Didaktik der Physik Frühjahrstagung Berlin 1997 Der Stoff, aus dem die Felder sind ... E. Starauschek Abteilung für Didaktik der Physik, Universität, 76128 Karlsruhe 1. Einleitung Es wird über die Darstellung des elektrostatischen Feldes im Karlsruher Physikkurs berichtet [1]. Anhand von zwei exemplarischen Passagen aus Schülerinterviews wird gezeigt, dass unsere Beschreibung des elektrostatischen Feldes zu ihrer begrifflichen Abrundung die Einführung einer neuen Bezeichnung nahe legt, ja erzwingt. 2. Das Elektrische Feld Elektrisch geladene Körper sind von einem elektrischen Feld umgeben. Im Karlsruher Physikkurs stellen wir uns das Feld als ein unsichtbares stoffliches Etwas vor, das einen elektrisch geladenen Körper umgibt. Kurz sprechen wir von dem Feld als einer Art „Zeug“. Graphisch lässt sich das Feld dann qualitativ mit Hilfe von Punkten darstellen (s. Abb.1). Die Dichte der Punkte gibt an, ob viel oder wenig Feld in einem Raumgebiet ist. Welche Eigenschaften lassen sich dem „Zeug“ zuordnen? Es ist, wie schon gesagt, unsichtbar und kann an unterschiedlichen Stellen verschieden dicht sein. Die Dichte ist in der Nähe des geladenen Körpers groß und nimmt nach außen hin ab. Eine genaue Grenze, an der das elektrostatische Feld aufhört, lässt sich nicht angeben. Das „Zeug“ steht - gesehen von der Oberfläche des Körpers - in radialer Richtung an jeder Stelle unter mechanischer Zugspannung - senkrecht dazu ebenfalls an jeder Stelle unter mechanischer Druckspannung [2]. Dies ist eine lokale Beschreibung des elektrostatischen Feldes, die den eigenständigen Charakter des Feldes als physikalisches System betont [3]. Abb. 1: Qualitative Darstellung des Coulombfeldes Fragt man weiter, wie viel Feld in einem Raumbereich vorhanden ist, d.h. sucht man ein Mengenmaß für das elektrostatische Feld, so bietet sich dafür die Energiedichte an. Sie ist ein Maß für die Menge des Feldes in einem Raumbereich und spiegelt damit den stofflichen Charakter des „Zeuges“ wieder. Die Energiedichte lässt sich graphisch mit Hilfe von Graustufen quantitativ darstellen. 3. Schülerinterviews Der Karlsruher Physikkurs wird, nachdem die Neudarstellung der Physik für die Sekundarstufe I abgeschlossen ist und als Unterrichtswerk vorliegt, zur Zeit für die Oberstufe entwickelt. In einem Grundkurs und vier Leistungskursen in Klasse 12 wurde am Europa-Gymnasium in Wörth/Rheinland-Pfalz die neu gestaltete Unterrichtseinheit Elektrodynamik von Mitarbeitern des Institutes und Lehrern des Gymnasium erprobt. Bei der Entwicklung des Kurses für die Oberstufe wird die Schülerperspektive methodisch mitberücksichtigt. Wir möchten vor dem Hintergrund der Unterrichtserfahrungen Daten über den Kurs aus Sicht der Schülerinnen und Schüler erhalten. Dazu werden nach einer Lerneinheit bei Bedarf in einer Stichprobe offene Interviews von zehn bis fünfzehn Minuten Dauer unter bestimmten Aspekten durchgeführt [4]. Bei der Elektrodynamik wollten wir insbesondere wissen, ob die Schülerinnen und Schüler sich nach der Unterrichtseinheit das elektrostatische Feld als „Zeug“ vorstellen. Die Interviews wurden im Grundkurs mit 16 Schülerinnen und Schülern durchgeführt. 3.1 Zu den Interviews Da es uns um die Mitarbeit der Schüler geht, erklären wir ihnen vor der Durchführung der Interviews unsere Absicht, sie zu einem physikalischen Problem zu befragen, um ihre Vorstellungen kennen zu lernen, und illustrieren dies mit einem Beispiel. Wir betonen, dass es nicht um falsche oder richtige Antworten geht und sichern den Schülerinnen und Schülern Anonymität gegenüber dem Unterrichtenden zu. Wir sagen ihnen, dass die Interviews mit einem Tonbandgerät zur Auswertung aufgezeichnet werden. Sie können dann bis zur nächsten Stunde entscheiden, ob sie sich zum Interview zur Verfügung stellen wollen. Von 16 Schülerinnen und Schülern taten dies 14. Es werden drei Gruppen gebildet: Schlechte, gute und mittlere Schüler. Dies geschieht mit Hilfe der Ergebnisse der schulischen schriftlichen Arbeiten und der Einschätzung der mündlichen Leistungen durch den Unterrichtenden. Am Tag des Interviews wird aus jeder der drei Gruppen jeweils ein Proband per Los bestimmt. Die Interviews sind halbstandardisiert und niedrig strukturiert. Als Gerüst haben wir folgenden Interviewleitfaden mit einer