Zusammenfassung 71 Zusammenfassung Heutzutage existieren weltweit mehr als 400 Hunderassen, die jede für sich eine in sich geschlossene, mehr oder weniger stark ingezüchtete Population mit limitierter Populationsgröße darstellt. Durch intensive Selektion hinsichtlich bestimmter, meist morphologischer Rassemerkmale sowie aufgrund schwerwiegender Flaschenhalseffekte wurde die effektive Größe der Zuchtpopulation auf nur wenige Gründertiere reduziert. Nachfolgende selektive Zuchtbestrebungen haben so beim Hund allgemein zu einer Spezies mit enormer phänotypischer Variabilität geführt, zumeist aber mit genetischen Einbußen. Um die genetischen Beziehungen von deutschen Weimaraner Jagdhunden im Vergleich zu anderen Rassen zu untersuchen, wurden paternal vererbte Y-chromosomale Marker und maternal vererbte mitochondriale (mt)DNA-Sequenzen in 27 Hunderassen und vier Wölfen analysiert. Insgesamt wurden neun polymorphe Marker des Y-Chromosoms und ein Teil des caninen mt Genoms (1.947 bp, Basenpaare) in 115 männlichen Individuen untersucht, die 20 Y-chromosomale und 59 mtDNA-Haplotypen zeigten. In 34 Weimaranern wurden vier verschiedene Y-chromosomale und drei mtDNA-Haplotypen beobachtet, die mindestens vier männlichen bzw. drei weiblichen Vorfahren der derzeitigen Population in Deutschland entsprechen. In diesem Zusammenhang konnten einzelne Einträge in den Weimaraner Zuchtbüchern weder anhand der paternalen Y-chromosomalen noch der maternalen mitochondrialen Vererbungsmuster bestätigt werden. Die untersuchten Rassen repräsentieren 9 von 10 durch die Fédération Cynologique Internationale (FCI) definierte Gruppen. Die Vielfalt an Y-chromosomalen und besonders an mtDNA-Haplotypen war immens, gemessen an der relativ kleinen Anzahl an untersuchten Individuen pro Rasse. Einzigartige Haplotypen wurden nur in wenigen Rassen und beim Wolf gefunden. Andere Haplotypen dagegen wurden in diversen Rassen, auch in verschiedenen FCI-Gruppen, identifiziert. Dies lässt vermuten, dass diese Hunderassen gemeinsame männliche und weibliche Vorfahren besitzen. Die Folge enggezüchteter Hunderassen ist die allgemeine Verbreitung von Erbkrankheiten, wie z.B. die generalisierte progressive Retina Atrophie (gPRA). Die gPRA gehört zu einer Gruppe vererbter retinaler Erkrankungen, die mit dem allmählichen Verlust des Sehvermögens in verschiedenen Hunderassen assoziiert ist. Um die molekulargenetische Ursache für autosomal rezessiv (ar) vererbte gPRA in Airedale Terriern (AT), Irish Glen of Imaal Terriern (GIT), Löwchen (Lö), Coton de Tuléar (CdT) und Saarloos Wolfhunden (Sa) zu finden, wurde zunächst eine Kopplungsanalyse 15 ausgewählter Kandidatengene (CDH23, CHX10, CNGB3, LRAT, PCDH21, PROM1, PRPF8, RGR, RLBP1, RP1, RPGRIP1, SFRP2, TTPA, TULP1 und USH2A) durchgeführt. Keiner der 26 untersuchten Mikrosatellitenmarker zeigte anhand von Stammbaum- und LOD-Score Analysen eine Kopplung mit der gPRA in den untersuchten Rassen. Deshalb wurde für die ersten drei Rassen die Suche auf das Zusammenfassung gesamte Hundegenom 72 ausgeweitet. Insgesamt wurden 544 Mikrosatellitenmarker (311 Marker des MSS-2 und 233 Ergänzungsmarker) analysiert. Auf diese Weise sollten große Markerabstände des bestehenden MSS-2 reduziert, Retina-spezifisch exprimierte Genregionen abgedeckt und damit die Erfolgsrate der genomweiten Kopplungsanalyse erhöht werden. Dennoch konnte für keine der Rassen ein Marker identifiziert werden, der mit der genomischen gPRA-Region segregierte. Um die Erfolgsaussichten der Suche nach der gPRA-Region zu steigern, wurden für AT, GIT, Lö und Sa genomweite Kartierungsanalysen mittels SNP-microarrays durchgeführt, die ein Marker-Set mit noch besserer Genomabdeckung als das erweiterte MSS-2 garantierten. Durch Homozygotie-Kartierungen anhand genomweiter SNP-Genotypen wurden Kandidatenregionen identifiziert und durch zusätzliche Mikrosatellitenmarker feinkartiert. So konnte für GITs die gPRA-Region auf Chromosom 16 lokalisiert werden. Diese Region zeigt Syntenie zum menschlichen Chromosom 8, welche das Gen a disintegrin and metalloprotease domain 9 (ADAM9) beinhaltet. ADAM9 ist ein gutes Kandidatengen für canine gPRA, da in diesem Gen Mutationen beschrieben sind, welche die ar vererbte conerod dystrophy (CRD) verursachen, eine die Photorezeptorfunktion beeinträchtigende retinale Erkrankung beim Menschen. Für die übrigen drei Rassen (AT, Lö und Sa) wurde innerhalb der homozygoten Kandidatenregionen kein gPRA-gekoppelter Feinkartierungsmarker anhand einer entsprechenden LOD-Score Analyse identifiziert. Dennoch wurden in einigen chromosomalen Regionen ausgewählte Retina-exprimierende Kandidatengene mittels Sequenzanalyse untersucht, wodurch aber die ursächliche Mutation der gPRA in diesen Rassen bisher noch nicht gefunden wurde. Detaillierte Sequenzanalysen von ADAM9 identifizierten in erkrankten und Träger-GITs eine Deletion der Exons 15 und 16, die zur Leserasterverschiebung und zum vorzeitigen Stopp-Codon führte. Diese Mutation wurde in keiner weiteren der 34 anderen untersuchten Hunderassen mit gPRA gefunden. Bei GITs wurde ein variabler und teilweise sehr später Beginn der gPRA infolge einer relativ milden Form von retinaler Degeneration trotz fortgeschrittenen Alters festgestellt. Mit der Identifizierung der kausalen Mutation für gPRA beim GIT ist diese Rasse ein Modellorganismus für die CRD beim Menschen und insbesondere für funktionelle Analysen der kürzlich beschriebenen Mutationen im humanen ADAM9-Gen.