Technische Universität Chemnitz Skript1 zur Vorlesung Analysis I für Physiker Prof. Stollmann WS 2001/2002 Fakultät für Mathematik 1 getippt von Nicole Amecke, Andreas Amrell, Jörg Brabandt, Svend Domdey, Ralf Hambach, Katja Mayer, Stefan Pauliuk, Robert Peters, Romy Radünz, Jana Schaarschmidt, Andre Schleife, Martin Tautenhahn, Stephan Wolf, Version vom 8. Oktober 2003 2 Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung (Crashkurs) 1.1 Differenzieren . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Vektorrechnung . . . . . . . . . . . . . 1.3 Skalarprodukt, Betrag, Winkel in Rn . 1.4 Wichtige Funktionen . . . . . . . . . . 1.4.1 Polynome . . . . . . . . . . . . 1.4.2 Die Wurzelfunktion . . . . . . . 1.4.3 Die Exponentialfunktion . . . . 1.4.4 Die allgemeine Potenzfunktion 1.4.5 Die Winkelfunktionen . . . . . 1.5 Integralrechnung . . . . . . . . . . . . 1.6 Kurven und Kurven/Linien-Integrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 4 8 14 17 17 18 20 23 24 25 34 2 Die 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 40 41 42 46 50 reellen Zahlen Motivation und Geschichtliches . Der Körper der reellen Zahlen . . Anordnung von R . . . . . . . . . Intervallschachtelung und Folgen Rechnen mit Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Metrische Räume 54 3.1 Definition und Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 3.2 Offene Mengen, Umgebungen und Stetigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 59 4 Reihen 4.1 Reihen: Definition und einige Eigenschaften 4.2 Konvergenzkriterien . . . . . . . . . . . . . 4.3 Die realen Zahlen: Dezimalbrüche . . . . . . 4.4 Manipulation von Reihen . . . . . . . . . . 4.5 Die Exponentialfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 63 67 70 71 73 5 Stetige reelle Funktionen 5.1 Grenzwerte von Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Der Zwischenwertsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Kompaktheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Umkehrfunktionen, Stetigkeit und allgemeine Potenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 80 82 84 86 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1 Einleitung (Crashkurs) Wir wollen hier einige Beispiele aus der Physik geben, in denen fundamentale Naturgesetze in mathematischer Form niedergeschrieben sind. Die Begriffe, die dazu verwendet werden, stammen aus der Analysis ... In dieser Einleitung soll unter anderem geklärt werden, was unter den in folgenden Gleichungen vorkommenden Symbolen zu verstehen ist. Aus der Mechanik kommen die ersten beiden Gleichungen d~ p (1) F~ = Zweites Newtonsches Bewegungsgesetz dt d ∂L ∂L − =0 Euler–Lagrange–Gleichungen (2) ∂q dt ∂p Dabei ist L die gegebene Differenz zwischen kinetischer und potentieller Energie, q der Ort des Teilchens und p sei ein Impuls. L(t, q, p) (d.h. abhängig von Zeit, Ort und Impuls) heißt Lagrange-Funktion (Prinzip der geringsten Wirkung). (3) Maxwell–Gleichungen: beschreiben die zeitliche Entwicklung elektromagnetischer Felder ~ ~ ×E ~ + ∂ B = ~0 ~ ◦E ~ = % ∇ ∇ ∂t ε0 ~ ~ ~ ~ ~ ∇◦B =0 ∇ × B = µ0 j (4) Die Quantenmechanik eines Teilchens im äußeren Fall wird gegeben durch die Schrödinger–Gleichung: ~ ∂Ψ −~2 = ∆Ψ + V (r)Ψ i ∂t 2m Dabei ist die Wellenfunktion Ψ = Ψ(t, x) von Zeit und Ort abhängig und ihr Betragsquadrat |Ψ(t, x)|2 gibt die Wahrscheinlichkeitdichte dafür an, dass sich ein Teilchen zur Zeit t am Ort x finden lässt. (5) Klassische Wellen werden beschrieben durch die Wellengleichung: X ∂2 ∂t2 u(t, x) = u(t, x) ∂x2i Man könnte dabei etwa an eine Saite denken, deren Auslenkung zur Zeit t am Ort x durch u(t, x) beschrieben wird. Nach unserem Crashkurs sollten die mathematischen Symbole in diesen fundamentalen Gleichungen erklärt sein. Das Lösen der Gleichungen ist natürlich sehr schwierig und in voller Allgemeinheit nicht möglich. 4 KAPITEL 1. EINLEITUNG (CRASHKURS) 1.1 Differenzieren In diesem Abschnitt sollen Ableitungen reeller Funktionen, partielle Ableitungen und zweite Ableitung gebildet und zusammen mit den wesentlichsten Eigenschaften erklärt werden. Wir beginnen als Motivation mit folgender Problemstellung: Was ist Geschwindigkeit? Bei konstantem Zuwachs und linearer Abhängigkeit gilt v= s(t) s(1) = = Steigung der Kuve t 1 Intuitiv berechnet man die Durchschnittsgeschwindigkeit in einer Zeitspanne ∆t als s(t + ∆t) − s(t) ∆t Nun ist einsichtig, dass man die Momentangeschwindigkeit erhält, wenn man ∆t gegen Null gehen lässt. Momentangeschwindigkeit: s(t0 + ∆t) − s(t0 ) ∆t→0 ∆t vt0 = lim Dies funktioniert nicht zwangsläufig, da die Differenzierbarkeit der Funktion s(·) bei t0 gegeben sein muss. 1.1 Beispiel. (1) Sei s(t) = υ · t für t ∈ R (Intervall) s(t0 + ∆t) − s(t0 ) v(t0 + ∆t) − υ · to = =υ ∆t ∆t (2) Sei s(t) = s0 + υ · t + h · t2 für t ∈ R. Dann gilt lim ∆t→0 s(t0 + ∆t) − s(t0 ) = ... = 2ht0 + υ ∆t (ballistische Bewegung) Wir verlassen jetzt für kurze Zeit die physikalische Raum-Zeit und wenden uns der abstrakten mathematischen Analysis zu. 1.2 Definition. Sei f : I → R, wobei I ⊂ R ein Intervall sowie x0 ∈ I ist. Weiterhin sei f : I → R eine Funkion. Falls er existiert, heißt der Grenzwert f (x0 + h) − f (x) f 0 (x0 ) := lim h→0 h 1.1. DIFFERENZIEREN 5 die Ableitung von f in x0 und f heißt richtungsdifferenzierbar in x0 . Andere Schreibweisen: df df (x0 df f (x0 ) = (x0 ) = = dx dx dx x=x0 df = (x0 ) (wenn wir die Variable lieber t wie Zeit nennen) dt = f˙(x0 ) (für Zeitableitungen) 0 In diesem Crashkurs erlauben wir uns einige Ungenauigkeiten. So ist z.B. noch nicht definiert, was ein Grenzwert wirklich ist. Bei in x0 unstetigen Funktionen existiert die Ableitung dort nicht. 1.3 Beispiel (Fallender Stein). Für einen an der Erdoberfläche in der Höhe z0 mit vertikaler Anfangsgeschwindigkeit v0 hochgeworfenen Stein gilt 1 z(t) = z0 + v0 t − gt2 2 für t ∈ R. Seine Geschwindigkeit ergibt sich zu z 0 (t) = = = = = z(t + ∆t) − z(t) ∆t z0 + v0 (t + ∆t) − 12 g(t + ∆t)2 − z0 − v0 t + 12 gt2 lim ∆t→0 ∆t v0 ∆t − 12 g(∆t)2 − t∆tg lim ∆t→0 ∆t 1 lim v0 − gt − g∆t ∆t→0 2 v0 − gt lim ∆t→0 Wir notieren die folgenden Ableitungsregeln für die Funktionen f, g : I → R, x0 ∈ I, und f und g differenzierbar: (1) f = const. ⇒ ⇒ (2) f (x) = mx + c (3) f (x) = xn f0 = 0 ⇒ f0 = m f 0 = nxn−1 (4) Summenregel: (f + g)0 = f 0 + g 0 (5) Faktorregel: (cf )0 = cf 0 0 (6) Quotientenregel: fg = für c ∈ R f 0 g−f g 0 g2 für g 6= 0 (7) Produktregel: Seien f , g : I → R, x0 ∈ I. Wenn f und g in x0 differenzierbar sind, so ist auch f · g in x0 differenzierbar und (f g)0 = f 0 g + f g 0 . 6 KAPITEL 1. EINLEITUNG (CRASHKURS) Beweis. (f · g)0 (x0 ) = = = = = (f g)(x0 + h) − (f g)(x0 ) h f (x0 + h)g(x0 + h) − f (x0 )g(x0 ) lim h→0 h f (x0 + h)(g(x0 + h) − g(x0 )) + g · (f (x0 + h) − f (x0 )) lim h→0 h f (x0 + h) − f (x0 ) g(x0 + h) − g(x0 ) lim f (x0 + h) + lim g · h→0 h→0 h h 0 0 f (x0 )g (x0 ) + g(x0 )f (x0 ) lim h→0 (8) Kettenregel: Sei f : I → R differenzierbar in x0 ∈ I, f (I) ⊂ J, g : J → R differenzierbar in y0 = f (x0 ) und g ◦ f (x) := g(f (x)). Dann gilt (g ◦ f )0 (x0 = g 0 (f (x0 )) · f 0 (x0 ) Gerade in der Physik haben wir es oft mit Funktionen (Größen) zu tun, die von mehreren Variablen abhängen. Die Differenzierbarkeit solcher Funktionen ist ein Thema, das uns später noch intensiver beschäftigen wird. Auf der Grundlage der eben eingeführten Differenzierbarkeit können wir jedoch schon partielle Ableitungen einführen, wie sie in den Grundgleichungen der Einleitung auftauchen: Partielle Ableitungen Partielle Ableitungen treten bei Funktionen mehrerer Variablen auf. Ein Beispiel dafür ist die Lagrange-Funktion für den fallenden Stein (siehe Beispiel 1.3), die von Zeit, Ort und Geschwindigkeit abhängt: L(t, x(t), ẋ(t)) = kinetische Energie–potentielle Energie = m ẋ(t)2 − mgx(t) 2 Nach dem sogenannten Hamiltonschen Prinzip erfüllt (x(t), ẋ(t)) die Euler–LagrangeGleichungen: ∂L d ∂L − =0 ∂x dt ∂ ẋ ∂L ∂L Zur Klärung, was dabei und bedeuten, wird folgende Definition benötigt: ∂ ẋ ∂x 1.4 Definition. Sei f : Rn → R, (x1 , . . . , xn ) 7→ f (x1 , . . . , xn ) sowie x0 = (x01 , . . . , x0n ) ∈ Rn . Dann heißt f an der Stelle x0 partiell nach xi differenzierbar, falls ∂f 0 f (x01 , . . . , x0i + h, . . . , x0n ) − f (x0 ) (x ) := lim h→0 ∂xi h existiert. 1.1. DIFFERENZIEREN 7 1.5 Beispiel (Fallender Stein s. (1.3)). ∂L (t, x, ẋ) = −mg ∂x ⇒ −mg − mẍ = 0 ∂L = mẋ ∂ ẋ ⇒ d ∂L = mẍ dt ∂ ẋ ẍ = −g konstante Beschleunigung 1 ⇒ x(t) = x0 + v0 t − gt2 2 Bemerkung. Wenn wir die Hilfsfunktion (partielle Funktion) g(x) = f (x01 , . . . , x0i + x, . . . , x0n ) definieren, folgt ∂f dg (x0 ) = (0). ∂xi dx Anschaulich bedeutet partielle Differentiation nach xi ein Festhalten (d.h. als Konstanten behandeln) aller anderen xj und normales“ Differenzieren nach xi . ” 1.6 Beispiel. 2 F (p, q) = e−p +q 2 ⇒ 2 2 ∂F (p, q) = −2pe−p +q ∂p 2 2 ∂F (p, q) = 2qe−p +q ∂p Wir haben am Beispiel der Euler–Lagrange–Gleichungen Gebrauch von der zweiten Ableitung ẍ gemacht. Hier die Definition: 1.7 Definition. Sei I ⊂ R ein Intervall sowie f : I → R in jedem x ∈ I differenzierbar. Dann definiert f 0 : x 7→ f 0 (x) die Ableitungsfunktion. Existiert für x0 ∈ I die Ableitung (f 0 )0 =: f 00 (x0 ), so heißt dies die zweite Ableitung von f . Diese wird auch als f 00 (x0 ) = d2 f (x ) = f¨(x0 ) 0 dx2 bei Zeit–Ableitungen geschrieben. Bevor wir uns anderen Dingen zuwenden, sei noch erwähnt, dass im Falle der Existenz von f 0 (x) für alle x ∈ I die Funktion f differenzierbar auf I“genannt wird. Gemäß der ” Definition von f 00 (x) gibt f 0 (x) die Steigung der Tangente im Punkt x an den Graphen von f an. 8 KAPITEL 1. EINLEITUNG (CRASHKURS) Damit sind folgende Eigenschaften sehr plausibel. Sie werden aber später noch zu beweisen sein. Monotonie und Ableitung Ist I ⊂ R ein Intervall und f : I → R differenzierbar mit f 0 (x0 ) so ist f auf I monoton ≥ 0 für alle x0 ∈ I, ≤ steigend . fallend Ist f : I → R stetig differenzierbar und monoton steigend (fallend), so ist f 0 ≥ 0 (f 0 ≤ 0). ! A A Merkregel: An Stellen von Minima und Maxima ist die Ableitung 0. Aus dem Nullwerden der ersten Ableitung folgt aber nicht das Vorliegen einer Extremstelle. Geometrische Interpretation der Ableitung: Steigung der Tangente an die Funktion. Ist f 00 > 0 d.h. die erste Ableitung ist streng monoton steigend, so ist f links gekrümmt. Analog ist eine Funktion mit f 00 < 0 rechts gekrümmt. Zusammenfassung Wir kennen nun die prinzipielle Bedeutung der Ableitung f 0 (x0 ) einer Funktion f : I → R und die geometrische Veranschaulichung über die Steigung der Tangente. Ist f : I → R an allen Punkten von I differenzierbar, so heißt f 0 : I → R, x 7→ f 0 (x) erste Ableitung von f (deren Ableitung f 00 = (f 0 )0 heißt zweite Ableitung). Mit Hilfe der Rechenregeln können Ableitungen für normale“ Funktionen bestimmt werden. ” Für Funktionen f : Rn → R (mehrerer Variablen) können wir partielle Ableitungen bestimmen. f 0 (x0 ) f 00 (x0 ) ∂F ∂xi Steigung der Tangente an der Stelle x0 Krümmung an der Stelle x0 (wenn f 0 differenzierbar) partielle Ableitung, richtungsabhängige Steigung 1.2 Vektorrechnung Viele wesentlichen Größen sind vektoriell. Zum Beispiel Ort, Impuls, Kraft und magnetische Felder. Zunächst: R2 = {(x, y) : x, y ∈ R} 1.2. VEKTORRECHNUNG 9 Rechenregeln: a) Für x, y ∈ R gilt x + y = (x1 , y1 ) + (x2 , y2 ) = (x1 + x2 , y1 + y2 ) (siehe Skizze) b) Für λ ∈ R, x ∈ R2 gilt λ x = (λx1 , λx2 ) Man kann leicht nachprüfen, dass (R, ⊕, ) ein Vektorraum über R ist, im Sinne der mathematischen Definition, die besagt, dass Addition von Vektoren und Multiplikation mit Skalaren aus R den üblichen Rechenregeln gehorchen. Auf Details wird später eingegangen. Vorteil dieser Betrachtungsweise ist, dass man in vielen Rechnungen auf die umständliche Koordinatenschreibweise verzichten kann. Wir lassen von jetzt an die Kringel um + und · weg. Die Punkte des dreidimensionalen (physikalischen) Raums werden durch R3 = {(x, y, z) : x, y, z ∈ R} beschrieben und die Vorschrift für Addition und Multiplikation mit Skalaren ist - wie im R3 - koordinatenweise gegeben. Schließlich können wir die Zeit als vierte Dimension einführen und bekommen R4 = {(t, x, y, z) : t, x, y, z ∈ R} mit dessen Punkten wir die Lage im Raum zu einer bestimmten Zeit festlegen können. Es wird später nützlich sein, diese Konzepte noch weiter zu verallgemeinern. D.h. um Größen zu beschreiben, die von n unabhängigen Variablen bestimmt werden, betrachtet man den Rn = {x = (x1 , ..., xn ) : xi ∈ R} Hier gelten analoge Rechenregeln. Das heißt für x = (x1 , ..., xn ), y = (y1 , ..., yn ) ist x + y = (x1 + y1 , ..., xn + yn ) und λ · x = (λx1 , ..., λxn ) Mit Vektoren können wir wie mit Zahlen rechnen, aber x y oder x y gibt es (noch) nicht. 1.8 Beispiel. Der Phasenraum eines punktförmigen Teilchens R ist R6 10 KAPITEL 1. EINLEITUNG (CRASHKURS) R6 = {(q1 , q2 , q3 , p1 , p2 , p3 ) : qi , pi ∈ R} | {z } | {z } Ort Impuls Wie viele Dimensionen benötigt man für zwei, drei, N Massenpunkte? Wir hatten zu Beginn von Kapitel 1.1 die Ableitung mit Hilfe der Geschwindigkeit motiviert, dabei war der Weg“und der Ort“eindimensional. Wir wollen nun die analogen ” ” Betrachtungen für eine Bewegung im R (besonders wichtig: d = 3, für Zeichnungen: d = 2) durchführen. Bewegung: x(t) = x0 + tv0 |{z} |{z} ∈R3 ∈R3 dx(t) = v0 dt x(t) Bewegung im Raum: Im Zeitraum von t bis t + ∆t hat sich der Punkt von x(t) bis x(t + ∆t) bewegt. x(t + 4t) − x(t) = mittlere Geschwindigkeit zwischen t und t + ∆t 4t ẋ(t) = x0 (t) = lim 4t→0 x(t + 4t) − x(t) d = Geschw. zur Zeit t = x(t) 4t dt |{z} Vektor Falls dieser Grenzwert existiert, ist er der richtige Wert für die momentane Geschwindigkeit. 1.2. VEKTORRECHNUNG 11 Diese Größe ist zwar genau wie die erste Ableitung einer reellwertigen Funktion definiert, es handelt sich aber um einen Vektor! Hier x : R → R3 , t → x(t). In der Mechanik ist es üblich den Impuls p = mẋ des Massenpunktes der Masse m zu betrachten. 