ebenso zeigen die empirischen Befunde, dass die Erhöhung der Geschwindigkeit nicht nur zu keiner Reisezeiteinsparung, sondern zur Wegverlängerung führt. Dies entsteht als Folge der räumlichen Disaggregation menschengemachter Strukturen. Am besten beobachtbar sind diese anhand der Zersiedlung der Städte (Funktion Wohnen) und der gleichzeitig oder mit geringer Verzögerung folgenden Konzentration wirtschaftlicher Aktivitäten des Handels und der Beschäftigungen. Zentralistische Strukturen wie Supermärkte, große Beschäftigungsagglomerationen sind das Ergebnis der hohen Geschwindigkeiten ebenso wie die Zerstörung der kleinen vielfältigen Strukturen in menschlichen Siedlungen. Die urbanen Kulturen - über Jahrtausende bis zum Höhepunkt des Mittelalters entwickelt – wurden mit der Einführung technischer Verkehrssysteme insbesondere aber in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts innerhalb von zwei Generationen praktisch zerstört. Nur dort, wo es gelungen ist, die Geschwindigkeiten des Fußgehers wieder zur zentralen Geschwindigkeit des Systems einzuführen, entstand wieder die notwendige Belebung dieser nachhaltigen Siedlungsform. 14.4 Effizienzverluste durch falsche Strukturen Der fundamentale Irrtum des Mythos vom Mobilitätswachstum hat dazu geführt, dass energiesparsame Mobilitätsformen zugunsten von energievergeudenden Mobilitätsformen aufgegeben wurden, ohne dass zusätzliche Mobilität möglich ist. Der ebenso gravierende Irrtum von einer Zeiteinsparung durch Geschwindigkeitserhöhung, die im System nicht möglich ist, führt zusätzlich zu enormem Energieaufwand, um die längeren Wege mit technischen Verkehrsmitteln bewältigen zu können. Traditionelles Verkehrswesen hat daher ohne Mobilitätsgewinn und ohne Zeitgewinn im System den Energieaufwand für Mobilität um mindestens zwei bis drei Zehnerpotenzen dank der geringen Kosten fossiler Energie erhöht. Die technische Entwicklung der beiden letzten Jahrhunderte im Mobilitätsbereich hat daher zu einem Effizienzverlust von über 99 % im Verkehrswesen geführt – aber nicht nur das, sondern hat 91 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! Therapien entwickelt, die die Verkehrsprobleme nicht nur perpetuieren, sondern ständig erhöhen. Die wirksamste Methode, um permanenten Stau zu erzeugen, besteht etwa darin zusätzliche Fahrbahnen bei Kapazitätsengpässen zu errichten. Die dazu erforderlichen grundlegenden mathematischen Beziehungen findet man in den einschlägigen Lehrbüchern (Literatur Knoflacher). 14.5 Der zentrale Irrtum: Die Freiheit der Verkehrsmittelwahl Diese beruht auf der Annahme, dass durch die Angebote mehrerer Verkehrssysteme und Verkehrsmittel der Mensch immer mehr Wahlfreiheit angeboten erhielte. Diese Annahme wurde ohne Rücksicht auf das reale Verhalten des Menschen, also ohne Kenntnis menschlicher Verhaltensweisen getroffen. 1975 entdeckte der Verfasser eine erstaunliche Ähnlichkeit zwischen dem Verhalten von Menschen, beobachtet in der Dissertation von Walther, und der Bienen in ihrer mathematischen Ausprägung. In beiden Systemen nahm die Bereitschaft längere Wege in Kauf zu nehmen nach einer Exponentialfunktion ab. Bei den Menschen waren es Fußwege, bei den Bienen Flugdistanzen, also zwei deutlich unterschiedliche Systeme. Es war daher eine Homologie zu vermuten, und nach der Ursache zu suchen. Hilfreich war dabei die Beobachtung, dass Frisch und seine Mitarbeiter 1956 bei einem Versuch feststellten, dass die Informationen der Bienen nicht auf Entfernungen, sondern auf den Körperenergieverbrauch beruhen. Damit war der Weg geebnet zum Verständnis menschlicher Verhaltensweisen in einem technisch modifizierten Umfeld mit dem Zugriff auf Mobilitätshilfen wie etwa das Auto oder das Fahrrad. Abbildung 2: Wahrnehmungsfähigkeit gestört Der körpereigene Energieaufwand eines Autofahrers pro Zeiteinheit beträgt die Hälfte oder nur ein Sechstel jenes von Fußgehern. Gleichzeitig erhält aber das Gehirn Informationen über enorme Geschwindigkeitszuwächse und steigende Körperkraft, die zu dem bekannten Überlegenheitsgefühl des Autofahrers führen. Entscheidend für die Erklärung ist aber die Kenntnis der Tiefe dieser Wirkungsmechanismen in die der Mensch durch die Autobenutzung geraten ist. Das Auto ist das Produkt unserer technischen Zivilisation, verändert jedoch 92 Hermann Knoflacher: Energie und Mobilität – Wir werden in Zukunft mehr im Kopf brauchen als in den vergangenen Jahrzehnten bei seinem Zugriff auf den Menschen die tiefsten Schichten seiner evolutionären Befindlichkeit, die Verrechnung der körpereigenen Energie. Das von den Begründern der Psychophysiologie entdeckte Weber/Fechnersche Empfindungsgesetz E = ln i erhält damit eine weitreichende Bedeutung tief unter diese Entdeckungsebene der komplexen Systeme. Das bisher nicht beachtete Vorzeichen dieses Gesetzes wird deshalb so entscheidend, weil die von den Entdeckern nicht bedachte inverse Funktion bei den menschlichen Eingriffen in die Natur zu einer entscheidenden Größe wird, nämlich die e-Potenz. Werden Systeme errichtet, bei denen Rückkopplungen über eine e-Potenz mit positivem Exponenten stattfinden, dann handelt es sich um unkontrollierte Systeme wie dies beim Autoverkehr im letzten Jahrhundert passiert war und damit nachweisbar wird. Gerade im Zusammenhang mit energetischen Betrachtungen ist diese Erkenntnis von grundlegender Bedeutung. Um den ungeheuren Energieaufwand für technische Mobilität, die die physische des Menschen unterstützt, verständlich zu machen, ist die Kenntnis der inneren energetischen Mechanismen des Menschen von zentraler Bedeutung. Während eine enge innere Beziehung zur Verringerung des Energieaufwandes zwischen Fußgeher und Autofahrer existiert und mehrfach positiv rückgekoppelt das Erlebnis müheloser überlegener Fortbewegung erzeugt, wird die ungeheure Energiemenge, die die technischen Apparate der Autos benötigen, über die Wahrnehmung ausgeblendet, ja selbst über die ökonomische Wahrnehmung der Energiepreise. Durch den fundamentalen Irrtum der Ökonomen, das Allgemeingut Erdöl als Commodity zu verwenden und es kurzfristig mehr oder weniger sinnlos jenseits seines realen Wertes vergnüglich zu verbrennen, kann durch diese ökonomische Verfälschung ein Durchschnittsverdiener für ein Joule körpereigenem Energieaufwand zwei, ja sogar drei Zehnerpotenzen externe Energie kaufen. Dies schlägt sich leider auch in der Realität nieder. Im Hirn werden 4-24 kcal für eine Geschwindigkeit von 4-20 km/h, gegenüber 2 kcal für Geschwindigkeiten von über 100 km/h verrechnet; nicht verrechnet wird aber der externe Energieaufwand zur Herstellung und den Betrieb des Fahrzeuges einschließlich seiner Anlagen, der diesen Wert um zwei bis drei Größenordnungen übersteigt. 14.6 Die Bedeutung der Struktur In diesem tiefen Zugriff des Autos mit mentalen und physischen Rückkopplungen auf den gesamten Körper des Menschen auf der Schicht der Körperenergie erhalten Strukturen, insbesondere gebaute Strukturen eine zentrale Bedeutung. Mit diesem tiefen Zugriff, der zu einer grundlegenden Veränderung aller Oberschichten der Evolution im Menschen führt, verändert sich das Wertesystem in dramatischer Weise. Das Auto im Hypotalamus festgesetzt verändert das Wertesystem, die Weltsicht und damit die Handlungen aller davon Betroffenen. In der Welt des Genoms entsteht eine Macht, der das Hirn bisher nicht gewachsen war (Knoflacher, Virus Auto). Nicht mehr menschliche Siedlungen werden verlangt, sondern Siedlungen für das Auto, nicht mehr Lebensräume für Kinder, sondern Parkplätze für den Pkw kennzeichnen die dramatische Veränderung unserer Gesellschaft. Die minimale Einsparung an Körperenergie mit der Rückkopplung über die damit gewonnenen positiven Reize erklärt die maßlose Energievergeudung des Verkehrssystems des letzten Jahrhunderts. Siedlungen, Wirtschaft und Gesellschaft wurden vom Auto geprägt, Industriezweige arbeiten 93 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! für das Auto, die Flächenversiegelung von 300 m pro Pkw erreicht ein Ausmaß, das keinem Bewohner einer Stadt zugebilligt wird. Das in die inneren Strukturen des Menschen eingedrungene Auto setzt seine Bedürfnisse in der Gestaltung der äußeren Strukturen durch. Denn auch das Hirn profitiert davon, weil enorme Energiepotentiale erschlossen werden. Je größer das Ausmaß verfügbarer physischer Energie ist, umso geringer ist der Aufwand interner mentaler Energie. Diese Individualoptimierung durch unmittelbaren Zugriff auf riesige Energiemengen ohne unmittelbare negative Rückkopplung hat zum Umbau aller Siedlungen aber auch der Wirtschaft weltweit nahezu innerhalb einer Generation geführt. Sämtliche Disziplinen des Verkehrswesens haben diese Zusammenhänge nicht erkannt, weil sie außerhalb des Wahrnehmungsfeldes ihres Fachgebietes liegen. Der Großteil der Menschen sitzt heute in einer sowohl selbst gebauten wie auch durch die bestehenden Vorschriften erzwungenen Falle und die so genannten Experten bemühen sich einen Ausweg an der falschen Stelle zu suchen, nämlich an den Symptomen im Fließverkehr. Die Ursache für den unglaublichen Energieverbrauch und den Zwang zum Autofahren und die hohen Geschwindigkeiten liegt in der unmittelbaren Koppelung von Auto und Mensch durch die Anordnung der Parkplätze. Legt man diese an die Objekte, also die Ausgangs- und Endpunkte der Wege, verliert die Gesellschaft und die Gebietsverwaltung die Kontrolle für die Entwicklung der Stadt, des Dorfes, der Siedlungen und der Wirtschaftseinheiten. Mit dieser Individualoptimierung können sie sich aufgrund der Zeitkonstanz über die hohen Geschwindigkeiten des Autos weit über die Verwaltungsgrenzen ihre Gebietskörperschaft entfernen und damit den Zwang auslösen, der die ungeheure Energiemenge im Bereich der Mobilität erzwingt. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass diese heute allgemein praktizierten Vorschriften auf die Rechtsgrundlage der Reichsgaragenordnung 1939 zurückgehen, wo in §2 der Zwang zum Bau und Betrieb dieser Menschenfalle erzwungen wird. Dies führte wie sich anhand der vom Verfasser entdeckten Gesetze präzise nachweisen lässt zum zwingenden Niedergang des öffentlichen Verkehrs, zur Zersiedlung der Städte und zu einer Transportform, die immer ineffizienter wird. Zwischen 1960 und 1990 ist die Effizienz der deutschen Wirtschaft im Transportwesen halbiert worden, d.h. für die gleiche Wertschöpfung müssen doppelt so viele Kilometer zurückgelegt werden. 94 Hermann Knoflacher: Energie und Mobilität – Wir werden in Zukunft mehr im Kopf brauchen als in den vergangenen Jahrzehnten Abbildung 3: Der Parkplatz bei den Aktivitäten zerstört den räumlichen und den raum-zeitlichen Maßstab der urbanen Räume! 