Synästhesie als Sonderfall der Paul Wagner und Karina Bruckner Metapher — die Nebenidee Praterstraße Berlin Praterstraße Berlin Straßburger Str. 6-8 10405 Berlin [email protected] www.praterstrasse48.at Praterstraße Berlin oder zur Mitempfindung Synästhesie als Sonderfall der Metapher – die Nebenidee oder zur Mitempfindung Wort, denn die Farbempfindung scheint dadurch hervorgerufen zu werden, dass ich mit dem Mund einen Buchstaben bilde, während ich mir seinen Umriss vorstelle. Das lange a des englischen Alphabets (...) hat für mich die Farbe verwitterten Holzes, während ein französisches a mich an poliertes Ebenholz erinnert.“ 4 Vladimir Nabokov beschreibt in seiner Autobiografie Erinnerung, sprich die Entdeckung der Wahrnehmung der audition coloreé als Kind. Sein Interesse gilt dem Phänomen und nicht dem Ausdruck transzendentaler Einheit: „Hören ist vielleicht nicht ganz das richtige Zwischen der Auffassung sinnlicher Wahrnehmung als Erkenntnisinstrument und der gegensätzlichen Idee eines höheren Ganzen, das sich dieser entzieht, liegt eine Faszination an den subjektiven Verknüpfungen, welche Ordnungen ermöglichen, die beide Gegenpole bestätigen und unterlaufen. Wenn Nabokov beschreibt: „Das Wort für Regenbogen, ein primärer, wenngleich entschieden unreiner Regenbogen, ist in meiner Privatsprache das kaum aussprechbare kzspygv.“ 5, beendet er damit eine lange Aufzählung der Farbwerte seiner audi­ tion colorée. Bemerkenswert in diesem Satz ist eine bewusste Verschmelzung, zumindest keine Trennung des Wortes Regenbogen und seinem Bezeichneten, wenngleich er von einer bildlichen Vorstellung des Regenbogens ausgeht. Es ist eine Art umgekehrte Bildproduktion bei der Nabokov von Bildern spricht, der Sprache ihre Grundlage entzieht und sie ihr gleichzeitig wieder zurückgibt.6 Die Ausstellung entwirft eine Situation, in der Kunst ein umgebender Bestandteil vom Leben ist. Die Auswahl der Arbeiten konzentriert sich auf Produktionen, die reflexiv allerdings nicht deskriptiv oder didaktisch sind, also auf Arbeitsweisen die bewusst Ideen nachgehen, aber nicht mit der Intention, diese zu erklären. Es sind Arbeiten, deren Lesbarkeit sich erst in einer Analyse der Formen, Farben und Materialitäten und ihrer Bezüglichkeit entwickelt. Gemeinsam ist ihnen ein spezifischer Umgang mit diesen Oberflächen, der durch ihre eigenwillige Präzision Formvorstellungen sichtbar werden lässt, die ihrerseits aus einer Faszination für die Wahrnehmung und ihre subjektiven Unschärfen entstehen. Paul Wagner und Karina Bruckner im Februar 2012 4 Vladimir Nabakov: Erinnerung, sprich, Hamburg 2009 5 ebd. S. 41 6 Vgl.: Henri Bergson fasst den Begriff der „Intuition“ im Sinne einer „[...] Sympathie, aufgrund derer man sich in das Innere eines Objekts versetzt, um mit dessen einzigartiger und deshalb unbeschreiblicher Eigenart übereinzustimmen.“ Henri Bergson: Die philosophische Intuition (1911) in: Denken und schöpferisches Werden. Aufsätze und Vorträge, Frankfurt/Main 1985 Nun ist in Zusammenhang mit der Ausstellung nicht so sehr die psychologische Erforschung der Synästhesie von Interesse, als ihre Entdeckung durch die Kunst. Die Dichtung der Romantik und des Symbolismus erhob die Synästhesie zum Stilprinzip, insofern in ihr der Glaube an den Einklang von Seele und Welt seinen adäquaten Ausdruck fände.2 So sah man in der literarischen Methode die Möglichkeit zur Steigerung des poetischen Ausdrucks. „Bereits in der antiken Mythologie und Religion des Orients, in der Literatur des Mittelalters, der Renaissance und des Barocks hat die Synästhesie als Stilmittel eine bedeutende Rolle gespielt: im Topos des Sphärengesangs, wonach die Ordnung des Kosmos hörbar sei, bei der Beschreibung mystischer Ekstase oder der Darstellung des Paradieses als dem Ort der höchsten Genüsse dient sie zur Veranschaulichung transzendenter Erfahrungen.“ 3 Im Gegensatz dazu verurteilte die Literaturkritik im 19. Jahrhundert das Stilmittel der Synästhesie wegen ihrer Hinwendung zum Subjektivismus. 1 J. Millet: Audition colorée, Paris 1892 2 A. von der Lühe: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Basel 1998 3 A. Wellek: Das Farbenhören im Lichte der vergleich. Musikwiss. Urgeschichte des Doppel­ empfindens im Geistesleben der Orientalen. Z. Musikwiss. in: A. von der Lühe: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Basel 1998 Der Begriff der ‚Synästhesie’ bezeichnete in der psychologischen Forschung des 19. Jahrhunderts ein pathologisches Syndrom, bei dem ein sinnlicher Eindruck gekoppelt mit einer oder mehreren weiteren Empfindungen auftritt – als sogenannte „sensations associées“. Der am häufigsten zu beobachtende Fall war die Verknüpfung von ­Gehör- und Gesichtssinn, die „audition colorée“.1 Dieses Phänomen wurde empirisch erforscht, definiert und in ästhetisch wissenschaftlicher Form dargestellt. Damit konnte nachvollzogen werden, inwieweit etwa die farbliche Vorstellung von Zahlen deckungsgleich ist, bei Frauen öfter vorkommt als bei Männern oder angeblich Künstler statistisch 30 Mal öfter betroffen sind.