Schlüsselfrage gewählt. Zum Einstieg wird dem Probanden die Skizze eines Versuches aus dem Unterricht vorgelegt (s. Abb. 2). Der Versuchsaufbau und die Versuchsdurchführung werden im Gespräch erläutert: Du siehst einen Plattenkondensator. Die obere Platte ist befestigt. Die andere Platte liegt auf einer Waage. Die Platten sind mit den Anschlüssen einer Spannungsquelle verbunden. Jetzt wird eine Spannung angelegt. Was passiert? Wie erklärst Du Dir das? Abb. 2: Skizze des Versuches, anhand der die Interviews durchgeführt wurden (Erklärung im Text) Die Probanden sollen dann die Beobachtung beschreiben und sie erklären. Der Interviewer hinterfragt die Vorstellungen in der Regel mit Was- und Wie-Fragen: Was meinst Du damit? Wie stellst Du Dir das vor? etc. Das Gespräch soll auf das elektrische Feld führen oder wird darauf hin geführt. An dieser Stelle wird die Schlüsselfrage gestellt: „Wie stellst Du Dir das Feld vor?“ 3.2 Interviewergebnisse Welche Antworten haben wir erwartet? Wie schon gesagt, wollten wir insbesondere wissen, ob sich die Schüler das elektrostatische Feld als ein unsichtbares „Zeug“ vorstellen und auf unsere Schlüsselfrage auch dementsprechend antworten und es als solches benennen. Was haben wir gefunden? Auf die Schlüsselfrage „Wie stellst Du Dir das Feld vor?“ folgte dreimal eine lange Pause. Alle drei Probanden hatten den Impuls, das Feld zeichnerisch darzustellen. Zweimal werden Linienbilder und einmal Federn gemalt. Dreimal wird nachgefragt, ob das Feld aus Linien bzw. aus Federn bestehe. Ein Proband sagt daraufhin, das Feld sei leerer Raum. Die beiden anderen Antworten geben wir ausführlich wieder [5]. Aus dem ersten Interview: I: Ein elektrisches Feld besteht also aus Linien und Flächen? P: (lange Pause) Nein. Ich würde es mir als Ganzes vorstellen. Aber ich denke, man zeichnet das so ein, damit es bildlich wird. Man sagt ja auch nicht Drucklinien, sondern Druckflächen und das ist ja schon etwas Kompaktes. Ich stelle mir das Feld dann auch als etwas Kompaktes vor. Ich meine, das ist ja nichts, was in der Mitte unterbrochen wird. I: Und das ist genau die Frage, Für das, was da so schwer auszudrücken ist, stellst Du Dir dafür auch etwas vor? P: Für das Feld? (Interviewer stimmt zu. Pause) Ähm. (Kleiner Lacher des Probanden.) Also,... ja ich denke, das ist, wie wenn man eine Kugel hat und so Strahlen. Also so ... nicht dass das hell ist, sondern irgendwie dass überhaupt was außen rum ist. Wenn ich jetzt zum Beispiel eine Glühbirne habe, die strahlt ja auch bis zu einem gewissen ... Punkt ... kann sie noch hell machen und irgendwann geht es ja ins Schwarze über. So stelle ich mir das Feld halt vor. Dass es ... in der Mitte, sag ich jetzt mal, ganz stark ist und nach außen einfach schwächer wird. Und dann ist es nicht mehr messbar. Aus dem zweiten Interview: I: Wie stellst Du Dir das Feld vor? P: (lange Pause) Es ist zum Beispiel vielleicht ähnlich wie mit der Atmosphäre. Wir haben die Stratosphäre und so und dann kommt ... und die Abstände der Atmosphärenbestandteile werden halt immer größer nach außen hin ... in den Weltraum. Und genau so ist es auch mit diesem Feld. So irgendwie ist das zu erklären. Dass die Erdkugel jetzt zum Beispiel im Mittelpunkt ist von dem Ganzen und außen rum die ganzen Atmosphären, die werden halt immer größer. Wie können wir diese Erklärungen interpretieren? 3.3 Folgerungen aus den Interviews Keiner der Probanden konnte eine spontane Antwort geben. Der Frage folgten jeweils lange Pausen in einer Phase des Interviews, in der eine entspannte Atmosphäre hergestellt worden war. Jeder Proband war sich darüber im Klaren, dass die graphische Darstellung nicht das Feld ist. Die verwendeten Analogien von Atmosphäre und Glühbirne umschreiben die stoffliche Vorstellung des Feldes. Die Schwierigkeiten der Schüler, das Stoffliche des Feldes sprachlich mit einem Wort zu benennen, lassen den Verdacht zu, dass sie das Wort hierfür nicht kennen. Der Stoff, aus dem die Felder sind, schien keinen eigenen Namen zu haben. Die eigenen Skripten wurden geprüft und unser Verdacht bestätigte sich. Obwohl wir uns das elektrostatische Feld als unsichtbares „Zeug“ vorstellen und so darüber reden - dies sei beispielhaft mit einem Zitat aus dem Skriptum belegt [6]: „Die Wirkung des elektrischen Feldes, das an einem Körper hängt, wird nach außen hin (...) schwächer. Das liegt daran, dass das Feld in der Nähe des Körpers dichter ist dass seine Dichte nach außen hin abnimmt.