14.7 Therapie im Mobilitätsbereich 14.7.1 Bauliche Korrektur Eine wirksame Therapie muss dort ansetzen, wo die Ursachen liegen – in den Strukturen. Die physischen Abstände zwischen menschlichen Aktivitäten und den geparkten Fahrzeugen müssen mindestens genauso groß oder größer sein wie die Abstände zu den Haltestellen des öffentlichen Verkehrs. Erst unter diesen strukturellen Bedingungen erhält der Mensch wieder die Mindestvoraussetzung für eine Freiheit der Verkehrsmittelwahl zwischen diesen beiden Verkehrsträgern. Die bestehenden Bauordnungen sind ebenso zu ändern, wie die Qualifikation ihrer Anwender. 95 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! Abbildung 4: Mindestdosis: Die Entfernung zwischen allen Aktivitäten und dem Parkplatz muß zumindest so groß wie zur Haltestelle des ÖV sein 14.7.2 Finanzielle Reparatur der Fehler Auch die Finanzstrukturen sind zu ändern, die heute systemkonformes, energiesparendes Verhalten bestrafen und systemzerstörerisches, energievergeudendes Verhalten belohnen. Wer in der Nähe parkt muss aufgrund der Kosten, die er in der Folge der Gesellschaft verursacht – wie es die Prinzipien der Marktwirtschaft verlangen – auch entsprechend höhere Abgaben leisten. Die Einführung einer Verkehrserregerabgabe in Abhängigkeit von der Entfernung zum Parkplatz ist deshalb zwingend notwendig. Wer weiter entfernt als die Haltestelle des öffentlichen Verkehrs liegt parkt zahlt als Autobesitzer eine Jahreskarte, die er auch erhält. Entsprechend den realen menschlichen Verhaltensverweisen vervielfacht sich dieser Betrag, je näher der Parkplatz zur Wohnung, zum Arbeitsplatz, zur Einkaufsgelegenheit, etc. liegt. Damit erhalten die Kommunen jene Geldmengen, die sie brauchen, um die falsch gebauten Strukturen des letzten Jahrhunderts zu reparieren. 14.7.3 Organisatorische Korrekturen Selbstverständlich müssen die Haltestellen mit Rücksicht auf das Gesamtsystem so angeordnet werden, dass sie optimal im Raum erreichbar sind. Geparkte Autos haben die gleiche räumliche Wirkung wie die Haltestelle des öffentlichen Verkehrs – ja sogar noch eine weit größere wegen des dichteren Netzes. Die bisherige Gepflogenheit, das Auto dort zu parken, wo man individuell will, zerstört daher a priori bestehende Strukturen bzw. löst deren Integration auf. Es ist daher eine Organisation einzurichten, die sowohl für den ÖV, wie auch für die Autos verantwortlich ist und Parkplätze ebenso mit Rücksicht auf die Allgemeinheit, wie die Haltestellen managt. Wer ein Auto zulassen will hat die oben genannten Bedingungen zu 96 Hermann Knoflacher: Energie und Mobilität – Wir werden in Zukunft mehr im Kopf brauchen als in den vergangenen Jahrzehnten erfüllen. Daheim Parken und für die Folgen aufkommen oder an der richtigen Stelle parken und dafür billiger. Abbildung 5: Wenn man an den Ursachen ansetzt, kann der Energieaufwand nachhaltig reduziert werden 14.7.4 Wirkungen Anhand empirischer Befunde kann unter Berücksichtigung realen menschlichen Verhaltens untersucht werden, in welchem Ausmaß eine strukturelle Umorganisation Einfluss auf den Energieverbrauch und die Verkehrsmittelwahl nimmt. Als Bezugssystem kann die bestehende Situation verwendet werden. Je nach der Art der Zugänglichkeit zu den Garagen oder Haltestellen und deren durchschnittlicher Entfernung reduziert sich der Anteil der Autofahrten bis auf 3 %, wenn Garagen in Abständen von 1.000 m und Haltestellen in 500 m Abständen errichtet werden. Vergleicht man diese Wirkungen mit allen Maßnahmen, die die Städte oder Länder etwa die 2.000 Watt Gesellschaft ins Auge gefasst hat erkennt man, dass eine große Zahl der dort vorgeschlagenen Maßnahmen nur einen Bruchteil dieser Wirkung erzielt und eine Reihe der Maßnahmen wie etwa der Glaube an den Ersatz des Explosionsmotors durch den Elektromotor wieder massive kontraproduktive Effekte auslösen kann. 97 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! 14.8 Literatur Knoflacher, H. (2009): Virus Auto. Ueberreuter Verlag, Wien. Knoflacher, H. (2007): Grundlagen der Verkehrs- und Siedlungsplanung: Verkehrsplanung. Böhlau Verlag Wien – Köln - Weimar. Knoflacher, H. (2001): Stehzeuge. Der Stau ist kein Verkehrsproblem. Böhlau Verlag, Wien. 2. Auflage Knoflacher, H. (1997), Landschaft ohne Autobahnen. Für eine zukunftsorientierte Verkehrsplanung, Wien. Knoflacher, H. (1996): Zur Harmonie von Stadt und Verkehr. Freiheit vom Zwang zum Autofahren. 2., verbesserte und erweiterte Auflage. Böhlau Verlag Wien – Köln - Weimar. Knoflacher, H. (1995): Fußgeher- und Fahrradverkehr. Planungsprinzipien. Böhlau Verlag Wien – Köln – Weimar. Knoflacher, H. (1987): Verkehrsplanung für den Menschen. Band 1: Grundstrukturen. Verlag Orac, Wien. Knoflacher, H. (1985): Katalysatoren für Nichtmotorisierte. Erfahrung - Erwartung. Verlag Professor Hermann Knoflacher, 98 Dennis L. Meadows: Some causes and consequences of limits to growth in petroleum use: 2010 - 2030 15 Dennis L. Meadows: Some causes and consequences of limits to growth in petroleum use: 2010 - 2030 Prof. Dr. Dennis L. Meadows Director of the Institute for Policy and Social Science Research at the University of New Hampshire and Professor of Policy Systems University of New Hampshire Durham NH 03824 USA [email protected] 15.1 Preface In 1972 I lead a team of 16 scientists at the Massachusetts Institute of Technology in an 18 month project that created and then used a computer model, World3, to help us better understand the long-term causes and consequences of physical growth on the planet. One result of our work was the set of 13 scenarios that we published in our nontechnical report, The Limits to Growth (LtG). Naturally, each scenario showed the same history of growth in global population and industrial output from 1900 through 1970. But each revealed a different plausible pattern of growth in these and related variables from 1970 through the year 2100. The projections differed as a result of alternative assumptions we made about future changes in social, physical, biological, and political variables. 15.2 Limits to Growth - the 30-Year Update Several years ago the principal authors of LtG revisited our initial work. We studied the history of growth in population and industry on the planet over the period 1970 - 2000 and used the information to revise our model and update our report. The resulting book was published in English as Limits to Growth - the 30-Year Update, Meadows et. al., Chelsea Green Publishing 2004. The book was translated and published in many other languages. Included was a German edition by Hirzel Verlag in Stuttgart. I will refer to the English version of the new book throughout the remainder of this essay as LtG -30. 99 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! Figure 1 ( LtG -30, page 173) shows the reference scenario produced by our 2004 work. Of course we found many more relevant data in 2000 than we did in 1970. But the main conclusions of our original work did not need to be changed, and the reference scenario does not differ in any important details from the one we first published in 1972. Figure 1: The Reference Scenario Our original projections have also been studied by others. For example, Graham Turner, a senior scientist at the Commonwealth Science and Research Organization, in Canberra, Australia, compared our original study with historical data. His main results were reproduced by the Netherlands Environmental Assessment Board on page 23 of their report, Growth Within Limits, October 2009. Their main results are shown in Figure 2. 100 Dennis L. Meadows: Some causes and consequences of limits to growth in petroleum use: 2010 - 2030 Figure 2: Over the past 35 years global history reproduces the Limits to Growth collapse scenario 34 That illustration summarizes historical data for five global variables: Population, Industrial Output, Non-renewable resources, and Persistent Pollution from 1970 through 2000. Turner plots the actual historical data against our two contrasting World3 projections - Sustainable Development and Overshoot and Collapse. Unfortunately his analysis suggests that the global system is proceeding along the path to overshoot. Even though our model has been quite accurate until now, it is impossible to know with confidence the future of variables that are influenced strongly by human volition. So we certainly did not imagine or suggest in 1972 that any of our computer projections constituted predictions. But three general facts were true of all the scenarios generated by World3. They remained valid with our revised model in 2004, and we believe that they are likely to characterize the future of the global society, whatever its precise path. 1. All of our projections in 1972 showed another 40-80 years of growth in global industry and population, on average, without major problems - through 2010 to 2050. 2. Population and industrial expansion came to an end in years that varied from one scenario to another, depending on our assumptions, but all our scenarios showed growth in the key factors ending in the period 2020-2050. And most often the period of growth was followed by a sustained period of decline. 3. Changes in technology could extend the period of growth for a few years, even a few decades, but they did not avoid the necessity for an eventual end to physical growth during the 21st century. Not all futures revealed decline. Our model did generate some scenarios that might loosely be described as showing sustainable development. In those scenarios physical growth in population and industry gradually slowed to leave society, on average, at a high level of development. However, these attrac34 From: Growing within Limits, Netherlands Environmental Assessment Agency, October 2009, page 23. 101 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! tive futures could not be secured by advances in technology alone. Important social and cultural changes were also required. In our simulations growth was always ended by a combination of factors - the growing capital requirements of resources, the deterioration of productivity in the agricultural sector, rising levels of pollution, and others. Efforts to eliminate one pressure against growth simply shifted the burden to others, until finally the combined set became strong enough to counteract and fully offset the many biological, economic, political and psychological forces that strive to sustain growth. 