Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise

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Vorwort
Sie halten den Tagungsband der Fachtagung „Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise –
Zeit für eine Wachstumsdebatte!“ in der Hand. Die Tagung wurde von der Schweizerischen
Energie-Stiftung (SES) organisiert und fand am 28. August 2009 im Technopark in Zürich
statt. Die Fachtagung stand im Zeichen der Krisen: Wirtschaftkrise, Energiekrise, Klimakrise.
Die SES ist überzeugt von der Notwendigkeit einer fundamentalen Wachstumsdebatte, weil
es in einer begrenzten Welt logischerweise kein ewiges Wachstum geben kann. Diese Fachtagung bot eine der wenigen Plattformen zur Diskussion dieser zentralen Thematik.
Ziel dieses Tagungsbandes ist die Verbreitung der von den ReferentInnen an der Fachtagung kommunizierten Informationen. Der Tagungsband enthält einen kurzen Überblick über
den Inhalt der Tagung, schriftliche Beiträge der ReferentInnen und ein TeilnehmerInnenverzeichnis. Die hier abgedruckten Beiträge von Geri Müller, Andreas Fischlin, Andrea Burkhard, Patrick Hofstetter, Jörg Adolf, Klaus Bitzer, Sylvia Kotting-Uhl, Rolf Iten, Hermann
Knoflacher, Dennis L. Meadows und Barbara Haering wurden eigens für diesen Tagungsband verfasst. Die beiliegende CD-ROM enthält sämtliche Präsentationen, die von den ReferentInnen an der Tagung gezeigt wurden.
Einig waren sich Andreas Fischlin, Andrea Burkhard und Patrick Hofstetter in der Analyse.
Der Klimawandel ist real, er ist dramatisch und es muss gehandelt werden. Keine absolute
Einigkeit bestand betreffend der notwenigen Massnahmen. Während Andreas Fischlin primär
die wissenschaftlichen Grundlagen vermittelte, legte Andrea Burkhard dar, was unter den
gegebenen politischen Voraussetzungen überhaupt möglich ist. Patrick Hofstetter kritisierte
die politische Trägheit und machte klar, wo es konkret harzt. Viel weniger Einigkeit bestand
im zweiten Themenblock. Für Jörg Adolf von Shell liegt Peak Oil noch in weiter Ferne, ganz
anders sieht dies hingegen ASPO-Mitglied Klaus Bitzer, für ihn ist Peak Oil erreicht. Er sagt:
„Von den fossilen Energien müssen wir uns entwöhnen, bevor sie zu Ende gehen“. Silvia
Kotting-Uhl zeigte anhand des energiepolitischen Konzepts der deutschen Grünen auf, welche konkreten Massnahmen in eine post-fossile und post-nukleare Zukunft führen. Im dritten
Block betonte Rolf Iten die Notwenigkeit eines qualitativen und nachhaltigen Wachstums
sowie eines massiven Strukturwandels. Für Dennis L. Meadows stellt ein sogenannt nachhaltiges Wachstum hingegen eine Fantasie dar, die meist gebraucht wird, um von den wirklichen Problemen abzulenken. Hermann Knoflacher legte den Fokus auf die Probleme einer
anachronistischen Verkehrspolitik und meint: „das heutige Verkehrssystem ist sozusagen
eine Welt der Verrückten“. Barbara Haering setzte mit eindrücklichen Worten einen optimistischen Schlusspunkt und zitierte Leonard Cohen: „There is a crack, in everything. That’s how
the light get’s in!"
Wir bleiben dran! Die Fachtagung der SES im Jahr 2010 wird die Diskussion weiterführen:
Energiekrise und die Alternativen werden das Thema am 17. September 2010 sein. Die SES
wünscht eine spannende und lehrreiche Lektüre.
Zürich, im Dezember 2009
Bernhard Piller
Projektleiter SES
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
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Impressum
Herausgeberin: Schweizerische Energie-Stiftung SES
Sihlquai 67, 8005 Zürich
E-Mail: [email protected]
www.energiestiftung.ch
PC-Konto: 80-3230-3
Gestaltung Titelbild: Claudius Fischer, Würenlingen
Fotografie: Angel Sanchez, Scriptum, Flüelen
Interview: Linda Rosenkranz, Luzern
Druck: Bookstation, Sipplingen, BRD
CD-Produktion: Adcom, Neuenhof
Organisation und Redaktion: Bernhard Piller, Zürich
Publikationsjahr: Dezember 2009
Auflage: 1’000 Exemplare
Abdruck mit Quellenangabe erwünscht
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Inhalt
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Inhalt
1 Vorwort ...................................................................................................................... 1 2 Impressum ................................................................................................................ 2 3 Inhalt .......................................................................................................................... 3 4 SES-Fachtagung 2009 ............................................................................................. 7 4.1 Thema .................................................................................................................................... 7 4.2 Klimawandel – Peak Oil – Grenzen des Wachstums ...................................................... 7 4.3 Fragestellungen .................................................................................................................... 8 4.4 Zielgruppen ............................................................................................................................ 8 4.5 Sponsoring ............................................................................................................................. 9 4.6 ReferentInnen ...................................................................................................................... 10 4.6.1 Leitung und Moderation ............................................................................................................... 10 4.7 5 Programm ............................................................................................................................ 11 Geri Müller: Einführung ........................................................................................ 12 5.1 Leitbegriffe ........................................................................................................................... 12 5.2 Suffizienz .............................................................................................................................. 13 5.3 Die Alternative ..................................................................................................................... 13 6 Peter Haerle: Leitung und Moderation ............................................................... 15 7 Andreas Fischlin: Klimawandel – Wissensstand und politische
Handlungsnotwendigkeit ..................................................................................... 16 7.1 Einleitung ............................................................................................................................. 16 7.2 Drei Kernaussagen ............................................................................................................. 17 7.2.1 Der Klimawandel ist da und höchstwahrscheinlich Mensch gemacht .................................. 17 7.2.2 Je wärmer die Welt wird, desto stärker wird eine anwachsende Zahl von Systemen in
Mitleidenschaft gezogen .............................................................................................................. 18 7.2.3 Technologisch und ökonomisch ist ein drastischer Klimawandel immer noch abwendbar 18 8 7.3 Die sieben Thesen .............................................................................................................. 20 7.4 Fazit ...................................................................................................................................... 21 7.5 Literatur ................................................................................................................................ 22 Andrea Burkhard: Klimapolitik der Schweiz am Vorabend des Peak Oil..... 26 8.1 Einleitung ............................................................................................................................. 26 8.2 Architektur des internationalen Klimaregimes ................................................................ 26 8.3 Nationales klimapolitisches Umfeld ................................................................................. 28 8.3.1 Reduktionsziele bis 2020 ............................................................................................................ 28 8.3.2 Massnahmen ................................................................................................................................. 29 3
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
8.3.2.1 Instrumente Fahrzeuge ....................................................................................................... 29 8.3.2.2 Instrumente Gebäude und Industrie ................................................................................. 29 8.3.2.3 Wirkungsabschätzung der verschiedenen Massnahmen .............................................. 30 8.3.3 Anpassung an die Klimaänderung ............................................................................................. 31 8.3.4 Sekundärer Nutzen ...................................................................................................................... 31 8.3.5 Moderate volkswirtschaftliche Auswirkungen ........................................................................... 32 8.4 Ausblick ................................................................................................................................ 32 8.5 Fazit ...................................................................................................................................... 32 9 Patrick Hofstetter: Die Diskrepanz zwischen wissenschaftlich Nötigem und
politischer Trägheit. Wo harzt es in der Schweizer Klimapolitik? ................ 33 9.1 Einleitung ............................................................................................................................. 33 9.2 Reduktionsziele am 2-Grad-Ziel orientieren ................................................................... 33 9.3 Sonderfall Schweiz ............................................................................................................. 35 9.4 Wo stehen die Treibhausgasemissionen der Schweiz? ............................................... 35 9.5 Kosten und Nutzen aktiver Klimapolitik ........................................................................... 37 9.6 Die Schweiz fährt beim Klimaschutz international besonders günstig ....................... 40 9.7 Wo steht die Schweiz bezüglich Verhandlungsangeboten? ........................................ 41 9.8 Aktuelle Beispiele ungenügender politischer Rahmenbedingungen .......................... 43 9.9 Eine integrierte Sichtweise ist angebracht ...................................................................... 43 9.10 Der Umbau hin zu einem postfossilen Wirtschaftssystem ist attraktiv ....................... 44 9.11 Wo harzt es? ....................................................................................................................... 44 9.12 Ja, wir können und müssen .............................................................................................. 45 9.13 Quellen ................................................................................................................................. 46 10 Jörg Adolf: Energiesicherheit und CO2-Lösungen – Eckpfeiler im
globalen Energiemix 2050 ................................................................................ 47 10.1 Wachstumsgrenzen, Energie und Klima ......................................................................... 47 10.2 Shell und Szenarien ........................................................................................................... 48 10.3 Drei „harte“ Wahrheiten ..................................................................................................... 49 10.3.1 Steigende Energie-Nachfrage ................................................................................................ 50 10.3.2 Knapperes Energie-Angebot .................................................................................................. 51 10.3.3 Drängende Klima-Problematik ............................................................................................... 51 10.4 Shell Long-term Energy Scenarios to 2050 .................................................................... 52 10.4.1 Szenario Scramble ................................................................................................................... 52 10.4.2 Szenario Blueprints .................................................................................................................. 53 10.4.3 Szenarien im Vergleich ........................................................................................................... 54 10.5 Energiesystem im Wandel ................................................................................................. 55 11 Klaus Bitzer: Ist Peak Oil erreicht? Die Sicht der ASPO ............................. 57 11.1 Einleitung ............................................................................................................................. 57 11.2 Die unterschiedlichen Sichtweisen zu Peak Oil ............................................................. 58 11.3 Peak Oil im Licht diverser Interessen- und Berufsgruppen .......................................... 60 11.3.1 Die Erdölindustrie ..................................................................................................................... 61 4
Inhalt
11.3.2 11.3.3 Politische Gruppierungen ........................................................................................................ 61 Die USA ..................................................................................................................................... 62 11.4 Der Zeitpunkt des globalen Fördermaximums ............................................................... 62 11.5 Die Methode von Hubbert ................................................................................................. 63 11.6 Divergierende Reserveangaben ....................................................................................... 64 11.7 Der nicht existierende „demand peak“ ............................................................................ 67 11.8 Fazit ...................................................................................................................................... 68 12 Silvia Kotting-Uhl: Energie 2.0 – Die grünen Massnahmen bis 2020:
Energiesparen, Erneuerbare und Effizienz .................................................... 69 12.1 Unsere Aufgabe .................................................................................................................. 69 12.2 Grüne Maßnahmen und ihre Wirkung ............................................................................. 70 12.2.1 Grüne Maßnahmen im Strombereich .................................................................................... 70 12.2.2 Grüne Maßnahmen im Wärmebereich .................................................................................. 73 12.2.3 Grüne Maßnahmen im Bereich Verkehr ............................................................................... 75 12.2.4 Emissionshandel, ökologische Finanzreform, Forschungsoffensive ................................ 77 12.3 Zusammenfassung ............................................................................................................. 78 13 Rolf Iten: Braucht es Wachstum für den Klimaschutz? .............................. 79 13.1 Einleitung ............................................................................................................................. 79 13.2 Ökonomische Ansätze zum Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und
Umwelt .................................................................................................................................. 79 13.2.1 Neoklassische Wachstumstheorie ......................................................................................... 80 13.2.2 „Neue Wachstumstheorie“ ...................................................................................................... 80 13.2.3 Ecological Economics .............................................................................................................. 80 13.2.4 Weitere wachstumskritische Ansätze .................................................................................... 81 13.2.5 Fazit ............................................................................................................................................ 81 13.3 Evidenz für die Schweiz ..................................................................................................... 81 13.4 Die globale Dimension ....................................................................................................... 84 13.5 Schlussfolgerungen ............................................................................................................ 85 13.6 Literatur ................................................................................................................................ 87 14 Hermann Knoflacher: Energie und Mobilität – Wir werden in Zukunft mehr
im Kopf brauchen als in den vergangenen Jahrzehnten ............................ 88 14.1 Zum Thema ......................................................................................................................... 88 14.2 Evolutionärer Erklärungsansatz........................................................................................ 89 14.3 Zeiteinsparung durch Geschwindigkeitserhöhung ........................................................ 91 14.4 Effizienzverluste durch falsche Strukturen ...................................................................... 91 14.5 Der zentrale Irrtum: Die Freiheit der Verkehrsmittelwahl ............................................. 92 14.6 Die Bedeutung der Struktur ............................................................................................... 93 14.7 Therapie im Mobilitätsbereich ........................................................................................... 95 14.7.1 Bauliche Korrektur .................................................................................................................... 95 14.7.2 Finanzielle Reparatur der Fehler ........................................................................................... 96 14.7.3 Organisatorische Korrekturen ................................................................................................ 96 14.7.4 Wirkungen ................................................................................................................................. 97 5
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
14.8 Literatur ................................................................................................................................ 98 15 Dennis L. Meadows: Some causes and consequences of limits to growth
in petroleum use: 2010 - 2030 .......................................................................... 99 15.1 Preface ................................................................................................................................. 99 15.2 Limits to Growth - the 30-Year Update ............................................................................ 99 15.3 Entering the period of decline ......................................................................................... 102 15.4 Peak Oil .............................................................................................................................. 105 15.5 The energy return on investment (EROI) ...................................................................... 108 15.6 Easy and difficult Problems ............................................................................................. 109 16 Interview mit Dennis L. Meadows: Nachhaltiges Wachstum ist eine
Fantasie von Leuten, die Aufmerksamkeit von den wirklichen Problemen
abziehen wollen ................................................................................................. 111 17 Barbara Haering: There is a crack in everything. That’s how the light get’s
in .......................................................................................................................... 116 17.1 Einleitung ........................................................................................................................... 116 17.2 Ein Rückblick in Kürze ..................................................................................................... 116 17.3 Und sind so weit als wie zuvor? ..................................................................................... 117 17.4 Vier strategische Achsen ................................................................................................. 118 17.4.1 Globale Wirkungsgefüge ....................................................................................................... 118 17.4.2 Verteilungsfragen, Gerechtigkeit und Umweltsicherheit .................................................. 118 17.4.3 Zusammenwirken von Wissenschaft und Politik ............................................................... 120 17.4.4 Wertewandel ........................................................................................................................... 123 17.5 Ausblick .............................................................................................................................. 123 18 6
TeilnehmerInnenliste SES Fachtagung 2009 ................................................ 125 SES-Fachtagung 2009
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SES-Fachtagung 2009
Klimawandel, Erdölknappheit, Wirtschaftskrise
Zeit für eine Wachstumsdebatte!
Freitag, 28. August 2009
Technopark, Technoparkstrasse 1, 8005 Zürich, Auditorium
8:30 – 17:30 Uhr
4.1
Thema
Zum einen gehen uns die fossilen Energieträger aus. Peak Oil ist erreicht. Zum anderen
muss der Ersatz fossiler Energieträger stattfinden, bevor der Klimawandel verheerende ökologische und wirtschaftliche Konsequenzen mit sich bringt. Nach wie vor werden Klimapolitik
und Peak Oil aber als zwei unterschiedliche Themen, statt als ein zusammenhängendes
Problemfeld diskutiert. Die SES-Fachtagung bietet die einmalige Chance die doppelte Energiekrise als ein Ganzes wahrzunehmen und diese im Kontext der Grenzen des Wachstums
zu diskutieren.
4.2
Klimawandel – Peak Oil – Grenzen des Wachstums
Die Abhängigkeit von den fossilen Energieträgern Öl und Gas ist eines der größten Zukunftsprobleme der Schweiz, wie auch der gesamten Weltgesellschaft. 70% des Schweizer
Energiebedarfs werden fossil gedeckt. Dieser Anteil ist seit Jahren gleich hoch. Aus zwei
unausweichlichen Gründen müssen wir uns von dieser Abhängigkeit lösen: die fossilen
Energieträger gehen uns aus und die Klimaerwärmung nimmt rasant zu.
Gerade im Jahr 2009, in dem es in der Schweiz um ein neues CO2-Gesetz und global um ein
Kyoto-Nachfolgeabkommen geht, werden wichtige Weichen gestellt. Die Schweizer Klimapolitik muss den nötigen Beitrag leisten, um die weltweite Erhöhung der Durchschnittstemperatur gegenüber der vorindustriellen Zeit auf höchstens 1,5 Grad zu begrenzen. Die Analysen
der KlimawissenschaftlerInnen sind eindeutig: Um die allerschlimmsten Auswirkungen der
stattfindenden Klimaerwärmung abzuwenden, muss jetzt gehandelt werden.
Dass ein unbegrenztes Wirtschaftswachstum in einer begrenzten Welt unmöglich ist, mag
logisch klingen. Selbstverständlich ist diese Erkenntnis aber längst nicht für alle. Wachstumskritische Stimmen sind kaum zu vernehmen. Eine Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Mehrenergieverbrauch wurde bis anhin weltweit nirgends erreicht. In der momentanen Weltwirtschaftskrise stellt sich somit die grundsätzliche Frage, ob die Krise als Chance
zum Strukturwandel genutzt werden kann.
7
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
4.3
Fragestellungen
Ziel der Fachtagung ist eine vertieft geführte Diskussion der unterschiedlichen Positionen
und Argumente im Spannungsfeld Peak Oil, Klimaerwärmung und Grenzen des Wachstums.
Die Klimaerwärmung findet statt und Peak Oil ist jetzt. Es stellt sich somit die Frage, wie wir
zukünftige Klima- und Ressourcenkrisen mindestens so abfedern können, dass sie nicht total
katastrophal ausfallen. Hilft Peak Oil und Peak Gas uns schneller von der klimazerstörenden,
fossilen Abhängigkeit zu lösen, als es eine völlig ungenügende Klimapolitik kann? Lassen
sich überhaupt alle endlichen Energieträger durch Erneuerbare Energien substituieren? Stellt
die 2000-Watt-Gesellschaft die Lösung dar, oder braucht es einen radikaleren Strukturwandel? Wann haben wir die Grenzen des Wachstums erreicht, oder haben wir sie bereits überschritten? Und eine alte Frage stellt sich wieder neu: Ist ein anderes Wachstum überhaupt
möglich? Führen die aktuellen Wirtschafts-, Energie-, Klima-, Umwelt- und Hungerkrisen zu
einem Epochenbruch?
4.4
Zielgruppen
Es ist gleichermassen die Gesellschaft, die Politik, die Wissenschaft, und die Wirtschaft angesprochen.
•
Energiewirtschaft
•
Banken, Versicherungen
•
Erdölbranche
•
Erdgasbranche
•
Energiefachstellen
•
Automobilbranche
•
Energieagenturen
•
im Energiebereich engagierte NGOs
•
Bundesämter (BAFU, BFE, SEKO)
•
StudentInnen
•
Verbände aus dem Bereich der erneuerbaren Energien
•
Forschungsinstitute PSI, ETH, Unis,
FHs usw.
•
Verbände der Energiewirtschaft
•
EnergiepolitikerInnen
•
Investoren
•
Allgemein energiepolitisch Interessierte
•
Unternehmensberatungen
•
Medien
8
SES-Fachtagung 2009
4.5
Sponsoring
Patronate:
SponsorInnen:
Hamasil Stiftung Zürich
Stiftung Hélène & Marcel Perincioli
Die SES dankt allen Patronatsgeber und SponsorInnen herzlich für ihre grosszügige Unterstützung der Fachtagung.
9
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
4.6
ReferentInnen
Dr. Jörg Adolf, Abteilung Unternehmenskommunikation und Wirtschaftspolitik, Shell
Deutschland Oil GmbH, Hamburg
Prof. Dr. Klaus Bitzer, Abteilung Geologie Universität Bayreuth, Vorstandsmitglied ASPO,
Bayreuth
Andrea Burkhardt, stv. Abteilungschefin, Sektionschefin Klima, Ökonomie und Umweltbeobachtung, Bundesamt für Umwelt (BAFU), Bern
Prof. Dr. Andreas Fischlin, Terrestrische Systemökologie ETHZ, hauptverantwortlicher,
koordinierender und führender Autor der IPCC-Berichte, Mitempfänger des Friedensnobelpreises 2007, Zürich
Dr. Barbara Haering, Geschäftsleitung econcept, Mitglied des Europäischen Forschungsrats und des ETH-Rats; Zürich
Dr. Patrick Hofstetter, Leiter Klimapolitik WWF Schweiz, Zürich
Dr. Rolf Iten, Mitglied der Geschäftsleitung INFRAS Forschung und Beratung, Zürich
Prof. Dr. em. Hermann Knoflacher, Institut für Verkehrswissenschaften, Forschungsbereich
für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik, Technische Universität Wien, Präsident
Club of Vienna, Wien
Sylvia Kotting-Uhl, MdB, Umweltpolitische Sprecherin Bundestagsfraktion Bündnis90/Die
Grünen, Berlin
Prof. Dr. Dennis L. Meadows, Director of the Institute for Policy and Social Science Research at the University of New Hampshire and Professor of Policy Systems, Autor
der vom Club of Rome beauftragten Studie „Die Grenzen des Wachstums“ (1972),
New Hampshire USA
Geri Müller, Nationalrat Grüne Kanton AG, Präsident Schweizerische Energie-Stiftung SES,
Baden
4.6.1
Leitung und Moderation
Peter Haerle, Publizist und Gesprächsleiter, Zürich
10
SES-Fachtagung 2009
4.7
Programm
8:30
Eintreffen, Kaffeebar
8:50
Begrüssung, Einführung
Geri Müller
I Schweizer Klimapolitik
9:00
Klimawandel - Wissensstand & politische Handlungsnotwendigkeit
Andreas Fischlin
9:30
Die Klimapolitik der Schweiz am Vorabend des Peak Oil
Andrea Burkhardt
10:00
Die Diskrepanz zwischen wissenschaftlich Nötigem und politischer Trägheit. Wo harzt es?
Patrick Hofstetter
10:30
Pause
10:50
Panel I Klimapolitik
mit Andreas Fischlin, Andrea Burkhardt und Patrick Hofstetter
II Peak Oil / Ressourcenverknappung
11:20
Energiesicherheit und CO2-Lösungen - Eckpfeiler im globalen Energiemix 2050
Jörg Adolf
11:50
Ist Peak Oil erreicht? Die Sicht der ASPO
Klaus Bitzer
12:20
Mittagessen
13:40
Politische Rahmenbedingungen für eine zukunftsfähige Energiepolitik
Sylvia Kotting-Uhl
14:10
Panel II Peak Oil
mit Jörg Adolf, Klaus Bitzer und Sylvia Kotting-Uhl
III Grenzen des Wachstums
14:40
Braucht es Wachstum für den Klimaschutz? – Ökonomische Thesen zum Zusammenhang zwischen
Wirtschaftswachstum und Klimaschutz
Rolf Iten
15:10
Pause
15:30
„Energie und Mobilität – Wir werden in Zukunft mehr im Kopf brauchen als in den vergangenen
Jahrzehnten“
Hermann Knoflacher
16:00
Causes and consequences of limits to growth in energy: 2010 - 2030
Dennis L. Meadows
16:40
Panel III Grenzen des Wachstums
mit Rolf Iten, Hermann Knoflacher und Dennis L. Meadows
IV Schlussreferat
17:10
“There’s a crack in everything, that’s how the light gets in” (Leonard Cohen)
Barbara Haering
17:30
Ende der Tagung
11
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
5
Geri Müller: Einführung
Geri Müller
Präsident der Schweizerischen Energie-Stiftung,
Nationalrat Grüne/AG, Stadtrat und Vizeammann der
Stadt Baden
Bahnhofstrasse 7
CH-5400 Baden
[email protected]
5.1
Leitbegriffe
Begriffe in unseren Köpfen entscheiden, wie wir die Welt wahrnehmen und gestalten.
Wachstum ist ein solcher Begriff. Wachstum ist der Leitstern unserer Marktwirtschaft.
Wachstum ist der Leitbegriff unserer politischen Entscheidungen, ja der Inbegriff ihres
Glücks. Nehmen wir den Bericht des Bundesrats zum Jahr 2007 – am Vorabend des Ausbruchs der jetzigen Finanzkrise. Die Landesregierung schwelgte im Glück. Denn alle Indikatoren standen auf Wachstum: Einkommen, Bautätigkeit, Exporte, Auftragsbücher. Aber Begriffe, besonders Leitbegriffe, können auch die Wirklichkeit verstellen. Parallel zu den Wirtschaftsindikatoren wuchsen auch der Fluglärm, der Verkehr, die Boni und nahmen die Burnouts zu. Sind auch sie Inbegriffe des Glücks?
Wachstum und Marktwirtschaft denken wir automatisch zusammen. Doch der eigentliche
Grund, wieso diese beiden Begriffe scheinbar ohne einander undenkbar sind, liegt beim
Geldausleihen. Wer mit Fremdkapital Güter und Maschinen kauft, muss mehr Gewinn erwirtschaften als für sein Überleben notwendig ist, um die Zinsen und das teure Fremdkapital
zurückzahlen zu können. Das bedingt Wachstum für das Einzelunternehmen und die Gesamtwirtschaft.
Aber: Neuere Studien, zum Beispiel von Ökonomieprofessor Mathias Binswanger zeigen,
dass Marktwirtschaft auch ohne teures Geldausleihen und also ohne Wachstumszwang
funktionieren kann.
12
Geri Müller: Einführung
Häufig müssen neue Begriffe alte ablösen, weil sich die alten zu weit von der ursprünglichen
Bedeutung entfernt haben. Wachstum hat sich in unseren Köpfen von seinem zwingend
notwendigen Gegenbegriff entfernt: dem Niedergang oder Tod. Wir leben in der Illusion,
dass der Tod nicht notwendig ist. Finanzkrisen, in denen Unmengen von Kapital vernichtet
wird, erleben wir als Schicksalsschlag, als Ausnahme von der Regel des Wachstums. Suffizienz, der neue Begriff, der den Leitstern Wachstum ablösen muss, umfasst sowohl das
Wachstum als auch den Tod. Suffizienz denkt, ökonomisch gesprochen, Einnahmen und
Ausgaben zusammen. Und zwar für alle Lebensbereiche, die zusammengehören.
5.2
Suffizienz
In unserem Privatleben leben wir suffizient. Unsere Ausgaben werden durch unsere Einnahmen begrenzt. Wer mehr als die 6‘000 Franken ausgibt, die er im Monat verdient, den
bestraft das Leben. Er wird in den nächsten Monaten sparen und den Gürtel enger schnallen
müssen. Suffizienz, das ist die Milchbüchlirechnung. Und manchmal sind Milchbüchlirechnungen besser als die Doppelte Buchhaltung.
Was hat nun Suffizienz mit Energie zu tun? Bei der Energie verhalten wir uns überhaupt
nicht suffizient. Wir tun, als wäre Öl, Gas und Uran in unendlichen Massen vorhanden. Zurzeit haben nur die Industriestaaten, also ca. ein Fünftel der Weltbevölkerung, Zugang zu
allen Energiequellen. Aber mit der Industrialisierung von China und anderen Schwellenländern wächst der Energiehunger. Der USA, der EU, Russland und China ist die Verknappung
bewusst. Der Kampf um Zugang zu den fossilen Energieträgern Rohöl, Gas, Kohl, Uran
spitzt sich zu. Der Peak von Billigöl kommt immer näher.
Die Ölförderung wird exzessiv teuer. Nicht nur, weil das Rohöl immer schwieriger zugänglich
wird. Länder, die nicht gehorsam ihre fossilen Rohstoffe an die grossen Industrienationen
liefern, werden angegriffen. Das Muster ist immer gleich. Die USA marschiert unter einem
Vorwand in diese widerspenstigen energiereichen Länder ein. Im Irak waren es die angeblichen Massenvernichtungswaffen und der unmenschliche Diktator Saddam Hussein. Der
wahre Grund aber war Saddams Drohung, sich nicht an Opec-Vereinbarungen zu halten.
Über 600 Milliarden US-Dollar kostete dieser Krieg. Auch im Iran, der autonomen Region
Uiguren in China und im Kaukasus dasselbe Bild: Hier tobt der Krieg um Öl. Auch hier werden Menschenrechtsverletzungen zum Vorwand genommen, um den Krieg um Öl zu führen.
Doch genau so wenig wie Wachstum naturgegeben ist, sind wir zwingend abhängig von fossilen Rohstoffen. Es gibt Alternativen.
5.3
Die Alternative
Die 2000-Watt-Gesellschaft ist eine Methode, suffizient mit Energie umzugehen. Die Vorgaben sind simpel: Jede und jeder hat pro Jahr eine Leistung von umgerechnet 2000 Watt zur
Verfügung. Alle können frei einteilen, wie sie ihr Energiekonto verwenden möchten. Wer aber
seine 2000 Watt vor Ablauf des Jahrs verbraucht hat, muss für den Rest des Jahres frieren –
oder bei FreundInnen Unterschlupf suchen. Die 2000-Watt-Gesellschaft ist keine Utopie. Die
13
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
ETH hat errechnet, wie der Energieverbrauch der Schweizerin und des Schweizers von heute 6000 Watt auf 2000 Watt pro Jahr heruntergeschraubt werden kann. Ohne Verlust von
Komfort.
Schon mit heutiger Technik könnte man in der Schweiz 80 Prozent des Stromverbrauchs mit
Sonnenergie herstellen. Sonnenkollektoren, Windenergie, Nullenergiehäuser – die Schweiz
kann jetzt vorausgehen in der Entwicklung von neuen grünen Technologien. Sie wird Nullenergie-Kühlschränke und -Wäschetrockner konstruieren. Sie wird gewappnet sein für das
postfossile Zeitalter. Sie kann sich und der Welt beweisen, dass sie ohne fossile Energieträger und ohne Uran auskommt. Sie wird ihr Wissen, ihre Erfindungen und Maschinen rund um
die grüne Energie exportieren! Denn die Nachfrage nach suffizienter Energienutzung wird
steigen. Beginnen wir heute mit der Zukunft! Investieren wir heute in die Energie von morgen!
14
Peter Haerle: Leitung und Moderation
6
Peter Haerle: Leitung und Moderation
Peter Haerle
Publizist, Gesprächsleiter,
Zürich
Forchstrasse 21
CH-8032 Zürich
[email protected]
15
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
7
Andreas Fischlin: Klimawandel – Wissensstand und politische
Handlungsnotwendigkeit
Andreas Fischlin
Systems Ecology, Institute of Integrative Biology:
Ecology, Evolution, and Disease, Department of Environmental Sciences
ETH Zürich
Universitätsstr. 16 – CHN E21.1
CH-8092 Zürich
[email protected]
www.sysecol.ethz.ch
7.1
Einleitung
Unsere Gesellschaft steht heute vor einer Reihe von Herausforderungen: Finanzkrise, Nahrungskrise, Ressourcenkrise, Klimakrise. Dabei nimmt der Klimawandel eine besondere Stellung ein: Die Herausforderung ist endlich durch weite Kreise erkannt worden, liegt allerdings
grösstenteils noch in der Zukunft, und die Konsequenzen sind ausserordentlich breit, d.h. sie
reichen in praktisch alle Bereiche unserer modernen Gesellschaft hinein. Vordergründig
scheint der Klimawandel lediglich nach einem radikalen Technologiewandel zu verlangen,
d.h. der praktisch vollständigen Dekarbonisierung aller zivilisatorischen Tätigkeiten.
Bei näherem Hinsehen ergibt sich allerdings eine grosse Palette von Anforderungen und es
stellt sich die Frage, ob ein solcher Technologiewandel zur Lösung des Klimaproblems allein
schon genügt? Gestützt auf den heutigen Wissensstand zum Klimawandel, den ich aufgrund
des letzten UNO Klimaberichts kurz zusammenfasse, möchte ich sieben entscheidende
„Handlungselemente“ als Thesen zur Lösung der Klimakrise, die vorerst noch in erster Linie
eine politische ist, skizzieren.
16
Andreas Fischlin: Klimawandel – Wissensstand und politische Handlungsnotwendigkeit
7.2
Drei Kernaussagen
1
Der letzte UNO Klimabericht des IPCC (IPCC, 2007g; IPCC, 2007c; IPCC, 2007a; IPCC,
2007b) stellt heute die verlässlichste Wissensbasis und Entscheidungsgrundlage für einen
vernünftigen Umgang mit der Klimafrage dar. Er enthält folgende drei Kernaussagen:
7.2.1
Der Klimawandel ist da und höchstwahrscheinlich Mensch gemacht
Eine Fülle von Messungen, wissenschaftlichen Erhebungen und Untersuchungen machen es
2
erdrückend klar: Der Klimawandel ist da und höchstwahrscheinlich Mensch gemacht. Die
Erde hat sich um 0.74°C erwärmt (IPCC, 2007d). Elf der letzten zwölf Jahre gehören zu den
wärmsten, seit man Temperaturen mit Instrumenten misst (IPCC, 2007d), was durch reinen
Zufall kaum mehr „erklärbar“ ist, da die Wahrscheinlichkeit p einer solchen Beobachtung bei
Annahme statistischer Unabhängigkeit aufeinanderfolgender Jahre der winzigen Zahl von p
= ~1.25 × 10-14 entspricht, und selbst bei Berücksichtigung langjähriger Klimaphasen immer
noch sehr klein ist, d.h. p = 0.001 beträgt (Zorita et al., 2008).
Die Tatsache, dass in den letzten Jahren, z.B. seit 2005, die Temperaturen einen Abnahmetrend zeigen, ist klimatologisch bedeutungslos und im Rahmen der natürlichen Variabilität zu
verstehen. Dieser natürliche und zufällige Anstieg und Abfall der Temperaturen ist erwartet
worden, stellt keinen Widerspruch zu den Vorausberechnungen des IPCC dar und passt
exakt zum Bild des Klimawandels gemäss unserem Verständnis (Easterling & Wehner,
2009). Zudem sind die Temperaturen im Vergleich zum Ende des letzten Jahrhunderts immer noch relativ hoch (Wanner et al., 2009). Schliesslich sei auch darauf hingewiesen, dass
die Schweiz besonders stark betroffen ist, zeigen die Messungen doch eine Zunahme der
Temperaturen von durchschnittlich 1.5°C (Frei et al., 2008, Abbildung 1). Das entspricht etwa
dem Doppelten der weltweiten Erwärmung. Auch die Niederschläge zeigen in den meisten
Regionen der Erde signifikante Veränderungen, in höheren Breitengraden eine Zunahme, in
tieferen, d.h. vielen Entwicklungsländern, eine Abnahme.
Mit der langfristigen Tendenz zu höheren Temperaturen geht Hand in Hand eine riesige Zahl
von weiteren Effekten wie beispielsweise ein weltweiter Schwund der Gletscher, das Abschmelzen des Packeises, auftauender Permafrost, der Anstieg des Meeresspiegels, früheres Verschwinden von Schneebedeckungen, verschobene Blühdaten sowie Aufbruchdaten
der Zugvögel, und verfrühte Erntereifen (Rosenzweig et al., 2007). Auch Extremereignisse
wie Dürren (Sommer 2003), Waldbrände (Australien, Kalifornien, Portugal, Spanien, Griechenland), Überschwemmungen (Schweiz), und möglicherweise selbst die Intensität von
tropischen Hurrikanen (Katrina 2005) haben in Häufigkeit und/oder Intensität in den letzten
Jahren auch infolge des Klimawandels zugenommen.
1
IPCC steht für Intergovernmental Panel on Climate Change und wird oft auch UNO Klimarat genannt und ist
eine effiziente Organisation, die aus wenigen Organen besteht. Seine Hauptarbeit, die Verfassung von
Sachstandsberichten wie den Klimaberichten, wird durch politisch unabhängige Wissenschaftler geleistet. http://www.ipcc.ch
2
Gemäss UNO Klimarat (IPCC) ist hier eine Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit dieser Aussage von über 90%
gemeint.
17
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
7.2.2
Je wärmer die Welt wird, desto stärker wird eine anwachsende Zahl von
Systemen in Mitleidenschaft gezogen
Mit fortschreitendem Klimawandel beginnen sich zunehmend drastische Konsequenzen abzuzeichnen: Je wärmer die Welt wird, desto stärker wird eine anwachsende Zahl von Systemen in Mitleidenschaft gezogen. Darunter fallen bei uns die Gletscher, deren Existenz im
Alpenraum schon in naher Zukunft ohne wirksamen Klimaschutz grösstenteils bedroht ist
(Zemp et al., 2006; Haeberli et al., 2007; Fischlin & Haeberli, 2008) und bei ungebremstem
Klimawandel lediglich die höchstgelegensten sowie grössten Gletscher dieses Jahrhundert
überleben dürften (Hoelzle et al., 2007); Permafrost, der Berghänge zunehmend weniger
stabilisieren kann (Harris et al., 2003; Gruber & Haeberli, 2007); Veränderungen im Wasserhaushalt, die im Frühjahr vermehrt zu Hochwassern und Überschwemmungen und im Sommer zu Wasserknappheit führen können; und viele Gebirgslandschaften, wie sie uns lieb
geworden sind wie z.B. die Lärchen-Arvenwälder im Engadin oder Oberwallis, dürften nach
menschlichen Massstäben für immer verschwinden (Fischlin & Gyalistras, 1997). Anderswo
sind es Korallenriffe, die durch chronisches Ausbleichen infolge wärmeren Meerwassertemperaturen absterben und auch durch die Versauerung der Meere besonders gefährdet sind
(Fischlin et al., 2007; Hoegh-Guldberg et al., 2007). Zu den ebenfalls stark gefährdeten Systemen gehören alle Regionen mit Mittelmeerklima, Tundra, Nadelwälder, das arktische Packeisbiom, Mangroven, Salzmarsche, tropische Regenwälder, und allgemein Küstenregionen
der Meere (IPCC, 2007h, Box TS.5., S. 44).
Auch viele Infrastrukturen und technische Einrichtungen wie Verkehrswege, Bauten, Wasserversorgung, Kühlanlagen, Kraftwerke sind direkt oder indirekt betroffen und Menschen die
in Küstenregionen und Flussschwemmebenen leben, sind besonders betroffen (IPCC, 2007f,
S.12). Schliesslich bedroht ein drastischer Klimawandel auch mancherorts die Nahrungsmittelproduktion bis hin zur menschlichen Gesundheit (Confalonieri et al., 2007; Easterling et
al., 2007). Trotz verbleibenden Unsicherheiten ergibt sich ein eindeutiges Bild: Es zeichnet
sich eine bedenkliche und bei ungebremstem Klimawandel klar äusserst gefährliche Entwicklung ab, die in ihren extremen Auswirkungen unbedingt vermieden werden sollte, da sie die
menschliche Zivilisation in ihren Grundfesten zu erschüttern droht (IPCC, 2007h, S. 73;
Schneider et al., 2007; Fischlin, 2009; Schneider, 2009; Smith et al., 2009).
