Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1. Kapitel: Einleitung. Musik und Tanz im Schnittpunkt der Diskurse . . . 15 Die Ausklammerung des Tanzes aus dem musikgeschichtlichen Diskurs 25 Neue Gesten 28 Tanz und Ballett nach ’45 in Deutschland: Plurifunktionalität als Paradigma. 30 Komponisten für das Ballett 31 Klanggesten 37 Zu Zimmermanns »imaginärem Ballett« 38 Ästhetik des Fragments 41 Methodik der Untersuchung 44 Intermedialität 44 KörperHören 45 Korporale Kontur der Musik 46 Methodik zwischen Geschichte, Ästhetik (Phänomenologie) und Kulturwissenschaft 50 Kapitel-Übersicht 53 2. Kapitel: Zeichen und Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Musik als Körperzeichen 64 Bewegung in der Musik als Zeichen: Kadens und Karbusickys Lektüre der absoluten Musik 68 Korporale Lektüre in der Musik 70 Körners Körper 71 Musikalische Struktur als imaginäres Theater 75 Geburt der Gebärde 77 Schwerkraft und Utopie 78 Anwesenheit des Abwesenden 79 Betonung statt Bedeutung 86 Energeia statt Ergon 88 Musik und Tanz 91 Zum Begriff des Kontrapunkts in Musik und Tanz 95 Kontrapunkt und Tanz – Gegenmodell zur Synchronisation. 98 Struktureller Kontrapunkt: Apollo von George Balanchine 101 Expressiver Kontrapunkt 103 Absoluter Kontrapunkt 104 Engagierter Kontrapunkt 106 Intermedialer Kontrapunkt 107 Intermedialität am Beispiel der Four Temperaments – Nomadische Durchquerungen der Partitur 110 3. Kapitel: Zimmermanns Ballette der 50er Jahre . . . . . . . . . . . . . . 137 Ballett in Deutschland nach 1945 – Zwischen absoluter Musik und Ballettmusik 137 Die Thematik des Traums nach Nietzsche und Freud 144 Synästhesie 152 »Traumarbeit«. Von Das Grün und 6 Inhalt das Gelb zu den Kontrasten 156 Kontraste 161 Farben und Ballett 162 Die Funktion des Kontrapunkts 164 »Imaginäres Ballett« 165 Imaginäres Ballett 167 Traumarbeit II 169 Autonomie und Funktion 170 Kontrast als transmediale Struktur. 172 Reihengestalt und formale Konstruktion: Kontrast – Form – Instrumentation. 173 Der Körper in der Musik 180 Der virtuelle Körper des imaginären Balletts 186 Szenische Uraufführungen 189 Rezeption 189 Alagoana . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 Entstehungsgeschichte 198 Libretto als Konzept 199 Funktion der musikalischen Themen 219 Poetik des Hybriden 223 Mythos und Form 223 Musikalischer Körperentwurf 229 Die Funktion der Klangfarbe 230 Montage und Form 233 »Capriccio« 233 Dramaturgie 234 ›Metamorphosen‹ 240 Schluss. Eine neue Definition von Zimmermanns mittlerer Position im Ballett 241 Aufführungsgeschichte 244 Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 Bezüge zum Triadischen Ballett 252 Zimmermanns Kommentar 254 Malerei und Bewegung 256 Körper und Räumlichkeit in Musik und Tanz 257 Introduktion. Korporale Perspektive 262 Großform. Korporale Kommunikation zwischen Musik und Tanz 268 Vergleich zu Agon 272 Kontrapunkt 277 Neues Schweben 280 Abschließende Anmerkungen zum imaginären Ballett 283 Inszenierung der Perspektiven 285 Entstehungsgeschichte 288 Körper zwischen Licht und Klang 298 Zimmermanns Körperkontur als manieristische Figur 310 4. Kapitel: Zimmermanns Ballette der 60er Jahre . . . . . . . . . . . . . . 325 Das neue Jahrzehnt 325 Présence . