Wessel, Dissoziale PS - BUSS

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Dissoziale Persönlichkeitsstörung in der Suchttherapie:
erkennen – behandeln – beenden?
B. Wessel
Fachklinik Kamillushaus, Essen
BUSS-Jahrestagung 23. März 2011
Komorbidität: hier keine klare Störungsentität,
sondern Auffälligkeiten, funktionelle Beeinträchtigungen und Symptomkonstellationen (A. Rothenberger 2007)
Lebenszeitprävalenz Sucht
Allgemeinbevölkerung 16,7%
•
•
•
•
•
•
•
Patienten mit Dysthymie 31,4%
mit Major Depression 27,2%
mit Bipolar-I-Störung (Kerngruppe man.-depressiv) 60,7%
mit Angststörungen 23,7%
mit Panikstörung 35,8%
mit Schizophrenie 47,0%
mit Persönlichkeitsstörung, antisozial 83,6%
aus: E. Gouzoulis-Mayfrank 2008
• Allgemein: Prävalenz dissoziale P(S): 3 bis 7 %
(Herpertz 2004; in: Schöch, Jehl, Angewandte Kriminologie 2004)
23.3.2011
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Was ist dissozial in der
Suchttherapie?
• Delinquenz in der Anamnese?
• provokantes Auftreten
• aggressiv-bedrohliches oder impulsives Verhalten
gg. Patienten oder Mitarbeiter
• Verhandeln über Ausnahmen
• „Kleine“ Regelverstöße, Unpünktlichkeit etc.
• Manipulation / Unterdrückung schwächerer
suggestibler Patienten
• Diskrepanz zwischen Verhalten im
therapeutischen und „informellen“ Kontext
23.3.2011
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Dissoziale Persönlichkeitsstörung
in Anlehnung an die ICD 10:
• Herzloses Unbeteiligtsein an den Gefühlen anderer
• Verantwortungslosigkeit; Mißachtung sozialer Regeln und
Normen
• Unvermögen zu längerfristigen Beziehungen, gleichzeitig
fähig zum schnellen Knüpfen von Kontakten
• Niedrige Frustrationstoleranz u. Aggressionsschwelle
• Kein Schuldbewußtsein, lernt nicht aus Erfahrung
zusätzlich oft
• Anhaltende Reizbarkeit
• Störung d. Sozialverhaltens i. d. Jugend
23.3.2011
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Emotional instabile PS
•
•
•
•
Impulsives Handeln ohne Berücksichtigung der Konsequenzen
Wechselnde, labile Stimmung
Geringe Fähigkeit vorauszuplanen
Intensiver Ärger (z. B. Kritik) führt zu explosiblem, gewalttätigem
Verhalten
Borderline-Typus:
• intensive, aber unbeständige
Beziehungen
ADHS
•
•
•
•
Impulsives Mißachten von Regeln
Distanzlosigkeit
Wechselnde, labile Stimmung
Geringe Fähigkeit, vorauszuplanen u. Aktivitäten zu regulieren
23.3.2011
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Sucht oder Persönlichkeitsstörung ?
• Sucht Symptom (Folge) sozial unangepaßten Verhaltens, das
sich vor der Sucht schon entwickelt hat und viele
Lebensbereiche betrifft
vs
• antisoziales Verhalten Folge der Sucht
Dissozial: Persönlichkeit oder Störung ?
Rezidivierende soziale Devianz und Delinquenz (bei chronischen
Rückfalltätern und „Berufskriminellen“ reichen nicht für die
Annahme einer Persönlichkeitsstörung (P. Hoff, H. Saß 2010)
Richtschnur: Diagnostische Kriterien!
Dissoziales Verhalten: an Suchtkrankheit gebunden?
Dissoziale Persönlichkeit: Straffälligkeit schon vor bzw.
unabhängig von Suchtentwicklung
23.3.2011
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ADHS
Psychosen
Intelligenzmind.
Organ.