7.2.3
Technologisch und ökonomisch ist ein drastischer Klimawandel immer
noch abwendbar
Der letzte Klimabericht besagt aber auch: Technologisch und ökonomisch ist ein drastischer
Klimawandel immer noch abwendbar. Nicht nur das technologische, sondern auch das ökonomische Potential zur Dekarbonisierung ist sehr hoch und wird oft völlig unterschätzt. Obwohl das ökonomische Potential im allgemeinen geringer als das technologische ist, sprechen die von IPCC zusammengestellten Zahlen eine deutliche Sprache: Weltweit, alle Sektoren zusammengenommen, ist um 2030 eine Emissionsreduktion von 78% gegenüber dem
Stand von 1990 möglich, falls konsequent Marktkräfte mobilisiert werden, d.h. ein wirksamer
3
Emissionshandel aufgebaut wird und für das Emissionsrecht für eine Tonne CO2-eq etwa
3
Mit 1 t CO2-eq bezeichnet man eine Menge an Treibhausgasen, welche die gleiche Klimawirksamkeit entfalten
wie 1 t CO2. Methan (CH4) ist ein ca. 21 mal so starkes Treibhausgas wie CO2, Lachgas (N2O), das insbesondere
bei übermässigem Düngen entsteht, ist ca. 310 mal ein so starkes Treibhausgas wie CO2 (Diese Umrechnungsfaktoren haben zurzeit Gültigkeit, d.h. kommen während der jetzt laufenden Abrechnungsperiode des Kyoto-
18
Andreas Fischlin: Klimawandel – Wissensstand und politische Handlungsnotwendigkeit
4
100$ bezahlt werden muss (IPCC, 2007e, Figure SPM.6, S.11). Auch halten sich die Vermeidungskosten entgegen oft vorgebrachten Befürchtungen klar in Grenzen. So schätzt
IPCC, dass das Wirtschaftswachstum selbst bei den höchsten untersuchten Klimaschutzzielen nie um mehr als höchstens 0.12% verlangsamt wird, was akkumuliert bis 2030 einer
bloss um ein Jahr verspäteten Erreichung des gleichen „Wohlstands“ gleichkommt. Bei diesen Berechnungen sind die positiven Aspekte wie Gewinne dank geringeren Energiekosten
oder Einsparungen an Gesundheitskosten oder neue, zurzeit wenig erprobte Technologien
nicht einmal berücksichtigt worden. In Anbetracht der ansonsten fatalen Folgen wird das
Erreichen ambitiöser Klimaschutzziele als eine Voraussetzung einer nachhaltigen Entwicklung der Menschheit eingeschätzt (Yohe et al., 2007). Ich denke, ein drastischer Klimawandel würde es voraussichtlich auch mit sich bringen, dass sich die Fähigkeit der Erde, Menschen zu beheimaten (Tragekapazität), mengenmässig wesentlich verringerte (Cohen,
1995).
Durch einen grundlegenden und konsequenten Technologiewandel in Richtung einer praktisch vollständigen Dekarbonisierung lässt sich also ein wesentlicher und unabdingbarer Beitrag zur Vermeidung eines drastischen Klimawandels leisten. Soll die Erderwärmung auf
5
maximal 2°C begrenzt werden , dann ergeben sich laut IPCC folgende Etappenziele: Industrieländer reduzieren ihren Treibhausgasausstoss bis 2020 um 25 bis 40% und bis 2050 um
80 bis 95% gegenüber 1990 (Gupta et al., 2007). Auch die Entwicklungsländer sind hierbei
gefordert: Laut neuesten Untersuchungen ist deren Beitrag zur Erreichung des 2°C Klimaziels eine Senkung ihrer Treibhausgasemissionen bis 2020 um 15 bis 30% (den Elzen &
6
Höhne, 2008) gegenüber gegenwärtigen Wachstumstrends .
Allerdings bleibt zur Vermeidung eines drastischen Klimawandels nur noch wenig Zeit (IPCC,
2007e, Figure SPM.6, S.11), soll die Erderwärmung auf maximal 2°C begrenzt werden7.
Dann müssen nämlich gemäss den Szenarien mit einer gewissen Aussicht auf Realisierung
die globalen Gesamtemissionen an Treibhausgasen schon ab etwa 2015 zu sinken beginnen. Insbesondere neueste Forschungsresultate, die nach der Veröffentlichung des IPCC
Klimaberichts erschienen sind, unterstreichen diese Dringlichkeit: Der Klimawandel gestützt
beispielsweise auf neueste Beobachtungen und Analysen aus der Arktis und Antarktis
scheint sich zu beschleunigen und weit schneller abzulaufen als dies die Klimamodelle, die
im Klimabericht verwendet wurden, vorausberechnet haben (Stroeve et al., 2007; Charbit et
al., 2008; Comiso et al., 2008; Haas et al., 2008; Zhang et al., 2008; Kwok et al., 2009; Steig
et al., 2009).
Protokolls zur Anwendung, obwohl sie nicht ganz dem neuesten Wissensstand entsprechen, s.a. Fischlin et al.,
2003, S.68). Es genügt dann schon eine entsprechend geringer Menge an CH4 oder N2O, um die gleiche Klimawirksamkeit wie CO2 zu erzeugen.
4
Entspricht etwa 24 Rappen pro Liter Heizöl bzw. Benzin (Burkhardt, 2009).
5
Zu diesem klimapolitischen Ziel bekennt sich die Schweiz (z.B. Bundesratsbeschluss Ende 2008) sowie schon
seit längerem, d.h. auf dem Wissensstand der 90er Jahre abstützend, die EU (vgl. hierzu auch Fischlin, 2009)
6
Dies ist streng genommen kein bloss linearer Trend, sondern wird oft auch als die “Business as Usual”Entwicklung bezeichnet
7
Zu diesem klimapolitischen Ziel bekennt sich die Schweiz (z.B. Bundesratsbeschluss Ende 2008) sowie schon
seit längerem die EU
19
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
7.3
Die sieben Thesen
Es ist allerdings fraglich, ob die erwähnten Klimaschutzziele alleine durch einen radikalen
Technologiewandel wie der vollständigen Dekarbonisierung erreichbar sind. Hierzu seien
folgende Bedenken angeführt:
8
•
Jetzige politische Rahmenbedingungen – auf internationaler Ebene z.B. das KyotoProtokoll, auf nationaler das CO2-Gesetz – genügen alleine nicht, um wirksame
Marktmechanismen, wie z.B. den Emissionshandel, zu mobilisieren. Hierzu sind
ebenfalls hohe Emissionspreise erforderlich, die sich nur einstellen werden, falls international und national – z.B. Ende Jahr in Kopenhagen – ein Bekennen zu anspruchsvollen Klimazielen wie dem 2°C Schutzziel explizit vorgenommen wird und
der hierzu erforderliche politische Wille allgemein und unmissverständlich erkennbar
wird. Zögerliches Verhalten bewirkt stumpfe Werkzeuge, da dadurch niedrige Emissionspreise resultieren und die Marktmechanismen ungenügend spielen (IPCC, 2007e,
Figure SPM.6, S.11).
•
Alleine ein Technologiewandel im herkömmlichen Sinn verstanden – z.B. Umstellungen bei der Energieversorgung und Konsumption –, genügt nicht, da neueste wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass ebenfalls im land- und forstwirtschaftlichen Bereich in der Grössenordnung von etwa 30% Beiträge (IPCC, 2007e, Figure
SPM.6, S.11) zur Sequestrierung von CO2 sowie die Reduzierung bisheriger Treibhausgasemissionen vonnöten sind, um anspruchsvolle Klimaziele wie das 2°C Ziel
überhaupt noch erreichen zu können. Zudem darf man in diesem Zusammenhang
nicht die Tatsache übersehen, dass in vielen Entwicklungsländern der Löwenanteil
der Treibhausgasemissionen aus dem land- und forstwirtschaftlichen Bereich stammen, der zurzeit am weltweiten, anthropogenen Treibhausgasausstoss einen erheblichen Belastungsanteil um ca. einen Fünftel ausmacht (Fischlin, 2008).
•
Mit Ausnahme des südamerikanischen Kontinents hat der ökologische Fussabdruck
praktisch überall den kritischen Wert 1 überstiegen und beträgt zurzeit weltweit
durchschnittlich ca. 1.2 (Kitzes et al., 2008). Damit ist längerfristig die Nachhaltigkeit
unserer jetzigen Zivilisation grundsätzlich in Frage gestellt.
•
Verhaltensänderungen haben zu erhöhtem Konsum – z.B. vermehrtem Treibstoff-,
Strom- oder auch Fleischkonsum – und damit zu gestiegenen Landansprüchen geführt. Sie haben so beigetragen, dass der ökologische Fussabdruck auf das heutige
Niveau angewachsen ist. Es sind deshalb wiederum vergleichbare Verhaltensänderungen notwendig, aber in umgekehrter Richtung, die zur Lösung des Nachhaltigkeitsproblems beitragen können und müssen. Verhaltensänderungen auf gesell-
8
Dieses Konzept drückt aus, wie gross die Landfläche ist, die ein Mensch benötigt, um all die Güter her- bzw.
bereitzustellen, die er bzw. sie im Verlaufe einer Zeiteinheit, z.B. einem Jahr, konsumiert. Z.B. die Produktion von
Nahrungsmitteln, die jemand im Verlauf eines Jahres verspeist, benötigt bei einer gegebenen Landwirtschaft
bestimmte Acker- bzw. Graslandflächen. Dieser Landbedarf kann dann mit der effektiv pro Kopf vorhandenen, auf
allen Kontinenten nutzbaren Landfläche verglichen werden. Das resultierende Verhältnis zwischen Inanspruchnahme und effektiv vorhandener Fläche wird als ökologischer Fussabdruck bezeichnet. Bei einem Verhältnis
unterhalb 1 ist die Nachhaltigkeit nicht gefährdet, jedoch Werte oberhalb 1 deuten auf Übernutzung hin. Eine
solche Inanspruchnahme ist nicht nachhaltig befriedigbar. Sie kommt meist nur dank Abbau an natürlichem Kapital zustande und ist nur solange aufrechtzuerhalten bis das Kapital gänzlich aufgebraucht ist. Demgegenüber sind
natürliche Ressourcen auf Dauer, das heisst nachhaltig nutzbar nur dann, wenn sie lediglich im Umfang ihrer
Erneuerung genutzt werden („Von den Zinsen statt dem Kapital leben!“).
20
Andreas Fischlin: Klimawandel – Wissensstand und politische Handlungsnotwendigkeit
schaftlicher aber auch individueller Ebene in Richtung Suffizienz sind vermutlich auch
schon alleine deshalb notwendig, damit die durch den Technologiewandel erzielbaren
Effizienzsteigerungen voll und im erforderlichen Umfang zum Tragen kommen können (Vermeidung des sog. „Rebound Effect“).
9
•
Es zeichnet sich infolge des im letzten Jahrhundert stark gesunkenen EROI und der
Überschreitung des Peak Oil bei den wichtigsten Förderstätten beim Erdöl nach ca.
2010 ein Rückgang der nutzbaren Mengen ab (Hubbert, 1949; Campbell & Laherrere,
1998; Kerr, 1998; Toman & Darmstadter, 1998; Zhao et al., 2009). Infolge der heute
einseitigen Erdölabhängigkeit ist damit die Sicherheit unserer Energieversorgung,
insbesondere der Industrieländer, ohnehin, möglicherweise schon bald in Frage gestellt. Ähnliches gilt für andere nicht erneuerbare Ressourcen (Fischlin et al., 1991;
Vitousek et al., 1997; Raven, 2002).
•
Das Wachstum der menschlichen Bevölkerung hält an. Bis Mitte Jahrhundert dürfte
sie um weitere 2 Milliarden auf etwa 9 Milliarden ansteigen (Lutz et al., 2008). Knappe Ressourcen werden also pro Kopf noch knapper (Cohen, 1995; Meadows et al.,
2009) und damit verschärft sich jegliche Ressourcenproblematik bezüglich Zugang,
Verteilung und Konsequenzen für die menschliche Gesundheit, die Umwelt und das
Klima.
•
So ergeben sich auch für Fragen der sozialen Gerechtigkeit innerhalb und zwischen
den Nationen grosse und zusätzliche Herausforderungen, denen zu begegnen eine
besondere Aufgabe, insbesondere politische, darstellt (Thomas & Twyman, 2005;
Höhne et al., 2007; Raupach et al., 2007).
7.4
Fazit
Ich denke, eine vernünftige Klimapolitik heisst eine ambitiöse Klimapolitik und eine umfassende Neuausrichtung unserer Zivilisation bezüglich Nachhaltigkeit, denn nur so lassen sich
die Risiken des Klimawandels auf ein vielleicht erträgliches Mass reduzieren (Fischlin, 2009).
Alles andere erscheint fahrlässig und setzt die Zukunft unserer Zivilisation aufs Spiel. Für ein
kleines Industrieland wie der Schweiz, ergeben sich die gleichen Anforderungen wie für jedes andere Industrieland auch. Zudem dürfte sich in Anbetracht unserer Kleinheit, der starken Auslandsabhängigkeit und der Ressourcenarmut unser Wohlstand nur dann auch auf
Dauer erhalten lassen, wenn wir im Klimaschutz hinsichtlich der ohnehin früher oder später
unabwendbaren Energiewende vorausschauend handeln.
9
EROI steht für „Energy Return On Investment“ und bezeichnet das Verhältnis zwischen dem zur Förderung
eines Energieträgers aufzubringenden Energieaufwand und dem im Träger schlussendlich gespeicherten, nutzbaren Energiemenge. Sinkt der EROI auf 1, lohnt sich die Förderung energietechnisch nicht mehr, ungeachtet der
Menge allenfalls noch vorhandener, bislang ungenutzter Vorräte z.B. an Erdöl.
21
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
7.5
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25
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
8
Andrea Burkhard: Klimapolitik der Schweiz am Vorabend des Peak
Oil
Andrea Burkhardt
stv. Abteilungschefin, Sektionschefin Klima, Ökonomie und Umweltbeobachtung
Bundesamt für Umwelt (BAFU)
CH-3003 Bern
[email protected]
8.1
Einleitung
Die Klimapolitik ist eng verzahnt mit dem Energieverbrauch, insbesondere dem Verbrauch
fossiler Brenn- und Treibstoffe. Der fossile Energieverbrauch ist hauptverantwortlich für die
Treibhausgasemissionen auf Schweizer Territorium; das aus der Verbrennung hervorgehende CO2 macht rund 80 Prozent davon aus. Das bedeutet: Wenn wir Klimapolitik machen,
machen wir ebenso Energiepolitik – und vice versa.
Auch in der Klimapolitik sind wir mit Fragen der Endlichkeit konfrontiert; die Klimawissenschaften beschäftigen sich stark mit der Frage, wie viel Treibhausgase das System aufnehmen kann, ohne dass irreversible Veränderungen zu erwarten sind. Einzelne Auswirkungen
des Klimawandels werden uns voraussichtlich in den nächsten Jahrzehnten sehr konkret vor
Augen führen, dass beispielsweise die im Gletschereis gebunden Wasservorräte – ebenso
wie die Erdölvorräte – zur Neige gehen. Davon wird wiederum ein wichtiger, nicht fossiler
Teil unserer Energieversorgung tangiert werden: Die Stromproduktion der Schweiz ist mit
den Wasserkraftwerken und mit den wassergekühlten Kernkraftwerken direkt von Wassermenge und -temperatur in den Fliessgewässern abhängig.
8.2
Architektur des internationalen Klimaregimes
Auf internationaler Ebene haben sich die Staaten im Rahmen der UNO organisiert. Die Verabschiedung der Klimakonvention (UNFCCC) anlässlich des Erdgipfels 1992 war ein Meilen26
Andrea Burkhard: Klimapolitik der Schweiz am Vorabend des Peak Oil
stein für ein koordiniertes Vorgehen auf internationaler Ebene. Die Industrieländer verpflichten sich im Rahmen der Konvention zu Massnahmen zur Emissionsreduktion sowie zur Unterstützung der Entwicklungsländer bei der Anpassung an den Klimawandel.
Seit 1995 treffen sich die Unterzeichnerstaaten der Klimakonvention jährlich zur Konferenz
der Vertragsparteien (Conference of the Parties, COP). Zu den bisher wichtigsten Resultaten
der Konferenzen zählen das Kyoto-Protokoll von 1997, das den Industriestaaten verbindliche
Reduktionsziele auferlegt, und die Marrakech Accords von 2001, welche die Umsetzung des
Kyoto-Protokolls regeln.
Abbildung 1: Internationale Klimapolitik
Die Mission der Klimakonvention, die von fast allen Staaten der Welt unterzeichnet ist, lautet:
Es soll die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre auf einem Niveau stabilisiert werden, das eine gefährliche Störung des Klimasystems verhindert. Konkret heisst dies, dass je
nach Bevölkerungsentwicklung die Emissionen pro Kopf auf 1 bis 1,5 Tonnen CO2eq zu beschränken sind. Heute sind wir weit von diesem Ziel entfernt, nämlich bei etwa 6 Tonnen pro
Kopf weltweit. Das bedeutet, dass einerseits die Industriestaaten ambitiöse Reduktionsziele
verfolgen müssen, andererseits aber auch die Schwellen- und Entwicklungsländer substantielle Leistungen zu erbringen haben.
Ein weiterer wichtiger Meilenstein ist nun die Klimakonferenz in Kopenhagen im Dezember
2009. Dort will man weitere Reduktionsziele in einem Nachfolgeabkommen zum KyotoProtokoll vereinbaren und in ein mittelfristiges Regime für den Zeitraum 2013 bis 2020 einbetten. Bis 2050 – das ist in politischer Währung schon sehr langfristig – müssen die Emissionen noch deutlich weiter sinken, nämlich weltweit um mindestens 50 bis 80 Prozent. Für die
Industriestaaten bedeutet dies sogar, dass sie zwischen 80 und 95 Prozent reduzieren müssen.
27
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
8.3
Nationales klimapolitisches Umfeld
Die Schweizer Klimapolitik verfolgt mit dem bestehenden, heute gültigen CO2-Gesetz das
Ziel, die im Kyoto-Protokoll eingegangene Verpflichtung (8 % Reduktion im Zeitraum 20082012 gegenüber 1990) zu realisieren. Die Prognosen des BAFU lassen erwarten, dass wir
das Ziel knapp erreichen. Die zukünftige nationale Klimapolitik kennt zurzeit drei politische
Projekte, die allesamt Reduktionen des CO2-Ausstosses im Jahr 2020 gegenüber dem Niveau von 1990 anstreben.
Abbildung 2: Vorliegende politische Projekte
Die Revision des CO2-Gesetzes versteht sich als indirekter Gegenvorschlag zur Klimainitiative. Dazu kommt auf der nationalen Bühne ein wichtiges neues Element: Ab dem Jahr 2010
werden maximal 200 Millionen Franken aus der CO2-Lenkungsabgabe für die Gebäudesanierung und für erneuerbare Energien im Gebäudebereich verwendet.
8.3.1
Reduktionsziele bis 2020
Das in der Botschaft entworfene CO2-Gesetz sieht in der Basisvariante eine Reduktion von
20 Prozent (gegenüber 1990) vor. Sollten sich andere Industriestaaten im Rahmen der internationalen Verhandlungen ebenfalls zu weitergehenden Zielen bekennen, will der Bundesrat
sich sogar zu 30 Prozent Reduktion verpflichten. Im Unterschied zum heute gültigen CO2Gesetz, das auf CO2 fokussiert, soll das neue Gesetz alle relevanten Treibhausgase erfassen und damit das internationale Klimaregime adäquat abbilden.
Die Reduktionsziele für die einzelnen Sektoren sind so festgelegt, dass das Gesamtziel eingehalten werden kann, auch wenn die Methanemissionen aus der Landwirtschaft und weitere nicht energetische Emissionen nur geringfügig zurückgehen. Umso grösser muss aus
diesem Grund die Reduktion in den drei Sektoren Fahrzeuge, Gebäude und Industrie ausfallen.
28
Andrea Burkhard: Klimapolitik der Schweiz am Vorabend des Peak Oil
Abbildung 3: Reduktionsziele einzelner Sektoren bis 2020 gegenüber 1990
8.3.2
Massnahmen
Das CO2-Gesetz hat den Vorzug, dass es bereits ein ganzes Paket von Massnahmen bereithält, mit denen die Reduktionsziele zu erreichen sein müssten. Die wichtigsten werden im
Folgenden kurz aufgeführt.
8.3.2.1 Instrumente Fahrzeuge
•
Der CO2-Emissionszielwert für den Durchschnitt der neu verkauften Personenwagen
wird verbindlich festgelegt. Diese Massnahme ist bereits ab 2012 vorgesehen.
•
Einführung der Pflicht für Hersteller und Importeure von fossilen Treibstoffen, mindestens einen Viertel der verursachten Treibstoffemissionen durch Treibhausgas mindernde Massnahmen im In- oder Ausland zu kompensieren. Bei Bedarf, d.h. wenn
die Massnahme nicht die beabsichtige Wirkung erzielt, ist 2015 und 2018 eine Erhöhung der Kompensationspflicht auf maximal 35% möglich. Die betroffenen Unternehmen können sich zu Kompensationsgemeinschaften zusammenschliessen.
•
Zusätzlich kann auch eine CO2-Lenkungsabgabe auf Treibstoffen eingeführt werden,
falls dies zur Zielerreichung notwendig sein sollte.
8.3.2.2 Instrumente Gebäude und Industrie
Das wichtigste Element ist hier die CO2-Abgabe auf Brennstoffen, die ja bereits eingeführt
ist. Sie beträgt laut Vorschlag des Bundes mindestens 36 Fr. pro Tonne CO2, das heisst etwa 9 Rappen pro Liter Heizöl. Erzielt die Abgabe nicht genügend Wirkung, kann der Bund
sie in zwei Schritten erhöhen. Die Idee dahinter ist, dass die Verteuerung der Brennstoffe
Anreize zur Effizienz sowie zum Umstieg auf andere Energieträger setzt.
Das bereits erwähnte Gebäudeprogramm, das mit 200 Millionen aus diesen Mitteln alimentiert wird, soll weitergeführt werden. Es ist auf eine Dauer von 10 Jahren angelegt und wird
nach 5 Jahren evaluiert. Das Programm ist zweigeteilt: Mindestens zwei Drittel der Mittel
fliessen über Programmvereinbarungen mit den Kantonen in energetische Gebäudesanierungen. Maximal ein Drittel steht für erneuerbare Energien, Abwärmenutzung und Gebäude29
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
technik zur Verfügung. Der Rest – ca. 400 Mio. Franken im Jahr – fliesst via Krankenkassen
an die Bevölkerung und via AHV-Kassen an die Unternehmen zurück.
Für Industriebetriebe gibt es weiterhin die Möglichkeit, sich von der Lenkungsabgabe befreien zu lassen, wenn sie ihretwegen in ihrer Wettbewerbsfähigkeit eingeschränkt würden. Von
der Abgabe befreite Unternehmen vereinbaren mit dem Bund ein Reduktionsziel. Wie sie
diese Ziele erreichen, ist letztlich ihre Sache. Sie können auch Emissionsrechte von anderen
Unternehmen oder in beschränktem Umfang ausländische Emissionszertifikate anrechnen.
Für Unternehmen mit einem Ausstoss ab 5'000 Tonnen pro Jahr ist ein Cap and TradeSystem vorgesehen, das möglichst mit demjenigen der EU verbunden werden soll.
Abbildung 4: Inländischer Emissionshandel (ETS) und internationaler Zertifikatehandel
8.3.2.3 Wirkungsabschätzung der verschiedenen Massnahmen
Welche Wirkungen werden nun den oben aufgeführten Massnahmen zugeordnet? Für eine
Reduktion von 20 Prozent gegenüber 1990 müssen insgesamt rund 10,5 Millionen Tonnen
CO2eq eingespart werden. Ein bedeutender Teil (64%) ist als Inlandleistung vorgesehen.
30
Andrea Burkhard: Klimapolitik der Schweiz am Vorabend des Peak Oil
CO2-Reduktion (Mio. Tonnen CO2eq)
2012
0
2013
2014
2015
2016
2017
2018
2019
2020
-1
-2
-3
-4
-5
-6
Gebäudeprogramm
Lenkungsabgabe
ETS (Inland)
PW-Emissionsvorschriften
Pfand
Abbildung 5: Wirkungsabschätzung der geplanten Massnahmen bis 2020
8.3.3
Anpassung an die Klimaänderung
Ein neues Element im revidierten Klimagesetz ist das Thema Adaptation, also die Anpassung an die Klimaänderung. Hier soll der Bund eine koordinierende Funktion wahrnehmen
und Grundlagen erarbeiten sowie Wissenslücken schliessen zu den Risiken und Auswirkungen der Klimaänderung. Auf dieser Basis entwickelt der Bund eine Anpassungsstrategie,
wobei hier zu betonen ist, dass er dies in Absprache mit den Kantonen und der Privatwirtschaft (z.B. Gebäudeversicherungen) tun soll, da die eigentlichen Massnahmen ja vor allem
lokaler Natur sind und sein werden.
8.3.4
Sekundärer Nutzen
Neben der primären Klima-Wirkung haben klimapolitische Massnahmen im Inland eine Anzahl positiver Nebeneffekte:
•
Rückgang des fossilen Energieverbrauchs und damit verbundener externer Kosten
(z.B. Gesundheitskosten infolge von Luftschadstoffen)
•
Investitionen in klimafreundliche Technologien
•
Reduktion der Auslandabhängigkeit durch Rückgang der Ölimporte um 13% (17%)
Æ verringerter Geldabfluss von 1 bis 1,5 Mrd. Fr.
•
Geringeres Risiko infolge von Ölpreisschwankungen
•
Geringeres Risiko von Klimaänderungen, wenn internationales Klimaregime post
2012 griffig
Æ weniger Klimaschäden und damit weniger Anpassungsbedarf
Æ geringere Risikoexposition der Exportwirtschaft
31
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
8.3.5
Moderate volkswirtschaftliche Auswirkungen
Die volkswirtschaftlichen Auswirkungen der vorgeschlagenen Reduktionsmassnahmen bis
zum Jahr 2020 sind moderat. Es ist mit keinen nennenswerten Wachstums- und
Wohlstandseinbussen zu rechnen. Zudem sind keine gravierenden Auswirkungen auf die
Wirtschaftsstruktur der Schweiz zu erwarten.
8.4
Ausblick
Wie geht es weiter in der Klimapolitik? Sowohl auf der nationalen wie auch auf der internationalen Ebene sind zahlreiche Meilensteine in Sichtweite:
Abbildung 6: Meilensteine der nationalen und internationalen Klimapolitik
8.5
Fazit
Die Klimapolitik nach 2012 setzt den Treibhausgasemissionen Grenzen. Man könnte sagen,
sie baut ein Fass mit Boden. Wir haben Ziele und Massnahmen, wir gehen sowohl die Ursachen als auch die Folgen der Klimaänderung an.
32
Patrick Hofstetter: Die Diskrepanz zwischen wissenschaftlich Nötigem und politischer Trägheit. Wo harzt es in der Schweizer
Klimapolitik?
9
Patrick Hofstetter: Die Diskrepanz zwischen wissenschaftlich Nötigem und politischer Trägheit. Wo harzt es in der Schweizer Klimapolitik?
Dr. Patrick Hofstetter
Leiter Klimapolitik WWF Schweiz
WWF Schweiz
Hohlstrasse 110
CH-8010 Zürich
[email protected]
9.1
Einleitung
Die Ausgangslage wäre klar. Um gefährliche Auswirkungen des Klimawandels zu verhindern, darf die globale Erwärmung nach heutigem Kenntnisstand 2 Grad Celsius sicher nicht
überschreiten. Daraus kann abgeleitet werden, wie schnell und stark die weltweiten Emissionen reduziert werden müssen. Eine Reduktion der Treibhausgasemissionen in Industrieländern um 40% bis 2020 wird als nötig erachtet, damit die globalen Emissionen noch vor 2017
zu sinken beginnen und die Bedürfnisse der Entwicklungsländer nicht zusätzlich eingeschränkt werden. Die Schweizer Klimapolitik des Bundesrates und der economiesuisse bleibt
weit dahinter zurück und ignoriert die Chancen und den volkswirtschaftlichen Nutzen einer
aktiven Klimapolitik. Trotz hohem Problembewusstsein der Schweizer Bevölkerung scheint
die Mehrheit der EntscheidungsträgerInnen in Politik und Verbänden nicht bereit, den Schritt
in eine klimaverträgliche Zukunft zu tun und das fossile Zeitalter, welches uns alle satt gemacht hat, freiwillig zu verlassen.
9.2
Reduktionsziele am 2-Grad-Ziel orientieren
Die anno 1992 in Rio verabschiedete Uno-Klimarahmenkonvention will in ihrem Zweckartikel
nichts weniger als die Verhinderung von gefährlichen Auswirkungen des Klimawandels. Solche gefährlichen Auswirkungen sind zwar schon manchenorts zu beobachten. Aber überproportional zunehmen werden sie mit grosser Wahrscheinlichkeit gemäss heutiger wissen33
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
schaftlicher Erkenntnisse bei einer weltweiten Erwärmung von 2 Grad Celsius und mehr gegenüber vorindustriellem Wert. Darum haben bereits über 120 Länder – darunter seit kurzem
auch die Schweiz – verkündet, dass eine Erwärmung von mehr als 2 Grad Celsius bzw. die
damit verbundene Gefahr katastrophaler Klimafolgen untragbar seien. U.a. eine grosse
Gruppe von Inselstaaten fordert aus nachvollziehbaren Gründen, die Erwärmung auf unter
1.5 Grad zu begrenzen, um solche Folgen mit grosser Sicherheit statt nur Wahrscheinlichkeit
weitgehend zu vermeiden.
Wird eine Erwärmungsgrenze gesetzt und gesagt, mit welcher Wahrscheinlichkeit diese unterschritten werden soll, dann können Klimamodellierer berechnen, welche Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre längerfristig gerade noch tolerierbar ist und welche Emissionsmengen somit noch zulässig sind. Figur 1 zeigt diese Zusammenhänge. Um die Erwärmung unter 2 Grad zu halten, sind global Emissionsreduktionen von mindestens 80% bis
2050 nötig, aber auch Reduktionen in den Industrieländern um 40% von 1990 bereits bis
2020. Dies wurde kürzlich auch vom in der Schweiz zuständigen Bundesrat Moritz Leuenberger bestätigt, als er den bundesrätlichen Vorschlag in der Botschaft zum CO2-Gesetz ins
rechte Licht rückte:
„Für das 2-Grad-Ziel sind 40 Prozent Absenkung [der Treibhausgasemissionen gegenüber
1990] das rechnerische und logische Ergebnis. Insofern sind selbst die 20 Prozent ein unbefriedigender Kompromiss.“ (Basler Zeitung 18.11.2009)
Figur 1: Sechs Stabilisierungsszenarien, wie sie vom IPCC berechnet wurden, wobei zwischen roter
und blauer Linie jeweils die 66% der wahrscheinlichsten Temperaturerhöhung gezeigt wurde. Eine
Treibhausgaskonzentration von 445ppm CO2-Äq (linkes Ende des grünen Szenarios I) hat somit eine
50% Wahrscheinlichkeit (schwarze Linie), dass die globale Erwärmung unter 2 Grad bleibt. Soll die
Erwärmung mit einer Wahrscheinlichkeit von 83% unter 2 Grad bleiben, so muss die Treibhausgaskonzentration auf 375ppm CO2-Äq reduziert werden (siehe rote Pfeile). Die Hinweisblasen zeigen die
nötigen Emissionsreduktionen der Industrieländer von 1990 bis 2020. Gleichzeitig müssen die NichtIndustrieländer ihre Emissionen um 15-30% unter deren unkontrollierte Referenzentwicklung senken
(IPCC 2007).
34
Patrick Hofstetter: Die Diskrepanz zwischen wissenschaftlich Nötigem und politischer Trägheit. Wo harzt es in der Schweizer
Klimapolitik?
9.3
Sonderfall Schweiz
Es könnte natürlich sein, dass die Schweiz gar kein Interesse an der Bekämpfung des gefährlichen Klimawandels hat, oder schon alles dafür getan hat, oder aber sie sich im Unterschied zu anderen Ländern eine aktive Klimapolitik gar nicht leisten kann. Tatsächlich gibt es
Entscheidungsträger und Lobbygruppen, die solche Argumente ins Feld führen. Deshalb soll
hier mit ein paar Mythen aufgeräumt werden (siehe auch Fricker et al. 2007).
Während es seit Beginn der Industrialisierung weltweit bisher um 0.74 Grad Celsius wärmer
geworden ist, sind es in der Schweiz bereits 1.5 Grad. Aufgrund der zentralkontinentalen
Lage und der durch das Abschmelzen der Gletscher abnehmende Albedo, welche wiederum
die Absorption und damit Erwärmung verstärkt, dürfte sich die Schweiz auch in Zukunft
überdurchschnittlich stark erwärmen. Deshalb macht es sicherlich Sinn, sich in der Schweiz
auf eine Erwärmung um 3 bis 5 Grad bis Ende 2100 einzustellen, was nicht nur die Alpenlandschaft und -wirtschaft neu definieren wird.
Schon heute liegt die Schweiz bei den wetterbedingten Schäden pro Kopf unter den TopTen-Ländern – in den letzten Jahren sogar oft als einziges Industrieland. Selbst wenn die
Erfassung und Schadensabdeckung dank der ausgebauten, obligatorischen Gebäudeversicherung hoch ist und die Vergleichbarkeit der Daten somit schmälert: Wir wissen alle, dass
die fragile Alpenwelt und die grossen Niederschlagsmengen im Wasserschloss Europas tatsächlich erhebliches Zerstörungspotential haben. Die Schweiz ist also vom Klimawandel
stärker betroffen als andere Industrieländer.
9.4
Wo stehen die Treibhausgasemissionen der Schweiz?
Das CO2-Gesetz will die CO2-Emissionen von 1990 bis 2010 um 10% reduzieren. Bis 2008
ist lediglich eine Stabilisierung auf dem Niveau von 1990 gelungen und Bundesrat und Parlament nehmen es hin, dass die gesetzten Ziele verfehlt werden. Optimistisch ist der Bundesrat, dass die Kyoto-Ziele erreicht werden können (Reduktion der Treibhausgase um 8%
im Durchschnitt von 2008-2012 gegenüber 1990). Neben Rechentricks (Emissionsreduktionen im Ausland, CO2-Absorption durch Wälder) hofft der Bundesrat vermutlich vor allem
auch auf milde Winter ohne Sturmschäden. Anders sind die Ziele kaum zu erreichen.
Gebäudeheizungen und der Strassenverkehr sind in der Schweiz mit Abstand die grössten
Emissionsquellen. Figur 2 zeigt einen Vergleich der CO2-Emissionen pro Wohnung in verschiedenen Ländern. Dabei zeigt sich klar, was wir eigentlich schon wussten: Die Schweiz ist
ein Land von ölbeheizten Häusern. Ob dies damit zu tun hat, dass das Heizöl nirgends in
Europa billiger ist als in der Schweiz?
35
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
CO2-Emissionen pro Wohnung [t/a]
5
4.5
4
3.5
3
2.5
2
1.5
1
0.5
Sw
U
itz K
er
la
n
Be d
lg
iu
m
I re
la
nd
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ly
G
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15
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Po
N
or
w
ay
0
Figur 2: Vergleich der Schweiz mit den EU-15-Ländern (Daten: Odyssee, BFE)
Noch schlechter schneidet der schweizerische Neuwagenpark ab. Seit Jahren stellt die
Schweiz die klimaschädlichste Neuwagenflotte auf die Strasse (Figur 3). Die Gründe hierzu
liegen nicht nur in der grossen Kaufkraft, sondern auch beim billigen Benzin und der im Vergleich mit anderen Ländern sehr geringen Autoimportsteuer.
CO2-Emissionen von Neuwagen in Gramm pro km (2007)
180
170
160
150
140
130
Figur 3: Emissionen von Neuwagen im Vergleich (Daten: Eurostat, auto-schweiz)
Die Beispiele Wohngebäude und Fahrzeuge zeigen, dass die Schweiz sich weder auf einem
klimaverträglichen Niveau befindet, noch klimaverträglicher wäre als vergleichbare Länder.
Figur 4 zeigt, dass die im Vergleich zu anderen OECD-Ländern tiefen pro-Kopf-Emissionen
vielmehr daher rühren, dass die Schweiz die energie- und CO2-intensive Industrie und Herstellung von Konsumgütern weitgehend ins Ausland verlagert hat und die entsprechenden
Produkte importiert. Zusätzlich zu den inländischen 7.5 Tonnen Treibhausgasemissionen pro
EinwohnerIn und Jahr kommt ein Nettoimportüberschuss von rund 11 Tonnen, und dieser
katapultiert die Schweiz in die Top Ten der Welt.
36
Patrick Hofstetter: Die Diskrepanz zwischen wissenschaftlich Nötigem und politischer Trägheit. Wo harzt es in der Schweizer
Klimapolitik?
Figur 4: Umfassende Modellierung sämtlicher weltweiter Handelsbeziehungen und deren Treibhausgasrucksack für das Jahr 2002 (Hertwich & Peters 2009)
9.5
Kosten und Nutzen aktiver Klimapolitik
Die Schweiz ist also besonders betroffen vom Klimawandel und gehört zu den Grossemittenten. Wie sehen denn die Kosten und Nutzen einer aktiven Klimapolitik aus? Das Beratungsunternehmen McKinsey hat in einer aktuellen Studie (Figur 5) dargelegt, dass die Schweiz
bei einem durchschnittlichen Ölpreis von 100$/Barrel bis 2030 18.4 Mio. t CO2-Äq reduzieren
kann und sich jede Massnahme selber zurückzahlt oder gar satte Erträge abwirft. Heute bekannte Technologie genügt. Die Massnahmen konzentrieren sich dabei auf den Strassenverkehr und Gebäude und bestätigen das grosse Klimaschutzpotential dieser Sektoren. Um
dieses Potential auch zu realisieren, müssten alle Entscheidenden vollständig informiert sein
und volles Vertrauen haben, dass sich ihre Investition tatsächlich zurückzahlt. Denn die Kosten beziehen sich auf die technische Lebensdauer der getroffenen Massnahmen und einen
realen Zinssatz von 2.5%, welcher keine Restrisiken zulässt.
37
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
Figur 5: Grenzvermeidungskosten von Klimaschutzmassnahmen in der Schweiz. Negative Kosten auf
der Abszisse entsprechen Nettonutzen der Erträge. Die Kosten beinhalten keine Transaktionskosten
und berücksichtigen keine sekundären Nutzen (McKinsey 2009a).
Auch eine Untersuchung von Infras (2008) bestätigt, dass selbst bei Wirtschaftswachstum
gemäss offiziellen Langfristprognosen bis 2035 die CO2-Emissionen um 60% reduziert werden können, ohne das als Modellinput geforderte Wirtschaftswachstum zu verlangsamen
(Figur 6). Ob bei abgeschwächtem Wirtschaftswachstum die Emissionen noch stärker gesenkt werden könnten, wurde nicht untersucht.
38
Patrick Hofstetter: Die Diskrepanz zwischen wissenschaftlich Nötigem und politischer Trägheit. Wo harzt es in der Schweizer
Klimapolitik?
Figur 6: Nicht nur die inländischen sondern auch die grauen Emissionen wurden für das Reduktionsziel von 60% bis 2035 berücksichtigt. Die nötigen Massnahmen konzentrieren sich auf die Verbesserung von Energieeffizienz und der Substitution von fossilen durch erneuerbare Energien. Der kleine
Anteil der Suffizienz ist eine Konsequenz der Internalisierung externer Kosten in die Energiepreise
und damit den Verzicht auf besonders energieintensive und damit verteuerte Produkte.
Studien zu den wirtschaftlichen Auswirkungen von Klimaschutzmassnahmen modellieren oft
nur direkte Kosten und Nutzen. Deshalb wurde in Econcept (2009) der luftschadstoffbedingte
Sekundärnutzen im Jahre 2020 von verschiedenen Klimaschutzzielen untersucht. Während
es die Bundesratsbotschaft mit einer CO2-Reduktion von 10-15% im Inland gerade auf Zusatznutzen von rund 100 Mio. Fr. pro Jahr bringt, verspricht das Ziel der eidgenössischen
Volksinitiative für ein gesundes Klima (-30% im Inland von 1990 bis 2020) Zusatznutzen von
540 Mio. Fr. pro Jahr und das Ziel der Allianz für eine verantwortungsvolle Klimapolitik (40%) gar 800 Mio. Fr. pro Jahr. Denn je weniger fossile Energien verbrannt werden, desto
geringer die Luftbelastung und desto weniger schadstoffbedingte Krankheitsfälle und vorzeitige Todesfälle.
Noch schwieriger zu quantifizieren sind die Vorteile einer aktiven Klimapolitik für Innovation
und Wettbewerbsfähigkeit. Zwar wurden diese Vorteile in aktuellen Studien gezeigt
(Bretschger 2009, Cadot et al. 2009), sie werden aber gerne ignoriert. Fakt ist, dass die
Schweiz bezüglich Patenten und Wettbewerbsfähigkeit regelmässig Spitzenplätze belegt und
ihr heutiger Wohlstand massgeblich auf diesen Faktoren beruht. Wie Figur 7 jedoch zeigt,
war die Tendenz in 6 von 8 Umwelttechnologiebereichen negativ. Andere Länder mit aktiverer Umweltpolitik holen auf und überholen uns.
