Im Angesicht der Revolution. Reaktionen auf die französische

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Im Angesicht der Revolution. Reaktionen auf die französische Expansion 1792-1815. Trient: Cecilia Nubola, Trient; Andreas Würgler, Bern; Fondazione Bruno Kessler (FBK-Isig);, 24.01.2008-25.01.2008.
Reviewed by Andreas Würgler
Published on H-Soz-u-Kult (March, 2008)
Im Angesicht der Revolution. Reaktionen auf die französische Expansion 1792-1815
Das Italienisch-deutsche historische Institut, Fondazione Bruno Kessler (FBK-Isig), bot vom 24. bis 25. Januar 2008 den Rahmen für die Tagung Im Angesicht der
”
Revolution. Reaktionen auf die Französische Expansion
1792-1815 / Far fronte alla rivoluzione. Reazioni e risposte all’espansione francese in Europa 1792-1815“, zu der
Wissenschaftler aus Italien, Österreich, der Schweiz und
Deutschland nach Trient gereist waren. Eingeladen hatte
das am Institut angesiedelte Projekt Formen der politi”
schen Kommunikation. Petitionen im frühneuzeitlichen
Europa (1400-1800), geleitet von Cecilia Nubola (Trient)
und Andreas Würgler (Bern), das die Beziehungen zwischen den vormodernen Trägern politischer Macht und
der Gesellschaft, und die Mittel und Veränderungen der
Kommunikation zwischen diesen beiden Polen“ unter”
sucht. Der Tradition des Italienisch-deutschen historischen Instituts folgend, wurden die Vorträge auch an dieser Tagung sowohl in deutscher (3), als auch in italienischer (5) Sprache gehalten und diskutiert. Die Beiträge
widmeten sich diesmal der Epoche der französischen Expansion (1792-1815), die gerade auch in Italien eine kurze,
aber durch zahlreiche und tiefgreifende Veränderungen
geprägte Zeit darstellt.
meinden, Landständen, Korporationen oder einzelnen Individuen verfasst, und an weltliche wie geistliche Fürsten
oder städtische Magistrate gerichtet wurden. Im Verlauf
der Frühen Neuzeit konnte sich die Praxis des Schreibens
an die Obrigkeiten ändern, und damit auch die Modalitäten, mit denen ein Konsens für eine Petition organisiert wurde, oder in denen sich die öffentliche Meinung“
”
Ausdruck verschaffte. In solchen Umbruchphasen zeigt
sich nicht selten eine Verschränkung von alten und neuen Formen und Inhalten. So finden sich – mit Blick auf
die Phase der französischen Expansion – einerseits tra”
ditionelle Suppliken“. Klagen über die fiskalische, durch
die Besatzungssituation oft enorm gesteigerte Belastung
der Bevölkerung wären zu nennen, und damit einhergehend die althergebrachten rhetorischen Floskeln und die
Bittschrift legitimierenden Normen und Werte. Andererseits offenbaren sich in diesem Rahmen auch neue Elemente wie die Berufung auf die Parolen der Revolution,
neue Formeln der Anrede und der Selbstbezeichnung als
Bürger“ (cittadino), sowie eine verstärkte Bürokratisie”
rung des Bittschriftenwesens.
In der anschließenden thematischen Einleitung in
das Tagungsthema erinnerte Andreas Würgler (UniEinführend skizzierte CECILIA NUBOLA (FBK-Isig, versität Bern) daran, dass die Französische RevolutiTrient) die theoretische und sachliche Ausrichtung des on für die meisten Zeitgenossen zunächst ein Mega”
Trienter Forschungsprojektes. Der Schwerpunkt der Un- Medienereignis“ darstellte, und erst dann in Form der
tersuchungen liegt, so Nubola, auf einer Quellengruppe, Revolutions- und napoleonischen Kriege seit 1792 kondie je nach Raum und Zeit unterschiedliche Namen trug, kret erfahren wurde. Der Charakter der Französischen
aber allgemein als Suppliken und Petitionen bezeichnet Expansion als Übergangsperiode“ von der Vormoderne
”
werden kann. Es handelt sich dabei um Bittschriften und zur Moderne zeigt sich auch daran, dass sie außerhalb
Beschwerden, die von städtischen und ländlichen Ge- Frankreichs oft ins Niemandsland zwischen Frühneuzeit-
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forschung und Neuere Geschichte fällt. Nicht zuletzt die
vielen 200jährigen Jubiläen, die seit 1989 anfielen, machten die Forschungslage unübersichtlich. Immerhin stechen unter den aktuellen Trends der Forschung in deutscher und englischer Sprache drei Phänomene hervor.
