Gericht Entscheidungsdatum Geschäftszahl Kopf Spruch Text

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22.06.1995
Gericht
OGH
Entscheidungsdatum
22.06.1995
Geschäftszahl
6Ob546/95
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel als
Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Redl, Dr.Kellner, Dr.Schiemer und
Dr.Prückner als weitere Richter in der Unterbringungssache der Alexandra L*****, geboren am 26.Dezember
1973, ***** vertreten durch Dr.Erna Lang-Hartl, Patientenanwältin, Verein für Sachwalterschaft und
Patientenanwaltschaft, Geschäftsstelle Linz, infolge des ordentlichen Revisionsrekurses der Patientenanwältin
gegen den Beschluß des Landesgerichtes Linz als Rekursgerichtes vom 23.Februar 1995, AZ 13 R 32/95 (ON
14), womit dem Rekurs der Patientenanwältin gegen den Beschluß des Bezirksgerichtes Linz vom 11.August
1994, GZ 22 Ub 374/94-8, nicht stattgegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht stattgegeben.
Text
Begründung:
Die 21jährige Alexandra L***** leidet seit ihrem 12.Lebensjahr an einer anorexia nervosa (Magersucht). Die
Eßstörungen führten immer wieder zu gesundheitsgefährdenden Gewichtsabnahmen. 1993 hatte die Patientin nur
noch ein Gewicht von 20 kg. Es bestand Lebensgefahr.
Am 25.7.1994 wurde Alexandra L***** in der geschlossenen Abteilung eines Krankenhauses in Linz
aufgenommen.
Nach Anhörung der Patientin wurde am 28.7.1994 ihre vorläufige Unterbringung für zulässig erklärt.
Am 9.8.1994 stellte die Patientenanwältin der Untergebrachten als deren gesetzliche Vertreterin (§ 14 UbG) den
Antrag, die Setzung einer Sonde ab 4.8.1994 und die Unterbringung seit 25.7.1994 für unzulässig zu erklären
(ON 6). Die Patientin sei bemüht, daß ihr Körpergewicht sich nicht unter 30 kg bewege. Sie sei über die Gefahr
einer Knochensubstanzverringerung und die Gefahr von Knochenbrüchen informiert und mit der Durchführung
einer Psychotherapie einverstanden. Ein Kranker dürfe nicht gegen seinen Willen behandelt werden, wenn er den
Grund und die Bedeutung einer Behandlung einsehen
könne. Zum Zeitpunkt der Setzung der Sonde sei die Patientin einsichts- und urteilsfähig gewesen und habe die
Vornahme der Ernährung mittels Sonde abgelehnt. Es liege keine psychische Krankheit im Sinne des
Unterbringungsgesetzes vor. Gleichwertige psychische Störungen fielen nicht unter den Rechtsbegriff der
psychischen Krankheit nach dem UbG. Die anorexia nervosa sei keine psychische Krankheit.
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OGH
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Nach Einholung eines psychiatrischen Gutachtens erklärte das Erstgericht in der mündlichen Verhandlung vom
11.8.1994 die weitere Unterbringung der Patientin für unzulässig und wies den Antrag der Patientenanwältin, die
Setzung einer Sonde sowie die Unterbringung (schon) ab 25.7.1994 für unzulässig zu erklären, ab.
Das Erstgericht beurteilte den von ihm festgestellten (noch wiederzugebenden) Sachverhalt rechtlich im
wesentlichen dahin, daß in einer Anstalt nur jemand untergebracht werden dürfe, der an einer psychischen
Krankheit leide und im Zusammenhang damit sein Leben oder seine Gesundheit gefährde. Die Gefahr müsse
eine ernstliche und erhebliche sein. Es sei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Die Aufnahme in
den geschlossenen Bereich einer Anstalt komme nur als letztes Mittel in Frage. Als Alternative käme die
Behandlung und Betreuung im offenen Bereich der Krankenanstalt sowie im halbstationären oder ambulanten
Bereich von Versorgungseinrichtungen in Betracht. Die Patientin leide an einer schweren psychischen bzw.
psychosewertigen Krankheit. Durch die neuerliche Gewichtsreduktion unter den kritischen Wert von 30 kg habe
sich die Patientin in einen bedrohlichen Zustand gebracht, der ihre Behandlung unter geschlossenen
Rahmenbedingungen gerechtfertigt habe. Zwischenzeitig sei eine zweckgerichtete Bereitschaft zur Fortsetzung
der notwendigen Behandlung im offenen Bereich zu erkennen. Die Patientin habe die Absicht, sich einer
notwendigen Psychotherapie zu unterziehen.