15.3 Entering the period of decline Global society is now entering the period when our model projected that growth would start to decline. I believe that what leaders now call problems, such as climate change, are actually symptoms of physical growth pressing against the limits. Fossil fuel depletion is also one of those pressures. It is not unique, except that it is occurring earlier than many other problems. Here I will combine the insights from our original research with more recent data to show what I believe will be some causes and consequences of limits to growth in energy over the next several decades. Energy use is driven by personal consumption and industrial production. Data for world population from 1650 to the present, Figure 3, ( LtG -30, page 6 ) and for global industrial production from 1930 to the present, Figure 4, ( LtG -30, page 7 ) show that both these variables have been in a phase of rapid growth. Figure 3: World Population 102 Dennis L. Meadows: Some causes and consequences of limits to growth in petroleum use: 2010 - 2030 Figure 4: Industrial Production The red vertical lines shows their values in 1972 when we published our first report and warned that growth needed to be deliberately slowed in order to avoid overshoot. You will see from Figure 2 and Figure 3 that our warning had absolutely no influence on policies. Because growth has continued, there is copious evidence that the global system is now using energy and resources at rates far above those that can be sustained. Any effort to compare global demands with the carrying capacity of the earth is fraught with enormous difficulties in definitions, data, and assumptions. Nevertheless progress has been made. And the Global Ecological Footprint calculations of Mathis Wackernagel and his colleagues do seem to give us useful insights. In Figure 5 ( LtG -30, page xv ) I show one of Wackernagel’s calculations of growth in the global ecological footprint from 1960 until 2000. 103 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! Figure 5: One Indicator of Overshoot The data plotted in the graph suggest that in 1972, when we wrote our first report, the ecological footprint of humanity was at about 90 percent of the earth’s carrying capacity. By the year 2000 that had risen to above 120 percent. Now, according to Wackernagel, it is about 140 percent, and the rate of growth appears to be increasing. You may wonder how it is possible to be above the carrying capacity. The situation is analogous to spending from a bank account. If you have saved up a balance in your account, then for a short period you can spend more than you save. But eventually, of course, disbursements will have to be less than or equal to additions. Globally we are drawing down the savings in fossil fuels, fertile soils, species diversity, forest biomass, marine fisheries, and other planetary assets that accumulated on earth over millions of years . This cannot long continue. During this century humanity will need to adjust to usage rates that are less than or equal to the reproductive capacity of the earth. Our species lived in that way for its first several hundred thousand years on this planet, and it will live that way again. In 1972 the global challenge was to slow down. Now it is to get back down. We will get back down, one way or another. If we do not proactively steer our society quickly towards much lower and patterns of resource and energy use, the biological and physical constraints of the planet will reduce our consumptive demands in other ways. It is impossible to say with certainty which environmental obstacles to growth will be most important. But it will be some combination of climate change, water scarcity, agricultural soil erosion, pandemics, renewable resource destruction, and non-renewable resource depletion. 104 Dennis L. Meadows: Some causes and consequences of limits to growth in petroleum use: 2010 - 2030 15.4 Peak Oil Within the family of non-renewable resources, I am certain that the depletion of fossil fuels will play an early and important part. Therefore I will discuss that in more detail. Figure 6 shows the four factors that determine society’s use of fossil energy. Figure 6: Four Factors Determine the Amount of Fossil Energy Use Energy use can usefully be understood as the product of four factors: Number of People, Units of Capital per Person ( an indicator of the material standard of living), Energy Required per Capital Unit, and Fraction of the Energy from Fossil Fuels. This equation is an algebraic identity. It is impossible to argue against it, though one can easily disagree about the present and likely future values for those four variables. But even with approximate coefficients, the equation points to one extremely important insight. Our efforts to improve technology only work on the right half of the equation - raising energy efficiency and increasing the share of solar energy. As long as the number of people continues to grow and there is continuing effort to raise the units of capital per person, growth in the left hand side of the equation is easily able to offset progress on the right hand side. I do not see any historical evidence to support the idea that humanity will recognize its limits and voluntarily reduce its numbers and its material standard of living. Thus fossil energy use will continue to grow, until environmental factors either reduce the population or deprive capital of the energy it needs for full operation. It has begun to do that already. Until recently there was little concern about the growth in fossil energy use. It was implicitly assumed that the energy would be there when it was required. Indeed that remains the underlying assumption of many important players, including most national governments and the 105 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! International Energy Agency. The IEA’s projections for energy use in 2030 do not include any consideration of resource constraints; the Agency simply extrapolates trends in use and assumes the energy will be available. However, even casual study of the basic cause and effect mechanisms inherent in the oil discovery system put this traditional assumption into doubt. Figure 7: The Oil Discovery System If you permit me to make some outrageous simplifications, I can portray the oil discovery system with a few variables shown in Figure 7. For purposes of my exposition, I will divide all oil into two categories - undiscovered and discovered. The process of discovery moves oil from the first category to the second. And the process of usage reduces the stock of discovered oil as it is pumped out of the ground, converted into various forms of energy and materials, and consumed. This simple portrait illustrates three key points about the global petroleum system. The first point is the role of the reserve ratio, the amount of time that currently discovered reserves would supply current levels of usage. All major oil producers, whether corporate or national, have some sense of their desired reserve ratio. For Western oil companies the desired reserve ratio is rather small, since those companies are taxed on their inventory of discovered oil, and they wish to minimize their taxes. For OPEC nations the desired reserve ratio is rather large, since each nation’s share of the cartel’s total annual oil production is set in proportion to its reported reserves. But whatever the effective goal for reserve ratio, there has been a quick and effective process for holding it at the desired level. That is the second point illustrated by Figure 7. When the reserve ratio begins to fall below the target, more investment is made in discovery, the discovery rate goes up, and discovered oil soon rises back up to its desired relation to the usage rate. This has been an effective mechanism for many years, because the cost of 106 Dennis L. Meadows: Some causes and consequences of limits to growth in petroleum use: 2010 - 2030 discovery has been essentially constant. Advances in technology have more or less offset the effects of the initial stages of depletion. However, now there are mounting signs that the easy oil is gone. Looking at the historical record, we discover that: • Oil discoveries peaked in 1960s. • Every year since 1984 oil consumption has exceeded oil discovery. In 2006 global discoveries equaled 9 billion barrels (bb) while consumption equaled 31 bb. • Of the world’s 20 largest oil fields, 18 were discovered 1917 - 1968; 2 were discovered in the 1970s; and none of them have been discovered since then. • Oil production in 2007 was lower than in 2006, and it was lower in 2008 than in 2007. Some serious analysts, including me, believe that the peak in global oil production has already occurred. Whatever you think about the timing of the global oil peak, you must acknowledge that for the first time major oil companies are finding it difficult to hold their reserve ratios at the desired level. The reason can also be explained through features of the system portrayed in Figure 7; its third main point. About half of the undiscovered oil has been found. When depletion of a non renewable resource reaches 50 percent, there can be a rapid rise in discovery cost. The situation confronting the oil industry is approximated by the curve shown in Figure 8. Figure 8: Cost of Discovery Note that in the early years of oil consumption, depletion does not lead to significant increases in discovery cost. So there is no feedback from the left hand loop in the oil discovery system, Figure 7. Discovery does reduce the undiscovered oil, but that does not lead to increases in the cost of discovery. So additions to investment in discovery produce a proportionate rise in the discovery rate. The right hand loop: <Discovery Rate -> Discovered Oil -> Reserve 107 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! Ratio -> Investment in Discovery -> Discovery Rate> is the dominant loop during the period that the cost of discovery remains more or less constant. Now, however, depletion is beginning to manifest in higher discovery costs, and dominance in the system is shifting. The reserve ratio goes down, investment in discovery goes up, but there is no longer a proportionate rise in discovery. 