Erstens ist die starke Präsenz der neueren, sozial- und
geschlechtergeschichtlich orientierten Militärgeschichte
zu nennen. Zweitens fällt die Beliebtheit erfahrungs- und
wahrnehmungsgeschichtlicher Zugänge zu den europaweit von den Ereignissen Betroffenen auf. Schließlich
dominieren gerade in neueren Arbeiten Ansätze zu einer Revidierung des Mythos´ vom nationalen Befreiungskrieg. Damit zusammenhängend richtet die historische
Forschung auch wieder verstärkt ihr Augenmerk auf die
lokalen Umgangsweisen mit der französischen Expansion, die von begeisterter Kooperation mit der Revolution
bis zu erbittertem Widerstand gegen die vielerorts erfolgte französische Besetzung reichen konnte. Für solche Fragen nach Trägern, Motiven und Medien der Reaktionen
bietet sich die Untersuchung von Suppliken und Petitionen besonders an.
ten Umwälzungen brachte dann Napoleons (indirekte)
Herrschaft von 1802 bis 1813. Die Einführung der cisalpinischen Republik bewertete Criscuolo als bloßen Paravent, der die französische Okkupation kaschieren sollte.
Nichtsdestotrotz beschleunigten sich in der Zeit der Republik einige Entwicklungen, deren Fundamente schon
im 18. Jahrhundert angelegt waren. Die Entstehung des
modernen Journalismus, die konfliktreiche Ausdifferenzierung von Kultur und Religion und die stärkere Trennung von Volk“ und Eliten“ sind dabei zu nennen. Letz”
”
tere zeigt sich unter anderem an den vereinzelten Widerstandsaktionen seitens eines kleinen Kreises demokratischer Republikaner, deren italienische Pamphlete und
Zeitungen von den meisten Mailändern und Mailänderinnen aufgrund der sprachlichen Differenzen zum lokal gesprochenen Dialekt allerdings ohne die Hilfe von
Übersetzern“ gar nicht gelesen und verstanden werden
”
konnten.
Ähnlich punktuell und auf kleine Kreise beschränkt
blieben auch die Aktionen der Patrioten“ in Rom, wie
”
MARINA FORMICA (Università degli Studi di Roma
Tor Vergata) darlegte. Zwar sind seit den 1760er-Jahren
antipäpstliche Strömungen zu verzeichnen, die in den
1790er-Jahren deutlich an Intensität zunahmen, aber sie
blieben insgesamt bescheiden. Eine kleine Anzahl von
Patrioten, Aufklärern und Freimaurern plante allerdings
mehrfach Attentate auf den Papst, die allesamt vereitelt
wurden. Dieser Kreis von Gebildeten, Gewerbetreibenden und Handwerkern wollte die Herrschaft des Papstes durch eine demokratische Verfassung nach antikem
Vorbild ersetzen. Die nicht seltene Denunzierung dieser
Gruppe als Jakobiner“ ist augenfällig. Sie setzte auf die
”
Okkupation Roms durch Frankreich – ausgelöst durch
den Mord am französischen Gesandten in Rom. Doch
die neuen Organe der römischen Republik wurden in
der Folge weder demokratisch“ gewählt, noch stammten
”
sie aus den Reihen der mit Frankreich sympathisierenden Patrioten“. Ihre Einsetzung durch die französischen
”
Besatzer folgte einem anderen Muster. Denn nach Rom
kamen nicht die französischen Revolutionäre von 1789
oder 1792, sondern die Truppen des Direktoriums. Die
römischen Jakobiner sahen sich erneut von politischen
Entscheidungsprozessen ausgeschlossen, und betrachteten es in der Folgezeit gewissermaßen als ihre Aufgabe,
die Behörden über Eingaben und Petitionen immer wieder an die Ideale einer republikanischen Verfassung zu
erinnern.