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 Die Entdeckung des Körpers in der Musik um 1960 331 Aufführungsgeschichte und Wirkung 334 Werkentwicklung und Tanzbezüge 335 Die Partitur 336 Die Figuren 338 Zitate und Semantik 339 Die Interpretation der Joyceschen Poetik 341 Der Aufbau von Présence als Ballett 343 Transformation der Dreizahl 348 Transformation des Zeitbildes 350 Komposition: Gesten und Formen 359 Vortragsanweisungen 366 Gegenwart und kulturelles Gedächtnis 368 Ballett um 1965 374 Stellung Inhalt 7 des Concerto im Ballettschaffen Zimmermanns 378 Die Bedeutung des Don Quichotte 384 Entstehungsgeschichte und Tanzbezüge 388 Komposition 394 Orchester und Tanz 394 Formmodelle 399 Verhältnis zum Jazz 400 Bewegungsgesten 406 Körperkontur zwischen Begehren und Verschwinden 408 Die Inszenierung von Ivan Sertic in Wuppertal und die Kritik 410 Zimmermanns Pläne 412 Postmoderne 414 Titel des Werkes 415 Der multiple Widerspruch zu seinen früheren Werken 418 Entstehungsgeschichte des Balletts 421 Vorlage und Libretto 424 Zitattechnik intermedial: Bildende Kunst 427 Anlehnungen an Ballettmusik / Bezüge zu Strawinsky 430 Zitatkomposition 431 Symbolfunktion der Zitate 433 Narrenästhetik 436 Jarry und die Narrenthematik 438 Gattungsproblematik als Handlung des ballet noir 440 Selbstinszenierung 442 Körper 443 Rezeption: Ballettinszenierung und Kritiken 446 5. Kapitel: Die Choreographien John Crankos . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 Cranko und das Stuttgarter Ballett 451 Entstehungsgeschichte von »Die Befragung« 453 Die »Sonate für Violoncello solo« 455 Komposition und Choreographie 458 Architektur der Gefühlsräume – die Bedeutung des Corps de ballet als Chor 460 Rezeption 466 Crankos Choreographie zu Présence 467 Narrativität und Brechung 473 Mediale Transformationen 473 Charakterisierung der Personen und fiktionale Ebenen 475 Strategie der Inszenierung: Übersetzungen 476 Zimmermanns mittlere Position 486 6. Kapitel: Schluss und Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 Utopischer Körperentwurf der Instrumentalmusik 490 Reflexion des utopischen Körperentwurfs im Tanz: Kontrapunkt 492 Intermedialität, Kontrapunkt, Synchronizität 493 Musikalische Kulturreflexion 495 Metaballett 496 Geschichtlicher Diskurs des Metaballetts 497 Ästhetik des Fragments 497 Die »mittlere Position« – Zimmermanns Fragmentästhetik als Poetik des offenen Kunstwerks 500 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 Vorwort Schlägt man in Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters das Ballett Schwanensee nach, so entsteht ein Moment der Irritation. Nicht etwa unter Tschaikowsky ist der Artikel zu finden, sondern unter Wenzel Reisinger, dem Choreograph der Uraufführung. Die Irritation deutet auf eine Situation im Wandel hin: die Vorherrschaft der Musik gegenüber dem Ballett ist seit einigen Jahrzehnten gebrochen. Schlägt man in Reclams Ballettführer von 1986, herausgegeben von Hartmut Regitz, nach Crankos Ballett Présence nach, so erscheint hier ein bedeutender Eintrag. In der Ausgabe von 2006 ist dieser Eintrag von den Herausgebern Klaus Kieser und Katja Schneider gelöscht. Die Brüche, die hier zu verzeichnen sind, hängen aufs Engste mit der Aufbruchstimmung in der Tanzwissenschaft zusammen. Eine neue Ordnung kündigt sich an. Tanz und Ballett, spätestens seit Béjart eine Kunstform, die mehr zum Theater als zur Musik tendiert, finden ihre Forschungsorte in einer Wissenschaft, die die Musik als vorreitende und bestimmende Kunstform relativiert und in die Schranken weist. Die Tanzwissenschaft sucht den Anschluss an die Literatur- und Theaterwissenschaft, Musik wird oft ausgeklammert; auch dort, wo sie gemeinsam mit dem Tanz eine enge Beziehung pflegt. Solche Entwicklungen haben ihre Vorläufer in der Kunst selbst und datieren zurück auf die Zeit, als der Ausdruckstanz sich von der Vormundschaft der Musik lossagte (Mary Wigman, Rudolf von