39
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
Patente
Tendenz
Relativer Rang
Patentantei
l‐Index
Aussenhandelsspezialisierung
Relativer komparativer Rang
Vorteil‐Index
Energieerzeugung
Energieeffizienz
40
11
1
4
abnehmend
Stark abnehmend
48
26
3
4
Materialeffizienz
Nachhaltige Mobilität
Nachhaltige Wasserwirtschaft
42
‐18
‐15
1
7
8
Zunehmend
abnehmend
abnehmend
‐42
‐58
18
9
10
5
Abfall‐ und Kreislaufwirtschaft
‐15
8
abnehmend
50
6
Weisse Biotechnologie
Nanotechnologie
‐12
‐3
6
5
zunehmend
abnehmend
0
50
4
2
Figur 7: Für die Tendenz wurden die Jahre 2004-2006 mit der Periode 2001-2003 verglichen. Die
Untersuchung konzentrierte sich auf die export- und technologiestärksten Länder der Welt (UBA 2008,
Innovationsdynamik und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in grünen Zukunftsmärkten)
9.6
Die Schweiz fährt beim Klimaschutz international besonders günstig
Die offiziellen Uno-Buchhaltungsregeln des Kyoto-Protokolls berücksichtigen pro Land nur
die Inlandemissionen. Da die Reduktionsziele für Klimagase in Prozent ausgehandelt werden, fährt die Schweiz besonders günstig. Wie Figur 4 (Seite 37) zeigt, emittieren Kanada
und die Schweiz praktisch gleich viel pro Kopf und Jahr, wenn Import und Export berücksichtigt werden: rund 18t CO2-Äq. Wird der Handel nicht berücksichtigt, werden also nur Inland10
emissionen betrachtet, so bleiben die Emissionen für Kanada auf unglaublichen 18 Tonnen,
für die Schweiz sinken sie jedoch auf nur noch 7.5 Tonnen. Bei einer Reduktionsvorgabe von
40% bis 2020 für beide Länder müsste Kanada demnach pro Kopf über 7 Tonnen reduzieren, die Schweiz jedoch nur 3 Tonnen. Das gleiche prozentuale Reduktionsziel ist deshalb
für Länder mit hohen Inlandemissionen nicht etwa leichter zu erzielen, sondern deutlich ambitiöser. Ausser natürlich, wenn die Emissionen in Kanada viel billiger zu reduzieren wären
als in der Schweiz.
Figur 5 hat zwar bereits gezeigt, dass die Emissionsreduktionen in der Schweiz äusserst
günstig sind. Trotzdem soll für diese Fragestellung auch noch Figur 8 beigezogen werden.
Diese Grafik zeigt, dass die Schweiz mit so günstigen Kosten pro Tonne reduziertem Treibhausgas rechnen kann, gerade weil sie ihre Hauptemissionen in den Bereichen Gebäude
und Verkehr hat. Reduktionen bei der Schwerindustrie kosten deutlich mehr. Einzig die nötigen Investitionen in die Massnahmen sind in den Bereichen Gebäude und Verkehr höher.
Nur ist dies im Land der Finanzwirtschaft kein Nachteil, sondern sogar ein Vorteil!
Die Schweiz profitiert also davon, dass Reduktionsziele in Prozenten festgelegt werden und
die Hauptemissionssektoren der Schweiz besonders günstige Vermeidungskosten aufwei10
In Figur 4 werden für die Emissionen im Inland abzüglich der Emissionen in exportierten Produkten rund 15
Tonnen pro Kopf ausgewiesen. Ohne diesen Abzug, gemäss den Buchhaltungsregeln des Kyoto-Protokolls, sind
es rund 18 Tonnen pro Kopf.
40
Patrick Hofstetter: Die Diskrepanz zwischen wissenschaftlich Nötigem und politischer Trägheit. Wo harzt es in der Schweizer
Klimapolitik?
sen. Gleichzeitig verursacht der Konsum in der Schweiz grosse Mengen grauer Emissionen
im Ausland. Deshalb fordert die Allianz für eine verantwortungsvolle Klimapolitik, dass auch
11
jene grauen Emissionen durch Massnahmen im gleichen Umfang reduziert werden .
Figur 8: Viele Klimaschutzmassnahmen verursachen anfänglich zusätzliche Investitionskosten, welche
sich je nach Ersparnis von fossilen Energien und deren Marktpreis über die Lebensdauer amortisieren. Die Investitionsintensität ist auf der x-Achse aufgetragen, die resultierenden Nettokosten über die
technische Lebensdauer auf der y-Achse. Dabei handelt es sich um weltweite Mittelwerte für die wichtigsten Sektoren (McKinsey 2009b).
9.7
Wo steht die Schweiz bezüglich Verhandlungsangeboten?
Für die Zeit nach der ersten Verpflichtungsperiode des Kyoto-Protokolls (2008-2012) sind
alle Industrieländer aufgefordert, Reduktionsangebote einzureichen, damit der 2007 an der
Klimakonferenz in Bali vereinbarte Zielkorridor von 25-40% Reduktion der Treibhausgasemissionen realisiert werden kann. Wie Figur 9 trefflich illustriert, sind die bisherigen Verhandlungsangebote keinesfalls berauschend. Dies hat auch damit zu tun, dass man bei Verhandlungen nicht alle Karten von Beginn weg auf den Tisch legen will. Als taktisches Argument mag das taugen, wenn es um andere multilaterale Verhandlungen geht, die auch über
mehrere Jahre ohne Schaden verzögert werden können. Beim Klimaschutz geht es jedoch
nicht um irgendeinen Kompromiss. Ziel muss sein, das weitestgehend mögliche Abkommen
zu treffen, um den Klimakollaps abzuwenden.
11
http://www.klimaallianz.ch/ , http://assets.wwf.ch/downloads/vernemlassungsantwort_co2_gesetz.pdf
41
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
Figur 9: Verhandlungsangebote im August 2009
Das Verhandlungsangebot der Schweiz richtet sich im Wesentlichen nach der Botschaft des
Bundesrates zur Revision des CO2-Gesetzes. Hierzu schreibt die Botschaft (S.34): „Bei der
Festlegung der zukünftigen Reduktionsziele für die Schweiz stützt sich der Bundesrat auf
wissenschaftliche Erkenntnisse des IPCC und dem Grundsatz der gemeinsamen aber differenzierten Verantwortung in den internationalen Verhandlungen“. Zu erwarten wäre also,
dass die Schweiz ihre Emissionen um 40% bis 2020 reduziert. Ein Irrtum: Trotz diesem Bekenntnis reduziert die Schweiz ihre Emissionen im Basisfall nur um 20% von 1990 bis 2020.
Davon sogar bis zur Hälfte im Ausland, womit also eine Inlandreduktion von 10% bleibt. Falls
sich die EU, die USA und grosse Schwellenländer ebenfalls zu mehr Klimaschutz verpflichten, würde die Schweiz auf 30% erhöhen (davon mindestens 15% im Inland). Wie Bundesrat
Leuenberger richtig erklärte: Dieses Verhandlungsangebot hat nichts mit dem zu tun, was
die Schweiz tun müsste. Figur 10 zeigt auch, dass andere europäische Länder deutlich weiter gehen wollen, falls ein neues Klimaabkommen zu Stande kommt.
Die Schweiz fällt also mit ihrem aktuellen Verhandlungsangebot und Gesetzesentwurf klar
hinter die Länder mit aktiver Klimapolitik zurück. Die Diskrepanz zur Forderung der Allianz für
eine verantwortungsvolle Klimapolitik (Reduktion 40% im Inland plus nochmals gleichviel im
Ausland) ist riesig. Es liegt nun am Parlament, den ungenügenden Entwurf des Bundesrates
grundlegend zu überarbeiten.
42
Patrick Hofstetter: Die Diskrepanz zwischen wissenschaftlich Nötigem und politischer Trägheit. Wo harzt es in der Schweizer
Klimapolitik?
0
-5
-10
7%
21%
Kyoto-Ziele bis 2010
-15
-20
-25
Anteil CDM/JI
Anteil Inland
-30
-35
-40
-45
Wahrscheinlichkeit grösser 50%, dass Stabilisierung
unter 2 Grad Erwärmung
Figur 10: Angekündigte Treibhausgas-Emissionsreduktionsziele von 1990 bis 2020, falls ein neues
globales Klimaabkommen zu Stande kommt. Rot eingetragen die geltenden Reduktionsziele von 1990
bis 2010 gemäss Kyoto-Protokoll.
9.8
Aktuelle Beispiele ungenügender politischer Rahmenbedingungen
Anhand von drei Beispielen aus dem Jahre 2009 soll gezeigt werden, dass wir heute weit
weg von einer aktiven Energie- und Klimapolitik sind.
1. Die Vernehmlassungsunterlagen des BFE zur Festlegung von Mindeststandards für
elektrische Geräte machten Vorgaben, welche den Stromverbrauch bis 2020 gerade
um 1% reduziert hätten. Die Umweltverbände haben darauf einen umfassenderen
Vorschlag vorgelegt, welcher mit Anwendung der best practice eine Reduktion von
10% ermöglicht hätte. Verabschiedet wurde nun ein Vorschlag, welcher den Stromverbrauch um 1.5% reduzieren soll. Allerdings steht dieser bereits wieder auf der Abschusslinie, weil damit das Cassis de Dijon-Prinzip verletzt würde.
2. Die Vernehmlassungsunterlagen der UREK-S zur Einführung eines Bonus-MalusSystems für Neuwagen hätte eine Reduktionswirkung von 0.2 Mio. Tonnen CO2 bis
2020 erlaubt. Dies obschon mit einem zielgenauen Bonus-Malus basierend auf handelbaren Verbrauchsgutschriften eine Reduktion von 2 Mio. Tonnen CO2 möglich und
nötig wäre.
3. Die Vernehmlassungsunterlagen des Bundesrates zur Revision des CO2-Gesetzes
schlagen vor, den heute gültigen Maximalsatz für die CO2-Abgabe von 210 auf 120
Fr./t CO2 zu reduzieren. Eine Erhöhung wäre dagegen angemessen, angesichts der
fehlenden Wirksamkeit der aktuellen Klimapolitik.
9.9
Eine integrierte Sichtweise ist angebracht
Eine aktive Klimapolitik darf nicht nur das Anliegen des Umweltministers bleiben. Alle Departemente sind oder werden davon betroffen. Es geht eben nicht einfach nur um eine Redukti43
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
on der Treibhausgase: Neue Sicherheitsfragen stellen sich und künftig werden auch Klimaflüchtlinge von der Schweiz Hilfe erwarten. Anpassungsmassnahmen und Vorsorge gegen
Naturgefahren müssen koordiniert, geplant und bezahlt werden. Peak Oil, Peak Gas und
Peak Uranium sowie das Bedürfnis einer hohen Versorgungssicherheit sind direkt an die
Klimapolitik gekoppelt. Investitionen in grüne Technik beleben die Schweizer Wirtschaft und
bremsen den auch geopolitisch nicht ungefährlichen Abfluss von Petrodollars – eine Winwin-Situation. Wir brauchen eine integrierte Wirtschafts-, Finanz-, Sicherheits-, Entwicklungs, Energie- und Klimapolitik.
9.10 Der Umbau hin zu einem postfossilen Wirtschaftssystem ist attraktiv
Wollen wir bis 2050 auf das Verbrennen fossiler Energien verzichten, dann müssen wir unsere Infrastruktur jetzt auf das postfossile Zeitalter vorbereiten. Ein Umbau ist unerlässlich, und
je früher ein Land diesen Umbau angeht, desto weniger zukunftsunverträgliche Investitionsentscheide werden gefällt und desto eher kann sich die Schweiz auf dem Markt mit klimaverträglichen Lösungen behaupten. Der Bundesrat liess die wirtschaftlichen Folgen seines Vorschlages zur künftigen Klimapolitik abschätzen und die Botschaft zur Revision des CO2Gesetzes fasst die Ergebnisse wie folgt zusammen (S. 4 in der Botschaft): „Die volkswirtschaftlichen Auswirkungen der vorgeschlagenen Reduktionsmassnahmen bis zum Jahr 2020
sind moderat. Es ist mit keinen nennenswerten Wachstums- und Wohlfahrtseinbussen zu
rechnen. Zudem sind keine gravierende strukturellen Effekte zu erwarten.“ Diese drei Sätze
fassen die Mentalität der Schweizer Politik gut zusammen: Es werden nur die Kosten und
nicht der Nutzen und die Chancen untersucht. Die Messgrösse ist das BIP. Und man will das
Fell waschen, ohne es nass zu machen, also die heutige Struktur nicht gravierend anpassen.
Die Botschaft erwähnt dann auch noch (S.71): „In den verwendeten Gleichgewichtsmodellen
sind ausserdem alle CO2-Reduktionsanstrengungen mit Kosten verbunden. […] Weitere Untersuchungen bezüglich der Vermeidungskosten in der Schweiz sind im Gange.“ Obschon
die Resultate von Figur 5 bereits im Januar 2009 vorlagen, wurde in der Botschaft vom 26.
August davon ausgegangen, dass es keine Klimaschutzmassnahmen gibt, welche netto gar
nichts kosten, sondern sogar einen Nutzen bringen. Natürlich wird in der Botschaft erwähnt,
dass es auch positive Effekte gäbe. Diese werden aber nicht quantifiziert.
9.11 Wo harzt es?
Nach dieser ausführlichen Analyse der heutigen Situation sollen nun die Ursachen für diese
Situation angesprochen werden. Für eine aktivere Klimapolitik müssen möglichst viele dieser
Punkte verbessert werden.
44
•
Der Bund versteht Klimaschutz nicht als Priorität.
•
Die multiple Dimension des Klimaproblems würde einen integrierten Ansatz verlangen, was viele Akteure überfordert.
Patrick Hofstetter: Die Diskrepanz zwischen wissenschaftlich Nötigem und politischer Trägheit. Wo harzt es in der Schweizer
Klimapolitik?
•
Die Bundesverwaltung arbeitet trotz departementsübergreifenden Arbeitsgruppen innerhalb der Amtsgärtchen, was zu wenig integrierten Programmen führt. Der aktuelle
Vorschlag zur Revision des CO2-Gestezes illustriert dies: der Bereich Land- und
Forstwirtschaft fehlt ganz einfach.
•
Das neoliberale Staatssekretariat für Wirtschaft verschläft nicht nur die Wirtschaftskrise, sondern auch die Chancen einer aktiven Klimapolitik.
•
Einzelne Kantone haben in vielen klimarelevanten Bereichen keine oder unzureichende regulatorische Kompetenz, verhindern aber gleichzeitig Massnahmen auf
Bundesebene. Hierzu als Beispiel die Antwort des Regierungsrates des Kantons Zürich zur Revision des CO2-Gesetzes (März 2009): „Mit den in den Bereichen [Gebäude, Verkehr und Industrie] bekannten Möglichkeiten ist für die Periode 2010-2020 […]
eine inländische CO2-Senkung von höchstens 1% pro Jahr denkbar. Andernfalls
müssten Mengenbeschränkungen im Verkehrsbereich oder Sanierungsverpflichtungen im Gebäudebereich ausgesprochen werden. Das lehnen wir ab, insbesondere
weil die volkswirtschaftliche Entwicklung zu stark beeinträchtigt würde.“ Anmerkung
des Autors: Eine Reduktion von 3% pro Jahr ist nötig.
•
Klimaschutz wird von Entscheidungsträgern primär als (wirtschaftliche) Last verstanden. Hierzu gibt es aber keine Evidenz.
•
Partialinteressen der fossilen Energiewirtschaft dominieren die Klimapolitik des Wirtschaftsdachverbandes economiesuisse.
•
Firmen in zukunftsfähigen Branchen lassen sich mundtot machen.
•
Verbände haben die Tendenz, jene zu schützen, die den Strukturwandel ohnehin
nicht überleben.
9.12 Ja, wir können und müssen
Die Herausforderung, gefährliche Auswirkungen des Klimawandels zu verhindern, wächst
täglich. Wir kennen alle wichtigen Antworten, haben die Technologie und wissen, dass Handeln günstiger ist als Abwarten. Deshalb haben wir Grund zur Zuversicht. Neben Zuversicht
gilt es, oben genannte Hemmnisse abzubauen und für die verschiedenen Akteure an folgenden Punkten weiterzuarbeiten:
•
Klimaschutz muss in der Bevölkerung ein prioritäres Thema bleiben.
•
Firmen und Verbände müssen sicherstellen, dass sie Marktchancen realisieren können und nicht in Strukturerhaltung erstarren.
•
Der Bund muss das „Klima“ als gemeinsame Herausforderung anpacken und übergreifende Lösungen suchen. Eine umfassende Klimapolitik wäre ein erkennbares
Zeichen hierfür.
•
Die Politik darf das Thema nicht zur links-rechts-Frage degradieren und muss ihren
Horizont über die laufende Legislatur hinaus erweitern.
45
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
Und schliesslich gilt es auch klar zu sagen, was man will, wie dies Barack Obama am
24.2.2009 getan hat:
„So I ask this Congress to send me legislation that places a market-based cap on carbon
pollution and drives the production of more renewable energy in America. That‘s what we
need.“
9.13 Quellen
Allianz für eine verantwortungsvolle Klimapolitik (2006). Klima-Masterplan; Der Weg zu einer
klimaverträglichen Schweiz. http://assets.wwf.ch/downloads/kmp_d_web.pdf
Bretschger L., Energy prices, growth, and the channels in between: theory and evidence, ETH
Zürich, June 2009
Cadot O., Gonseth C., Thanlmann Ph (2009). The Effect of Energy Efficiency Enhancement on Innovation and Competitiveness. Studie im Auftrag des Energie Trialog Schweiz und des Bundesamtes für Energie.
http://www.energietrialog.ch/cm_data/Cadot_Efficiency_Innovation_2009.pdf
Econcept 2009, Reduktion von CO2-Emissionen: Gutachten zu Sekundärnutzen durch Luftschadstoffreduktion, Zürich 2009
http://assets.wwf.ch/downloads/sekundarnutzen_wwf_09_02_16.pdf
Fricker HP., Hofstetter P. (2007). Die sieben Mythen der schweizerischen Klimadiskussion,
27.9.2007, NZZ
Hertwich & Peters 2009, Carbon Footprint of Nations: A Global, Trade-Linked Analysis, Environ. Sci.
Technol., 2009, 43 (16), pp 6414–6420 DOI: 10.1021/es803496a
http://www.carbonfootprintofnations.com/
Infras 2008, WIRTSCHAFT, WACHSTUM UND UMWELT SKIZZE EINER KLIMAVERTRÄGLICHEN
SCHWEIZER WIRTSCHAFT 2035
http://assets.wwf.ch/downloads/studie_klimavertraglicheschweiz2035.pdf
IPCC 2007, Climate Change 2007: Synthesis Report, Contribution of Working Groups I, II and III to
the Fourth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change, Core Writing Team, Pachauri, R.K. and Reisinger, A. (Eds.), IPCC, Geneva, Switzerland. www.ipcc.ch
McKinsey 2009a, SWISS GREENHOUSE GAS ABATEMENT COST CURVE, Zürich 2009 SWISS
www.mckinsey.com/locations/swiss/news.../swiss_greenhouse_gas_study.pdf
McKinsey 2009b, Version 2 of the Global Greenhouse Gas Abatement Cost Curve - January 2009
https://solutions.mckinsey.com/ClimateDesk/default.aspx
UBA 2008, Innovationsdynamik und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in grünen Zukunftsmärkten,
Berlin April 2008 http://www.isi.fhg.de/n/startseite-
e/Studie_Gruene_Zukunftsmaerkte_kurz.pdf
46
Jörg Adolf: Energiesicherheit und CO2-Lösungen – Eckpfeiler im globalen Energiemix 2050
10 Jörg Adolf: Energiesicherheit und CO2-Lösungen – Eckpfeiler im
globalen Energiemix 2050
Dr. Jörg Adolf
Abteilung Unternehmenskommunikation und Wirtschaftspolitik Shell Deutschland-Österreich-Schweiz
Shell Deutschland Oil GmbH
Suhrenkamp 71-77
D-22284 Hamburg
[email protected]
10.1 Wachstumsgrenzen, Energie und Klima
Bereits Jahre 1972 machte der Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit „Die
Grenzen des Wachstums“ auf mögliche Grenzen des globalen Wirtschaftswachstums aufmerksam. Zusammentreffend mit der ersten Ölkrise brachte es der Bericht in den folgenden
12
Jahren in vielen Ländern zum Bestseller.
Dennoch schienen die Grenzen des Wachstums noch Ende der 1990er Jahre fern. Natürliche Ressourcen wie Erdöl waren mehr als reichlich verfügbar und billig – 1998/99 lag der
Preis für ein Barrel Rohöl bei $ 10, ein weiterer Rückgang wurde befürchtet. Der ökologische
Fußabdruck der Menschheit war zwar erheblich größer geworden. Gleichwohl wähnte man
sich insbesondere in den Industrieländern – dank erfolgreicher lokaler und regionaler Umweltprogramme - ökologisch bereits auf dem richtigen Weg.
Innerhalb weniger Jahre hat sich die Wahrnehmung komplett gewandelt. Im ersten Jahrzehnt
dieses Jahrhunderts kam es zu einer ausgeprägten Verteuerung der Rohstoffe auf breiter
13
Front – nach einer langen Phase fallender Rohstoff-Preise. Am spürbarsten war der Preisanstieg beim Leit-Energieträger Öl, der innerhalb von weniger als 10 Jahren zwischenzeitlich
auf fast 150 US-Dollar pro Barrel anstieg. Und die Hinweise auf einen beschleunigten Klimawandel verdichten sich – aufgrund verbesserter wissenschaftlicher Erkenntnis oder durch
12
Inzwischen ist ein zweiter Update erschienen: Donella Meadows, Jorgen Randers, Dennis Meadows, Limits to
Growth. The 30-Year Update, White River Junction, Vermont 2004.
13
Vgl. Klaus Matthies, Rohstoffpreise 2008, HWWI Policy Report Nr. 8, Hamburg 2008, S. 5 und 13 f.; World
Bank, Global Economic Perspectives 2009. Commodities at the Crossroads, Washington 2008, S. 3.
47
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
14
häufigere Umweltschadensereignisse mit zum Teil enormen volkswirtschaftlichen Schäden.
Kein Wunder, wenn die Sicherheit und Nachhaltigkeit der künftigen Energieversorgung,
wenn unser wachstumsorientiertes, ressourcenabhängiges Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell wieder stärker ins Zentrum politischer wie gesellschaftlicher Diskussionen rücken.
10.2 Shell und Szenarien
Die wichtigste Aufgabe für die Energiewirtschaft und Klimapolitik heute lautet: Wie kann
Energieversorgung künftig sicher, bezahlbar und gleichzeitig immer nachhaltiger gewährleistet werden? Shell ist nicht nur als globales Energie-Unternehmen einer der führenden Produzenten von Erdöl und Erdgas – der Anteil an der Welt-Produktion liegt bei 2 bzw. 3%.
Shell beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Frage: Was kommt nach dem Öl? Und wie
15
wird unsere Energieversorgung morgen aussehen? Hierzu bedient sich Shell der SzenarioTechnik.
Synopse wichtiger Shell “KPIs”
• aktiv in 100+ Ländern
• weltweit 102.000 Beschäftigte
• ≈ 2% der globalen Rohöl-Produktion
• 45.000 Tankstellen; 10 Mio. Kunden/Tag
• ≈ 3% der globalen Erdgas-Produktion
• Gewinn: $ 26,5 Mrd.
• Investitionen (netto): $ 32 Mrd.
• eingesetztes Kapital: ∅ $ 148,1 Mrd.
• THG-Emissionen: 75 Mio. Tonnen
Geschäftsjahr 2008
Abbildung 1: Wichtige Key Performance Indicator (KPI) von Shell
Szenarien werden seit den späten 1960er Jahren verstärkt in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft genutzt. Von Shell werden Szenarien seit der ersten Ölkrise erfolgreich in der strategi-
14
Vgl. Intergovernmental Panel on Climate Change (IPPC), Climate Change 2007: Synthesis Report, Valencia/Spain 2007; Munich Re, Natural Catastrophes 2008. Analyses, Assessments, Positions, München 2009, S.
38f.
15
Vgl. Arie de Geus, The Living Company, Boston/Massachusetts 1997, S. 4.
48
Jörg Adolf: Energiesicherheit und CO2-Lösungen – Eckpfeiler im globalen Energiemix 2050
schen Unternehmensplanung eingesetzt. Gegenwärtig erstellt, veröffentlicht und beteiligt
16
Shell sich an unterschiedlichen Szenario-Formaten:
1. Zum einen die Shell Global Scenarios, die drei alternative Zukünfte - Open Doors,
Low Trust Globalisation und Flags - bis ins Jahr 2025 entwickeln. Die Shell Global
Scenarios skizzieren dabei mögliche wirtschaftliche, politische, soziale und demografische Randbedingungen für die weitere Entwicklung der globalen Energieversorgung.
2. Mit der langfristigen Zukunft des globalen Energiesystems befassen sich andererseits
die Shell Long-term Energy Scenarios in zwei Szenarien - Scramble und Blueprints bis 2050.
3. Darüber hinaus beteiligt sich Shell an der Szenarien-Arbeit wichtiger Institutionen und
Organisationen – zum Beispiel beim World Business Council for Sustainable Development oder bei der International Energy Agency und anderen.
Szenarien sind keine Prognosen, sondern konsistente, in sich plausible Entwicklungspfade.
Szenarien wollen wesentliche strukturelle Unsicherheiten, wichtige Stellschrauben und Weichenstellungen aufzeigen. Ihr Ziel ist es, das Verständnis künftiger Entwicklungen und damit
Entscheidungsgrundlagen und Zukunftsstrategien zu verbessern, nicht aber die Zukunft
17
möglichst exakt vorherzusagen.
Szenario-Technik geht davon aus, dass es eine nicht reduzierbare Ungewissheit gibt. Zwischen vergangenen, heutigen und künftigen Ereignissen existieren kausale Beziehungen.
Dabei kann unterschieden werden zwischen fundamentalen Trends und variablen Szenarien-Annahmen. Fundamentale Trends sind heute schon fast vollständig vorherbestimmt,
unabhängig von weiteren zwischenzeitlichen Ereignissen – man kann deshalb auch sagen
18
„harte Wahrheiten“. Auf diesen fundamentalen Trends aufbauend werden dann Szenarien
entwickelt. Da es nicht die eine zu erwartende Zukunft gibt, „denkt“ Szenario-Methodik in
alternativen Zukunftsentwürfen oder kurz: multiplen Zukünften. Deshalb werden in der Regel
mindestens zwei, manchmal aber auch mehrere alternative Szenarien betrachtet.
10.3 Drei „harte“ Wahrheiten
Im Hinblick auf das globale Energiesystem sind drei langfristige Entwicklungsdynamiken
oder „harte Wahrheiten“ zu beachten.
16
Vgl. Shell International, Shell Global Scenarios to 2025, London 2005; Shell International, Shell Long-term
Energy Scenarios to 2050, Den Haag 2008, mehr Information unter: www.shell.com/scenarios; International Energy Agency, Energy Technology Perspectives 2008. Scenarios and Strategies to 2005, Paris 2008; World Business Council for Sustainable Development, Establishing a Global Carbon Market, Genf 2007, www.wbcsd.org.
17
Zu Szenario-Technik und –Konzepten vgl. Shell International, Scenarios: An Explorer’s Guide, Den Haag 2008;
sowie Kees van der Heijden, Scenarios. The Art of Strategic Conversation, West Sussex 2005, 2nd Edition, Kap.
6-8.
18
Vgl. Jeroen van der Veer, The Resources Trilemma between Efficiency, Social Justice and Security, Speech at
st
the St. Gallen Conference, May 31 , 2007.
49
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
10.3.1 Steigende Energie-Nachfrage
Bis zur Mitte des Jahrhunderts wird die Erdbevölkerung von heute 6,7 auf über 9 Mrd. Menschen anwachsen. Nach, ja sogar noch während der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise
wird sich die wirtschaftliche Entwicklung weiter Welt-Regionen fortsetzen. Starkes Bevölkerungswachstum und rasche Wirtschaftsentwicklung findet primär in Schwellen- und Entwicklungsländern statt. Wirtschaftliche Entwicklung heißt dort Industrialisierung, Urbanisierung,
Mobilisierung und Motorisierung immer breiterer Bevölkerungs-schichten. Der wirtschaftliche
Take-Off ist damit das energieintensivste Entwicklungsstadium einer Volkswirtschaft. Die
gleichzeitige Integration immer weiterer Regionen in die Weltwirtschaft kann dann zu einem
überproportionalen Wachstum der globalen Energie-Nachfrage führen – so wie in den Jah19
ren 2000-2005.
Wohlstand und Energieverbrauch
GJ pro Kopf(PEV)
400
300
USA
Europa EU 15
200
Japan
Süd-Korea
100
China
Indien
0
0
10
20
30
40
BIP pro Kopf (PPP, '000 2000 USD)
Source: Shell International BV, Oxford Economics and Energy Balances of OECD and Non-OECD Countries ©OECD/IEA 2006
Abbildung 2: Wohlstand und Energieverbrauch
Aufgrund des starken Wirtschaftswachstums in den vergangenen Jahren übersteigt der
Energie-Konsum in den Schwellen- und Entwicklungsländern seit 2005 bereits den EnergieVerbrauch in den OECD-Ländern. Bis 2030 werden die Nicht-OECD-Länder ihren EnergieVerbrauch noch einmal um drei Viertel steigern. Weltweit wird bis 2030 mit einer Zunahme
um fast die Hälfte gerechnet, bis zur Mitte des Jahrhunderts fast eine Verdoppelung des heu20
tigen Energieverbrauchs für möglich gehalten.
19
Vgl. Shell International, Shell Global Scenarios to 2025, a.a.O., S. 190f.
Vgl. International Energy Agency, World Energy Outlook 2008, Paris 2008, S. 81; Shell International, Shell
Long-term Energy Scenarios to 2050, a.a.O., S. 44.
20
50
Jörg Adolf: Energiesicherheit und CO2-Lösungen – Eckpfeiler im globalen Energiemix 2050
10.3.2 Knapperes Energie-Angebot
Die weltweiten Kohlenwasserstoff-Vorkommen sind prinzipiell groß genug, um die steigende
Welt-Energienachfrage auch künftig abzudecken. So liegen die stati(sti)schen Reichweiten
allein der konventionellen Kohlenwasserstoff-Reserven bei 42 Jahren für Erdöl, bei 47 Jahren für Erdgas, bei 130 Jahren für Steinkohle sowie bei 285 Jahren für Braunkohle. Zusätzlich existiert noch ein Vielfaches an unkonventionellen Kohlenwasserstoff-Vorkommen sowie
technisch und/oder wirtschaftlich noch nicht erschlossener Ressourcen. Die stati(sti)schen
Reichweiten konventioneller Öl- und Gas-Ressourcen liegen einschließlich Reserven bei
21
über 60 bzw. rund 100 Jahren, bei beiden Kohle-Arten jeweils deutlich über 1.000 Jahren.
Mittelfristig kann die Förderung leicht zugänglicher Öl- und Gas-Vorkommen (easy oil and
gas) dennoch kaum noch mit dem erwarteten Wachstum der globalen Energienachfrage
mithalten. Um Energie ausreichend verfügbar zu machen, müssen die Investitionen in die
Erschließung konventioneller und unkonventioneller Kohlenwasserstoff-Vorkommen, in alternative Energien und in neue Energie-Technologien entsprechend signifikant erhöht werden;
bis zum Jahre 2030 sind voraussichtlich Investitionen in Höhe von 26.300 Mrd. US-Dollar in
22
die globale Energiewirtschaft erforderlich.
Erschwerend kommt hinzu, dass der Zugang privater Investoren zu wichtigen Öl- und Gasvorkommen vielfach beschränkt ist. Zudem erwarten die Ressourcen-Halter angesichts der
energiepolitischen Diskussion und Aktion in den Verbraucherzentren weniger einen Oil Peak
im Sinne einer Angebotsspitze als einen potenziellen Demand Peak. Immerhin erreichte die
23
Erdölnachfrage in der OECD bereits im Jahr 2005 ihren Peak. Die nationale ProduzentenSicht mag dann wiederum zu vorsichtigerer Investitionspolitik veranlassen.
10.3.3 Drängende Klima-Problematik
Entscheidend für die Zukunft des globalen Energiesystems dürfte jedoch vielmehr das Thema CO2-Peak und damit die Klimafrage sein. Mit steigendem Energieverbrauch nimmt
24
schließlich auch der globale ökologische Fußabdruck (ecological footprint) zu. Energieverbrauch und energiebedingte CO2-Emissionen aus fossilen Energieträgern machen heute
fast die Hälfte des globalen ökologischen Fußabdrucks aus. Und CO2-Emissionen aus dem
Verbrauch fossiler Energieträger sind für rund drei Fünftel der anthropogenen TreibhausgasEmissionen verantwortlichen.
Wenn der Verbrauch fossiler Energieträger weiter wie bisher wächst, werden sich die globalen Treibhausgas-Emissionen von heute knapp 30 Gigatonnen bis zur Mitte des Jahrhunderts auf über 60 Gigatonnen verdoppeln; die atmosphärische CO2-Konzentration könnte
von 380 auf rund 700 ppm ansteigen. Das wiederum könnte einen Temperatur-Anstieg von
25
sechs Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zur Folge haben. Die Folgen
und Risiken eines derart ungebremsten Klimawandels sind unübersehbar. Wenn jedoch der
21
Vgl. Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Reserven, Ressourcen und Verfügbarkeit von Energie-Rohstoffen, Hannover 2008, S. 35-79.
22
Vgl. International Energy Agency, World Energy Outlook 2008, a.a.O., S. 88f.
23
Vgl. Organisation of the Oil Exporting Countries (OPEC), World Oil Outlook 2009, Wien 2009, S. 9 und 52f.
24
Zum Konzept des ökologischen Fußabdrucks vgl. World Wildlife Fund, Living Planet Report 2008, London
2008, S. 14-17.
25
Vgl. IPPC, a.a.O. , S. 67.
51
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
globale Temperatur-Anstieg nicht höher als 2 bis 2,4 Grad Celsius sein soll, dürfte die atmosphärische CO2-Konzentration – entsprechend den aktuellen IPPC-Klimaszenarien - 350 bis
400 ppm nicht übersteigen. Dazu dürfen die globalen CO2-Emissionen höchstens bis 2015
steigen; anschließend müssten sie bis 2050 um mindestens 50 bis 85 Prozent gegenüber
dem Jahr 2000 zurückgeführt werden.
Die doppelte Herausforderung, die steigende Energienachfrage einer wachsenden Menschheit zu decken und gleichzeitig die globale Klima-Problematik zu lösen, wird gemeinhin auch
als die globale Energiefrage (‚the energy challenge’) bezeichnet.
10.4 Shell Long-term Energy Scenarios to 2050
Um die Herausforderungen der globalen Energiefrage besser zu verstehen, hat Shell in seinen aktuellen Shell Long-term Energy Scenarios zwei mögliche Energie-Zukünfte für die
nächsten vier Jahrzehnte entwickelt – Scramble und Blueprints.
Shell Energie-Szenarien bis 2050
Eine Welt der
Energie-Sicherheit und
reaktiven Wandels.
Eine Welt
neuer Koalitionen und
beschleunigten Wande
Abbildung 3: Shell Energie-Szenarien bis 2050
10.4.1 Szenario Scramble
In Scramble versuchen alle Länder, sich im globalen Wettbewerb eine sichere, wirtschaftliche und bezahlbare Energieversorgung zu verschaffen. Versorgungssicherheit ist Schlüsselthema der Energiepolitik und Energiewirtschaft. Es kommt zu Ressourcen-Nationalismus,
einem Wettlauf um günstige Energiequellen sowie zum bevorzugten Einsatz heimischer
Energieträger. Energiepolitik ist primär Angebotspolitik. Es werden keine zusätzlichen Maßnahmen zur Beeinflussung der Energienachfrage – wie eine Verteuerung der Energienut52
Jörg Adolf: Energiesicherheit und CO2-Lösungen – Eckpfeiler im globalen Energiemix 2050
zung – ergriffen. Und auch eine systematische und gezielte Weiterentwicklung der globalen
Klimapolitik findet nicht statt.
Quantitatives Wirtschaftswachstum steht im Zentrum der Politik. Die globale Wirtschaftsentwicklung bleibt – dank günstiger Energieversorgung vor allem mit Kohle – im ersten Vierteljahrhundert weitgehend intakt. Der materielle Wohlstand breiter Bevölkerungs-schichten, vor
allem in den Schwellenländern, nimmt weltweit zu. Die globale Energienachfrage und mit ihr
die CO2-Emissionen legen ebenfalls deutlich zu. Durch die weiter fortschreitende Globalisierung werden Spannungen in den internationalen Beziehungen eher verstärkt. Gegen Ende
des Betrachtungszeitraumes kommt es zu verstärktem Handlungsdruck – wenn sich die Ungleichgewichte zwischen Energienachfrage und Energieangebot zunehmend verschärfen,
oder wenn globale Klima-Ereignisse zu politischem Handeln zwingen. Da Klimaschutz in
erster Linie als ökonomische Belastung empfunden wird, erfolgt politisches Handeln nur sehr
spät und fast ausschließlich reaktiv.
Unter den Bedingungen von Scramble kommt es folglich nur zu einem langsamen und sehr
allmählichen, technologischen Wandel. Es entstehen keine Umbrüche in der Wirtschaftsstruktur. Die Wertschöpfungsstrukturen entwickeln sich vielmehr kontinuierlich auf dem Pfad
der jüngeren Vergangenheit. Die Energiepreise unterliegen ausgeprägten Schwankungen,
was wirtschaftliche und politische Planungen erschwert. Daher bestimmen heutige Techniken auch künftig das Bild, das heißt in erster Linie sparsamere und effizientere Nutzung bereits etablierter Energieträger, Nischenfunktion sowie Ergänzungsbeiträge alternativer Energieträger und -technologien zum künftigen Energie-Mix.
10.4.2 Szenario Blueprints
In Blueprints geht es um planmäßiges und koordiniertes Vorgehen sowie um aktive Gestaltung der Zukunft im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung. Hier werden die Implikationen der
globalen Energiefrage frühzeitig erkannt. Aus Sorge um die Energiesicherheit, um Umwelt
und Klima, aber auch mit Blick auf neue Marktchancen entwickelt sich rasch Handlungsdruck
für die Politik. Dabei gehören nicht nur Bürger und Verbraucher, sondern auch Wirtschaft
und Unternehmen zu den Antreibern. Anfangs sind es nur lokale und regionale Initiativen,
rasch wird jedoch eine kritische Masse von Befürwortern für einen nachhaltigen Wandel erreicht.
Qualitatives Wachstum und nachhaltige Wirtschaftsentwicklung stehen im Zentrum der politischen Bemühungen. Die globale Wirtschaft entwickelt sich weniger energie- und CO2intensiv, aber dennoch robust. Schon der Stern-Review hat gezeigt, dass die Kosten und
Risiken eines ungebremsten Klimawandels hoch sind und die Vorteile energischen klimapoli26
tischen Handelns langfristig überwiegen. Da Verbraucher und Investoren Wandel auch als
ökonomischen Vorteil erfahren, lässt sich ein umfassender Wechsel in nationalen und internationalen Politik-Regimen erwirken. Energiepolitik setzt frühzeitig und systematisch ökonomische Anreize für sparsamen Energieeinsatz und Klimagas-Reduktion.
In Blueprints kommt es von allen Seiten zu starkem Veränderungsdruck und in der Folge zu
beschleunigtem Strukturwandel. Das hohe Veränderungstempo führt zwar zu gesellschaft26
Vgl. Nicolas Stern, The Economics of Climate Change. The Stern Review, Cambridge 2007, insbesondere Part
II und Part III.
53
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
lich-politischen Spannungen, am Ende aber auch zu einem Durchbruch in der internationalen
Klimapolitik. Herzstück der globalen Klimapolitik ist die Etablierung eines weltweiten Emissionshandelssystems – zunächst in der EU, dann in immer mehr Ländern, einschließlich der
USA und später China. Die Ausweitung des EU-Emissionshandels zu einem globalen Capand-Trade-System, aber auch verlässliche Rahmenregulierungen stimulieren Innovation und
Investitionen in neue Technologien.