15.5 The energy return on investment (EROI) The situation is made even more serious by the fact that depletion also causes declines in the energy return on investment (EROI). In the early years of the oil era, the energy pay back was often 70 to 100. Using one barrel of oil to produce the portfolio of capital required for locating, extracting, refining, and distributing oil often generated for use energy equivalent to 70 to 100 barrels of oil. No wonder the US became very rich! But now the oil deposits are smaller, deeper, and more remote. Often they are located on territory under the control of hostile regimes. And the oil often needs more refinement. Thus much more energy is required to produce energy. And the EROI is 15 to 20 and declining. This trend affects all the fossil energy sources, though gas, coal, and the non-traditional sources, such as tar sands, are all at different stages of depletion. However, if you look across all the alternative energy sources upon which we now expect eventually to operate industrial societies, you will find that none of them offer the high EROI that we obtained from the early days of oil. Coal has an EROI of 10 to 80 depending on the effort invested to prevent its various environmental impacts. Nuclear gives only about 10. Biofuels obtained by fermenting grain may even have a negative EROI. When the EROI is negative, it takes more energy to produce ethanol than the product gives back. You can see that limits to growth in the use of oil will not arise because of absolute depletion. Indeed, even a thousand years from now, long after oil has ceased to be a significant energy source, there will still be many millions of tons of oil under the earth. It will remain there because it would take more energy to remove it than it offers. The timing of changes in discovery cost and EROI is fiercely debated. But there is no longer any credible analyst who denies that we must confront both trends. It will mean that we need to increase the time horizon we use for comparing the costs and the benefits of alternative policies. So far we have mainly relied on the market. And the market systematically lead us to adopt those actions which offered greatest profits to those making the decisions. But implicit in this process is dependence on the concept of net present value (NPV). Those who rely on NPV use some interest rate to determine the present value of all costs and benefits associated with alternative possible decisions. Then the decision with greatest NPV is adopted. Economists, who defend this approach, fail to acknowledge that it is based on five crucial assumptions. • All future consequences of an action are known. • All consequences can be expressed in monetary units. 108 Dennis L. Meadows: Some causes and consequences of limits to growth in petroleum use: 2010 - 2030 • This generation is entitled to pick the interest rate, even though its decision will affect future generations. • Maximizing financial benefits is the goal of society. • Current mistakes can be corrected by paying some cost in the future. 15.6 Easy and difficult Problems For most decisions that affect the sources and uses of the main energy sources for industrial society, every single one of these assumptions is false! Thus the most profound consequences of limits to growth in petroleum use is the imperative to make major changes in our system of governance. If you abandon NPV calculations as a way to make choices that spread their costs and their benefits out into the decades of the future, then another basis for choice must be found. In this connection it is useful to acknowledge the difference between what I have labeled “Easy Problems” and “Hard Problems.” A problem is simply a difference between what you have and what you want. And for each problem there will be different actions you could imagine to take for their solution. Whatever action you take, there will come some evaluation when you evaluate whether or not the action you initiated is likely to solve the problem. That is to get you what you desire. This is an extremely generic representation of the notion of a problem. It applies equally to both personal and to societal problems. Actual and desired could be used to describe reducing your weight, increasing your wealth, extending your social networks, or holding down the cost of energy. Figure 9: Easy Problems 109 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! In an easy problem, illustrated in Figure 9, the action that fundamentally solves the problem also makes the situation appear better over the short term, at the point of Next Evaluation. Easy problems are generally solved by the existing political and economic system. Unfortunately the problems posed by global oil peak are difficult. Figure 10: Difficult Problems In difficult problems, illustrated in Figure 10, the actions that can eventually take you where you wish to be, appear to make your situation less attractive over the short term. These problems are not well managed by the current economic and political systems. We need to find alternatives ways to make choices and sustain actions that will work with difficult problems. 110 Interview mit Dennis L. Meadows: Nachhaltiges Wachstum ist eine Fantasie von Leuten, die Aufmerksamkeit von den wirklichen Problemen abziehen wollen 16 Interview mit Dennis L. Meadows: Nachhaltiges Wachstum ist eine Fantasie von Leuten, die Aufmerksamkeit von den wirklichen Problemen abziehen wollen Für die SES führte das Interview Linda Rosenkranz anlässlich der Fachtagung am 28. August 2009 im Technopark Zürich. SES: Herr Meadows, welche Chancen sehen Sie in der Krise, in der wir uns befinden? Meadows: Es kommt drauf an, welche Krise Sie genau meinen. Wir sind heute in einer Klimakrise, einer Finanzkrise, wir sind in einem frühen Stadium einer Energiekrise, welche Krise bevorzugen Sie also? SES: Sprechen wir als erstes über die Finanzkrise. Sie hat grossen Einfluss auf die Arbeitswelt und macht den Menschen Angst. Meadows: Als erstes ist es sehr wichtig zu sehen, dass all diese Dinge, die wir als Krise sehen, nur Symptome sind. Sie sind nicht das Problem. Das eigentliche Problem ist das schnelle Wachstum der Bevölkerung auf einem Planeten, der nicht unendlich ist. Er hat Grenzen. Heute geht das Wachstum in Richtung dieser Grenzen. Viele Erscheinungen, die wir als Probleme sehen, sind gar keine, sie sind einfach Symptome. Es ist wie wenn Sie einen Freund haben, der Krebs hat. Vom Krebs bekommt er Kopfweh. Das Kopfweh ist nicht das Problem, sondern der Krebs. Es ist sinnvoll, etwas gegen das Kopfweh zu tun, aber das Problem wird so nicht gelöst. Im Gegenteil, vielleicht erscheint noch schneller ein neues Symptom. All die Krisen, die wir haben, müssen als Symptome angeschaut werden, nicht als Probleme. Wenn ich Leute sehe, die direkt mit physischem Wachstum „dealen“, die sich und anderen durch ein weiteres Wirtschaftswachstum eine Art Heilung versprechen, dann geht das in die falsche Richtung. Sie sehen nie das Bevölkerungswachstum oder den ständigen Anstieg des Lebensstandards als Problem. Vielleicht hilft die jetzige Krise, die Finanzkrise, eine echte Diskussion über Wachstum zu führen. Aber im Moment sehe ich das noch nicht. SES: Sie haben davon gesprochen, dass wir unsere Art zu Leben, unsere Kultur ändern müssen. Wie soll das funktionieren? Meadows: Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Freund, der jemanden umbringen will. Nun wechseln Sie seine Technologie, nehmen ihm die Waffe weg, geben ihm eine Flasche. Glauben Sie wirklich, er würde deshalb seinen Plan ändern? Es geht vielleicht länger, bis er an sein Ziel gelangt, weil er weniger effiziente Instrumente, also nur eine Flasche, zur Verfügung hat. Aber sein Plan ist noch derselbe. Die Lösung kann also nicht in neueren Technologien bestehen, das Verhalten muss sich ändern. Wir sind so sozialisiert, dass wir immer mehr wollen. Das kann nur zum Kollaps führen. Die Frage ist einzig: Wann? 111 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! SES: Denken Sie, dass es einen richtigen Kollaps geben wird? Meadows: Die meisten Menschen dieser Welt befinden sich bereits im Kollaps. Es gibt schon heute sehr viele Kollapse. Wir sitzen zwar hier in der Schweiz, in einem sehr reichen Land. Es ist Ihr Land und es ist sehr schön, aber es gibt mehr als sechs Milliarden Menschen auf dieser Welt und mehr als ein Drittel leben von einem Dollar täglich. Wenn wir so leben müssten, wir wären überzeugt davon, dass unser System schon lange kollabiert ist. So oder so: Es ist nicht ganz klar, was wir mit Kollaps meinen. Kollaps ist ein sehr totales Gefühl. So ganz und gar Kollaps werden wir wahrscheinlich nicht erleben. Aber es gibt viele Probleme und immer mehr. Und Menschen werden probieren, diese Probleme zu lösen. Zum Beispiel, indem wir über Energie reden. Billige Energie ist ein wichtiger Faktor für die Funktionsweise unserer heutigen Wirtschaft. Energie war die letzten 60 bis 70 Jahre wirklich sehr billig. Wenn die billige Energie zu Ende geht, also eigentlich jetzt, wird das Leben auch hier schwieriger. Das ist, wie wenn jeder von uns 20 Sklaven hätte, die für ihn arbeiten. Jetzt werden die Sklaven teurer und Sie können sich nur noch zwei leisten. Das heisst, Sie müssen wieder mehr Arbeit selber verrichten. Wir reden hier von Energie-Sklaven natürlich. SES: Heute reden alle von nachhaltigem Wachstum. Das ist aber immer noch ein Wachstum, was denken Sie dazu? Meadows: Nachhaltige Entwicklung ist ein Oxymoron, also ein Widerspruch in sich. Nachhaltiges Wachstum ist sogar ein irrsinniges Oxymoron. Es ist nichts als eine Fantasie und wird meist gebraucht von Leuten, die Aufmerksamkeit von den wirklichen Problemen abziehen wollen. SES: 1972 haben Sie Ihre Studie „Die Grenzen des Wachstums“ veröffentlicht, darauf erschien ein Zwischenbericht und dann das 30er-Jahre-Update. Viel hat sich nicht geändert seit den 1970er Jahren, allerdings sind die Zukunftsszenarien pessimistischer. Können Sie das erläutern? Meadows: Es gibt viele Leute, die sagen: Das Update sei viel optimistischer. Grundsätzlich kann man aber sagen, dass dieselben Schlussfolgerungen, die wir 1972 gezogen haben, auch heute noch gelten. Es scheint als würde sich der Globus ein bisschen schneller bewegen als erwartet. Aber nicht viel. Der Zeithorizont ist kürzer geworden, unsere Szenarien werden wohl früher eintreffen, als noch 1972 erwartet. Die Szenarien sind aber dieselben. SES: Also keine grossen Veränderungen? Meadows: Doch klar gibt es grosse Veränderungen. 1972 hatten wir das „Kollaps“-Szenario in 50 Jahren, das heisst zirka 2022. Heute sehen wir das anders, es wird früher zum Einbruch kommen. 