Laban) und sie durchziehen das 20. Jahrhundert in einer Beziehung, die zwischen Hingabe und Vereinnahmung bis zur funktionalen Degradierung oder völligen Vermeidung reicht. Jerome Robbins’ Moves von 1961, ein »silent« Ballett ohne Musik, war diesbezüglich ein bedeutendes Signal. Umgekehrt hatte es die Musikwissenschaft nicht für nötig befunden, die bedeutenden Entwicklungen der Tanz-Musik-Beziehungen so weit wissenschaftlich auszuloten, dass es zu einem neuen Forschungszweig gekommen wäre. War die ursprünglich für das Ballett geschriebene Musik gehaltvoll genug, so wurde sie zur Konzertmusik umfunktioniert und der Zusammenhang zum Tanz in den Hintergrund gedrängt. Aus diesen bemerkenswerten Abgrenzungen zwischen den Künsten entstand eine Leerstelle, die Schnittstelle zwischen Musik- und Tanzwissenschaft wurde zum Niemandsland, dem gegenüber sich kaum Jemand verantwortlich fühlte. In der vorliegenden Untersuchung wird der Versuch unternommen, diese Leerund Schnittstelle zu bearbeiten. Die Perspektive für dieses Unterfangen erscheint komplex und erfordert eine vielschichtige Methode. Denn zu fragen ist nicht nur nach der strukturellen oder wie auch immer gearteten Beziehung der beiden 10 Vorwort Künste, es muss auch nach den genaueren Gründen für die erwähnte Leerstelle geforscht werden und bedarf daher eines kulturwissenschaftlichen Ansatzes. Durch ihn wird gefragt, warum etwa Musik und Sprache ein oft behandeltes Thema ist, dem der Tanz schon allein quantitativ vergleichsweise kaum etwas entgegenzusetzen hat, geschweige denn eine ästhetische Reflexion aufzubieten hätte. Basiert dieses tendenzielle Ressentiment womöglich auf einem tief eingewurzelten Misstrauen, das Hans Ulrich Gumbrecht formulierte: »Durch Körperbewegung hervorgebrachte Formen und die Präsenz dieser Körper, so scheint eine machtvolle Stimme uns dauernd zuzuflüstern, können einfach nicht bedeutungsvoll genug sein …«1 Das wäre insofern erstaunlich, da sich seit einigen Jahrzehnten eine Konjunktur hinsichtlich der kulturwissenschaftlichen Forschungen zum Körper abzeichnet, bei der auch die Tanzwissenschaft eine zentrale Rolle spielt, die Musik hingegen – abgesehen von der Popmusik – eine nur sehr periphere, und dies trotz wichtiger Schriften etwa von Roland Barthes zum ›Körper der Musik‹, in denen schon früh die Relation von Musik und Körper thematisiert worden war.2 Allerdings blieb auch hier die Beziehung von Musik und Tanz unberücksichtigt. Das deutlichste Paradigma von Klang und Körper wurde aus den ästhetischen Debatten weitgehend ausgeklammert. Gegenstand der Untersuchung ist die Musik und das Ballett des 20. Jahrhunderts, vor allem nach 1945 und besonders in Deutschland West. Die Zeit nach dem 2. Weltkrieg bedeutete für Deutschland überhaupt erst die Begründung einer Ballett-Tradition. Die Musik, vor allem ihre Komponisten, spielten dabei eine wesentliche Rolle. Von tanzhistorischer Seite ist dies durchaus präsent, von musikgeschichtlicher Seite weniger. Das zeigt sich an den brach liegenden Forschungsgegenständen, wie den Ballettkompositionen Hans Werner Henzes, die einer ausgedehnten Untersuchung harren und die hier nur gelegentlich angetippt werden können. Das zeigt sich auch bei der Ausklammerung des Tanzthemas bei Bernd Alois Zimmermann, auf das in den späten 80er Jahren Erik Fischer mit aller Vehemenz hingewiesen hatte. Die vorliegende Untersuchung stellt das Werk Zimmermanns und den Aspekt des Tanzes und Balletts ins Zentrum. Damit kann zumindest eine kleine Lücke im weiten Untersuchungsfeld intermedialer Beziehung zwischen Musik und