Mit der vorgenommenen Sondenernährung werde schneller ein Gewichtsanstieg erreicht als durch
Psychotherapie oder durch eine parenterale Ernährung. Die Sondenernährung sei insgesamt nebenwirkungsfreier
als die parenterale Ernährung. Da die Patientin aufgrund ihrer mangelnden Behandlungsbereitschaft das Angebot
einer Nahrungszufuhr für sich nicht genutzt habe und die Gefahr eines weiteren Absinkens ihres Gewichtes
bestanden habe, sei die Sondenernährung zulässig gewesen. Dabei handle es sich auch nicht um eine besondere
Heilbehandlung (im Sinne des § 36 UbG). Die körperliche Integrität werde nicht in besonderer Weise
beeinträchtigt.
Das Rekursgericht gab dem gegen die Abweisung ihres Antrags gerichteten Rekurs der Patientenanwältin nicht
statt. Es ging dabei von folgendem Sachverhalt aus:
"Bei der Anorexia nervosa handelt es sich um eine psychogene Eßstörung, bei welcher sich ein intrapsychischer
Konflikt in körperlichen Veränderungen manifestiert. Die Patientin leidet bereits seit ihrem 12.Lebensjahr daran.
Wesentliches und allgemeines Merkmal der Anorexia nervosa ist eine seelisch bedingte partielle - in schweren
Fällen absolute - Nahrungsverweigerung, die eine Kachexie zur Folge hat und ad exitum führen kann. Gemein
ist Anorexia-nervosa-Patienten auch die fehlende Krankheitseinsicht mit einer ausgeprägten Verleugnung der
offensichtlichen Abmagerung und der eigentlich dringlich notwendigen Behandlungsanzeige.
Die bisherigen therapeutischen Versuche haben bei der Patientin immer nur kurzfristig eine gewisse Besserung
ergeben, eine längerdauernde Stabilisierung oder gar Heilung der Krankheit der Patientin wurde nicht erreicht.
Als dramatischer Höhepunkt des bisherigen Krankheitsverlaufes ist das Auftreten einer pontinen Myelinose im
Sommer 1993 aufgrund eines drastischen Gewichtsverlustes einhergehend mit Elektrolytverschiebungen
anzusehen. Mit einem Gewicht von nur 20 kg wurde die Patientin damals in einem lebensbedrohenden Zustand
in das AKH Linz gebracht und dort drei Monate stationär behandelt. Ihr Entlassungsgewicht betrug 37 kg.
Nach einer erneuten Gewichtsabnahme und damit einhergehenden Verschlechterung ihres gesundheitlichen
Zustandes kam es in der Zeit zwischen 7.7.1994 bis 20.7.1994 neuerlich zu einer stationären Aufnahme der
Patientin im Krankenhaus *****, am 20.7.1994 zu ihrer Übernahme in der neurologischen Abteilung im
Krankenhaus *****, von wo die Patientin am 22.7.1994 gegen Revers entlassen wurde, und letztlich - nach
erneuter Nahrungsverweigerung und Uneinsichtigkeit in die bestehende, für sie gefährliche (Gewichts-)Situation
- zur Aufnahme in der *****klinik (am 25.7.1994).
Bei der Aufnahme hatte die Patientin das für sie kritische Gewicht von 30 kg aufgewiesen, welches sich die
Patientin selbst als "Idealgewicht" gesetzt hat. Sie war in ihrer Stimmungslage subdepressiv, in ihren Affekten
abgeflacht, kaum affizierbar, in ihrem Antrieb herabgesetzt, mimisch ausdruckslos, sie klagte subjektiv über
Konzentrationsstörungen und befand sich in einem körperlich geschwächten Zustand. Es zeigte sich eine
Bewegungsarmut sowie die wahnhafte Fixierung auf das Essen und ihr Gewicht, ein mangelnder Realitätsbezug
und damit einhergehend keine Behandlungsbereitschaft.