112 Interview mit Dennis L. Meadows: Nachhaltiges Wachstum ist eine Fantasie von Leuten, die Aufmerksamkeit von den wirklichen Problemen abziehen wollen SES: Sie sprechen von Grenzüberschreitung. Machen Sie auch Prognosen, wann das der Fall sein wird? Meadows: Nein, wir machen grundsätzlich keine Prognosen. Wir zeichnen Szenarien. Ich bin kein Politiker, der sagt, dass er etwas tut und aber gar nichts unternimmt, weil er sich nicht blamieren will. Ich kann mir nicht einmal vorstellen, dass wir Prognosen machen könnten. Viele solcher Dinge sind wie Erdbeben. Ich kann meinem Freund in Tokio oder in San Francisco sagen: 100% wird es ein Erdbeben geben. Aber ob es morgen oder in 50 Jahren geschieht wissen wir nicht. Ich weiss mit absoluter Sicherheit, dass der materielle Wohlstand auf diesem Planeten geringer wird. Der Energieverbrauch wird sinken. Aber wann genau: Keine Ahnung. Weil das davon abhängt, wie sich die Bevölkerung verhält. SES: Wir haben nur eine Welt. Das heisst, die Ressourcen werden knapp. Was geht als erstes aus? Um was wird als erstes gekämpft? Meadows: Eine der Hauptideen meines Buches war, dass wir diese Dinge nicht voneinander trennen können. Wir können nicht sagen dies oder das kommt als erstes. Alles hängt zusammen. Wenn wir das eine lösen, wird das andere stärker. Das ist wie mit dem Freund, der Krebs hat. Bekämpfen wir die Kopfschmerzen sehr gut, dann bekommt er andere Schmerzen, weil der Krebst immer noch da ist. Aber eines ist doch zu sagen: Energie spielt eine spezielle Rolle. Es spielt vor allem eine Rolle, wie wir die Energie brauchen, denn sie hat einen grossen Einfluss auf andere Ressourcen. Und fossile Brennstoffe sind ganz speziell limitiert, verglichen zum Beispiel mit Kupfer, auch ein wichtiger Rohstoff. Aber voraussichtlich werden wir noch Jahrzehnte, wenn nicht sogar Jahrhunderte Kupfer haben. Die globale Ölförderung hingegen erlebte ihren Peak wahrscheinlich vor zwei Jahren. Und ich sagte schon verschiedentlich: Genau heute sind viele sehr besorgt über den Klimawandel. Ich glaube, in 3 bis 4 Jahren spricht niemand mehr über den Klimawandel. Dann sprechen alle nur noch über die Energieversorgung. Aber das macht nichts, da es nur ein anderer Aspekt desselben Problems ist. Aber Regierungen, Journalisten, Zeitungen können nicht immer nur über ein Problem sprechen, sonst werden wir gelangweilt und müde. Sogar biologisch ist das so. Wenn Sie etwas ganz lange anschauen, so sehen Sie es mit der Zeit gar nicht mehr. Ihre Augen gewöhnen sich an die Aussicht. Das ist das Problem. Dem Klima wird es selbstverständlich nicht besser gehen. Aber wir fokussieren auf ein anderes Thema. Als ich ein Institut gründen wollte, waren wir beflügelt von der Idee, dass die Energieversorgung ein wichtiges Thema sein würde. Wir dachten: Wenn wir die Leute dazu bewegen wollen, etwas zu tun, müssen wir es an die Energieversorgung koppeln. Das war aber nicht lange so. Mit dem Klima wird es dasselbe sein. Es gibt aber viele andere seriöse grosse Probleme, wie etwa die Schere zwischen arm und reich, Grundwasserlevels die sich weltweit absenken, die stagnierende Nahrungsmittelproduktion. Aber diese Probleme vermögen keine politische Aufmerksamkeit zu erregen. Energieverknappung schon. 113 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! SES: In vier bis fünf Jahren werden wir in der Schweiz über neue Atomkraftwerke abstimmen. Was halten Sie davon? Meadows: Nuklearenergie hat wirklich sehr viele schlechte Konsequenzen für uns: Umweltkonsequenzen, Abfall. Nuklearenergie begünstigt auf jeden Fall den Bau von Atomwaffen. Aber vergessen wir all das: Ich glaube nicht, dass Nuklearenergie eine reale Möglichkeit ist. Sie produziert nur Strom. Und eines der grossen Zukunftsprobleme werden die Treibstoffe sein. Benzin, Kerosin für Flugzeuge – und Nuklearenergie bringt kein Flugzeug zum Fliegen. Also fokussiert sie nicht auf das richtige und wichtige Problem. Ausserdem ist sie sehr teuer. Und wenn wir dasselbe Geld in andere Innovationen investieren, werden wir mehr davon haben. Der Hauptgrund, weshalb wir überhaupt über Nuklearenergie nachdenken: grosse Unternehmen mögen sie so sehr. Sie können sie nämlich besitzen, können Profite daraus ziehen. Grosse Unternehmen, die grosse Investitionen machen und daneben noch ein paar Kollektoren irgendwohin montieren – für ein grünes Deckmäntelchen – die wollen nicht, dass wir unsere eigenen Energie-Versorger werden, weil sie in einem solchen System nichts besitzen können. Das ist der Hauptgrund, weshalb wir überhaupt über Nuklearstrom sprechen. Und früher – mindestens in meinem Land – wollten die Leute, die Wissenschaftler, die die Atombombe bauten, dass mindestens noch etwas Gutes daneben entsteht. Sauberwaschen des Gewissens nennt man das. SES: Unsere grossen Stromproduzenten argumentieren so: Für mehr Wachstum brauchen wir billigen Atomstrom. Atomstrom sei sauber und CO2-neutral. So die Argumentation. Was halten Sie davon? Meadows: Es gibt einige ausgezeichnete Wissenschaftler, die schreiben, dass wir nicht einmal genug Uran haben werden, um diese Technologie zu betreiben. Ausserdem gibt es ein Versicherungsproblem. Ich weiss zwar nicht genau, wie sich das in der Schweiz verhält. Aber in den Vereinigten Staaten gibt es ein nationales Gesetz, das besagt, dass wenn ein Unfall geschieht, nicht die Betreiber für die Folgeschäden und -kosten aufkommen müssen, sondern der Staat. Wenn ich euch Schweizer wäre, würde ich sagen: Super, wenn es so billig und sicher ist, dann übernehmt auch die Verantwortung selber und auch die Kosten. Versichert das doch bitte genügend hoch. Dann würde die Nuklear-Lobby sicherlich sagen: Nein, so nicht. Es gab Studien, wie viel der Staat wirklich bezahlt für den Atomstrom. Habt ihr nicht auch eine einheimische Nuklear-Industrie? Dann wisst ihr auch, weshalb die so scharf sind auf neue Atomkraftwerke. Was ich einfach nicht verstehe, kann ich am Beispiel des Erdbebens aufgrund der Basler Geothermie-Bohrung erklären. Dort gingen ein paar wenige Teller in Brüche, niemand aber nahm Schaden. Trotzdem wurde das Geothermie-Projekt sofort eingestellt und bis heute nicht mehr weitergeführt. Und statt daran weiterzuarbeiten wollt ihr neue Atomkraftwerke bauen? Wir alle wissen, wenn es einen Unfall gibt, dann sterben Tausende. Das ist doch verrückt: Ihr stoppt eine viel versprechende Technologie weil ein paar Teller kaputt gingen und für eine andere Technologie wird Werbung gemacht, wohlwissend, dass sie Tausende töten kann. SES: Was denken Sie über das Projekt „Desertec“? Meadows: Ich habe mich mit dem Projekt auseinandergesetzt. Wenn man eine objektive wissenschaftliche Studie machen würde, mit allen Variablen und wenn man das Resultat 114 Interview mit Dennis L. Meadows: Nachhaltiges Wachstum ist eine Fantasie von Leuten, die Aufmerksamkeit von den wirklichen Problemen abziehen wollen ernst nehmen würde, so würde man Desertec nicht realisieren. Man würde Energie sparen, dezentralisieren etc. Desertec ist nicht rational. Aber es wird am Ende gebaut werden, weil es genau das ist, was grosse Unternehmen wollen: Siemens kann Milliarden reinbuttern, es ist politisch attraktiv, die EU kann den Nordafrikanern dafür Entsalzungsanlagen günstiger geben und wir können alle gute Freunde werden. Solche Kräfte werden das Projekt realisieren. Aber es gäbe viel bessere Möglichkeiten, das Energieproblem zu lösen. Und sicher ist: Strom ist nicht unser Hauptproblem. Das Hauptproblem ist der Transport und die Raumwärme. Wir wissen alle, dass es stupid ist, die hochveredelte Energieform Strom zum heizen zu brauchen. Das ist viel zu teuer. Aber das wird so passieren, wird ja heute schon gemacht. Wenn man Wärme braucht, sollte man auch direkt Wärme produzieren. 115 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! 17 Barbara Haering: There is a crack in everything. That’s how the light get’s in Dr. sc. nat.; Dr. h. c. rer. pol. Barbara Haering Geschäftsleitung econcept, Mitglied des Europäischen Forschungsrats und des ETH-Rats econcept AG Gerechtigkeitsgasse 20 CH- 8002 Zürich [email protected] 17.1 Einleitung Die heutige Tagung setzte drei Schwerpunkte. Wir nahmen Einblick in Fragen und Strategien der Energiepolitik sowie des globalen Klimawandels und wir knüpften mit "Limits to growth" an die Umwelt- und Wachstumsdiskussionen der 1970er Jahre an. Dieser Rückgriff wirft Fragen auf. Sind die Erklärungs- und Lösungsansätze von damals heute noch gültig? Inwiefern waren sie erfolgreich? Welche neuen Strategien haben wir seither entwickelt? Lassen Sie mich deshalb im ersten Teil meines Referats den Weg nachzeichnen, den wir in den letzten 40 Jahren gegangen sind. 17.2 Ein Rückblick in Kürze Es waren die ersten Satelliten-Aufnahmen, welche in den 60er Jahren die globalen Umweltdebatten auslösten – auch in der Schweiz. Blau, grün, braun und weiss schimmerte unser kleiner Planet im endlos dunklen Universum. Zum ersten Mal konnten wir diese Einzigartigkeit, die uns allen gemeinsam Lebensgrundlage ist, sinnlich wahrnehmen. Dies weckte die gemeinsame Verantwortung für diesen Planeten. 1968 wurde der Club of Rome gegründet. Sein erster Bericht mit dem Titel “Limits to Growth“ erschien gleichzeitig in elf Sprachen: “Wenn sich die gegenwärtigen Wachstumstendenzen der Weltbevölkerung, Industrialisierung, Verunreinigung, Nahrungsmittelproduktion und Res116 Barbara Haering: There is a crack in everything. That’s how the light get’s in sourcenausbeutung unverändert fortsetzen, so werden die Grenzen des Wachstums auf diesem Planet innerhalb der nächsten hundert Jahre erreicht sein.” So die Kernaussage des Berichts. Die damit ausgelöste Debatte zeigte Wirkung. 1971 sprachen sich 93% der Schweizer Stimmbevölkerung und sämtliche Stände für die Einführung eines Umweltschutzartikels in der Bundesverfassung aus. Einstimmig beauftragte das Parlament den Bundesrat, die Gesetzgebung ohne Verzug auszuarbeiten. Trotzdem dauerte es zwölf Jahre bis 1983 das Umweltschutzgesetz verabschiedet wurde – und eine weitere Legislatur bis seine Umsetzung geregelt war. Die Konkretisierung der generell-abstrakten Verfassungsnorm liess die unterschiedlichen Interessen deutlich werden. Erst das drohende Sterben unserer Wälder schaffte den notwendigen politischen Druck und ermöglichte Massnahmen auf Verordnungsstufe: Luftreinhalteverordnung, Lärmschutzverordnung, ökologische Abfallbewirtschaftung. Die umfassenden Umwelt- und Wachstumsdebatten der 60er und 70er Jahre führten also vorerst zu Strategien des technischen Umweltschutzes mit Richtlinien, Geboten, Verboten und End-of-Pipe-Ansätzen. Die Diskussionen der 1980er Jahre machten aber auch deutlich, in welchem Masse Umweltschutz im Interesse der Wirtschaft ist. Damit könnten sich neue Strategien ökonomischer Anreize und des qualitativen Wachstums entwickeln. Die Chancen des Klimaschutzes für eine nachhaltige Wirtschaft wurden auch heute mehrfach angesprochen. In den 90er Jahren verknüpften sich die verschiedenen Interessensstränge des wirtschaftlichen Wohlstands, der sozialen Gerechtigkeit und der ökologischen Stabilität zum Konzept der nachhaltigen Entwicklung. 