1.9 Beispiel. (geradlinige Bewegung) x(t) = x0 + v0 t x(t0 + h) − x(t0 ) ẋ(t0 ) = lim h→0 h x0 + (t0 + h)v0 − (x0 + t0 v0 ) = lim = v0 h→0 h 1.10 Beispiel. (beschleunigte Bewegung) x(t) = x0 + v0 t − g2 t2 (0, 0, 1) ∈ R3 mit x0 ∈ R3 , v0 ∈ R3 ẋ(t0 ) x(t0 + h − x(t0 ) h x0 + v0 (t0 + h) − g2 (t0 + h)2 (0, 0, 1) − [x0 + v0 t0 − g2 t20 (0, 0, 1)] = lim h→0 h v0 h − gt0 h(0, 0, 1) − g2 h2 (0, 0, 1) = lim h→0 h g = v0 − gt0 (0, 0, 1) − lim h(0, 0, 1) h→0 2 | {z } = lim h→0 =(0,0,0) ẋ(t0 ) = v0 − gt0 (0, 0, 1) ẍ(t0 ) = −g(0, 0, 1) Bemerkung. (1) Kennt man x(t), so lässt sich daraus p(t) = mẋ(t), der Impuls zur Zeit t, bestimmen. (2) Der Lagrange-Formalismus liefert Differentialgleichungen, aus denen sich für jedes mechanische System im Prinzip aus dem Anfangszustand (x(0), p(0)) alle (x(t), p(t)) , t ∈ Rn ausrechnen lassen. In der Praxis wird dies aber schwierig ab 3 Körpern! (3) Viele Mathematiker lassen grundsätzlich die Einheiten weg, Herr Stollmann auch. (4) Die gerade Bewegung (s. letztes Beispiel) ist die “Lieblingsbewegung“ von Masse m. Daraus muss man sie mit Kraft ablenken. F = dp = mẍ (2. Newtonsche Bewegungsgleichung) dt Tiefe Wahrheit: träge Masse = schwere Masse von Newton entdeckt und von Einstein wieder widerlegt. 12 KAPITEL 1. EINLEITUNG (CRASHKURS) In der Definition der Ableitung vektorwertiger Funktionen ist ein Konvergenzbegriff versteckt, den wir bisher nicht präzisiert haben. Was bedeutet lim ∆x ∆t ? Anders for∆t→0 muliert: Was bedeutet lim xn = x für eine Folge (xn ) von Vektoren? n→∞ lim h→0 f (x0 + h) − f (x0 ) h 2 Bild in R : Wir sagen, dass eine Folge (xn ) in R gegen x ∈ R2 konvergiert, wenn |xn − x| → 0 für n → ∞ Dabei ist |a − b| = p (a1 − b1 )2 + (a2 − b2 )2 der euklidische Abstand (bestimmt aus Pythagoras). Für Punkte x, y ∈ Rn ist der Abstand analog: p |x − y| = (x1 − y1 )2 + ... + (xn − yn )2 2 2 Konvergenz (xn ) in R p gegen x ∈ R , wenn |xn − x| → 0 für n → ∞ 2 Dabei ist |a − b| = (a1 − b1 ) + (a2 − b2 )2 der euklidische Abstand bestimmt aus Pythagoras. p |x − y| = (x1 − y1 )2 + (x2 − y2 )2 + · · · + (xn − yn )2 Setzen wir für x ∈ Rd mit x = (x1 , ..., xd ) die Länge fest als Abstand vom Nullpunkt: q |x| = x21 + ... + x2d , so haben wir ein Mittel, um Konvergenz zu definieren. 1.11 Definition. (1) Seien x1 , x2 , ... ∈ Rd , x ∈ Rd . Wir sagen, dass die xn gegen x konvergieren, in Zeichen lim xn = x oder xn → x für n → ∞, n→∞ wenn lim |xn − x| = 0 n→∞ (2) Entsprechend sagen wir, dass f : I → Rd stetig ist in t0 ∈ I, falls lim |f (t) − f (t0 )| = 0. t→t0 1.2. VEKTORRECHNUNG 13 (3) f : I → Rd ist differenzierbar in t0 ∈ I, wenn es ein Df (t0 ) ∈ Rd gibt mit f (t0 + h) − f (t0 ) lim − Df (t0 ) = 0 h→0 h Wir schreiben auch df (t0 ) = f 0 (t0 ) = Df (t0 ) dt und nennen Df (t0 ) erste Ableitung von f an der Stelle t0 . Bemerkung. (1) xn → x, wenn die Koordinaten von x konvergieren, d.h. Konvergenz = komponentenweise Konvergenz. (2) Ist wie in unserem Anfangsproblem die Variable die Zeit, so schreibt man oft f˙(t0 ) = Df (t0 ) (3) Die obige Definition ist aber von der zeitlichen Interpretation unabhängig und es gibt viele Situationen, in denen die Variable x ∈ I heißen wird. 1.12 Korollar. Sei f : I → Rn ; dann ist f (x) = (f1 (x), . . . , fn (x)) die Darstellung in Koordinaten. f1 , . . . , fn : I → R heißen Koordinatenfunktion von f . Wenn alle fi stetig differenzierbar sind, ist f stetig diffenzierbar und f 0 (x) = (f10 (x), . . . , fn0 (n)) 1.13 Beispiel. (1) Betrachte f : R → R3 ; f (x) = x, x2 , ex Berechnung über die Komponentenfunktionen f1 (x) = x, f2 (x) = x2 , f3 (x) = ex f10 (x) = 1, f20 (x) = 2x, f30 (x) = ex ⇒ f 0 (x) = (1, 2x, ex ) Das Rechnen mit der Definition würde sich hier als sehr umständlich erweisen. (2) Betrachte x(t) = e−t cos(t), e−t sin(t) Was ist ẋ(t)? Komponentenfunktionen: ẋ1 (t) = −et sin(−t) − et cos(−t) ẋ2 (t) = −et sin(−t) + et cos(−t) ẋ(t) = −e−t (cos(−t) + sin(−t), sin(−t) − cos(−t)) 14 KAPITEL 1. EINLEITUNG (CRASHKURS) (3) Gegeben sei v (x1 , x2 ) = x1 2 + x2 2 für x = (x1 , x2 ) ∈ R2 die potentielle Entergie. die kinetische Energie ist 1/2ẋ2 . Als Lagrangefunktion ergibt sich: L (x, ẋ) = 00 1 1 2 ẋ − x2 = x˙1 2 + x˙2 2 − x1 2 − x2 2 2 2 Die partiellen Ableitungen müssen die Euler-Lagrange-Gleichungen erfüllen: d ∂L − =0 ∂x1/2 dẋ1/2 In unserem Fall erhalten wir ∂L ∂L = −2x1 ; = −2x2 ∂x1 ∂x2 ∂L ∂L = x˙1 ; = x˙2 ∂ x˙1 ∂ x˙2 Euler-Lagrange: −2x1 − x¨1 = 0 −2x2 − x¨2 = 0 ⇒ x¨1 = −2x1 x¨2 = −2x2 Lösungen sind z.B. √ 2 t √ 2 t x2 (t) = cos x1 (t) = cos 1.3 Skalarprodukt, Betrag, Winkel in Rn Bisher haben wir die Länge |x| zur Untersuchung von Konvergenz herangezogen. Man kann |x| aus einer anderen wichtigen Größe ableiten, dem Skalarprodukt (nicht verwechseln mit dem Produkt: Skalar√ · Vektor = Vektor). Für jeden Vektor x ∈ Rn ist |x| = x1 2 + · · · + xn 2 1.14 Definition. Für x, y ∈ Rn wird durch (x|y) = x1 · y1 + · · · + xn · yn ∈ R eine Abbildung (·|·) : Rn × Rn → R definiert, die die Eigenschaften eines Skalarprodukts erfüllt, d.h. • (x + y|z) = (x|z) + (y|z); (λx|y) = λ(x|y) • (x|y + z) = (x|y) + (x|z); (x|λy) = λ(x|y) 1.3. SKALARPRODUKT, BETRAG, WINKEL IN RN 15 • (λx|y) = λ(x|y) • (x|x) = |x|2 > 0 falls x 6= 0 • (x|y) = (y|x) Diese Eigenschaften können natürlich in beliebigen Vektorräumen über R betrachtet und zur Definition des Begriffs Skalarprodukt“ verwendet werden. Dies soll nun aber ” nicht weiter verfolgt werden. Bemerkung. Ist α = ∠ (~x; ~y ) der Winkel zwischen ~x und ~y , wobei |~x| = |~y | = 1, so gilt: (~x | ~y ) = cos(α) Erinnerung: Rn = {(x1 , . . . , xn ) | xi ∈ R} 3 x, y x + y; λx (x ∈ R) f : I → Rn f (t0 + h) − f (t0 ) f 0 (t0 ) = lim h→0 h Konvergenz kommt mit Abstand: p Abstand von x, y = |x − y| = (x1 − y1 )2 + (x2 − y2 )2 + · · · + (xn − yn )2 Damit ist der lim wie folgt zu verstehen: h→0 0 f (t0 + h) − f (t0 ) lim f (t0 ) − =0 h→0 h Zum Rechnen: f (t) = (f1 (t), . . . , fn (t)) mit fi : I → R f 0 (t0 ) = (f10 (t0 ), . . . , fn0 (t0 )) Wir haben schon gesehen, dass auf Rn ein Skalarprodukt exisiert: ( · | · ) : Rn × Rn → R, Übung: h · , · i n X (x|y) = x1 · y1 + · · · + xn · yn = xi · yi i=1 Es gilt: (x|x) = |x|2 Bemerkung. (1) Durch Einsetzen sehen wir, dass für die von uns im Rd eingeführten (·|·) und | · | gilt, dass d X (x|x) = x2i = |x|2 i=1 16 KAPITEL 1. EINLEITUNG (CRASHKURS) (2) Es gilt die Cauchy-Schwarz-Ungleichung: ∀ x, y ∈ Rd : |(x|y)| ≤ |x| · |y| (3) Ist α = ∠(x, y) der Winkel zwischen x und y, so gilt (für x, y 6= 0): (x|y) x y x cos(α) = = ; ist Einheitsvektor in x-Richtung. |x| · |y| |x| |y| |x| Begründung. (1) Spezialfall: Dazu betrachten wir zunächst zwei Einheitsvektoren im R2 x y , = (x|y) |x| |y| = (x1 · y1 + x2 · y2 + 0 + · · · + 0) = 1 · cos(α) + 0 · sin(α) = cos(α) (2) Allgemeiner Fall folgt aus Spezialfall, weil das Skalarprodukt unter Drehung invariant ist (Beweis: s. lineare Algebra) D : Rn → Rn , Drehung x, y ⇒ (Dx|Dy) = (x|y) und sich durch eine Drehung stets x → e1 , y → (cos(α); sin(α); 0; . . . , 0) bewegen lässt. Zusammenfassung: Rd ist ein Vektorraum, d.h. es gibt eine vernünftige“ Addition: ” Vektor + Vektor = Vektor, die geometrisch (d ≤ 3) durch Aneinanderhängen der Vektoren zu veranschaulichen ist. 1.4. WICHTIGE FUNKTIONEN 17 Desweiteren gibt es die Vielfachenbildung: Skalar | {z } ·Vektor = Vektor reelle Zahl Funktionen von I ⊂ R; I Intervall in den Rd können wir (manchmal!) differenzieren. Die Ableitung im Punkt x ∈ R ist ein Vektor, falls sie existiert. Beim Grenzwert des Differenzenquotienten geht für den Konvergenzbegriff die (Länge) von Vektoren (nach Pythagoras) ein. Die Länge lässt sich wiederum auf das Skalarprodukt ( · | · ) : Rd × Rd → R, (V ektor|V ektor) = Zahl = Skalar zurückführen, welches auch den Winkel zwischen x und y festlegt. 1.15 Beispiel. x : R → R3 x(t) = (cos(t); sin(t); t) ẋ(t) = − sin(t); cos(t); 1 | {z } ⊥ zu cos(t); sin(t) 1.4 Wichtige Funktionen Zurück zu reellwertigen Funktionen: f : R → R 1.4.1 Polynome Wenn a1 , . . . , an ∈ R sind, können wir die Polynomfunktion P : R → R, x 7→ P (x) = n X ai · xi = a0 · 1 + a1 · x + a2 · x2 · · · + an · xn i=0 betrachten. Ist an 6= 0, so heißt n Grad des Polynoms. Die Ableitung ist P 0 (x) = n−1 X (i + 1) · ai+1 · xi = a1 + 2a2 + · · · + n · an · xn−1 i=0 P 00 (x) P (n) (x) P (n+1) (x) l=i+1 = n X l · al · xl−1 l=1 = ... := n-te Ableitung = n! · an ≡ 0. Rationelle Funktionen: P, Q Polynome, R(x) = P (x) Q(x) , definiert für x mit Q(x) 6= 0. 18 KAPITEL 1. EINLEITUNG (CRASHKURS) 1.16 Beispiel. Betrachte: 1 : R\{0} → R x Auch rationale Funktionen sind in ihrem Definitionsbereich differenzierbar. Ableitung: P 0 (x) · Q(x) − P (x) · Q0 (x) [Q(x)]2 Ketten-/ Quotientenregel ⇐ P (x) · Q(x)−1 Produktregel R0 (x) = Für x → ±∞ gilt |P (x)| → ∞, falls P nicht konstant ist. Vorzeichen hängt ab vom Grad von P und von an . 1.17 Beispiel. (1) P (x) = x2 + 1, keine Nullstellen, P (x) → +∞ für x → ±∞, P 0 (x) = 2x, P 00 (x) = 2, P (3) (x) = 0 (2) P (x) = −x3 + 2x2 − x = −x(x2 − 2x + 1) = −x(x − 1)2 , P (x) → ∓∞ für x → ±∞ Ableitung: P 0 (x) = −(x − 1)2 − 2x(x − 1) = −(x − 1)(x − 1 + 2x) = −(x − 1)(3x − 1) 1.4.2 Die Wurzelfunktion √ √ 2 Für x ≥ 0 ist x die eindeutig bestimmte Zahl > 0 mit ( x) = x. Graph: 1 Bei Spiegelung an x = y wird aus Steigung m die Steigung m . Rechnung: y = m · x, Umkehrfunktion/Spieglung an x = y 1 ·y x=m·y ⇒x= m 1.4. WICHTIGE FUNKTIONEN 19 Differenzierbarkeit: √ Für x0 > 0 ist bei x0 differenzierbar: √ lim h→0 x0 − h − h √ lim h→0 Es ist also √ 0 x = √ 0+h− h √ √ √ √ ( x0 − h − x0 ) · ( x0 + h + x0 ) √ = lim √ h→0 h · ( x0 + h + x0 ) h √ = lim √ h→0 h · ( x0 + h + x0 ) 1 = √ 2 x0 √ 0 ⇒ → +∞ für x → 0 √ nicht differenzierbar bei 0 x0 √ 0 1 lim √ ∈ /R h = h→0 1 √ . 2 x In Übereinstimmung mit dem Graphen gilit ist bei 0 nicht differenzierbar. Beweis. √ 0 x → +∞ für x → 0, die Wurzelfunktion 1 →0 n q 1 n +0− 1 n √ 0 = √ n → +∞ für n → ∞ also existiert limh→0 ... nicht. 1.18 Beispiel. y(x) = Ableitung: p 1 − x2 −2x x 1 (−2x) = √ =− √ y 0 (x) = √ 2 1 − x2 2 1 − x2 2 1 − x2 1.19 Beispiel. Die obere Einheitslinie im Bild stellt den Graph einer Funktion k : [−1, 1] → R. Wie lautet diese Funktion und ihre Ableitung (linkes Bild)? Die Wurzelfunktion ist die Umkehrfunktion der Funktion [0, ∞] 3 x 7→ x2 (rechtes Bild). 20 KAPITEL 1. EINLEITUNG (CRASHKURS) 1.4.3 Die Exponentialfunktion Die Exponentialfunktion ist die wichtigste Funktion überhaupt. Sie ist definiert durch die Potenzreihe ∞ X 1 k ex = exp(x) = x . k! k=0 Wichige Eigenschaften: (1) Die Funktionalgleichung der Exponentialgleichung lautet ex+y = ex + ey . (Kann man durch Multiplizieren der Reihen und etwas Rechnen nachprüfen.) (2) Die Differentialgleichung der Exponentialfunktion lautet exp0 = exp . Das können wir nachprüfen, indem wir die Reihe gliedweise differenzieren. Dass das gerechtfertigs ist, beweisen wir später: exp(x) = exp0 (x) = l=k−1 = ∞ ∞ X X 1 k xk x =1+ k! k! k=0 ∞ X k=1 ∞ X l=0 k=1 k−1 k·x k! ∞ X xk−1 = (k − 1)! k=1 l x l! Differentialgleichungen dieses Typs liegen vielen Wachstums- und Zerfallsprozessen zugrunde (radioaktiver Zerfall). (3) Es gilt stets ex > 0, ∀ x ∈ R und ex ≥ 1, ∀ x ≥ 0. Ferner gilt 1 = ex−x = ex e−x . Aus diesen Eigenschaften folgt e−x = 1 >0 ex und ex = 1 > 0. e−x 1.4. WICHTIGE FUNKTIONEN 21 Ferner gilt: lim exp(x) = ∞ x→∞ lim exp(x) = 0 x→−∞ (4) Aus exp0 = exp > 0 folgt, daß exp streng monoton wachsend ist. Es ist also exp : R → (0, ∞) streng monoton (injektiv) und surjektiv, d.h. für alle y ∈ (0, ∞) gibt es genau ein x ∈ R mit ex = y. Dieses x ist durch y eindeutig bestimmt, es heißt x = ln y = loge y Logarithmus von y Das definiert eine Funktion ln : (0, ∞) → R bzw. x 7→ ln x , die Logarithmus-Funktion, ln ist die Umkehrfunktion, Inverse der Exponentialfunktion. und nennt ln x den natürlichen Logarithmus von x. Es gilt eln y = y, ln(ey ) = y und ln(xy) = ln x + ln y. Aus der Funktionalgleichung (FG) der Exponentialfunktion folgt die Funktionalgleichung des Logarithmus ln(x · y) = ln x + ln y Denn es gilt für s = ln x + ln y: FG es = eln x+ln y = eln x · eln y = x · y, damit ist s ∈ R die eindeutig bestimmte Zahl mit es = x · y und s = ln(x · y). Ebenso einfach sieht man, dass ln x → +∞ für x → +∞ ln x → −∞ für x & 0 22 KAPITEL 1. EINLEITUNG (CRASHKURS) Bevor wir uns der Ableitung von ln zuwenden, wollen wir einige allgemeine Betrachtungen über die Umkehrfunktion anstellen. Sei I ⊂ R ein Intervall, f : I → J streng monoton und surjektiv, d.h. für alle y ∈ J existiert x ∈ I mit f (x) = y. Wegen der strengen Monotonie ist dieses x eindeutig bestimmt. Wir können daher g : J → I, y 7→ g(y) = x definieren, g heißt Inverse, Umkehrfunktion von f ; oft schreiben wir g = f −1 (nicht verwechseln mit f1 !). 1.20 Beispiel. (1) f : [0, ∞) → [0, ∞), f (x) = x2 . Hier ist f −1 (x) = nicht f : R → [0, ∞) ?) √ (2) f : R → R, f (x) = x3 . Hier ist f −1 (x) = 3 x. √ x. (Warum (3) exp : R → (0, ∞), exp−1 = ln nach Definition des ln. Graph der Umkehrfunktion: Ist (x, y) ∈ Graph f , also y = f (x), so ist x = g(y), also (y, x) ∈ Graph f −1 . Der Graph g entsteht also aus Graph f durch Spiegelung an der Geraden x = y. Ist g(x) = y, so ist f (y) = x. Wie verändert sich die Steigung? Aus m 6= 0, wird 1 m. 1.21 Satz. Sei f : I → J differenzierbar, streng monoton, surjektiv und g = f −1 . Ist x0 ∈ J und f 0 (g(x0 )) 6= 0, so ist g an der Stelle x0 differenzierbar mit g 0 (x0 ) = 1 f 0 (g(x0 )) . 1.22 Beispiel. Für I = [0, ∞], f : I → J und f (x) = x2 ergibt sich J = [0, ∞]. Die Berechnung von g erfolgt durch die Rechenschritte (a) y = f (x) ⇔ x = g(y) (b) Vertauschen von x und y √ Die Rechnung für das Beispiel ergibt g(x) = x. 1.4. WICHTIGE FUNKTIONEN 23 Die Ableitung von g kann durch die Formel g 0 (x) = 1 f 0 (g(x)) berechnet werden kann. Anwendung der Formel mit f (x) = ex und g(x) = ln x ergibt g 0 (x) = 1 eg(x) = 1 eln x = 1 . x 1.4.4 Die allgemeine Potenzfunktion Sei x > 0, a ∈ R. Die allgemeine Potenzfunktion ist definiert durch xa = (eln x )a := ea ln x . (1) Unter Benutzung dieser Definition erhält man, daß xn = x · ... · x (n Faktoren). 1 Analog erhält man x−n = x·...