Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 164. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. April 2001 (A) Eine weitere positive Initiative der rot-grünen Regierung ist die Einführung des EUROPASS. Seine Einführung schafft erstmals europaweit eine einheitliche Bescheinigung für berufliche Qualifikationen, die im Ausland erworben wurden. Damit wird die Mobilität von Berufsbildungsteilnehmerinnen und -teilnehmern gefördert. Hier sind allerdings noch weitere Schritte notwendig. Bisher besteht beispielsweise noch kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem EUROPASS und den EURichtlinien zur Anerkennung nationaler Berufsabschlüsse, da sich der EUROPASS nur auf im Ausland erworbene Teilqualifikationen bezieht. Darüber hinaus erfolgt die Nutzung des EUROPASS bisher nur auf freiwilliger Basis. Kurz- bis mittelfristig sind weitere Anstrengungen notwendig, um die institutionellen Hürden, die einer Mobilität von Auszubildenden in Europa entgegenstehen, abzubauen. Dabei geht es nicht darum, die internationale Vielfalt der Ausbildungssysteme zu nivellieren, sondern darum, die gegenseitige Unterschiedlichkeit anzuerkennen und einheitliche Anrechnungssysteme der individuellen Bildungsbemühungen zu erarbeiten. Viertens: Träger von Weiterbildungsmaßnahmen. In Zukunft sollten sich auch die Hochschulen im Bereich der Weiterbildung engagieren. Sie verfügen über ein hohes Maß an fachlicher Kompetenz, die nicht allein Menschen einer bestimmten Alterstufe vorbehalten bleiben sollte. Darüber hinaus bietet die Entwicklung von MultimediaTechnik den Hochschulen eine gute Ausgangslage, neben den herkömmlichen Seminaren Fernstudien anzubieten. In Form von Ergänzungs-, Aufbau- und Vertiefungsstudi(B) engängen von ein- oder zweijähriger Studiendauer könnten die Universitäten und Fachhochschulen so beispielsweise zusätzliche Diplome oder Masterabschlüsse anbieten. Wir gehen davon aus, dass die Hochschulen sich auch dem lukrativen Markt der Weiterbildung öffnen werden, wenn ihnen ein größeres Maß an Autonomie zugesprochen wird. Bündnis 90/ Die Grünen begrüßt die Debatte um lebenslanges Lernen. Wir sind überzeugt, dass damit den Menschen Möglichkeiten geschaffen werden, ihren Lebensweg – oder genauer: ihre Bildungsbiographie – individuell zu gestalten. Sie müssen sich nicht bei der Wahl der Erstausbildung im Alter von 16 bis 19 Jahren auf einen Lebensberuf festlegen, sondern erhalten nun immer wieder die Chance, sich persönlich weiterzuentwickeln und den Beruf zu wechseln. Dies eröffnet die Chance zu einem Leben jenseits von Routine und Selbstentfremdung und baut auf der Neugier des Menschen auf, Neues entdecken zu wollen und sich ein Leben lang weiterentwickeln zu wollen. Cornelia Pieper (F.D.P.): Das Thema der Großen Anfrage zur beruflichen Aus- und Weiterbildung ist von zentraler Bedeutung für die Auszubildenden und Arbeitnehmer sowie die leider immer noch viel zu hohe Zahl der Jugendlichen ohne Ausbildung in Deutschland. Daher ist es sehr schade, dass die Antwort der Bundesregierung erst zu dieser späten Stunde im Parlament behandelt wird. SEITE ZURÜCK 16109 Die Feststellung, dass die gegenwärtige Situation in (C) der beruflichen Ausbildung und im Bereich der Weiterbildung weit von einer personellen Absicherung von Lernzeitansprüchen, von einer Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Stufen des Weiterbildungssystems, von einer Mitbestimmung der Lernenden und der Sicherung von Transparenz und Qualität der Weiterbildung entfernt ist, können auch wir dick unterstreichen. Doch obwohl die PDS in ihrer Großen Anfrage die Selbstverwirklichung der Menschen und deren demokratische Mitgestaltung der Bildungsprozesse in den Mittelpunkt rückt und obwohl sich der Antrag auf die Stichworte Chancengleichheit, Demokratisierung der Bildungsinhalte und Bildungsstrukturen, Sicherung einer breiten Allgemeinbildung und politischen Bildung orientiert, wendet sich die PDS – ja, das zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Große Anfrage – von einer wirklichen Übernahme von Verantwortung durch die Mitglieder unserer Gesellschaft ab. Nach Begriffen wie Eigeninitiative und Eigenverantwortung – und die PDS fordert ja, dass das Individuum in den Mittelpunkt zu stellen ist – sucht man in den Fragestellungen vergebens. Die Fragen sind getragen von einer uneingeschränkten Staatsgläubigkeit. Die Akteure von Berufsbildung und Weiterbildung treten dabei absolut in den Hintergrund. Wir Liberale meinen jedoch, dass wir auf eine Rücknahme des Staates drängen müssen. Nur so können wir die Aufgaben der Zukunft wirklich meistern. Das bedeutet aber keinesfalls, dass sich der Staat aus seiner Verantwortung zurückziehen muss. Vielmehr muss er sich auf die (D) Kernbereiche seiner Verantwortung konzentrieren und diese auch glaubhaft ausfüllen. Völlig richtig formuliert die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Frage 1 – nach dem Recht auf Bildung und ein lebenslanges Lernen als ein Grundrecht mit Individualanspruch –, dass einklagbare soziale Grundrechte in der Verfassung nicht normiert werden sollen, da der Staat damit überfordert wäre und sich solche Rechte nur unter den Bedingungen einer zentralen Verwaltungswirtschaft und damit um den Preis der Freiheit einführen ließen. Und genau das ist der Punkt, in dem die sozialistische Gesellschaft, in der ich auch einige Jahre lebte, versagt hat. Doch welchen Preis haben die Menschen im Osten dafür bezahlen müssen, dass jeder einen Arbeitsplatz zugesprochen bekam, dass jedem jungen Menschen, staatlich gelenkt, ein Ausbildungsplatz – vielleicht in einem Beruf, den er nie ergreifen wollte – zugewiesen wurde? Den Preis kennen wir alle: ein Leben hinter Mauern und Stacheldraht, ein Leben abgeschottet vom Rest der Welt, ein Leben in einer immer ärmer werdenden Natur und in teilweise katastrophalen Umweltbedingungen und letztlich mit dem totalen Zusammenbruch dieses Staatsgefüges. Die aufgeworfenen Fragen der PDS sind im Einzelnen gesehen alle wohlüberlegt und gut ausformuliert. Die Antworten, für die ich mich bei der Bundesregierung bedanke, bilden eine gute Grundlage für die Erarbeitung von gezielten Vorschlägen und Initiativen für eine längst fällige Reform. SEITE VOR