Anhand der Entwicklungen in Mailand machte LAURA GAGLIARDI (Università degli Studi di Milano) deutlich, wie schnell sich die anfängliche Hoffnung auf die
Franzosen in Enttäuschung verwandeln konnte. Ein Teil
der Mailänder Elite, die durch die josephinischen Reformen der 1780er Jahre weitgehend entmachtet worden
war, erhoffte sich von Frankreich und der Cisalpinischen
Republik die Rückkehr in zentrale politische Ämter, und
auch die Bevölkerung der lombardischen Metropole begrüßte die französischen Truppen 1796 mit einem Volksfest. Doch die Freude schlug schnell um, was vor allem
mit dem physischen Eindringen der Franzosen in öffentliche wie private Räume erklärt werden kann. Die Befreier wurden Besatzer, wenn sie in privaten Wohnungen einquartiert waren, die Stammkneipen der Stadtbewohner in Beschlag nahmen und dort auch noch die Zeche prellten. Auf vehemente Ablehnung stieß auch die
Entweihung von Kirchen und anderen heiligen Stätten,
wenn sie mit Revolutionsemblemen geziert oder profan
genutzt wurden. Gewalttätiger Widerstand der Bevölkerung blieb allerdings punktuell und isoliert. So offenbarten die Eliten ihren Protest vornehmlich in zum Teil gedruckten Pamphleten gegen die unliebsam gewordenen
Besatzer.
Die kurze Periode der cisalpinischen Republik markierte für Mailand allerdings nur eine von mehreren Phasen tiefgreifender Veränderungen. Schon das Jahr 1792
stellte, so fügte VITTORIO CRISCUOLO (Università degli Studi di Milano) an, eine Wende dar. Die nachhaltigs-
Am Beispiel der schwäbischen Reichsstadt Esslingen
am Neckar skizzierte ALEXANDER SCHLAAK (Institut
für Europäische Geschichte, Mainz) die Auswirkungen
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der französischen Ereignisse auf Unruhen in deutschen
Städten am Ende des 18. Jahrhunderts. Der Unmut der
Esslinger Bürgerschaft gegenüber dem oligarchisch regierenden Ratsgremium hatte sich schon vor dem Sturm
auf die Bastille punktuell entladen. Zwar war es dann
1789 zu einer Dynamisierung der Auseinandersetzungen
und zur Anrufung der Institutionen des Reichs gekommen, doch eine direkte Beeinflussung der aufständischen
Bürger durch das Gedankengut der Französischen Revolution ist nur vereinzelt – so z.B. im Verlauf der französischen Besetzung der Stadt im Jahre 1796 – nachweisbar. Im Zuge des Konfliktes dienten die Ideen der Revolution den Konfliktparteien lediglich in Ausnahmefällen als kommunikative Ressource“, um der eigenen Po”
sition Nachdruck zu verleihen. Für die städtische Bürgerschaft kann der Rekurs auf die Menschenrechte“ als
”
letzte Möglichkeit interpretiert werden, um den aus ihrer Sicht ungünstig verlaufenden Prozess vor den Reichsgerichten doch noch zu beeinflussen. Dem Rat wiederum diente der Verweis auf die Geschehnisse im nahen
Frankreich als willkommene Gelegenheit, um gegenüber
dem Kaiser die vermeintlich umstürzlerischen Absichten
der städtischen Bürger zu entlarven. Ein näherer Blick
in die Gravamina der Esslinger Bürgerschaft, und ein
Vergleich mit der Tradition innerstädtischer Unruhen in
der Vormoderne offenbart allerdings den eher traditionellen Charakter der Forderungen. Unter anderem die
beharrliche Einklagung des Schwörtags – und damit der
zentralen Form städtischer Vergesellschaftung unter Anwesenden – zeigt, dass nicht die Errichtung einer Re”
publik“ nach französischem Vorbild, sondern vielmehr
die erhoffte Rückkehr“ zum Ideal der genossenschaftlich
”
verfassten, mittelalterlichen Stadtgemeinde die Aktionen
der Bürgerschaft leitete.
wenden. Doch schon bald durften Suppliken nicht mehr
von Gruppen verfasst und übergeben werden, da solche Kollektivpetitionen Versammlungen im Vorfeld voraussetzten. Trotz solcher Bestrebungen zur Regulierung
des Petitionswesens war, wie schon im Ancien Régime,
die zeitliche Überlastung der Administration die Konsequenz. Auffällig sind jedoch Veränderungen innerhalb
der Suppliken bezüglich der benutzten Anrede und des
hervorstechenden Tonfalls. So adressierten die Supplikanten ihre Schreiben nun nicht mehr an die hoch”
geachteten, gnädigen Herren und Oberen“, sondern an
die Bürger“ in den neu aufgerichteten Institutionen.