·x (selbst überprüfen). (2) Leider nur für x > 0 definiert. Für a ∈ R ist fa (x) = xa : (0, ∞) → (0, ∞). Die Ableitung ist fa0 (x) = axa−1 , denn fa0 (x) = (ea ln x )0 = ea ln x · a = ea ln x e− ln x a = ae(a−1) ln x x = axa−1 Für a = 1 : 1 · x0 = 1. Dadurch sind neben den gewöhnlichen Potenzen a = 0, 1, 2, ..., auch inverse Potenzen a = −1, −2, −3, ... x−k = 1 ,k∈N xk p und Wurzeln x q (mit q > p ∈ Z) definiert 1 1 x2 · x2 1 Also ist x 2 = √ 1 x. Analog x 3 = 1 1 = e 2 ln x · e 2 ln x 1 1 = e 2 ln x+ 2 ln x = x. √ 3 x uw. 24 KAPITEL 1. EINLEITUNG (CRASHKURS) 1.4.5 Die Winkelfunktionen Im (u, v)-Koordinatensystem betrachtet man einen Kreis K mit Mittelpunkt M (0, 0) und Radius r = 1. Sei P ein Punkt auf K sowie u v x Projektion von OP auf die u-Achse, Projektion von OP auf die v-Achse, Winkel (in Bogenmaß) zwischen der positiven u-Achse und der Strecke OP . Man definiert die Winkelfunktionen cos x und sin x über cos x = u r und sin x = v r und setzt diese periodisch auf ganz R fort. Ferner definiert man tan x = cot x = sin x cos x cos x sin x x 6= (2k + 1)π ,k∈Z 2 und x 6= kπ , k ∈ Z . Die trigonometrischen Funktionen sind auf ihrem Definitionsbereich stetig, sogar beliebig oft differenzierbar. Die ersten Ableitungen berechnen sich nach (cos x)0 = − sin x (sin x)0 = cos x 1 (tan x)0 = = 1 + tan2 x cos2 x −1 (cot x)0 = = −1 − cot2 x. sin2 x Unter Benutzung von Potenzreihenentwicklung beweist man die Euler’sche Relation eix = cos x + i sin x (i – imaginäre Einheit). Aus dieser Relation kann man Additionstheoreme herleiten, z.B.: sin2 x + cos2 x = 1. 1.5. INTEGRALRECHNUNG 25 1.5 Integralrechnung Eine zweite wichtige Behandlungsmethode für Funktionen ist neben dem Differenzieren das Integrieren. Überblick: Hauptsatz der Differential und Integralrechnung. Differenzieren und Integrieren sind in gewisser Weise inverse Operationen. Anschauliche Grundlage für die Definition des Riemann-Integrals ist die Berechnung von Flächen. Idee: Approximiere die gesuchte Fläche durch Vereinigung von Rechteckflächen Ansatz: Approximation des Flächeninhaltes zwischen einer nichtnegativen Funktion f und der x-Achse in den Grenzen von x = a und x = b durch n−1 X f (ti )(ti+1 − ti ) , i=0 wobei {t0 , ..., tn } eine Zerlegung des Intervalls [a, b] ist. Fehler wird kleiner, wenn die Feinheit der Zerlegung max k=0,...,n−1 verkleinert wird. | tk+1 − tk | 26 KAPITEL 1. EINLEITUNG (CRASHKURS) Falls die Feinheit der Zerlegung gegen Null geht, unterscheidet sich die gesuchte Fläche immer weniger von den approximierenden Rechteckflächen. Für eine Zerlegung Z = {t0 , ..., tn } von I = [a, b] nennen wir XR Z f := n−1 X f (tk )(tk+1 − tk ) k=0 die zur Funktion f gehörige Riemann-Summe und |Z| = max k=0,...,n−1 | tk+1 − tk | die Feinheit der Zerlegung. Wir setzen die Fläche als Grenzwert Zb f (x)dx = lim |Z|→0 XR Z f, a an und hoffen, daß dieser Grenzwert für vernünftige Funktionen existiert. Tatsächlich werden wir diese Funktionen später Riemann-integrierbar nennen. Alle stetigen Funktionen sind Riemann-integrierbar. 1.5. INTEGRALRECHNUNG 27 1.23 Beispiel. Mit Hilfe der Definition des Riemann-Integrals soll die Fläche unter der Funktion f : [a, b] → R, f (x) = c berechnet werden. Für die Riemann-Summe ergibt sich XR Z f =c n−1 X (tk+1 − tk ) = c(b − a) (spezielle Riemann-Summe) . k=0 Für Z = {t0 , ..., tn } mit t0 = a und tn = b folgt XR Z f= n−1 X f (tk )(tk+1 − tk ) k=0 Zb ⇒ f (x)dx = lim c(b − a) = c(b − a) |Z|→0 a 1.24 Beispiel. Mit Hilfe der Definition des Riemann-Integrals soll die Fläche unter dem Graphen der Funktion f : [0, ∞] → R mit f (x) = mx berechnet werden. Es gilt XR Z f = n−1 X f (tk )(tk+1 − tk ) k=0 = m n−1 X (tk tk+1 − t2k ) k=0 = n−1 X 1 mtk (tk+1 − tk ) + (tk+1 − tk ) m(tk+1 − tk ) 2 k=0 n−1 X 1 − (tk+1 − tk ) m(tk+1 − tk ) 2 k=0 =: T1 − T2 . Für | T2 | erhält man n−1 1 X | T2 | = (tk+1 − tk ) m(tk+1 − tk ) 2 k=0 ≤ max k=0,...,n−1 | tk+1 − tk | n−1 mX (tk+1 − tk ) 2 k=0 m = | Z | (b − a) . 2 Es folgt, daß der Summand T2 bei Verfeinerung der Zerlegung Z verschwindet, denn m lim | T2 |= lim | Z | (b − a) = 0 . 2 |Z|→0 |Z|→0 28 KAPITEL 1. EINLEITUNG (CRASHKURS) Für den ersten Summanden T1 erhält man n−1 X 1 T1 = mtk (tk+1 − tk ) + (tk+1 − tk ) m(tk+1 − tk ) 2 k=0 = = = n−1 mX (tk+1 − tk )(tk+1 + tk ) 2 k=0 m 2 (t − t20 ) 2 n m 2 (b − a2 ) . 2 Für den Grenzwert für T1 − T2 bei |Z| → 0 erhält man somit Zb f (x)dx = lim (T1 − T2 ) = lim |Z|→0 |Z|→0 hm i m (b2 − a2 ) = (b2 − a2 ) . 2 2 a Bemerkung. Für variable obere Intervallgrenze x anstelle von fester oberer Intervallgrenze b erhalten wir für unsere zwei Beispiele Zx F (x) = f (t)dt mit f (t) = mt und g(t)dt mit g(t) = c a Zx G(x) = a daß m 2 (x − a2 ) , 2 G(x) = c(x − a) , F (x) = folglich F 0 (x) = mx = f (x) und folglich G0 (x) = c = g(x) . Somit gilt offensichtlich für obige Beispiele F 0 = f und G0 = g. Das ist kein Zufall, sondern eine Konsequenz aus dem Hauptsatz der Integralrechnung. Für eine einfachere Formulierung definieren wir: 1.25 Definition. Eine Funktion F : J → R heißt Stammfunktion von f , falls F 0 = f gilt. Bemerkung. Nicht jede Funktion besitzt eine Stammfunktion, aber jede stetige Funktion besitzt eine. 1.5. INTEGRALRECHNUNG 29 Sei f stetig und F definiert durch F (x) = Rx f (t)dt, dann gilt offenbar, daß a x+h Z F (x + h) − F (x) = f (t)dt x ≈ f (x)h (für h klein). Damit folgt, daß F (x + h) − F (x) = f (x) . h Dies bedeutet, daß F differenzierbar ist und daß F 0 = f gilt. Aus dieser Eigenschaft erhält man den folgenden Satz: lim h→0 1.26 Satz (Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung). Sei f : [a, b] 7→ Rx R stetig und F (x) = f (t)dt. Dann ist F differenzierbar und F 0 = f . Wir nennen G a Stammfunktion von g, falls G0 = g. Daraus folgt diese Regel: 1.27 Korollar. Ist f : [a, b] → R stetig, und F die Stammfunktion von f , so ist Rb f (t)dt = F (b) − F (a) a Das Berechnen von Stammfunktionen ist also dann einfach, wenn wir für die begrenzende Funktion die Stammfunktion kennen. Funktion 1 x Polynom vom Grad n ex sin x xe 1 x −x2 Stammfunktion x 1 2 2x Polynom vom Grad n+1 ex − cos x ln x 2 − 12 e−x 1.28 Beispiel. (1) f (t) = t2 hat Stammfunktion F (x) = 31 x3 . Das heißt: Zb a t2 dt = b3 a3 − 3 3 30 KAPITEL 1. EINLEITUNG (CRASHKURS) (2) Sei C n (I) eine n mal stetig differenzierbare Funktion: f ∈ C n (I) ⇒ f 0 ∈ C n−1 (I) (3) f (x) = |x| Stammfunktion: 1 2 x|x| 1 2 2x − 12 x2 = für x ≥ 0 für x < 0 Differenzieren macht die Funktion weniger “glatt” Integrieren macht die Funktion “glatter” (4) f (t) = cos t hat die Stammfunktion F (x) = sin x. Zb cos t dt = sin b − sin a. a Zum Beispiel Rπ cos t dt = 0. −π Beim Riemann-Intehral werden Flächen unterhalb der x-Achse negativ zählt. (5) sinh x = 12 (ex − e−x ) Stammfunktion ist cosh x = von cosh x. 1 2 (ex + e−x ). Umgekehrt ist sinh x Stammfunktion Um Integrale (Flächen) zu berechnen, müssen wir also Stammfunktionen suchen. Das ist nicht einfach und nicht immer möglich (im Sinne von geschlossenen Ausdrücken). Es helfen einem aber die Differentiationsregeln, die wir schon kennen. Integrationsregeln: Z Z ku(x)dx = k u(x)dx Z Z Z (u(x) + v(x))dx = u(x)dx + v(x)dx Aus der Produktregel ((uv)0 = u0 v + uv 0 ) folgt außerdem die Regel für die partielle Integration: Zb Zb 0 (uv) dx = (uv)(b) − (uv)(a) a = Zb 0 u vdx + a Zb ⇒ a b u0 vdx = uv − Zb a a b Notation: f = f (b) − f (a) a uv 0 dx a uv 0 dx 1.5. INTEGRALRECHNUNG 31 1.29 Beispiel. R1 (1) 0 x · |{z} ex dx |{z} mit: (v 0 = 1, u = ex ) u0 v 1 R1 = x · ex − 1 · ex dx = e − (e − 1) = 1 0 0 unpraktisch: R1 x · |{z} ex dx = |{z} 0 u0 x2 2 1 R1 · ex − 0 v 0 x2 2 · ex dx π π2 Rπ2 R2 2 π2 2 x · sin x dx = dx = x · sin x − 2x · sin xdx = − 2 · x · cos x 4 |{z} |{z} |{z} | {z } 0 0 0 0 0 0 v v u u ! π2 Rπ2 π2 π2 π2 2 · −x · cos x + 1 · cos xdx = 4 − 2 · 0 + sin x = 4 −2 π R2 (2) 0 π2 4 − 0 0 (zweimal partiell integrieren) Merke: Mit partieller Integration kann man manchmal eine Stammfunktion berechnen. So ist z.B. x · ex − ex eine Stammfunktion von x · ex (siehe 1. Beispiel). Das gleiche ist auch im zweiten Beispiel möglich. Aufgabe (Fourier-Reihen): Z∞ Z∞ e−x cos pxdx dp −∞ 0 {z | Ip } Ip mit partieller Integration: Z∞ e−x · cos px dx |{z} | {z } 0 u0 (u = −e−x , v 0 = −p · sin px) v Z∞ Z∞ ∞ −x = −e · cos px − p · e · sin pxdx = 1 − p |{z} e−x · sin px dx | {z } 0 u0 0 0 v Z∞ ∞ Z∞ −x −x 2 = 1 − p · −e · sin px + e · p · cos pxdx = 1 − p · e−x · cos pxdx −x 0 0 ⇒ Ip = 1 − p2 · Ip ⇒ Ip = 0 1 1+p2 Partielle Integration funktioniert meistens gut bei e-Funktionen und trigonometrischen Funktionen (die entsrechen dann u0 ). Aus der Produktregel folgt die partielle Integration“. Aus der Kettenregel folgt die ” Substitutionsregel“. Die Substitutionsregel gibt eine Formel für Integrale nach Koor” dinatentransformation. 32 KAPITEL 1. EINLEITUNG (CRASHKURS) Sei g : I 7→ R stetig, ϕ : J 7→ I stetig, differenzierbar. (Koordinatentransformation) Sei G Stammfunktion von g. Nach der Kettenregel gilt: d G(ϕ(s)) = G0 (ϕ(s))ϕ0 (s) = g(ϕ(s))ϕ0 (s) ds ϕ(b) Z HDI ⇒ Zb g(x)dx = G(ϕ(b)) − G(ϕ(a)) = g(ϕ(s))ϕ0 (s)ds a ϕ(a) Dies wird als Substitutionsregel bezeichnet: ϕ(b) Z g(x)dx x=ϕ(s) ϕ(a) Merkregel: x = ϕ(s), 1.30 Beispiel. R∞ −∞ π 2 R −π 2 1 0 1+tan2 ϕ (tan dx ds Zb = g(ϕ(s))ϕ0 (s)ds a = ϕ0 (s) ⇒ dx = ϕ0 (s)ds“ ” 1 1+p2 dp π 2 ϕ)dϕ = R −π 2 Substitution: p = tan ϕ 1 1+tan2 ϕ (1 + tan2 ϕ)dϕ = π Wir haben schon eine Erweiterung (inoffiziell) des Riemann-Integrals betrachtet. Bei Riemann-Integralen müssen die Intervallgrenzen und Funktionswerte reelwertig sein und beschränkt. Beide Regeln können verletzt sein, das führt zu sogenannten uneigentlichen Riemann-Integralen. Daher folgt nun die die Einführung des uneigentlichen Riemann-Integrals. 1.31 Definition. Seien dazu a, b ∈ [−∞, ∞], a ≤ b sowie f : (a, b) 7→ R so, dass für a < ã ≤ b̃ < b die Funktion f auf [ã, b̃] Riemann-integrierbar ist: Rb̃ Rb̃ Rb Konvergiert f (x)dx, d.h. lim lim f (x)dx =: f (x)dx existiert , so heißt f uneiã b̃→b ã→a ã gentlich Riemann-integrierbar auf [a, b]. a 1.5. INTEGRALRECHNUNG 1.32 Beispiel. 33 (1) Wir betrachten auf (0, 1] die Funktionen xα , α ≤ 0. Frage: Für welche α < 0 ist xα auf [0, 1] uneigentlich Riemann-integrierbar? 1 α+1 für α 6= −1 α+1 x Stammfunktion von xα : ln x für α = −1 1 R1 → α+1 falls α > −1 1 1 1 α 6= −1 : xα dx = α+1 xα+1 = α+1 (1 − aα+1 ) → ∞ falls α < −1 a α 1 R1 kritischer Fall: α = −1, x1 : für α = −1 : x1 dx = ln x = 0 − ln a → +∞ Fazit: a a xα uneigentlich Riemann-integrierbar genau für α > −1 Merke: Je kleiner α, desto stärker die Singularität. Die Grenze der Integrierbarkeit liegt bei −1. Die Berechnung des Riemann-Integrals geht nur für α > −1, 1 3 z.B. x− 2 , x− 4 , ... (2) Die Funktion xβ , β < 0 bei x = ∞ auf [1, ∞). Frage: für welche β < 0 ist xβ uneigentlich Riemann-integrierbar? Stammfunktion: • β = −1 : ln x : Rb xβ dx = ln b → ∞ 1 1 • β 6= −1 : 1+β xβ+1 : Rb β β6=−1 1 β+1 ∞ x dx = β+1 (b − 1) → 1 − β+1 1 , falls β > −1 , falls β < −1 Merke: Je kleiner β, desto besser. Der Grenzfall liegt bei β = −1. Die Integrierbarkeit ist bei ∞“ für β < −1 gegeben. ” Fazit: Kritischer Fall für β = −1; uneigentlich Riemann-integrierbar für β < −1 → xα für kein α auf (0, ∞) uneigentlich Riemann-integrierbar! (3) Etwas schwieriger • R∞ sin x 0 x+1 dx existiert als uneigentliches Riemann-Integral (Auslöschung durch ±), aber R∞ | sin x| • x+1 dx existiert nicht als uneigentliches Riemann-Integral (divergiert un0 gefähr wie ln) (4) Gamma-Funktion: R∞ Γ(y) = e−t ty−1 dt für y > 0 0 existiert als uneigentliches Riemann-Integral: 34 KAPITEL 1. EINLEITUNG (CRASHKURS) t t a) bei ∞: e−t ty−1 ≤ Cy · e− 2 . Dabei ist e− 2 bei ∞ Riemann-integrierbar, weil b Rb − t t b e 2 dt = −2 · e− 2 = 2 · (1 − e− 2 ) → 2 für b → ∞ 0 0 −t y−1 b) bei 0 : e t ≈t y−1 Riemann-integrierbar, da y − 1 > −1 Mit partieller Integration (Begründung siehe unten) sehen wir folgende Eigenschaft: Γ(y + 1) = y · Γ(y) Begründung: Z∞ Γ(y + 1) = 0 −t e t| {z } dt = −e |{z} u0 ∞ Z∞ · t − −e−t · y · ty−1 dt y v Z∞ = −t (y+1)−1 0+y· 0 0 e−t ty−1 dt = y · Γ(y) 0 Außerdem: Z∞ Γ(1) = ∞ e−t dt = −e−t 0 0 Γ(2) = 1 · Γ(1) = 1 Γ(3) = 2 · Γ(1) = 2 ... ... Γ(n + 1) = n! 1.6 Kurven und Kurven/Linien-Integrale Mathematisch ist eine Kurve im Rn einfach eine stetige Abbildung γ : [a, b] → Rn , wobei [a, b] ⊂ R ein Intervall ist. Wir werden in der Regel nur stetig differenzierbare Kurven betrachten. Wichtig dabei ist eine strenge Unterscheidung zwischen γ (der Abbildung) und dem Bild γ ∗ = {γ(t) : t ∈ [a, b]}. t 1 1.33 Beispiel. (1) γ : [0, 1] → R2 , γ(t) = 1−t ⇒ γ 0 (t) = −1 . Das heißt γ beschreibt die Kurve, die (0, 1) und (1, 0) verbindet“. ” (2) Allgemeiner: Für x, y ∈ Rn ist die Verbindungsstrecke zwischen x und y parametrisiert durch γ : [0, 1] → Rn , γ(t) = t · y + (1 − t) · x 1.6. KURVEN UND KURVEN/LINIEN-INTEGRALE (3) Betrachte γ : [0, 2π) → R2 , γ(t) = cos t sin t γ parametrisiert die Einheitskreislinie. Bild γ ∗ = {x ∈ Rn : |x| = 1} Anschaulich gesprochen ist γ : [a, b] → Rn Beschreibung einer Fahrt“. ” Die Geschwindigkeit γ 0 zur Zeit t ist γ(t + h) − γ(t) h→0 h γ 0 (t) = lim Die Länge ` der Kurve γ ist Zb `(γ) = |γ 0 (t)| dt (γ ist stückweise differenzierbar) a Länge der Kurven in den obigen Beispielen: t (1) γ(t) = 1−t , t ∈ [0, 1] √ 1 0 γ (t) = −1 (konstante Geschwindigkeit, |γ 0 | = 2) Die Länge der Kurve beträgt Z1 0 |γ (t)|dt = `(γ) = 0 Z1 √ 2 dt = 0 (2) γ(t) = t · (y − x) + x γ 0 (t) = y − x, |γ 0 (t)| = |y − x| Die Länge der Kurve beträgt Z1 `(γ) = |γ 0 (t)|dt = |y − x| 0 t (3) γ(t) = cos sin t ,t ∈ [0, 2π] sin t 0 γ(t) = −cos t , |γ (t)| = 1 Die Länge der Kurve beträgt Z2π `(γ) = 0 |γ 0 (t)|dt = 2π √ 2 35 36 KAPITEL 1. EINLEITUNG (CRASHKURS) Vorsicht: `(γ) ist nicht die Länge von γ∗, obwohl dies nach obigen Beispielen so aussehen mag. Zum Beispiel: cos t 2 γ2 : [0, 4π] → R , γ2 (t) = ⇒ `(γ2 ) = 4π (2 Runden!) sin t Bemerkung. Sei γ : [a, b] → Rn eine Kurve. Dann ist folgende Abbildung eine Parametertransformation: ϕ : [c, d] → [a, b] (bijektive Abbildung mit ϕ(c) = a und ϕ(d) = b) Dann wird durch γ ◦ ϕ : [c, d] → Rn ebenfalls eine Kurve definiert. Die Länge von γ ◦ ϕ ist : Zd `(γ ◦ ϕ) Zd 0 |γ ◦ ϕ (t)|dt = = c ϕ 0≥ 0 Zd = |γ 0 (ϕ(t) · ϕ 0 (t)|dt c |γ 0 (ϕ(t))| · ϕ 0 (t)dt Subst. x = ϕ(t) c ϕ(d) Z |γ 0 (x)|dx = `(γ) ⇒ ϕ(c) 1.34 Definition. Eine Kurve heißt regulär, wenn sie stetig differenzierbar ist mit γ 0 6= 0. In diesem Fall ist s : [a, b] → [0, `(γ)] streng monoton steigend. Diese Kurven kann mann durch ihre Bogenlänge parametrisieren. Dabei ist die Bogenlänge s : [a, b] → [0, `(γ)] einer Kurve γ : [a, b] → Rn gegeben durch Zt s(t) = |γ 0 (t)|dt a Ist nun γ regulär und s streng monoton, existiert die Umkehrabbildung ϕ : [0, `(γ)] → [a, b], man kann also γ umparametisieren: γ e = γ ◦ ϕ : [0, `(γ)] → Rn , die Kurve ist durch ihre Bogenlänge parametrisiert f0 (t)| Dazu berechnet man |γ f0 (t)| = |γ 0 (ϕ(t)) · ϕ0 (t)| |γ Die Ableitung der Umkehrfunktion lautet |γ 0 (ϕ(t))| · 1 s0 (ϕ(t)) = |γ 0 (ϕ(t))| · Also ist die Bogenlänge von γ e die Identität. 