17.3 Und sind so weit als wie zuvor? Doch trotz des ausgereiften technischen Umweltschutzes, trotz der Wirksamkeit ökonomischer Anreize und trotz den integrierten Betrachtungsansätzen übersteigt unser ökologischer Fussabdruck die Kapazitäten unserer Welt nun schon seit 30 Jahren. Wir erkennen, dass die Treibhausgas-Emissionen noch stärker zunehmen und sich das Klima noch schneller erwärmt, als dies der IPCC-Report 2007 berechnete. Gleichzeitig zeigen Prognosen, dass sich der Weltenergiebedarf in den nächsten 20 Jahren verdoppeln könnte und dass der Primärenergiebedarf ohne grosse technologische Fortschritte auch dann noch zu rund 80% aus fossilen Brennstoffen gedeckt werden müsste. Doch diese Ressourcen sind begrenzt. Erdöl und Erdgas: 40 bis 50 Jahre, Uran: 40 Jahre, Kohle: 120 Jahre. Zudem sind diese Ressourcen geographisch sehr ungleich verteilt: Nordamerika, das ursprünglich fast gleich viele Erdölressourcen aufwies wie Saudi-Arabien, hat seine Vorräte fast aufgebracht. Europa ist von den Energielieferungen Russlands abhängig. Wir sind also noch weit weg von den deklarierten Klimazielen. Und wir erfahren, dass die Länder des Südens von den Folgen des Klimawandels am stärksten betroffen sein werden – und dies obwohl sie kaum dazu beitragen. Zusammengefasst: Wurden wir in den 60er und 70er Jahren mit der Endlichkeit der globalen Ressourcen konfrontiert, so wissen wir heute, dass bereits die Nutzung dieser Ressourcen das Leben auf unserem Planeten an Abgründe führt. Zudem erkennen wir, dass nicht erst der Kampf um die letzten Ressourcen zu – möglicherweise gewalttätigen – Auseinandersetzungen führen wird, sondern dass bereits heute Produktion, Nutzung und Vermarktung von Ressourcen, insbesondere von Energie, konfliktbeladen sind und politische Abhängigkeiten 117 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! begründen können. Mit anderen Worten: Unsere Erkenntnisse wachsen – doch ebenso die Probleme, die wir lösen müssen. 17.4 Vier strategische Achsen Aus der Vielfalt der Themen und Forderungen, die heute in und zwischen den Referaten angesprochen wurden, möchte ich vier strategische Achsen herauskristallisieren: • die Komplexität globaler Wirkungsgefüge, • die Verteilungsfrage – verbunden mit der Gerechtigkeit und mit Umweltsicherheit, • das Zusammenwirken von Wissenschaft und Politik und • den Wertewandel. 17.4.1 Globale Wirkungsgefüge Die Komplexität globaler Wirkungsgefüge ist nur ansatzweise und lediglich modellhaft zu erfassen. Trotzdem ist die Auseinandersetzung mit Modellen, wie sie heute präsentiert wurden, wichtig, denn sie schärft unsere Wahrnehmung potenzieller Wirkungen von Massnahmen. Wenn uns beispielsweise bewusst wird, dass eine Reduktion des Ressourcenverbrauchs in unseren industrialisierten Ländern noch lange keine Reduktion der Klimaerwärmung mit sich bringt, sondern vorerst die globalen Ressourcenpreise senken und damit einen grösseren Ressourcenverbrauch in ärmeren Ländern ermöglichen wird, dann kann uns dies deutlich machen, • dass wir politischen Druck zur Einschränkung der CO2-Emissionen in Entwicklungsregionen nur mit sehr gutem Beispiel und mit markanten Massnahmen im eigenen Land legitimieren können. Und dies unabhängig von der Tatsache, dass Effektivität und Effizienz von Reduktionsmassnahmen in Ländern des Südens mittels CDMProjekten grösser ist als bei uns. Und wir erkennen, • dass wir, zusätzlich zu diesem politischen Druck, den Ländern des Südens politische und wirtschaftliche Sicherheiten geben müssen. Diese Sicherheiten werden wir ebenfalls den erdölexportierenden Ländern geben müssen, wenn wir von ihnen eine nachhaltige Förderpolitik erwarten wollen. Gleichzeitig wird uns bewusst, • dass ein frühzeitiger Struktur- und Wertewandel uns vorbereiten kann auf die Zeit, in der Ressourcen nicht mehr billig verfügbar sein werden. Die Frage ist nämlich nicht, ob sich unser Wohlstand im Sinne des Bruttoinlandprodukts (BIP) auf einem tieferen Niveau wird stabilisieren müssen, sondern lediglich wie tief dieses Niveau sein wird – und wann wir mit diesem Rückgang unseres Wohlstandes werden rechnen müssen. 17.4.2 Verteilungsfragen, Gerechtigkeit und Umweltsicherheit Unsere heutige Tagung legte das Schwergewicht auf Ressourcen- und Umweltfragen. Dennoch werden die sozialen Fragen, das heisst die Fragen nach der Verteilung, das heisst der 118 Barbara Haering: There is a crack in everything. That’s how the light get’s in gerechten Verteilung und damit der Umverteilung beschränkter Ressourcen, schwieriger zu lösen sein als die ökologischen Herausforderungen. Und ich bin – bei aller berechtigten Kritik an unseren westlichen Lebensstilen – überzeugt, dass das Konzept von Demokratie, Pluralismus, Rechtsstaatlichkeit und Good Governance auf nationaler wie auch auf supranationaler Ebene die einzige Chance bietet, um diese Verteilungskonflikte gewaltfrei zu klären. Die wechselseitigen Beziehungen von Umweltrisiken und Sicherheit sind seit Längerem Gegenstand der Forschung. Doch erst seit wenigen Jahren werden sich auch Politik und Öffentlichkeit der Risiken ökologischer Krisen für Sicherheit und Stabilität bewusst. Das Thema Umweltsicherheit umfasst dabei mehr als die Auswirkungen des Klimawandels für Frieden und Sicherheit und betrifft auch nicht nur die Sorge um nachhaltige Energieperspektiven – auch wenn diese beiden Problembereiche zurzeit im Brennpunkt des Interesses stehen. Der nachhaltige Umgang mit den Ressourcen unserer Erde und der Schutz der Umwelt vor schädlichen Auswirkungen menschlicher Aktivitäten liegen jeder Diskussion über Umweltsicherheit zu Grunde. Im spezifischen Fokus dieser Debatten stehen aber folgende Fragen: • Risiken des Klimawandels: Als Konsequenz des Klimawandels wird – allen Voraussagen nach – der Meeresspiegel steigen, Stürme stärker und häufiger werden, Steppen- und Wüstengebiete sich ausbreiten. Die Folgen des Klimawandels werden in den verschiedenen Regionen der Welt unterschiedlich ausfallen. Die Vulnerabilitäten und die Möglichkeiten zur Anpassung an den Klimawandel variieren ebenfalls – nicht ausschliesslich, aber auch in Abhängigkeit vom Reichtum eines Landes. Die ökonomischen und sozialen Auswirkungen dieser Entwicklungen werden mit hoher Wahrscheinlichkeit erheblich sein und einen Wettkampf um grundlegende Lebensressourcen verursachen. Sie tragen ein grosses Konfliktpotenzial in sich. Auch die Arktis, die heute bereits in einem Referat erwähnt wurde, wird mit dem Wegschmelzen des Eises zu einer neuen Zone wirtschaftlicher und militärischer Interessen. • Auseinandersetzung um Ressourcen: Ausbeutung und Zerstörung von Umweltressourcen, aber auch ein grosses Bevölkerungswachstum können Lebensgrundlagen knapp werden lassen. Konfliktträchtig kann insbesondere die ungleiche Verteilung von Ressourcen, wie beispielsweise sauberes Wasser, sein. Aber auch in Ländern, die reich sind an Ressourcen, kann gerade dieser Reichtum Konflikte schüren. Fehlende Transparenz und Rechenschaftspflicht bezüglich der Verwendung von Erdölgewinnen fördern Korruption. Gesellschaftliche Konflikte verschärfen sich; politische Instabilität ist die Folge. Erdölgewinne können somit in den Produktionsländern selber nachhaltige Wirtschaftsentwicklungen hemmen und den Aufbau von Demokratien behindern. • Gewaltkonflikte als Folge von Umweltschäden: Verschmutztes Wasser, giftige Deponien und ebenso der Verlust von Landwirtschaftsflächen als Grundlage der Nahrungsproduktion und von Wäldern als Energielieferanten können zu Konflikten führen. Die Auswirkungen solcher Umweltschäden auf Frieden und Sicherheit können direkt und indirekt sein. • Umweltschäden als Folge von Gewaltkonflikten: Kriegerische Auseinandersetzungen kosten Menschenleben und zerstören die Umwelt. Verminte Felder und Flüsse sowie Rückstände biologischer und chemischer Waffen stellen massive Umweltschäden dar, die einen Wiederaufbau verunmöglichen und nachhaltige Wirtschaftsentwicklungen behindern können. Mensch und Natur sollen vor Gewaltkonflikten verschont wer119 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! den. Schäden müssen behoben werden – eine Aufgabe, die in der Regel nicht ohne die Unterstützung der Staatengemeinschaft zu lösen ist. Die Wirkungszusammenhänge umweltbedingter Konflikte sind also komplex. Besonderes Augenmerk ist auf Situationen zu legen, in denen sich Umweltprobleme und andere Gewaltrisiken überlappen, wie dies beispielsweise in Darfur der Fall ist. Was dabei aber deutlich wird, ist, dass Umweltschäden primär lokal und regional auftreten. Die durch Umweltprobleme (mit-) verursachten oder verstärkten Konflikte werden somit ebenfalls mit grosser Wahrscheinlichkeit vorerst lokale und regionale Konflikte sein. Aus diesen Konflikten können sich indessen strategische Risiken auf transnationaler oder internationaler Ebene entwickeln. Wenn, wie zu befürchten, der steigende Meeresspiegel in den grossen Deltaregionen Südostasiens Millionen von Menschen zur Migration zwingen wird, so wird dies weltweite Konsequenzen haben. Der Einbezug umweltpolitischer Aspekte in die Aussen-, Friedens- und Sicherheitspolitik der Staatengemeinschaft ist deshalb ein Gebot der Zukunft. Diese neuen Herausforderungen beinhalten allerdings auch neue Optionen für umfassende Friedens- und Sicherheitsstrategien. Das gemeinsame Bewältigen von Naturkatastrophen und von Umweltproblemen kann zu Konfliktlösungen beitragen. Über längere Perioden und global betrachtet, führen Umweltfragen sogar häufiger zu Kooperationen als zu Konflikten. Grenzüberschreitendes Management natürlicher Ressourcen kann politische Kooperation erfordern – und fördern. So ermöglichte die Entminung des Flusses Sava im Grenzgebiet von Slowenien, Kroatien und Serbien neue multilaterale Zusammenarbeit der ehemaligen Kriegsparteien. Aus solchen Beispielen gilt es zu lernen. Welches sind die Erfolgsfaktoren einer gemeinsamen Bewältigung von Umweltproblemen und Naturkatastrophen? Wie können solche Kooperationen für umfassende Friedensprozesse nutzbar werden? Dies sind Herausforderungen und Chancen, die unsere Aussen-, Friedens- und Sicherheitspolitik in Zukunft stärker wird gewichten müssen. 