2885 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 35. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. April 1999 Joachim Stünker (A) beziehung deutscher Unternehmen eine Stiftungsinitiative „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ auf den Weg zu bringen. Diese Initiative der Wirtschaft versteht sich als unmittelbare gesellschaftliche Ergänzung zur staatlichen Wiedergutmachungspolitik der vergangenen Jahre. Sie soll Rechtssicherheit und Rechtsfrieden schaffen und dazu beitragen, den Ruf und das Ansehen unseres Landes und der deutschen Wirtschaft zu schützen. Hiermit müssen wir am Ende des Jahrhunderts gesamtgesellschaftlich ein abschließendes materielles Zeichen setzen, ein Zeichen aus Solidarität, Gerechtigkeit und Selbstachtung. (Dr. Ilja Seifert [PDS]: Fangt doch sofort an!) – Wir sind ja dabei. Mit dieser Stiftungsinitiative sollten drei Ziele verfolgt werden: erstens eine Antwort auf die moralische Verantwortung aus den Bereichen der Zwangsarbeiterbeschäftigung zu geben, zweitens aus diesem Verständnis der NS-Vergangenheit humanitäre und zukunftsweisende Projekte zu fördern und drittens dadurch eine Grundlage zu schaffen, um Klagen, insbesondere Sammelklagen, zu begegnen und Kampagnen gegen den Ruf unseres Landes und unserer Wirtschaft den Boden zu entziehen. Diese Initiative könnte aus zwei gleichgewichtigen Teilen bestehen. Der erste Teil ist ein humanitärer Fonds zugunsten von ehemaligen Zwangsarbeitern und anderen NS-Geschädigtengruppen; der zweite Teil ist eine ge(B) eignete Zukunftsstiftung für Projekte, die eine Beziehung zur Veranlassung dieses Fonds haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte es zum Abschluß noch einmal betonen: Die Zeit drängt. Auch diese Initiative sollte mit Unterstützung des Deutschen Bundestages – ebenso wie die Diskussion über das Holocaust-Denkmal – noch in diesem Jahr zu einem erfolgreichen Abschluß kommen, damit angesichts des hohen Alters der Betroffenen noch in diesem Jahr schnell und wirksam geholfen werden kann. Helfen können wir aber in diesem Fall mit einer fragwürdigen Verlängerung der Verjährungsfrist in § 852 BGB nicht. Die gesamte Initiative dieses Hauses muß darauf gerichtet sein, mit dazu beizutragen, den Opfern neue und, wie ich meine, originäre Ansprüche zu verschaffen. Schönen Dank. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Stünker, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ersten Rede vor dem Deutschen Bundestag. Herzlichen Glückwunsch. (Beifall) Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Wolfgang Götzer von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. SEITE ZURÜCK Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU): Herr Präsident! (C) Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Frage der Entschädigung für Zwangsarbeit während des zweiten Weltkriegs beschäftigt den Deutschen Bundestag seit vielen Jahren. So hat zum Beispiel auf Aufforderung des Bundestags die Bundesregierung in der 11. Wahlperiode über private Initiativen berichtet, die im Zusammenhang mit Zwangsarbeit während des zweiten Weltkriegs ergriffen wurden. In einer Entschließung vom 31. Oktober 1990 hat der Deutsche Bundestag die Bundesregierung aufgefordert, zu prüfen, ob eine Fondslösung für Entschädigungsleistungen an Zwangsarbeiter aus dem zweiten Weltkrieg möglich ist, außerdem Kontakt mit der Privatwirtschaft aufzunehmen und sie zu fragen, ob sie zu solchen Leistungen bereit ist, und die Höhe der benötigten Mittel festzustellen. Der entsprechende Bericht der Bundesregierung wurde am 21. Januar 1992 abgegeben. In seiner Entschließung vom 24. Februar 1994 hat der Deutsche Bundestag die Bundesregierung aufgefordert, umfassend über bisherige Wiedergutmachungsleistungen deutscher Unternehmen zu berichten, ferner alle Unternehmen anzuschreiben, bei denen oder bei deren Rechtsvorgängern Zwangsarbeiter beschäftigt worden sind, und diese Unternehmen aufzufordern, nach Möglichkeiten zu suchen, eine der gegründeten Stiftungen finanziell zu unterstützen. Dabei hat der Deutsche Bundestag seine Aufforderung an Bundesregierung und Wirtschaft bekräftigt, daß insbesondere diejenigen Unternehmen der deutschen Wirtschaft, in denen oder in deren Rechtsvorgängern Zwangsarbeiter tätig waren, finanzielle Beiträge zu den gegründeten Stiftungen lei(D) sten sollten. Die Bemühungen um eine Fondslösung sind, wie jeder weiß, im vollen Gange, und ich hoffe, daß sie möglichst bald zu einem zufriedenstellenden Abschluß gebracht werden können. Denn wir alle sind uns einig, daß diesen Menschen großes Unrecht zugefügt worden ist, das mit Geld ohnehin nicht im eigentlichen Sinne wiedergutzumachen ist. Was den vorliegenden Antrag der PDS angeht, so möchte ich hierzu folgendes feststellen: Der Antrag der PDS beschränkt sich inhaltlich nur auf die Frage der Verjährung nach § 852 BGB, also auf Schadenersatzansprüche aus unerlaubter Handlung. Eine solche Beschränkung ist für mich nicht nachvollziehbar. Denn Individualansprüche können sich auch aus anderen Rechtsgründen ergeben, zum Beispiel zivilrechtliche oder öffentlich-rechtliche Aufopferungsansprüche oder Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung. (Zuruf des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS]) – Herr Kollege, das Stichwort Nachbesserung ist ja, glaube ich, das meistgebrauchte Wort in dieser neuen Legislaturperiode. Es steht Ihnen also nichts im Wege, Ihren Antrag nachzubessern. Rechtlich beruht der Antrag der PDS auf einer Mindermeinung in der Literatur, nach der die Verjährungsfrist des § 852 BGB durch die in der Nachkriegszeit herrschende Rechtsauffassung gehemmt worden sei, nach der individuelle Ansprüche von Zwangsarbeitern SEITE VOR