”
Dies war freilich nicht einfach Ausdruck einer nun offen
artikulierten revolutionär-freiheitlichen Gesinnung. Die
Veränderung der Anredeformeln war vielmehr gesetzlich
vorgeschrieben worden. Signifikant ist darüber hinaus
die Beobachtung, dass vielfach nicht mehr allein auf Tradition und Herkommen abzielende Argumente die Formulierungen der Bittschreiben prägten. Vielmehr wurde
nunmehr auch mit den Menschenrechten argumentiert
und mit weiteren Petitionen und Unterschriftensammlungen gedroht. Zudem kam es zu einer breiten Beteiligung der Bevölkerung an den intensiven Diskussionen
über eine künftige, verbesserte Verfassung – ein Phänomen, das so vorher kaum augenfällig wird. Auch im Falle
der Bittschriften in der Eidgenossenschaft zeigt sich somit eine Verknüpfung von traditionellen und neuen Formen, wie sie Cecilia Nubola zu Anfang skizziert hat.
In Verbindung mit der Französischen Revolution
zeichnete sich das Piemont, so GIAN PAOLO ROMAGNANI (Università degli Studi di Verona), durch eine besondere staats- und verfassungsrechtliche Situation aus.
Es war Teil von Savoyen bzw. des Königreichs von Sardinien. Im Gegensatz zu anderen Regionen Italiens, in deDie Veränderungen der schriftlichen Bitt- und Be- nen der siegreiche Napoleon seit 1796 eine große Anzahl
schwerdepraxis in der Schweizer Eidgenossenschaft kurzlebiger Republiken errichtete, verblieb das Piemont
während der Phase der von französischen Besatzungs- vorerst unter der sardischen Monarchie und im Bündtruppen gestützten Helvetischen Republik“ erörterte nis mit der französischen Republik. Daher wurden die
”
ANDREAS WÜRGLER (Universität Bern). Er betonte zu- im Zuge der Ereignisse entstehenden piemontesischen
nächst, dass die Okkupation der Schweiz im Jahre 1798 Stadtrepubliken, etwa in Asti oder Alba, von Frankals ein tiefgreifender Einschnitt und als weitreichen- reich nicht unterstützt, sondern vielmehr vehement unde Umgestaltung begriffen werden muss, wenngleich es terdrückt. 1798 entstand aus dem Piemont zuerst die Pieschon vorher in einigen Regionen der Eidgenossenschaft montesische, dann 1799 – nach einem österreichischen
zu Unruhen gekommen war, in deren Rahmen auf Ideen Intermezzo – die Subalpinische Republik (1800), bevor es
der Revolution rekurriert wurde. Die Einrichtung neuer militärisch (1801) und schließlich auch politisch FrankBehörden bedingte Veränderungen hinsichtlich der Kom- reich inkorporiert wurde (1802). Die lokalen Reaktiomunikation zwischen Obrigkeiten und der städtischen nen waren – je nach aktueller Situation – sehr verschiewie ländlichen Bevölkerung. Zwar wurde der Bevölke- den. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die
rung weiterhin die Möglichkeit zugestanden, sich mit Bedeutung von gedruckten Liedtexten für die KonfliktBitten und Beschwerden an die neuen Institutionen zu austragung. Die politisch-ideologische Auseinanderset-
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zung zwischen pro- und antirevolutionär Gesinnten wurde mit solchen Liedern öffentlich geführt, wobei die Melodien und Texte nicht selten mit kleinen, aber signifikanten Änderungen wiederverwendet“ wurden – etwa mit
”
zwei abgewandelten Schlussversen. Die Lieder konnten
auf diese Weise je nach Machtkonstellation instrumentalisiert werden, unabhängig davon, ob Franzosen oder
Österreicher (und Russen) die jeweilige Stadt besetzt hielten.
der Ereignisse übergangen“ werden.