Hirnveränd.
Dissoziales
Verhalten
„Psychopath“
dissoziale PS
And. PS
23.3.2011
malig. Narzißmus
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Dissozial: Persönlichkeit oder Störung ?
Rezidivierende soziale Devianz und Delinquenz (bei
chronischen Rückfalltätern und „Berufskriminellen“
reichen nicht für die Annahme einer
Persönlichkeitsstörung (P. Hoff, H. Saß 2010)
Richtschnur: Diagnostische Kriterien!
Dissoziales Verhalten: an Suchtkrankheit gebunden?
Dissoziale Persönlichkeit: Straffälligkeit schon
vor bzw. unabhängig von Suchtentwicklung
23.3.2011
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„Psychopathen“
• primäre Psychopathen: gewissenloses Ausnützen anderer zum
eigenen Vorteil einschl. schwerer Gewalt: angeboren
• sekundäre PP: (sehr) frühe PS nach traumatisierenden
Erfahrungen (Steinbach 2009)
• Risikofaktor: Alkohol und Rauchen der Mutter während der
Schwangerschaft
• Protektiv: gute Beziehung zu einem Erwachsenen (Habermeyer 2006)
Merkmale:
1.) Gestörte Affektivität
2.) Arrogantes und auf Täuschung angelegtes
zwischenmenschliches Verhalten
3.) Impulsives und verantwortungsloses Verhaltensmuster (Eidt 2007)
23.3.2011
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Dissozial-Psychopath – PCL-R
Items der PCL-R nach dem 2-Faktoren-Modell (Eidt 2007)
Faktor 1
Faktor 2
Nicht zugeordnet
1 Beredsamkeit /
Oberflächlicher Charme
3 Neigung zu Langeweile
2 Übersteigertes Selbstwertgefühl
11 Promiskuität
4 Pathologisches Lügen
17 viele kurze Ehen
5 Betrügerisch, manipulativ
9 Parasitärer Lebensstil
10 Mangelhafte Verhaltenskontrolle
6 Mangel an Reue u.
Schuldbewußtsein
12 Frühe Verhaltensauffälligkeiten
7 Oberflächliches Gefühlsleben
13 Mangel an längerfrist. realist. Zielen
8 Mangel an Empathie
14. Impulsivität
16 Unfähigkeit, Verantwortung für 15 Verantwortungslosigkeit
eigenes Handeln zu übernehmen
20 Kriminelle Polytopie
18 Jugendliche Delinquenz
19 Bewährungswiderruf
23.3.2011
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Persönlichkeitsstörung: Verlauf
• Situative und Umgebungsfaktoren
• lebensphasische Schwankungen: 1/3 ausreichende
Lebensbewältigung
• auch b. dissiozialen PS oft Milderung d. Symptomatik, v. a. des
aggressiven und impulsiven Verhaltens
• Wirksamkeit der Psychotherapie gilt als belegt (N. Leygraf 2006)
Integrierte Behandlung:
• strukturiertes, gleichwohl behutsames Vorgehen
• geringe Streßtolerenz, daher keine zu hohen Erwartungen
• Sucht und Borderline-PS: DBT
• Sucht u.a. PS: adaptierte schemafokussierte kognitive
Therapie, mod. nach Young (E.Gouzoulis-Mayfrank)
• Therapie auf Diagnose und Psychodynamik, ggf. mit frühen
Traumata, abstimmen
23.3.2011
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Dissozial
1.) Gestörte Affektivität
2.) Arrogantes, auf Täuschung angelegtes
zwischenmenschliches Verhalten
3.) Impulsives und verantwortungsloses
Verhaltensmuster
Früh erlebte Traumata
fehlende Wahrnehmung
S. Dali, Gefallener Engel
eigener Affekte; mangelhafte Sorge um
sich selbst
fehlende Wahrnehmung von Emotionen
anderer. Oft auch selbstschädigendes Verhalten.