17.4.3 Zusammenwirken von Wissenschaft und Politik Stärker denn je zuvor, setzt sich die Menschheit globale Ziele. • Wir wollen weltweiten wirtschaftlichen Wohlstand fördern und gleichzeitig unsere begrenzten globalen Ressourcen auf nachhaltige Weise bewirtschaften. • Wir wollen die Chancen von Globalisierungsprozessen nutzen und dafür sorgen, dass möglichst breite Gesellschaftsschichten weltweit davon profitieren. • Wir wollen alle länger leben. Dabei sind wir uns der medizinischen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Probleme bewusst, die diese demografische Entwicklung mit sich bringt. Diesen Entwicklungen liegen wissenschaftliche und technische Innovationen zu Grunde – und ohne enge Zusammenarbeit von Wissenschaft und Politik werden wir ihnen auch nicht erfolgreich begegnen können. Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger der Politik und der Wirtschaft wie auch Organisationen der Zivilgesellschaft sind auf wissenschaftliche Expertise angewiesen. Allerdings führt ihre Zusammenarbeit immer wieder zu Missverständnissen und zu gegenseitiger Enttäuschung. Wissenschaft und Politik arbeiten in komplett unterschiedlichen Sphären und unter je sehr spezifischen Bedingungen. Genauer gesagt: 120 Barbara Haering: There is a crack in everything. That’s how the light get’s in • Wissenschaft engagiert sich in langfristigen Projekten und ist auf Freiheiten innerhalb eines stabilen Umfeldes angewiesen. Forscherinnen und Forscher widmen sich dem Unbekannten jenseits bisher anerkannter Grenzen. In der Regel kümmern sie sich dabei um sehr spezialisierte Fragestellungen. Ihr Antrieb ist es, neue Ideen zu entwickeln, neue Erkenntnisse zu gewinnen und mit unerwarteten Innovationen mittel- bis längerfristig zur Lösung von Problemen beizutragen. Doch sind sie selten geübt, ihre wissenschaftlichen Ergebnisse mit Laien, insbesondere mit Politikerinnen und Politikern zu beraten. • Politik hingegen, muss schnelle Lösungen für kurzfristige Probleme finden. Ihre Aufgabe ist es, Sicherheiten zu schaffen und somit auch Grenzen zu setzen. Politikerinnen und Politiker brauchen handfeste und sichtbare Ergebnisse – auch im Hinblick auf die nächsten Wahlen. Sie sind ihrer Wählerschaft gegenüber verpflichtet, welche für gewöhnlich konkrete und spezifische Leistungen erwartet. Zudem neigen Politikerinnen und Politiker dazu, Risiken zu vermeiden, weil Niederlagen politische Karrieren behindern können. Sie sind Praktikerinnen und Praktiker und selten geübt, wissenschaftliche Informationen zu reflektieren. Zudem liegt ein langer Weg zwischen der Grundlagenforschung und allfälligen Umsetzungsentscheiden. Die Zeitverzögerung im Innovationsprozess erhöht Missverständnisse und gegenseitige Enttäuschungen von Wissenschaft und Politik. Figur 1: Der Innovationsprozess umfasst mehrere Schritte (econcept 2008) Um die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Politik zu verbessern, möchte ich deshalb folgende Wege einschlagen: 121 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! • Bringschuld der Wissenschaft. Erstens darf die Wissenschaft nicht zu warten, bis Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger um wissenschaftliche Unterstützung bitten. Die Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Politik hinein ist eine Bringschuld der mit öffentlichen Mitteln gut ausgestatteten Forschung und eine Verantwortung, die in ihrer Exzellenz liegt. • Dialog ist mehr als Kommunikation. Zweitens ist erfolgreiche und nachhaltige Kommunikation keine Einbahnstrasse. Sie bedeutet Dialog. Nur so lernen Forscherinnen und Forscher die aktuellen politischen Themen und die damit verbundenen Informationsbedürfnisse kennen und nur so können sie gesellschaftliche Sensibilitäten bereits bei der Projektierung ihrer Forschungen einbeziehen. • Übersetzung ist notwendig. Drittens ist Übersetzung notwendig. Wissenschaftliche Informationen sollen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern helfen, fakten-basiert bessere Entscheidungen zu treffen. Wissenschaftliche Informationen müssen deshalb an konkreten Problemen anknüpfen und so aufbereitet werden, dass sie auch in Bezug auf ihre Konsequenzen für Laien verständlich sind. Wie genau ist genau genug, um der Politik optimale Entscheidungen, zum richtigen Zeitpunkt zu ermöglichen? Dieses Dilemma gilt es zu überwinden. • Politik bedeutet nicht nur Politikerinnen und Politiker. Viertens umfasst Politik mehr als Politikerinnen und Politiker, die in Parlamente oder Regierungen gewählt werden. Ihre wissenschaftlichen Berater sowie Expertinnen in Parteizentralen müssen ebenfalls angesprochen werden. Und wenn es darum geht, politische Entscheidungen vorzubereiten oder umzusetzen, sind die Mitarbeitenden der öffentlichen Verwaltungen zentral. Sie sind es, die kontinuierlich und unabhängig von kurzfristigen und elektoralen Interessen an politischen Themen arbeiten. Und last but not least geht es darum, die Zivilgesellschaft anzusprechen, um ihre Wahrnehmung zu schärfen und um öffentliche Debatten zu wissenschaftlichen Themen zu initiieren. Dabei wird die Wissenschaftsgemeinschaft feststellen, wie interessiert und empfänglich die Öffentlichkeit für wissenschaftliche Innovationen ist. Der breiten Öffentlichkeit einen Einblick in Forschungsprojekte zu verschaffen, ist mehrfach gewinnbringend: Es verbessert das öffentliche Wissen über Forschung, verbessert die Akzeptanz gegenüber wissenschaftlicher Innovation, und es trägt zum Aufbau einer eigentlichen Wissenschaftskultur bei, die wir auch im Hinblick auf eine nachhaltige öffentliche Förderung der Forschung benötigen. • Stärkung internet-basierter Netzwerke. Bis jetzt nutzen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger nicht das gesamte Potenzial internet-basierter Informationen und Kooperationen. Auch sie fühlen sich nicht in der Lage, die Zuverlässigkeit der gegebenen Informationen einzuschätzen. Hilfreich wären dazu themenspezifische Websites, welche von der internationalen Wissenschaftsgemeinschaft betrieben würden und so die wissenschaftliche Qualität der Informationen garantieren könnten. Solche Websites könnten wissenschaftliche Hintergrundinformationen spezifisch aufbereiten, um Entscheidungsprozesse zu unterstützen und um Politikerinnen und Politiker weltweit interaktiv zu verknüpfen. Das Millennium Projekt für Globale Zukunftsstudien und die Forschung in Washington unterbreitet dazu in ihrem Jahresbericht "State of the Future 2009" einen Konzeptentwurf zur „kollektiven Intelligenz“ im Bereich der Energiepolitik. Co-Autor Jerome Glenn definiert dabei kollektive Intelligenz 122 Barbara Haering: There is a crack in everything. That’s how the light get’s in als „an emergent property from synergies among data/info/knowledge, software/hardware, and experts that continually learns from feedback to produce (nearly) just in time knowledge for better decisions than these elements acting alone." Expertinnen und Experten würden weltweit vernetzt und könnten so ihre wissenschaftlichen Informationen bereitstellen und aktualisieren. Während der letzten Jahrzehnte nahm die Komplexität unserer Welt exponentiell zu. In den nächsten Jahrzehnten wird die Geschwindigkeit des Wandels weiter wachsen. Die Herausforderungen, mit denen wir konfrontiert sind, sind interdisziplinär und überschreiten Landesgrenzen. Nationale Energiepolitik verknüpft sich mit globaler Klimapolitik, mit Wirtschaftspolitik genauso wie mit Fragen der Sicherheit. Gleichzeitig spezialisieren sich Expertinnen und Politiker genauso wie Institutionen immer stärker. Die Wechselwirkungen zwischen den Subsystemen unserer Gesellschaft sind geschwächt. Wir brauchen somit neue Formen von Organisationen, die über die traditionellen Grenzen hinausgehen und die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Regierung, NGO und der Wirtschaft weiterbringen. Der „EnergieTrialog“ könnte dazu ein Pilotprojekt darstellen. Was wir brauchen ist ein neuer Kontrakt zwischen Wissenschaft und Politik – eine Renaissance im umfassenden Sinne. 17.4.4 Wertewandel In den letzten 40 Jahren haben wir vielfältige Lösungsansätze erarbeitet: Den technischen Umweltschutz, das qualitative Wachstum, ökonomische Anreize, die Strategie der nachhaltigen Entwicklung. Der Massnahmenkatalog ist also hinlänglich bekannt. Rückblickend betrachtet erscheinen diese Ansätze allerdings immer auch als hilflose Versuche von Auswegdebatten. Denn eines ist klar: Wenn wir Kriege um Ressourcen verhindern und ein Überleben mit nachhaltigen Energien ermöglichen wollen, werden wir um eine Reduktion unseres Ressourcenverbrauchs nicht herumkommen. Dies wird markante wirtschaftliche und gesellschaftliche Implikationen haben und eine umfassende Wertediskussion bedingen, denn offensichtlich ist dies Voraussetzung für jene Verhaltensänderungen, die heute in den Referaten mehrfach als notwendig erachtet und gefordert wurden. Ich hoffe, wir drücken uns nicht einmal mehr um diese Auseinandersetzung. Die Diskussion muss dabei über die Fragen der Effizienz und der Substitution hinausgehend das Thema der Suffizienz ins Zentrum stellen. Für diese Wertedebatte tragen wir selber die Verantwortung. Niemand nimmt sie uns ab. Es hindert uns aber auch niemand und nichts daran – ausser unsere eigene Trägheit. 17.5 Ausblick Zum Abschluss dieser Jahrestagung möchte ich Ihnen vier Gedanken mit auf den Weg geben – Argumente, die mir persönlich den Rücken stärken würden, falls ich mir je die Fragen der Sinnhaftigkeit oder der Erfolgschancen unseres Engagements für eine nachhaltige Welt stellen würde. 1. Wir haben keine Alternative! Oder wie Barack Obama kürzlich ausführte: "The choice we face is not between saving our environment and saving our economy. It’s a choice between prosperity and decline." 123 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! 2. Wir haben die Kraft, Veränderungen zu bewirken! Alle Untersuchungen zeigen, dass die Menschheit die Werkzeuge in der eigenen Hand hat, um die Herausforderungen, die sich ihr stellen, zu bewältigen. Wir stehen somit auch in der Verantwortung, dazu beizutragen. Der Bericht "State of the Future 2008" formulierte es wie folgt: "It becomes increasingly clear, that humanity has the resources to address it’s global challenges. What is less clear is how much wisdom, good will and intelligence will be focused on theses challenges." 