Die internationale Auktionierung von Emissionszertifikaten schafft finanzielle Mittel für eine
breite Beteiligung der Schwellen- und Entwicklungsländer am technologischen Wandel. Alternative Energie-Technologien einschließlich geologischer CO2-Einspeicherung (CCS) brei27
ten sich schnell über alle Erdteile aus. Bis 2030 flacht die Nachfragekurve nach zusätzlichen fossilen Energieträgern weitgehend ab.
10.4.3 Szenarien im Vergleich
Globale Energienachfrage
1000
Blueprints – frühzeitige Aktion
1000
Exajoule pro Jahr (Energieträger)
Exajoule pro Jahr (Energieträger)
Scramble – späte Reaktion
800
600
400
200
0
800
600
400
200
0
2000 2010 2020 2030 2040 2050
Erdöl
Kohle
Biomasse
Wind
2000 2010 2020 2030 2040 2050
Erdgas
Nuklear
Solar
Sonst. Erneuerbare
Source: Shell International BV and Energy Balances of OECD and Non-OECD Countries©OECD/IEA 2006
Abbildung 4: Globale Energienachfrage – Scramble und Blueprints im Vergleich
In beiden Szenarien wird sich die globale Energieversorgung bis 2050 deutlich diversifizieren. Kohle könnte im Zeitraum 2020/2030 zum wichtigsten Primärenergieträger aufsteigen.
Der Anteil des Energieträgers Erdöl am globalen Primärenergieverbrauch geht von heute
etwa einem Drittel mit maximal 100 Millionen Barrel pro Tag auf höchstens ein Fünftel im
Jahre 2050 zurück. Gleichwohl wird Öl auch dann noch eine tragende Rolle im globalen
Energie-Mix spielen. Erneuerbare Energien kommen – nach rasantem Wachstum - in 2050
27
Zu den Grundlagen von CCS vgl. Manfred Fischedick et al., Geologische CO2-Speicherung als klimapolitische
Handlungsoption. Technologien, Konzepte, Perspektiven, Wuppertal Spezial 35, Wuppertal 2007.
54
Jörg Adolf: Energiesicherheit und CO2-Lösungen – Eckpfeiler im globalen Energiemix 2050
auf einen Anteil von mindestens 30% im globalen Energiemix. Insgesamt liegt der Energieverbrauch in Blueprints im Jahre 2050 um etwa ein Achtel unter demjenigen von Scramble.
Die CO2-Emissionen sind durch bestehende Energie-Infrastrukturen und damit für beide
Szenarien bis ins Jahr 2020 weitestgehend vorherbestimmt und entwickeln sich bis dahin
mehr oder weniger parallel. Aufgrund späteren Handelns wird in Scramble jenseits 2020 lediglich eine Stabilisierung der globalen CO2-Emissionen bei etwa 40 Gigatonnen erreicht. In
Blueprints führt nach 2020 ein niedrigerer Energieverbrauch, aber auch der verstärkte Einsatz von CO2-Minderungstechnologien wie CCS zu einem deutlich geringeren CO2-Ausstoß;
insgesamt sinken die CO2-Emissionen 2050/2020 um etwa ein Drittel.
Während die CO2-Emissionen in Scramble im Jahre 2050 etwa 50% über dem Basisjahr
2000 liegen, erreichen sie in Blueprints – dank energischer Klimaschutzmaßnahmen – etwa
wieder das Ausgangsjahr 2000. Wegen des geringeren CO2-Niveaus, aber auch wegen des
strukturierteren, planmäßigeren Wandels wäre eine Blueprints-Zukunft vorzuziehen.
Blueprints macht insbesondere auch deutlich, dass und wie schwer es wird, das Zwei-Grad28
Ziel als obere Grenze einer akzeptablen Erderwärmung sicher zu erreichen.
Globale CO2-Emissionen
Scramble – späte Reaktion
Blueprints – frühzeitige Aktion
50
Gigatonnen pro Jahr
Gigatonnen pro Jahr
50
40
30
20
10
40
Without CO2
capture & storage
30
20
10
0
0
2000 2010 2020 2030 2040 2050
2000 2010 2020 2030 2040 2050
Nord-Amerika
Europa
Asien & Ozeanien - Schwellenländer Middle East & Afrika
Asien & Ozeanien - Industrieländer Latein-Amerika
Source: Shell International BV and Energy Balances of OECD and Non-OECD Countries©OECD/IEA 2006
Abbildung 5: Globale CO2-Emissionen
10.5 Energiesystem im Wandel
Der Wettbewerb um Ressourcen wird härter und gleichzeitig das Klima-Problem immer
drängender. Langfristige Energiesicherheit muss gewährleistet, CO2-Lösungen gefunden
28
Zu klimapolitischen Zielen vgl. William Hare, Verhindern einer gefährlichen Klimaänderung. Wie viel ist zu viel?
in: Michael Müller et al. (Hg.), Der UN-Klimareport. Bericht über eine katastrophale Bestandsaufnahme, Köln
2007, S. 285-292.
55
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
werden. Hierzu bedarf es eines fundamentalen Strukturwandels des globalen Energiesystems. Dabei sollte (mehr) Energie nicht nur sauberer bereit gestellt werden, sondern für die
Menschen auch immer noch bezahlbar sein.
Idealerweise könnten diese Anforderungen durch eine bahnbrechende neue Technologie
29
oder Innovation erfüllt werden, und zwar rasch. Tatsächlich ist trotz intensiver Forschungsund Entwicklungsarbeit, trotz enormer Investitionen bis heute kein Königsweg für die Energieversorgung von morgen in Sicht. Es gilt vielmehr: TANIA – There Are No Ideal Answers!
Alle heutigen Energie-Optionen und Klima-Technologien werden folglich auch morgen noch
benötigt; keine davon ist verzichtbar.
Zum anderen zeichnet sich zwar bei Energieversorgung und Klimapolitik ein beschleunigter
Strukturwandel ab. Wissenschaft, Politik und Unternehmen wollen den Wandel. Doch es wird
im globalen Energiesystem keine Revolution stattfinden; insbesondere auf der Angebotsseite
kann es nur eine Evolution geben. Denn ein grundlegender Wandel der Energieversorgung
benötigt Zeit und ist an bestimmte technisch-ökonomische Voraussetzungen gebunden. Bevor sich neue Technologien im Markt etablieren, bedarf es nachhaltiger technologischer Innovation, Kosten müssen reduziert und umfangreiche Investitionen vorgenommen werden.
So liegen für die Marktdurchdringung heutiger Energieträger historische Erfahrungen vor.
Danach vergehen in der Regel mehr als zwei Jahrzehnte bis zur Etablierung einer neuen
oder alternativen Energietechnologie. Verflüssigtes Erdgas hat heute – 45 Jahre nach
Markteinführung – einen Marktanteil von etwa 2% am globalen Energiemix erreicht, Biokraftstoffe stehen heute bei etwa 1% und Windkraft könnte dies – 25 Jahre nach den ersten
30
Windparks in Dänemark und in den USA – im nächsten Jahrzehnt schaffen.
Der Umbau des globalen Energiesystems wird Jahrzehnte dauern und Rückschläge werden
dabei unvermeidlich sein. Und Unternehmen und Verbraucher können die Klima-Problematik
nicht ohne Hilfe lösen. Denn Klimawandel „ ... is the greatest example of market failure we
31
32
have ever seen.“ Die Politik muss vielmehr „ein Klima des Wandels schaffen“. Nur wenn
die Regierungen stabile Rahmenbedingungen und Anreize schaffen, in neue EnergieQuellen sowie in neue Energieeinspar- und Klimaschutz–Technologien zu investieren, wird
sich dieser Wandel beschleunigen lassen. Da es sich beim Klimawandel um ein globales
Problem handelt, bedarf es zudem eines globalen Rahmens – erste wichtige Schritte dahin,
nicht mehr und nicht weniger erhoffen wir uns von der nächsten Weltklimakonferenz!
29
Zu disruptive technologies / innovations vgl. Clayton M. Christensen, The innovator’s dilemma, Boston
1997/New York 2003.
30
Vgl. Shell International, Energy Needs, Choices and Possibilities. Scenarios to 2050, London 2050, S. 12-14;
Peter Voser, Changing Fortunes – Global Energy, Speach at Spruce Meadows Economic Roundtable, Calgary,
Aberta, Canada, Sept 11th 2009.
31
Vgl. Nicholas Stern, a.a.O., S. 1.
32
Vgl. Jeroen van der Veer, States should create a Climate for Change, in: Financial Times, January 24th, 2007,
p. 13.
56
Klaus Bitzer: Ist Peak Oil erreicht? Die Sicht der ASPO
11 Klaus Bitzer: Ist Peak Oil erreicht? Die Sicht der ASPO
Prof. Dr. Klaus Bitzer
Abteilung Geologie Universität Bayreuth, Vorstandsmitglied ASPO
Universität Bayreuth
Universitätsstr. 30
D-95444 Bayreuth
[email protected]
11.1 Einleitung
Der Begriff „Peak Oil“ beschreibt den Zeitpunkt der maximalen Erdölförderung, der zugleich
den Beginn einer kontinuierlichen Abnahme der Erdölförderung markiert, die auch durch zusätzliche technische Massnahmen allenfalls kurzzeitig aufgehalten werden kann. Es erscheint für viele Menschen wenig einsichtig, ausgerechnet beim Zeitpunkt maximaler Erdölproduktion an eine bevorstehende Abnahme der Förderung von Erdöl denken zu sollen. Tatsächlich haben jedoch das Produktionsmaximum und die darauf folgende Abnahme der Erdölförderung für die meisten Länder der Erde bereits stattgefunden. In den USA hat beispielsweise seit Erreichen des Fördermaximums im Jahr 1970 trotz allen technischen Fortschritts die Erdölförderung um mehr als 40% abgenommen.
Während das Fördermaximum für viele Erdöllagerstätten der Erde unbestritten ist, wird die
Frage nach dem Zeitpunkt des globalen Fördermaximums kontrovers diskutiert. Dabei wird
in der Öffentlichkeit der Begriff “Peak Oil“ oft unzulässig auf die Aussage verkürzt, er sei
gleichbedeutend mit dem Ende des Erdöls. Kein Erdölgeologe wird bestreiten, dass auch in
Zukunft noch förderbares Erdöl vorhanden sein wird. Die geförderten Mengen werden jedoch
mit Sicherheit weit unter dem liegen, was heute gefördert wird, und es wird erheblich aufwendiger und teurer sein, es zu fördern. Es müsste ein Vielfaches der bis jetzt bekannten
Lagerstätten gefunden werden, um den Zeitpunkt des Erdölfördermaximums nennenswert in
die Zukunft zu verlagern; für die Existenz von Lagerstätten dieser Größenordnung gibt es
jedoch keinerlei Hinweise. Seit dem Beginn der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts
wird von der Menschheit jedes Jahr mehr Erdöl verbraucht als gefunden wird. Ursache hier-
57
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
für ist nicht etwa ein abnehmendes Explorationsinteresse sondern schlicht die Tatsache,
dass die grossen Lagerstätten bereits früh gefunden wurden.
Abbildung 1: Eine der letzten Pumpe auf dem Ölfeld Ayoluengo in Nordspanien. Das Feld wurde in
den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts gefunden. Die grossen Hoffnungen, die in das Feld gesetzt
wurden, konnten nie erfüllt werden. Die Förderung liegt mittlerweile im Bereich von 5 barrel pro Tag.
Im Hintergrund sind Windräder zu erkennen (Quelle: eigene Aufnahme).
11.2 Die unterschiedlichen Sichtweisen zu Peak Oil
Die unterschiedlichen Sichtweisen auf die Existenz eines globalen Produktionsmaximums
und seines Zeitpunktes beruhen im Wesentlichen auf der Frage, wieweit Produktionsrückgänge durch eine Nachfragereduzierung und nicht-geologisch bedingte Produktionsbeschränkungen (Kosten, politische Bedingungen) verursacht werden, und nicht durch eine
geologisch bedingte Verknappung der Erdölförderung. Unterschiedliche Sichtweisen gibt es
auch bei den Fragen, wieweit technischer Fortschritt künftig zu einer Erhöhung der Ölförderung wird beitragen können und in welchem Maße neue große Lagerstätten gefunden werden können. Diejenigen, die den Zeitpunkt von „Peak oil“ weit in die Zukunft verlegen, gehen
davon, dass dies der Fall sein wird. Die Erwartung weiterer technologischer Durchbrüche bei
der Erdölförderung ist jedoch wenig aussichtsreich, wenn man sieht, dass seit mehr als 40
Jahren an der „enhanced oil recovery“ (EOR) geforscht worden ist, ohne dass die durchschnittliche Ausbeute bei der Erdölförderung deutlich zugenommen hätte. Auf die Auffindung
neuer Lagerstätten hat die EOR ohnehin keinen Einfluß, und die derzeitige Auffindung neuer
Lagerstätten, wie etwa vor Brasilien und im Golf von Mexiko, liegt im Rahmen dessen, was
58
Klaus Bitzer: Ist Peak Oil erreicht? Die Sicht der ASPO
im Rahmen der „Peak Oil“ Theorie prognostiziert wird: Mengen, die weit unterhalb dessen
liegen, was nötig wäre, um den Zeitpunkt des Fördermaximums nennenswert in die Zukunft
zu verlegen.
Abbildung 2: Creaming curve, mit der der Auffindungsverlauf der Erdöllagerstätten auf den Kontinenten dargestellt wird. Die grüne Kurve für den Mittleren Osten zeigt, dass mit den ersten 2000 Bohrungen etwa 800 Milliarden barrel Öl gefunden wurden, die folgenden 2000 Bohrungen brachten dagegen
nur noch 50 Milliarden barrel. Am ungünstigsten ist die Kurve für Europa: mit 20000 Bohrungen wurden gerade einmal 90 Milliarden barrel gefunden. Die gesamte auffindbare Menge kann aus solchen
Diagrammen abgeleitet werden (Quelle: Jean Laherrere, 2004).
Obwohl einerseits klar ist, dass Erdöl und Erdgas in begrenzten Mengen auf der Erde vorhanden ist, gehen die Ansichten über ein Fördermaximum weit auseinander. Ein hervorstechendes Merkmal dieser Diskussion ist die emotionale und von unterschwelligen Ängsten
geprägte Tonlage vieler Kritiker der „Peak Oil“ Theorie. Es wird teilweise unterstellt, es handle sich um eine Erfindung der Erdölindustrie (die freilich mehrheitlich von „Peak Oil“ nichts
wissen will), oder es handle sich um den Versuch von Wachstumskritikern, die das bestehende Wirtschaftssystem zerstören wollen oder gar um eine Diskussion von Leuten, die
Freude an Untergangsszenarien haben. Immer wieder melden sich auch die Verfechter einer
These über die abiotische Entstehung von Erdöl zu Wort, in der die Herkunft des Erdöls nicht
aus organischer Materie, sondern aus dem Erdinnern zugeschrieben wird, womit letztlich die
Begrenztheit von Erdöl und Erdgas in Frage gestellt wird. Die Vertreter dieser Richtung
schreiben die Probleme unzureichender Erdölverfügbarkeit dem Unvermögen der Erdölindustrie zu, die an den falschen Stellen gebohrt habe und die Förderung ineffizient durchführe. Aus erdölgeologischer Sicht besitzt die Theorie abiotischen Erdöls kein tragfähiges wissenschaftliches Fundament; sie hat sich als kommerziell erfolglos erwiesen. Es spiegeln sich
jedoch in dieser Vorstellung die unterschwelligen Ängste und die verzweifelte Hoffnung, mit
der eine Welt erträumt wird, in der das energetische Füllhorn weiterbestehen möge. In dieser
59
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
zunehmend von schrillen Tönen durchsetzten Diskussion ist die Vermittlung der geologischen Sachverhalte schwierig geworden, zumal die Datengrundlage in vielerlei Hinsicht unbefriedigend ist.
11.3 Peak Oil im Licht diverser Interessen- und Berufsgruppen
In der Diskussion über „Peak Oil“ melden sich Interessen- bzw. Berufsgruppen zu Wort, die
in unterschiedlicher Weise davon betroffen sind. Eine neutrale oder bejahende Position zum
Konzept von „Peak Oil“ wird mehrheitlich von folgenden Gruppen eingenommen:
•
Geologen und Erdölingenieure: Der überwiegende Teil dieser Gruppe sieht die Begrenztheit der Erdöllagerstätten und kennt aus eigener Erfahrung die Schwierigkeiten
der Prospektion und der Erschliessung. Im Dienst der Erdölindustrie verbietet sich
den Angehörigen dieser Gruppe jedoch die öffentliche Diskussion darüber. Nicht zuletzt sind aus diesem Grund vor allem pensionierte Erdölgeologen und Ingenieure
und Fachleute aus dem akademischen Bereich die Protagonisten bei der Diskussion
um „Peak Oil“.
•
Wirtschaftsbereich regenerative Energien: Gehör findet die Diskussion um „Peak
Oil“ im Bereich der regenerativen Energien, da sich mit dem Erreichen des Erdölfördermaximums ein Geschäftsfeld eröffnet. „Peak Oil“ als Thema wird jedoch meist nur
so weit als nützlich betrachtet, wie es die Diskussion um den Klimawandel nicht beeinträchtigt, da es in diesem Zusammenhang als kontraproduktiv gesehen wird.
•
Umfeld der Atomindustrie: Verfolgt man die zahlreichen blogs und Diskussionen im
Internet zum Thema „Peak Oil“, so entsteht der Eindruck, als käme Befürwortern der
Atomenergie die Nachricht vom Erreichen eines Fördermaximums beim Erdöl gelegen; Hinweise auf eine Begrenztheit von Uran-Vorkommen werden in den meist sehr
kenntnisreichen Kommentaren auf aggressive Weise gekontert mit der Behauptung,
dass die globalen Uranvorräte nahezu unerschöpflich seien. Während hier mitunter
der Eindruck entsteht, dass hinter solchen Äusserungen Personen stehen, die der
Atomwirtschaft nahestehen, sind offizielle Äusserungen aus dem Bereich der Atomwirtschaft zum Thema „Peak Oil“ nicht ersichtlich.
Eine ablehnende Position zum Konzept von „Peak Oil“ wird mehrheitlich von folgenden
Gruppen eingenommen:
60
•
Wirtschaftswissenschaftler: Hier trifft die Vorstellung eines Fördermaximums überwiegend auf Ablehnung, da sich ein wachstumszentriertes Wirtschaftsmodell mit der
Vorstellung einer Ressourcenbegrenzung nicht zu vertragen scheint. Es herrscht,
vereinfacht gesagt, die Ansicht, man könne zusätzliches Erdöl finden, wenn man bereit wäre, Geologen und Ingenieuren einen höheren Lohn zu zahlen.
•
Klimaschutz: Für die in der Klimadiskussion engagierten Akteure wird „Peak Oil“
zumindest als potentiell kontraproduktiv gesehen, da es mit dem Thema Klimawandel
in Konkurrenz um öffentliche Aufmerksamkeit steht und die Gefahr besteht, die falsche Botschaft zu vermitteln: dass nämlich die abnehmenden fossilen Energieträger
Klaus Bitzer: Ist Peak Oil erreicht? Die Sicht der ASPO
automatisch zu einer Reduktion von Kohlendioxid führen würden und die geplanten
Maßnahmen zum Klimaschutz deshalb nicht notwendig seien. Tatsächlich geht das
IPCC in seinen Szenarien von einer Ressourcenverfügbarkeit aus, die zumindest für
Erdöl aus geologischer Sicht problematisch ist.
•
OPEC: Als unsinnig wird die Vorstellung eines Fördermaximums von der OPEC angesehen, die auf große eigene Reserven hinweist (jedoch keine unabhängige Bewertung ihrer Lagerstätten zulässt), und die darauf aufmerksam macht, dass regenerative Energien und insbesondere Biokraftstoffe im Vergleich zu Erdöl unökonomisch
seien.
•
IEA: Nachdem bis vor kurzem die künftige Erdölverfügbarkeit lediglich anhand des
künftigen Bedarfs hochgerechnet wurde, ist mit dem World Energy Outlook 2008 und
den Äusserungen von Fatih Birol, dem Chefökonomen der IEA, ein Wechsel eingetreten. Das Eintreten eines Fördermaximums wird nicht mehr grundsätzlich in Frage gestellt, aber in die weitere Zukunft (Jahr 2020) gestellt. In ähnlicher Weise äussern sich
auch die Autoren des kürzlich erschienenen World Energy Outlook 2009. Das Auftreten eines „Peaks“ wird hier nicht mehr als Folge einer physikalischen Verknappung
gesehen, sondern als Folge einer abnehmenden Nachfrage („demand peak“). Dies
erscheint angesichts der grossen Probleme bei der Einführung alternativer technischer Konzepte beim Individualverkehr (Elektroauto, Brennstoffzelle etc.) reichlich
konstruiert: sowohl Verbraucher als auch die Automobilindustrie wären vermutlich
froh, wenn das Konzept des internen Verbrennungsmotors für die nächsten Jahrzehnte weitergeführt werden könnte. Die Einführung des Elektroautos wird nicht angestrebt, weil es ein technisch besseres oder preisgünstigeres Konzept wäre, sondern weil die Aussichten auf die künftige Erdölverfügbarkeit keinen anderen Weg lassen.
•
Europäische Regierungsorganisationen und Behörden: Überwiegend wird das
Erdölfördermaximum nicht thematisiert. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften
und Rohstoffe in Hannover stellt das Fördermaximum ähnlich wie die IEA in die Zukunft.
11.3.1 Die Erdölindustrie
Die Erdölindustrie ist in dieser vereinfachten Einteilung schwer einzuordnen, da sie sich an
der öffentlichen Diskussion kaum beteiligt und mehrheitlich von einer künftigen Produktionsausweitung ausgeht. Der Sachverhalt eines Fördermaximums mit einem Produktionsabfall ist
der Industrie jedoch aus eigener Anschauung bekannt und wird nicht grundsätzlich in Frage
gestellt, sondern in die Zukunft verlagert. Ablehnende Stellungnahmen zu „Peak Oil“ kommen von Exxon und Saudi-Aramco. Total hält das Eintreten des Fördermaximums vor 2020
für wahrscheinlich und will sich im Nuklearbereich stärker engagieren.
11.3.2 Politische Gruppierungen
Politische Gruppierungen verhalten sich unterschiedlich zum Thema „Peak Oil“. Soweit solche Gruppen ein wachstumsorientiertes Wirtschaftsmodell vertreten, wird „Peak Oil“ entweder nicht thematisiert oder abgelehnt. Wachstumsorientierung wird am ehesten von linksori61
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
entierten Gruppierungen in Frage gestellt; das Thema „Peak Oil“ wird dort meist im Zusammenhang mit einer grundsätzlichen Kapitalismuskritik aufgegriffen. Auch einzelne Vertreter
im wertekonservativen Bereich haben das Thema, von den Medien weitgehend ignoriert,
aufgegriffen. Für umweltorientierte Parteien gilt überwiegend die Priorität für das Thema Klimaschutz. Angesichts der möglichen wirtschaftlichen Konsequenzen von „Peak Oil“ (negatives Wirtschaftswachstum) wird das Thema in Deutschland von den Volksparteien und von
den Gewerkschaften als ungeeignet für den öffentlichen Diskurs betrachtet. In dieser Weise
verhält sich auch die Medienlandschaft.
11.3.3 Die USA
In den USA äussern sich konservative Zeitungen und Kommentatoren besonders ablehnend
zum Thema „Peak Oil“. Es wird allein das Problem des politischen Zugangs zu den Erdöllagerstätten gesehen. Neben politischen und militärischen Lösungen wird auf künftige technische Fortschritte verwiesen. Anstrengungen zur Einsparung von Energie, Subventionierung
und Umstellung auf regenerative Energien wurden bis vor kurzem als Angriff auf freies Unternehmertum und amerikanische Werte gesehen; ob Barack Obama hier eine Änderung
bewirken wird, bleibt abzuwarten. Andererseits existieren auch Äusserungen im konservativen Umfeld, in denen die Verknappung von Erdöl als Chance zur Rückbesinnung auf vermeintliche amerikanische Werte gesehen wird. Beide Haltungen wirken auf Europäer in ihrer
teils holzschnittartigen Vergröberung befremdlich, zumal in manchen Äusserungen auch vor
dem Einfordern militärischer Lösungen nicht zurückgeschreckt wird. In liberalen Kreisen wird
das Thema überwiegend als ein technisch handhabbares Problem aufgegriffen und in geringerem Umfang als ein zumindest technisch nicht lösbares, wenn nicht gänzlich unlösbares
Problem. Prominenter Vertreter dieser Gruppe ist Richard Heinberg.
11.4 Der Zeitpunkt des globalen Fördermaximums
Man könnte denken, dass ein Blick in die Statistiken reichen sollte, um die Frage nach dem
globalen Fördermaximum beantworten zu können. Leider ist dies nicht der Fall. Selbst innerhalb der ASPO (Association for the Study of Peak Oil) und den ihr nahestehenden Gruppen
ist die Sichtweise nicht einheitlich. Die Aussage über den Zeitpunkt des globalen Fördermaximums ist im Wesentlichen aus folgenden Gründen schwierig:
62
•
je näher man sich am Zeitpunkt des Fördermaximums befindet, umso schwieriger ist
die Feststellung eines Fördermaximums zu verifizieren, da es sich um ein lokales
Maximum handeln könnte und die Produktion noch einmal über den bisherigen Maximalwert ansteigen könnte. Auch das US-amerikanische Fördermaximum wurde erst
rückblickend mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung sichtbar.
•
die verfügbaren Daten zur Produktion sind keineswegs einheitlich, selbst innerhalb
der Gruppe der OECD-Länder werden unterschiedliche Zahlen genannt. Auch die
Berechnungseinheiten sind unterschiedlich und angesichts unterschiedlicher Dichte
der Erdölsorten nicht ohne weiteres ineinander überführbar: Gewicht (Tonnen) oder
Volumen (barrel). Wenig glaubwürdig sind auch die Zahlen nationaler Erdölgesell-
Klaus Bitzer: Ist Peak Oil erreicht? Die Sicht der ASPO
schaften, die oft über viele Jahre hinweg trotz erheblicher Fördermengen gleichbleibende Reserven nennen.
•
neben geologischen oder technischen Gründen kann es auch politische, wirtschaftliche oder gesellschaftliche Gründe für einen Förderrückgang geben, so zum Beispiel
in der Nordsee nach dem Piper-Alpha Unglück im Jahr 1988. Eine wirtschaftliche Rezession kann zu einer zeitweiligen Reduzierung des Energiebedarfs und der Erdölförderung führen, und im anschliessenden Aufschwung könnte die Produktion wieder
ansteigen.
•
neben dem konventionellen Erdöl ist in den vergangenen Jahren auch anderes, „unkonventionelles“ Öl auf den Markt gekommen, unter anderem auch Biokraftstoffe. In
vielen Statistiken wird unter „all liquids“ alles zusammengefasst, was an flüssigen
Energieträgern produziert wird, die zurückgehende Produktion aus konventionellem
Erdöl wird so hinter steigenden Mengen unkonventionellen Öls verdeckt.
So ist es nicht verwunderlich, dass die Statistiken zur Erdölförderung unterschiedliche Befunde liefern. Betrachtet man die Daten im BP Statistical Review of World Energy vom Juni
2009, so ist die Erdölproduktion im Jahr 2008 auf einem Höchststand mit 3,9288 Gt. Für den
globalen Verbrauch wird dagegen ein Rückgang von 3,939 Gt im Jahr 2007 auf 3,9279 Gt im
Jahr 2008 angegeben. Im Bericht der deutschen Bundesanstalt für Geowissenschaften und
Rohstoffe (BGR) ist in der Studie von 2009 dagegen von einem globalen Fördermaximum im
Jahr 2006 in Höhe von 3,917 Gt die Rede.
Auch die Energy Watch Group (EWG) sieht das globale Fördermaximum für 2006 erreicht.
Dagegen nennen die US-amerikanischen Kollegen der ASPO ein Fördermaximum für Juli
2008 mit 86,9 Millionen barrel pro Tag (Rohöl inklusive anderer flüssiger Energierohstoffe „all
liquids“). Auch für die IEA (International Energy Agency) liegt das bisherige Fördermaximum
im Juli 2008 bei 74,74 Millionen barrel Rohöl pro Tag. Es herrscht innerhalb der ASPO die
Ansicht, dass seit 2004 ein Plateau erreicht ist, das Schwankungen unterliegt. Das genaue
Einmessen des höchsten Punktes dieses Plateaus wird vermutlich erst möglich sein, wenn
der Abstieg begonnen hat.
11.5 Die Methode von Hubbert
Um diese Unsicherheiten bei der Bestimmung des Zeitpunktes des Fördermaximums zu umgehen, kann die zeitliche Entwicklung der Auffindung von Erdöl und die Entwicklung der Erdölreserven und der historische Verlauf der Erdölproduktion analysiert werden. Auf diesem
Ansatz beruht die Methode von Hubbert. Hier ist die Datenlage und die Interpretation zum
Teil jedoch noch schwieriger; ist schon die Abschätzung einer Lagerstätte eine mit Unsicherheiten behaftete Angelegenheit, so wird die Reservestatistik zusätzlich durch Neubewertungen alter Lagerstätten verändert. Solche Neubewertungen werden teilweise als Neufunde
deklariert; aus Ressourcen werden bei steigenden Preisen Reserven, und selbst die Definition von Reserven und Ressourcen ist international nicht einheitlich. Daten hierzu sind in vielen Staaten Staatsgeheimnis.
63
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
Abbildung 3: Förderverlauf für eine Erdöllagerstätte bzw. eine Erdölprovinz. Der Anstieg der Produktion wird von einem Fördermaximum und einem anschliessenden Abfall der Produktion gefolgt. Ein
derartiger Kurvenverlauf wird näherungsweise auch die globale Erdölförderung beschreiben (Quelle:
Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover).
11.6 Divergierende Reserveangaben
Entsprechend uneinheitlich sind die Aussagen zu den Reserven. So gibt der BP Statistical
Review of World Energy vom Juni 2009 erstmals einen leichten Rückgang der Reserven auf
170,8 Gt an. Die bundesdeutsche BGR schätzt dagegen gegenüber der letzten BGR-Studie
im Jahr 2001 die Reserven im Jahr 2007 um 10,5 Gt höher auf 157,3 Gt. Sie liegt damit niedriger als die Schätzungen von BP und OPEC. Schätzungen von Exxon und vom Oil & Gas
Journal liegen mit 180,6 Gt bzw. 181,1 Gt sogar noch höher. Teilweise werden hierbei die
Teersande Kanadas mit eingerechnet und damit eine ganz andere Kategorie von Erdöllagerstätte einbezogen. Für die EWG liegen die Reserven dagegen deutlich niedriger mit 116,2
Gt. Wesentliche Gründe für die abweichenden Zahlen liegen in der Bewertung der mittelöstlichen Lagerstätten, wo in der Mitte der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts eine politisch motivierte Neubewertung von Lagerstätten vorgenommen wurde, die auf dem Papier zu
einer Verdoppelung der sicheren Reserven geführt hat, und in der Tatsache, dass unsichere
Ressourcen in die Kategorie von sicheren Reserven überführt wurden.
Die Unsicherheit über die Reservensituation dieser Länder ist einer der Hauptgründe für die
abweichenden Ansichten zwischen EWG und BGR und anderen Organisationen über das
künftige Förderprofil. Für die BGR ist eine Erhöhung der Förderung „unter den gegebenen
Rahmenbedingungen“ bis ins Jahr 2023 möglich. Dagegen hat sich unlängst Fatih Birol von
der IEA in einem Interview Ende Juli dieses Jahres deutlich pessimistischer gezeigt. So geht
64
Klaus Bitzer: Ist Peak Oil erreicht? Die Sicht der ASPO
die IEA jetzt davon aus, dass der Förderrückgang der derzeit genutzten Felder statt zuvor
angenommener 3,7% nun 6,7% beträgt. Mit Blick auf die Situation im Jahr 2030 schreibt
Birol, dass der Förderrückgang aus den bestehenden Feldern durch Neufunde ausgeglichen
werden muss, die dem Vierfachen der Förderkapazität Saudi Arabiens entsprechen. Wo diese riesigen Lagerstätten liegen sollen, ist jedoch nicht bekannt; es ist anzunehmen, dass sie
nicht existieren.
Fatih Birol spricht von einem Fördermaximum im Jahr 2020 und deutet an, dass bereits im
Jahr 2010 ein Engpass bei der Erdölversorgung eintreten könne. Auch die BGR prognostiziert, dass „trotz der bereits jetzt anlaufenden Substitution von Erdöl eine physische Verknappung spürbar sein wird“. Im Hinblick auf die derzeitigen Entwicklungen in der Erdölindustrie ist dies als wahrscheinlich anzunehmen. So berichten alle größeren Erdölfirmen von
erheblichen Kürzungsprogrammen; Shell hat allein in der ersten Jahreshälfte die Kosten um
700 Millionen $ gesenkt, BP hat 2000 Millionen $ eingespart (teilweise auch durch Währungsgewinne). Die Explorations- und Entwicklungsprogramme vieler Felder stehen auf dem
Prüfstand; von Personalabbau ist überall die Rede. Shell verzeichnet in der ersten Jahreshälfte einen Produktionsrückgang von 5,3% im Vergleich zum gleichen Zeitraum in 2008.
20% aller Positionen im senior management wurden gestrichen. Sämtliche Investitionen sollen um 10% gekürzt werden. Dies sind nicht die Anzeichen, die eine Aufbruchstimmung in
der Erdölindustrie signalisieren, mit der die erforderlichen Felder von der vierfachen Größe
Saudi-Arabiens gefunden und erschlossen werden können, von denen Fatih Birol spricht.
Dass diese Felder vermutlich nicht existieren, geht auch aus folgender Beobachtung hervor:
laut BP Statistical Review of World Energy vom Juni 2009 haben die Länder, aus denen derzeit 60 % der globalen Förderung kommen, das Fördermaximum überschritten; nur 40 % der
Förderung kommen aus Ländern mit noch wachsender Förderung, überwiegend Länder, die
der OPEC angehören. Dies macht es schwer, zu glauben, eine derart drastische Ausweitung
der Förderung sei in diesen Ländern noch möglich.
Staatliche Organisationen äussern sich selten deutlich zum Thema „Peak Oil“. Umso interessanter ist die Aussage der US Army im Joint Operating Environment 2008, wonach bis
zum Jahr 2012 die weltweite Kapazitätsreserve bei der Erdölproduktion vollständig verschwunden sein könnte und bis zum Jahr 2015 das Produktionsdefizit 10 Millionen barrel pro
33
Tag erreichen könnte.
33
Vgl: http://www.jfcom.mil/newslink/storyarchive/2008/JOE2008.pdf
65
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
Abbildung 4: Globaler Verlauf der Erdölförderung seit 1990. Seit etwa 2004 zeichnet sich ein Förderplateau ab, das vermutlich das globale Fördermaximum anzeigt. Eingetragen sind die Prognosen der
IEA von 2006 und 2008 (Quelle: www.theoildrum.com).
Sehr deutlich werden die Befürchtungen eines bevorstehenden Fördermaximums in einem
Editorial im JPT (Journal of Petroleum Technology) vom August 2009 mit Sadad Al-Husseini,
dem ehemaligen Vize-Präsidenten der größten Ölgesellschaft der Welt, Saudi Aramco. Nach
seiner Ansicht hat die Ölindustrie in den vergangenen Jahren an der Kapazitätsgrenze gearbeitet und kann die notwendige Elastizität bei der Erdölversorgung nicht mehr gewährleisten.
Trotz aller Anstrengungen war die Industrie in den vergangenen Jahren nicht in der Lage,
über 86 Millionen barrel pro Tag hinaus zu produzieren. Er weist ebenso wie die ASPO auf
die fatale Praxis der Umdeklarierung von Ressourcen in Reserven hin und die sich daraus
ergebenden unrealistischen Prognosen über Erdölverfügbarkeit.
Die Gewinnung unkonventionellen „schwierigen“ Erdöls ist eine unsichere Angelegenheit
angesichts schwankender Erdölpreise. So erwägt beispielsweise die mexikanische Erdölfirma Pemex, das mit großen Hoffnungen gestartete Chicontepec Projekt trotz der dramatisch
zurückgehenden Erdölförderung Mexikos nicht weiter fortzuführen. 3,4 Milliarden $ wurden
dort bislang investiert, die Förderung beträgt zurzeit 30'000 barrel pro Tag und bleibt damit
weit unter dem angestrebten Ziel von 72'000 barrel pro Tag. Für jedes barrel Produktionskapazität waren mehr als 100'000 $ Investitionen erforderlich, weitere 8 Milliarden hätten in
2009 investiert werden sollen. Insgesamt geplant sind 20'000 Bohrungen, mit denen eine
Förderung von 1 Mio. barrel schwer zu verarbeitendem Schwerstöl pro Tag erreicht werden
soll. Das entspricht einer durchschnittlichen Förderung von 50 barrel pro Bohrung und Tag;
in Saudi Arabien liegt dieser Wert bei 10'000 barrel Leichtöl pro Bohrung und Tag. Diese
Zahlen und die Tatsache, dass dieses Feld nach dem Niedergang des Feldes Cantarell heu66
Klaus Bitzer: Ist Peak Oil erreicht? Die Sicht der ASPO
te der grösste Hoffnungsträger Mexikos ist, machen deutlich, wie sehr sich die Verhältnisse
in der Erdölgewinnung mittlerweile geändert haben.
Trotz dieser Sachlage mag die Erdölindustrie bis auf wenige Ausnahmen nicht von „Peak
Oil“ sprechen. Die betroffene Industrie mag ihr Geschäftsmodell nicht vorzeitig aufgeben und
hat vermutlich auch keine klaren Vorstellungen von einem „Plan B“.
11.7 Der nicht existierende „demand peak“
Die Existenz eines geologisch-technisch bedingten Förderrückgangs wird mitunter freilich
auch von einer anderen Seite, wenn nicht negiert, so doch zumindest ignoriert. So sprechen
auch manche Umweltorganisationen vor allem von einem „demand peak“ und nicht von einem „supply peak“, wie er von der ASPO gesehen wird. In Stellungnahmen etwa zu Fragen
der Gewinnung von Erdöl aus den kanadischen Teersanden sprechen solche Organisationen von einem Maximum in der Nachfrage nach Erdöl, so als würde der Verbraucher sich
freiwillig aus Einsicht in umweltpolitische Notwendigkeiten oder über den Preis in seinem
Erdölkonsum einschränken. Substitution von Erdöl und Erdgas durch regenerative Energiequellen ist vorerst auch bei Preisen von 147 $ pro barrel nur über den Weg der Subventionierung möglich. Wenngleich dies mittlerweile zu einem gewissen Teil geschieht, ist es nicht
vernünftig, die Begrenztheit von Erdöl und Erdgas und die Existenz eines „supply-peaks“ zu
ignorieren.
Die Befürchtung, ein geologisch bedingter „supply-Peak“ könnte die angestrebten Ziele zum
Klimaschutz in Frage stellen, ist kurzsichtig. Investoren für kanadische Teersande lassen
sich von wenig glaubhaften Warnungen vor einem „demand-peak“ von ihren Investitionen
nicht abbringen. Der Verbraucher wird bereit sein, noch wesentlich höhere Energiepreise zu
zahlen, wenn ihm keine andere Möglichkeit bleibt. ASPO ist wie viele andere Umweltorganisationen davon überzeugt, dass das Ende des fossilen Zeitalters eine gute Nachricht ist. Um
die Gesellschaft auf die künftige Energieverfügbarkeit einzustellen, braucht es glaubhafte
Argumente. Damit wirklich ein „demand peak“ eintritt bedarf es noch grosser Überzeugungsarbeit und vor allem eines Modells, wie wirtschaftliche und gesellschaftliche Abläufe in einer
Niedrigenergie-Gesellschaft organisiert sein sollen.