(nach Steinbach 2009)
Suchtstoff: Vdersuch der Affektregukation
23.3.2011
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Persönlichkeitsstörung: Verlauf
• Situative und Umgebungsfaktoren
• lebensphasische Schwankungen: 1/3
ausreichende Lebensbewältigung
• auch b. dissiozialen PS im Laufe des Lebens oft
Milderung d. Symptomatik, v. a. des aggresiven
und impulsiven Verhaltens
• Wirksamkeit der Psychotherapie i. a. gilt als belegt
(N. Leygraf 2006)
23.3.2011
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Dissoziale in der Therapie
Primär Dissoziale: ungünstige Therapievoraussetzung:
• geringe Frustrationstoleranz
• oft extrinsisch motiviert
• unzuverlässige zwischenmenschliche (und therapeutische) Beziehungsgestaltung
• geringe Introspektionsfähigkeit (oder –bereitschaft?)
Externalisierung, Bagatellisierung eigener Defizite
• Regelverstöße, mh. Absprachefähigkeit (oder –bereitschaft?)
• Hoher Zeitaufwand, auch wg. Rückwirkung auf Pat.Gruppe und Team
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Dissoziale in der Therapie
• Heterogene Patientenstruktur
individuell
abgestimmte therapeutische Interventionen
• Induzieren Klima einer „Subkultur“
• Verschlechtern das therapeutische Klima
• Anti-Motivation bei ambivalenten Pat.
steigende Abbruchrate
Trotzdem:
Welchen therapeutischen Auftrag / Veränderungswunsch hat der Patient?
Äußere Verhältnisse (Haft) ändern ?
Eigenen Lebensentwurf (Abhängigkeit vom
Suchtmittel, den Transferleistungen… ändern?
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Therapieprognosefaktoren
• Perönlichkeitsentwicklung (Anamnese) vor, mit
und nach Entstehen der Suchtkrankheit
• Therapieverlauf
• Sozialer Empfangsraum
– Wohnsituation
– soziale Bindungen, Partnerschaft
– Arbeitsplatz
– Selbsthilfe
– Nachsorge
– Freizeit
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primär Dissoziale: schwierige Voraussetzungen für
erfolgreiche Therapie:
– geringe Frustrationstoleranz
– unzuverlässige zwischenmenschl. u. therapeut. Beziehung
– extrinsische Motivation
• am ehesten: gut strukturierte multimodale Programme mit
kognitiven und verhaltenstherapeutischen Elementen
• unstrukturierte psychodynamische u. klientenorientierte
Ansätze verschlechtern die Prognose! (Hoff, Saß 2010)
• Personenzentrierte Therapie: Delikt- und Traumaarbeit
(Steinbach 2009)
• Kognitive Umstrukturierung, bessere Stimuluskontrolle
(Habermeyer 2006)
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Behandlung Komorbidität PS
Integrierte Behandlung:
• strukturiertes, gleichwohl behutsames Vorgehen
• geringe Streßtolerenz
keine zu hohen Erwartungen
• Sucht und Borderline-PS: DBT
• Sucht u.a. PS: adaptierte schemafokussierte kognitive
Therapie, mod. nach Young (E.Gouzoulis-Mayfrank)
• Th. abgestimmt auf Diagnose und Symptomatik;
Therapiekonzept auf Psychodynamik, ggf. frühe
Traumata abstimmen
Cave: Dissoziale durchschauen bei einer heterogenen Gruppe unterschiedliches Vorgehen
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Therapie und Dissoziale
• Gut strukturierte multimodale Behandlungsprogramme mit kognitiven und verhaltenstherap.