Tanz geschlossen werden. Das Werk Zimmermanns erfordert eine spezielle Perspektive, denn Zimmermann war kein Ballettkomponist im herkömmlichen Sinne. Seine Werke sind in erster Hinsicht instrumentale autonome Musik, die den Bezug zum Tanz, vor 1 2 Hans Ulrich Gumbrecht, Lob des Sports, Frankfurt a. M. 2005, S. 22 Jürgen Raab / Hans-Georg Soeffner: Körperlichkeit in Interaktionen, in: Markus Schroer (Hg.), Soziologie des Körpers, Frankfurt a. M. 2005, S. 166−188, S. 166, vgl. im selben Band den Beitrag von Gabriele Klein: Das Theater des Körpers. Zur Performanz des Körperlichen, S. 73−91 Vorwort 11 allem zum Ballett, herstellen. Daher handelt es sich bei dieser Untersuchung um eine des intermedialen Bezugs zwischen den Künsten Musik und Tanz, wobei das den Bezug herstellende Medium die Musik ist und auf ihr damit auch das Hauptaugenmerk liegt. Dieser intermediale Bezug äußert sich vor allem durch eine spezielle Art des Musikhörens, das in dieser Arbeit als KörperHören thematisiert wird. Ziel der analytischen Überlegungen zum Musikhören ist daher eine phänomenologische Perspektive: wie erscheint die Musik unter der Prämisse, einen Körper in Bewegung zu hören und ihn damit auch zu sehen, einen Körper hörend herzustellen, der im nächsten Schritt durch den Tanz an realer Gestalt gewinnt. Dem voraus geht eine korporale Lektüre von Musik, die als KörperHören benannt wird. Aus dem Hörvorgang wird dann auf eine korporale Kontur geschlossen, die die Musik transportiert und im Gegensatz zum Körperbild ein offeneres Gebilde repräsentiert, in das sich der Körper des Zuhörers hineinversetzt. Die Untersuchung hat eine lange Vorlaufzeit hinter sich. Das Projekt und seine Idee entstand 1994 im Anschluss an eine Untersuchung zu den Ballettmusiken Claudio Monteverdis und Jean-Baptiste Lullys. Um überhaupt ein fundiertes Wissen zum Tanz zu bekommen, absolvierte ich im Zeitraum zwischen 1991 und 1992 ein Volontariat in der Ballettdramaturgie der Deutschen Oper Berlin bei Frau Dr. Christiane Theobald, ein zweisemestriges Studium der Tanzwissenschaft an der Freien Universität Berlin, ein Volontariat in der Rhythmik an der Hochschule der Künste Berlin bei Frau Professor Gisela Schwarz, sowie eine zehnjährige Tätigkeit als Ballettpianist und Komponist für zeitgenössischen Tanz, ebenfalls in Berlin. Im Jahre 2001 bot sich unvermittelt die Möglichkeit an, den Nachlass von Ulrich Kessler, einstigem Pianisten von Mary Wigman und Komponist u. a. für Marianne Vogelsang, zu bearbeiten. Bei genauerer Sichtung aber stellte sich heraus, dass das kompositorische Werk Kesslers nur an wenigen Stellen mit dem Tanz wirklich nachvollziehbar verbunden ist. Zumal Kessler in einer Tanzlandschaft arbeitete, die der Musik nur wenig Raum für Entfaltung gab. Ziel war es in erster Linie, paradigmatische Linien aufzuzeigen, die für die Lektüre von Tanz in Musik und umgekehrt eine lange kulturgeschichtliche Dimension besitzt. Daher bestand kurzzeitig die Überlegung, das Werk Henzes zu bearbeiten, das in dieser Hinsicht eine hohe Relevanz besitzt. Das Problem aber war hier, dass Henze sich auf den Ballettbetrieb kapriziert hatte und auf ihn zugeschnitten komponierte. Bei Bernd Alois Zimmermann hingegen zeichnete sich aufgrund seiner streng autonom konzipierten Musik eine Perspektive ab, die ganz grundsätzlich das Thema von Musik und Tanz, quasi aus der phänomenologischen Sicht, thematisierte. Bei Zimmermann stellt sich bei einigen seiner Kompositionen ganz grundlegend die Frage, wie und ob Klang und tänzerischer Körper überhaupt noch miteinander kommunizieren. Ein