Auch in der Folge unterlag die Patientin sehr starken Kontaktstörungen, zeigte teils ein introvertiertes, erheblich
trotzhaft-oppositionelles Verhalten bzw. demonstrierte einerseits Selbständigkeit, während sie sich andererseits
kindlich-trotzig uneinsichtig gab. Dieses ebenfalls für ihre Art der Erkrankung typische Verhalten erschwerte
anfangs der Behandlung die therapeutische Situation wesentlich.
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Die Nahrungszufuhr erwies sich als sehr schwierig: Die Patientin wies (heimlich) die Nahrung zurück und/oder
erbrach, sodaß kurz nach Behandlungsbeginn die Gewichtskurve sogar noch einmal sank. Auf diverse Anbote in
bezug auf die Art, auf die ihr die Nahrung verabreicht werden sollte, ging sie nicht (wirklich) ein.
Aufgrund der aktiven Nahrungsverweigerung, die die Patientin auch in der Folge beibehielt, entschloß man sich
dazu, der Patientin durch eine Sonde (einen dünnen, weichen Gummischlauch, der durch die Nase eingebracht
wurde) dünnbreiige bzw. flüssige Nahrung in den Magen einzuführen, um dadurch eine Besserung und
Stabilisierung ihres Gewichtes zu erreichen und damit auch eine Basis für notwendige
psychofamilientherapeutische Maßnahmen bzw. deren Einleitung zu schaffen. Der Grund und die Bedeutung
dieses Vorgehens wurde der Patientin zuvor von der sie behandelnden Ärztin erläutert. Mit der Sondenfütterung
wurde am 4.8.1994 begonnen, diese wurde nur einige Tage lang vorgenommen.
Aufgrund des nach wie vor bestehenden Untergewichtes (ihr Gewicht beträgt weniger als 35 % ihres
Idealgewichtes) besteht auch weiterhin eine Eigengefährdung der Patientin den gesundheitlichen Bereich
betreffend, ihr Zustand ist derzeit aber nicht mehr als akut lebensbedrohlich anzusehen.
Aufgrund der Mangelernährung ergeben sich Gefährdungsmomente, vorwiegend in einer erhöhten
Infektanfälligkeit, einer Elektrolytverschiebung mit der Gefahr von diversen Sekundärkomplikationen und
Organversagen sowie auch einer erhöhten Knochenbruchgefahr, sodaß nach wie vor eine unbedingte
Behandlungsnotwendigkeit gegeben ist.
Mittlerweile befindet sich die Patientin in einem körperlich etwas besseren, von ihr auch als solchen
wahrgenommenen, Zustand als noch bei der Aufnahme und hat sich bei ihr auch eine gewisse - zweckgerichtete
- Breitschaft entwickelt, sich im offenen Bereich bis zu einer Gewichtszunahme von 35 kg (dem Zielgewicht für
die Einleitung einer familien- bzw. einzeltherapeutischen Maßnahme) weiter behandeln zu lassen, um dann mit
der ihr empfohlenen Psychotherapie zu beginnen (zu diesem Therapieschritt willigte die Patientin erstmals ein
und nahm diesbezüglich auch bereits mit der Therapeutin Dr.H***** Kontakt auf).
Nach wie vor ist zwar eine ambulante Behandlung der Patientin noch nicht angezeigt, eine Therapie der Patientin
im offenen Bereich ist aber aufgrund des oben Dargelegten in der Zwischenzeit bereits vertretbar."
In rechtlicher Hinsicht führte das Rekursgericht zur Zulässigkeit der Unterbringung vom 25.7.1994 bis zum
11.8.1994 aus, daß die bei der Patientin vorliegende anorexia nervosa als psychische Krankheit im Sinne des
Unterbringungsgesetzes zu werten sei. Bei der Patientin läge eine starke neurotische Störung mit einer
Krankheitsuneinsichtigkeit und fehlendem Realitätsbezug vor. Wegen des bei der Einlieferung vorliegenden
Körpergewichts von 30 kg sei von einer erheblichen Gesundheitsgefährdung auszugehen. Es habe eine erhöhte
Infektanfälligkeit, die Gefahr einer Elektrolytenverschiebung verbunden mit Sekundärkomplikationen und
Organversagen sowie eine erhöhte Knochenbruchgefahr bestanden. Eine Behandlung im offenen Bereich sei
wegen der Verweigerung der Nahrungsaufnahme am Aufnahmetag und an den Folgetagen während der
Unterbringung nicht möglich gewesen. Die Patientin sei nicht paktfähig.