67
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
11.8 Fazit
Wann also ist „Peak Oil“? Wer auf diese Frage ein konkretes Datum erwartet, wird mit dieser
Information wenig anfangen können. Es geht vielmehr um die Einsicht in die Begrenztheit
natürlicher Ressourcen und darum, dass der Mensch verantwortungsvoll mit Ressourcen
umgehen und sich auf veränderte Bedingungen rechtzeitig einstellen muss. Ob „Peak Oil“
bereits im Jahr 2005 erreicht wurde oder erst im Jahr 2015 erreicht wird, ist letztlich von
zweitrangiger Bedeutung. Die geologischen Hinweise, dass „Peak Oil“ erreicht ist, sind vielfältig und sollten als Signale zum Handeln aufgefasst werden. Die Arche Noah musste gebaut werden, bevor es zu regnen begann. Von den fossilen Energien müssen wir uns entwöhnen, bevor sie zu Ende gehen.
Abbildung 5: Ein Bild mit Symbolcharakter: die Tankstelle in Ayoluengo wurde mittlerweile in eine Bar
umfunktioniert (Quelle: eigene Aufnahme).
68
Silvia Kotting-Uhl: Energie 2.0 – Die grünen Massnahmen bis 2020: Energiesparen, Erneuerbare und Effizienz
12 Silvia Kotting-Uhl: Energie 2.0 – Die grünen Massnahmen bis 2020:
Energiesparen, Erneuerbare und Effizienz
Silvia Kotting-Uhl
Umweltpolitische Sprecherin, Bundestagsfraktion
Bündnis90/Die Grünen
Bundeshaus MdB - Büro Sylvia Kotting-Uhl
Platz der Republik 1
D-11011 Berlin
[email protected]
12.1 Unsere Aufgabe
Wer die Klimakrise ernst nimmt, weiß, dass sie die derzeit größte Herausforderung für die
Menschheit ist. Wenn es uns nicht gelingt, die globale Erwärmung bei 2 Grad aufzuhalten,
werden weite Teile der Welt unbewohnbar werden – durch Ansteigen des Meeresspiegels,
Ausbreitung der Wüstenregionen und Austrocknung bisheriger Nahrungsmittelanbaugebiete.
Millionen von Menschen werden zu Flüchtlingen werden. Die internationale Wissenschaft
sagt uns, dass bis 2050 die CO2-Emissionsproduktion in den Industriestaaten um 80 Prozent
gegenüber dem Vergleichsjahr 1990 reduziert werden muss, um das 2-Grad-Ziel zu erreichen – dahin müssen wir kommen. Ich möchte in diesem Beitrag erläutern, wie wir Grüne
dieses Ziel für Deutschland angehen wollen.
Die deutsche Politik hat sich eine erste Wegmarke gesetzt: die Reduzierung des CO2Ausstosses bis 2020 um mindestens 40 Prozent gegenüber 1990. Auch hat Deutschland
erste Schritte getan, um diese Marke bis 2020 zu erreichen. Betrug der CO2-Ausstoss 1990
noch 1030 Millionen Tonnen (t), so konnte er bis 2005, dem Ende der Amtszeit von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen, bereits auf 866 Millionen t gesenkt werden. 16 der 40 Prozentpunkte
sind damit geschafft. Doch dies können nur die ersten von vielen Schritten auf dem Weg zu
den geforderten 40 Prozent sein. Bis 2020 müssen wir unseren CO2-Ausstoss noch um weitere 24 Prozent gegenüber 1990 bzw. 248 Millionen t verringern. Die Menschen werden aber
weder in Deutschland noch in anderen industrialisierten Ländern bereit sein einen Lebensstil
zu akzeptieren, wie er in Ländern vorherrscht, die noch heute einen solch kleinen CO2Ausstoss besitzen. Dies bedeutet, dass wir schnell viel dazu lernen müssen: anders zu produzieren, anders zu transportieren, anders zu konsumieren. Die Energieversorgung muss
69
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
vollständig umgestellt werden. Wir brauchen andere Energie aus erneuerbaren Quellen, und
wir müssen anders, nämlich deutlich effizienter, mit ihr umgehen.
12.2 Grüne Maßnahmen und ihre Wirkung
Bündnis 90/Die Grünen haben ein Energiekonzept vorgelegt, das konkrete Maßnahmen benennt, mit denen sogar eine Reduktion um 27 Prozentpunkte bzw. 280 Millionen t bis 2020
realistisch ist. Und dies ohne Atomkraft und ohne Neubau von Kohlekraftwerken. Unser Konzept betrifft die drei wichtigen Sektoren Strom, Wärme und Verkehr. Und bei allen liegt die
Zukunft in den drei großen E‘s: Energieeffizienz, Energieeinsparung und erneuerbare Energien.
12.2.1 Grüne Maßnahmen im Strombereich
In Deutschland ist zwar eine Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Stromverbrauch
gelungen, doch noch immer steigt die Nachfrage nach Strom jährlich um mehr als 0,5 Prozent. Und auch der Stromverbrauch ist von 472 Terawattstunden (TWh) im Jahr 1995 auf
inzwischen 540 TWh pro Jahr gestiegen (Stand 2007). Wir Grüne wollen diesen Trend umkehren: Durch ein „Effizienzpaket Strom“ soll Deutschland zur energieeffizientesten Volkswirtschaft der Welt werden, damit andere Länder unserem Beispiel folgen. Konkret soll der
Stromverbrauch in Deutschland um mindestens 5 TWh jährlich gesenkt werden, so dass er
bis 2020 um 16 Prozent niedriger ist als 2005. Nach unseren Schätzungen kann der CO2Ausstoss auf diese Weise um 45 bis 65 Millionen Tonnen verringert werden. Neben anderen
Instrumenten umfasst das Effizienzpaket die folgenden Maßnahmen:
1. Der Stromsparfonds: Wir wollen einen Fonds von jährlich eine Milliarde Euro auflegen, mit dem zusätzlich in Stromeinsparung investiert wird. Der Fonds soll unter anderem aus den Erlösen künftiger Auktionen beim Emissionshandel finanziert werden.
Mit ihm werden diverse Aktivitäten zur Stromeinsparung, z.B. der Kauf effizienter
Elektrogeräte, unterstützt.
2. Einführung hoher Effizienzstandards für Elektrogeräte: Nach der EU-ÖkodesignRichtlinie werden in Kürze für alle gängigen Elektrogeräte europaweite Mindesteffizienzstandards für den Stromverbrauch festgelegt. Wir Grüne schlagen vor, dass
ehrgeizige Mindeststandards nicht nur festgelegt, sondern auch im Dreijahresrhythmus aktualisiert werden. Die Standards sollen sich dabei an dem Stromverbrauch
des effizientesten auf dem Markt erhältlichen Produktes orientieren („Top-RunnerAnsatz“).
3. Bessere Kennzeichnung der Energieeffizienz: Wir brauchen europaweit eine aussagekräftige und dynamische Verbrauchskennzeichnung für die gängigsten Elektrogeräte. Jede Verbraucherin und jeder Verbraucher muss sofort erkennen können, ob er
es mit einem effizienten Stromsparer oder einem verschwenderischen Stromschlucker zu tun hat.
4. Anreize für Energie-Audits: Auch in der Industrie liegt ein großes Potenzial zur Energieeinsparung. Wir schlagen vor, Unternehmen aus Branchen mit hohem Strombe70
Silvia Kotting-Uhl: Energie 2.0 – Die grünen Massnahmen bis 2020: Energiesparen, Erneuerbare und Effizienz
darf Steuerermäßigungen einzuräumen, wenn sie Audits zur Reduzierung des Energieverbrauchs durchführen oder ein Energie-Managementsystem einführen.
5. Staatliche Bürgschaften für Energiespar-Contracting: Energiespar-Maßnahmen erfordern meist eine hohe Anfangsinvestition, die erst nach einem längeren Zeitraum
durch die eingesparten Kosten gedeckt wird. Für Unternehmen ist diese Eigenleistung meist zu hoch. Es gibt aber EnergiedienstleisterInnen, die sich darauf spezialisiert haben, die Einsparmaßnahmen im Auftrag durchzuführen und diese aus der
monatlichen finanziellen Ersparnis der AuftraggeberIn zu finanzieren. Diese Unternehmen können ihre Maßnahmen oft nicht voll ausschöpfen, da bei langfristigen
Maßnahmen das Insolvenzrisiko der AuftraggeberIn ein unkalkulierbares Risiko für
größere Investitionen darstellt. Hier sollte der Staat als Bürge auftreten und das Risiko abfedern.
Neben Energieeinsparung und Energieeffizienz setzen wir Grüne auf die erneuerbaren
Energien. Sie sind der Schlüssel zu einer nachhaltigen klimafreundlichen Stromerzeugung.
Atomkraftwerke oder Kohlekraftwerke mit CO2-Abscheidung und –speicherung („CCS“) sind
keine Alternative. Unter den fossilen Energieträgern kann allenfalls Erdgas auch in Zukunft
eine Rolle spielen. Auch dank des von der rot-grünen Bundesregierung (SPD/Grünen) eingeführten Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) ist der Ausbau der erneuerbaren Energien im
Strombereich in Deutschland eine große Erfolgsgeschichte. Aber das Ende der Möglichkeiten ist noch nicht erreicht. Der Beitrag der Erneuerbaren im Strombereich kann und soll deutlich wachsen. 2005 stellten die Erneuerbaren einen Anteil von 10 Prozent des Gesamtstroms
von Deutschland zur Verfügung (ca. 60 TWh). Fossile Energien kamen auf 68 Prozent (ca.
408 TWh) und die Atomenergie auf 22 Prozent (ca. 132 TWh).
Bis 2020 wollen wir den Anteil erneuerbarer Energien an der Bruttostromproduktion auf 43
Prozent erhöhen (ca. 217 TWh), fossile Energieträger sollen in etwa einen Anteil von 51 Prozent beisteuern (ca. 306 TWh), und nur noch knapp 6 Prozent werden von der Atomenergie
geliefert (ca. 30 TWh). Die Quellen erneuerbarer Energie für die Stromproduktion sollen
2020 vor allem Windkraft (ca. 94 TWh) und Biomasse (ca. 40 TWh) sein, aber auch die
Wasserkraft (ca. 25 TWh) und der Stromimport aus dem Ausland (ca. 26 TWh) sollen einen
wichtigen Teil beitragen. Da Windkraft, Bioenergie und Wasserkraft bereits heute bedeutende Teile der deutschen Stromproduktion aus erneuerbaren Energien abdecken, muss vor
allem auch der massive Ausbau von Fotovoltaik (auf ca. 20 TWh) und Geothermie (auf ca.
12 TWh) gefördert werden. Durch einen solchen Paradigmenwechsel in der Stromerzeugung
ließe sich der CO2-Ausstoss um weitere 75 bis 85 Millionen t verringern. Das grüne Konzept
sieht eine Reihe von Maßnahmen vor, die helfen sollen, diesen Wechsel zu vollziehen:
6. Durch eine Stabilisierung und Optimierung des EEG sollen alle erneuerbaren Energien (Solar, Wind, kleine Wasserkraft, nachhaltig angebaute Bioenergie, Erdwärme
und Meeresenergien) weiterhin optimale Investitionsbedingungen erhalten. Neue AkteurInnen – speziell aus dem Mittelstand – brauchen einen privilegierten Zugang. Das
bedeutet eine feste garantierte Einspeisevergütung und eine feste Vergütungsdauer.
Jeder Bürger in Deutschland, der eine Photovoltaik-Anlage auf seinem Dach installiert, jeder Bauer, der eine Biogas-Anlage auf dem Hof hat, jede Genossenschaft, die
eine Windkraft-Anlage baut, soll den damit erzeugten Strom ins Netz einspeisen kön71
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
nen und dafür bezahlt werden. Ebenso brauchen wir eine Qualitätssicherung für das
eingespeiste Biogas und für nachhaltig angebaute Pflanzen.
7. Wir wollen ein Biogaseinspeisegesetz schaffen, in dem die Vorrangigkeit von Biogas
im Erdgasnetz mit Privilegierung des dezentral und nachhaltig erzeugten Biogases
bei der Einspeisung und Durchleitung geregelt wird. Zudem soll es feste Vergütungssätze und Vergütungszeiträume für das eingespeiste Biogas geben, die einen wirtschaftlichen Betrieb der Biogasanlagen inklusive Einspeisung ermöglichen.
8. Die Entwicklung einer Europäischen Biogasstrategie: Die Biogaserzeugung wird in
Deutschland weiter stark zunehmen. Und auch andere Länder werden die Biogaserzeugung ausbauen. Ein Teil des erzeugten Biogases wird über die vorhandenen Pipelines im europäischen Markt verkauft werden. Damit könnte Deutschland einen Teil
seines Gasbedarfes aus ausländischen Biomethanpotenzialen decken. Wir Grüne
streben an, dass bis 2020 9 Milliarden m³ Erdgas durch heimisches und weitere 9
Milliarden durch importiertes Biomethan ersetzt wird. Die Biomethanimporte machen
damit rund 2 Prozent der europäischen Biogaspotenziale (ohne Deutschland) aus.
Wenn davon 35 Prozent in den Stromsektor fließen, können damit 30 TWh Strom aus
Biogas erzeugt werden.
9. Die Förderung der Geothermie: Die Stromerzeugungspotenziale der Geothermie sind
immens. Wir Grüne fordern ein „100-Erdwärmeanlagen-Programm“: Die Bundesregierung soll das Fündigkeitsrisiko für die ersten 100 Anlagen übernehmen oder zumindest eine entsprechende Versicherung bereitstellen. Außerdem befürworten wir
Tiefbohr- und Seismikprogramme mit dem Ziel, schnell in großem Umfang Erkenntnisse anhand einer Reihe von Projekten zu generieren, die dann auch anderen Projekten zur Verfügung stünden.
10. Zu der heimischen Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien kommt nach unserer
Vorstellung ergänzend der Import von erneuerbaren Energien hinzu. Studien haben
aufgezeigt, dass in großem Umfang Strom aus sonnenreichen und windstarken Regionen erzeugt und zu günstigen Kosten nach Mitteleuropa transportiert werden
könnte. Für 2020 werden 5 Prozent der Bruttostromerzeugung durch Importe zum
Beispiel aus Nordeuropa, von wo insbesondere Wasserkraft als auch Windenergie
zur Verfügung gestellt werden kann, sowie aus der MENA-Region (Nordafrika, Naher
Osten) angenommen. Auch wenn es aufgrund eines verzögerten Netz- oder Anlagenausbaus nicht zu dem hier prognostizierten Stromimport kommen sollte, kann unser Ziel, die CO2-Emissionen bis 2020 um 40 Prozent zu senken, erreicht werden.
11. Bürokratieabbau: Leider werden der Umsetzung neuer Gedanken in Deutschland
immer noch zu viele bürokratische Steine in den Weg gelegt. Diese wollen wir so
schnell wie möglich abbauen.
Nimmt man die Auswirkungen des Effizienzpaketes und des Wechsels zu den Erneuerbaren
zusammen, erhält man eine Einsparung von 115 bis 150 Millionen t CO2 bis 2020 allein im
Stromsektor. Dies sind 11 bis 15 der geforderten 40 Prozentpunkte.
72
Silvia Kotting-Uhl: Energie 2.0 – Die grünen Massnahmen bis 2020: Energiesparen, Erneuerbare und Effizienz
12.2.2 Grüne Maßnahmen im Wärmebereich
Fast 60 Prozent des deutschen Energieverbrauches geht in die Wärmeproduktion, bei den
privaten Haushalten sind es sogar über 90 Prozent (ohne Verkehr). Sie verwenden ihre
Energie im Wesentlichen für die Raumwärme (über 75 Prozent) sowie für die Bereitstellung
von warmem Wasser (12 Prozent). Etwas abgeschwächt gilt diese Tendenz auch für den
Bereich Gewerbe, Handel und Dienstleistungen. Bei der Industrie werden für die Wärmebereitstellung über 80 Prozent der Energie verwendet. Hier schlägt die Produktionswärme mit
fast zwei Dritteln des Energiebudgets zu Buche. Dazu lässt sich ihr Anteil an den gesamten
deutschen CO2-Emissionen auf rund 25 Prozent abschätzen. Einsparung ist daher auch bei
der Wärmebereitstellung ein wesentliches Stichwort. Durch verbesserte Dämmung lässt sich
der Energiebedarf im Gebäudebereich signifikant verringern. Darüber hinaus muss jedoch
etwas bei der Art der Wärmegewinnung verändert werden. Denn zum einen werden in
Deutschland riesige Mengen Wärme erzeugt, die faktisch bei der Produktion verpuffen: Der
größte Teil der bei der Stromerzeugung entstehenden Abwärme – etwa zwei Drittel der eingesetzten Primärenergie – geht ungenutzt verloren. Zum anderen ist das Standbein der
deutschen Wärmeerzeugung noch immer die Verbrennung fossiler Rohstoffe.
Ungefähr ein Drittel der Energie wird in Gebäuden verbraucht (rund 4.000 von 14.000 Petajoule [Pj]), wobei ca. 19 Prozent der CO2-Emissionen (ca. 165 Millionen t) entstehen. Die
CO2-Emissionen der Wohngebäude (ca. 120 Millionen t) entstehen vor allem durch Heizung
und Warmwasserbereitung. Bei den Nichtwohngebäuden (ca. 45 Millionen t) kommen zusätzlich bedeutende Anteile der CO2-Emissionen durch die Gebäudeklimatisierung und kühlung hinzu. Wir halten es für realistisch, den Endenergieverbrauch in Gebäuden deutlich
reduzieren zu können: Der durchschnittliche Endenergieverbrauch von Bestandsgebäuden
könnte bei Wohngebäuden von 250 kWh/m2a auf mind. 100 kWh/ m2a und bei Nichtwohngebäuden von heute durchschnittlich 300 kWh/m2a auf mindestens 200 kWh/m2a gesenkt werden. Der Endenergieverbrauch von Neubauten muss dafür von derzeit durchschnittlich 100
kWh/m2a auf mind. 60 kWh/m2a gesenkt werden. So ließen sich ab dem Jahr 2020 jährlich
ca. 30 bis 35 Millionen t CO2 einsparen. Dieses Ziel verfolgen wir mit unserem grünen Gebäudesanierungspaket:
1. Finanzielle Anreize sollen dazu beitragen, die energetische Sanierungsquote des
deutschen Gebäudebestandes von derzeit 0,6 bis 0,7 Prozent pro Jahr auf mindestens 2 Prozent bei Wohn- und auf mindestens 4 Prozent bei Nichtwohngebäude anzuheben. Hier bietet sich vor allem das Gebäudesanierungsprogramm der KfWFörderbank an, die schon heute günstige Kredite zur Sanierung von Gebäudebeständen vergibt.
2. Verschärfung der Energieeinsparverordnung (EnEV): Neu errichtete Wohnhäuser sollen danach einen Energieverbrauch von 60 kWh/m2a („Niedrigenergiehaus 60“) und
bestehende Gebäude nach ihrer Sanierung einen Energieverbrauch von 100
kWh/m2a einhalten. Die entsprechenden Werte für Nichtwohngebäude sollen 100
kWh/m2a für Neubauten und 200 kWh/m2a für sanierte Altbestände betragen. Dies
führt zu einer weiteren Steigerung der energetischen Sanierungsquote und einem geringeren Zuwachs an CO2-Emmissionen durch Neubauten. Insgesamt rechnen wir
hier ab dem Jahr 2020 mit einer jährlichen Einsparung von ca. 29 Millionen t CO2, allein durch eine höhere Sanierungsquote und eine verschärfte EnEV.
73
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
3. Mit weiteren Förderprogrammen wollen wir finanzielle Anreize setzen, die technische
Ausstattung der Gebäude (z.B. Heizungsanlagen, Umwälzpumpen, Thermostate, Abstimmung des Heizungsnetzes) zu erneuern oder zu optimieren. Damit ließ sich der
CO2-Ausstoß bis 2020 um ca. 10 Millionen t bei Wohngebäuden und ca. 2 Millionen t
bei Nichtwohngebäuden verringern.
4. Auch die Einführung eines Energieausweises, welcher über den Endenergieverbrauch eines Gebäudes Auskunft gibt, setzt Anreize für VermieterInnen, den
Verbrauch des Hauses möglichst zu verringern. Wir rechnen hier mit einer zusätzlichen Einsparung von ca. 0,6 Millionen Tonnen.
Neben der Einsparung von Wärme im Gebäudebereich lassen sich bis 2020 auch 85 bis 95
Millionen t CO2 durch Änderungen in der Wärmeproduktion einsparen.
Der Königsweg zur Einsparung von Primärenergie ist die Kraft-Wärme-Kopplung (KWK),
also die parallele Gewinnung von Strom und Wärme in zumeist kleineren Kraftwerken. Dazu
müssen Kraftwerke dort gebaut werden, wo ihre Abwärme benötigt wird. Auch aufgrund des
rot-grünen Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes (KWKG) von 2002 gibt es in Deutschland bereits solche „Doppelkraftwerke“. Allerdings beträgt ihr Anteil erst etwa 11 Prozent an der
Stromversorgung und etwa 9 Prozent an der Versorgung mit Raum- und Prozesswärme. Das
Potenzial ist jedoch deutlich höher: 30 Prozent an der gesamten Stromerzeugung Deutschlands und 14 Prozent im Wärmebereich bis 2020 halten wir Grüne für realistisch. Aber nur,
wenn kräftig in den Bau von Kraftwerken und Wärmenetzen investiert wird.
Solange noch fossile Energieträger eingesetzt werden müssen, sollen Gaskraftwerke als
Übergangstechnologie eine besondere Rolle spielen. Sie weisen höhere Wirkungsgrade und
niedrigere CO2-Emissionen auf als Kohlekraftwerke. Zudem können sie später auch mit Biogas betrieben werden. Sie sind also in mehrfacher Hinsicht eine Investition in die Zukunft. In
unserem grünen Energiekonzept fordern wir deshalb:
5. Das KWKG so zu verbessern, dass es zu Investitionen in den Ausbau von KWKAnlagen anreizt. Auch für die Stromerzeugung aus Abwärme soll es einen Bonus geben.
6. Die Fern- und Nahwärmenetze auszubauen und einen fairen und diskriminierungsfreien Netzzugang zu etablieren.
Die KWK kann ihre Klima schonende Wirkung natürlich am besten entfalten, wenn sie in
Kraftwerken angewandt wird, die regenerative Energie erzeugen. Mit einer Gesamtmenge
von 291 Pj nehmen die erneuerbaren Energien im deutschen Wärmesektor heute jedoch
gerade einmal 5,4 Prozent ein. Dominiert wird die Wärmeproduktion in Deutschland noch
immer von Erdöl (1533 Pj bzw. 28,7 Prozent), Kohle (575 Pj bzw. 10,8 Prozent) und Erdgas
(2942 Pj bzw. 55,1 Prozent) Unser Ziel ist es, die Erzeugung von Wärme aus regenerativen
Quellen bis 2020 auf ca. 1177 Pj bzw. einen Anteil von 28,1 Prozent zu erhöhen. Zwar stellt
nach unserer Konzeption auch 2020 der fossile Energieträger Erdgas den Großteil der in
Deutschland produzierten Wärmeenergie bereit (2230 Pj bzw. 53,3 Prozent), doch hätten wir
die ökologisch weitaus bedenklicheren Energieträger Erdöl (639 Pj bzw. 15,3 Prozent) und
74
Silvia Kotting-Uhl: Energie 2.0 – Die grünen Massnahmen bis 2020: Energiesparen, Erneuerbare und Effizienz
Kohle (139 Pj bzw. 3,3 Prozent) weitgehend verdrängt. Unser Konzept sieht dabei folgende
Maßnahmen vor:
7. Die Einführung eines Erneuerbare-Energien-Wärmegesetzes, welches festlegt, dass
bei der Errichtung, dem Austausch und der Modernisierung von Wärmeerzeugungsanlagen und bei dem Betrieb von Wärmenetzen ein anteiliger Mindesteinsatz von
Wärme aus regenerativen Energiequellen verwendet werden muss. Wer dieser Verpflichtung nicht folgen will oder kann, zahlt eine Ersatzabgabe, die zur Förderung von
regenerativen Wärmeerzeugungsanlagen, Wärmespeicheranlagen, Energieeinsparprogrammen und Wärmenetzen verwendet wird.
8. Eine deutliche Aufstockung und Umgestaltung des Marktanreizprogramms zur Förderung erneuerbarer Energien im Wärmebereich.
Rechnet man die CO2-Einsparungen durch einen geringeren Wärmebedarf mit den Einsparungen durch einen Wechsel hin zur Wärmeerzeugung mit KWK und aus erneuerbaren
Energien zusammen, ergibt sich eine Gesamtreduktion von 115 bis 130 Millionen t CO2 bis
2020. Dies entspricht 11 bis 13 Prozent des Ausstoßes im Vergleichsjahr 1990. Auch im
Wärmebereich findet sich also hinreichend Potential, die 40-Prozent-Marke bis 2020 zu realisieren.
12.2.3 Grüne Maßnahmen im Bereich Verkehr
Der CO2-Ausstoß des Gesamtverkehrs ist zwischen 1990 und 2005 als einziger Sektor in
Deutschland gestiegen, und zwar von 158 auf 167 Millionen t. Er ist damit für 19 Prozent des
Gesamtausstoßes an CO2 verantwortlich. Wir Grüne haben uns zum Ziel gesetzt, den Energieverbrauch im Verkehrssektor bis 2020 um 17 Prozent zu senken, von ca. 2650 auf 2200
Pj. Dies sollte zu einer CO2-Einsparung von 35 bis 40 Millionen t CO2 führen. Darüber hinaus
soll der Anteil regenerativer Energien im Verkehrssektor bis 2020 von 3 Prozent (ca. 80 Pj)
auf 20 Prozent (ca. 440 Pj) angehoben werden, welches den CO2-Ausstoss um weitere 15
bis 20 t senkt. Wir gehen davon aus, dass im Bereich Verkehr insgesamt zwischen 50 und
60 Millionen t CO2 bzw. 30 Prozent des Gesamtausstoßes eingespart werden können. Die
klassischen Strategien für einen umweltfreundlichen Verkehr sind die „3 V’s“: Verkehr vermeiden, verlagern und verträglich gestalten.
Verkehrsvermeidung bedeutet nicht Mobilitätsbeschränkung. Unser Maßnahmenpaket soll
vielmehr dafür sorgen, dass Fahrten eingespart werden können, die häufig auch von den
Mobilen selbst als Belastung angesehen werden:
1. Unser Konzept sieht vor, den baupolitischen Schwerpunkt zu verlagern: Weg vom
Neu- und Ausbau von Straßen, die in Zeiten des demographischen Wandels vielfach
überflüssig sind; hin zum Erhalt und zur Sanierung bestehender Straßen. Ausnahmen
sollten jedoch für dauerhaft hoch belastete Straßen gelten.
2. Die Besteuerung von Grundstücken („Grundsteuer“) sollte unserer Ansicht nach reformiert werden. Das Ziel dabei ist, Wohnen in Städten mit wenig Flächenverbrauch
günstiger und „Bauen auf der grünen Wiese“ teurer zu machen
75
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
3. Die steuerliche Begünstigung beruflicher Fahrten („Pendlerpauschale“) muss gesenkt
werden.
Ein häufig unterschätztes Potential liegt in der Verlagerung von Verkehr auf umweltverträglichere Verkehrsmittel. Unser Maßnahmenpaket zur Verkehrsverlagerung soll dieses Potential
locker machen:
4. Viele kurze Strecken können auch zu Fuß oder mit dem Rad zurückgelegt werden.
Um eine Verlagerung in diese Richtung zu unterstützen, wollen wir finanziell in den
Stadtumbau investieren, um eine fußgänger- und radfahrerfreundliche Stadt zu schaffen. Der Verkehr soll sich am Menschen orientieren und nicht umgekehrt. Bis 2020
soll so der Anteil der Strecken, die in Deutschland mit dem Rad zurückgelegt werden,
von 9 auf 18 Prozent verdoppelt werden.
Für längere Strecken und für den Güterverkehr befürworten wir generell die Verlagerung von
der Straße auf die Schiene. Die S-Bahn zur Arbeit soll eine wirkliche Alternative zur beruflichen Autofahrt werden. Güter mit der Bahn zu transportieren soll vorteilhafter sein als der
Transport mit dem LKW.
5. Wir setzen uns für eine deutliche Stärkung des öffentlichen Personennahverkehrs
(ÖPNV) ein. Dazu gehört eine grundlegende Reform der ÖPNV-Finanzierung, die
Transparenz und stärkere Anreize für das Gewinnen zusätzlicher Fahrgäste schafft.
6. Durch die Entwicklung eines kostenlosen technischen Standards für die Erhebung einer Citymaut sollen Städte ermuntert werden, diese bis 2020 einzuführen und damit
einen wirksamen Verlagerungsanreiz zu schaffen.
7. Die in Deutschland seit 2005 bestehende LKW-Maut soll angehoben und auf weitere
Fahrzeuge ausgedehnt werden.
8. Die Verwaltung des deutschen Schienennetzes soll nach unserer Vorstellung eine öffentliche Aufgabe bleiben.
9. Wir wollen die Wettbewerbsbedingungen von Flugzeug und Bahn einander angleichen, in dem die bisher in Deutschland bestehenden Subventionen für den Luftverkehr, z.B. die Steuerbefreiung von Kerosin und die Mehrwertsteuerbefreiung für Auslandsflüge, abgebaut werden.
Das dritte Standbein unserer Maßnahmen für den Verkehrssektor ist, den Verkehr umweltverträglich zu gestalten: Die Fahrt mit Auto, Bus, LKW und Bahn soll so wenig Energie
verbrauchen wie möglich. Und die dann noch verbrauchte Energie soll soweit wie möglich
aus regenerativen Quellen stammen. Im Einzelnen sieht unser Konzept das folgende Maßnahmenpaket vor:
10. Die Festsetzung verbindlicher Grenzwerte für neue Pkw von 120g CO2 pro km im
Jahr 2012 und einem Grenzwert von 80g CO2 pro km im Jahr 2020. Dies entspricht in
etwa einem Verbrauch von 4,5 Liter (l) Diesel oder 5,0 l Benzin pro 100 km für 2012
bzw. einem Verbrauch von 3,0 l Diesel oder 3,4 l Benzin pro 100 km für 2020.
76
Silvia Kotting-Uhl: Energie 2.0 – Die grünen Massnahmen bis 2020: Energiesparen, Erneuerbare und Effizienz
11. Eine Reformierung der Besteuerung von Kraftfahrzeugen, so dass emissionsarme
Fahrzeuge belohnt und CO2-Schleudern viel stärker zur Kasse gebeten werden als
heute. Dies stellt einen Anreiz zur Entwicklung und Verwendung sparsamer Kraftfahrzeuge dar.
12. Die Einführung eines niedrigeren Tempolimits von 120 km/h auf Autobahnen, 80 km/h
auf zweispurigen Landstraßen und 30 km/h (mit Ausnahmen) innerorts.
13. Marktanreizprogramme für alternative Antriebe, wie Hybrid- oder Plug-In-HybridAntriebe. Dabei streben wir das Ziel an, dass 2020 in Deutschland mindestens eine
Millionen Elektrofahrzeuge im Einsatz sind.
14. Die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit von Kraftstoffen aus nachwachsenden
Rohstoffen, z.B. durch Steuerbegünstigungen. Unser Ziel ist ein Anteil von 15 bis 20
Prozent dieser Kraftstoffe am Gesamtkraftstoffverbrauch im Jahre 2020.
15. Die Umstellung des öffentlichen Verkehrs auf alternative Antriebe, alternative Kraftstoffe und Ökostrom.
12.2.4 Emissionshandel, ökologische Finanzreform, Forschungsoffensive
Nach und nach muss der Klimaschutz für alle Bereiche der Gesellschaft zum Maßstab werden. Neben den einzelnen Maßnahmen in den Bereichen Strom, Wärme und Verkehr wollen
wir allgemeine gesamtgesellschaftliche Maßnahmen umsetzen, die den Umschwung in den
drei Sektoren unterstützen, beschleunigen und auf Dauer sichern sollen.
1. Das wichtigste Mittel ist, der Verschmutzung durch CO2 einen stabilen, deutlich spürbaren Preis zu geben. 2005 wurde in Europa der Emissionshandel eingeführt. Klimaschädliche CO2-Emissionen sind seitdem nicht mehr kostenlos möglich. Der Handel
mit Emissionszertifikaten eröffnet die Chance, ambitionierte Klimaschutzziele mit effizientem Mitteleinsatz zu erreichen. Jetzt kommt es darauf an, den Emissions-handel
ökologisch anspruchsvoll, marktwirtschaftlich effizient und administrativ ein-fach auszugestalten: 100 Prozent der Emissionsrechte müssen europaweit versteigert und
bisher ausgeklammerte Sektoren mit einbezogen werden.
2. Der Ansatz, dem Ausstoß von CO2 einen Preis zu geben, muss auch auf andere Bereiche der Gesellschaft übertragen werden. Mit einer ökologischen Finanzreform wollen wir erreichen, dass ökologisches Verhalten belohnt und klimaschädliches Verhalten sanktioniert wird. Beispielsweise können umweltfreundliche Produkte steuerlich
begünstigt und umweltschädliche Produkte mit einer zusätzlichen Abgabe belegt
werden. Das erzielte zusätzliche Steueraufkommen wollen wir in Form jährlicher
Energiegutschriften an die BürgerInnen zurückgeben. Auch sind umweltschädliche
Subventionen und Privilegien, z.B. für Kohle und Kerosin, abzuschaffen.
3. Einer der zentralen Voraussetzungen dafür, unseren Lebensstandard mit einer klimafreundlichen Lebensweise zu vereinen, ist die Entwicklung neuer Technologien. Effizientere Stromnetze und Geräte helfen Strom zu sparen. Innovative Speichertechnologien und Kraftwerke für regenerative Energien ermöglichen den vollständigen Ausstieg aus der atomaren und fossilen Stromerzeugung. Verbesserte Materialien zur
Gebäudeisolierung und effizientere Anlagen zur Erzeugung, zum Transport und zur
77
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
Speicherung von Wärme erlauben uns, in beheizten Wohnungen zu sitzen auch ohne
die Atmosphäre mit unseren Abgasen zu verschmutzen. Und emissionsfreie Kraftstoffe und Antriebe schenken uns Mobilität ohne einen weiteren Klimawandel. Wir
Grüne wollen deshalb eine Bildungs- und Forschungsoffensive starten, in der wir
langfristig in die Entwicklung klimafreundlicher Technologien investieren. Unter anderem Streben wir an, die Forschungsmittel im Erneuerbare-Energien-Bereich bis 2010
zu verdoppeln und bis 2020 zu verzehnfachen.
12.3 Zusammenfassung
Das Ziel, bis 2020 den Ausstoß von CO2 in Deutschland gegenüber 1990 um 40 Prozent
oder 412 Millionen t zu verringern, ist keine Utopie. 164 Millionen t bzw. 16 Prozent konnten
schon bis 2005 eingespart werden. Und mit dem grünen Energiekonzept lassen sich auch
die verbleibenden 248 Millionen t bzw. 24 Prozentpunkte innerhalb der nächsten 11 Jahre
erreichen, wenn nicht sogar mehr. Doch dazu müssen wir den Karren an jedem Ende anpacken.
Im Stromsektor können wir bis 2020 den Stromverbrauch gegenüber 2005 um 16 Prozent
senken und den Anteil erneuerbarer Energien auf 43 Prozent erhöhen. Dies würde gegenüber 2005 115 bis 150 Millionen t CO2 bzw. 11 bis 15 Prozentpunkte einsparen. Der Wärmebereich bietet weitere Möglichkeiten: Technische Verbesserungen und striktere Regeln für
die Wärmenutzung, der konsequente Einsatz der Kraft-Wärme-Kopplung und ein Anteil regenerativer Energien von 21,8 Prozent bieten die Chance für eine CO2-EmissionsVerringerung gegenüber 2005 um weitere 115 bis 130 Millionen t bzw. 11 bis 13 Prozentpunkte. Aber auch die Potentiale des dritten wichtigen Bereiches, dem Verkehrssektor, dürfen wir nicht ungenutzt lassen. Der Energieverbrauch in diesem Sektor kann bis 2020 um 17
Prozent gesenkt und der Anteil regenerativer Energien auf 20 Prozent ausgebaut werden.
Aus diesen Maßnahmen ergibt sich eine weitere Reduzierung des CO2-Ausstosses gegenüber 2005 um 50 bis 60 Millionen t bzw. 5 bis 6 Prozentpunkte.
Richtig umgesetzt, führt das grüne Energiekonzept also bis 2020 zu einer Minderung des
CO2-Ausstosses um 280 bis 340 Millionen t bzw. 27 bis 33 Prozentpunkten gegenüber 2005.
Zusammen mit den 2005 bereits eingesparten 164 Millionen t bzw. 16 Prozentpunkten hat
die Umsetzung unseres Konzeptes demnach zur Folge, dass die Reduktionsmarke von 40
Prozent gegenüber 1990 bis 2020 nicht nur erreicht, sondern sogar überschritten wird.
Unser grünes Energiekonzept zeigt: Ob wir den Kampf gegen den Klimawandel gewinnen
können, ist nicht mehr eine Frage des Wissens, der Technologie oder des Geldes. Wissen,
Technologie und Geld gibt es genug. Es ist nun vielmehr eine Frage des politischen Willens.
78
Rolf Iten: Braucht es Wachstum für den Klimaschutz?
13 Rolf Iten: Braucht es Wachstum für den Klimaschutz?
Dr. Rolf Iten
Mitglied der Geschäftsleitung, INFRAS Forschung
und Beratung
Infras
Binzstrasse 23, Postfach
CH-8045 Zürich
[email protected]
13.1 Einleitung
Die Wirtschaftswissenschaften beschäftigen sich schon länger mit der Frage, ob sich Wirtschaftswachstum mit nachhaltiger Entwicklung – oder spezifischer mit Klimaschutz – vereinigen lassen. Die Antworten darauf sind vielfältig. Die verfügbaren theoretischen und empirischen Grundlagen führen zum Schluss, dass sich Wirtschaftswachstum positiv auf den Klimaschutz auswirken kann und ein stringenter Klimaschutz im Gegenzug Chancen für die
wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung mit sich bringt. Voraussetzung dafür ist ein
massiver Strukturwandel, der nur durch eine weltweite Internalisierung der externen Kosten
im Klimabereich erreicht werden kann.
13.2 Ökonomische Ansätze zum Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Umwelt
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts befassten sich Wirtschaftswissenschaftler mit theoretischen Ansätzen zum Wachstum. Erst seit den frühen 70er Jahren wurde die Umwelt als Erklärungsgrösse in die Wachstumsanalyse der Wirtschaftswissenschaften mit einbezogen und
versucht, den Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Umweltproblemen theoretisch zu modellieren. Heute sind die theoretischen Erklärungsansätze vielfältig. Im Folgenden werden die wichtigsten Ansätze kurz dargestellt:
79
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
13.2.1 Neoklassische Wachstumstheorie
In den 1970er Jahren wurde die Diskussion über die Interaktion zwischen Wachstum und
Umwelt, inspiriert durch die Vorhersagen des „Club of Rome“ (MEADOWS ET AL. 1972),
vorerst vom Konzept der „Grenzen des Wachstums“ dominiert. Diese frühen Artikel basieren
auf neoklassischen Wachstumsmodellen und sind getrieben durch die zentrale Annahme
des exogenen technologischen Fortschritts. Eine Kritik dieser Modelle im Zusammenhang
mit der Umweltthematik kam von GRADUS/SMULDERS (1993). Die Autoren wiesen darauf
hin, dass der technische Fortschritt nicht einfach exogen gegeben ist, sondern dass dieser
u.a. durch die Umweltpräferenzen der Gesellschaft beeinflusst werden kann.
Mit der Entwicklung der neoklassischen Position ging die Natur als Produktionsfaktor –wie
das bei den Klassikern (Ricardo und Smith) noch der Fall war – verloren. Erst John Hartwick
(1977, 1978) entwickelte ein neoklassisches Wachstumsmodell, welches nicht-erneuerbare
Ressourcen einbezieht. Dieses wurde von Solow verfeinert (siehe z.B. SOLOW 1986). Gemäss diesem Modell ist ein konstanter Pro-Kopf-Konsum möglich, sofern alle Gewinne aus
der Nutzung von Ressourcen in erneuerbares Kapital reinvestiert werden (Hartwick Regel
der Generationengerechtigkeit).
