Geometrie mit komplexen Zahlen Mathecamp, TU Kaiserslautern 30. März 2017 1. Die komplexen Zahlen Die Menge der komplexen Zahlen C entspricht der Menge R2 = { ab : a, b ∈ R} der Punkte in der Ebene. Ziel dieses Workshops ist, Lagebeziehungen von Punkten mit Gleichungen zwischen den entsprechenden komplexen Zahlen auszudrücken, damit man dann mit Gleichungsumformungen weitere Lagebeziehungen beweisen kann. Dazu müssen wir uns natürlich zuerst mit C selber beschäftigen. Wie geben wir komplexe Zahlen an? Neben der Koordinatendarstellung z = ab , für die wir a + b i schreiIm ben (das wird später klar), kann man z durch seine Polarkoordinaten angeben: Dem geometrischen Abstand von i z = a + b i zum √ Ursprung in der Ebene entspricht der Bez |z | 2 2 trag |a + b i| = a + b ∈ R. Den Winkel ϕ =: arg z zur ϕ Re Realachse (für z 6= 0) nennt man Argument. z ist durch |z| 1 und arg z eindeutig festgelegt. z Die komplexe Addition erfolgt wie die aus der Schule bekannte Vektoraddition im R2 , also koordinatenweise: (a1 + b1 i) + (a2 + b2 i) = (a1 + a2 ) + (b1 + b2 ) i (hier sieht man, dass die Notation a + b i Sinn macht). Das Produkt z · w von z und w ist die komplexe Zahl, die den Betrag |z| · |w| und das Argument arg a + arg b [±2π] hat. Geometrisch gesehen wird also w um arg z gedreht und um |z| am Ursprung gestreckt. Alternativ: z wird um arg w gedreht und um |w| am Ursprung gestreckt. Man rechnet nach, dass für C mit diesen Operationen dieselben Rechenregeln (Assoziativität, Kommutativität, Distributivgesetz) gelten wie für R. Es gibt in C auch eine Division: für w 6= 0 ist wz die Zahl, die mit der man w multiplizieren muss, um z zu erhalten. 1 Weitere Operationen: Das komplex konjugierte a + b i = a − b i ist die „an der x-Achse gespiegelte“ komplexe Zahl; sie hat denselben Betrag, das Argument erhält ein negatives Vorzeichen und wird mit ±2π wieder in [0, 2π) gebracht. Es gilt z = z. Die komplexe Konjugation verträgt sich mit den anderen Operationen: z1 + z2 = z1 + z2 , z1 z2 = z1 z2 , r = r (r ∈ R) (Beweis: Nachrechnen oder sich geometrisch überlegen, dass es keinen Unterschied macht, ob man + oder · ausführt, oder ob man zuerst spiegelt, dann + bzw. · ausführt und dann zurückspiegelt). Für die Division haben wir nun folgende Formel: z1 z1 z2 z1 z2 = = z2 z2 z2 |z2 |2 Für z = a + b i ist z−z z+z , b = Im z = 2 2i 1 Soll man zeigen, dass z ∈ C reell ist (also 2i · (z − z) = Im z = 0), so kann man äquivalent z = z zeigen. a = Re z = 2. Ähnlichkeit Zwei Dreiecke 4ABC, 4A0 B 0 C 0 sind genau dann gleichsinnig ähnlich, wenn die Innenwinkel bei A, B, C denen bei A0 , B 0 bzw. C 0 entsprechen und der Drehsinn der Innenwinkel derselbe ist. Dies ist äquivalent dazu, dass die Drehstreckung um A, die B in C überführt, denselben Streckfaktor und Drehwinkel hat wie die Drehstreckung um A0 , die B 0 in C 0 überführt. Gleichsinnige Ähnlichkeit ist also äquivalent zu c0 − a0 c−a = 0 . (1) b−a b − a0 Gegensinnige Ähnlichkeit bedeutet, dass die Innenwinkel sich entsprechen, der Umlaufsinn aber entgegengesetzt ist. Man muss also bloß genau eines der Dreiecke spiegeln, damit die Dreiecke gleichsinnig ähnlich werden. Sie ist also äquivalent zu c−a c 0 − a0 = 0 . (2) b − a0 b−a 3. Geraden 1.: P liegt auf einer Geraden AB genau dann, wenn AP und AB parallel sind, also wenn p−a ∈ R gilt. b−a 0 2.: P ist genau dann der Spiegelpunkt von P bezüglich einer Geraden AB, wenn 4ABP und 4ABP 0 gegensinnig ähnlich sind, also wenn p−a p0 − a b−a = ⇐⇒ p0 = a + (p − a). (3) b−a b−a b−a P liegt genau dann auf AB, wenn p = p0 . 