3. Es ist spannend und erfüllend! Ein Leben, das sich einsetzt für das Überleben unseres Planeten und seiner Bewohnerinnen und Bewohner, ein Leben, das damit über sich selber hinausweisend wirksam sein möchte, ist ein erfülltes, ein lehrreiches und ein spannendes Leben. Und, wie wir heute Nachmittag erlebt haben, kann es auch ein lustiges Leben sein! 4. Wir tun es gemeinsam! Wenn ich heute in unsere Runde blicke, so sehe ich Professor Andreas Fischlin, dessen Zimmer-Nachfolgerin ich in unserer ersten Wohngemeinschaft wurde. Ich sehe Patrick Hofstetter, Klimaverantwortlicher von WWFSchweiz und Freund meines allerersten Praktikanten, ich sehe Dr. Joan Davis, die lange Jahre an der EAWAG tätig war und während Jahren im Hause meines Urgrossvaters wohnte und ich danke Cornelia Staub, Georg Klingler, Mirjam Kosch, Stephanie Bade und Walter Ott von econcept, die einen langen Abend mit mir über dieses Referat und darüber hinaus diskutiert haben. Mit anderen Worten: Wir sind nicht allein – unsere Freundinnen und Freunde sind auch hier. Wir werden uns irren, wir werden Fehler machen und wir werden nicht immer erfolgreich sein. Doch dann hilft uns Leonard Cohen weiter, wenn er singt: "Ring the bells, that still can ring. Forget your perfect offerings. There is a crack, in everything. That’s how the light get’s in!" 124 TeilnehmerInnenliste SES Fachtagung 2009 18 TeilnehmerInnenliste SES Fachtagung 2009 Schweizerische Energie-Stiftung SES Fachtagung: Klimawandel, Erdölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! Freitag 28. August 2009 Technopark, Technoparkstrasse 1, 8005 Zürich, Auditorium ReferentInnen Jörg Adolf Shell Deutschland Oil GmbH Hamburg Klaus Bitzer Universität Bayreuth/ASPO Bayreuth Andrea Burkhardt Bundesamt für Umwelt (BAFU) Bern Andreas Fischlin Terrestrische Systemökologie ETHZ Zürich Barbara Haering econcept AG Zürich Patrick Hofstetter WWF Schweiz Zürich Rolf Iten INFRAS Forschung und Beratung Zürich Hermann Knoflacher Technische Universität Wien Wien Sylvia Kotting-Uhl Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen Berlin Dennis L. Meadows University of New Hampshire New Hampshire Geri Müller SES/Grüne Kanton AG Baden Peter Haerle Publizist, Gesprächsleiter Zürich TeilnehmerInnen Arjuna Adhihetty 4A-Architektur Atelier Solothurn Alf Arnold Alpen-Initiative Altdorf Regula Bachmann-Steiner Magden Martine Bartel Michèle Bättig Bienne Jochen Benecke Sollner Institut München-Solln Catharina Bening ETH Zürich Zürich Marco Berg Stiftung Klimarappen Zürich Till Berger Seecon GmbH Aarau Matthis Bernoulli econcept Zürich Bern Reto Bertschinger Öbu Zürich Ueli Betschart Electrosuisse Fehraltorf Hansjörg Bhend Vereinigung Bündner Umweltorganisationen Chur Christian Bittig Axpo Vertrieb AG Zürich Thomas Blindenbacher Amstein + Walthert Zürich Stefan Böker Der Arbeitsmarkt Zürich Heinz Böni Empa St. Gallen WOZ Zürich Franz Böni Susan Boos Schaffhausen 125 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! Christoph Bopp Aargauer Zeitung AG Aarau Aernschd Born TRAS Basel Fausta Borsani SF (Einstein) Zürich Marcus Bosshard Sven Braden Amt für Umweltschutz, Fürstentum Liechtenstein Rafael Brand Scriptum - Büro für Kommunikation Flüelen Bernhard Brechbühl Universität Zürich Zürich Roger Britt Greenpeace Luzern Luzern Andreas Brühlmann Zürcher Kantonalbank Zürich Ursula Brunner Florian Brunner Küsnacht Vaduz Zürich SES Wetzikon Cécile Bühlmann Greenpeace Schweiz Luzern Philipp Buhofer DAX Holding AG Hagendorn Jürg Buri SES Bern Peter Burkhardt E-Top nachhaltig bauen Lyss Marie-Therese Büsser Gesundheits- u. Umweltdept. Stadt Zürich Zürich Bruno Cabernard Coop Basel Michael Casanova Pro Natura Basel François Cellier ETH Zürich Zürich Stefanie Claus co2online Zürich Gottlieb Dändliker Commugny Joan Davis Wallisellen Kurt de Lorenzo Greenpeace Regru Zürich Benglen Marcus Diacon Amt für Umwelt und Energie BS Basel Christof Dietler Agentur pluswert Chur Peter Dörfler Paul-André Dupuis Empa Dübendorf Zürich André Dürig Dürig Gartenbau und Gestaltung Murten Ernst Egli Christian Engelhart Walter Ernst careforclimate.org Küssnacht a. R. Paul Erzinger enero Ingenieurbüro Gattikon Mariette Fankhauser Ökozentrum Langenbruck Langenbruck Dominik Fempel Baden-Rütihof Marius Fetz Walenstadtberg Roland Fink Alten Benno Frauchiger BKW-FMB AG Bern 25 Kurt Frey SSES Niedergösgen Hanspeter Frey Grüne St. Gallen Engelburg Josef Fricker BEC AG Gipf- Oberfrick Halden Forch Hans-Peter Fricker WWF Schweiz Zürich Astrid Furrer Amt für Umweltschutz Zug Zug Justus Gallati Hochschule Luzern Wirtschaft Luzern Matthias Gallati Gallati Kommunikation Zürich Josias F. Gasser Josias Gasser Baumaterialien AG Chur Matthias Gautschi Grüne Aargau Brugg Willy Gehrer Electrosuisse Buchs Christoph Gossweiler FH Nordwestschweiz Winterthur Tobias Graden Bieler Tagblatt Biel Stefan Grass VCS Graubünden Chur 126 TeilnehmerInnenliste SES Fachtagung 2009 Peter Grau Amt für Umwelt und Energie St. Gallen Ronald Grisard HSB / SMS Basel Heinrich Gugerli Amt für Hochbauten Zürich Hanspeter Guggenbühl Pressbüro Index Illnau Anna Gunsch SES Wetzikon Richard Güttinger Solarline AG Zürich Stephan Gutzwiller Dionys Hallenbarter Miriam Haltiner Marcel Hänggi Sigrid Basel ewz ZHAW, Fachstelle Tourismus und Nachhaltige Entwicklung Zürich Hanke Schweizer Energiefachbuch Zürich Eugen Hauber Elektrizitätswerke des Kantons Zürich (EKZ) Zürich Andreas Haug SBB BahnUmwelt Center Bern 65 Robert Hauser Zürcher Kantonalbank Zürich Wergenstein Zürich Allan C. Hawkins A.C. Hawkins Consulting & Services Erlinsbach Simon Hess Ernst Basler + Partner AG Zürich Silas Hobi Dübendorf Jörg Hoffmann Galfingue Robert Hutter Amt für Umwelt und Energie, St. Gallen St. Gallen Philipp Irniger Ernst Schweizer AG Hedingen Walter Janach Leichtbau Engineering Meggen Dominique Jean-Baptiste Zürcher Kantonalbank Zürich Thomas Joller Umwelt und Energie Kanton Luzern Luzern Ralph Jordi Isabel Junker BAFU Ittigen Laufen Bettina Kahlert ETH / IED Zürich Franz Kainz Flumroc AG Flums David Kamber gibb BMS Bern 25 Ion Karagounis Stiftung Pusch Zürich Erich Kempter Kempter + Partner AG St.Gallen Georg Klingler econcept AG Zürich Daniel Klooz AUE Kt. Bern Bern Daniel Köchli glp Bezirk Meilen Meilen Andreas Kohler Lichtensteig Valentin Küng KüngBiotech+Umwelt Bern Markus Kunz Grüne Stadt Zürich Zürich Brigitta Künzli ewz Zürich Jutta Lang Nagra Wettingen Markus Liechti Handelsschule KVS Schaffhausen Hanspeter Lötscher ANU GR Chur Silvia Lüthi Cindy Mäder Resun AG Aarau Erika Maier WWF Schaffhausen Flurlingen Yvan Maillard Centre Info SA Fribourg Simon Marti Schweizer Bauer Bern Ins André Masson Baar Kurt Meier Greifensee Martin Meier Ernst Basler + Partner AG Zürich Diego Meier Kornhaus AG Zürich Beat Meier bemepro, beat meier projekte Winterthur 127 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! Michael Meier Thomas Merz Brunau-Stiftung Zürich Zürich Peter Meyer Axpo Suisse AG Zürich Peter Michel beco Bern Kai Michel Die Weltwoche Zürich Marguerite Miguel Misteli Dominik Müller Groupe Solvatec SA Solothurn Dieter Müller Verein Parc Ela Jürg Nadig Muttenz Tiefencastel Dielsdorf Markus Nauser Klima-Umwelt-Nachhaltigkeit Mittelhäusern Fabrizio Noembrini ETH Zürich - Institut für Energietechnik Zürich Ulrich Nyffenegger Energiefachstelle Kt. Bern Bern Stephan Oblasser TIWAG-Tiroler Wasserkraft AG Innsbruck Kurt Oeggerli Rüdiger Paschotta SES Zürich Oberembrach Thomas Passaglia NWA Basel Massimo Pedretti Stadt St. Gallen Hildegard Piller St. Gallen Sargans Bernhard Piller Tom Porro SES Zürich Andreas Postner Transform Rankweil Thomas Preisig Preisig AG Zürich Simone Pulfer Peter Irène Silvia Rauch Dübendorf Heidi Rebsamen Luzern Wädenswil Quadri Greenpeace Youth Support und Umweltbildung Bern Swisselectric Bern Rai Indianhope.ch Rubigen Bern Christian Regitz die werke versorgung wallisellen ag Wallisellen Stefan Reusser Bündner Kantonsschule Chur Chur Moritz Rheinberger LGU Schaan Ralf Riedel Gemeinde Richterswil Zürich Jürg Rohrer Up-To-Date Umwelttechnik AG Oberurnen Helen Romer SES Zürich Regula Rometsch BD/AWEL Lufthygiene Zürich Lüder F. Rosenhagen Klar e. v. Singen Bad Säckingen Linda Rosenkranz SES Luzern Franco Rossi Christine Roth Swissmem Zürich Wetzikon Regine Röthlisberger Bundesamt für Umwelt (BAFU) Bern Sonja Rüegg Grüt Kurt Rüegg ewl Luzern Daniel Rufer E2 Management Consulting AG Feldmeilen Angel Sanchez Scriptum - Büro für Kommunikation Flüelen Bern Daniel Schafer Energie Wasser Bern Jasmine Scheidegger Handelszeitung, Fachverlag, Redaktion Haustech Zürich Marlène Schenk Marilen Schlegel Michael Manfred Herbert Schmid 128 Gerlafingen Stadt Bern Präsidialdirektion Stadtplanungsamt Bern Schmid VSG Zürich Schmid Geowärme AG Ausserberg Solothurn TeilnehmerInnenliste SES Fachtagung 2009 Felix Schmid Stadt Zürich Zürich Jürg Schmidli ETH Zürich Zürich Corinne Schmidlin Baden Gerhard Schneider Marc Schneiter Hochschule für Technik und Wirtschaft des Kt. Waadt Metron AG Kaspar Schuler Greenpeace Schweiz Günther Schultz Karin Schweiter Stiftung Pusch Zürich Martin Seifert SVGW Schwerzenbach Yverdon-les-Bains Brugg Zürich Zürich Georg Sele VCL Verkehrs-Club Liechtenstein Vaduz Micha Siegrist Initiativkomitee Energiestadt Konkret Aarau Rudolf Siegrist Hausen Marianne Sorg Mathias Spicher Amt für Unweltkoordination und Energie des Kt. Bern Staatssekretariat für Wirtschaft SECO Harry Spiess ZHAW-Institut für Nachhaltige Entwicklung Werner Spillmann Bern Bern Winterthur Adliswil Matthias Staehelin Swissmill, Division der Coop Zürich Richard Staub BUS-House Zürich Peter Steiger Intep GmbH Zürich Irene Steimen Oerlikon Solar Zürich Peter Steiner Chemia Brugg AG Brugg Christine Steinger David Stickelberger Ernst Strahm Peter Bern Swissolar Zürich Strub-Tanner Berufsfachschule Gesundheit Münchenstein Sonja Studer Swissmem Zürich Andrea Suter Marcel Thueler Möriken Wettingen SP Zofingen Zofingen Sonja Trappe ABS Olten Aline Trede VCS Bern Ulrich Trümpi Sankt Galler Stadtwerk St. Gallen Bruno Trüssel Stadt Zug Zug Xavier Tschumi Canosa Bundesamt für Umwelt (BAFU) Bern Jürg Ulrich PSR / IPPNW Basel Bruno Unternährer Rotkreuz Jan van Beilen Zürich Anna Vettori Karl Vogt Stefan Vögtli INFRAS Zürich Buchs waldmarketing.ch Lupsingen Stephan Volkwein Saskia von Gunten BAFU Frankfurt Bern Yvonne von Hunnius café europe/www.nachhaltigkeit.org St. Gallen Lukas von Orelli Velux Stiftung Zürich Sabine von Stockar SES Zürich Thomas Vontobel TNC Consulting AG Erlenbach Roland Walch Eternit (Schweiz) AG Niederurnen Felix Walder Bundesamt für Wohnungswesen Grenchen Rolf Wälli Männedorf Kaori Wassmann Neuenegg 129 Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte! Fritz Wassmann Neuenegg Jürg Wellstein Basel Bruno Wermelinger Bülach Colin West Galgenen Sandra Wilhelm Hamiti ZHAW, Zentrum Umweltbildung Wädenswil Jörg Will IGM-Biocarbol Bannwil Erich Willi Tiefbauamt Stadt Zürich Zürich Martin Winder Junge Grüne Aargau Aarau Ruedi Winkler Wai Choun Wong Roman Wyler Zürich Solothurn Uni Bern Bern Kurt Zaugg-Ott oeku Kirche und Umwelt Bern Benno Zurfluh Zurfluh Lottenbach GmbH Luzern 130