1 |γ 0 (ϕ(t))| =1 1.6. KURVEN UND KURVEN/LINIEN-INTEGRALE 37 Die Ableitung der Bogenlänge ergibt s0 (t) = |γ 0 (t)| Verschiedene Arten von Linienintegralen: Sei zunächst M ⊂ Rn , F : M → Rn . Z F~ (~r) · d~r = γ Zb dγ(t) dt = F~ (γ(t)) · dt Zb (F~ (γ(t))|γ 0 (t))dt a a Bedeutung: Arbeitsintegral (F~ (x) ist ein Vektor), F heißt Vektorfeld. Dieses Integral umschreibt die Projektion eines Vektors F~ (γ(t)) auf eine Kurve mit dem Anfangspunkt γ(t) und dem Endpunkt γ(t + ∆t). Vektor F~ und die Kurve γ stehen mit Winkel α aufeinander. Die projizierte Strecke s berechnet sich wie folgt: s = |F | · cos α · |γ(t + ∆t) − γ(t)| Die Arbeit von t bis ∆t |F | · |γ(t + ∆t) − γ(t)| · cos α = F (γ(t)) ◦ (γ(t + ∆t) − γ(t)) Die Summe über diese Beträge lautet Zb (F (γ(t)) ◦ γ 0 (t))dt a 1.35 Beispiel. (1) Massenpunkt im konstanten Schwerefeld Die Formeln dazu lauten 1 1 π π · (0, 0, 1) + · (cos t, 0, sin t) , t ∈ [− , ] 2 2 2 2 1 γ 0 (t) = · (− sin t, 0, cos t) 2 bzw. γ : [a, b] → R3 mit γ(a) = A und γ(b) = B A = (A1 , A2 , A3 ) , B = (B1 , B2 , B3 ) γ(t) = Arbeit W : π Z2 = −π 2 (F (γ(t)) ◦ γ 0 (t))dt 38 KAPITEL 1. EINLEITUNG (CRASHKURS) π Z2 = −m · g · ((0, 0, 1) ◦ 1 · (− sin t, 0, cos t))dt 2 −π 2 π Z2 1 = −m · g · · 2 (cos t)dt = −m · g · 1 · 2 = −m · g 2 −π 2 Rechnung: Zb W = (F (γ(t)) ◦ γ 0 (t))dt a Zb = −m · g · ((0, 0, 1) ◦ (γ10 (t), γ20 (t), γ30 (t)))dt a Zb = −m · g · γ30 (t)dt = −m · g · γ3 |ba a Ergebnis: = −m · g · (B3 − A3 ) Arbeit (2) Arbeit im Coulomb-Feld Eine kleine Probeladung q wird im elektrischen Feld der großen Ladung Q bewegt. Der Weg lautet γ : [a, b] → R3 . Frage: Was ist die Arbeit? Die Kraft zwischen Q im Punkt 0 und q im Punkt x beträgt: F (x) = c · x · q · Q, |x|3 c·q·Q=1 Die Arbeit wird wie folgt berechnet: Z W = F~ (~x)d~x = = (F (γ(t)) ◦ γ 0 (t))dt a γ Zb Zb γ(t) 0 ◦ γ (t) dt |γ(t)|3 a Zb = a 1 (γ(t) ◦ γ 0 (t))dt |γ(t)|3 1.6. KURVEN UND KURVEN/LINIEN-INTEGRALE 39 Nebenrechnung: d γ(t) ◦ γ 0 (t)) |γ(t)| = dt |γ(t)| d . . . ist Ableitung von ’irgendwas’ g(t) = dt 1 (γ(t) · γ 0 (t)) g(t) = · |γ(t)|2 |γ(t)| d d 1 1 · |γ(t)| = − · = |γ(t)|2 dt dt |γ(t)| Fortführung des Arbeitsintegrals: Zb Zb 0 (F (γ(t)) ◦ γ (t))dt = a Zb g(t)dt = − a Zb =− 1 d · dt dt |γ(t)| a 1 1 1 dt = − |γ(t)| |γ(a)| |γ(b)| a Allgemeiner: Sei F : Rd → Rd stetiges Vektorfeld, es gebe V : Rd → R mit ∂i V = Fi . Dann gilt Z Zb ~ F (~x)d~x = (F (γ(t) ◦ γ 0 (t))dt = V (γ(b)) − V (γ(a)) γ a In diesem Fall wird −V Potential von F“ und F Potentialfeld. Warum Potential? ” Beispiel: Für F (x) = x |x|3 ist V (x) = − 1 |x| ein Potential Wenn gilt Z γ F~ (~x)d~x = Z F~ (~x)d~x, γ e also γ und γ e gleiche Anfangs- und Endpunkt haben, so heißt F konservativ. Insbesondere Potentialfelder sind konservativ. Konservativ bedeutet: Z F~ (~x)d~x = 0 falls γ(a) = γ(b) γ Es wird keine Arbeit auf geschlossenen Wegen verrichtet. 40 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN 2 Die reellen Zahlen 2.1 Motivation und Geschichtliches Nicht alle Längenverhältnisse sind rational. Der goldene Schnitt“ taucht im Pentagon ” (dem Symbol der Pythagoräer) auf. l l+k = k l 2.1 Beispiel. √ (1) Verhältnis der Diagonalenlänge zur Seitenlänge eines Quadrates ( 2) √ (2) Verhältnis der Diagonalenlänge zur Seitenlänge eines Fünfeckes ( 1+2 5 ) Beweis. zu (2) (indirekt) √ √ Angenommen l = 1+2 5 wäre eine rationale Zahl. Dann muss auch 5 = 2l −1 rational sein: √ p ∃ p, q ∈ N, ggT (p, q) = 1 : 5= . (2.1) q Damit gilt 5= √ 5· √ 5= p2 , q2 (2.2) d.h. 5 ist ein Teiler von p2 . Da 5 eine Primzahl ist, muss sie auch ein Teiler von p selbst sein, also: 5 | p2 ⇒ 5 | p ⇒ 52 | p2 ⇔ ∃ k ∈ Z : p2 = k · 25. (2.3) Mit Gleichung (2.2) erhält man für q: 5 · q 2 = p2 ⇒ q 2 = k · 5 ⇔ 5 | q 2 und analog zu (2.3) folgt, dass auch q durch 5 teilbar ist, also ist ggT (p, q) = 5. Dies steht im Widerspruch zur Annahme (2.1). Motivation für reelle Zahlen Erweitere Q so, dass Grenzwerte möglich sind. 2.2. DER KÖRPER DER REELLEN ZAHLEN 41 Entscheidende Strukturen • Arithmetik (Körperaxiome) • Ordnungsstruktur • Vollständigkeit 2.2 Der Körper der reellen Zahlen Wir beginnen mit den Rechenregeln für reelle Zahlen. 2.2 Definition. Eine Menge (K, +, ·) für die die zwei Verknüpfungen + : K × K → K, (x, y) 7→ x + y · : K × K → K, (x, y) 7→ x · y und definiert sind, heißt Körper, wenn folgende Axiome erfüllt sind: (1) ∀ x, y, z ∈ K : (2) ∀ x, y ∈ K : x + (y + z) = (x + y) + z x+y =y+x (3) ∃ 0 ∈ K : ∀x ∈ K : x + 0 = x (4) ∀ x ∈ K : ∃ (−x) ∈ K : x + (−x) = 0 (5) ∀ x, y, z ∈ K : (6) ∀ x, y ∈ K : x · (y · z) = (x · y) · z x·y =y·x (7) ∃ 1 ∈ K : ∀x ∈ K : x + 1 = x (8) ∀ x ∈ K : ∃ (x−1 ) ∈ K : x + (x−1 ) = 1 (9) ∀ x, y, z ∈ K : (Assoziativität der Add.) (Kommutativität der Add.) (Existenz der Null) (Existenz des Negativen) (Assoziativität der Mult.) (Kommutativität der Mult.) (Existenz der Eins) (Existenz des Inversen) (x + y) · z = x · z + y · z 2.3 Axiom. (R, +, ·) ist ein Körper. 2.4 Beispiel. (1) (Q, +, ·) ist ein Körper (2) (Z, +, ·) ist kein Körper, da Axiom (8) nicht erfüllt ist. (3) F2 = {0, 1} ist kleinster Körper mit: + 0 1 0 0 1 1 1 0 · 0 1 0 0 0 1 0 1 Bemerkung. Sei (K, +, ·) ein Körper. Dann gilt: (Distributivgesetz) 42 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN (1) Die 0 ist eindeutig. (Sei 0̃ ein weiteres Nullelement, d.h. 0̃ + x = x ∀ x ∈ K. Insbesondere ist dann 0̃ = 0̃ + 0 = 0 + 0̃ = 0, da die Addition kommutativ ist.) (2) Für alle x ∈ K ist 0x = 0, denn es gilt 0x = (0 + 0)x = 0x + 0x. Dann ist aber 0 = 0x + (−0x) = 0x + 0x + (−0x) = 0x. (3) Für x ∈ K ist die n–te Potenz definiert durch x0N = 1K ! A A xn+1 = xn · x und Diese rekursive Definition gilt für n ∈ N0 . Zwischen 1K und 1N sowie 0K und 0N0 muss sorgfältig unterschieden werden. Außerdem gilt xn xm = xn+m (Beweis durch einfache Induktion). N P Für x 6= 1 ist xk = (xN +1 − 1)(x − 1)−1 . k=0 (4) Ebenfalls rekursiv kann man auch das n-fache (n ∈ N0 ) von x ∈ K definieren: 0N 0 x = 0 ! A A und (n + 1)x = nx + x In F2 = 0, 1 ist 2x = 0 für alle x ∈ F2 . Wir können alle arithmetischen Manipulationen wie gewohnt durchführen. Streng genommen müsste dabei aber jeder Rechenschritt mit Hilfe der Körpereigenschaften bewiesen werden. 2.3 Anordnung von R Aus der Schule wissen wir, dass sich die reellen Zahlen der Größe nach ordnen lassen. Es gibt also eine Relation < bzw. ≤ zwischen Zahlen. In einem abstrakten Körper ist eine solche Ordnungsrelation zweckmäßig, da gewisse Elemente des Körpers als positiv ausgezeichnet werden. x<y ⇔ x−y <0 ⇔ y − x positiv Um zu einer sinnvollen Struktur zu kommen, geht man wie folgt vor: 2.5 Definition. Sei (K, +, ·) ein Körper. K heißt angeordnet, wenn es eine Teilmenge K + ⊂ K mit folgenden Eigenschaften gibt: (01) Es existiert eine disjunkte Zerlegung K = K + ∪ {0} ∪ {−x : x ∈ K + } | {z } + =: −K ausführlich: 0 6∈ K + ∪ (−K + ) und K + ∩ (−K + ) = ∅ 2.3. ANORDNUNG VON R (02) ∀ x, y ∈ K + ⇒ x + y ∈ K+ (03) ∀ x, y ∈ K + ⇒ x · y ∈ K+ 43 Dann heißen die Elemente von K + positiv und die von −K + negativ. Damit wird eine Ordnungsrelation induziert: x>y x≥y x<y x≤y : : : : ⇔ ⇔ ⇔ ⇔ x−y x−y x−y x−y ∈ K+ ∈ K + ∪ {0} ∈ −K + ∈ (−K + ) ∪ {0} größer“ ” größergleich“ ” kleiner“ ” kleinergleich“ ” Wenn (K, +, ·) angeordent ist, so muss nach (03) 1∈ K + sein, denn 1 · 1 = 1. 2.6 Axiom. (R, +, ·) ist ein angeordneter Körper. 2.7 Proposition. Sei K ein angeordneter Körper. Dann ist J : N0 → K, n 7→ n · 1K eine injektive Abbildung (Beweis durch vollständige Induktion). Durch I : Q → K, p 7→ (p · 1K )(q · 1K )−1 q ist ein injektiver Homomorphismus von Körpern definiert. Um die reellen Zahlen zu charakterisieren, benötigen wir eine weiteres Axiom, denn auch Q ist ein angeordneter Körper. Um die für die Analysis wesentliche Vollständigkeit von R zu definieren, führen wir folgende Sprechweisen ein: 2.8 Definition. Sei (K, +, ·, <) ein angeordneter Körper. Sei M ⊂ K und κ ∈ K. Dann heißt κ ∈ K κ≥m obere Schranke von M , falls ∀ m ∈ M : . κ≤m untere Existiert eine obere/untere Schranke von M , so heißt M nach oben/unten beschränkt. M heißt beschränkt, wenn es nach oben und nach unten beschränkt ist. Ein s ∈ K heißt Supremum von M , wenn es die kleinste obere Schranke von M ist. (Wenn s die kleinste ober Schranke ist, und s̃ eine weitere obere Schranke, so ist s̃ ≥ s). Ein i ∈ K heißt Infimum von M , wenn i die größte untere Schranke von M ist. Ein Körper heißt ordnungsvollständig, wenn jede nach oben beschränkte nichtleere Menge M ⊂ K, M 6= ∅ ein Supremum besitzt. 44 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN 2.9 Axiom. (R, +, ·, <) ist ordnungsvollständig. Bemerkung. (1) Nicht alle Mengen in R sind beschränkt. Zu zeigen: Für jeden angeordneten Körper K gilt: K ist weder nach oben noch nach unten beschränkt. (2) Nicht jeder Körper ist ordnugsvollständig. 2.10 Beispiel. In Q ist M = {x : x2 < 2} beschränkt, besitzt aber weder Supremum noch Infimum. (3) Für a, b ∈ R sind die Intervalle definiert durch (a < b): (a, b) [a, b] (a, b] [a, b) [a, ∞) (a, ∞) (−∞, b] (−∞, b) := {x ∈ R : a < x < b} inf M = a, sup M = b := {x ∈ R : a ≤ x ≤ b} wie oben := {x ∈ R : a < x ≤ b} wie oben := {x ∈ R : a ≤ x < b} wie oben := {x ∈ R : x ≥ a} inf M = a,kein Supremum := {x ∈ R : x > a} wie davor := {x ∈ R : x ≤ b} kein Infimum, sup M = b := {x ∈ R : x < b} wie davor (4) Supremum und Infimum sind eindeutig (falls sie existieren). Durch diese drei vorangegangen Axiome ist R eindeutig (bis auf Isomorphie“ be” stimmt). Das wollen wir hier nicht zeigen, ebensowenig die Existenz der reellen Zahlen. Wir werden jetzt noch eine Eigenschaft der reellen Zahlen beweisen, die in manchen Zugängen als Axiom gefordert werden muss (Archimedisches Axiom). 2.11 Satz. Seien x, y ∈ R, x > 0. Dann ∃ n ∈ N mit n · x > y. (Statt R: K ordnungsvollständig, n · x hatten wir rekursiv definiert). Beweis. Ist y ≤ 0, so ist nichts zu zeigen, denn dann ist 1 · x > 0 ≥ y. Nun: y > 0. Betrachte M := {n · x : n ∈ N}. Angenommen, die Behauptung sei falsch. Dann müsste ∀ n ∈ N : n · x ≤ y. Also wäre y obere Schranke von M . Dann existiert also s = sup(M ). Da s obere Schranke von M ist, gilt: ∀ n ∈ N : (n + 1) · x ≤ s ⇒ ∀n ∈ N : n · x + x ≤ s ⇒ ∀n ∈ N : n · x ≤ s − x ⇒ s − x ist obere Schranke. Wenn s das Supremum ist und s − x eine obere Schranke ⇒s≤s−x⇒x≤0 Wir haben hier schon gesehen, dass es praktischer ist, mit Ungleichungen zu rechnen, als mit K + zu argumentieren. Aus den Anordnungseigenschaften (01) - (03) aus der Definition 2.5 folgen unmittelbar die folgenden Rechenregeln für Ungleichungen, die wir ab sofort ohne weiteres verwenden werden: 2.3. ANORDNUNG VON R 45 Ungleichungsregeln: Sei K ein angeordneter Körper und x, y, z ∈ K, dann gilt (1) x < 0 ⇔ −x > 0 (2) x < y y<z⇒x<z (Transitivität) (3) x < y ⇒ x + z < y + z (4) z > 0 x < y ⇒ xz < yz (5) x2 ≥ 0 x2 = 0 ⇔ x = 0 (6) x > 0 ⇔ x−1 > 0 (7) 0 < x < y 0 < y −1 < x−1 ⇒ Beweis. Die Beweise sind einfach. 2.12 Definition. Der Betrag einer reellen Zahl x ∈ R ist definiert durch x : x≥0 |x| := −x : x < 0 Rechenregeln für Betrag: Sei (K, +, ·, <) ein angeordneter Körper. Dann gilt: (1) ∀ x ∈ K x ≤ |x|, −x ≤ |x| (2) ∀ x ∈ K\{0} : |x| > 0 (3) |xy| = |x||y| (4) |x + y| ≤ |x| + |y| Dreiecksungleichung Bemerkung (Existenzfragen). Existiert mit (K, +, ·, <) ein ordnungsvollständiger Körper? Ja, wenn eine unendliche Menge existiert. Russelsche Antinomie M := {die Menge aller Mengen} B := {B ∈ M : B ∈ / B} B∈B⇒B∈ /B B∈ / B ⇒ B ∈ B Widerspruch Ist (K, +, ·, <) eindeutig ? Sind K und K̈ vollständig angeordnete Körper, so gibt es eine bijektive Abbildung J : K → K̈ mit folgenden Eigenschaften J(x + y) = J(x) + J(y) J(xy) = J(x)J(y) J(K + ) = K̈ + 46 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN 2.4 Intervallschachtelung und Folgen In diesem Abschnitt geht es um alternative Beschreibungen der Vollständigkeit. In unserem Zugang ergeben sie sich als Konsequenzen der Ordnungsvollständigkeit. Wir erinnern an die Schreibweise (a, b), [a, b), ..., für Intervalle in R. Ist a ≤ b, so definiert man: 2.13 Definition. Länge eines Intervalls: |(a, b)| = |b − a|. 2.14 Definition. Eine Folge In (n ∈ N) abgeschlossener Intervalle heißt Intervallschachtelung, falls (i) In+1 ⊂ In (ii) |In | → 0 ∀ n ∈ N, d.h. ∀ ε > 0 ∃ n0 ∈ N so dass |In | < ε für alle n > n0 2.15 Satz (Intervallschachtelungsprinzip). Für jede Intervallschachtelung gibt es genau ein x ∈ R mit x ∈ In n ∈ N \ In = {x} n∈N Beweis. • Existenz: Sei In = [an , bn ] gegeben, an ≤ bn und M = {an : n ∈ N}. Da In ⊂ I1 , gilt an ≤ bn ≤ b1 . Also ist M beschränkt. Wegen der Ordnungsvollständigkeit existiert x = sup(M ). Aus an ≤ bn folgt, dass bn obere Schranke von M ist. Als Eigenschaft des Supremum folgt x ≤ bn für alle n ∈ N. Damit x ≥ an x ≤ bn ⇔ x ∈ In für alle n ∈ N. x = sup an und x = inf bn existiert wegen Ordnungsvollständigkeit. • Eindeutigkeit:T Es sei x, y ∈ n∈N In ⇒ |x − y| ≤ |In | für alle n ∈ N. Damit folgt x = y, da |In | → 0. Wie haben schon stillschweigend einen wichtigen Begriff vorweggenommen, den einer Folge: 2.16 Definition (Folge). Sei X eine Menge. Eine Folge in X ist eine Abbildung x : N → X sowie xn := x(n) das n-te Folgenglied. Oft schreibt man x := (xn )n∈N . 2.17 Beispiel. (1) Für a ∈ R ist (a)n∈N n 7→ a eine Folge in R : die konstante Folge. 2.4. INTERVALLSCHACHTELUNG UND FOLGEN (2) Durch xn = 1 n für n ∈ N wird die Folge 1 n n∈N 47 in Q ⊂ R definiert. (3) Für q ∈ R ist (q n )n∈N eine Folge in R. Wichtig: Unterscheidung zwischen (xn )n∈N und der Trägermenge {xn : n ∈ N}. 