“ haben wir einen sprachlichen Ausdruck dafür gemieden. Dies ist so, als ob man über Eigenschaften eines Sees spricht und dabei nicht das Wort ‚Wasser’ verwendet. Man muss dann beispielsweise formulieren: • Die Oberfläche des Sees ist gestiegen oder gefallen. • Der See hat in der Tiefe die Temperatur T. Will man auch umschreiben, dass Wasser an einer Stelle - sei es ein Bach oder über ein Rohr - in den See fließt, so wird die Formulierung künstlich: • An Seen kann es Zuflüsse geben. Einen Zufluss erkennt man daran, dass Körper, die an diesen Stellen an der Oberfläche schwimmen, von diesen Stellen weggetrieben werden. Die Strömungen wirken auch unterhalb der Oberfläche des Sees. Es ist sprachlich zwar nicht notwendig, aber sinnvoll, das Wort ‚Wasser’ zu verwenden. Ebenso ist es sinnvoll, dem unsichtbaren „Zeug“ einen Namen zu geben. Wir standen damit vor der Schwierigkeit, für den Stoff, aus dem die Felder sind, einen Namen zu finden. Der Name ‚Elektrisches Feld’ sollte weiterhin die Klasse der physikalischen Systeme charakterisieren, so wie das Wort ‚See’ die Klasse aller Seen bezeichnet. Für Wasser, der Stoff aus dem Seen im wesentlichen bestehen, ist der stoffliche Charakter evident - Wasser ist der ‚Seestoff’. Die Bezeichnung für den Stoff, aus dem die Felder sind, soll dagegen die Stofflichkeit des elektrostatischen Feldes widerspiegeln. Wir sprechen uns daher gegen ein Kunstwort wie Feldonium oder gar Photonium aus und schlagen schlicht den Namen ‚Feldstoff des elektrischen Feldes’ oder kurz ‚Feldstoff’ vor. 4. Feldstoff - eine physikalische Vorstellung? Ist die Interpretation des elektrostatischen Feldes als das eines unsichtbaren Stoffes nur eine geschickte Veranschaulichung, die in der Schule verwendet werden kann, oder mehr? Zwar kann man sich mit Fug und Recht anschaulich vorstellen, dass das Feld Etwas ist und nicht einfach nur leerer Raum, doch widerspricht dies der schulphysikalischen Lehrmeinung [7]: „Ein elektrisches Feld ist ein Raum, in dem auf elektrisch geladene Körper Kräfte ausgeübt werden.“ Wir behaupten, dass die Vorstellung von Feldstoff eine physikalisch sinnvolle Vorstellung ist. Dem Feldstoff werden lokal eine Energiedichte und damit auch ein Maß für seine Menge zugeordnet. Stellen, an denen das Feld und damit Feldstoff vorhanden ist, lassen sich lokal mechanische Spannungen zuordnen. Darüber hinaus haben alle physikalischen Größen, mit denen ein Körper beschrieben wird, auch beim elektrischen Feld einen Wert. Dies berechtigt uns, vom elektrischen Feld auch aus physikalischer Sicht als von einem Gegenstand zu sprechen, der aus einem Stoff besteht. 5. Zusammenfassung Die stoffliche Vorstellung des elektrostatischen Feldes ist nicht nur eine begrifflich hilfreiche, sondern auch eine physikalisch sinnvolle Vorstellung. Das elektrische Feld kann als Gegenstand betrachtet werden, der aus einem unsichtbaren Stoff besteht. Als Namen für den unsichtbaren Stoff schlagen wir das Wort ‚Feldstoff’ vor. 6. Bemerkungen und Literaturangaben [1] Herrmann, F., Der Karlsruher Physikkurs - Ein Lehrbuch für die Sekundarstufe I, Universität Karlsruhe (1995) [2] Siehe in diesem Tagungsband: Hauptmann, H. & Herrmann, F., Die Kraftgesetze der Elektrodynamik [3] Herrmann, F., Felder als physikalische Systeme, MNU 43/2, 3 (1990) S. 114ff [4] In der empirischen Sozialforschung heißt die Gruppe der offenen Interviews auch Intensiv- oder Tiefeninterview. In der Literatur finden sich weitere Bezeichnungen. Wird nach Elementen der Person oder der Persönlichkeit gefragt, so spricht man vom klinischen Interview. Vgl. Friedrichs, J.; Methoden empirischer Sozialforschung-, Opladen (1980) S.224 [5] Die Zitate sind aus der gesprochenen Sprache dem schriftlichen Ausdruck angeglichen worden, da die genaue Transkription für die Schlussfolgerung die gezogen wird, nicht relevant ist. Die vollständigen Transkriptionen können über den Verfasser bezogen werden. [6] Herrmann, F., Der Karlsruher Physikkurs - Ein Lehrbuch für die Sekundarstufe II, Arbeitsentwurf Universität Karlsruhe (1996) S.14 [7] Grehn, J. (Hg.), Metzler Physik, Hannover (1992) S. 180