Das Rekursgericht erachtete auch die Setzung einer Sonde zur zwangsweisen Ernährung für zulässig. Es sei
erforderlich gewesen, eine Gewichtserhöhung zu erreichen. Eine solche sei durch feste und flüssige Ernährung
nicht zu erreichen gewesen. Die enterale Ernährung sei effizienter als die parenterale. Die Setzung einer Sonde
stehe nicht außer Verhältnis im Sinne des § 35 Abs.1 UbG. Die Ernährung mittels Sonde sei keine besondere
Heilbehandlung im Sinne des § 36 UbG. Darunter würden nur Behandlungen, die die körperliche Integrität des
Betroffenen in besonderer Weise beeinträchtigten, verstanden, wie beispielsweise "Elektroschocks". Da die
Patientin bei der Setzung der Sonde und während der Ernährung mittels Sonde nicht einsichtsfähig gewesen sei,
habe die zwangsweise Ernährung auch ohne Einwilligung der Patientin vorgenommen werden dürfen. Gegen die
Zulässigkeit einer zwangsweisen Ernährung spreche auch nicht der Umstand, daß eine an sich wünschenswerte
und angestrebte Psychotherapie bei einer zwangsweisen Behandlung weniger Erfolgsaussicht habe. Vor der
Psychotherapie müsse ein höheres Körpergewicht erreicht werden, erforderlichenfalls auch zwangsweise.
Das Rekursgericht sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil zu den Fragen, ob eine
psychische Erkrankung vorliege und ob die zwangsweise Ernährung mittels Sonde eine besondere
Heilbehandlung darstelle, eine oberstgerichtliche Rechtsprechung fehle.
Gegen die Entscheidung des Rekursgerichtes richtet sich der Revisionsrekurs der Patientenanwältin mit dem
Antrag auf Abänderung dahin, daß die Unterbringung der Patientin ab 25.7.1994 und die Setzung einer Sonde
sowie die Ernährung mittels Sonde für unzulässig erklärt werden mögen.
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Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus den vom Rekursgericht angenommenen Gründen zulässig. Er ist jedoch nicht
berechtigt.
In formeller Hinsicht ist zunächst festzuhalten, daß die Patientin ein Rechsschutzinteresse an der begehrten
Feststellung der Unzulässigkeit der bekämpften Maßnahmen hat, weil die den Ärzten im Rahmen der Psychiatrie
übertragenen staatlichen Zwangsbefugnisse nach dem Unterbringungsgesetz (UbG) in zahlreiche
verfassungsrechtlich gewährleistete Grundrechte des Patienten eingreifen (insbesondere in das Recht der Freiheit
nach Art.5 MRK und das Recht auf Achtung der Menschenwürde nach Art.3 MRK). Der Oberste Gerichtshof
hat wiederholt ausgesprochen, daß ein rechtliches Interesse an der gerichtlichen Feststellung der Unzulässigkeit
einer Unterbringung oder einer vorgenommenen Behandlung auch noch nach Aufhebung der
freiheitsbeschränkenden Maßnahmen zu bejahen ist (SZ 65/92; 5 Ob 571/93 mwN).
Sowohl die Unterbringung nach § 3 UbG als auch die Durchführung einer ärztlichen Behandlung eines
untergebrachten Kranken gegen seinen Willen bzw. mangels Einsichtsfähigkeit gegen den Willen seines
gesetzlichen Vertreters oder die Durchführung einer besonderen Heilbehandlung (§ 36 Abs.1 und 2 UbG) setzt
zunächst voraus, daß der untergebrachte Patient an einer psychischen Krankheit leidet. Die rekurrierende
Patientenanwältin vertritt nun die Auffassung, daß von einer psychischen Krankheit nach § 3 UbG nur im Falle
von Psychosen oder zumindest psychosewertigen Symptomen gesprochen werden könne. Der Rechtsbegriff der
psychischen Krankheit habe gegenüber dem früher geltenden Anhalterecht eine Einschränkung erfahren.