”
Im Zusammenhang mit dem bekannten Tiroler Aufstand von 1809 untersuchte MARTIN SCHENNACH (Tiroler Landesarchiv, Innsbruck) eine besondere Form von
schriftlichen Gravamina. Während sich die Forschung
bislang bei der Untersuchung des Aufstandes auf Verfassungsfragen, auf religions- und policeyrechtliche Belange, oder auf wirtschaftliche Rahmenbedingungen konzentriert hat, betonte Schennach dem gegenüber die
kommunikative und öffentliche Dimension der Unruhen. Er wies nach, dass die Aufstandsbestrebungen nicht
allein im Rahmen der Gemeindeversammlung, oder im
nicht-institutionalisierten Raum des Wirtshauses diskutiert wurden, sondern durch gedruckte – und nicht selten
anonym geschriebene – Gravamina geradezu den Charakter eines öffentlichen Diskurses annehmen konnten.
Der Adressat dieser von Sympathisanten des Aufstandes
verfassten Gravamina war dabei nicht die Obrigkeit, sondern das städtische Publikum. Die Inhalte der Gravamina dürfen daher allerdings nicht, so Schennach weiter,
als Reflexion der wirklichen Zustände“ gesehen werden.
”
Das Anprangern von vorhandenen oder vermeintlichen
Missständen durch die den Aufständischen freundlich
gesinnten, oder mitunter selbst involvierten Autoren der
Schriftstücke diente vielmehr der Legitimation der Rebellion. Die Gravamina stellen sich somit als propagandistisches Mittel im Zuge der Auseinandersetzungen dar,
deren Wirkung von Seiten Frankreichs und Bayerns zunächst unterschätzt wurde. Erst in der Spätzeit des Konfliktes bedienten sich die Franzosen und Bayern selbst der
Wirkung der Schriftstücke. Sie nutzten gewissermaßen
die Ventilfunktion“ der in den Schriftstücken artikulier”
ten Klagen und Forderungen, und sicherten schließlich
die Anhörung der Beschwerdepunkte zu.
Petitionen in zwei unterschiedlichen Kontexten, die
aber doch beide die Revolutionierung des Pays de Vaud
und der Eidgenossenschaft prägten, behandelte DANIÈLE TOSATO-RIGO (Université de Lausanne). Zum einen
akzentuierte sie eine von zwei führenden Reformpolitikern – dem Basler Ratsherr Peter Ochs und dem Waadtländer Frédéric César de Laharpe – initiierte, und an das
Direktorium in Paris gerichtete Bittschrift. Frankreich –
so baten die Petenten – möge helfen“, eine Nationalver”
sammlung in der Schweiz zu errichten. In Paris machte die Petition jedoch wenig Eindruck, da Talleyrand die
der Bittschrift angefügten 19 Unterschriften nicht für repräsentativ hielt. Die in Zeitungen verbreitete Ankündigung, Frankreich werde die Forderungen der Waadt nach
einer Nationalversammlung unterstützen, löste dagegen
im Januar 1798 eine beispiellose Welle von Petitionen
aus. Innerhalb von vierzehn Tagen verfasste ein Drittel
der circa 350 Gemeinden der Waadt im Rahmen ihrer
traditionellen Versammlungen eine Eingabe. Die Inhalte waren überwiegend traditionell, das heißt auf die Abstellung von Missständen und die Gewährung von Privilegien ausgerichtet. Allerdings verfassten auch einige
revolutionäre Clubs Petitionen, in denen sie die Gleichberechtigung der Waadtländer Untertanen mit den Bürgern der Hauptstadt Bern forderten. Die Radikalität dieser Eingaben zeigt sich auch darin, dass sie an den französischen Gesandten in der Schweiz adressiert waren,
während die Gemeinden ihre Petitionen wie üblich an
den Rat in Bern schickten. Die Petitionsbewegung wurde jedoch unterbrochen von einem blutigen Zwischenfall, der die Invasion der französischen Truppen auslöste. Damit kam ein Prozess zum Stillstand, der nicht nur
auf traditionellen Forderungen und Formulierungen abhob, sondern auch neuartige Konzepte wie die Idee einer über die eigene Gemeinde hinausgehenden Zusammengehörigkeit des Pays“, oder Werte wie das bon”
”
heur pour tous“ beinhaltete. Petitionen sind, so TosatoRigo abschließend, nicht nur Indikatoren der Transgression. Sie bergen ein großes Archiv von Alternativen, die
in der jeweils aktuellen Situation als denkbar und/oder
wünschbar erscheinen, aber zumeist durch die Dynamik
Die Vorträge und Diskussionen im Rahmen der Tagung offenbarten die mitunter stark differierenden Reaktionen auf die Französische Revolution und die damit einhergehende militärische Expansion Frankreichs in unterschiedlichen regionalen Kontexten. Diese reichten vom
offenen oder verdeckten Widerstand, über anfängliche
Hoffnungen in eine französische Besatzung und nicht selten schnell folgender Ernüchterung, bis zum partiellen
oder flächendeckenden Aufgreifen der Parolen der Revolution im Rahmen von längst schwelenden oder neu
entstehenden Konflikten. Von einer alle Bevölkerungsschichten vereinnahmenden Wirkung des Gedankenguts
der Französischen Revolution kann allerdings kaum gesprochen werden, was den Mythos vom Befreiungskrieg
abermals auf eindrückliche Weise zu widerlegen scheint.