Elementen
• unstruktierte psychodynamische klientenzentrierte
Ansätze verschlechtern die Prognose! (Hoff, Saß 2010)
• Personenzentrierte Delikt- und Traumaarbeit
(Steinbach 2009)
• Kognitive Umstrukturierung, bessere
Stimuluskontrolle (Herpertz 2004; Habermeyer 2006)
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Behandlung Koinzidenz
Sucht - Dissozial
• Direktiv: Konfrontation mit Bagatellisieren und
Externalisieren
• Klare, überschaubare therapeutische Aufträge und Ziele
• Auch bei nicht offenkundigen Regelverstößen: Dynamik
und Kontakte mit anderen Pat. berücksichtigen
• Enge Stuktur: Keine Ausnahmen vereinbaren; rasche,
konsequente Reaktion auch auf kleine Regelverstöße
• Latent od. offen bedrohliches Auftreten konsequent
saktionieren
• Mitarbeit: intrinsisch nur soziale
Anpassung durch äußere Kontrolle?
• Freizeitverhalten?
• notfalls konsequent vorzeitige Entlassung
• Auch nach disziplinarischer Entl. kann eine Wiederholungsbehandlung indiziert und erfolgreich sein
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Pharmakotherapie
Ergänzende Option gem. Therapie-Leitlinien od. empirisch
• Borderline-PS: SSRI, Mood-Stabilizer, atyp. Neuroleptika
• Emotional-instabile, impulive PS: Mood-Stabilizer,
Neuroleptika
• ADHS: Strattera, MPH, Elontril, Mood-Stabilizer,
Neuroleptika
• Aggressivität (z. B. bei Dissozialen): Mood-Stabilizer,
Neuroleptika (Risperidon, Seroquel)
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Therapieprognose ?
• Anamnese; Perönlichkeitsentwicklung vor und mit
Entstehen der Suchtkrankheit
• Therapieverlauf
• Sozialer Empfangsraum
– Wohnsituation
– soziale Bindungen, Partnerschaft
– Arbeitsplatz
– Selbsthilfe
– Nachsorge
– Freizeit
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Therapie und Dissoziale
Verpflichtung dem einzelnen dissozialen
Patienten gegenüber
Verpflichtung, für die Patienten ein günstiges
therapeutisches Milieu zu schaffen
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Kontakt:
Dr. B. Wessel
Fachklinik Kamillushaus
Heidhauser Str. 273
45239 Essen
Tel.: 0201 / 8406-0
[email protected]
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Literatur
M. Eidt, Psychopathy Checklist-Revised (PCL-R) bei der Rückfallprognose von Straftätern,
Dissertation, München, 2007
E. Gouzoulis-Mayfrank, Komorbidiität von Sucht und anderen psychischen Störungen –
Grundlagen und evidenzbasierte Therapie; Fortschr Neurol Psychiat 2008; 76: 263–271
E. Habermeyer, S. Herpertz, Dissoziale Persönlichkeitsstörung,
Nervenarzt 2006 77: 605–617
S. Herpertz (2004) Dissoziale Persönlichkeitsstörungen – Diagnose, Prognose, Therrapie; in:
H. Schöch, J. M. Jehle, a.a.O.
P. Hoff, H. Saß (2010) Psychopathologische Grundlagen der forensischen Psychiatrie, in:
H.-L. Kröber et al. (2010), a.a.O
H.-L. Kröber et al., Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd. 2; Springer, Berlin, 2010
H.-L. Kröber et al., Handb. der Forensischen Psychiatrie, Bd. 3; Steinkopff, Darmstadt, 2006
N. Leygraf (2006), Persönlichkeitsgestörte Rechtsbrecher, in: H.-L. Kröber et al. (2006),
a.a.O
A. Rothenberger, V. Roessner, Komorbidität bei Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung (ADHS); Fortschr Neurol Psychiat 2007; 75; 259–260
H. Schöch, J. M. Jehle, Angewandte Kriminologie zwischen Freiheit und Sicherheit;
Forum Verlag, Mönchengladbach, 2004
J. Steinbach et al., Dissoziale Persönlichkeitsstörung: Diagnostik, Störungstheorie und
Behandlung aus personzentrierter Sicht; Person 2009; 2; 124-136
23.3.2011
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