Gleichwertige psychische Störungen fielen nicht unter den Begriff der psychischen Krankheit, genausowenig
wie geistige Behinderungen oder Neurosen. Die anorexia nervosa als medizinische Diagnose erfülle nicht den
Rechtsbegriff der psychischen Krankheit. Es lägen auch keine psychotischen Symptome vor, die einen
Rückschluß auf eine psychische Erkrankung zuließen. Die mögliche Behandlung mit Psychotherapie spreche
gegen das Vorliegen einer psychischen Krankheit. Die Therapie setze Freiwilligkeit voraus, was einen Eingriff
in die Persönlichkeitsrechte geradezu verbiete. Zu diesem Rekursvorbringen hat der erkennende Senat folgendes
erwogen:
Der Begriff "psychische Krankheit" ist ein unbestimmter Rechtsbegriff (Pichler in Rummel ABGB2 Rz 1 zu §
273; Kopetzki, Unterbringungsgesetz Rz 58; 3 Ob 552/92 mwN; zum Begriff "Geisteskrankheit" Kopetzki in
ÖJZ 1988, 232). Im Gegensatz zum früheren Anhalterecht kann nach der derzeitigen Rechtslage eine geistige
Behinderung, ohne daß auch Symptome einer psychischen Erkrankung vorliegen, nicht zu einer Unterbringung
führen. Diese auf die Gesetzesmaterialien gestützte Rechtsansicht wird übereinstimmend in Lehre (Kopetzki aaO
Rz 60; Hopf/Aigner, Unterbringungsgesetz Anm.4 zu § 3) und Rechtsprechung (SZ 64/131; JBl 1992, 106; 7 Ob
590/91, 8 Ob 587/91 uvm) vertreten. Auch psychische Störungen, die einer psychischen Krankheit
gleichkommen, können eine Unterbringung nicht rechtfertigen (Kopetzki aaO Rz 60; Hopf/Aigner aaO Anm.6
und die dort zitierte Judikatur). Materielle Voraussetzung der Unterbringung ist allein das Vorliegen einer
psychischen Krankheit oder doch zumindest das Vorliegen einer Störung mit Symptomen einer psychischen
Krankheit. Der Rechtsbegriff der psychischen Krankheit ist in erster Linie nach den Regeln der medizinischen
Wissenschaft und somit nach Erfahrungssätzen auszulegen (3 Ob 552/92). Der medizinische Sachverständige hat
ausgeführt, daß es sich bei der sogenannten anorexia nervosa um eine schwere neurotische Störung handle, die
zu den "neurotischen bzw. psychosomatischen Erkrankungen" gehöre. Man nehme an, daß es sich um eine
unbewußte Ablehnung der Reifung bzw. des Erwachsenwerdens handle (S.7 in ON 4), es bestehe teilweise eine
phobische Angst vor Gewichtszunahme. Im Vordergrund stehe die Eßstörung, im Hintergrund eine psychische
Erkrankung (Sachverständiger S.10 zu ON 7).
Diese Beurteilung des Sachverständigen aus medizinischer Sicht ist der Auslegung des Begriffs psychische
Erkrankung im Rechtssinne zugrundezulegen. Zweifellos liegt eine psychogene, rational nicht erklärbare
Ursache für die eintretenden Folgen vor (Eßstörungen bis hin zur totalen Verweigerung der Nahrungsaufnahme).
Die Meinung eines erwachsenen Patienten, er sei noch ein Kind oder er wolle nicht erwachsen werden,
verbunden mit der Vorstellung, daß das Kindsein oder Kindbleiben durch Verweigerung der Nahrungsaufnahme
erreicht werden könne, kommt einer zwanghaften Wahnvorstellung nahe oder ist einer solchen gleichzusetzen.