13.2.2 „Neue Wachstumstheorie“
Seit den 1990er Jahren befassen sich „neue Wachstumstheorien“ u.a. mit der Bedeutung der
Umweltpolitik für die Entwicklung von Wachstum und Umwelt (SMULDERS 1999). In den
neueren Modellen (z.B. moderne Ressourcenökonomie) wird der technische Fortschritt endogen als Ergebnis ökonomischer Aktivitäten (private und öffentliche Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen, Ausbildung, Lerneffekte, Spillover-Effekte) modelliert (BRETSCHGER 2005a). Technologischer Fortschritt beinhaltet dabei das Potenzial, knappe natürliche
Ressourcen zu ersetzen (BRETSCHGER 2005b). Adäquate Preissignale – die nicht unter
herkömmlichen Marktbedingungen entstehen – treiben die nötigen Innovationen sowie einen
„wissensbasierten" Strukturwandel voran. Die Hauptfrage ist, ob der technologische Fortschritt genügend schnell neue, effiziente Technologien hervorbringt, um langfristig das Problem der Ressourcenknappheit zu beseitigen.
13.2.3 Ecological Economics
Als Gegenposition zur neoklassischen Ressourcenökonomie ist die Schule der Ecological
Economics zu nennen (siehe als wichtige Vertreter z.B. GEORGESCU-ROEGEN 1971 oder
DALY 1993). Die Vertreter der ökologischen Ökonomie fokussieren bei der Analyse des Zusammenhangs zwischen ökonomischen Aktivitäten und ökologischen Prozessen auf die
thermodynamischen Gesetze und Materialbilanzmodelle und versuchen so, die Grenzen des
Wachstums zu erklären. Sie geben dem technologischen Fortschritt weit weniger Gewicht
und kommen in der Regel zu deutlich anderen (wachstumskritischeren) Schlussfolgerungen
als die herkömmlichen ökonomischen Ansätze. In ihren Modellen geht es primär um (physikalisches) Naturkapital, das sie als begrenzt sehen. Viele sind der Meinung, dass in Zukunft
keine oder zu wenig nachhaltige Technologien vorhanden sein werden, und damit eine Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Umweltverschmutzung langfristig nicht möglich ist.
Damit ist „ein nachhaltiges Wachstum unmöglich“ (DALY 1993).
80
Rolf Iten: Braucht es Wachstum für den Klimaschutz?
13.2.4 Weitere wachstumskritische Ansätze
Neben der genannten Schule der „Ecological Economics“ gibt es eine Vielzahl wachstumskritischer Ansätze. In der Schweiz ist der Ansatz von H. C. Binswanger erwähnenswert
(BINSWANGER 2006). Er betont die Bedeutung der Einführung des Geldes und die immer
weitere Ausbreitung der Geldwirtschaft für das Wirtschaftswachstum: „Unter der Einwirkung
des Geldes weitet sich der ökonomische Kreislauf zu einer nach oben offenen Spirale aus“.
Gemäss Binswanger liegt der echte Grund für das Wachstumspostulat in der Funktionsweise
der modernen Wirtschaft, die immanent auf Wachstum ausgerichtet ist. Um das Funktionieren der Wirtschaft sicherzustellen, gehe es nicht um die Aufrechterhaltung einer beliebig hohen, sondern nur um die Aufrechterhaltung einer minimalen globalen Wachstumsrate. Gemäss Binswanger drängt es sich auf, Wege zu suchen, „wie in geordneter Weise der Spirallauf der Wirtschaft wieder allmählich in einen Kreislauf zurückgeführt werden könnte“. Binswanger hat in früheren Arbeiten gezeigt, wie er sich das vorstellt. In einer Studie aus dem
Jahre 1983 „Arbeit ohne Umweltzerstörung“ zeigt er Wege auf, wie „Ökonomie und Ökologie
versöhnt werden können“. Eine wichtige Rolle spielt dabei eine ökologische Steuerreform
(Rentenfinanzierung durch eine Energieabgabe, vgl. BINSWANGER ET AL. 1984).
13.2.5 Fazit
Die ökonomische Wachstumstheorie hat sich im Laufe des letzten Jahrhunderts entwickelt.
Die neoklassische Wachstumstheorie war der erste Versuch, das Phänomen des Wirtschaftswachstums modellgemäss erklären zu können. Die Erklärungsfaktoren für das
Wachstum sind in der neoklassischen Wachstumstheorie exogene Faktoren, im Vordergrund
stehen das Bevölkerungswachstum und der technische Fortschritt.
Die neue Wachstumstheorie versucht, den technischen Fortschritt zu endogenisieren, was
für die Wirtschaftspolitik zu neuen relevanten Schlussfolgerungen führt. Das Wachstum kann
gemäss diesem Ansatz etwa durch Bildungsinvestitionen, aber auch durch Umweltschutzinvestitionen, die beide den technischen Fortschritt beschleunigen, gefördert werden. Aus diesem Ansatz wurde auch die moderne Ressourcenökonomie entwickelt, die aufzuzeigen versucht, unter welchen Bedingungen Wirtschaftswachstum und ökologische Grenzen vereinbar
sind. Als Gegenposition ist die Schule der Ecological Economics zu nennen, die stärker auf
die Grenzen des Wachstums in einem ökologischen System hinweist.
Seit den 1970er Jahren sind auch vermehrt wachstumskritische Ansätze entwickelt worden,
die die Logik des Wirtschaftswachstums und insbesondere der Zweckmässigkeit, die Wirtschaftspolitik auf die Zielgrösse Wirtschaftswachstum abzustellen, in Frage stellen.
13.3 Evidenz für die Schweiz
Infras hat 2007 im Auftrag des WWF eine Studie erarbeitet, die einen Beitrag zu dieser Diskussion in der Schweiz liefert. Vier Fragen standen im Vordergrund:
•
Kann die Schweiz ihre CO2-Emissionen unter Einbezug der heute verfügbaren Technologien bis 2035 um 60% gegenüber 2001 absenken und somit auf einen Weg der
Klimaverträglichkeit einschwenken?
81
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
•
Welchen Beitrag können dazu die verfügbaren Teilstrategien (Effizienz, Substitution
und Suffizienz zur Minderung von CO2-Emissionen bis 2035 leisten?
•
Welche Wirkungen hat diese Reduktion der CO2-Emissionen auf das Wirtschaftswachstum und die Sektorstruktur der Schweiz?
•
Welche politischen Rahmenbedingungen sind dazu notwendig?
Die Fragen wurden mit Hilfe einer Input-Output-Struktur für die Schweiz untersucht. Die folgende Figur visualisiert die Vorgehenslogik:
in Mio.t CO2 Emissionen
(weiss und grau)
160
Referenzzustand
eingefrorene Technologie
140
120
Autonomer
t echnischer Fortschritt
100
Effizienz
Trendentwicklung
80
Substit ut ion
60
Nachfragerückgang
-60%
©INFRAS
40
Rest emissionen
20
0
19xx
2001
2035
Figur 1: Teilstrategien zur Reduktion zur Reduktion der CO2-Emissionen des Referenz-Zustands
2035; Quelle INFREAS 2007
Als Ausgangsbasis für die Analyse haben wir eine Basisstruktur der Schweizer Wirtschaft
2035 erstellt, die mit eingefrorener Technologie des Jahres 2001 gemäss dem vom SECO
prognostizierten Potenzialwachstum von rund 1% pro Jahr (SECO 2006) weiterwächst und
einen Strukturwandel aufweist, der gemäss Ecoplan 2006 für kaum veränderte Rahmenbedingungen in Bezug auf die relativen Energiepreise – also den Preis von Energieprodukten
gegenüber anderen Gütern – bis 2035 zu erwarten ist.
Für jede der Teilstrategien wurde anschliessend untersucht, wie stark diese die CO2Emissionen des Referenzzustands 2035 verringern kann und welche politischen Rahmenbedingungen gelten müssen, damit dieses Potenzial auch erreicht wird. Pro Gütergruppe der
Schweizer Wirtschaft wurde analysiert, welche Anpassungen der Produktions- und Konsumstrukturen unterteilt nach den vier Teilstrategien mit den heute verfügbaren und marktfähigen
Technologien möglich sind, um die angestrebte Abnahme der grauen und weissen CO282
Rolf Iten: Braucht es Wachstum für den Klimaschutz?
Emissionen um 60% gegenüber 2001 zu erreichen. Dabei bildete die verfüg-bare Literatur
(u.a. zu verschiedenen Einsparpotenzialen) die Grundlage für die Auswahl von Massnahmen
und deren Reduktionspotenziale.
Beispiele für berücksichtigte Massnahmen bei den Teilstrategien Effizienz und Substitution
sind:
•
Minergie P-Standard für alle Neu- und Ersatzneubauten. Dieser reduziert bis 2035
die CO2-Emissionen für Wärme beim Wohnen um 50%.
•
Verringerung des Durchschnittsverbrauchs beim motorisierten Individualverkehr über
eine Verbrauchsabsenkung in Richtung 4l/100 km im Durchschnitt.
•
25% weniger CO2-Emissionen bei den Fahrzeugen dank mehr erneuerbaren Treibstoffen bis 2035.
•
Bei der Wärmeerzeugung von Haushalten wird eine Reduktion der CO2-Emissionen
um 40% erzielt, teilweise durch Umstellung von Öl- auf Gasheizung (25% tiefere
Emissionen), teilweise durch Umstellung auf erneuerbare Energien oder Wärmepumpen.
Figur 2 gibt einen Überblick über die Ergebnisse:
in Mio. Tonnen CO2
120
+49%
zu
2001
100
80
graue CO2-Emissionen
-16% (-20 Mio.t)
+24%
zu
2001
weisse CO2-Emissionen
-29% (-30 Mio.t)
82
-13%
zu
2001
60
-49% (-34 Mio.t)
40
-11% (-5 Mio.t)
-55%
zu
2001
20
-60%
zu
2001
33
2035 Suffizienz
Ziel 2035
0
2001
©INFRAS
2035
"eingefrorene
Technologie"
2035 Auton.
tech. Fortschritt
2035 Effizienz
2035
Substitution
Figur 2: Quelle CO2-Emissionen nach Wirkungsbereichen: Quelle INFRAS 2007
Ohne weitere Anstrengungen würde nur der autonome technische Fortschritt stattfinden und
lediglich zu einer Reduktion der CO2-Emissionen um 22% führen. Damit läge der CO2Ausstoss in der Schweiz aber noch 24% über dem Niveau von 2001. Die beiden bedeutendsten Teilstrategien Effizienz und Substitution bergen zusammen bis 2035 ein Potenzial
83
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
von knapp 75% der angestrebten Entwicklung in Richtung Klimaverträglichkeit. Bis zur angestrebten Reduktion von 60% gegenüber 2001 fehlt noch ein Beitrag von 4% über die Suffizienz. Um diesen zu realisieren, braucht es keine weiteren Massnahmen. Die für die Realisierung der Effizienz- und Substitutionspotenziale notwendigen Rahmenbedingungen ziehen
per se bereits Nachfrageanpassungen nach sich, welche die verbleibenden 4% der Emissionsreduktion mindestens mit sich bringen.
Um die Potenziale nutzen zu können, ist im Sinne einer Grobsteuerung eine Internalisierung
der externen Kosten der Nutzung fossiler Energien notwendig. Das bedeutet, es braucht eine
sektorübergreifende Energie- oder CO2-Steuer und einen Beitritt zum Emissionshandelssystem der EU, das bis jetzt Emissionen von Brennstoffen der Sektoren Energie und Industrie
umfasst. Wichtige weitere Massnahmen sind u.a. die Einführung des Minergie P-Standards
beim Neubau und Ersatzneubau von Häusern, Einführung der Überwälzbarkeit energetischer
Investitionen auf die Mieter, Mindestenergiestandards für Geräte und Anlagen, Absenkung
des durchschnittlichen Flottenverbrauchs von Personenwagen auf 4 l/100 km durch zusätzliche preisliche Anreize, Fokussierung der Raumplanung auf verkehrsarme Strukturen. Die
verfügbare Literatur zeigt, dass die unterstellten Massnahmen und politischen Rahmenbedingungen das Wirtschaftswachstum nur schwach oder gar nicht negativ tangieren (Ecoplan
2006, McKinsey 2007, IPCC 2007).
13.4 Die globale Dimension
In der globalen Dimension sind verschiedene Aspekte zu beachten, die das Problem massiv
verstärken. Zu nennen sind Armut, Hunger und kriegerische Konflikte. Die Finanzierung von
Anpassung und Vermeidung insbesondere im Süden beansprucht grosse Finanzen, welche
nicht sichergestellt sind. Auf globaler Ebene tritt die Trittbrettfahrerproblematik noch verschärfter auf als auf nationaler Ebene. Nicht zuletzt sind auch Governance Probleme zu
nennen, die das Finden und Umsetzen von Lösungen zusätzlich erschweren. Nichtsdestotrotz zeigen die verfügbaren Analysen, dass Wirtschaft und Klimaschutz unter einen
Hut zu bringen sind: Die makroökonomischen Auswirkungen von Klimaschutzmassnahmen
sind verkraftbar, wenn wir rasch handeln. Der 4. Assessment Report des IPCC-Bericht zeigt
auf, dass die Auswirkungen auf das BIP-Wachstum einer Strategie zur Erreichung des 2
Grad-Ziels sehr gering sind. Bis 2030 ist mit einer kumulierten Wachstumseinbusse von 3%
zu rechnen. Dies entspricht einer Verzögerung des Wachstumsprozesses um ein Jahr. Das
globale BIP ist auch bei der Verfolgung des 2 Grad-Ziels ein Jahr später auf demselben Niveau wie im „Business as Usual-Fall“:
84
Rolf Iten: Braucht es Wachstum für den Klimaschutz?
Figur 3: Quelle: 4th Assessment Report IPCC.
Der Stern-Report (Stern 2006) zeigt auf, dass die Kosten-Nutzen Bilanz eines verstärkten
Klimaschutzes positiv ist: Mit Aufwendungen von ca. 1% des BIP können Schäden von bis
zu 20% des BIP verhindert werden. Es zeigt sich aber auch, dass der Investitionsbedarf für
Klimaschutz sehr gross ist. Gemäss IEA müssen Regierungen weltweit 400 Mia $/a mehr in
Energiesysteme investieren, um das Energiesystem in Richtung Klimaverträglichkeit umzubauen. Die EU rechnet damit, dass es für ein Kopenhagen-Agreement ca. 80 Mia €/a an
Nord-Süd Transfers braucht. Eine neue Studie der UNO fordert, dass 500 Milliarden Dollar
jährlich investiert werden müssten, um künftige Klimaschäden abzuwenden.
13.5 Schlussfolgerungen
Die Auswertung der verfügbaren Grundlagen zum Thema Wirtschaftswachstum und Umwelt
bzw. Klimaschutz führen zu folgenden Schlussfolgerungen:
•
Wirtschaftswachstum kann sich positiv oder negativ auf die Umwelt auswirken. Wirtschaftswachstum wirkt sich heute negativ auf die Umwelt aus, da externe Effekte vorliegen und die deshalb zu tiefen Preise für die Nutzung der Umwelt zu einer Übernutzung der natürlichen Ressourcen führen. Das heutige Wirtschaftswachstum ist deshalb nicht nachhaltig.
•
Wirtschaftswachstum kann sich positiv auf die Umwelt auswirken, wenn die externen
Effekte internalisiert sind und die zusätzlichen Einkommen für vergleichsweise umweltschonendere Aktivitäten ausgegeben werden, was in der Regel zu erwarten ist.
•
Die Internalisierung der externen Effekte verändert das Preisgefüge und fördert so
den technologischen Fortschritt und die Innovationstätigkeit.
85
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
•
Durch den technischen Fortschritt verbessert sich nicht nur die Ressourceneffizienz,
sondern auch die gesamtwirtschaftliche Effizienz einer Volkswirtschaft. Dadurch wird
eine umweltverträgliche Form des Wirtschaftswachstums gefördert. Durch technischen Fortschritt und die damit steigende Ressourceneffizienz können die „Grenzen
des Wachstums“ hinausgeschoben werden. Ein qualitativ (und nicht unbedingt quantitativ) steigender Wohlstand für alle, zu dem auch eine saubere Umwelt gehört, wäre
dann bei sinkendem (konstantem) Ressourcenverbrauch und damit unter Beachtung
der Generationengerechtigkeit langfristig möglich.
•
Mittels Entkoppelung der Umweltbelastung von der wirtschaftlichen Entwicklung können Unternehmen unter idealen Bedingungen prosperieren und dabei gleichzeitig ihren Ressourcenverbrauch und Schadstoffausstoss senken.
•
Die Entkoppelung ist nicht quasi-automatisch erreichbar, sondern erfordert den Einsatz von Politikmassnahmen. Die Umweltpolitik muss in den noch nicht entkoppelten
Bereichen umso effektiver sein, d.h. technischer Fortschritt und Struktur-wandel müssen forciert und durch geeignete Umweltmassnahmen unterstützt werden, damit sie
den negativen Wachstumseffekt überkompensieren und eine absolute Entkoppelung
einleiten.
•
Ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum hilft mit, die anstehenden grossen sozialen
und ökologischen Herausforderungen wie die steigende Finanzierungslücke der Altersvorsorge, steigende Gesundheitskosten, lokale und globale Umweltprobleme zu
meistern. Allerdings ist Wirtschaftswachstum kein Allheilmittel. Für jeden der genannten Problembereiche sind sachgerechte Politiken zu entwickeln bzw. zu optimieren,
um eine Nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen.
Insgesamt lässt sich aus unserer Sicht folgendes Fazit ziehen:
86
•
Wirtschaftswachstum ist per se weder gut noch schlecht. Wirtschaftswachstum kann
zur Lösung einiger der anstehenden ökologischen und sozialen Probleme beitragen.
Voraussetzung dafür ist, dass die politischen Rahmenbedingungen so gesetzt werden, dass die wirtschaftliche Entwicklung in die richtigen Bahnen gelenkt wird.
•
Dazu braucht es zwingend (1) wirksame institutionelle und regulatorische Arrangements auf nationaler und globaler Ebene, (2) eine neue „Wachstumspolitik“ mit einer
vollständigen weltweiten Internalisierung der externen Kosten, eine an den Klimaschutzzielen orientierte Bildungs-, F&E- sowie Innovationspolitik sowie (3) eine globale und faire Nord-Süd-Ressourcenpolitik kombiniert mit einem angemessenen sozialen Ausgleich innerhalb der Industrieländer und zwischen den Industrieländern und
den Entwicklungsländern.
•
Unter diesen Kardinalbedingungen kann Wirtschaftswachstum auch für Umwelt und
Gesellschaft positive Wirkungen entfalten und zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen.
•
BIP als alleiniger wirtschaftspolitischer Indikator für „Wachstum“ genügt deshalb nicht
– es braucht neue Messkonzepte, welche das „Wachstum“ bzw. besser die „Entwicklung“ aussage-kräftig abbilden.
Rolf Iten: Braucht es Wachstum für den Klimaschutz?
13.6 Literatur
Binswanger H.-C. et al. (1983): Arbeit ohne Umweltzerstörung von Hans Christoph Binswanger,
Heinz Frisch, und Hans G. Nutzinger von Fischer S. Verlag GmbH
Binswanger H-C. (2006): Die Wachstumsspirale – Geld, Energie und Imagination in der Dynamik des
Marktprozesses, Metropolis.
Bretschger L. (1998): Growth Theory and Sustainable Development. Edward Elgar Publishing Limited, Cheltenham, UK.
Daly H. (1996): Beyond Growth: The Economics of Sustainable Development.
Ecoplan (2006): Energieperspektiven – wirtschaftliche Auswirkungen. Energieszenarien und ihre wirtschaftliche Auswirkungen auf die Schweiz in einem globalen Kontext, Resultate aus dem
Mehrländer-Gleichgewichtsmodell MultiSwissEnergy.
Georgescu-Roegen N. (1971): The Entropy Law and the Economic process, Cambridge, MA: Harvard University Press.
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87
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
14 Hermann Knoflacher: Energie und Mobilität – Wir werden in Zukunft mehr im Kopf brauchen als in den vergangenen Jahrzehnten
Em. O. Univ. Prof. DI Dr. Hermann Knoflacher
Technische Universität Wien, Institut für Verkehrswissenschaften, Forschungsbereich für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik, Präsident Club of Vienna,
Wien
Institute for Traffic Planning and Traffic Engineering
Gusshausstrasse 30/231
A-1040 Wien
[email protected]
14.1 Zum Thema
Zwei naheliegende Zugänge zum Thema:
•
•
Populär aber anspruchsvoll: die historische Version „Wer es nicht im Kopf hat, muss
es in den Beinen haben“ oder in einer zeitgemäßen Formulierung „Wer genug PS in
den „Beinen“ hat, braucht wenig im Kopf“. Bei 240 oder mehr PS in den „Beinen“ wird
es schon schwierig sich vorzustellen, wie wenig noch im Kopf sein muss.
Der physikalische Zugang: klar und einfach; Energie für Mobilität = f (m, v,η ) . Masse,
Geschwindigkeit und Wirkungsgrad oder Effizienz bestimmen den Aufwand an Energie für Mobilität.
Sieht man zunächst vom Flug- und Schiffsverkehr ab, verfügen Fußgeher und Radfahrer
durch ihre geringe Masse, ihre geringe Geschwindigkeit und – systemisch betrachtet – über
eine relativ hohe Effizienz und ihre Flexibilität, die von keinem sonstigen technischen Verkehrsmittel erreicht werden kann über die besten Voraussetzungen für eine nachhaltige Mobilität. Der Fußgeher ist enorm wendig, steigungsfähig und hat geringe Ansprüche an Breite
sowie Tragfähigkeit der Verkehrswege. Der öffentliche Verkehr folgt mit einigem Abstand
und hat pro Person wesentlich mehr Masse zu bewegen, erreicht aber wesentlich höhere
Geschwindigkeiten. Der Wirkungsgrad wird entscheidend vom Besetzungsgrad geprägt sowie von Antriebsformen der technologischen Entwicklung. Nichtsdestotrotz liegt der spezifisch energetische Wirkungsgrad in der Regel bei einem Zehntel der nicht motorisierten Verkehrsteilnehmer oder darunter. Personenkraftwagen sind wesentlich ungünstiger mit ihrer
spezifisch größeren Masse pro beförderte Person, energetisch wegen der hohen Geschwin88
Hermann Knoflacher: Energie und Mobilität – Wir werden in Zukunft mehr im Kopf brauchen als in den vergangenen
Jahrzehnten
digkeit die sich zumindest mit dem Quadrat der Geschwindigkeit im Energieverbrauch niederschlägt und ihrem außerordentlich niedrigen Wirkungsgrad bei der heutigen Form der
Benutzung. Im Verhältnis zu den nicht motorisierten Verkehrsteilnehmern liegt ihre Systemeffizienz deutlich unter einem Prozent. Will man daher Mobilitätsenergie sparen, dann folgt
aus der Logik der Physik, dass
•
die Geschwindigkeiten verringert werden müssen,
•
die Masse individuell und gesamt zu reduzieren ist und
•
der Wirkungsgrad – im System – erhöht werden muss.
Daraus resultieren für die politische Entscheidungsfindung, Stadt- und Verkehrsplanung folgende zwingenden logischen Konsequenzen:
•
absolute Priorität für Fußgeher/innen: Mit dieser Verkehrsart muss man alles, was
man täglich braucht, leicht, sicher und angenehm erreichen.
•
Priorität für den Radverkehr, wo möglich, als Ergänzung für Fußgeher bei geeigneter
Topographie für Reiseweiten bis ca. 5 (15) km.
•
Der öffentliche Verkehr ist als Substitut für längere Wege eine energetisch brauchbare Mobilitätsform, setzt aber voraus, dass seine Haltestellen für Fußgeher und Radfahrer ungehindert, sicher und bequem erreicht werden können.
•
Der heute dominierende Pkw wäre in einer rationalen Gesellschaft nur mehr als Bewegungsprothese für Gruppen, die darauf angewiesen sind, einzusetzen. Damit entfällt im Wesentlichen die breite private Pkw-Nutzung wie sie heute vorhanden ist.
Dies führt nun zur zentralen Frage, warum eine Gesellschaft, die für sich in Anspruch nimmt,
wissenschaftlich auf der Höhe und aufgeklärt zu sei, diese elementaren Anforderungen für
eine menschliche Form der Mobilität nicht umgesetzt hat bzw. sie nicht umsetzt.
14.2 Evolutionärer Erklärungsansatz
Rund sechs Millionen Jahre als Zweibeiner haben zur Entwicklung der menschlichen Kultur
und Zivilisation vor allem als Folge der Wechselbeziehungen zwischen Händen, Gesicht und
Gehirn, dem „Begreifen“ geführt. Informationssysteme und Handlungsweisen zwischen Menschen sind raumzeitlich durch die Fußgehgeschwindigkeit bestimmt. Diese liegt bei zwei bis
drei km/h, beim Laufen bis zu 12-14 km/h und garantiert eine weitgehend sichere, unfallfreie
Bewegung aufgrund der Verarbeitungsfähigkeiten der Sinne und des Gehirns. Die durch die
externe Energienutzung möglich gewordenen höheren Geschwindigkeiten technischer Verkehrssysteme des 19. Jahrhunderts bedeuten auf der Zeitachse einen riesigen Sprung weit
über die evolutionären Grenzen des Menschen hinaus.
89
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
Abbildung 1: Höhere Geschwindigkeit führt nur zu längeren Wegen und zu höherem Verkehrsaufwand = -wachsum
Fasziniert von dieser Mühelosigkeit entstand das herkömmliche traditionelle Verkehrswesen
auf der Grundlage von Mythen. Die zentralen Mythen, auf denen sämtliche technischen Verkehrsanlagen errichtet und betrieben werden, sind
•
Mobilitätswachstum
•
Zeiteinsparung durch Geschwindigkeit und
•
Freiheit der Verkehrsmittelwahl.
Mit der Veränderung der Geschwindigkeiten von der Normalität des Menschen zur Abnormalität technischer Systeme entstand eine Ver-rückung, die weder wahrgenommen, noch verantwortet wurde. Das heutige Verkehrssystem ist daher sozusagen eine Welt der Verrückten.
Der Mythos des Mobilitätswachstums beruht auf einem Beobachtungsfehler durch Einschränkung des Mobilitätsbegriffes auf den motorisierten Verkehr, insbesondere den Autoverkehr. Es entstand ein Mobilitätsbegriff ohne Zweck, der lediglich die Bewegung der Autos
zählte. Es wurde weder gefragt woher und wohin, noch warum Menschen mit dem Auto fahren bzw. fahren müssen. Da jeder Weg einen Zweck verfolgt, nämlich am Ziel die Mängel
des Ausgangspunktes zu kompensieren, ist jede räumliche Mobilität ein Ausdruck des Mangels am Ausgangspunkt. Wachstum dieser räumlichen Mobilität bedeutet daher nichts anderes als zunehmender Mangel der jeweiligen Ausgangspunkte. Zweck jeder Bewegung ist die
Hoffnung auf eine Befriedigung des Mangels am Ziel. Mobilität kann daher nur im Zusammenhang mit den Reisezwecken erfasst werden. Und die Reisezwecke haben sich durch die
technischen Verkehrsmittel nicht geändert, es sind die Wege zur Arbeit, zur Ausbildung, zum
Einkauf, zu den dienstlichen Verpflichtungen, zum Besuch, zur Freizeit und nach Hause. Wer
diese Wege mit dem Auto erledigt kann sie nicht gleichzeitig zu Fuß, mit dem Fahrrad oder
90
Hermann Knoflacher: Energie und Mobilität – Wir werden in Zukunft mehr im Kopf brauchen als in den vergangenen
Jahrzehnten
dem öffentlichen Verkehr erledigen. Dem beobachteten Wachstum der Autofahrten entspricht daher ein ebenso großer nicht beobachteter Anteil des Mobilitätsverlustes aller anderen Verkehrsteilnehmer. Wer daher vom Mobilitätswachstum spricht gilt nachweisbar als verrückt gemessen am realen Systemverhalten.
14.3 Zeiteinsparung durch Geschwindigkeitserhöhung
Würden Geschwindigkeiten zur Zeiteinsparung im Verkehrssystem führen, müssten Gesellschaften, die über schnelle technische Verkehrsmittel verfügen, Zeitüberschüsse aufweisen,
also gemütlicher sein als solche, die langsamer unterwegs sind. Auf der Annahme der Zeiteinsparung durch Geschwindigkeit wurden sämtliche Investitionen in schnelle Verkehrssysteme begründet und berechnet, weil im Wesentlichen der gesamte Nutzen, der den Kosten
gegenübergestellt wird, aus den „Zeitgewinnen“ schneller Verkehrssysteme abgeleitet wird.
Diese Annahmen, aus der individuellen Erfahrung auf das System extrapoliert, entsprechen
leider nicht dem realen Systemverhalten. Sämtliche empirischen Befunde zeigen weltweit
eine Reisezeitkonstanz, unabhängig davon, ob Gesellschaften über technische Verkehrsmittel verfügen oder nicht. Ebenso zeigen die empirischen Befunde, dass die Erhöhung der Geschwindigkeit nicht nur zu keiner Reisezeiteinsparung, sondern zur Wegverlängerung führt.
Dies entsteht als Folge der räumlichen Disaggregation menschengemachter Strukturen. Am
besten beobachtbar sind diese anhand der Zersiedlung der Städte (Funktion Wohnen) und
der gleichzeitig oder mit geringer Verzögerung folgenden Konzentration wirtschaftlicher Aktivitäten des Handels und der Beschäftigungen.
Zentralistische Strukturen wie Supermärkte, große Beschäftigungsagglomerationen sind das
Ergebnis der hohen Geschwindigkeiten ebenso wie die Zerstörung der kleinen vielfältigen
Strukturen in menschlichen Siedlungen. Die urbanen Kulturen - über Jahrtausende bis zum
Höhepunkt des Mittelalters entwickelt – wurden mit der Einführung technischer Verkehrssysteme insbesondere aber in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts innerhalb von zwei Generationen praktisch zerstört. Nur dort, wo es gelungen ist, die Geschwindigkeiten des Fußgehers wieder zur zentralen Geschwindigkeit des Systems einzuführen, entstand wieder die
notwendige Belebung dieser nachhaltigen Siedlungsform.
14.4 Effizienzverluste durch falsche Strukturen
Der fundamentale Irrtum des Mythos vom Mobilitätswachstum hat dazu geführt, dass energiesparsame Mobilitätsformen zugunsten von energievergeudenden Mobilitätsformen aufgegeben wurden, ohne dass zusätzliche Mobilität möglich ist. Der ebenso gravierende Irrtum
von einer Zeiteinsparung durch Geschwindigkeitserhöhung, die im System nicht möglich ist,
führt zusätzlich zu enormem Energieaufwand, um die längeren Wege mit technischen Verkehrsmitteln bewältigen zu können. Traditionelles Verkehrswesen hat daher ohne Mobilitätsgewinn und ohne Zeitgewinn im System den Energieaufwand für Mobilität um mindestens
zwei bis drei Zehnerpotenzen dank der geringen Kosten fossiler Energie erhöht. Die technische Entwicklung der beiden letzten Jahrhunderte im Mobilitätsbereich hat daher zu einem
Effizienzverlust von über 99 % im Verkehrswesen geführt – aber nicht nur das, sondern hat
91
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
Therapien entwickelt, die die Verkehrsprobleme nicht nur perpetuieren, sondern ständig erhöhen. Die wirksamste Methode, um permanenten Stau zu erzeugen, besteht etwa darin
zusätzliche Fahrbahnen bei Kapazitätsengpässen zu errichten. Die dazu erforderlichen
grundlegenden mathematischen Beziehungen findet man in den einschlägigen Lehrbüchern
(Literatur Knoflacher).
14.5 Der zentrale Irrtum: Die Freiheit der Verkehrsmittelwahl
Diese beruht auf der Annahme, dass durch die Angebote mehrerer Verkehrssysteme und
Verkehrsmittel der Mensch immer mehr Wahlfreiheit angeboten erhielte.
Diese Annahme wurde ohne Rücksicht auf das reale Verhalten des Menschen, also ohne
Kenntnis menschlicher Verhaltensweisen getroffen. 1975 entdeckte der Verfasser eine erstaunliche Ähnlichkeit zwischen dem Verhalten von Menschen, beobachtet in der Dissertation von Walther, und der Bienen in ihrer mathematischen Ausprägung. In beiden Systemen
nahm die Bereitschaft längere Wege in Kauf zu nehmen nach einer Exponentialfunktion ab.
Bei den Menschen waren es Fußwege, bei den Bienen Flugdistanzen, also zwei deutlich
unterschiedliche Systeme. Es war daher eine Homologie zu vermuten, und nach der Ursache zu suchen. Hilfreich war dabei die Beobachtung, dass Frisch und seine Mitarbeiter 1956
bei einem Versuch feststellten, dass die Informationen der Bienen nicht auf Entfernungen,
sondern auf den Körperenergieverbrauch beruhen. Damit war der Weg geebnet zum Verständnis menschlicher Verhaltensweisen in einem technisch modifizierten Umfeld mit dem
Zugriff auf Mobilitätshilfen wie etwa das Auto oder das Fahrrad.
Abbildung 2: Wahrnehmungsfähigkeit gestört
Der körpereigene Energieaufwand eines Autofahrers pro Zeiteinheit beträgt die Hälfte oder
nur ein Sechstel jenes von Fußgehern. Gleichzeitig erhält aber das Gehirn Informationen
über enorme Geschwindigkeitszuwächse und steigende Körperkraft, die zu dem bekannten
Überlegenheitsgefühl des Autofahrers führen. Entscheidend für die Erklärung ist aber die
Kenntnis der Tiefe dieser Wirkungsmechanismen in die der Mensch durch die Autobenutzung geraten ist. Das Auto ist das Produkt unserer technischen Zivilisation, verändert jedoch
92
Hermann Knoflacher: Energie und Mobilität – Wir werden in Zukunft mehr im Kopf brauchen als in den vergangenen
Jahrzehnten
bei seinem Zugriff auf den Menschen die tiefsten Schichten seiner evolutionären Befindlichkeit, die Verrechnung der körpereigenen Energie. Das von den Begründern der Psychophysiologie entdeckte Weber/Fechnersche Empfindungsgesetz E = ln i erhält damit eine weitreichende Bedeutung tief unter diese Entdeckungsebene der komplexen Systeme. Das bisher nicht beachtete Vorzeichen dieses Gesetzes wird deshalb so entscheidend, weil die von
den Entdeckern nicht bedachte inverse Funktion bei den menschlichen Eingriffen in die Natur zu einer entscheidenden Größe wird, nämlich die e-Potenz. Werden Systeme errichtet,
bei denen Rückkopplungen über eine e-Potenz mit positivem Exponenten stattfinden, dann
handelt es sich um unkontrollierte Systeme wie dies beim Autoverkehr im letzten Jahrhundert passiert war und damit nachweisbar wird.
Gerade im Zusammenhang mit energetischen Betrachtungen ist diese Erkenntnis von grundlegender Bedeutung. Um den ungeheuren Energieaufwand für technische Mobilität, die die
physische des Menschen unterstützt, verständlich zu machen, ist die Kenntnis der inneren
energetischen Mechanismen des Menschen von zentraler Bedeutung. Während eine enge
innere Beziehung zur Verringerung des Energieaufwandes zwischen Fußgeher und Autofahrer existiert und mehrfach positiv rückgekoppelt das Erlebnis müheloser überlegener Fortbewegung erzeugt, wird die ungeheure Energiemenge, die die technischen Apparate der Autos
benötigen, über die Wahrnehmung ausgeblendet, ja selbst über die ökonomische Wahrnehmung der Energiepreise. Durch den fundamentalen Irrtum der Ökonomen, das Allgemeingut
Erdöl als Commodity zu verwenden und es kurzfristig mehr oder weniger sinnlos jenseits
seines realen Wertes vergnüglich zu verbrennen, kann durch diese ökonomische Verfälschung ein Durchschnittsverdiener für ein Joule körpereigenem Energieaufwand zwei, ja
sogar drei Zehnerpotenzen externe Energie kaufen.
Dies schlägt sich leider auch in der Realität nieder. Im Hirn werden 4-24 kcal für eine Geschwindigkeit von 4-20 km/h, gegenüber 2 kcal für Geschwindigkeiten von über 100 km/h
verrechnet; nicht verrechnet wird aber der externe Energieaufwand zur Herstellung und den
Betrieb des Fahrzeuges einschließlich seiner Anlagen, der diesen Wert um zwei bis drei
Größenordnungen übersteigt.
14.6 Die Bedeutung der Struktur
In diesem tiefen Zugriff des Autos mit mentalen und physischen Rückkopplungen auf den
gesamten Körper des Menschen auf der Schicht der Körperenergie erhalten Strukturen, insbesondere gebaute Strukturen eine zentrale Bedeutung. Mit diesem tiefen Zugriff, der zu
einer grundlegenden Veränderung aller Oberschichten der Evolution im Menschen führt,
verändert sich das Wertesystem in dramatischer Weise. Das Auto im Hypotalamus festgesetzt verändert das Wertesystem, die Weltsicht und damit die Handlungen aller davon Betroffenen. In der Welt des Genoms entsteht eine Macht, der das Hirn bisher nicht gewachsen
war (Knoflacher, Virus Auto). Nicht mehr menschliche Siedlungen werden verlangt, sondern
Siedlungen für das Auto, nicht mehr Lebensräume für Kinder, sondern Parkplätze für den
Pkw kennzeichnen die dramatische Veränderung unserer Gesellschaft. Die minimale Einsparung an Körperenergie mit der Rückkopplung über die damit gewonnenen positiven Reize
erklärt die maßlose Energievergeudung des Verkehrssystems des letzten Jahrhunderts.
Siedlungen, Wirtschaft und Gesellschaft wurden vom Auto geprägt, Industriezweige arbeiten
93
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
für das Auto, die Flächenversiegelung von 300 m pro Pkw erreicht ein Ausmaß, das keinem
Bewohner einer Stadt zugebilligt wird.
Das in die inneren Strukturen des Menschen eingedrungene Auto setzt seine Bedürfnisse in
der Gestaltung der äußeren Strukturen durch. Denn auch das Hirn profitiert davon, weil
enorme Energiepotentiale erschlossen werden. Je größer das Ausmaß verfügbarer physischer Energie ist, umso geringer ist der Aufwand interner mentaler Energie. Diese Individualoptimierung durch unmittelbaren Zugriff auf riesige Energiemengen ohne unmittelbare negative Rückkopplung hat zum Umbau aller Siedlungen aber auch der Wirtschaft weltweit
nahezu innerhalb einer Generation geführt. Sämtliche Disziplinen des Verkehrswesens haben diese Zusammenhänge nicht erkannt, weil sie außerhalb des Wahrnehmungsfeldes ihres Fachgebietes liegen.
Der Großteil der Menschen sitzt heute in einer sowohl selbst gebauten wie auch durch die
bestehenden Vorschriften erzwungenen Falle und die so genannten Experten bemühen sich
einen Ausweg an der falschen Stelle zu suchen, nämlich an den Symptomen im Fließverkehr. Die Ursache für den unglaublichen Energieverbrauch und den Zwang zum Autofahren
und die hohen Geschwindigkeiten liegt in der unmittelbaren Koppelung von Auto und
Mensch durch die Anordnung der Parkplätze. Legt man diese an die Objekte, also die Ausgangs- und Endpunkte der Wege, verliert die Gesellschaft und die Gebietsverwaltung die
Kontrolle für die Entwicklung der Stadt, des Dorfes, der Siedlungen und der Wirtschaftseinheiten. Mit dieser Individualoptimierung können sie sich aufgrund der Zeitkonstanz über die
hohen Geschwindigkeiten des Autos weit über die Verwaltungsgrenzen ihre Gebietskörperschaft entfernen und damit den Zwang auslösen, der die ungeheure Energiemenge im Bereich der Mobilität erzwingt.