Klavierwerk wie die Perspektiven (1955), das keinerlei stili- 12 Vorwort stische oder strukturelle Beziehungen zur Ballettmusik besitzt, eröffnet hier einen weiten Fragenhorizont. Die Musik- und Tanzlandschaft in ihrem Verhältnis hat sich in Deutschland seit 1945 international bedeutend entwickelt. Allerdings verschwinden die Großprojekte zwischen Musik und Tanz und Komponisten und Choreographen. Die Tendenz der Verwendung präexistenter Musik für Tanzveranstaltungen, meist in mechanischer Übertragung, ist allgegenwärtig. Gelegentlich sind dafür fehlende finanzielle Mittel verantwortlich zu machen. Dies ist ein Zeichen für einen generellen Schwund der Tanzlandschaft, der gegenwärtig aufgrund der wirtschaftlichen und politischen Sparmaßnahmen zu verzeichnen ist. Die fehlenden Mittel schaden dabei nicht nur der Tanz-, sondern auch der Tonkunst. Die Tendenz, Musik wieder für den Tanz zu funktionalisieren (und umgekehrt), wie sie im kommerziellen Bereich allbeherrschend ist und auch auf die nachdenklicheren Formen der Künste ausstrahlt, macht den langen Weg des »herrschaftsfreien Dialogs« (Habermas) zwischen den Künsten zunichte, der im Laufe des 20. Jahrhunderts erarbeitet wurde. Das 20. Jahrhundert zeichnet sich durch eine besondere Bedeutung des intermedialen Dialogs zwischen Musik und Tanz aus. Zentrale Werke entstanden in diesem Kontext. Diese Kunstform des Musik-Tanz-Dialogs, auch wenn sie alt ist und zugleich doch sehr jung, wird gegenwärtig an den Rand der Zerstörung geführt, die Spielräume werden auf ein Minimum begrenzt. Daher widmet sich diese Untersuchung diesen Spielräumen der Bewegung, in der Hoffnung, deren Existenz und künstlerische Relevanz mehr in den Fokus allgemeinen Interesses zu bringen. Einige Abschnitte der Arbeit wurden bereits in Zeitschriften veröffentlicht, so der Aufsatz zu Hindemith und Balanchines Four Temperaments sowie der Artikel zum KörperHören.3 Die Arbeit hätte nicht zustande kommen können durch die Mithilfe zahlreicher Personen und Institutionen, denen an dieser Stelle gedankt sei. In erster Linie Frau Professor Dr. Sigrid Schade, Leiterin des Institute Cultural Studies an der ZHdK durch ihre inhaltliche und seelische Unterstützung; Frau Sigrid Adorf für wertvolle Hinweise bezüglich des Körperbildes in den Cultural Studies; der Sacher-Stiftung Basel für ein einmonatiges Stipendium für die Erforschung Strawinskys und Henzes, besonders Herrn PD Dr. Ulrich Mosch; dem Museum Bellerive für die Bereitstellung der Schneckenburger-Puppen von Das Grün und das Gelb, hier besonders Frau Kristin Haefele und Frau Professor Eva Afuhs (†); Dem Archiv der Berliner Akademie der Künste, besonders Herrn Dr. Heribert Henrich für die Betreuung zum Zimmermann-Nachlass sowie Herrn Dr. Stefan Doerschel von der Tanzabteilung der Akademie; für Recherche und Auskünfte danke ich dem Kölner Tanz-Archiv und dem Archiv des Aalto-Theaters 3 Diese Arbeit entstand im Rahmen eines Projektes, das vom Schweizerischen Nationalfond gefördert wurde, unter der Leitung von Corinna Carduff Vorwort 13 Essen, besonders Herrn Werner Sommer. Dem WDR danke ich für die Bereitstellung der Fernsehinszenierung von Befragung. Zu großem Dank bin ich Frau Prof. Dr. Ursula Pellaton verpflichtet für ihre weit reichende Kompetenz in Fragen Tanz. Für Materialeinsicht und Hilfe danke ich auch der Mediathek Tanz Zürich und dem Bibliothekar der Hochschulbibliothek, Herrn Felix Falkner. Zu sehr großem Dank schließlich bin ich dem Stuttgarter Ballett verpflichtet, für wichtige Unterstützung der Dramaturgin Frau Andrea Gern, für wichtige Gespräche