Das periodische Einsetzen solcher Vorstellungen bei völliger Uneinsichtigkeit in die Krankheit und andererseits
wieder das Auftreten von einsichtigen Phasen erinnert an die notorischen Schübe von (nach der früheren
Terminologie des Gesetzgebers) Geisteskrankheiten. Die völlige Krankheitsverleugung als Merkmal der
psychogenen Eßstörung (vgl. die Krankheitsbeschreibung der anorexia nervosa = Magersucht in Pschyrembel,
Klinisches Wörterbuch257 76) ist genauso Symptom einer psychischen Erkrankung, wie die angeführte
phobische Angst vor Gewichtszunahme. Unter Phobie ist eine exzessive inadäquate Angstreaktion zu verstehen,
die in der Regel - aber eben nicht im vorliegenden Fall - mit der Einsicht der Unbegründetheit der Angst
verbunden ist (Pschyrembel aaO 1186). Die Magersucht der Patientin wäre auch anders zu beurteilen, wenn sie
nicht auf den dargestellten psychischen Ursachen, sondern auf einer rationalen, begründeten wenn auch vom
Durchschnittsmenschen nicht geteilten Meinung der Patientin beruhte (etwa: Abmagerung aus ästhetischen
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Gründen mit der bewußten Inkaufnahme einer Gesundheitsgefährdung; Hungerstreit aus politischen Gründen;
Abmagerung aus "Liebeskummer" uä). Hier liegen irrationale, in der Psyche der Patientin verborgene Gründe
vor, beispielsweise aber auch nicht der rationale Grund des Wunsches nach dem eigenen Tod. Das vorliegende
Zustandsbild geht über eine bloße neurotische Persönlichkeitsstörung hinaus. Die Magersucht in dieser Form,
die aus medizinischer Sicht als psychogene Krankheit beurteilt wird, ist auch im Rechtssinn eine psychische
Krankheit. Die von der Rekurswerberin durchaus anerkannte psychische Störung weist deutliche Symptome
einer Erkrankung auf. Das Vorliegen solcher Symptome würde auch bei einer geistigen Behinderung, die für
sich allein eine Unterbringung nicht rechtfertigen könnte, eine solche zulässig machen (7 Ob 610/91;
Hopf/Aigner aaO Anm.4). Gegen diese Beurteilung kann auch nicht ins Treffen geführt werden, daß die
adäquate Heilmethode die Psychotherapie sei, diese aber nur freiwillig durchgeführt werden könne und daher
eine zwangsweise Behandlungsform (mit Unterbringung und zwangsweiser Ernährung) geradezu verbiete. Der
gezogene Schluß ist dort nicht stichhältig, wo der Patientin - wie hier - die Krankheitseinsicht immer wieder
völlig mangelt. Der Umstand, daß die Psychotherapie bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen (in
körperlicher und psychischer Hinsicht) eine mögliche Heiltherapie darstellt, vor allem also wenn der Patient zu
einer Krankheitseinsicht fähig und mit der Behandlungsform einverstanden ist, spricht weder für noch gegen die
Beurteilung der Magersucht als psychische Erkrankung.
Die zweite Voraussetzung für die Unterbringung eines psychisch Kranken in einer Anstalt ist, daß der
Untergebrachte im Zusammenhang mit der Krankheit sein Leben oder seine Gesundheit oder das Leben oder die
Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet (§ 3 Z 1 UbG) und nicht in anderer Weise, insbesondere
außerhalb einer Anstalt, ausreichend ärztlich behandelt oder betreut werden kann (§ 3 Z 2 UbG). Gegen die
Annahme einer Gefährdung, also einer im hohen Maße gegebenen Wahrscheinlichkeit eines unmittelbar
bevorstehenden Schadenseintritts, führt die Rekurswerberin ins Treffen, daß das "Gefährdungsmoment" am
25.7.1994 nicht gegeben gewesen sei. Die Patientin sei am 22.7.1994 aus dem Krankenhaus mit einem
Körpergewicht von 30 kg entlassen worden. Die erhöhte Infektanfälligkeit, die Gefahr einer