2.18 Beispiel. (1) ((−1)n )n∈N und {(−1)n : n ∈ N} = {−1, 1} (2) xn = −1 1 : x=1 : sonst und {−1, 1} 2.19 Definition (Konvergenz). Sei (xn )n∈N eine Folge in R. (xn ) heißt konvergent gegen x, geschrieben xn → x für x → ∞, falls ∀ ε > 0 ∃ n0 ∈ N ∀ n ≥ n0 |x − xn | ≤ ε. : Falls dies nicht gilt, heißt (xn ) divergent. Bemerkung. Konvergenz bedeutet, dass fast alle Folgenglieder, bis auf endlich viele, in [x − ε, x + ε] liegen. 2.20 Beispiel. (von oben) Für die Folgen von eben gilt: (1) a → a für n → ∞. (2) 1 n → 0 für n → ∞. (3) q n konvergiert für q ∈ (−1, 1] Begründung. Es existiert n0 mit n0 ε > 1 wegen des Archimedischen Axioms. Da 0 < n0 < n ∈ N ⇒ n1 < n10 < ε gilt n1 → 0 für n → ∞. • q = 1 ⇒ qn = 1 → 1 • |q| < 1 ⇒ qn → 0 • q = −1: Sei x ∈ R beliebig, dann gilt |x − 1| + |x + 1| ≥ 2. ⇒ dann gibt es kein n0 , sodass z.B. für ε ≤ da |x − (−1)n | + |x − (−1)n+1 | ≥ 2 1 2 |x − (−1)n | < ε 2.21 Proposition (Eindeutigkeit des Grenzwertes). Seien (xn ), (yn ) Folgen in R, x, y ∈ R mit xn → x und xn → y, dann ist x = y. Beweis. Sei ε > 0 beliebig, dann gilt xn → x ⇒ ∃ n1 ∈ N : |x − xn | < ε für n ≥ n1 xn → y ⇒ ∃ n2 ∈ N : |y − xn | < ε für n ≥ n2 für n0 ≥ max(n1 , n2 ) gilt dann |x − y| = |x − xn + xn − y| ≤ |x − xn | + |xn − y| ≤ 2ε also |x − y| → 0 ⇒ x = y 48 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN Ist (xn ) konvergent, so gibt es genau ein x ∈ R mit xn → x und wir schreiben x := lim xn Limes oder Grenzwert von xn . n→∞ 2.22 Definition (Teilfolge). Sei xn eine Folge in R und sei (nk )k∈N eine Folge natürlicher Zahlen mit nk < nk+1 für alle k ∈ N, dann heißt (xnk )k∈N Teilfolge von (xn )n∈N . 2.23 Beispiel. (1) Die Teilfolgen ((1)2k )k∈N und ((−1)2k+1 )k∈N sind zwei Teilfolgen von ((−1)n )n∈N . Es gibt unendlich viele Teilfolgen. (2) (( 12 )k )k∈N ist Teilfolge von 1 n mit ( n1 )n=2k . 2.24 Satz (Satz von Bolzano–Weierstraß). Jede beschränkte Folge reeller Zahlen besitzt eine konvergente Teilfolge. Dabei heißt (xn ) in R natürlich beschränkt, wenn die Menge {xn : n ∈ N} beschränkt ist, d.h. wenn es a, b ∈ R gibt mit a ≤ xn ≤ b (n ∈ N). 2.25 Beispiel. (1) (−1n ) ist beschränkt. (2) (n) ist unbeschränkt, besitzt also auch keine konvergente Teilfolge. (3) (n(1 + (−1)n ), n ∈ N ist unbeschränkt, hat aber konvergente Teilfolgen, z. B. für ungerade n. Beweis. [Satz (2.24) von Bolzano–Weierstraß] (1) Beweis mit Induktion: Seien a, b ∈ R eine untere bzw. obere Schranke von xn . Für k ∈ N0 gibt es ein Intervall Ik mit • |Ik | = (b − a) · 2−k • Ik+1 ⊂ Ik (k ∈ N0 ) (k ∈ N0 ) • Für alle k ∈ N hat {n ∈ N : xn ∈ Ik } unendlich viele Elemente. Induktionsanfang: Da {xn : n ∈ N} ⊂ [a, b], kann mit I0 = [a, b] begonnen werden. Induktionsschritt: k) Sei Ik gegeben, Ik = [ak , bk ], und sei ck = (ak −b . Dann ist {n ∈ N : xn ∈ 2 Ik } = {n ∈ N : xn ∈ [ak , ck ]}∪ {n ∈ N : xn ∈ [ck , bk ]}. Also eine der beiden letzteren Mengen ist unendlich. Sei die erstere der beiden unendlich. Dann ist Ik+1 = (ak , ck ), sonst Ik+1 = (ck , bk ) Es folgt: |Ik+1 | = 12 |bk − ak | = 12 |Ik | = 1 −k = (b − a) · 2−(k+1) ⇒ Ik+1 ⊂ Ik und nach Konstruktion ist 2 (b − a) · 2 {n ∈ N : xn ∈ Ik+1 } unendlich. Somit Induktion erfolgreich abgeschlossen. (2) Konstruktion von (nk ) in N mit nk+1 > nk (k ∈ N) und xnk ∈ Ik . (Das ist die Teilfolge.) Induktion: 2.4. INTERVALLSCHACHTELUNG UND FOLGEN 49 • k = 1 : Da unendlich viele Folgenglieder in I1 liegen, gibt es ein n1 mit xn1 ∈ I1 . • k → k + 1 : für k gilt also xnk ∈ Ik , außerdem ist {n ∈ N : xn ∈ Ik } unendlich. {n ∈ N : xn ∈ Ik+1 und n > nk } ist ebenfalls unendlich. ⇒ es gibt nk+1 > nk mit xnk+1 ∈ Ik+1 . (3) Zusammensetzen: Nach (1) wurde eine Intervallschachtelung (Ik )k∈N T konstruiert. Nach dem Intervallschachtelungsprinzip existiert x ∈ R mit {x} = k∈N Ik . Behauptung: xnk → x. Sei dazu ε > 0 gegeben, z.B. ε = 10−42 . Weil n1 → 0 und damit 2−k → 0 für k → ∞, gibt es ein n0 ∈ N mit (b − a) · 2−k < ε, k ≥ n0 . Für k ≥ n0 ist xnk ∈ Ik , x ∈ Ik ⇒ |x − xnk | ≤ |Ik | ≤ (b − a) · 2−k ≤ ε, also sind wir fertig. 2.26 Definition (Cauchy-Folge). Eine Folge xn heißt Cauchy-Folge, wenn für alle ε > 0 ein N ∈ N existiert, so daß für alle n, m ≥ N : |xm − xn | ≤ ε. D.h. die Folgenglieder rücken beliebig dicht zusammen. 2.27 Proposition. (1) Jede konvergente Folge ist eine Cauchy-Folge. (2) Ist (xn ) eine Cauchy-Folge und besitzt (xn ) eine konvergente Teilfolge (xnk ), so ist die Teilfolge selbst konvergent. Beweis. (1) Sei ε > 0. Dann existieren wegen der Konvergenz ein x ∈ R und ein N ∈ N: |x − xn | ≤ 2ε (n ≥ N ). Sind n, m ≥ N , so gilt: |xn − xm | = |xn − x + (x − xm )| ≤ |xn − x| + |x − xm | ≤ 2ε + 2ε = ε. (2) Sei (xn ) eine Cauchy-Folge, und xnk → x, k → ∞. Zu zeigen ist xn → x. Dazu sei ε > 0. Dann existiert ein k0 ∈ N : |xnk − x| ≤ 2ε (k ≥ k0 ), weil (xn ) eine Cauchy-Folge ist, existiert ein N ∈ N mit |xn − xm | ≤ 2ε (n, m ≥ N ). Sei n0 = max{nk0 , N }. Für n ≥ n0 ist |x−xn | = |x−xnk +xnk −xn | ≤ |x−xnk |+|xnk −xn | ≤ 2ε + 2ε ≤ ε für k ≥ k0 , nk ≥ N . 2.28 Satz (Vollständigkeit von R). Jede Cauchy-Folge in R ist konvergent. Beweis. Aus (xn )n∈N Cauchy-Folge folgt: (xn ) ist beschränkt. Für ε = 1 existiert ein N1 mit |xn − xm | ≤ 1, n, m ≥ N1 ⇒ {xn : n ≥ N1 } ⊂ [xN1 − 1, xN1 + 1]. Wähle a = min{xn : n ≥ N1 }∪ {xN1 − 1} und b = max{xn : n ≥ N1 } vereinigt mit xN1 + 1 ⇒ a ≤ xn ≤ b , für alle n ∈ N ⇒ (Satz (2.24) von Bolzano–Weierstraß) (xn ) besitzt konvergente Teilfolge. ⇒ (Proposition (2.27)) (xn ) ist konvergent. Zusammenfassung: Folgende vier Gruppen von Aussagen sind äquivalent: (1) • K ist angeordenter Körper 50 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN • K erfüllt das Archimdesche Axiom. (zu jeder denkbaren Zahl gibt es eine natürliche, die noch größer ist) • K erfüllt das Axiom der verschachtelten Intervalle • K ist angeordneter Körper (2) • K ist ordnungsvollständig • K ist angeordenter Körper (3) • K erfüllt das Archimdesche Axiom. (zu jeder denkbaren Zahl gibt es eine natürliche, die noch größer ist) • K ist vollständig • K=R (4) 2.5 Rechnen mit Folgen Hier zeigen wir, daß Konvergenz und Arithmetik der rellen Zahlen zusammenpassen. 2.29 Satz. Seien (xn ) und (yn ) Folgen in R mit xn → x und yn → y. Dann gilt: (1) xn + yn → x + y für n → ∞ (2) xn · yn → x · y für n → ∞ (3) xn x → für n ≥ n0 , n → ∞ (Ist y 6= 0, so gibt es ein n0 ∈ N mit yn 6= 0, (n ≥ yn y n0 ). Beweis. (1) Sei ε > 0. Da xn → x, gibt es ein n1 ∈ N mit |x − xn | ≤ 2ε (n ≥ n2 ). Wähle n0 = max{n0 , n1 }. Dann gilt für n ≥ n0 : |(x + y) − (xn + yn )| = |x − xn + y − yn | ≤ |x − xn | + |y − yn | < 2ε + 2ε = ε (2) Nebenrechnung: |x · y − xn · yn | = |x · y − y · xn + y · xn − xn · yn | = |y(x − xn ) + xn (y − yn )| ≤ |y| · |x − xn | + |xn | · |y − yn | Sei ε > 0. Da (xn ) konvergiert, gibt es ein M mit |xn | ≤ M (n ∈ N) Außerdem gibt es ein n1 ∈ N mit |x − xn | · |y| < 2ε (n ≥ n1 ) Wegen yn → y gibt es ein n2 ∈ N mit |y − yn | · M < 2ε (n ≥ n2 ). Für n0 := max{n1 , n2 } und n ≥ n0 : |x · y − xn · yn | = ... (Nebenrechnung) ... ≤ |y| · |x − xn | + |xn | · |y − yn | ≤ ε ε ε 2 + M |y − yn | ≤ 2 + 2 = ε (3) Für ε − |y| 2 > 0 existiert ein n0 ∈ N mit |yn − y| ≥ ε (n ≥ n0 ). Behauptung: Für (n ≥ n0 ) ist yn 6= 0, denn: |yn | = |y − (yn − y)| ≥ |y| − |yn − y| ≥ |y| >0 2 (1) 2.5. RECHNEN MIT FOLGEN 51 • 1. Fall: xn = 1 für alle n ∈ N. Sei ε > 0. Da yn → y existiert ein n1 mit |y − yn | < ε · |y| (n ≥ n1 ) 2 (2) Wähle n2 = max{n1 , n0 }. Für n ≥ n2 : | y1n − y1 | = |y−yn | |y|2 |y−yn | |y·yn | ≤ (nach (1)) 2 · ≤ (nach (2)) ε. • Allgemeiner Fall: Im 1. Fall wurde gezeigt, dass xn · y1n ⇒ (nach 2) x · y1 = xy 1 yn → 1 y. Nun ist xn yn = (1) Mit xn → x, k ∈ N0 ⇒ xkn → xk 2.30 Beispiel. (2) c ∈ R, xn → x ⇒ c · xn → c · x (3) 1 n2 →0 (4) (1 + n1 )n → e √ (5) n n → 1 (6) 1 − 1 2 + 1 3 − 1 4 + 1 5 − 1 6 ± . . . → ln(2) 2.31 Satz. Seien (xn ), (yn ) konvergente Folgen in R mit xn ≤ yn für alle n ∈ N. Dann ist x := lim xn ≤ lim yn := y. n→∞ n→∞ Beweis. Angenommen nicht, dann ist ε := x−y > 0 Also existiert ein n0 ∈ N mit 2 |x − xn | < 2ε für n ≥ n0 . Außerdem existiert ein n1 ∈ N mit |y − yn | < 2ε für n ≥ n1 . Für n = max{n0 , n1 } : yn ≤ (∗)y+ 2ε ≤ x− 2ε ≤ xn ⇒ yn < xn . Das ist ein Widerspruch. 2.32 Definition. Eine Folge (xn ) heißt monoton fallend , wenn für alle n ∈ N steigend xn+1 ≤ xn . xn+1 ≥ xn 2.33 Satz. Jede beschränkte monotone Folge (xn ) ∈ R ist konvergent. Beweis. Ohne Einschränkung sei (xn ) monoton steigend (anderer Fall analog). ⇒ (Satz (2.24) von Bolzano-Weierstraß) (xn ) besitzt eine konvergente Teilfolge (xnk ). Sei x := lim (xnk ). Wegen des vorherigen Satzes ist xn ≤ x, denn für k 6= n gilt: xn ≤ (xnk ) n→∞ (⇒ xn ≤ x) ⇒ (Satz) xn = lim xn ≤ x = lim (xnk ). k→∞ k→∞ Sei ε > 0 und k0 ∈ N so groß, daß |x − xnk | < ε (k 6= k0 ) Wähle n0 = nk0 , dann gilt für n 6= n0 : x − ε < xnk0 = xn0 ≤ xn ≤ x < x + ε ⇒ |x − xn | < ε (n 6= n0 ) 52 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN Ist xn < yn und geht xn gegen x und yn gegen y, so folgt daraus nicht, daß x < y. 2.34 Beispiel. xn = 0 und yn = 1 n Für eine beschränkte, monoton steigende Folge (xn ) ist lim xn = sup{xn , n ∈ N} n→∞ bzw. lim xn = inf{xn , n ∈ N} n→∞ Warum? Sei x = lim xn ⇒ (nach Voraussetzung), also obere Schranke von {xn : n ∈ N}. n→∞ Angenommen, dies ist nicht das Supremum {xn : n ∈ N}. Dann existiert ein x0 < x und x0 sei obere Schranke von xn . Daraus folgt xn ≤ x0 (n ∈ N). Nach Grenzübergang folgt dann: x ≤ x0 , ein Widerspruch! Bemerkung. Sei M 6= ∅, M ⊂ R nach oben beschränkt. Dann ist sup(M ) = S genau dann, wenn (1) S ist obere Schranke von M . (2) Für alle ε > 0 : (S − ε, S] vereinigt mit M 6= ∅. Insbesondere gibt es eine Folge (xn ) ∈ M , mit xn → S; dabei kann (xn ) monoton steigend gewählt werden. Begründung. (1) Sei S = sup(M ) ⇒. Sei ε > 0, dann ist S − ε < S, damit ist S − ε keine obere Schranke. Also existiert ein x ∈ M : x > S − ε ⇒ M und (s − ε, ∞) = M und (s − ε, S] 6= ∅. Damit ⇒ gezeigt. (2) Seien umgekehrt (1) und (2) erfüllt. Dann ist zu zeigen, daß S = sup(M ). Offenbar ist S eine obere Schranke (nach (1)). Ist es auch die kleinste obere Schranke? Dazu sei ς obere Schranke von M . Mit (2) folgt: S − ε ≤ σ(ε > 0) −→ S ≤ ς Zur Existenz von xn : Für n ∈ N existiert xn ∈ M und (S − n1 , S] ⇒ xn → ς, für n → ∞. Monotone Folge induktiv definieren: (xn+1 ∈ M und [xn , S] und [S − n1 , S] Jetzt eine Folgerung aus dem archimedischen Prinzip (2.11): Inhalt: Bezüglich Konvergenz ist R nicht viel größer als Q. 2.35 Satz. Für alle x, y ∈ R, x < y gibt es eine rationale Zahl, die zwischen x und y liegt. q ∈ Q, x < q < y. Insbesondere ist Q dicht in R, d.h. für alle x ∈ R und ε > 0 beliebig: Q und (x − ε, x + ε) 6= ∅. Beweis. Da y−x > 0, existiert nach dem archimedischen Prinzip ein m ∈ N: m(y−x) > k 1. Setze nun M := {k ∈ Z : k < my} = {k ∈ Z : m < y} ⇒ M nach oben n beschränkt. Also existiert ein n := sup(M ) ⇒ n ∈ M, also m < y (1) Außderdem n folgt m > x (2) (denn mit n ≤ mx und (y − x)m > 1 ⇒ n + 1 < mx + m(y − x) = my ⇒ n + 1 ∈ M , da aber n = sup(M ), folgt ein Widerspruch!) Aus (1) und (2) folgt: n ∈ Q und (x, y) x < n/m < y d.h. q = m ! A A 2.5. RECHNEN MIT FOLGEN 53 Bemerkung. Eine Menge X heißt abzählbar, wenn es eine surjektive Abbildung a : N → X gibt, oder überabzählbar, falls nicht. Nach Cantor ist (1) Q ist abzählbar. (2) R ist überabzählbar. 54 KAPITEL 3. METRISCHE RÄUME 3 Metrische Räume 3.1 Definition und Beispiele In diesem Abschnitt wird eine Struktur vorgestellt, mit deren Hilfe sich Konvergenz gut definieren läßt. Desweiteren wird der Begriff der Stetigkeit eingeführt. 3.1 Definition. Sei M 6= 0 eine Menge und d : M × M → [0, ∞) eine Abbildung mit folgenden Eigenschaften: (M1) Symmetrie: Für alle x,y ∈ M gilt: d(x, y) = d(y, x) (M2) Für x 6= y ist d(x, y) > 0, d(x, x) = 0 (M3) Dreiecksungleichung: Für x,y,z ∈ M gilt: d(x, z) ≤ d(x, y) + d(y, z) Dann heißt d Metrik (d ∼ distance) auf M und (M, d) heißt Metrischer Raum. Oft wird d nicht extra erwähnt. 3.2 Beispiel. (1) Für M 6= 0 ist die diskrete Metrik ddiskret durch 0 wenn x = y ddiskret (x, y) := 1 sonst definiert. ⇒ ddiskret ist eine recht langweilige Metrik. (2) Auf R ist durch d(x, y) := |x − y| die übliche (euklidische) Metrik definiert. p (3) Auf C wird mit d(z, w) = |z − w| = (z − w)(z − w) die euklidische Metrik definiert. (4) Sei n ∈ N. Auf Rn = {(x1 , x2 , ..., xn ) : xi ∈ R} wird für p ∈ [1, ∞) durch !1/p n X p dp (x, y) := |xi − yi | i=1 p die l -Metrik definiert. Für p = 2 ist d2 die übliche euklidische Metrik. Für p = ∞ ist d∞ (x, y) := sup |xi − yi | i=1,...,n die Supremumsmetrik. Dass es sich hierbei jeweils um Metriken handelt, werden wir für p 6= 1 und p 6= ∞ später sehen. Im Fall p = 2 ergibt sich die euklidische Metrik (aus dem Crash-Kurs bekannt). 3.1. DEFINITION UND BEISPIELE 55 Begründung. Für p = 1: Symmetrie: |xi − yi | = |yi − xi |, x = y ⇒ dp (x, y) = X 1/p 0 = 0. Noch zu zeigen: d1 (x, z) ≤ d1 (x, y) + d1 (y, z): Dazu: d1 (x, z) n X = i=1 n X ≤ i=1 n X = |zi − xi | = n X |zi − yi + yi − xi | i=1 (|zi − yi | + |yi − xi |) |zi − yi | + i=1 n X (nach Dreiecksungleichung) |yi − xi | = d(y, z) + d(y, x) i=1 Fehlt noch die Begründung der Dreiecksungleichung für d∞ : mit x,y,z ∈ Rn und i = 1, . . . , n: |xi − zi | = |xi − yi + yi − zi | ≤ |xi − yi | + |yi − zi | ≤ d∞ (x, y) + d∞ (y, z) ⇒ max |xi − zi | = d∞ (x, y) ≤ d∞ (x, y) + d∞ (y, z) i In metrischen Räumen kann man einen vernünftigen Konvergenzbegriff einführen: 3.3 Definition. Sei (M, d) ein metrischer Raum, (xn ) eine Folge in M , x ∈ M . Wir sagen (xn ) konvergiert gegen x in (M, d) bezüglich der Metrik d, falls: ∀ε > 0 ∃ n0 ∈ N : d(xn , x) ≤ ε (n ≥ n0 ) Offensichtlich stimmt das mit Definition (2.19) überein. Weiter definieren wir die Kugel im metrischen Raum (M, d) für x ∈ M, r ≥ 0, durch: Br (x) Ur (x) := {y ∈ M : d(x, y) ≤ r} := {y ∈ M : d(x, y) < r} abgeschlossene d-Kugel offene d-Kugel Damit gilt: xn → x ⇔ Für jeden Radius ε > 0 existiert ein n0 ∈ N mit xn ∈ Bε (x) für alle n ≥ n0 3.4 Beispiel. Verschiedene Kugeln in verschiedenen Metriken: (1) diskrete Metrik: B1 (x) = M , U1 (x) = {x} = Br (x) für 0 ≤ r < 1. Was heißt das für Konvergenz? xn → x in (M, dd ) , wenn ein n0 existiert mit d(xn , x) ≤ 1/2 für n ≥ n0 , d.h. xn = x für n ≥ n0 (2) R mit üblicher Metrik: Bε (x) = [x − ε, x + ε] und Uε (x) = (x − ε, x + ε) 56 KAPITEL 3. METRISCHE RÄUME (3) Kugeln in C mit üblicher Metrik: übliche Kugeln. (4) Einheitskugeln B1 (0) in (R2 , dp ) für p = 1, 2 und ∞: • p = 1: Bezüglich d1 : B1 (0) = {y ∈ R2 : d1 (y, 0) ≤ 1} = {y ∈ R2 : |y1 − 0| + |y2 − 0| ≤ 1} • p = 2: B1 (0) bez. euklidischer Metrik ist {y ∈ R2 : |y1 |2 + |y2 |2 ≤ 1}, also eine “gewöhnliche” Kugel. • p = ∞: Bezüglich d∞ : B1 (0) = {y ∈ R2 : max{|y1 |, |y2 |} ≤ 1} = {y ∈ R2 : |y1 | ≤ 1 und |y2 | ≤ 1} 3.5 Proposition (äquivalent zu (2.21)). Sei (M, d) ein metrischer Raum sowie (xn ) eine Folge in M . Weiter seien x, y ∈ M und xn → x und xn → y für n → ∞. Dann ist x = y. Beweis. Seien x, y, (xn ) wie im Satz gefordert und sei ε > 0. Dann existiert n1 ∈ N mit ε d(x, xn ) ≤ für n ≥ n1 . 