Es ist eine Ironie der Geschichte, dass diese heute allgemein praktizierten Vorschriften auf
die Rechtsgrundlage der Reichsgaragenordnung 1939 zurückgehen, wo in §2 der Zwang
zum Bau und Betrieb dieser Menschenfalle erzwungen wird. Dies führte wie sich anhand der
vom Verfasser entdeckten Gesetze präzise nachweisen lässt zum zwingenden Niedergang
des öffentlichen Verkehrs, zur Zersiedlung der Städte und zu einer Transportform, die immer
ineffizienter wird. Zwischen 1960 und 1990 ist die Effizienz der deutschen Wirtschaft im
Transportwesen halbiert worden, d.h. für die gleiche Wertschöpfung müssen doppelt so viele
Kilometer zurückgelegt werden.
94
Hermann Knoflacher: Energie und Mobilität – Wir werden in Zukunft mehr im Kopf brauchen als in den vergangenen
Jahrzehnten
Abbildung 3: Der Parkplatz bei den Aktivitäten zerstört den räumlichen und den raum-zeitlichen Maßstab der urbanen Räume!
14.7 Therapie im Mobilitätsbereich
14.7.1 Bauliche Korrektur
Eine wirksame Therapie muss dort ansetzen, wo die Ursachen liegen – in den Strukturen.
Die physischen Abstände zwischen menschlichen Aktivitäten und den geparkten Fahrzeugen
müssen mindestens genauso groß oder größer sein wie die Abstände zu den Haltestellen
des öffentlichen Verkehrs. Erst unter diesen strukturellen Bedingungen erhält der Mensch
wieder die Mindestvoraussetzung für eine Freiheit der Verkehrsmittelwahl zwischen diesen
beiden Verkehrsträgern. Die bestehenden Bauordnungen sind ebenso zu ändern, wie die
Qualifikation ihrer Anwender.
95
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
Abbildung 4: Mindestdosis: Die Entfernung zwischen allen Aktivitäten und dem Parkplatz muß zumindest so groß wie zur Haltestelle des ÖV sein
14.7.2 Finanzielle Reparatur der Fehler
Auch die Finanzstrukturen sind zu ändern, die heute systemkonformes, energiesparendes
Verhalten bestrafen und systemzerstörerisches, energievergeudendes Verhalten belohnen.
Wer in der Nähe parkt muss aufgrund der Kosten, die er in der Folge der Gesellschaft verursacht – wie es die Prinzipien der Marktwirtschaft verlangen – auch entsprechend höhere
Abgaben leisten. Die Einführung einer Verkehrserregerabgabe in Abhängigkeit von der Entfernung zum Parkplatz ist deshalb zwingend notwendig. Wer weiter entfernt als die Haltestelle des öffentlichen Verkehrs liegt parkt zahlt als Autobesitzer eine Jahreskarte, die er auch
erhält. Entsprechend den realen menschlichen Verhaltensverweisen vervielfacht sich dieser
Betrag, je näher der Parkplatz zur Wohnung, zum Arbeitsplatz, zur Einkaufsgelegenheit, etc.
liegt. Damit erhalten die Kommunen jene Geldmengen, die sie brauchen, um die falsch gebauten Strukturen des letzten Jahrhunderts zu reparieren.
14.7.3 Organisatorische Korrekturen
Selbstverständlich müssen die Haltestellen mit Rücksicht auf das Gesamtsystem so angeordnet werden, dass sie optimal im Raum erreichbar sind. Geparkte Autos haben die gleiche
räumliche Wirkung wie die Haltestelle des öffentlichen Verkehrs – ja sogar noch eine weit
größere wegen des dichteren Netzes. Die bisherige Gepflogenheit, das Auto dort zu parken,
wo man individuell will, zerstört daher a priori bestehende Strukturen bzw. löst deren Integration auf. Es ist daher eine Organisation einzurichten, die sowohl für den ÖV, wie auch für die
Autos verantwortlich ist und Parkplätze ebenso mit Rücksicht auf die Allgemeinheit, wie die
Haltestellen managt. Wer ein Auto zulassen will hat die oben genannten Bedingungen zu
96
Hermann Knoflacher: Energie und Mobilität – Wir werden in Zukunft mehr im Kopf brauchen als in den vergangenen
Jahrzehnten
erfüllen. Daheim Parken und für die Folgen aufkommen oder an der richtigen Stelle parken
und dafür billiger.
Abbildung 5: Wenn man an den Ursachen ansetzt, kann der Energieaufwand nachhaltig reduziert
werden
14.7.4 Wirkungen
Anhand empirischer Befunde kann unter Berücksichtigung realen menschlichen Verhaltens
untersucht werden, in welchem Ausmaß eine strukturelle Umorganisation Einfluss auf den
Energieverbrauch und die Verkehrsmittelwahl nimmt. Als Bezugssystem kann die bestehende Situation verwendet werden. Je nach der Art der Zugänglichkeit zu den Garagen oder
Haltestellen und deren durchschnittlicher Entfernung reduziert sich der Anteil der Autofahrten
bis auf 3 %, wenn Garagen in Abständen von 1.000 m und Haltestellen in 500 m Abständen
errichtet werden.
Vergleicht man diese Wirkungen mit allen Maßnahmen, die die Städte oder Länder etwa die
2.000 Watt Gesellschaft ins Auge gefasst hat erkennt man, dass eine große Zahl der dort
vorgeschlagenen Maßnahmen nur einen Bruchteil dieser Wirkung erzielt und eine Reihe der
Maßnahmen wie etwa der Glaube an den Ersatz des Explosionsmotors durch den Elektromotor wieder massive kontraproduktive Effekte auslösen kann.
97
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
14.8 Literatur
Knoflacher, H. (2009): Virus Auto. Ueberreuter Verlag, Wien.
Knoflacher, H. (2007): Grundlagen der Verkehrs- und Siedlungsplanung: Verkehrsplanung. Böhlau
Verlag Wien – Köln - Weimar.
Knoflacher, H. (2001): Stehzeuge. Der Stau ist kein Verkehrsproblem. Böhlau Verlag, Wien. 2. Auflage
Knoflacher, H. (1997), Landschaft ohne Autobahnen. Für eine zukunftsorientierte Verkehrsplanung,
Wien.
Knoflacher, H. (1996): Zur Harmonie von Stadt und Verkehr. Freiheit vom Zwang zum Autofahren.
2., verbesserte und erweiterte Auflage. Böhlau Verlag Wien – Köln - Weimar.
Knoflacher, H. (1995): Fußgeher- und Fahrradverkehr. Planungsprinzipien. Böhlau Verlag Wien –
Köln – Weimar.
Knoflacher, H. (1987): Verkehrsplanung für den Menschen. Band 1: Grundstrukturen. Verlag Orac,
Wien.
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Hermann Knoflacher,
98
Dennis L. Meadows: Some causes and consequences of limits to growth in petroleum use: 2010 - 2030
15 Dennis L. Meadows: Some causes and consequences of limits to
growth in petroleum use: 2010 - 2030
Prof. Dr. Dennis L. Meadows
Director of the Institute for Policy and Social Science
Research at the University of New Hampshire and
Professor of Policy Systems
University of New Hampshire
Durham NH 03824
USA
[email protected]
15.1 Preface
In 1972 I lead a team of 16 scientists at the Massachusetts Institute of Technology in an 18
month project that created and then used a computer model, World3, to help us better understand the long-term causes and consequences of physical growth on the planet. One result of our work was the set of 13 scenarios that we published in our nontechnical report, The
Limits to Growth (LtG). Naturally, each scenario showed the same history of growth in global
population and industrial output from 1900 through 1970. But each revealed a different plausible pattern of growth in these and related variables from 1970 through the year 2100. The
projections differed as a result of alternative assumptions we made about future changes in
social, physical, biological, and political variables.
15.2 Limits to Growth - the 30-Year Update
Several years ago the principal authors of LtG revisited our initial work. We studied the history of growth in population and industry on the planet over the period 1970 - 2000 and used
the information to revise our model and update our report. The resulting book was published
in English as Limits to Growth - the 30-Year Update, Meadows et. al., Chelsea Green Publishing 2004. The book was translated and published in many other languages. Included was
a German edition by Hirzel Verlag in Stuttgart. I will refer to the English version of the new
book throughout the remainder of this essay as LtG -30.
99
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
Figure 1 ( LtG -30, page 173) shows the reference scenario produced by our 2004 work. Of
course we found many more relevant data in 2000 than we did in 1970. But the main conclusions of our original work did not need to be changed, and the reference scenario does not
differ in any important details from the one we first published in 1972.
Figure 1: The Reference Scenario
Our original projections have also been studied by others. For example, Graham Turner, a
senior scientist at the Commonwealth Science and Research Organization, in Canberra,
Australia, compared our original study with historical data. His main results were reproduced
by the Netherlands Environmental Assessment Board on page 23 of their report, Growth
Within Limits, October 2009. Their main results are shown in Figure 2.
100
Dennis L. Meadows: Some causes and consequences of limits to growth in petroleum use: 2010 - 2030
Figure 2: Over the past 35 years global history reproduces the Limits to Growth collapse scenario
34
That illustration summarizes historical data for five global variables: Population, Industrial
Output, Non-renewable resources, and Persistent Pollution from 1970 through 2000. Turner
plots the actual historical data against our two contrasting World3 projections - Sustainable
Development and Overshoot and Collapse. Unfortunately his analysis suggests that the
global system is proceeding along the path to overshoot.
Even though our model has been quite accurate until now, it is impossible to know with confidence the future of variables that are influenced strongly by human volition. So we certainly
did not imagine or suggest in 1972 that any of our computer projections constituted predictions. But three general facts were true of all the scenarios generated by World3. They remained valid with our revised model in 2004, and we believe that they are likely to characterize the future of the global society, whatever its precise path.
1. All of our projections in 1972 showed another 40-80 years of growth in global industry
and population, on average, without major problems - through 2010 to 2050.
2. Population and industrial expansion came to an end in years that varied from one
scenario to another, depending on our assumptions, but all our scenarios showed
growth in the key factors ending in the period 2020-2050. And most often the period
of growth was followed by a sustained period of decline.
3. Changes in technology could extend the period of growth for a few years, even a few
decades, but they did not avoid the necessity for an eventual end to physical growth
during the 21st century. Not all futures revealed decline. Our model did generate
some scenarios that might loosely be described as showing sustainable development. In those scenarios physical growth in population and industry gradually slowed
to leave society, on average, at a high level of development. However, these attrac34
From: Growing within Limits, Netherlands Environmental Assessment Agency, October 2009, page 23.
101
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
tive futures could not be secured by advances in technology alone. Important social
and cultural changes were also required.
In our simulations growth was always ended by a combination of factors - the growing capital
requirements of resources, the deterioration of productivity in the agricultural sector, rising
levels of pollution, and others. Efforts to eliminate one pressure against growth simply shifted
the burden to others, until finally the combined set became strong enough to counteract and
fully offset the many biological, economic, political and psychological forces that strive to
sustain growth.
15.3 Entering the period of decline
Global society is now entering the period when our model projected that growth would start
to decline. I believe that what leaders now call problems, such as climate change, are actually symptoms of physical growth pressing against the limits. Fossil fuel depletion is also one of
those pressures. It is not unique, except that it is occurring earlier than many other problems.
Here I will combine the insights from our original research with more recent data to show
what I believe will be some causes and consequences of limits to growth in energy over the
next several decades.
Energy use is driven by personal consumption and industrial production. Data for world
population from 1650 to the present, Figure 3, ( LtG -30, page 6 ) and for global industrial
production from 1930 to the present, Figure 4, ( LtG -30, page 7 ) show that both these variables have been in a phase of rapid growth.
Figure 3: World Population
102
Dennis L. Meadows: Some causes and consequences of limits to growth in petroleum use: 2010 - 2030
Figure 4: Industrial Production
The red vertical lines shows their values in 1972 when we published our first report and
warned that growth needed to be deliberately slowed in order to avoid overshoot. You will
see from Figure 2 and Figure 3 that our warning had absolutely no influence on policies.
Because growth has continued, there is copious evidence that the global system is now using energy and resources at rates far above those that can be sustained. Any effort to compare global demands with the carrying capacity of the earth is fraught with enormous difficulties in definitions, data, and assumptions. Nevertheless progress has been made. And the
Global Ecological Footprint calculations of Mathis Wackernagel and his colleagues do seem
to give us useful insights.
In Figure 5 ( LtG -30, page xv ) I show one of Wackernagel’s calculations of growth in the
global ecological footprint from 1960 until 2000.
103
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
Figure 5: One Indicator of Overshoot
The data plotted in the graph suggest that in 1972, when we wrote our first report, the ecological footprint of humanity was at about 90 percent of the earth’s carrying capacity. By the
year 2000 that had risen to above 120 percent. Now, according to Wackernagel, it is about
140 percent, and the rate of growth appears to be increasing.
You may wonder how it is possible to be above the carrying capacity. The situation is analogous to spending from a bank account. If you have saved up a balance in your account,
then for a short period you can spend more than you save. But eventually, of course, disbursements will have to be less than or equal to additions. Globally we are drawing down the
savings in fossil fuels, fertile soils, species diversity, forest biomass, marine fisheries, and
other planetary assets that accumulated on earth over millions of years . This cannot long
continue. During this century humanity will need to adjust to usage rates that are less than or
equal to the reproductive capacity of the earth. Our species lived in that way for its first several hundred thousand years on this planet, and it will live that way again.
In 1972 the global challenge was to slow down. Now it is to get back down. We will get back
down, one way or another. If we do not proactively steer our society quickly towards much
lower and patterns of resource and energy use, the biological and physical constraints of the
planet will reduce our consumptive demands in other ways. It is impossible to say with certainty which environmental obstacles to growth will be most important. But it will be some
combination of climate change, water scarcity, agricultural soil erosion, pandemics, renewable resource destruction, and non-renewable resource depletion.
104
Dennis L. Meadows: Some causes and consequences of limits to growth in petroleum use: 2010 - 2030
15.4 Peak Oil
Within the family of non-renewable resources, I am certain that the depletion of fossil fuels
will play an early and important part. Therefore I will discuss that in more detail. Figure 6
shows the four factors that determine society’s use of fossil energy.
Figure 6: Four Factors Determine the Amount of Fossil Energy Use
Energy use can usefully be understood as the product of four factors: Number of People,
Units of Capital per Person ( an indicator of the material standard of living), Energy Required
per Capital Unit, and Fraction of the Energy from Fossil Fuels.
This equation is an algebraic identity. It is impossible to argue against it, though one can easily disagree about the present and likely future values for those four variables. But even with
approximate coefficients, the equation points to one extremely important insight. Our efforts
to improve technology only work on the right half of the equation - raising energy efficiency
and increasing the share of solar energy. As long as the number of people continues to grow
and there is continuing effort to raise the units of capital per person, growth in the left hand
side of the equation is easily able to offset progress on the right hand side. I do not see any
historical evidence to support the idea that humanity will recognize its limits and voluntarily
reduce its numbers and its material standard of living. Thus fossil energy use will continue to
grow, until environmental factors either reduce the population or deprive capital of the energy
it needs for full operation. It has begun to do that already.
Until recently there was little concern about the growth in fossil energy use. It was implicitly
assumed that the energy would be there when it was required. Indeed that remains the underlying assumption of many important players, including most national governments and the
105
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
International Energy Agency. The IEA’s projections for energy use in 2030 do not include any
consideration of resource constraints; the Agency simply extrapolates trends in use and assumes the energy will be available. However, even casual study of the basic cause and effect mechanisms inherent in the oil discovery system put this traditional assumption into
doubt.
Figure 7: The Oil Discovery System
If you permit me to make some outrageous simplifications, I can portray the oil discovery
system with a few variables shown in Figure 7. For purposes of my exposition, I will divide all
oil into two categories - undiscovered and discovered. The process of discovery moves oil
from the first category to the second. And the process of usage reduces the stock of discovered oil as it is pumped out of the ground, converted into various forms of energy and materials, and consumed.
This simple portrait illustrates three key points about the global petroleum system. The first
point is the role of the reserve ratio, the amount of time that currently discovered reserves
would supply current levels of usage.
All major oil producers, whether corporate or national, have some sense of their desired reserve ratio. For Western oil companies the desired reserve ratio is rather small, since those
companies are taxed on their inventory of discovered oil, and they wish to minimize their taxes. For OPEC nations the desired reserve ratio is rather large, since each nation’s share of
the cartel’s total annual oil production is set in proportion to its reported reserves. But whatever the effective goal for reserve ratio, there has been a quick and effective process for
holding it at the desired level. That is the second point illustrated by Figure 7.
When the reserve ratio begins to fall below the target, more investment is made in discovery,
the discovery rate goes up, and discovered oil soon rises back up to its desired relation to
the usage rate. This has been an effective mechanism for many years, because the cost of
106
Dennis L. Meadows: Some causes and consequences of limits to growth in petroleum use: 2010 - 2030
discovery has been essentially constant. Advances in technology have more or less offset
the effects of the initial stages of depletion.
However, now there are mounting signs that the easy oil is gone. Looking at the historical
record, we discover that:
•
Oil discoveries peaked in 1960s.
•
Every year since 1984 oil consumption has exceeded oil discovery. In 2006 global
discoveries equaled 9 billion barrels (bb) while consumption equaled 31 bb.
•
Of the world’s 20 largest oil fields, 18 were discovered 1917 - 1968; 2 were discovered in the 1970s; and none of them have been discovered since then.
•
Oil production in 2007 was lower than in 2006, and it was lower in 2008 than in 2007.
Some serious analysts, including me, believe that the peak in global oil production
has already occurred.
Whatever you think about the timing of the global oil peak, you must acknowledge that for the
first time major oil companies are finding it difficult to hold their reserve ratios at the desired
level. The reason can also be explained through features of the system portrayed in Figure 7;
its third main point. About half of the undiscovered oil has been found. When depletion of a
non renewable resource reaches 50 percent, there can be a rapid rise in discovery cost. The
situation confronting the oil industry is approximated by the curve shown in Figure 8.
Figure 8: Cost of Discovery
Note that in the early years of oil consumption, depletion does not lead to significant increases in discovery cost. So there is no feedback from the left hand loop in the oil discovery system, Figure 7. Discovery does reduce the undiscovered oil, but that does not lead to increases in the cost of discovery. So additions to investment in discovery produce a proportionate
rise in the discovery rate. The right hand loop: <Discovery Rate -> Discovered Oil -> Reserve
107
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
Ratio -> Investment in Discovery -> Discovery Rate> is the dominant loop during the period
that the cost of discovery remains more or less constant.
Now, however, depletion is beginning to manifest in higher discovery costs, and dominance
in the system is shifting. The reserve ratio goes down, investment in discovery goes up, but
there is no longer a proportionate rise in discovery.
15.5 The energy return on investment (EROI)
The situation is made even more serious by the fact that depletion also causes declines in
the energy return on investment (EROI). In the early years of the oil era, the energy pay back
was often 70 to 100. Using one barrel of oil to produce the portfolio of capital required for
locating, extracting, refining, and distributing oil often generated for use energy equivalent to
70 to 100 barrels of oil. No wonder the US became very rich! But now the oil deposits are
smaller, deeper, and more remote. Often they are located on territory under the control of
hostile regimes. And the oil often needs more refinement. Thus much more energy is required to produce energy. And the EROI is 15 to 20 and declining.
This trend affects all the fossil energy sources, though gas, coal, and the non-traditional
sources, such as tar sands, are all at different stages of depletion. However, if you look
across all the alternative energy sources upon which we now expect eventually to operate
industrial societies, you will find that none of them offer the high EROI that we obtained from
the early days of oil. Coal has an EROI of 10 to 80 depending on the effort invested to prevent its various environmental impacts. Nuclear gives only about 10. Biofuels obtained by
fermenting grain may even have a negative EROI. When the EROI is negative, it takes more
energy to produce ethanol than the product gives back.
You can see that limits to growth in the use of oil will not arise because of absolute depletion.
Indeed, even a thousand years from now, long after oil has ceased to be a significant energy
source, there will still be many millions of tons of oil under the earth. It will remain there because it would take more energy to remove it than it offers.
The timing of changes in discovery cost and EROI is fiercely debated. But there is no longer
any credible analyst who denies that we must confront both trends. It will mean that we need
to increase the time horizon we use for comparing the costs and the benefits of alternative
policies. So far we have mainly relied on the market. And the market systematically lead us
to adopt those actions which offered greatest profits to those making the decisions. But implicit in this process is dependence on the concept of net present value (NPV). Those who
rely on NPV use some interest rate to determine the present value of all costs and benefits
associated with alternative possible decisions. Then the decision with greatest NPV is
adopted.
Economists, who defend this approach, fail to acknowledge that it is based on five crucial
assumptions.
•
All future consequences of an action are known.
•
All consequences can be expressed in monetary units.
108
Dennis L. Meadows: Some causes and consequences of limits to growth in petroleum use: 2010 - 2030
•
This generation is entitled to pick the interest rate, even though its decision will affect
future generations.
•
Maximizing financial benefits is the goal of society.
•
Current mistakes can be corrected by paying some cost in the future.
15.6 Easy and difficult Problems
For most decisions that affect the sources and uses of the main energy sources for industrial
society, every single one of these assumptions is false! Thus the most profound consequences of limits to growth in petroleum use is the imperative to make major changes in our
system of governance.
If you abandon NPV calculations as a way to make choices that spread their costs and their
benefits out into the decades of the future, then another basis for choice must be found. In
this connection it is useful to acknowledge the difference between what I have labeled “Easy
Problems” and “Hard Problems.”
A problem is simply a difference between what you have and what you want. And for each
problem there will be different actions you could imagine to take for their solution. Whatever
action you take, there will come some evaluation when you evaluate whether or not the action you initiated is likely to solve the problem. That is to get you what you desire.
This is an extremely generic representation of the notion of a problem. It applies equally to
both personal and to societal problems. Actual and desired could be used to describe reducing your weight, increasing your wealth, extending your social networks, or holding down the
cost of energy.
Figure 9: Easy Problems
109
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
In an easy problem, illustrated in Figure 9, the action that fundamentally solves the problem
also makes the situation appear better over the short term, at the point of Next Evaluation.
Easy problems are generally solved by the existing political and economic system. Unfortunately the problems posed by global oil peak are difficult.
Figure 10: Difficult Problems
In difficult problems, illustrated in Figure 10, the actions that can eventually take you where
you wish to be, appear to make your situation less attractive over the short term. These problems are not well managed by the current economic and political systems. We need to find
alternatives ways to make choices and sustain actions that will work with difficult problems.
110
Interview mit Dennis L. Meadows: Nachhaltiges Wachstum ist eine Fantasie von Leuten, die Aufmerksamkeit von den wirklichen
Problemen abziehen wollen
16 Interview mit Dennis L. Meadows: Nachhaltiges Wachstum ist eine
Fantasie von Leuten, die Aufmerksamkeit von den wirklichen
Problemen abziehen wollen
Für die SES führte das Interview Linda Rosenkranz anlässlich der Fachtagung am 28. August 2009 im Technopark Zürich.
SES: Herr Meadows, welche Chancen sehen Sie in der Krise, in der wir uns befinden?
Meadows: Es kommt drauf an, welche Krise Sie genau meinen. Wir sind heute in einer Klimakrise, einer Finanzkrise, wir sind in einem frühen Stadium einer Energiekrise, welche Krise bevorzugen Sie also?
SES: Sprechen wir als erstes über die Finanzkrise. Sie hat grossen Einfluss auf die
Arbeitswelt und macht den Menschen Angst.
Meadows: Als erstes ist es sehr wichtig zu sehen, dass all diese Dinge, die wir als Krise sehen, nur Symptome sind. Sie sind nicht das Problem. Das eigentliche Problem ist das
schnelle Wachstum der Bevölkerung auf einem Planeten, der nicht unendlich ist. Er hat
Grenzen. Heute geht das Wachstum in Richtung dieser Grenzen. Viele Erscheinungen, die
wir als Probleme sehen, sind gar keine, sie sind einfach Symptome. Es ist wie wenn Sie einen Freund haben, der Krebs hat. Vom Krebs bekommt er Kopfweh. Das Kopfweh ist nicht
das Problem, sondern der Krebs. Es ist sinnvoll, etwas gegen das Kopfweh zu tun, aber das
Problem wird so nicht gelöst. Im Gegenteil, vielleicht erscheint noch schneller ein neues
Symptom. All die Krisen, die wir haben, müssen als Symptome angeschaut werden, nicht als
Probleme. Wenn ich Leute sehe, die direkt mit physischem Wachstum „dealen“, die sich und
anderen durch ein weiteres Wirtschaftswachstum eine Art Heilung versprechen, dann geht
das in die falsche Richtung. Sie sehen nie das Bevölkerungswachstum oder den ständigen
Anstieg des Lebensstandards als Problem. Vielleicht hilft die jetzige Krise, die Finanzkrise,
eine echte Diskussion über Wachstum zu führen. Aber im Moment sehe ich das noch nicht.
SES: Sie haben davon gesprochen, dass wir unsere Art zu Leben, unsere Kultur ändern müssen. Wie soll das funktionieren?
Meadows: Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Freund, der
jemanden umbringen will. Nun wechseln Sie seine Technologie, nehmen ihm die Waffe weg,
geben ihm eine Flasche. Glauben Sie wirklich, er würde deshalb seinen Plan ändern? Es
geht vielleicht länger, bis er an sein Ziel gelangt, weil er weniger effiziente Instrumente, also
nur eine Flasche, zur Verfügung hat. Aber sein Plan ist noch derselbe. Die Lösung kann also
nicht in neueren Technologien bestehen, das Verhalten muss sich ändern. Wir sind so sozialisiert, dass wir immer mehr wollen. Das kann nur zum Kollaps führen. Die Frage ist einzig:
Wann?
111
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
SES: Denken Sie, dass es einen richtigen Kollaps geben wird?
Meadows: Die meisten Menschen dieser Welt befinden sich bereits im Kollaps. Es gibt schon
heute sehr viele Kollapse. Wir sitzen zwar hier in der Schweiz, in einem sehr reichen Land.
Es ist Ihr Land und es ist sehr schön, aber es gibt mehr als sechs Milliarden Menschen auf
dieser Welt und mehr als ein Drittel leben von einem Dollar täglich. Wenn wir so leben müssten, wir wären überzeugt davon, dass unser System schon lange kollabiert ist. So oder so:
Es ist nicht ganz klar, was wir mit Kollaps meinen. Kollaps ist ein sehr totales Gefühl. So
ganz und gar Kollaps werden wir wahrscheinlich nicht erleben. Aber es gibt viele Probleme
und immer mehr. Und Menschen werden probieren, diese Probleme zu lösen. Zum Beispiel,
indem wir über Energie reden. Billige Energie ist ein wichtiger Faktor für die Funktionsweise
unserer heutigen Wirtschaft. Energie war die letzten 60 bis 70 Jahre wirklich sehr billig.
Wenn die billige Energie zu Ende geht, also eigentlich jetzt, wird das Leben auch hier
schwieriger. Das ist, wie wenn jeder von uns 20 Sklaven hätte, die für ihn arbeiten. Jetzt
werden die Sklaven teurer und Sie können sich nur noch zwei leisten. Das heisst, Sie müssen wieder mehr Arbeit selber verrichten. Wir reden hier von Energie-Sklaven natürlich.
SES: Heute reden alle von nachhaltigem Wachstum. Das ist aber immer noch ein
Wachstum, was denken Sie dazu?
Meadows: Nachhaltige Entwicklung ist ein Oxymoron, also ein Widerspruch in sich. Nachhaltiges Wachstum ist sogar ein irrsinniges Oxymoron. Es ist nichts als eine Fantasie und wird
meist gebraucht von Leuten, die Aufmerksamkeit von den wirklichen Problemen abziehen
wollen.
SES: 1972 haben Sie Ihre Studie „Die Grenzen des Wachstums“ veröffentlicht, darauf
erschien ein Zwischenbericht und dann das 30er-Jahre-Update. Viel hat sich nicht geändert seit den 1970er Jahren, allerdings sind die Zukunftsszenarien pessimistischer.
Können Sie das erläutern?
Meadows: Es gibt viele Leute, die sagen: Das Update sei viel optimistischer. Grundsätzlich
kann man aber sagen, dass dieselben Schlussfolgerungen, die wir 1972 gezogen haben,
auch heute noch gelten. Es scheint als würde sich der Globus ein bisschen schneller bewegen als erwartet. Aber nicht viel. Der Zeithorizont ist kürzer geworden, unsere Szenarien
werden wohl früher eintreffen, als noch 1972 erwartet. Die Szenarien sind aber dieselben.
SES: Also keine grossen Veränderungen?
Meadows: Doch klar gibt es grosse Veränderungen. 1972 hatten wir das „Kollaps“-Szenario
in 50 Jahren, das heisst zirka 2022. Heute sehen wir das anders, es wird früher zum Einbruch kommen.
112
Interview mit Dennis L. Meadows: Nachhaltiges Wachstum ist eine Fantasie von Leuten, die Aufmerksamkeit von den wirklichen
Problemen abziehen wollen
SES: Sie sprechen von Grenzüberschreitung. Machen Sie auch Prognosen, wann das
der Fall sein wird?
Meadows: Nein, wir machen grundsätzlich keine Prognosen. Wir zeichnen Szenarien. Ich bin
kein Politiker, der sagt, dass er etwas tut und aber gar nichts unternimmt, weil er sich nicht
blamieren will. Ich kann mir nicht einmal vorstellen, dass wir Prognosen machen könnten.
Viele solcher Dinge sind wie Erdbeben. Ich kann meinem Freund in Tokio oder in San Francisco sagen: 100% wird es ein Erdbeben geben. Aber ob es morgen oder in 50 Jahren geschieht wissen wir nicht. Ich weiss mit absoluter Sicherheit, dass der materielle Wohlstand
auf diesem Planeten geringer wird. Der Energieverbrauch wird sinken. Aber wann genau:
Keine Ahnung. Weil das davon abhängt, wie sich die Bevölkerung verhält.
SES: Wir haben nur eine Welt. Das heisst, die Ressourcen werden knapp. Was geht
als erstes aus? Um was wird als erstes gekämpft?
Meadows: Eine der Hauptideen meines Buches war, dass wir diese Dinge nicht voneinander
trennen können. Wir können nicht sagen dies oder das kommt als erstes. Alles hängt zusammen. Wenn wir das eine lösen, wird das andere stärker. Das ist wie mit dem Freund, der
Krebs hat. Bekämpfen wir die Kopfschmerzen sehr gut, dann bekommt er andere Schmerzen, weil der Krebst immer noch da ist. Aber eines ist doch zu sagen: Energie spielt eine
spezielle Rolle. Es spielt vor allem eine Rolle, wie wir die Energie brauchen, denn sie hat
einen grossen Einfluss auf andere Ressourcen. Und fossile Brennstoffe sind ganz speziell
limitiert, verglichen zum Beispiel mit Kupfer, auch ein wichtiger Rohstoff. Aber voraussichtlich
werden wir noch Jahrzehnte, wenn nicht sogar Jahrhunderte Kupfer haben.
Die globale Ölförderung hingegen erlebte ihren Peak wahrscheinlich vor zwei Jahren. Und
ich sagte schon verschiedentlich: Genau heute sind viele sehr besorgt über den Klimawandel. Ich glaube, in 3 bis 4 Jahren spricht niemand mehr über den Klimawandel. Dann sprechen alle nur noch über die Energieversorgung. Aber das macht nichts, da es nur ein anderer Aspekt desselben Problems ist. Aber Regierungen, Journalisten, Zeitungen können nicht
immer nur über ein Problem sprechen, sonst werden wir gelangweilt und müde. Sogar biologisch ist das so. Wenn Sie etwas ganz lange anschauen, so sehen Sie es mit der Zeit gar
nicht mehr. Ihre Augen gewöhnen sich an die Aussicht. Das ist das Problem. Dem Klima wird
es selbstverständlich nicht besser gehen. Aber wir fokussieren auf ein anderes Thema.
Als ich ein Institut gründen wollte, waren wir beflügelt von der Idee, dass die Energieversorgung ein wichtiges Thema sein würde. Wir dachten: Wenn wir die Leute dazu bewegen wollen, etwas zu tun, müssen wir es an die Energieversorgung koppeln. Das war aber nicht lange so. Mit dem Klima wird es dasselbe sein. Es gibt aber viele andere seriöse grosse Probleme, wie etwa die Schere zwischen arm und reich, Grundwasserlevels die sich weltweit absenken, die stagnierende Nahrungsmittelproduktion. Aber diese Probleme vermögen keine
politische Aufmerksamkeit zu erregen. Energieverknappung schon.
113
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
SES: In vier bis fünf Jahren werden wir in der Schweiz über neue Atomkraftwerke abstimmen. Was halten Sie davon?
Meadows: Nuklearenergie hat wirklich sehr viele schlechte Konsequenzen für uns: Umweltkonsequenzen, Abfall. Nuklearenergie begünstigt auf jeden Fall den Bau von Atomwaffen.
Aber vergessen wir all das: Ich glaube nicht, dass Nuklearenergie eine reale Möglichkeit ist.
Sie produziert nur Strom. Und eines der grossen Zukunftsprobleme werden die Treibstoffe
sein. Benzin, Kerosin für Flugzeuge – und Nuklearenergie bringt kein Flugzeug zum Fliegen.
Also fokussiert sie nicht auf das richtige und wichtige Problem. Ausserdem ist sie sehr teuer.
Und wenn wir dasselbe Geld in andere Innovationen investieren, werden wir mehr davon
haben. Der Hauptgrund, weshalb wir überhaupt über Nuklearenergie nachdenken: grosse
Unternehmen mögen sie so sehr. Sie können sie nämlich besitzen, können Profite daraus
ziehen. Grosse Unternehmen, die grosse Investitionen machen und daneben noch ein paar
Kollektoren irgendwohin montieren – für ein grünes Deckmäntelchen – die wollen nicht, dass
wir unsere eigenen Energie-Versorger werden, weil sie in einem solchen System nichts besitzen können. Das ist der Hauptgrund, weshalb wir überhaupt über Nuklearstrom sprechen.
Und früher – mindestens in meinem Land – wollten die Leute, die Wissenschaftler, die die
Atombombe bauten, dass mindestens noch etwas Gutes daneben entsteht. Sauberwaschen
des Gewissens nennt man das.
SES: Unsere grossen Stromproduzenten argumentieren so: Für mehr Wachstum
brauchen wir billigen Atomstrom. Atomstrom sei sauber und CO2-neutral. So die Argumentation. Was halten Sie davon?
Meadows: Es gibt einige ausgezeichnete Wissenschaftler, die schreiben, dass wir nicht einmal genug Uran haben werden, um diese Technologie zu betreiben. Ausserdem gibt es ein
Versicherungsproblem. Ich weiss zwar nicht genau, wie sich das in der Schweiz verhält.
Aber in den Vereinigten Staaten gibt es ein nationales Gesetz, das besagt, dass wenn ein
Unfall geschieht, nicht die Betreiber für die Folgeschäden und -kosten aufkommen müssen,
sondern der Staat. Wenn ich euch Schweizer wäre, würde ich sagen: Super, wenn es so
billig und sicher ist, dann übernehmt auch die Verantwortung selber und auch die Kosten.
Versichert das doch bitte genügend hoch. Dann würde die Nuklear-Lobby sicherlich sagen:
Nein, so nicht. Es gab Studien, wie viel der Staat wirklich bezahlt für den Atomstrom. Habt ihr
nicht auch eine einheimische Nuklear-Industrie? Dann wisst ihr auch, weshalb die so scharf
sind auf neue Atomkraftwerke. Was ich einfach nicht verstehe, kann ich am Beispiel des
Erdbebens aufgrund der Basler Geothermie-Bohrung erklären. Dort gingen ein paar wenige
Teller in Brüche, niemand aber nahm Schaden. Trotzdem wurde das Geothermie-Projekt
sofort eingestellt und bis heute nicht mehr weitergeführt. Und statt daran weiterzuarbeiten
wollt ihr neue Atomkraftwerke bauen? Wir alle wissen, wenn es einen Unfall gibt, dann sterben Tausende. Das ist doch verrückt: Ihr stoppt eine viel versprechende Technologie weil ein
paar Teller kaputt gingen und für eine andere Technologie wird Werbung gemacht, wohlwissend, dass sie Tausende töten kann.
SES: Was denken Sie über das Projekt „Desertec“?
Meadows: Ich habe mich mit dem Projekt auseinandergesetzt. Wenn man eine objektive
wissenschaftliche Studie machen würde, mit allen Variablen und wenn man das Resultat
114
Interview mit Dennis L. Meadows: Nachhaltiges Wachstum ist eine Fantasie von Leuten, die Aufmerksamkeit von den wirklichen
Problemen abziehen wollen
ernst nehmen würde, so würde man Desertec nicht realisieren. Man würde Energie sparen,
dezentralisieren etc. Desertec ist nicht rational. Aber es wird am Ende gebaut werden, weil
es genau das ist, was grosse Unternehmen wollen: Siemens kann Milliarden reinbuttern, es
ist politisch attraktiv, die EU kann den Nordafrikanern dafür Entsalzungsanlagen günstiger
geben und wir können alle gute Freunde werden. Solche Kräfte werden das Projekt realisieren. Aber es gäbe viel bessere Möglichkeiten, das Energieproblem zu lösen. Und sicher ist:
Strom ist nicht unser Hauptproblem. Das Hauptproblem ist der Transport und die Raumwärme. Wir wissen alle, dass es stupid ist, die hochveredelte Energieform Strom zum heizen zu
brauchen. Das ist viel zu teuer. Aber das wird so passieren, wird ja heute schon gemacht.
Wenn man Wärme braucht, sollte man auch direkt Wärme produzieren.
115
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
17 Barbara Haering: There is a crack in everything. That’s how the
light get’s in
Dr. sc. nat.; Dr. h. c. rer. pol. Barbara Haering
Geschäftsleitung econcept, Mitglied des Europäischen Forschungsrats und des ETH-Rats
econcept AG
Gerechtigkeitsgasse 20
CH- 8002 Zürich
[email protected]
17.1 Einleitung
Die heutige Tagung setzte drei Schwerpunkte. Wir nahmen Einblick in Fragen und Strategien
der Energiepolitik sowie des globalen Klimawandels und wir knüpften mit "Limits to growth"
an die Umwelt- und Wachstumsdiskussionen der 1970er Jahre an. Dieser Rückgriff wirft
Fragen auf. Sind die Erklärungs- und Lösungsansätze von damals heute noch gültig? Inwiefern waren sie erfolgreich? Welche neuen Strategien haben wir seither entwickelt? Lassen
Sie mich deshalb im ersten Teil meines Referats den Weg nachzeichnen, den wir in den letzten 40 Jahren gegangen sind.
17.2 Ein Rückblick in Kürze
Es waren die ersten Satelliten-Aufnahmen, welche in den 60er Jahren die globalen Umweltdebatten auslösten – auch in der Schweiz. Blau, grün, braun und weiss schimmerte unser
kleiner Planet im endlos dunklen Universum. Zum ersten Mal konnten wir diese Einzigartigkeit, die uns allen gemeinsam Lebensgrundlage ist, sinnlich wahrnehmen. Dies weckte die
gemeinsame Verantwortung für diesen Planeten.
1968 wurde der Club of Rome gegründet. Sein erster Bericht mit dem Titel “Limits to Growth“
erschien gleichzeitig in elf Sprachen: “Wenn sich die gegenwärtigen Wachstumstendenzen
der Weltbevölkerung, Industrialisierung, Verunreinigung, Nahrungsmittelproduktion und Res116
Barbara Haering: There is a crack in everything. That’s how the light get’s in
sourcenausbeutung unverändert fortsetzen, so werden die Grenzen des Wachstums auf
diesem Planet innerhalb der nächsten hundert Jahre erreicht sein.” So die Kernaussage des
Berichts. Die damit ausgelöste Debatte zeigte Wirkung. 1971 sprachen sich 93% der
Schweizer Stimmbevölkerung und sämtliche Stände für die Einführung eines Umweltschutzartikels in der Bundesverfassung aus. Einstimmig beauftragte das Parlament den Bundesrat,
die Gesetzgebung ohne Verzug auszuarbeiten. Trotzdem dauerte es zwölf Jahre bis 1983
das Umweltschutzgesetz verabschiedet wurde – und eine weitere Legislatur bis seine Umsetzung geregelt war. Die Konkretisierung der generell-abstrakten Verfassungsnorm liess die
unterschiedlichen Interessen deutlich werden. Erst das drohende Sterben unserer Wälder
schaffte den notwendigen politischen Druck und ermöglichte Massnahmen auf Verordnungsstufe: Luftreinhalteverordnung, Lärmschutzverordnung, ökologische Abfallbewirtschaftung.