2 4. Sekanten und Tangenten am Einheitskreis Im Fall |a| = |b| = 1, a 6= −b bzw. a 6= b gilt b+a b+a b+a = 1 1 = a+b = a · b, +a b+a b b·a analog b−a = −ab. b−a (4) Damit vereinfacht sich (3) für A, B auf dem Einheitskreis zu p0 = a − ab(p − a) = a + b − abp. (5) Sind C, D zwei weitere Punkte auf dem Einheitskreis, dann gilt für den Schnittpunkt P der Sekanten AB, CD, falls diese nicht parallel sind: a + b − abp = p = c + d − cdp ⇐⇒ p = (a + b) − (c + d) ab − cd (6) Merkregel: Tangenten an den Einheitskreis durch A dürfen hier als Geraden AA behandelt werden. Speziell gilt für den Schnittpunkt der Tangenten an A und C: p= p= 2 a+c (a + a) − (c + c) 2(a − c) 2 = = . a·a−c·c (a + c)(a − c) a+c ist übrigens ein reelles Vielfaches von (a + c), da p a+c = 2 a+c·(a+c) (7) = 2 |a+c|2 ∈ R. 5. Aufgaben 1. (Übung zu komplexen Zahlen) Berechne oder zeichne −1 2i b) 35 + 45 i a) 1+i c) alle z mit z n = 1 n+1 d) Überlege dir, dass die geometrische Summenformel 1 + z + · · · + z n = 1−z für 1−z z ∈ C \ {1} gilt. e) (Einheitswurzeln in der Zahlentheorie) Sei ζ eine Lösung aus c), die zugleich 0 ζ n 6= 1 für alle 1 ≤ n0 < n erfüllt. Zeige, dass für alle ` ∈ Z ( n−1 X n, n teilt ` (ζ ` )j = 0 n teilt ` nicht j=0 2. In dieser Aufgabe soll gezeigt werden, dass der Umkreismittelpunkt O, der Schwerpunkt S und der Höhenschnittpunkt H eines beliebigen Dreiecks 4ABC in dieser Reihenfolge auf einer Gerade, der sog. Euler-Geraden, liegen. Dazu wird der Umkreis als Einheitskreis gewählt. a) Bestimme h in Abhängigkeit von a, b, c. b) Bestimme s in Abhängigkeit von a, b, c. 3 c) In welchem Verhältnis teilt S die Strecke OH? 3. (501344, a)1 In der Ebene sind zwei verschiedene Punkte A und B gegeben. Man ermittle die Menge M aller derjenigen Punkte C in der Ebene, für die gilt |AC|2 + |BC|2 = 2 · |AB|2 . 4. (501335) Gegeben sei eine Strecke AB und ein Punkt T auf AB, der von den Punkten A und B verschieden ist. Zwei Punkte P und Q liegen so auf der gleichen Seite der Geraden AB, dass die Dreiecke 4AT P und 4T BQ gleichseitig sind. Die Mittelpunkte der Strecken P B und AQ seien mit M bzw. N bezeichnet. Man beweise, dass das Dreieck T M N gleichseitig ist. 5. (461343) Man beweise folgende Aussage: Sind 4ALT , 4ARM , 4ORT , 4U LM vier gleichorientiert ähnliche Dreiecke, so ist A der Mittelpunkt der Strecke OU . 6. (Der Südpolsatz) Zeige, dass in einem beliebigen Dreieck 4ABC die Schnittpunkte der Mittelsenkrechten von AB mit der Innen- bzw. Nebenwinkelhalbierenden bei C auf dem Umkreis von 4ABC liegen (Tipp: Berechne zuerst die Schnittpunkte der Mittelsenkrechten mit dem Umkreis und zeige dann, dass diese auf der Innenoder Nebenwinkelhalbierenden von C liegen). 7. Sei 4ABC ein Dreieck mit Inkreismittelpunkt I und Umkreismittelpunkt R. Seien U , V , W die A, B, C gegenüberliegenden Inkreisberührpunkte. Man zeige: −→ −→ −−→ − → Die Summe der Vektoren IU , IV , IW ist parallel zum Vektor IR. (BWM 2015, 2. Runde, Zwischenergebnis einer Lösungsmöglichkeit der 4. Aufgabe) 8. (IMO 1986, 2. Aufgabe) In der Ebene sind Punkte A1 = A4 = A7 = A10 = · · · , A2 = A5 = · · · und A3 = A6 = · · · sowie P0 gegeben. Für k = 0, 1, 2, . . . konstruieren wir Pk+1 durch Drehung von Pk um Ak+1 mit Winkel 120◦ im Uhrzeigersinn. Zeige: Ist P1986 = P0 , so ist das Dreieck 4A1 A2 A3 gleichseitig. 6. Literatur Der Workshop orientiert sich an Eric Müllers Vorträgen im Rahmen der IMO-Vorbereitung 2014 und seinem Skript „Geometrische Anwendungen komplexer Zahlen“. 1 siehe www.mathematik-olympiaden.de 4