2 Außerdem existiert n2 ∈ N mit d(y, xn ) ≤ ε 2 für n ≥ n2 . Dann gilt für n ≥ n1 + n2 : d(x, y) ≤ d(x, xn ) + d(xn , y) ≤ ε ε + =ε 2 2 Weil ε > 0 beliebig war, folgt d(x, y) = 0 und also x = y. 3.6 Lemma (auch Definition). Es seien d1 und d2 zwei Metriken auf M. Wir nennen d1 und d2 äquivalent, wenn es c1 , c2 ∈ R gibt mit: d1 (x, y) ≤ c1 d2 (x, y) ≤ c2 d1 (x, y) (x, y ∈ M ) In diesem Fall konvergiert eine Folge(xn )n∈N genau dann bezüglich d1 , wenn sie bezüglich d2 konvergiert. 3.7 Beispiel. (1) Auf Rn sind alle Metriken dp äquivalent und damit ist die Konvergenz bezüglich dp äquivalent zur Konvergenz bezüglich d∞ ; letztere ist äquivalent zur Konvergenz der Koordinatenfolgen. (2) Die übliche und die diskrete Metrik sind nicht äquivalent auf R. 3.1. DEFINITION UND BEISPIELE 57 Beweis. (zu (3.6)). Sei xn → x bezüglich d1 und sei ε > 0. Dann existiert n0 ∈ N mit d(x, xn ) ≤ ε c1 c2 für n ≥ n0 Für dieses n0 und n ≥ n0 ist nach Definition der Äquivalenz: d2 ≤ c2 c2 c1 d1 ≤ · ε=ε c1 c1 c2 Also konvergiert xn bezüglich d2 . Analog zeigt man, dass aus der Konvergenz von xn bezüglich d2 stets die Konvergenz bezüglich d1 folgt. 3.8 Lemma. Auf Rn betrachte die Metriken dp , p ∈ [1, ∞] mit n X dp ((x1 , x2 , . . . , xn ), (y1 , y2 , . . . , yn )) = ! p1 p |yi − xi | . i=1 (1) Für alle p, q ∈ [1, ∞] sind dp und dq äquivalent. (2) Sei (xk ) Folge in Rn mit xk = (x1k , x2k , . . . , xnk ) für k ∈ N. Dann gilt: xk → x in (Rn , dp ) ⇔ xik → xi in R ∀ i = 1, . . . , n. Beweis. (1) Wir zeigen, dass für alle p dp äquivalent zu d∞ ist. Für x = (x1 , . . . , xn ) und y = (y 1 , . . . , y n ) gilt dp (x, y) = n X ! p1 p |yi − xi | i=1 ≤ n X ! p1 p (max |yi − xi |) i=1 = n X ! p1 d∞ (x, y)p 1 = n p d∞ (x, y) Also ist d∞ ≤ dp (x, y). (2) Wegen (1) ist es belanglos, welche Metrik dp verwendet wird. Sei nun xk → x in Rn und sei ε > 0. Dann existiert n0 ∈ N mit d∞ (xk , x) < ε für n ≥ n0 . 58 KAPITEL 3. METRISCHE RÄUME Für dieses n0 und beliebige i ∈ {1, . . . , n} muss gelten (k ≥ n0 ): |xik − xi | ≤ max |xik − xi | = d∞ (xk , x) < ε i=1,...,n Also folgt xik → xi für k → ∞. Umgekehrt setzen wir voraus, dass für alle i ∈ {1, . . . , n} die Folgen xik → xi konvergieren. Dann gibt es für ε > 0 jeweils ni ∈ N, sodass ∀ k ≥ ni : |xik − xi | < ε Sei weiter n0 = maxi=1,...,n ni . Für k ≥ n0 ist dann |xik − xi | < ε (i = 1, . . . , n). Also ist auch d∞ (xk , x) = maxi=1,...,n |xik − xi | < ε. Bild für die dp -Kugeln mit r = 1 um 0 : Damit können wir Konvergenz im Rn auf Konvergenz in R zurückführen. Schreiben wir x = (x1 , ..., xn ) ∈ Rn , so ist xi die i-te Koordinate; definiere pri : Rn → R, (x1 , ..., xi , ..., xn ) 7→ xi . Damit können wir Lemma (3.8) wie folgt umformulieren: Sei (xk ) eine Folge in (Rn , dp ), 1 ≤ p ≤ ∞. Dann gilt: xk → x in (Rn , dp ) ⇔ pri (xk ) → pri (x) für k → ∞ pri ( lim xk ) = lim pri (xk ) k→∞ k→∞ | {z } | {z } ∈R ∈R 3.2 Offene Mengen, Umgebungen und Stetigkeit 3.9 Definition. Sei (M, d) ein metrischer Raum. (1) Sei x ∈ M . Eine Menge U ⊂ M heißt Umgebung von x, wenn es ein r > 0 gibt mit Ur (x) = {y ∈ M : d(x, y) ≤ r} ⊂ U . 3.2. OFFENE MENGEN, UMGEBUNGEN UND STETIGKEIT 59 (2) Eine Menge U ⊂ M heißt offen, wenn U für jedes x ∈ U eine Umgebung von x ist, d.h. wenn ∀ x ∈ U ∃ rx > 0 : Urx (x) ⊂ U . (3) Eine Menge A ⊂ M heißt abgeschlossen, wenn Ac = M \A offen ist. 3.10 Beispiel. (M, d). (1) M, ∅ sind offen und abgeschlossen in jedem metrischen Raum (2) Ur0 (x0 ) = {y ∈ M : d(x0 , y) < r0 } ist offen in jedem metrischen Raum. (3) Br (x) = {y ∈ M : d(x, y) ≤ r} ist abgeschlossen in jedem metrischen Raum. (4) In R ist [a, b) mit b > a weder offen noch abgeschlossen. Für x ∈ (a, b) existieren Umgebungen, nicht jedoch für a! (5) In C ist H = {z ∈ C : Re {z} ≤ 0} abgeschlossen und G = {z ∈ C : Re {z} > 0} offen. Begründung. (1) Für x ∈ M ist B1 (x) ⊂ M , also ist M offen. ⇒ M c = ∅ ist abgeschlossen. Da es kein x ∈ ∅ gibt, ist ∅ offen. (2) Sei x ∈ Ur0 (x0 ). Dann liegt für r = 12 (r0 − d(x, x0 )) die Kugel Br (x) in Ur0 (x0 ). Es ist nämlich für y ∈ Br (x): 1 d(x0 , y) ≤ d(x0 , x) + d(x, y) ≤ d(x0 , x) + (r0 − d(x, x0 )) 2 1 1 1 1 = r0 + d(x0 , x) < r0 + r0 = r0 2 2 2 2 (3) Um zu zeigen, dass Br0 (x0 ) abgeschlossen ist, müssen wir zeigen, dass U := Br0 (x0 )c offen ist. U = {x ∈ M : d(x, x0 ) > r0 }. für x ∈ U , r = 21 (d(x, x0 ) − r0 ) ist Br (x) ⊂ U . Denn: für y ∈ Br (x) gilt: d(x0 , x) ≤ d(x0 , y) + d(x, y) ⇒ d(x0 , y) ≥ d(x0 , x) − d(x0 , y) ≥ d(x0 , x) − r = d(x0 , x) r0 + > r0 2 2 (4) Betrachte [a, b) ⊂ R, a < b. Bezüglich der Metrik in R ist Br (x) = [x − r, x + r], Br (a) 6⊂ [a, b), denn a − r 6∈ [a, b) ⇒ [a, b) ist nicht offen. [a, b) ist nicht abgeschlossen: [a, b)c = (−∞, a) ∪ [b, ∞), und für r > 0 genügend klein ist b − r 6∈ (−∞, a) ∪ [b, ∞), also enthält [a, b)c keine r-Kugel um b. (5) H ist abgeschlossen und G offen: einfach 60 KAPITEL 3. METRISCHE RÄUME Bemerkung. Sei (M, d) ein metrischer Raum. (1) Für r > 0 und x ∈ M sind Br (x) und Ur (x) Umgebungen von x. (2) Für alle x ∈ M, r > 0 ist Ur (x) offen. (3) xn → x ⇔ Für jede Umgebung U von x gibt es ein nv ∈ N mit ∀ n ≥ nv : xn ∈ U Begründung. ⇒“ Sei xn → x und U eine Umgebung von x, d.h. es gibt ein ε > 0 ” mit Bε (x) ⊂ V . Da xn → x, ∃ n0 ∈ N mit d(x, xn ) ≤ ε für n ≥ n0 . Wir können nv = n0 wählen, denn für n ≥ nv = n0 ist xn ∈ Bε (x) ⊂ V ⇐“ Kugeln Bε (x) sind Umgebungen, nε := nBε (x) . ” 3.11 Definition. Seien (M1 , d1 ), (M2 , d2 ) metrische Räume, f : M1 → M2 eine Abbildung und x0 ∈ M1 . Dann heißt f stetig an der Stelle x0 , wenn für alle ε > 0 ein δ > 0 existiert mit f (Bδ (x0 )) ⊂ Bε (f (x0 )) ⇔ ∀ε > 0 ∃δ > 0 : d(x, x0 ) ≤ δ ⇒ d(f (x), f (x0 )) ≤ ε 3.12 Satz. Seien (M1 , d1 ), (M2 , d2 ) metrische Räume, f : M1 → M2 und x0 ∈ M1 . Dann sind äquivalent: (1) f ist stetig in x0 ∈ M1 . (2) Aus xn → x0 für eine Folge (xn )in M1 folgt f (xn ) → f (x0 ) in M2 . f ist ” folgenstetig“. 3.13 Beispiel. (1) Die Identität id : M → M, id(x) = x ist in jedem metrischen Raum überall stetig. (2) Sei M = R mit üblicher Metrik. Dann ist f : R → R, f (x) = x2 eine stetige Funktion. (3) Konstante Funktionen sind stetig. (4) Die Koordinatenabbildungen pri : Rn → R, (x1 , x2 , . . . , xn ) 7→ xi sind stetig von (Rn , dp ), p beliebig, nach R mit üblicher Metrik. Begründung. zu (1) Sei x0 ∈ M beliebig und 0 < δ < ε. Dann ist id(Uδ (x0 )) = Uδ (x0 ) ⊂ Uε (id(x0 )). 3.2. OFFENE MENGEN, UMGEBUNGEN UND STETIGKEIT 61 Begründung. zu (2) Sei x0 ∈ R, ε > 0. Wenn f (x) stetig bei x0 ist, muss es zu jedem ε ein δ > 0 geben, so dass gilt: f (x0 + δ) = x20 + 2x0 δ + δ 2 < x20 + ε. Dies ist z.B. erfüllt, wenn |2x0 δ| < 2ε und δ 2 < 2ε . n p o Man wähle sich ein δ < min 4|xε 0 | , 2ε . Damit gilt für alle h ∈ R mit |h| < δ: |2hx0 | < ε 2 und h2 < 2ε , bzw. −ε < 2hx0 + h2 < ε x20 − ε < (x0 + h)2 < x20 + ε f (Uδ (x0 )) = f ( (x0 − δ, x0 + δ) ) ⊂ (x20 − ε, x20 + ε) = Uε (f (x0 )) Begründung. zu (3) Bei konstanten Funktionen ist die Definition der Stetigkeit für beliebige δ > 0 erfüllt. Begründung. zu (4) Die Funktion pri ist folgenstetig (Lemma 3.8) und damit lt. Satz 3.12 stetig. Beweis. (zu Satz 3.12) Sei (xn ) eine konvergent Folge in (M1 , d1 ) mit xn → x0 . ⇒: Vor: f (x) ist stetig bei x0 Beh: f (x) ist folgenstetig bei x0 : f (xn ) → f (x0 ) Sei ε > 0. Wir müssen ein n0 ∈ N finden mit f (xn ) ∈ Uε (f (x0 )) (n ≥ n0 ). Wegen der Stetigkeit von f an der Stelle x0 ∃ δ > 0 mit f (Uδ (x0 )) ⊂ Uε (f (x0 )). Da xn → x0 , ∃ nδ ∈ N : xn ∈ Uδ (x0 ) (n ≥ nδ ) und für n0 := nδ gilt dann: f (xn ) ∈ f (Uδ (x0 )) ⊂ Uε (f (x0 )) (n ≥ n0 ), d.h. f (xn ) → f (x0 ) bzw. f ist folgenstetig bei x0 . ⇐: Vor: f (x) ist nicht stetig bei x0 : ∃ ε > 0 ∀ δ > 0 : f (Uδ (x0 )) 6⊂ Uε (f (x0 )) Beh: f (x) ist nicht folgenstetig bei x0 : ∃ (xn ) in (M1 , d1 ) : xn → x0 und f (xn ) 6→ f (x0 ) in (M2 , d2 ) Da f nicht stetig in x0 , ∃ ε > 0 für δ = n1 > 0, n ∈ N beliebig, so dass f (U n1 (x0 )) 6⊂ Uε (f (x0 )), d.h. ∃ xn ∈ U n1 (x0 ) mit f (xn ) 6∈ Uε (f (x0 )). Die so definierte Folge (xn ) erfüllt: d1 (x0 , xn ) < n1 → 0, also xn → x0 d2 (f (x0 ), f (xn )) ≥ ε > 0, also f (xn ) 6→ f (x0 ) Damit ist auch f nicht folgenstetig in x0 . 3.14 Proposition. Seien (M1 , d1 ) und (M2 , d2 ) metrische Räume, f : M1 → M2 eine Abbildung und x0 ∈ M1 . Dann sind äquivalent: (1) f stetig bei x0 (2) Für jede Umgebung U von f (x0 ) ist f −1 (U ) = {x ∈ M1 : f (x) ∈ U } eine Umgebung von x0 . 62 KAPITEL 3. METRISCHE RÄUME 3.15 Beispiel. Sei g : R → R, g(x) = 0 für x 6∈ Q . max{ 1q : x = pq , p ∈ Z, q ∈ N} für x ∈ Q Dann ist g stetig in allen Punkten x0 ∈ R\Q und unstetig in allen Punkten x0 ∈ Q. 3.16 Proposition. Seien (M, d) ein metrischer Raum und die Abbildungen f, g : M → R stetig in x0 ∈ M . Dann sind auch (f + g) und (f · g) stetig in x0 . Begründung. Folgt aus den Rechenregeln für Folgen (Satz 2.29) und Satz 3.12. 63 4 Reihen Reihen sind Folgen der Form a1 , a1 + a2 , a1 + a2 + a3 , . . . , a1 + a2 + · · · , wobei (an ) eine Zahlenfolge ist. Das heißt, durch addieren der Glieder einer Folge reeller Zahlen erhält man eine Reihe“. Die Frage der Konvergenz kann hier ohne Kenntnis ” des Grenzwertes durch verschiedene Konvergenzkriterien entschieden werden. Viele wichtige Zahlen und Funktionen können durch Reihen beschrieben werden. 4.1 Reihen: Definition und einige Eigenschaften Es ist 1 1 1 1 1 + + + + + ···, 0! 1! 2! 3! 4! wobei ’=’ und ’· · ·’ noch näher erläutert werden müssen: n P 1 1 1 Definiert man sn := ∈ Q, kann ’· · ·’ durch die Folge k! = 1 + 1 + 2 + ... + n! k=0 | {z } e= endliche Summe (sn )n∈N beschrieben werden. Wenn (sn ) einen Grenzwert besitzt, gilt auch e = lim sn . n→∞ 4.1 Definition. Sei n0 ∈ N0 und (ak )k≥n0 eine Folge reeller Zahlen. Wir nennen sn := n X ak = an0 + ... + an k=n0 die P n-te Partialsumme der Folge (ak )k≥n0 . Die Folge (sn )n≥n0 (auch ak ) wird als Reihe der Folge (ak ) bezeichnet. P ak oder k≥n0 Eine Reihe heißt konvergent,P wenn ein s ∈ R existiert mit sn → s für n → ∞. Es heißt s die Summe der Reihe ak und wird mit s= ∞ X k=n0 bezeichnet. ak 64 KAPITEL 4. REIHEN Mit dieser Definition ist insbesondere erklärt, wann eine Reihe konvergent heißt, nämlich definitionsgemäß, wenn die Folge der Partialsummen (d.h. die Reihe) konvergiert. Da man Reihen oft zum Definieren von Zahlen verwendet, ist es wichtig, etwas über die Konvergenz sagen zu können ohne den Grenzwert der Reihe zu kennen. 4.2 Beispiel. (1) Für ak = a ∀ k ∈ N0 ist die Folge (sn ) mit sn = n X ak = (n + 1)a k=0 nicht konvergent, wenn a 6= 0. (2) Für ak = (−1)k ∀ k ∈ N0 , n0 = 0 ist die Folge (sn ) mit n X 1 1 für n gerade k n sn = (−1) = (1 + (−1) ) = 0 für n ungerade 2 k=0 nicht konvergent. (3) Für ak = 1 k(k+1) ∀ k ∈ N, n0 = 1 ist die Folge (sn ) konvergent mit ∞ X k=1 1 = 1. k(k + 1) Begründung. (Partialbruchzerlegung): n n X X 1 1 1 1 1 1 1 1 1 sn = = − = − + − + ··· + − k(k + 1) k k+1 1 2 2 3 n n+1 k=1 = k=1 1 1 − 1 n+1 ist konvergent und sn = (4) harmonische Reihe Für ak = k1 ∀ k ∈ N, 1 1 − 1 n+1 → 1 für n → ∞ n0 = 1 ist die Folge (sn ) mit sn = n X 1 k k=1 nicht konvergent. Begründung (indirekt). Angenommen die harmonische Reihe wäre konvergent mit dem Grenzwert g ∈ R. Teilt man die Glieder der Reihe in Brüche mit geraden und ungeraden Nennern auf, erhält man: ∞ ∞ ∞ ∞ ∞ X X X 1 1 1 1X1 X 1 =g= + = + k 2k 2k − 1 2 n=1 k 2k − 1 k=1 k=1 k=1 k=1 4.1. REIHEN: DEFINITION UND EINIGE EIGENSCHAFTEN bzw. ∞ ∞ k=1 k=1 65 X 1 g X 1 = , = 2 2k 2k − 1 was im Widerspruch steht zu n X k=1, 2-k n X 1 − k k=1, 2|k 1 1 1 1 1 1 1 1 = + + ··· − − − ··· = + + ··· > . k 1 3 2 4 2 12 2 (5) geometrische Reihe Für ak = q k ∀ k ∈ N, n0 = 0, sn = n X q ∈ R ist die Folge (sn ) mit qk = k=0 q k+1 − 1 q−1 Für |q| < 1 ist (sn ) konvergent mit sn → nicht konvergent. 4.3 Definition. für q 6= 1 . 1 1−q , in allen anderen Fällen ist (sn ) (1) Wir nennen lim sn = lim n→∞ die Summe der Reihe P n→∞ n X ∞ X ak =: k=n0 ak k=n0 ak , falls die Reihe konvergiert. k≥n0 (2) Eine Reihe P an heißt absolut konvergent, wenn k≥n0 P |an | konvergiert. k≥n0 P1 n Bemerkung. Die Reihe n (−1) konvergiert, ist aber nicht absolut konvergent, da P 1 n | n (−1) | divergiert (harmonische Reihe). 4.4 Lemma. Seien (ak )k≥n0 und (bk )k≥n0 Folgen in R. P P (1) ak konvergent ⇔ ∃ n1 ≥ n0 : ak konvergent k≥n0 k≥n P1 ⇔ ∀ n1 ≥ n0 : ak konvergent k≥n1 P (2) Gilt für k ≥ n1 ≥ n0 : |ak | ≤ bk und konvergiert bk , so konvergiert k≥n1 P ak k≥n0 absolut. Die Folge (bk ) wird Majorante von (ak ) genannt (Majorantenkriterium). (3) Ist bk ≥ 0 für alle k ≥ n0 , so gilt X k≥n0 bk konvergent ⇐⇒ n X k=n0 ! bk beschränkt. n∈N 66 KAPITEL 4. REIHEN (4) Gilt ak ≤ bk P ∀ k ≥ n0 und sind k≥n0 ∞ X P ak , bk konvergent, so gilt: k≥n0 ak ≤ ∞ X bk . k=n0 k=n0 P Insbesondere gilt für absolut konvergente Reihen ak die verallgemeinerte k≥n0 Dreiecksungleichung: ∞ X | ak | ≤ k=n0 Begründung. ∞ X |ak |. k=n0 zu (1) Die Partialsummen sn = n P ak und s̃n = k=n0 n P ak unterscheiden sich durch eine k=n1 Konstante: sn − s̃n = nX 1 −1 ak = const. ∀ n ≥ n1 . k=n0 Es ist also s̃n = sn + c und damit konvergiert (s̃n ) genau dann, wenn (sn ) konvergiert. zu (2) Sei sn = n P n P ak und σn = k=n0 bk . Da (σn ) konvergiert, ist (σn ) eine k=n1 Cauchyfolge (Proposition 2.27): ∀ ε > 0 ∃ N ∈ N : |σn − σm | < ε m ≥ N ). Damit gilt: n n n m X X X X ak ≤ |ak | |sn − sm | = ak − ak = ≤ k=n0 n X k=n0 k=m+1 bk = |σn − σm | < ε (n ≥ k=m+1 (0 ≤ |ak | ≤ bk ) , k=m+1 d.h. auch (sn ) ist eine Cauchyfolge und somit konvergent (Vollständigkeit von R, Proposition 2.27). zu (4) Folgt aus den “Rechenregeln” für Grenzwerte (Satz (2.29)): Unter der Voraussetzung bk ≥ 0 gilt, dass sn = n X bk ≤ sn+1 = k=n0 n+1 X bk . k=n0 Die Partialsummen sind also monoton. (sn ) beschränkt + monoton. Daraus folgt wegen der Vollständigkeit die Konvergenz von (sn ) =⇒ (sn ) beschränkt. 