Die umfassenden Umwelt- und Wachstumsdebatten der 60er und 70er Jahre führten also
vorerst zu Strategien des technischen Umweltschutzes mit Richtlinien, Geboten, Verboten
und End-of-Pipe-Ansätzen.
Die Diskussionen der 1980er Jahre machten aber auch deutlich, in welchem Masse Umweltschutz im Interesse der Wirtschaft ist. Damit könnten sich neue Strategien ökonomischer
Anreize und des qualitativen Wachstums entwickeln. Die Chancen des Klimaschutzes für
eine nachhaltige Wirtschaft wurden auch heute mehrfach angesprochen. In den 90er Jahren
verknüpften sich die verschiedenen Interessensstränge des wirtschaftlichen Wohlstands, der
sozialen Gerechtigkeit und der ökologischen Stabilität zum Konzept der nachhaltigen Entwicklung.
17.3 Und sind so weit als wie zuvor?
Doch trotz des ausgereiften technischen Umweltschutzes, trotz der Wirksamkeit ökonomischer Anreize und trotz den integrierten Betrachtungsansätzen übersteigt unser ökologischer
Fussabdruck die Kapazitäten unserer Welt nun schon seit 30 Jahren. Wir erkennen, dass die
Treibhausgas-Emissionen noch stärker zunehmen und sich das Klima noch schneller erwärmt, als dies der IPCC-Report 2007 berechnete. Gleichzeitig zeigen Prognosen, dass sich
der Weltenergiebedarf in den nächsten 20 Jahren verdoppeln könnte und dass der Primärenergiebedarf ohne grosse technologische Fortschritte auch dann noch zu rund 80% aus
fossilen Brennstoffen gedeckt werden müsste. Doch diese Ressourcen sind begrenzt. Erdöl
und Erdgas: 40 bis 50 Jahre, Uran: 40 Jahre, Kohle: 120 Jahre. Zudem sind diese Ressourcen geographisch sehr ungleich verteilt: Nordamerika, das ursprünglich fast gleich viele Erdölressourcen aufwies wie Saudi-Arabien, hat seine Vorräte fast aufgebracht. Europa ist von
den Energielieferungen Russlands abhängig. Wir sind also noch weit weg von den deklarierten Klimazielen. Und wir erfahren, dass die Länder des Südens von den Folgen des Klimawandels am stärksten betroffen sein werden – und dies obwohl sie kaum dazu beitragen.
Zusammengefasst: Wurden wir in den 60er und 70er Jahren mit der Endlichkeit der globalen
Ressourcen konfrontiert, so wissen wir heute, dass bereits die Nutzung dieser Ressourcen
das Leben auf unserem Planeten an Abgründe führt. Zudem erkennen wir, dass nicht erst
der Kampf um die letzten Ressourcen zu – möglicherweise gewalttätigen – Auseinandersetzungen führen wird, sondern dass bereits heute Produktion, Nutzung und Vermarktung von
Ressourcen, insbesondere von Energie, konfliktbeladen sind und politische Abhängigkeiten
117
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
begründen können. Mit anderen Worten: Unsere Erkenntnisse wachsen – doch ebenso die
Probleme, die wir lösen müssen.
17.4 Vier strategische Achsen
Aus der Vielfalt der Themen und Forderungen, die heute in und zwischen den Referaten
angesprochen wurden, möchte ich vier strategische Achsen herauskristallisieren:
•
die Komplexität globaler Wirkungsgefüge,
•
die Verteilungsfrage – verbunden mit der Gerechtigkeit und mit Umweltsicherheit,
•
das Zusammenwirken von Wissenschaft und Politik und
•
den Wertewandel.
17.4.1 Globale Wirkungsgefüge
Die Komplexität globaler Wirkungsgefüge ist nur ansatzweise und lediglich modellhaft zu
erfassen. Trotzdem ist die Auseinandersetzung mit Modellen, wie sie heute präsentiert wurden, wichtig, denn sie schärft unsere Wahrnehmung potenzieller Wirkungen von Massnahmen. Wenn uns beispielsweise bewusst wird, dass eine Reduktion des Ressourcenverbrauchs in unseren industrialisierten Ländern noch lange keine Reduktion der Klimaerwärmung mit sich bringt, sondern vorerst die globalen Ressourcenpreise senken und damit
einen grösseren Ressourcenverbrauch in ärmeren Ländern ermöglichen wird, dann kann uns
dies deutlich machen,
•
dass wir politischen Druck zur Einschränkung der CO2-Emissionen in Entwicklungsregionen nur mit sehr gutem Beispiel und mit markanten Massnahmen im eigenen
Land legitimieren können. Und dies unabhängig von der Tatsache, dass Effektivität
und Effizienz von Reduktionsmassnahmen in Ländern des Südens mittels CDMProjekten grösser ist als bei uns. Und wir erkennen,
•
dass wir, zusätzlich zu diesem politischen Druck, den Ländern des Südens politische
und wirtschaftliche Sicherheiten geben müssen. Diese Sicherheiten werden wir ebenfalls den erdölexportierenden Ländern geben müssen, wenn wir von ihnen eine
nachhaltige Förderpolitik erwarten wollen. Gleichzeitig wird uns bewusst,
•
dass ein frühzeitiger Struktur- und Wertewandel uns vorbereiten kann auf die Zeit, in
der Ressourcen nicht mehr billig verfügbar sein werden. Die Frage ist nämlich nicht,
ob sich unser Wohlstand im Sinne des Bruttoinlandprodukts (BIP) auf einem tieferen
Niveau wird stabilisieren müssen, sondern lediglich wie tief dieses Niveau sein wird –
und wann wir mit diesem Rückgang unseres Wohlstandes werden rechnen müssen.
17.4.2 Verteilungsfragen, Gerechtigkeit und Umweltsicherheit
Unsere heutige Tagung legte das Schwergewicht auf Ressourcen- und Umweltfragen. Dennoch werden die sozialen Fragen, das heisst die Fragen nach der Verteilung, das heisst der
118
Barbara Haering: There is a crack in everything. That’s how the light get’s in
gerechten Verteilung und damit der Umverteilung beschränkter Ressourcen, schwieriger zu
lösen sein als die ökologischen Herausforderungen. Und ich bin – bei aller berechtigten Kritik
an unseren westlichen Lebensstilen – überzeugt, dass das Konzept von Demokratie, Pluralismus, Rechtsstaatlichkeit und Good Governance auf nationaler wie auch auf supranationaler Ebene die einzige Chance bietet, um diese Verteilungskonflikte gewaltfrei zu klären.
Die wechselseitigen Beziehungen von Umweltrisiken und Sicherheit sind seit Längerem Gegenstand der Forschung. Doch erst seit wenigen Jahren werden sich auch Politik und Öffentlichkeit der Risiken ökologischer Krisen für Sicherheit und Stabilität bewusst. Das Thema
Umweltsicherheit umfasst dabei mehr als die Auswirkungen des Klimawandels für Frieden
und Sicherheit und betrifft auch nicht nur die Sorge um nachhaltige Energieperspektiven –
auch wenn diese beiden Problembereiche zurzeit im Brennpunkt des Interesses stehen. Der
nachhaltige Umgang mit den Ressourcen unserer Erde und der Schutz der Umwelt vor
schädlichen Auswirkungen menschlicher Aktivitäten liegen jeder Diskussion über Umweltsicherheit zu Grunde. Im spezifischen Fokus dieser Debatten stehen aber folgende Fragen:
•
Risiken des Klimawandels: Als Konsequenz des Klimawandels wird – allen Voraussagen nach – der Meeresspiegel steigen, Stürme stärker und häufiger werden, Steppen- und Wüstengebiete sich ausbreiten. Die Folgen des Klimawandels werden in
den verschiedenen Regionen der Welt unterschiedlich ausfallen. Die Vulnerabilitäten
und die Möglichkeiten zur Anpassung an den Klimawandel variieren ebenfalls – nicht
ausschliesslich, aber auch in Abhängigkeit vom Reichtum eines Landes. Die ökonomischen und sozialen Auswirkungen dieser Entwicklungen werden mit hoher Wahrscheinlichkeit erheblich sein und einen Wettkampf um grundlegende Lebensressourcen verursachen. Sie tragen ein grosses Konfliktpotenzial in sich. Auch die Arktis, die
heute bereits in einem Referat erwähnt wurde, wird mit dem Wegschmelzen des Eises zu einer neuen Zone wirtschaftlicher und militärischer Interessen.
•
Auseinandersetzung um Ressourcen: Ausbeutung und Zerstörung von Umweltressourcen, aber auch ein grosses Bevölkerungswachstum können Lebensgrundlagen
knapp werden lassen. Konfliktträchtig kann insbesondere die ungleiche Verteilung
von Ressourcen, wie beispielsweise sauberes Wasser, sein. Aber auch in Ländern,
die reich sind an Ressourcen, kann gerade dieser Reichtum Konflikte schüren. Fehlende Transparenz und Rechenschaftspflicht bezüglich der Verwendung von Erdölgewinnen fördern Korruption. Gesellschaftliche Konflikte verschärfen sich; politische
Instabilität ist die Folge. Erdölgewinne können somit in den Produktionsländern selber
nachhaltige Wirtschaftsentwicklungen hemmen und den Aufbau von Demokratien
behindern.
•
Gewaltkonflikte als Folge von Umweltschäden: Verschmutztes Wasser, giftige Deponien und ebenso der Verlust von Landwirtschaftsflächen als Grundlage der Nahrungsproduktion und von Wäldern als Energielieferanten können zu Konflikten führen.
Die Auswirkungen solcher Umweltschäden auf Frieden und Sicherheit können direkt
und indirekt sein.
•
Umweltschäden als Folge von Gewaltkonflikten: Kriegerische Auseinandersetzungen
kosten Menschenleben und zerstören die Umwelt. Verminte Felder und Flüsse sowie
Rückstände biologischer und chemischer Waffen stellen massive Umweltschäden
dar, die einen Wiederaufbau verunmöglichen und nachhaltige Wirtschaftsentwicklungen behindern können. Mensch und Natur sollen vor Gewaltkonflikten verschont wer119
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
den. Schäden müssen behoben werden – eine Aufgabe, die in der Regel nicht ohne
die Unterstützung der Staatengemeinschaft zu lösen ist.
Die Wirkungszusammenhänge umweltbedingter Konflikte sind also komplex. Besonderes
Augenmerk ist auf Situationen zu legen, in denen sich Umweltprobleme und andere Gewaltrisiken überlappen, wie dies beispielsweise in Darfur der Fall ist. Was dabei aber deutlich
wird, ist, dass Umweltschäden primär lokal und regional auftreten. Die durch Umweltprobleme (mit-) verursachten oder verstärkten Konflikte werden somit ebenfalls mit grosser Wahrscheinlichkeit vorerst lokale und regionale Konflikte sein. Aus diesen Konflikten können sich
indessen strategische Risiken auf transnationaler oder internationaler Ebene entwickeln.
Wenn, wie zu befürchten, der steigende Meeresspiegel in den grossen Deltaregionen Südostasiens Millionen von Menschen zur Migration zwingen wird, so wird dies weltweite Konsequenzen haben. Der Einbezug umweltpolitischer Aspekte in die Aussen-, Friedens- und
Sicherheitspolitik der Staatengemeinschaft ist deshalb ein Gebot der Zukunft.
Diese neuen Herausforderungen beinhalten allerdings auch neue Optionen für umfassende
Friedens- und Sicherheitsstrategien. Das gemeinsame Bewältigen von Naturkatastrophen
und von Umweltproblemen kann zu Konfliktlösungen beitragen. Über längere Perioden und
global betrachtet, führen Umweltfragen sogar häufiger zu Kooperationen als zu Konflikten.
Grenzüberschreitendes Management natürlicher Ressourcen kann politische Kooperation
erfordern – und fördern. So ermöglichte die Entminung des Flusses Sava im Grenzgebiet
von Slowenien, Kroatien und Serbien neue multilaterale Zusammenarbeit der ehemaligen
Kriegsparteien. Aus solchen Beispielen gilt es zu lernen. Welches sind die Erfolgsfaktoren
einer gemeinsamen Bewältigung von Umweltproblemen und Naturkatastrophen? Wie können solche Kooperationen für umfassende Friedensprozesse nutzbar werden? Dies sind
Herausforderungen und Chancen, die unsere Aussen-, Friedens- und Sicherheitspolitik in
Zukunft stärker wird gewichten müssen.
17.4.3 Zusammenwirken von Wissenschaft und Politik
Stärker denn je zuvor, setzt sich die Menschheit globale Ziele.
•
Wir wollen weltweiten wirtschaftlichen Wohlstand fördern und gleichzeitig unsere begrenzten globalen Ressourcen auf nachhaltige Weise bewirtschaften.
•
Wir wollen die Chancen von Globalisierungsprozessen nutzen und dafür sorgen, dass
möglichst breite Gesellschaftsschichten weltweit davon profitieren.
•
Wir wollen alle länger leben. Dabei sind wir uns der medizinischen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Probleme bewusst, die diese demografische Entwicklung
mit sich bringt.
Diesen Entwicklungen liegen wissenschaftliche und technische Innovationen zu Grunde –
und ohne enge Zusammenarbeit von Wissenschaft und Politik werden wir ihnen auch nicht
erfolgreich begegnen können. Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger der Politik
und der Wirtschaft wie auch Organisationen der Zivilgesellschaft sind auf wissenschaftliche
Expertise angewiesen. Allerdings führt ihre Zusammenarbeit immer wieder zu Missverständnissen und zu gegenseitiger Enttäuschung. Wissenschaft und Politik arbeiten in komplett
unterschiedlichen Sphären und unter je sehr spezifischen Bedingungen. Genauer gesagt:
120
Barbara Haering: There is a crack in everything. That’s how the light get’s in
•
Wissenschaft engagiert sich in langfristigen Projekten und ist auf Freiheiten innerhalb
eines stabilen Umfeldes angewiesen. Forscherinnen und Forscher widmen sich dem
Unbekannten jenseits bisher anerkannter Grenzen. In der Regel kümmern sie sich
dabei um sehr spezialisierte Fragestellungen. Ihr Antrieb ist es, neue Ideen zu entwickeln, neue Erkenntnisse zu gewinnen und mit unerwarteten Innovationen mittel- bis
längerfristig zur Lösung von Problemen beizutragen. Doch sind sie selten geübt, ihre
wissenschaftlichen Ergebnisse mit Laien, insbesondere mit Politikerinnen und Politikern zu beraten.
•
Politik hingegen, muss schnelle Lösungen für kurzfristige Probleme finden. Ihre Aufgabe ist es, Sicherheiten zu schaffen und somit auch Grenzen zu setzen. Politikerinnen und Politiker brauchen handfeste und sichtbare Ergebnisse – auch im Hinblick
auf die nächsten Wahlen. Sie sind ihrer Wählerschaft gegenüber verpflichtet, welche
für gewöhnlich konkrete und spezifische Leistungen erwartet. Zudem neigen Politikerinnen und Politiker dazu, Risiken zu vermeiden, weil Niederlagen politische Karrieren
behindern können. Sie sind Praktikerinnen und Praktiker und selten geübt, wissenschaftliche Informationen zu reflektieren.
Zudem liegt ein langer Weg zwischen der Grundlagenforschung und allfälligen Umsetzungsentscheiden. Die Zeitverzögerung im Innovationsprozess erhöht Missverständnisse und gegenseitige Enttäuschungen von Wissenschaft und Politik.
Figur 1: Der Innovationsprozess umfasst mehrere Schritte (econcept 2008)
Um die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Politik zu verbessern, möchte ich deshalb
folgende Wege einschlagen:
121
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
•
Bringschuld der Wissenschaft. Erstens darf die Wissenschaft nicht zu warten, bis
Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger um wissenschaftliche Unterstützung bitten. Die Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Politik hinein ist
eine Bringschuld der mit öffentlichen Mitteln gut ausgestatteten Forschung und eine
Verantwortung, die in ihrer Exzellenz liegt.
•
Dialog ist mehr als Kommunikation. Zweitens ist erfolgreiche und nachhaltige Kommunikation keine Einbahnstrasse. Sie bedeutet Dialog. Nur so lernen Forscherinnen
und Forscher die aktuellen politischen Themen und die damit verbundenen Informationsbedürfnisse kennen und nur so können sie gesellschaftliche Sensibilitäten bereits
bei der Projektierung ihrer Forschungen einbeziehen.
•
Übersetzung ist notwendig. Drittens ist Übersetzung notwendig. Wissenschaftliche Informationen sollen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern helfen, fakten-basiert bessere Entscheidungen zu treffen. Wissenschaftliche Informationen
müssen deshalb an konkreten Problemen anknüpfen und so aufbereitet werden, dass
sie auch in Bezug auf ihre Konsequenzen für Laien verständlich sind. Wie genau ist
genau genug, um der Politik optimale Entscheidungen, zum richtigen Zeitpunkt zu
ermöglichen? Dieses Dilemma gilt es zu überwinden.
•
Politik bedeutet nicht nur Politikerinnen und Politiker. Viertens umfasst Politik mehr
als Politikerinnen und Politiker, die in Parlamente oder Regierungen gewählt werden.
Ihre wissenschaftlichen Berater sowie Expertinnen in Parteizentralen müssen ebenfalls angesprochen werden. Und wenn es darum geht, politische Entscheidungen
vorzubereiten oder umzusetzen, sind die Mitarbeitenden der öffentlichen Verwaltungen zentral. Sie sind es, die kontinuierlich und unabhängig von kurzfristigen und elektoralen Interessen an politischen Themen arbeiten. Und last but not least geht es
darum, die Zivilgesellschaft anzusprechen, um ihre Wahrnehmung zu schärfen und
um öffentliche Debatten zu wissenschaftlichen Themen zu initiieren. Dabei wird die
Wissenschaftsgemeinschaft feststellen, wie interessiert und empfänglich die Öffentlichkeit für wissenschaftliche Innovationen ist. Der breiten Öffentlichkeit einen Einblick
in Forschungsprojekte zu verschaffen, ist mehrfach gewinnbringend: Es verbessert
das öffentliche Wissen über Forschung, verbessert die Akzeptanz gegenüber wissenschaftlicher Innovation, und es trägt zum Aufbau einer eigentlichen Wissenschaftskultur bei, die wir auch im Hinblick auf eine nachhaltige öffentliche Förderung
der Forschung benötigen.
•
Stärkung internet-basierter Netzwerke. Bis jetzt nutzen Entscheidungsträgerinnen
und Entscheidungsträger nicht das gesamte Potenzial internet-basierter Informationen und Kooperationen. Auch sie fühlen sich nicht in der Lage, die Zuverlässigkeit
der gegebenen Informationen einzuschätzen. Hilfreich wären dazu themenspezifische Websites, welche von der internationalen Wissenschaftsgemeinschaft betrieben
würden und so die wissenschaftliche Qualität der Informationen garantieren könnten.
Solche Websites könnten wissenschaftliche Hintergrundinformationen spezifisch aufbereiten, um Entscheidungsprozesse zu unterstützen und um Politikerinnen und Politiker weltweit interaktiv zu verknüpfen. Das Millennium Projekt für Globale Zukunftsstudien und die Forschung in Washington unterbreitet dazu in ihrem Jahresbericht
"State of the Future 2009" einen Konzeptentwurf zur „kollektiven Intelligenz“ im Bereich der Energiepolitik. Co-Autor Jerome Glenn definiert dabei kollektive Intelligenz
122
Barbara Haering: There is a crack in everything. That’s how the light get’s in
als „an emergent property from synergies among data/info/knowledge, software/hardware, and experts that continually learns from feedback to produce (nearly)
just in time knowledge for better decisions than these elements acting alone." Expertinnen und Experten würden weltweit vernetzt und könnten so ihre wissenschaftlichen
Informationen bereitstellen und aktualisieren.
Während der letzten Jahrzehnte nahm die Komplexität unserer Welt exponentiell zu. In den
nächsten Jahrzehnten wird die Geschwindigkeit des Wandels weiter wachsen. Die Herausforderungen, mit denen wir konfrontiert sind, sind interdisziplinär und überschreiten Landesgrenzen. Nationale Energiepolitik verknüpft sich mit globaler Klimapolitik, mit Wirtschaftspolitik genauso wie mit Fragen der Sicherheit. Gleichzeitig spezialisieren sich Expertinnen und
Politiker genauso wie Institutionen immer stärker. Die Wechselwirkungen zwischen den Subsystemen unserer Gesellschaft sind geschwächt. Wir brauchen somit neue Formen von Organisationen, die über die traditionellen Grenzen hinausgehen und die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Regierung, NGO und der Wirtschaft weiterbringen. Der „EnergieTrialog“ könnte dazu ein Pilotprojekt darstellen. Was wir brauchen ist ein neuer Kontrakt zwischen Wissenschaft und Politik – eine Renaissance im umfassenden Sinne.
17.4.4 Wertewandel
In den letzten 40 Jahren haben wir vielfältige Lösungsansätze erarbeitet: Den technischen
Umweltschutz, das qualitative Wachstum, ökonomische Anreize, die Strategie der nachhaltigen Entwicklung. Der Massnahmenkatalog ist also hinlänglich bekannt. Rückblickend betrachtet erscheinen diese Ansätze allerdings immer auch als hilflose Versuche von Auswegdebatten. Denn eines ist klar: Wenn wir Kriege um Ressourcen verhindern und ein Überleben mit nachhaltigen Energien ermöglichen wollen, werden wir um eine Reduktion unseres
Ressourcenverbrauchs nicht herumkommen. Dies wird markante wirtschaftliche und gesellschaftliche Implikationen haben und eine umfassende Wertediskussion bedingen, denn offensichtlich ist dies Voraussetzung für jene Verhaltensänderungen, die heute in den Referaten mehrfach als notwendig erachtet und gefordert wurden. Ich hoffe, wir drücken uns nicht
einmal mehr um diese Auseinandersetzung. Die Diskussion muss dabei über die Fragen der
Effizienz und der Substitution hinausgehend das Thema der Suffizienz ins Zentrum stellen.
Für diese Wertedebatte tragen wir selber die Verantwortung. Niemand nimmt sie uns ab. Es
hindert uns aber auch niemand und nichts daran – ausser unsere eigene Trägheit.
17.5 Ausblick
Zum Abschluss dieser Jahrestagung möchte ich Ihnen vier Gedanken mit auf den Weg geben – Argumente, die mir persönlich den Rücken stärken würden, falls ich mir je die Fragen
der Sinnhaftigkeit oder der Erfolgschancen unseres Engagements für eine nachhaltige Welt
stellen würde.
1. Wir haben keine Alternative! Oder wie Barack Obama kürzlich ausführte: "The choice
we face is not between saving our environment and saving our economy. It’s a choice
between prosperity and decline."
123
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
2. Wir haben die Kraft, Veränderungen zu bewirken! Alle Untersuchungen zeigen, dass
die Menschheit die Werkzeuge in der eigenen Hand hat, um die Herausforderungen,
die sich ihr stellen, zu bewältigen. Wir stehen somit auch in der Verantwortung, dazu
beizutragen. Der Bericht "State of the Future 2008" formulierte es wie folgt: "It becomes increasingly clear, that humanity has the resources to address it’s global challenges. What is less clear is how much wisdom, good will and intelligence will be focused on theses challenges."
3. Es ist spannend und erfüllend! Ein Leben, das sich einsetzt für das Überleben unseres Planeten und seiner Bewohnerinnen und Bewohner, ein Leben, das damit über
sich selber hinausweisend wirksam sein möchte, ist ein erfülltes, ein lehrreiches und
ein spannendes Leben. Und, wie wir heute Nachmittag erlebt haben, kann es auch
ein lustiges Leben sein!
4. Wir tun es gemeinsam! Wenn ich heute in unsere Runde blicke, so sehe ich Professor Andreas Fischlin, dessen Zimmer-Nachfolgerin ich in unserer ersten Wohngemeinschaft wurde. Ich sehe Patrick Hofstetter, Klimaverantwortlicher von WWFSchweiz und Freund meines allerersten Praktikanten, ich sehe Dr. Joan Davis, die
lange Jahre an der EAWAG tätig war und während Jahren im Hause meines Urgrossvaters wohnte und ich danke Cornelia Staub, Georg Klingler, Mirjam Kosch,
Stephanie Bade und Walter Ott von econcept, die einen langen Abend mit mir über
dieses Referat und darüber hinaus diskutiert haben. Mit anderen Worten: Wir sind
nicht allein – unsere Freundinnen und Freunde sind auch hier.
Wir werden uns irren, wir werden Fehler machen und wir werden nicht immer erfolgreich
sein. Doch dann hilft uns Leonard Cohen weiter, wenn er singt: "Ring the bells, that still can
ring. Forget your perfect offerings. There is a crack, in everything. That’s how the light get’s
in!"
124
TeilnehmerInnenliste SES Fachtagung 2009
18 TeilnehmerInnenliste SES Fachtagung 2009
Schweizerische Energie-Stiftung SES
Fachtagung:
Klimawandel, Erdölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
Freitag 28. August 2009
Technopark, Technoparkstrasse 1, 8005 Zürich, Auditorium
ReferentInnen
Jörg
Adolf
Shell Deutschland Oil GmbH
Hamburg
Klaus
Bitzer
Universität Bayreuth/ASPO
Bayreuth
Andrea
Burkhardt
Bundesamt für Umwelt (BAFU)
Bern
Andreas
Fischlin
Terrestrische Systemökologie ETHZ
Zürich
Barbara
Haering
econcept AG
Zürich
Patrick
Hofstetter
WWF Schweiz
Zürich
Rolf
Iten
INFRAS Forschung und Beratung
Zürich
Hermann
Knoflacher
Technische Universität Wien
Wien
Sylvia
Kotting-Uhl
Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen
Berlin
Dennis L.
Meadows
University of New Hampshire
New Hampshire
Geri
Müller
SES/Grüne Kanton AG
Baden
Peter
Haerle
Publizist, Gesprächsleiter
Zürich
TeilnehmerInnen
Arjuna
Adhihetty
4A-Architektur Atelier
Solothurn
Alf
Arnold
Alpen-Initiative
Altdorf
Regula
Bachmann-Steiner
Magden
Martine
Bartel
Michèle
Bättig
Bienne
Jochen
Benecke
Sollner Institut
München-Solln
Catharina
Bening
ETH Zürich
Zürich
Marco
Berg
Stiftung Klimarappen
Zürich
Till
Berger
Seecon GmbH
Aarau
Matthis
Bernoulli
econcept
Zürich
Bern
Reto
Bertschinger
Öbu
Zürich
Ueli
Betschart
Electrosuisse
Fehraltorf
Hansjörg
Bhend
Vereinigung Bündner Umweltorganisationen
Chur
Christian
Bittig
Axpo Vertrieb AG
Zürich
Thomas
Blindenbacher
Amstein + Walthert
Zürich
Stefan
Böker
Der Arbeitsmarkt
Zürich
Heinz
Böni
Empa
St. Gallen
WOZ
Zürich
Franz
Böni
Susan
Boos
Schaffhausen
125
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
Christoph
Bopp
Aargauer Zeitung AG
Aarau
Aernschd
Born
TRAS
Basel
Fausta
Borsani
SF (Einstein)
Zürich
Marcus
Bosshard
Sven
Braden
Amt für Umweltschutz, Fürstentum Liechtenstein
Rafael
Brand
Scriptum - Büro für Kommunikation
Flüelen
Bernhard
Brechbühl
Universität Zürich
Zürich
Roger
Britt
Greenpeace Luzern
Luzern
Andreas
Brühlmann
Zürcher Kantonalbank
Zürich
Ursula
Brunner
Florian
Brunner
Küsnacht
Vaduz
Zürich
SES
Wetzikon
Cécile
Bühlmann
Greenpeace Schweiz
Luzern
Philipp
Buhofer
DAX Holding AG
Hagendorn
Jürg
Buri
SES
Bern
Peter
Burkhardt
E-Top nachhaltig bauen
Lyss
Marie-Therese
Büsser
Gesundheits- u. Umweltdept. Stadt Zürich
Zürich
Bruno
Cabernard
Coop
Basel
Michael
Casanova
Pro Natura
Basel
François
Cellier
ETH Zürich
Zürich
Stefanie
Claus
co2online
Zürich
Gottlieb
Dändliker
Commugny
Joan
Davis
Wallisellen
Kurt
de Lorenzo
Greenpeace Regru Zürich
Benglen
Marcus
Diacon
Amt für Umwelt und Energie BS
Basel
Christof
Dietler
Agentur pluswert
Chur
Peter
Dörfler
Paul-André
Dupuis
Empa
Dübendorf
Zürich
André
Dürig
Dürig Gartenbau und Gestaltung
Murten
Ernst
Egli
Christian
Engelhart
Walter
Ernst
careforclimate.org
Küssnacht a. R.
Paul
Erzinger
enero Ingenieurbüro
Gattikon
Mariette
Fankhauser
Ökozentrum Langenbruck
Langenbruck
Dominik
Fempel
Baden-Rütihof
Marius
Fetz
Walenstadtberg
Roland
Fink
Alten
Benno
Frauchiger
BKW-FMB AG
Bern 25
Kurt
Frey
SSES
Niedergösgen
Hanspeter
Frey
Grüne St. Gallen
Engelburg
Josef
Fricker
BEC AG
Gipf- Oberfrick
Halden
Forch
Hans-Peter
Fricker
WWF Schweiz
Zürich
Astrid
Furrer
Amt für Umweltschutz Zug
Zug
Justus
Gallati
Hochschule Luzern Wirtschaft
Luzern
Matthias
Gallati
Gallati Kommunikation
Zürich
Josias F.
Gasser
Josias Gasser Baumaterialien AG
Chur
Matthias
Gautschi
Grüne Aargau
Brugg
Willy
Gehrer
Electrosuisse
Buchs
Christoph
Gossweiler
FH Nordwestschweiz
Winterthur
Tobias
Graden
Bieler Tagblatt
Biel
Stefan
Grass
VCS Graubünden
Chur
126
TeilnehmerInnenliste SES Fachtagung 2009
Peter
Grau
Amt für Umwelt und Energie
St. Gallen
Ronald
Grisard
HSB / SMS
Basel
Heinrich
Gugerli
Amt für Hochbauten
Zürich
Hanspeter
Guggenbühl
Pressbüro Index
Illnau
Anna
Gunsch
SES
Wetzikon
Richard
Güttinger
Solarline AG
Zürich
Stephan
Gutzwiller
Dionys
Hallenbarter
Miriam
Haltiner
Marcel
Hänggi
Sigrid
Basel
ewz
ZHAW, Fachstelle Tourismus und Nachhaltige
Entwicklung
Zürich
Hanke
Schweizer Energiefachbuch
Zürich
Eugen
Hauber
Elektrizitätswerke des Kantons Zürich (EKZ)
Zürich
Andreas
Haug
SBB BahnUmwelt Center
Bern 65
Robert
Hauser
Zürcher Kantonalbank
Zürich
Wergenstein
Zürich
Allan C.
Hawkins
A.C. Hawkins Consulting & Services
Erlinsbach
Simon
Hess
Ernst Basler + Partner AG
Zürich
Silas
Hobi
Dübendorf
Jörg
Hoffmann
Galfingue
Robert
Hutter
Amt für Umwelt und Energie, St. Gallen
St. Gallen
Philipp
Irniger
Ernst Schweizer AG
Hedingen
Walter
Janach
Leichtbau Engineering
Meggen
Dominique
Jean-Baptiste
Zürcher Kantonalbank
Zürich
Thomas
Joller
Umwelt und Energie Kanton Luzern
Luzern
Ralph
Jordi
Isabel
Junker
BAFU
Ittigen
Laufen
Bettina
Kahlert
ETH / IED
Zürich
Franz
Kainz
Flumroc AG
Flums
David
Kamber
gibb BMS
Bern 25
Ion
Karagounis
Stiftung Pusch
Zürich
Erich
Kempter
Kempter + Partner AG
St.Gallen
Georg
Klingler
econcept AG
Zürich
Daniel
Klooz
AUE Kt. Bern
Bern
Daniel
Köchli
glp Bezirk Meilen
Meilen
Andreas
Kohler
Lichtensteig
Valentin
Küng
KüngBiotech+Umwelt
Bern
Markus
Kunz
Grüne Stadt Zürich
Zürich
Brigitta
Künzli
ewz
Zürich
Jutta
Lang
Nagra
Wettingen
Markus
Liechti
Handelsschule KVS
Schaffhausen
Hanspeter
Lötscher
ANU GR
Chur
Silvia
Lüthi
Cindy
Mäder
Resun AG
Aarau
Erika
Maier
WWF Schaffhausen
Flurlingen
Yvan
Maillard
Centre Info SA
Fribourg
Simon
Marti
Schweizer Bauer
Bern
Ins
André
Masson
Baar
Kurt
Meier
Greifensee
Martin
Meier
Ernst Basler + Partner AG
Zürich
Diego
Meier
Kornhaus AG
Zürich
Beat
Meier
bemepro, beat meier projekte
Winterthur
127
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
Michael
Meier
Thomas
Merz
Brunau-Stiftung
Zürich
Zürich
Peter
Meyer
Axpo Suisse AG
Zürich
Peter
Michel
beco
Bern
Kai
Michel
Die Weltwoche
Zürich
Marguerite Miguel
Misteli
Dominik
Müller
Groupe Solvatec SA
Solothurn
Dieter
Müller
Verein Parc Ela
Jürg
Nadig
Muttenz
Tiefencastel
Dielsdorf
Markus
Nauser
Klima-Umwelt-Nachhaltigkeit
Mittelhäusern
Fabrizio
Noembrini
ETH Zürich - Institut für Energietechnik
Zürich
Ulrich
Nyffenegger
Energiefachstelle Kt. Bern
Bern
Stephan
Oblasser
TIWAG-Tiroler Wasserkraft AG
Innsbruck
Kurt
Oeggerli
Rüdiger
Paschotta
SES
Zürich
Oberembrach
Thomas
Passaglia
NWA
Basel
Massimo
Pedretti
Stadt St. Gallen
Hildegard
Piller
St. Gallen
Sargans
Bernhard
Piller
Tom
Porro
SES
Zürich
Andreas
Postner
Transform
Rankweil
Thomas
Preisig
Preisig AG
Zürich
Simone
Pulfer
Peter
Irène
Silvia
Rauch
Dübendorf
Heidi
Rebsamen
Luzern
Wädenswil
Quadri
Greenpeace Youth Support und Umweltbildung
Bern
Swisselectric
Bern
Rai
Indianhope.ch
Rubigen
Bern
Christian
Regitz
die werke versorgung wallisellen ag
Wallisellen
Stefan
Reusser
Bündner Kantonsschule Chur
Chur
Moritz
Rheinberger
LGU
Schaan
Ralf
Riedel
Gemeinde Richterswil
Zürich
Jürg
Rohrer
Up-To-Date Umwelttechnik AG
Oberurnen
Helen
Romer
SES
Zürich
Regula
Rometsch
BD/AWEL Lufthygiene
Zürich
Lüder F.
Rosenhagen
Klar e. v. Singen
Bad Säckingen
Linda
Rosenkranz
SES
Luzern
Franco
Rossi
Christine
Roth
Swissmem
Zürich
Wetzikon
Regine
Röthlisberger
Bundesamt für Umwelt (BAFU)
Bern
Sonja
Rüegg
Grüt
Kurt
Rüegg
ewl
Luzern
Daniel
Rufer
E2 Management Consulting AG
Feldmeilen
Angel
Sanchez
Scriptum - Büro für Kommunikation
Flüelen
Bern
Daniel
Schafer
Energie Wasser Bern
Jasmine
Scheidegger
Handelszeitung, Fachverlag, Redaktion Haustech Zürich
Marlène
Schenk
Marilen
Schlegel
Michael
Manfred
Herbert
Schmid
128
Gerlafingen
Stadt Bern Präsidialdirektion Stadtplanungsamt
Bern
Schmid
VSG
Zürich
Schmid
Geowärme AG
Ausserberg
Solothurn
TeilnehmerInnenliste SES Fachtagung 2009
Felix
Schmid
Stadt Zürich
Zürich
Jürg
Schmidli
ETH Zürich
Zürich
Corinne
Schmidlin
Baden
Gerhard
Schneider
Marc
Schneiter
Hochschule für Technik und Wirtschaft des Kt.
Waadt
Metron AG
Kaspar
Schuler
Greenpeace Schweiz
Günther
Schultz
Karin
Schweiter
Stiftung Pusch
Zürich
Martin
Seifert
SVGW
Schwerzenbach
Yverdon-les-Bains
Brugg
Zürich
Zürich
Georg
Sele
VCL Verkehrs-Club Liechtenstein
Vaduz
Micha
Siegrist
Initiativkomitee Energiestadt Konkret
Aarau
Rudolf
Siegrist
Hausen
Marianne
Sorg
Mathias
Spicher
Amt für Unweltkoordination und Energie des Kt.
Bern
Staatssekretariat für Wirtschaft SECO
Harry
Spiess
ZHAW-Institut für Nachhaltige Entwicklung
Werner
Spillmann
Bern
Bern
Winterthur
Adliswil
Matthias
Staehelin
Swissmill, Division der Coop
Zürich
Richard
Staub
BUS-House
Zürich
Peter
Steiger
Intep GmbH
Zürich
Irene
Steimen
Oerlikon Solar
Zürich
Peter
Steiner
Chemia Brugg AG
Brugg
Christine
Steinger
David
Stickelberger
Ernst
Strahm
Peter
Bern
Swissolar
Zürich
Strub-Tanner
Berufsfachschule Gesundheit
Münchenstein
Sonja
Studer
Swissmem
Zürich
Andrea
Suter
Marcel
Thueler
Möriken
Wettingen
SP Zofingen
Zofingen
Sonja
Trappe
ABS
Olten
Aline
Trede
VCS
Bern
Ulrich
Trümpi
Sankt Galler Stadtwerk
St. Gallen
Bruno
Trüssel
Stadt Zug
Zug
Xavier
Tschumi Canosa
Bundesamt für Umwelt (BAFU)
Bern
Jürg
Ulrich
PSR / IPPNW
Basel
Bruno
Unternährer
Rotkreuz
Jan
van Beilen
Zürich
Anna
Vettori
Karl
Vogt
Stefan
Vögtli
INFRAS
Zürich
Buchs
waldmarketing.ch
Lupsingen
Stephan
Volkwein
Saskia
von Gunten
BAFU
Frankfurt
Bern
Yvonne
von Hunnius
café europe/www.nachhaltigkeit.org
St. Gallen
Lukas
von Orelli
Velux Stiftung
Zürich
Sabine
von Stockar
SES
Zürich
Thomas
Vontobel
TNC Consulting AG
Erlenbach
Roland
Walch
Eternit (Schweiz) AG
Niederurnen
Felix
Walder
Bundesamt für Wohnungswesen
Grenchen
Rolf
Wälli
Männedorf
Kaori
Wassmann
Neuenegg
129
Klimawandel, Ölknappheit, Wirtschaftskrise – Zeit für eine Wachstumsdebatte!
Fritz
Wassmann
Neuenegg
Jürg
Wellstein
Basel
Bruno
Wermelinger
Bülach
Colin
West
Galgenen
Sandra
Wilhelm Hamiti
ZHAW, Zentrum Umweltbildung
Wädenswil
Jörg
Will
IGM-Biocarbol
Bannwil
Erich
Willi
Tiefbauamt Stadt Zürich
Zürich
Martin
Winder
Junge Grüne Aargau
Aarau
Ruedi
Winkler
Wai Choun
Wong
Roman
Wyler
Zürich
Solothurn
Uni Bern
Bern
Kurt
Zaugg-Ott
oeku Kirche und Umwelt
Bern
Benno
Zurfluh
Zurfluh Lottenbach GmbH
Luzern
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