Elektrolytenverschiebung und eine erhöhte Knochenbruchgefahr werden zwar als latent zugegeben, die
körperliche Untersuchung bei der Aufnahme in der Nervenklinik hätte aber einen normalen Befund ergeben. Bei
diesem Rekursvorbringen werden die Feststellungen der Vorinstanzen außer acht gelassen, daß die Aufnahme
der Patientin nach einer neuerlichen Nahrungsverweigerung erfolgte und daß die Patientin eine depressive
Stimmung und eine "wahnhafte Fixierung auf das Essen und das Gewicht" aufgewiesen und keine
Behandlungsbereitschaft gezeigt hatte (S.3 in ON 14). Bei der Beurteilung der Gesundheitsgefährdung kann der
bisherige Krankheitsverlauf nicht unberücksichtigt bleiben. Die Patientin leidet bereits seit ihrem 12.Lebensjahr
an der psychogenen Eßstörung, es kam im Laufe der Jahre immer wieder zu dramatischen Gewichtsabnahmen,
1993 bestand sogar ein lebensbedrohlicher Zustand bei einem Körpergewicht von nur 20 kg. Bei
Berücksichtigung dieser Vorgeschichte kann der Zustand der Patientin am 25.7.1994 nicht nur als latent
gesundheitsgefährdend, sondern sogar wegen des Erreichens eines "kritischen" Gewichts und infolge völliger
Krankheitsuneinsichtigkeit als akut gefährdet bezeichnet werden. Die Voraussetzungen für eine Unterbringung
lagen vor. Die Abwägung zwischen dem durch die Unterbringung verursachten Rechtsverlust des Kranken
gegenüber der durch die Unterbringung abgewendeten Gefahr hat dort ihre Grenze zu finden, wo der Gebrauch
der Freiheit krankheitsbedingt zu einem einschneidenden Verlust der körperlichen Integrität oder sogar des
Lebens des Patienten führen kann (7 Ob 610/91).
Zur Zulässigkeit der zwangsweisen Ernährung mittels einer Sonde ist folgendes auszuführen:
Einfache ärztliche Behandlungen dürfen nicht gegen den Willen des Kranken durchgeführt werden, wenn dieser
den Grund und die Bedeutung der Behandlung einsehen und seinen Willen nach dieser Einsicht bestimmen kann
(§ 36 Abs.1 UbG). Der Grund und die Bedeutung der Behandlung ist dem Kranken zu erläutern (§ 35 Abs.1
UbG). Eine solche Erläuterung ist hier zwar erfolgt. Daraus allein kann aber noch nicht auf die
Einsichtsfähigkeit der Patientin geschlossen werden. Entgegen der Auffassung der Rekurswerberin muß nach
den Feststellungen, von denen das Rekursgericht ausging, eine Einsichtsfähigkeit verneint werden. Dazu kann
auf die zutreffenden Ausführungen des Rekursgerichtes verwiesen werden (S.12 in ON 14), insbesondere auf die
Weigerung der Patientin, an der Erstellung des Diätplans mitzuwirken und diesen auch einzuhalten.
Die Zulässigkeit der angewandten Methode der zwangsweisen Ernährung hängt davon ab, ob die Ernährung
mittels Sonde eine besondere Heilbehandlung darstellt, für welche ein genehmigender Beschluß des Gerichtes
nötig gewesen wäre (§ 36 Abs.2 UbG) und weiters davon, ob die vorgenommene Behandlung zu ihrem Zweck
nicht außer Verhältnis steht (§ 35 Abs.1 UbG).
Das Gesetz definiert den Begriff der "besonderen Heilbehandlung" nicht. Nach dem Bericht des
Justizausschusses wird bei der Abgrenzung zwischen "einfachen" und "besonderen" Heilbehandlungen vom
Zweck des Gesetzes, dem Schutz der Persönlichkeitsrechte des Kranken, auszugehen sein. Behandlungen, die
die körperliche Integrität des Betroffenen in besonderer Weise beeinträchtigen, wie etwa "Elektroschocks",
werden in diesem Sinne als "besondere Heilbehandlungen" anzusehen sein (JAB 1202 BlgNR 17.GP 11 f). Ob
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eine "besondere Heilbehandlung" vorliegt, hängt davon ab, in welchem Maß die Behandlung geeignet ist, die
physische oder psychische Verfassung des Kranken zu beeinträchtigen (4 Ob 549/94).