4.2. KONVERGENZKRITERIEN 4.5 Lemma. Es seien P ak und k (1) P (ak + bk ) P 67 bk konvergente Reihen sowie λ ∈ R. Dann gilt: k ist konvergent mit ∞ ∞ ∞ P P P (ak + bk ) = ak + bk k k (2) ∞ P λak = λ k ∞ P k k ak . k Beweis. Folgt sofort, wenn man die Rechenregeln für Folgen auf Partialsummen anwendet. 4.2 Konvergenzkriterien Die Vollständigkeit von R liefert 4.6 Satz (Cauchy-Kriterium). Sei (an ) Folge in R. Dann gilt: X an konvergiert ⇔ ∀ε > 0 ∃ N ∈ N ∀ N ≤ m ≤ n : n n X ak ≤ ε k=m Beweis. Klar, denn es gilt n X |sn − sm−1 | = ak k=m 4.7 Definition (Notation). Die Konvergenz von P bk < ∞ geschrieben. P bk wird abkürzend auch als k k 4.8 Satz (Majoranten bzw. Minoranten-Kriterium). Sei (an ) Folge in R sowie (bn ) in [0, ∞) und |an | ≤ bn . Dann gilt: ∞ X bk < ∞ k Analog folgt für an ≥ bn und ⇒ ∞ X ak < ∞ k P bn divergent, dass auch n 4.9 Beispiel. Die Summe P n | n12 | ≤ 2 n(n+1) für n ∈ N. P an divergiert. n 1 n2 ist konvergent, weil P n 2 n(n+1) konvergent ist und 68 KAPITEL 4. REIHEN 4.10 Satz (Reihen mit positiven P Gliedern). Sei (bn ) Folge in [0, ∞). Dann sind Konvergenz und Beschränktheit von bn äquivalent. n Beweis. Wegen bk ≥ 0 ist sn := n P bk monoton wachsend. Aus Monotonie und Be- k schränktheit folgt sofort die Konvergenz. Andersherum folgt aus der Konvergenz natürlich sofort die Beschränktheit. 4.11 Satz (Leibniz-Kriterium). Ist (an ) eine positive Nullfolge in R, so ist P (−1)k ak konvergent. k 4.12 Beispiel. (1) Betrachte: ∞ P k=1 (2) Betrachte: ∞ P k=1 (−1)k k (−1)k+1 2k−1 = π 4 = − ln 2 Beweis. Setze f (x) = ∞ P k=1 (−1)k k k x für |x| < 1. Dann gilt: ∞ ∞ ∞ k=1 k=1 k=0 X 1 d X (−1)k k X x = (−1)k xk−1 = − (−x)k = − dx k 1+x Das letzte Gleichheitszeichen kann dabei wegen der vorliegenden geometrischen Reihe gesetzt werden. Durch Integration erhält man f (x) = − ln(1 + x) und also f (1) = − ln 2. Allerdings wurden hier Integration und Differentiation ausgenutzt, die noch gar nicht eingeführt sind. Aus dem Majorantenkriterium folgt das Quotientenkriterium: 4.13 Satz (Quotientenkriterium). Sei (an ) Folge in R. Wenn es ein 0 < θ < 1 und N ∈ N gibt mit an 6= 0 und an+1 an ≤ θ ∀ n ≥ N , P so konvergiert an absolut. n Beweis. Für dieses N definiere die Folge bn := |aN |θn−N wobei n ≥ N Mit Induktion folgt dann |an | ≤ |bn |. Induktionsanfang (n = N ): |an | ≤ |an | ist wahr. Induktionsschritt: |an+1 | ≤ |an |θ ≤ bn θ = bn+1 4.2. KONVERGENZKRITERIEN 69 wobei Voraussetzung aus dem Satz, Induktionsvoraussetzung sowie die Definition P P von bn benutzt wurden. Da also die geometrische Reihe bk eine Majorante für |an | n k P ist, muss an absolut konvergieren. n 4.14 Beispiel (Exponentialreihe). Für alle x ∈ R konvergiert exp(x) := X xn n! n≥0 absolut. Dazu wende man das Quotientenkriterium an: an+1 x |x| 1 n+1 = wenn |x| ≤ an n + 1 = n + 1 ≤ 2 2 Wähle N ∈ N so, dass |x| ≤ Quotientenkriterium erfüllt. N +1 2 . Für dieses N und θ = 1 2 ist die Bedingung aus dem 4.15 Definition. Wir nennen e= ∞ X 1 = exp(1) n! n=0 4.16 Beispiel. Für an = 1 n die Eulersche Zahl und ist ∈ R \ Q ist an+1 n an = n + 1 < 1 P Dennoch folgt daraus nicht, dass an konvergiert, denn es gibt eben kein festes n 0 < θ < 1, mit dem die Bedingung aus dem Quotientenkriterium erfüllt ist, weil gegen 1 konvergiert. n n+1 4.17 Satz (Wurzel-Kriterium). Sei (an ) Folge in R. Es gebe 0 < θ < 1 und N ∈ N mit p n |an | ≤ θ wenn n ≥ N. P Dann konvergiert an absolut. n Beweis. Nach Voraussetzung ist eine geometrische Reihe Majorante für P n somit absolut konvergent, denn es gilt X n |an | ≤ X n θn |an | und ! A A 70 KAPITEL 4. REIHEN 4.3 Die realen Zahlen: Dezimalbrüche 4.18 Definition. Ein Dezimalbruch ± a0 a1 . . . al , al+1 . . . ist eine Reihe der Form z=± ∞ X ak 10l−k mit ak ∈ {0, 1, . . . , 9} k=0 (1) 42 = 4 · 101 + 2 · 100 4.19 Beispiel. (2) 0, 9 = 9 10 ∞ P 10−k = k=0 9 1 1 10 1− 10 =1 4.20 Proposition. Jeder Dezimalbruch konvergiert und stellt eine reelle Zahl dar. Beweis. Man wende Majorantenkriterium und eine geometrische Reihe an. 4.21 Satz. Sei x ∈ R, x ≥ 0 und (bn ) Folge in (0, ∞) mit bn → 0 und b0 > x. Dann ∞ P gibt es eine Folge (an ) in N0 mit an bn < bn−1 für n ∈ N und es existiert x = an bn n=1 Bild: 0 b3 b2 b1 x b0 (Hier wäre a1 = 1, x1 = b1 , a2 = 0, x2 = x1 , a3 = 1, x3 = b1 + b3 usw.) Beweis. Wir definieren an und xn rekursiv durch a1 := max{k : kb1 ≤ x} < ∞ nach dem Archimedischen Prinzip sowie x1 = a1 b1 . Sind a1 . . . an und x1 . . . xn schon gewählt, definiere an+1 := max{xn + kbn+1 ≤ x} sowie xn+1 := xn + an+1 bn+1 . Es folgt x1 ≤ x2 ≤ . . . ≤ xn ≤ x und xn + bn > x. Damit ist xn ≤ x < xn + bn . Also gilt |x − xn | ≤ bn , und wegen bn → 0 folgt xn → x. 4.22 Korollar. Jede reelle Zahl ist als Dezimalbruch darstellbar, d.h. für alle x ∈ R, x ≥ 0 gibt es l ∈ N sowie (ak )k∈N0 mit x = a0 . . . al , al+1 . . . = ∞ X ak 10l−k k=0 Beweis. Es gibt l ∈ N mit x < 10l . Definiere bn := 10l−n . Dann folgt nach dem letzten ∞ P bn−1 Satz die Existenz einer Folge (an ) in N0 mit x = und an bn < bn−1 . Da = bn n=1 10l−(n−1) = 10, ist an < 10. Damit an ∈ {0, 1, . . . , 9}. Also ist x Dezimalbruch. 10l−n Bemerkung. Die Basis 10 hat keine ausgezeichnete Rolle. Stattdessen können beliebige b > 1 zugelassen werden und jede Zahl besitzt eine eindeutige b-adische Darstellung. Von besonderer Bedeutung sind b = 2 (Dualzahlen). Dabei sind die Ziffern stets ∈ {0, . . . , b − 1} 4.4. MANIPULATION VON REIHEN 71 4.23 Beispiel (Dualzahlen). 10, 00110 = 1 · 21 + 0 · 20 + 0 · 2−1 + 0 · 2−2 + 1 · 2−3 + 1 1 3 1 · 2−4 + 0 · 2−5 = 2 + + =2 8 16 16 Abgesehen von b = 2 spielen noch b = 8 (Oktalzahlen) sowie b = 16 (Hexadezimalzahlen) eine besondere Rolle. 4.4 Manipulation von Reihen Zunächst stellt sich die Frage: Darf man Summanden einer Reihe vertauschen (Kommutativität)? Manchmal, aber nur manchmal! Gegenbeispiel: Wir betrachten die Reihe 1−1+ 1 1 1 1 1 1 − + − + − + ... = 0 2 2 3 3 4 4 Nun benötigen wir folgende Definition: P P 4.24 Definition. Ist an eine Reihe und τ : N0 → N0 bijektiv, so heißt aτ (n) n≥0 n≥0 P eine Umordnung von an . Weiter im Beispiel: Nach der Umordnung erhalten wir 1 1 1 1 1 1 1 −1 + + ... + − + ... 1 + + + ... + 2 3 k k+1 k+2 n 2 | {z } | {z } mit n ∈ N so daß ≥ 1 mit k ∈ N so daß ≥ 2 Die so umgeordnete Reihe ist divergent (unendlich großer Summenwert). 4.25 Satz. Sei X an absolut konvergent mit ∞ X an = a. Dann ist jede Umordnung n=0 dieser Reihe ebenfalls absolut konvergent mit der selben Summe. P 4.26 Satz. (Riemannscher Umordnungssatz ). Ist an konvergent, aber nicht absolut konvergent, so gibt es zu jeder Zahl s ∈ R eine Umordnung X n≥0 aτ (n) mit ∞ X n=0 Des weiteren gibt es divergente Umordnungen. aτ (n) = s . 72 KAPITEL 4. REIHEN Beweis. (Idee). Wir setzen an falls an ≥ 0 + an = 0 falls an < 0 a− n und an 0 = falls an ≤ 0 falls an > 0 . Anschließend argumentiert man wie folgt: ( P P a+ an nicht absolut konvergent und n divergent (+∞) ⇒ P − P an ist konvergent an divergent (−∞) . Wir wenden uns nun einer etwas anderen Fragestellung zu. Sei aij ∈ R für i, j ∈ N0 . Gilt dann folgendes? ∞ X ∞ ∞ X ∞ X X ? aij = aij i=0 j=0 j=0 i=0 Auch hier kann man diese Frage nur manchmal mit ja beantworten. 4.27 Satz. Sei ai,j ∈ R für i, j ∈ N0 . Es existiere eine Konstante M ≥ 0 mit der m X Eigenschaft, daß |ai,j | ≤ M für alle m ∈ N. Dann folgt: i,j=0 (1) Ist τ : N0 → N0 × N0 injektiv, so ist die Reihe X aτ (n) absolut konvergent. n≥n0 Insbesondere sind sowohl die Zeilenreihen tenreihen ∞ X ∞ X ai,j für jedes j als auch die Spal- i=0 ai,j für jedes i absolut konvergent. j=0 (2) Die beiden Reihen X i≥0 ! ∞ ∞ X X X ai,j und ai,j sind absolut konvergent. j=0 j≥0 i=0 Ferner gilt ∞ X i=0 ! ! ∞ ∞ ∞ ∞ k X X X X X ai,j = ai,j = ak−l,l . j=0 j=0 i=0 k=0 l=0 | {z } Diagonalsumme 4.28 Korollar. (Cauchy-Produkt ). Sind die beiden Reihen X ai und i≥0 X j≥0 konvergent, dann gilt ! ∞ ! ∞ ∞ k ∞ ∞ X X X X X X ak−l bl = ai bj . ai · bj = i=0 j=0 k=0 l=0 i=0 j=0 bj absolut 4.5. DIE EXPONENTIALFUNKTION 73 Das mittlere Produkt heißt Cauchy-Produkt. Beweis. Wähle ai,j = ai bj und wende Aussage b) des letzten Satzes an. 4.5 Die Exponentialfunktion Die Definitionen und Kriterien für Reihen übertragen sich ohne Schwierigkeiten auf n P komplexe Reihen. Sei dazu (cn ) eine Folge in C. Dann heißt ck n-te Partialsumme k=n0 und X n X ck = ! ck k=n0 k≥n0 n∈N wird als Reihe der Folge (ck ) bezeichnet. Konvergenz und absolute Konvergenz sind wie für reelle Reihen definiert. Komplexe Folgen konvergieren genau dann, wenn Real- und Imaginärteil konvergieren. Re {cn } =: an , Im {cn } =: bn X X X ck konvergiert ⇐⇒ ak konvergiert ∧ bk konvergiert k≥n0 k≥n0 mit ∞ X ck = k=n0 k≥n0 ∞ X ∞ X ak + i k=n0 bk k=n0 und ∞ X k=n0 ! ck = ∞ X ck . k=n0 4.29 Definition. Die komplexe Exponentialfunktion wird definiert durch exp : C → C, exp(z) (= ez ) = ∞ X zn . n! n=0 Absolute Konvergenz für beliebige z ∈ C (wie im Reellen) folgt aus dem Quotientenkriterium. 4.30 Satz. (1) Die Exponentialfunktion exp : C → C ist stetig. N P |z|N +1 zn für |z| ≤ (2) Es gilt: exp(z) − n! ≤ 2 · (N +1)! n=0 N +1 2 (3) Die Exponentialfunktion erfüllt die Funktionalgleichung exp(z + z̃) = exp(z) · exp(z̃) ∀ z, z̃ ∈ C. 74 KAPITEL 4. REIHEN Bemerkung. Aus derQlinearen Algebra ist bekannt: Qm−1 n Produktzeichen: j=m aj = am · am+1 · . . . · an ( und j=m aj := 1 ) Qk n−j+1 n(n−1)· ... ·(n−k+1) n Durch k := j=1 j = werden die Binomialkoeffizienten 1·2· ... ·k definiert. Lemma: n! (1) Es gilt nk = 0 falls k > n und nk = (n−k)! k! . (2) nk ist die Anzahl der k-elementigen Teilmengen einer n-elementigen Menge. n−1 (3) Für 1 ≤ k ≤ n gilt: nk = n−1 k−1 + k . Hiermit erhält man wieder mit einer einfachen Induktion den folgenden Satz: 4.31 Satz (Binomischer Lehrsatz). Für z, z̃ ∈ C und n ∈ N0 ist n (z + z̃) = n X n k=0 k z k z̃ n−k Beweis. Vollständige Induktion Beweis. (Satz 4.30 über die Exponentialfunktion) (1) Stetigkeit a) bei z0 = 0: Fehlerabschätzung für N = 0 (exp(0) = 1): | exp(z) − 1| ≤ 2 · |z| Um die Stetigkeit zu zeigen, wähle man δ = |z − 0| ≤ δ ⇒ ε 2 für ein ε > 0: | exp(z) − exp(0) | ≤ 2 · |z| < 2δ = ε | {z } =1 Also ist exp stetig. b) Sei nun z0 ∈ C beliebig. Ist (zn ) Folge in C mit zn → z0 , so muss exp(zn ) → exp(z0 ) gezeigt werden. Das gilt aber, da exp zn = exp(zn − z0 + z0 ) = exp(zn − z0 ) exp(z0 ) → exp(z0 ), weil exp(zn − z0 ) → 0, denn exp ist nach (a) stetig in 0. (2) Fehlerabschätzung: Für |z| ≤ 1 + N2 sowie n ≥ N ist n+1 z (n+1)! n = |z| ≤ |z| ≤ 1 z n+1 N +1 2 n! 4.5. DIE EXPONENTIALFUNKTION 75 Durch Induktion erhält man n N +1 z 1 z n−1 ≤ . . . ≤ |z| 2N +1−n n! 2 (n − 1)! (N + 1)! für n ≥ N + 1 Daraus folgt: ∞ N ∞ X X z n X z n |z|N +1 N +1−n 2 exp(z) − = ≤ n! n! (N + 1)! n=0 n=N +1 ∞ X N +1 = |z| (N + 1)! n=N +1 ∞ X N +1 2N +1−n = n=N +1 |z| |z|N +1 2−n = 2 (N + 1)! n=0 (N + 1)! (3) Funktionalgleichung : Durch “Ausrechnen”: ! ∞ ∞ X z i X z̃ j exp(z) · exp(z̃) = i! j! i=0 j=0 ! ∞ k X X z k−l z̃ l = · (k − l)! l! k=0 ∞ X 1 = k! k=0 ∞ X 1 = k! = k=0 ∞ X k=0 (Cauchy-Produkt (4.28)) l=0 k X k! · z k−l z̃ l (k − l)! l! l=0 ! k X k z k−l z̃ l l ! l=0 1 (z + z̃)k k! nach Binomischem Lehrsatz (4.31) = exp(z + z̃) Weitere Eigenschaften der Exponentialfunktion halten wir in folgendem Korollar fest: 4.32 Korollar. (1) ∀ z ∈ C : exp(z) 6= 0 (2) ∀ x ∈ R : exp(x) > 0 (3) ∀ n ∈ Z : exp(n) = en (4) exp : R 7→ R ist streng monoton (5) exp(z) = exp(z̄), z ∈ C 76 KAPITEL 4. REIHEN (6) | exp(it)| = 1, t ∈ R Beweis. (1) 1 = exp(0) = exp(z − z) = exp(z) exp(−z) 1 ⇒ exp(z) 6= 0, exp(−z) = exp(z) ∞ P (2) x ∈ R, x ≥ 0 : exp(x) = Für x < 0 ist exp(x) = xn n! n=0 1 exp(−x) =1+ ∞ P n=1 xn n! ≥1 >0 (3) n ∈ N ⇒ exp(n) = exp(1 + .... + 1) = exp(1)... exp(1) = en (4) Sei y > x ⇒ exp(y) = exp(x + (y − x)) = exp(x) exp(y − x) > exp(x) ∞ P (5) exp(z) = n=0 zn n! = ∞ P n=0 zn n! ∞ P = n=0 zn n! = exp(z̄) (6) Für t ∈ R ist 1 = exp(it − it) = exp(it) exp(−it) = exp(it) exp(it) = exp(it)exp(it) = | exp(it)|2 eit ei0 Frage: Was macht eit , wenn t die reellen Zahlen durchläuft? Antwort: eit läuft gegen den Uhrzeigersinn mit |Geschwindigkeit| = 1. it 4.33 Satz. Für t> < 0 erhält man exp(it) = e , indem man von 1 aus startend Uhrzeigersinn auf dem Einheitskreis die Bogenlänge |t| abträgt. entgegen im Beweis. (a) z 7→ iz ist Drehung um 90◦ gegen den Uhrzeigersinn. z 7→ −iz ist Drehung um 90◦ im Uhrzeigersinn. Für z = x+iy ist iz = −y +ix. (b) Für 0 < s < 1 liegt ei(t+s) auf dem Viertelkreis, der eit gegen den Uhrzeigersinn folgt ei(t+s) , falls s ∈ (0, 1). Sei dazu eis = a + ib. eis = = ∞ X (is)k k=0 ∞ X k=0 k! , (i2k = (−1)k , i2k+1 = (−1)k i) ∞ (is)2k X (is)2k+1 + (2k)! (2k + 1)! k=0 4.5. DIE EXPONENTIALFUNKTION = ∞ X (−1)k s2k (2k)! k=0 2 +i ∞ X (−1)k s2k+1 k=0 6 4 77 (2k + 1)! s s s2 s4 s6 s + − + ...) + is(1 − + − + ...) 2 4! 6! 3! 5! 7! ⇒ eis = a + ib mit a > 0, b > 0 für 0 < s < 1 ei(s+t) = eis eit = (a + ib)eit = aeit + ibeit , |a|2 + b2 = 1 = (1 − eit bewegt sich gegen den Uhrzeigersinn. (c) L4 L 3 L2 L1 Länge des Bogens von 1 bis eit (mit Umläufen gerechnet) ist |t|, für t > 0. Berechne: Ln (t) = Länge des Polygonzuges 2t nt (1, ei n , ..., ei n ) Idee: lim Ln (t) ist die gesamte Bogenlänge. n→∞ t 2 Ln (t) = |ei n − 1| + |ei n t − 1| + ... + |ei = n−1 X |ei k+1 n t − ei n t | k 1 n−1 n t | k k=0 = n−1 X k |ei n t ei n t − ei n t | k=0 = n−1 X k 1 |ei n t (ei n t − 1)| k=0 = n−1 X k 1 1 |ei n t ||ei n t − 1| = n|ei n t − 1| k=0 1 ei n − 1 = |t| → |t| nt 4.34 Lemma. Für zn → 0, zn 6= 0 ⇒ ezn −1 zn schreiben lässt. Beweis. ez − 1 = ∞ ∞ X X zn zn −1= n! n! n=1 n=0 → 1, was sich auch als lim n→0 e0+n −e0 n =1 78 KAPITEL 4. REIHEN ⇒ ∞ ez − 1 X z n−1 = z n! n=1 ⇒ ∞ ∞ ∞ X X X ez − 1 z n−1 z n−1 z n−2 −1= +1−1= =z z n! n! n! n=2 n=2 n=2 Mit k = n − 2 folgt ∞ X ez − 1 zk −1=z z (k + 2)! k=0 z ∞ X e − 1 |z|k ≤ |z| − 1 z (k + 2)! k=0 ≤ |z| exp(|z|) Für zn → 0 folgt also: z e n − 1 zn − 1 ≤ |zn | exp(|zn |) → 0 4.35 Definition. π := 1 2 ist der Umfang des Einheitskreises. 