und Informationen der Choreologin John Crankos, Frau Georgette Tsinguirides sowie der Primaballerina Sue Jin Kang, der Molly der Présence-Wiederaufnahme von 2007. Weiterer Dank geht an das Wolgensinger Archiv in Zürich, insbesondere Herrn Balz Strasser, der durch die Bereitstellung des Films Metamorphose bedeutende Einblicke ermöglichte. Einen herzlichen Dank auch an Stefan Kreysler, an Hansjörg Hellinger und an das Team des Vortragssaals Museum für Gestaltung Zürich, die für das gute Gelingen von Zimmermann-Veranstaltungen substanziell beigetragen haben. Dank gilt schließlich dem Collegium Novum und seinem künstlerischen Leiter Christian Fausch für die Erlaubnis, die CD-Einspielung zu Zimmermanns Un petit rien und Das Gelb und das Grün verwenden zu dürfen. Meiner Frau Maria Terpugova gilt der größte Dank für ihre Geduld und ihre Einsatzbereitschaft für die Choreographien zu Alagana, Das Gelb und das Grün sowie zu Un petit rien. 1. Kapitel: Einleitung. Musik und Tanz im Schnittpunkt der Diskurse Schutz für die zarten Blüten der Kunst gegen den Druck einer beschränkenden Theorie bedarf vorzüglich Musik und Tanz (Ch. G. Körner) Um welches Vorspiels willen berauben wir uns unserer Träume? Denn mit leichter Hand drängen wir sie beiseit, in die Kissen, lassen sie zurück, während einige unser erhobenes Haupt lautlos umflattern. Wie wagen wir es, Wachende, diese hineinzutragen ins Helle? O, in der Helle! Alle unter uns tragen die unsichtbaren Träume um sich, tief verschleiert sind die Häupter der Mädchen, ihre Augen sind heimliche Nester der Unheimlichen, der Träume, ganz ohne Zugang, leuchtend vor Vollendung. Die Musik hebt uns alle zur Höhe, jenes erleuchteten Strichs – du kennst ihn – der unter dem Vorhange durchbricht, wenn ein Orchester die Geigen stimmte. Der Tanz beginnt.1 Wie spricht man über Musik, wie über den Tanz, womöglich noch über das, was beide Künste gemeinsam nach außen tragen, auf die Bühne, in den Ballsaal, ins ekstatische Publikum? Oder wie wird darüber gesprochen, was zwischen den Künsten passiert? Ist die Beziehung dieser Zeitkünste überhaupt anders kommunizierbar als über das Medium der Künste selbst, jenem Paradigma sprachvergessener Selbstvergewisserung oder -auflösung, das sich in der Ekstase ereignet?2 Vielleicht genau aus diesem Grund wurde so wenig über eine Kunstbeziehung nachgedacht, die die gegenwärtige Kultur so tief greifend bis in den Alltag hinein prägt und durch Massenmedien und Popkultur fast omnipräsent ist. Musik und Tanz im Zusammenspiel sind das vielleicht letzte Reservat, das sich jenseits von Versprachlichung im Zustand eines Unmittelbaren ereignen soll, wo die entzauberte Welt nicht regiert. Vielleicht rekurriert Benjamin in seiner Ode auf den Zauber der Jugend gerade auf diese von Helligkeit umflossene Nacht, in deren Dunkel sich das sprachliche Jenseits ereignet, ein imaginärer Raum voll intimer Begegnung und Berührung: »Unsere Körper berühren sich vorsichtig, wir alle wecken einander nicht aus dem Träumen, rufen einander nicht heim in die Dunkelheit – aus der Nacht der Nacht, die nicht Tag ist. Wie wir uns lieben. Wie wir unsere Nacktheit 1 2 Walter Benjamin, Metaphysisch geschichtsphilosophische Studien, Metaphysik der Jugend: Der Ball, in: Gesammelte Schriften, hg. von R. Tiedemann und H. Schweppenhäuser, Bd. II.1, Frankfurt a. M. 1991, S. 103−4, S. 103 Zur Selbstvergewisserung und Auflösung des Subjekts in ekstatischen Inszenierungen vgl. zum Ausdruckstanz Gabriele Brandstetter: Tanz-Lektüren. Körperbilder und Raumfiguren der Avantgarde. Frankfurt a. M. 1995, S. 246−247