Zudem zeigte sich der Quellenwert der Suppliken und
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Petitionen in doppelter Hinsicht. Zum einen reflektieren
die zu beobachtenden Modifikationen hinsichtlich der
Form und des Inhalts der Schriftstücke die teilweise weitreichenden institutionellen Veränderungen im Zuge der
französischen Expansion. Auf der anderen Seite sind es
gerade die Bitt- und Beschwerdeschriften, deren Inhalte die konkreten Folgen und die Wirkungen solcher Veränderungen für weite Teile der jeweiligen Bevölkerung
aufzeigen. Die Erforschung solcher Eingaben stellt sich
daher für die neue Politikgeschichte, die Mentalitätsgeschichte, aber auch für die Mediengeschichte weiterhin
als zwingende Notwendigkeit dar. Eine Veröffentlichung
der Beiträge ist geplant.
cietà milanese nell’età rivoluzionaria: resistenze e mutamenti (Die Mailänder Gesellschaft während der Revolution: Widerstände und Veränderungen)
Marina Formica (Roma): Suppliche, proclami, reclami: i patrioti romani negli anni della Rivoluzione (Bittschriften, Aufrufe, Beschwerden: Die römischen Patrioten während der Revolution)
Alexander Schlaak (Mainz): Zwischen Konservatis”
mus“ und Revolution“. Die Rhetorik der Esslinger Bür”
gerschaft während der Bürgerprozesse am Ende des 18.
Jahrhunderts
Andreas Würgler (Bern): Bürger Gesetzgeber¡‘ Der
”
neue Ton der Bittschriften in der Helvetischen Republik
1798-1803
Konferenzübersicht:
Gian Paolo Romagnani (Verona): E’ morta la Re”
Im Angesicht der Revolution. Reaktionen auf die pubblica e l’uguaglianza è gita …“. Voci dal Piemonte in
französische Expansion 1792-1815 / Far fronte alla rivolu- rivoluzione (”Die Republik ist tot und die Gleichheit ist
zione. Reazioni e risposte all’espansione francese in Eu- weg …“. Stimmen aus dem revolutionären Piemont)
Danièle Tosato-Rigo (Lausanne): I democratici svizropa 1792-1815
zeri e la Grande Nation“: un rapporto problematico (Die
”
Gian Enrico Rusconi (Direttore FBK – Studi storici Schweizer
Demokraten und die Grande Nation“: eine
”
italo-germanici, Trient): Begrüßung
schwierige Beziehung)
Cecilia Nubola (FBK – Studi storici italo-germanici,
Martin Schennach (Innsbruck): Beschwerden als LeTrient) / Andreas Würgler (Bern): Einleitung
gitimationen. Gravamina als Rechtfertigungen des TiroVittorio Criscuolo - Laura Gagliardi (Milano): La so- ler Aufstands von 1809
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http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/
Citation: Andreas Würgler. Review of , Im Angesicht der Revolution. Reaktionen auf die französische Expansion 17921815. H-Soz-u-Kult, H-Net Reviews. March, 2008.
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