4.36 Satz. (1) eiπ = −1, e2πi = 1 (2) Jedes z ∈ C mit |z| = 1 hat die Form z = eit mit t ∈ R (t ∈ [0, 2π) eindeutig). (3) Ist z ∈ C\{0}, so folgt |z| =: r > 0 und zr = 1. Damit zr = eiϕ mit ϕ ∈ R und jedes z ∈ C lässt sich schreiben als z = reiϕ mit r = |z| und ϕ =: arg(z) (Argument von z). Dies liefert die geometrische Interpretation der Multiplikation komplexer Zahlen als Winkeladdition: z z̃ = |z||z̃|eiϕ eiϕ̃ = |z||z̃|ei(ϕ+ϕ̃) 4.37 Korollar. Für ϕ ∈ R ist ei(ϕ+2kπ) = eiϕ , k ∈ Z. Mit anderen Worten t 7→ eit ist 2π − periodisch bzw. die komplexe e-Funktion ist periodisch mit Periode 2πi. 4.38 Definition (Winkelfunktionen). Wir definieren die Winkelfunktionen cos ϕ = Re eiϕ sowie sin ϕ = Im eiϕ . Da Re z = 21 (z + z̃), Im z = 1 2i (z − z̃) folgen cos ϕ = 12 (eiϕ + e−iϕ ) eiϕ = cos ϕ + i sin ϕ Eulersche Formeln 1 (eiϕ − e−iϕ ) sin ϕ = 2i 4.5. DIE EXPONENTIALFUNKTION 79 Benutze i2k = (−1)k , i2k+1 = i(−1)k um die Parameterdarstellung von cos und sin zu erhalten: eiϕ = = ∞ X (iϕ)2k k=0 ∞ X (2k)! + ∞ X (iϕ)2k+1 (2k + 1)! k=0 ∞ X (−1) ϕ ϕ2k+1 +i (−1)k (2k)! (2k + 1)! k=0 k=0 | {z } | {z } k 2k ∈R ⇒ cos ϕ sin ϕ = = ∈R ∞ X (−1)k ϕ2k k=0 ∞ X k=0 (2k)! (−1)k ϕ2k+1 (2k + 1)! 80 KAPITEL 5. STETIGE REELLE FUNKTIONEN 5 Stetige reelle Funktionen Wir betrachten auf R stets die übliche Metrik d(x, y) = |x − y|. Aus Kapitel 3 wissen wir, was Stetigkeit bedeutet. 5.1 Grenzwerte von Funktionen Wir beginnen mit (1) f : (0, ∞) → R, 5.1 Beispiel. 1 x f (x) = lim f (x) = ∞ sowie : x→0 lim f (x) = 0 x→∞ (2) g : (0, ∞) → R, g(x) = ex : (3) h : (0, ∞) → R, h(x) = sin lim g(x) = 1 x→0 1 x : lim g(x) = ∞ x→∞ lim h(x) existiert nicht; lim h(x) = 0 x→∞ x→0 Bei diesen Definitionen macht das ∞ Schwierigkeiten, dazu: 5.2 Definition. (1) Sei (xn ) Folge in R, wir sagen xn ist bestimmt divergent gegen +∞, in Zeichen lim (xn ) = ∞ oder xn → ∞ für n → ∞, wenn n→∞ ∀ R > 0 ∃ nR ∈ N : xn ≥ R ∀ n ≥ nR Entsprechend heißt xn bestimmt divergent gegen −∞, falls lim (−xn ) = n→∞ +∞. Notation: Beispiel: lim (xn ) = −∞ n→∞ ∞ X 1 = +∞ n n=1 (2) Sei D ⊂ R, dann heißt D = {x ∈ R : ∃ (xn ) in D mit xn → x} Abschluss von D. (Beispiel: (0, 1) = [0, 1] ) 5.1. GRENZWERTE VON FUNKTIONEN 81 (3) Sei D ⊂ R, f : D → R, x0 ∈ D ∪ {±∞}. Wir sagen f (x) → y0 für x → x0 wenn ∀ (x) in D mit xn → x0 ; f (x) → y0 (y0 ∈ R ∪ {±∞}) Damit gilt für Beispiel (5.1). (1) 1 = +∞, x→0 x lim 1 =0 x→∞ x lim (2) lim g(x) = 1, x→0 g(x) → +∞ für x → ∞ (3) lim h(x) existiert nicht, da verschiedene Teilfolgen in (0, ∞) unterschiedliche x→0 Grenzwerte besitzen. 5.3 Proposition. Sei f : D → R und D ⊂ R. (1) Ist x0 ∈ D, so gilt: lim f (x) = y0 ⇔ y0 ∈ R und f (x0 ) = y0 und f ist stetig x→x0 bei x0 (2) Ist x0 ∈ D ∩ R: lim f (x) = y0 ∈ R x→x0 ⇔ Es existiert Fortsetzung g : D → R von f und g stetig bei x0 mit g(x0 ) = y0 . Beweis. (1) ”⇒” Wegen konstanter Folge (x0 ) ist y0 ∈ R und f (x0 ) = y0 . Folgenstetigkeit ⇒ (metr. Räume) Stetigkeit ”⇐” f stetig bei x0 ⇒ f folgenstetig bei x0 (2) ”⇒” folgt aus 1. f (x) für x ∈ D y0 für x0 ”⇐” definiere g(x) = 42 für x0 ∈ D\(D ∪ {x0 }) für f (x) → y0 folgt (x → x0 ): ∀ (xn ) in D mit xn → x0 : g(xn ) → g(x0 ) = y0 ⇒ g folgenstetig ⇒ (metr. Raum) g stetig bei x0 5.4 Proposition. (1) Für (xn ) in (0, ∞) : xn → ∞ ⇔ 1 xn →0 82 KAPITEL 5. STETIGE REELLE FUNKTIONEN (2) ∀ k ∈ N : xk x→∞ ex ex lim k x→∞ x lim = 0 bzw. (5.1) = ∞ (5.2) Beweis. Gleichung (5.1) und Gleichung (5.2) sind äquivalent. k ∞ X 1 X xi xk+1 xj ex = + + xk xk i=0 i! (k + 1)! j! j=k+1 = k X i=0 und x xi−k + + i! (k + 1)! ∞ X j=k+1 xj−k x ≥ j! (k + 1)! für x ≥ 0 x ex → ∞ für x → ∞ damit ist auch lim k = ∞ x→∞ x (k + 1)! (Normale Rechenregel für bestimmt divergente Folgen.) 5.2 Der Zwischenwertsatz 5.5 Satz (Zwischenwertsatz). Sei I ⊂ R ein Intervall und f : I → R setig. Dann ist f (I) ein Intervall. Äquivalentes Korollar: 5.6 Korollar. Sei a < b ∈ R, f : [a, b] → R stetig, f (a) ≤ f (b). Dann gibt es ∀ ξ ∈ [f (a), f (b)] ein x ∈ [a, b] mit f (x) = ξ. (Dies folgt sofort aus dem Satz und umgekehrt) Beweis. Sei y− y+ = inf f (I) ∈ R ∪ {−∞} = sup f (I) ∈ R ∪ {+∞} Wir zeigen (y− , y+ ) ⊂ f (I) ⊂ [y− , y+ ] ∩ R ⇒ f (I) ist Intervall. Wähle y ∈ (y− , y+ ) für y− < y+ (somit trivial) und (x− , x+ ) ⊂ I ⊂ [x− , x+ ]. A− A+ := {x ∈ I : f (x) < y} := {x ∈ I : f (x) > y} 5.2. DER ZWISCHENWERTSATZ 83 Damit gilt: A− ∩ A+ = ∅ und A− ∪ A+ = I. Weil f stetig ist, ist A− offen und A− 6= ∅ (somit wäre inf(I) = y− = y) analog ist A+ 6= ∅, A+ ist offen Ohne Beschränkung der Allgemeinheit sei A+ ∩ {ξ ∈ R : ξ > x} = 6 ∅ Behauptung: f (x) = y Da x = inf(A+ ∩ (x, ∞)) gibt es (xn ) in A+ ∩ (x, ∞) mit xn → x und A+ ∩ (x, ∞) offen. (1) ⇒ f (x) = lim f (x) ≥ y mit f (x) > y, da xn ∈ A+ n→∞ (2) x − n1 ∈ A− ist für n groß genug und damit f (x) = lim (f (x − n1 )) ≤ y n→∞ Aus 1. und 2. folgt f (x) = y 1 5.7 Beispiel. ∀ a ≥ 0, n ∈ N gibt es genau ein Wak mit (Wak )k = a, Wak =: a k Begründung. Betrachte f (x) = xk auf [0, ∞), f (0) = 0 und f (x) → ∞ für x → ∞ ⇒ f ([0, ∞)) = [0, ∞) nach dem Zwischenwertsatz. D.h. ∀ a ≥ gibt es ein x mit xk = a. Da f streng monoton auf [0, ∞) ist x eindeutig. Eigentlich steht hinter dem Zwischenwertsatz (5.5) ein allgemeines Prinzip (stetige Bilder zusammenhängender Mengen sind zusammenhängend) und konkrete Aussagen über R: (zusammenhängende Mengen in R sind Intervalle). 5.8 Definition. Sei (M, d) ein metrischer Raum (1) M heißt zusammenhängend, wenn jede Zerlegung von M in offene, disjunkte Mengen trivial ist, d.h. [U, V offen, U ∩ V = ∅ und U ∪ V = M ⇔ U = ∅ oder V = ∅]. (2) X ⊂ M heißt zusammenhängend, wenn (X, d) zusammenhängen. nicht zusammenhängend 5.9 Beispiel. zusammenhängend (1) [0, 1) ∪ (2, 3] nicht zusammenhängend in R. (2) Alle Intervalle sind zusammenhängend. 84 KAPITEL 5. STETIGE REELLE FUNKTIONEN Der folgende Satz ist einfach zu beweisen, aber wichtig: 5.10 Satz. Seien (M1 , d1 ), (M2 , d2 ) metrische Räume, f : M1 → M2 stetig, X ⊂ M1 , zusammenhängend ⇒ f (X) ⊂ M2 ist zusammenhängend. Das nächste Resultat ist natürlich wieder eine Konsequenz aus der Ordnungsvollständigkeit der reellen Zahlen: 5.11 Satz. M ⊂ R ist genau dann zusammenhängend, wenn M ein Intervall ist. 5.3 Kompaktheit Kompaktheit ist ein fundamentaler Begriff. Sehr viele Existenzsätze (z.B. Existenz von Lösungen gewisser Differenzalgleichungen) gründen sich auf Kompaktheit in geeigneten Räumen. 5.12 Definition. Sei (M, d) metrischer Raum, K ⊂ M . (1) Eine offene Überdeckung von K ist eine Familie (Ul )l∈I offener Mengen, wobei I beliebige Indexmenge, mit [ Ul ⊃ K, l∈I d.h. ∀ x ∈ K ∃ l ∈ I : x ∈ Ul . (2) K heißt kompakt, wenn für jede offene Überdeckung (Ul )l∈I von K eine endliche Teilüberdeckung existiert, d.h. wenn es für jede offene Überdeckung (Ul )l∈I von K endlich viele l1 , l2 , ..., ln ∈ I gibt mit Ul1 ∪ Ul2 ∪ ... ∪ Uln ⊃ K. 5.13 Beispiel. (1) Menge (0, 1) ⊂ R, Indexmenge I = N, für n ∈ I sei Un = ( n1 , 1). ⇒ Un ist eine offene Überdeckung von (0, 1). Es gibt jedoch keine endliche Teilüberdeckung von (Un )n∈I ⇒ (0, 1) nicht kompakt. (2) Menge R, Indexmenge I = R und für x ∈ R sei Ux = (x − 1, x + 1) . ⇒ (Ux )x∈R offene Überdeckung von R, denn x ∈ Ux keine endliche Teilüberdeckung ⇒ R nicht kompakt. ∀ x ∈ R. Es gibt jedoch (3) K = [0, 1], Ux = (x − 12 , x + 12 ) für x ∈ R ⇒ Ux ist eine offene Überdeckung von [0, 1] und es gibt eine endliche Teilüberdeckung: 1 7 U 13 ∪ U 23 = − , ⊃ [0, 1] 6 6 Im folgendem Satz wird der Begriff der Folgenkompaktheit eingeführt. In metrischen Räumen ist diese äquivalent zur Kompaktheit! (ohne Beweis) 5.3. KOMPAKTHEIT 85 5.14 Satz. Sei (M, d) metrischer Raum, K ⊂ M . Folgende Aussagen sind äquivalent: (1) K ist kompakt. (2) K ist folgenkompakt, d.h. jede Folge (xn )n∈N mit xn ∈ K(n ∈ N) besitzt eine in K konvergente Teilfolge (xnj )j∈N : ∀ (xn ) ∈ K ∃ Teilfolge (xnj )j∈N von (xn ) mit xnj → x, x ∈ K, j → ∞ Unter Verwendung des Satzes (2.24) von Bolzano-Weierstraß folgt: 5.15 Satz. Sei K ⊂ R. Dann sind äquivalent: (1) K ist kompakt. (2) K ist abgeschlossen und beschränkt. Beweis. (Wir verwenden Folgenkompaktheit): (1) ⇒ (2) Sei K kompakt. Zu zeigen: K ist abgeschlossen. (Erinnerung: d.h. K c ist offen. ⇔ Für jede konvergente Folge (xn ) mit (xn ) in K ist lim xn ∈ K). n→∞ Sei also (xn ) eine Folge in K und lim xn = x. Da K kompakt ⇒ ∃ (xnj ) mit n→∞ lim xnj = y ∈ K. Da xn → x, muss auch xnj → x ⇒ x = y ∈ K. K ist n→∞ beschränkt, sonst gäbe es (xn ) in K mit |xn | > n. Diese Folge besitzt garantiert keine konvergente Teilfolge. (Jede Teilfolge ist unbeschränkt). (2) ⇒ (1) Zeige: K ist folgenkompakt. Sei (xn ) eine Folge in K; da K beschränkt ist, ist (xn ) beschränkt. ⇒ (Satz (2.24) von Bolzano-Weierstraßs) ∃ eine konvergente Teilfolge (xnk )k∈N . Da K abgeschlossen ist, ist lim xnk ∈ K. k→∞ 5.16 Beispiel. M 6= ∅ mit der diskreten Metrik 0 wenn x = y d(x, y) = 1 sonst ⇒ {x} = U 21 (x) ist offen. Damit gilt: U ⊂ M ist kompakt ⇔ U ist endlich. (⇒ (Ux )x∈K , Ux = {x}). 6⇐ K abgeschlossen und beschränkt. In M sind alle Mengen abgeschlossen und beschränkt. 5.17 Satz. Seien (M1 , d1 ), (M2 , d2 ) metrische Räume, f : M1 → M2 stetig und K ⊂ M1 kompakt. Dann ist auch f (K) kompakt. “Das stetige Bild kompakter Mengen ist kompakt.” Beweis. Wieder über Folgenkompaktheit: Sei (yn ) eine Folge in f (K). Wähle xn ∈ K mit yn = f (xn ). Da K kompakt ist, gibt es eine konvergente Teilfolge (xnk ) mit lim xnk = x ∈ K. Mit der Stetigkeit von f k→∞ folgt f (xnk ) =: yn → f (x) ∈ f (K). Damit: f (K) folgenkompakt. ! A A 86 KAPITEL 5. STETIGE REELLE FUNKTIONEN 5.18 Korollar. Sei (M, d) ein metrischer Raum, f : M → R stetig, K ⊂ M kompakt. Dann ist f auf K beschränkt und nimmt sein Maximum und Minimum an. D.h. es gibt xmax ∈ K, xmin ∈ K mit f (xmax ) = sup{f (x) : x ∈ K} = max{f (x) : x ∈ K} f (xmin ) = inf{f (x) : x ∈ K} = min{f (x) : x ∈ K} sowie Beweis. Nur für das Maximum: f (K) ist nach (5.17) eine kompakte Teilmenge von R, also beschränkt. Sei s := sup f (K): da s das Supremum ist, existiert (sn ) in f (K) mit sn → s, da sn ∈ f (K) gibt es xn ∈ K mit f (xn ) = sn . Da K kompakt ist, gibt es eine konvergente Teilfolge (xnk ) mit lim xnk = x ∈ K. ⇒ n→∞ (f stetig) f (xnk ) = snk → f (x) = s. Damit ist x das gesuchte xmax . 5.19 Beispiel. (1) f : (0, 1) → R, f (x) = x1 ist stetig, f (0, 1) = (1, ∞) nicht beschränkt. Minimum wird nicht angenommen. (2) g : (0, 1) → R, g(x) = x ist stetig, g((0, 1)) = (0, 1) beschränkt, aber nimmt auf (0, 1) weder Supremum noch Infimum an. 5.20 Korollar. Sei I ⊂ R ein abgeschlossenes beschränktes Intervall und f : I → R. Dann ist f (I) ein abgeschlossenes, beschränktes Intervall. 5.4 Umkehrfunktionen, Stetigkeit und allgemeine Potenzen In diesem Abschnitt soll gezeigt werden, dass die Inverse streng monoton stetiger Funktionen wieder stetig ist. Ist f : A → B bijektiv, so gibt es für jedes b ∈ B genau ein a ∈ A mit f (a) = b. Wir schreiben a = f −1 (b) und f −1 : B → A heißt Umkehrabbildung oder Inverse von f . In R erhält man Injektivität (stetiger) Funktionen durch Monotonie: steigend 5.21 Definition. Für D ⊂ R, f : D → R gilt: f heißt monoton genau fallend dann, wenn f (x̃) ≥ f (x) :⇔ ∀ x, x̃ ∈ D, x̃ > x : f (x̃) ≤ f (x) gilt. Eine Funktion heißt streng monoton fallend bzw. steigend, wenn sie monoton > fallend bzw. steigend ist und injektiv ist (d.h. ∀ x, x̃ ∈ D, x̃ > x : f (x̃) < f (x)). f ist monoton, genau dann wenn f monoton steigend oder monoton fallend ist. f ist streng monoton, genau dann wenn f streng monoton fallend oder steigend ist. 5.4. UMKEHRFUNKTIONEN, STETIGKEIT UND ALLGEMEINE POTENZEN 87 5.22 Satz. Sei I ⊂ R ein Intervall, f : I → R stetig und streng monoton. Dann ist f injektiv, f (I) =: J ⊂ R ist ein Intervall, und f −1 : J → R ist streng monoton und stetig. Beweis. (1) ohne Einschränkung: f ist streng monoton steigend. f ist injektiv, da streng monoton; f (I) = J ist nach dem Zwischenwertsatz (5.5) zusammenhängend und also ein Intervall: f : I → J ist also bijektiv. Wir zeigen nun: f −1 : J → I ist streng monoton steigend: Für y < ỹ werde f −1 (y) ≥ f −1 (ỹ) angenommen. Durch Anwendung von f erhält man: y = f (f −1 (y)) ≥ f (f −1 (ỹ)) = ỹ (2) Bleibt zu zeigen: f −1 ist stetig. Wähle dazu y0 ∈ J, ε > 0. Gesucht wird ein δ > 0 mit |f −1 (y) − f −1 (y0 )| < ε falls |y − y0 | < δ • x0 liegt nicht im Rand von I, d.h. ∃ ε̃ > 0 mit [x0 − ε̃, x0 + ε̃] ⊂ I. Ohne Einschränkung: ε̃ < ε. Setze y1 = f (x0 −ε̃), y2 = f (x0 +ε̃) ⇒ (f streng monoton) y1 < y0 < y2 . Damit gibt es δ > 0 mit y1 < y0 − δ < y0 + δ < y1 . Dieses δ tut’s! f −1 ((y0 − δ, y0 + δ)) ⊂ f −1 ((y1 , y2 )) = (x0 − ε̃, x0 + ε̃) ⊂ (x0 − ε, x0 + ε) • x0 ist linker Randpunkt: (x0 , x0 + ε̃) . . . weiter wie vorher • x0 ist rechter Randpunkt: wie 2. 5.23 Definition (Folgerung). Die Exponentialfunktion exp: R → R ist streng monoton steigend und stetig mit Wertebereich exp(R) = (0, ∞). Die Umkehrfunktion exp−1 =: ln : (0, ∞) → R ist streng monoton steigend und stetig. Sie erfüllt die Funktionalgleichung ln(x · y) = ln x + ln y Beweis. Strenge Monotonie, Stetigkeit und exp(R) ⊂ (0, ∞) wurden schon gezeigt. Für x → ∞ geht exp(x) → ∞. Für x → −∞ ist 1 inf(exp(R)) = 0 exp(x) = →0 ⇒ sup(exp(R)) = ∞. exp(−x) Nach dem Zwischenwertsatz (5.5) ist dann exp(R) = (0, ∞). 5.24 Definition. Sei k ∈ N, f : [0, ∞) → R, f (x) = xk ist streng monoton. Die stetige √ Umkehrfunktion ist die k-te Wurzel, f −1 (y) = k y. 5.25 Definition (Allgemeine Potenzen). Sei a > 0, x ∈ R ax := expa (x) := exp(x · ln a) 88 KAPITEL 5. STETIGE REELLE FUNKTIONEN Rechenregeln dazu: Für a,b > 0, x, y ∈ R: (1) ln(ax ) = x · ln a (2) (ax )y = ax·y (3) ax · bx = (a · b)x Begründung. (ax )y = exp(x · ln a)y = exp(ln b · y) = exp(y · x · ln a) = exp((x · | {z } y) · ln a) := ax·y (4) 1 ax b = a−x Wichtige Grenzwerte: (1) xk · exp(−x) → 0 für x → ∞ (2) xk ln x → ∞ für x → ∞, k > 0 Begründung. xk exp(k · ln x) exp(k · ln x) = =k· →∞ ln x ln x k · ln x denn für x → ∞ strebt k · ln x → ∞ (3) Für alle a > 0 : xa = exp(a · ln x) → ∞ für x → ∞