Zweifellos stellt die Ernährung mittels eingeführter, in den Magen des Patienten reichender Sonde einen
körperlich unangenehm empfundenen Eingriff dar. Dies allein reicht aber noch nicht aus, um von einer
besonderen Heilbehandlung im Sinne des Gesetzes sprechen zu können. Daß die Beeinträchtigung die Grenzen
anderer, im medizinischen Alltag häufig angewendeter Heilmethoden (etwa Maßnahmen nach komplizierten
Bruchoperationen), die von einem verständigen Patienten zwar als unangenehm empfunden, aber eben als
unvermeidbar in Kauf genommen werden, überschritte, vermag die Rekurswerberin nicht darzustellen. Die
(negativen) Wirkungen der unfreiwilligen Heilbehandlung - die nicht auf psychiatrischem Gebiet liegt, sondern
nur dazu dient, die eigentliche Heilbehandlung in Form der Psychotherapie vorzubereiten - auf die psychische
Verfassung der Patientin sind zwar nach den Feststellungen der Vorinstanzen durchaus gegeben, jedoch nicht so
gravierend, daß eine dauernde oder auch nur vorübergehende Veränderung der Persönlichkeit der Patientin
befürchtet werden müßte. Derartiges wird im Revisionsrekurs auch nicht vorgebracht, sondern nur allgemein auf
"extreme psychische Belastungen" hingewiesen. Der von der Patientenanwältin ins Treffen geführte Entzug
jeglichen Entscheidungsfreiraums bezüglich Art und Umfang der Nahrungszufuhr kann dann kein
entscheidendes Kriterium für die Beurteilung der Schwere des Eingriffs sein, wenn die Patientin mangels
Einsichtsfähigkeit die Nahrungszufuhr, in welcher Form auch immer, völlig verweigert.
Der erkennende Senat sieht durchaus die Problematik, daß die zwangsweise Ernährung dem angestrebten Ziel,
die Patientin möglichst ohne Druck und Zwang zu normalen Eßgewohnheiten zurückzuführen, entgegensteht.
Wenn diese Möglichkeit aufgrund der psychischen Erkrankung aber nicht besteht, so gilt auch hier der schon
erwähnte Grundsatz, daß bei der vorzunehmenden Abwägung zwischen dem durch die zwangsweise
Heilbehandlung verursachten Rechtsverlust der Kranken und der dadurch erreichbaren Abwehr einer drohenden
Gefahr die Grenze dort zu ziehen ist, wo der Gebrauch der Freiheit krankheitsbedingt zu einer absehbaren
schweren Gesundheitsbeeinträchtigung und - wie hier - sogar zu einer Lebensgefahr führen kann.
Entgegen der Auffassung der Patientenanwältin wurde mit der zwangsweisen Ernährung mittels Sonde auch
nicht der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt. Genauso wie die Unterbringung unzulässig ist, wenn eine
die Persönlichkeit des Patienten schonende Alternative außerhalb der Anstalt möglich ist (§ 3 Z 2 UbG), darf
eine in Persönlichkeitsrechte des Patienten massiv eingreifende Heilbehandlung nur angewandt werden, wenn
eine weniger eingreifende, schonende Heilbehandlung nicht zur Verfügung steht.
Das Rekursgericht hat zutreffend auf die höhere Effizienz der Sondenernährung gegenüber der enteralen
Ernährung mittels Infusion verwiesen (S.11 f in ON 14). Die höhere Effizienz ist im Sinne eines schnelleren
Heilerfolgs, der in der Erreichung des angestrebten Gewichts besteht, das für den Beginn einer
erfolgsversprechenden Heilbehandlung durch Psychotherapie erforderlich ist, zu verstehen. Die
Infusionsmethode mag für den Fall einer freiwilligen Behandlung gegenüber der Sondenernährung als weniger
unangenehm empfunden werden. Bei einer Zwangsernährung ist jedoch der naheliegende Fall zu bedenken, daß
die der Behandlung ablehnend gegenüberstehende Patientin die Nahrungszufuhr durch Entfernen der für die
Infusion notwendigen Vorrichtungen verhindern will und eine zwangsweise Infusion nur durch Anwendung von
Zwangsmitteln, also primär wohl durch Anschnallen der Patientin, durchgeführt werden kann. In dieser Form
kann aber die Infusionsmethode unter dem Gesichtspunkt der Schwere des Eingriffs in die Rechte der Kranken,
insbesondere in das von der Rekurswerberin hervorgehobene Recht auf Achtung der Menschenwürde, nicht
mehr als eine relevant weniger in die Persönlichkeit eingreifende Heilmethode im Vergleich zur
Sondenernährung beurteilt werden.
Dem Revisionsrekurs war aus den dargelegten Erwägungen nicht stattzugeben.
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