Gesundheit | Sexuell übertragbare Krankheiten Interview mit Dr. Frank Bally: Gesundheit! — Sexuell übertragbare Krankheiten Infektiologie — Die Angst vor Aids schwindet allmählich. Die vermeintliche Ruhe im Lager der sexuell ­übertragbaren Krankheiten täuscht jedoch gewaltig. Bernard-Olivier Schneider (dt. Text Karin Gruber) Seit es die berühmte Kombinationsthe­ rapie gibt, bei der mit drei oder mehr Medikamenten die Vermehrung des HIVirus eingedämmt werden kann, hat die Angst vor Aids deutlich abgenommen. Man fühlt sich sicherer, was zur Folge hat, dass das schützende Präservativ wieder vermehrt in seiner Verpackung gelassen wird und sogenannte riskan­ te Praktiken wieder zunehmen. Parallel dazu breiten sich aber auch bestimmte sexuell übertragbare Krankheiten wie Syphilis, Gonorrhö (Tripper) oder Chla­ mydiose besorgniserregend schnell aus. Dr. Frank Bally, Infektiologe im Zentral­ institut der Walliser Spitäler, zum Thema sexuell übertragbare Krankheiten STD (engl. Sexually transmitted diseases). Stimmt es, dass die Zahl gewisser sexuell übertragbarer Krankheiten (STD) wie Syphilis, Gonorrhö oder Chlamydiose in unserem Land immer mehr zunimmt? Das stimmt. Aus den Statistiken des Bundesamts für Gesundheit lässt sich schon seit geraumer Zeit eine ganz klar steigende Tendenz erkennen. Wie lässt sich diese Zunahme erklären? Um die Zunahme der Fälle von STD zu erklären, macht es Sinn, zuerst auf das 10 | W B E XT RA 6 .1 0 Thema Aids zurückzukommen. Aids gilt aufgrund seiner Gefährlichkeit und seinen psychologischen Auswirkungen seit mehr als einem Vierteljahrhundert als die STD schlechthin. Das rosa Präser­ vativ der Kampagne «StopAIDS», das zu Beginn heftig umstritten war, begleitet uns in der Schweiz schon seit 1987. Es ist inzwischen zum Symbol einer effi­ zienten Prävention geworden, denn die häufigere Benutzung des Präserva­ tivs hat sich mit einer Verringerung der Anzahl HIV-Fälle bezahlt gemacht. Es hat in den 80er- und 90er-Jahren aber auch zur Verringerung anderer STD wie Syphilis und Gonorrhö beigetragen. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts kommt es jedoch zu einer Wende. Viele Leute glauben, dass Aids in gewisser Weise durch Kombinationstherapie «besieg­ bar» sei. Die Vorsicht nimmt ab und mit ihr die Verwendung von Präservativen. Die Folge davon ist eine Zunahme der sexuell übertragbaren Krankheiten. Wird diese Tendenz einen neuen Präventionsansatz erforderlich machen? Ja. Es muss zu einem neuen Ansatz ge­ griffen werden. Nehmen wir ein klas­ sisches Szenario … Eine Frau und ein Mann treffen sich. Sie finden Gefallen aneinander. Drei Monate später suchen sie zum Durchführen eines Aidstests einen Arzt auf. Und wenn das Resultat negativ ist, verzichten sie auf Präservati­ ve. Was sie jedoch ausser Acht gelassen haben: Der Test ist nur auf das HI-Virus ausgerichtet! Er dient nicht zur Erken­ nung anderer STD wie Gonorrhö und Chlamydiose. Wie wichtig ist die Früherkennung dieser STD? Diese bakteriellen Infektionen nehmen meist einen stillen Verlauf, können je­ doch schwerwiegende Folgen haben: beispielsweise Eileiterschwangerschaf­ ten oder Sterilität beim Mann und bei der Frau. Also sowohl psychologisch als auch finanziell schwerwiegende Folgen. Die Präventionsansätze müssen unbe­ dingt ausgeweitet werden, indem nicht mehr nur auf Aids abgezielt wird. Wann wird das Bundesamt für Gesundheit seine Strategie ändern? Diese neue Strategie befindet sich in der Endphase ihrer Ausarbeitung. In Zu­ kunft werden die grossen, von Bern lan­ cierten Präventionskampagnen sowohl Aids als auch die anderen STD anpeilen. Daher wird die Kampagne «StopAIDS» gerade in die Kampagne «LoveLife» um­ gewandelt. Sexuell übertragbare Krankheiten | Gesundheit Was bedeutet dies für den Kanton ­Wallis? Der Kanton muss seine Präventionspo­ litik ebenfalls breiter anlegen. Er muss seine Präventionsmassnahmen deutli­ cher machen und sowohl Aids als auch andere STD mit einbeziehen. Das Pro­ blem ist, dass einige Bevölkerungsgrup­ pen im Wallis aus kulturellen Gründen schwer zu erreichen sind, insbesondere Homosexuelle und Kunden von Prosti­ tuierten. Welche konkreten Massnahmen werden Sie treffen? Eine Arbeitsgruppe der Dienststelle für Gesundheitswesen ist dabei, ein AntiSTD-Programm auf die Beine zu stellen. Wir verfolgen vier Hauptziele: Zunächst eine bessere Information der Öffent­ lichkeit und der Ärzte über die STD. Zweitens möchten wir den Aidstest auf drei andere «grosse» STD ausweiten – Syphilis, Gonorrhö und Chlamydiose. Für diese Krankheiten wollen wir beim Zentralinstitut der Walliser Spitäler (ZIWS) die Möglichkeit einer anonymen Behandlung schaffen sowie eine spezia­ lisierte Beratung einrichten, auf welche die Walliser Ärzte verweisen können. In Zahlen Chlamydiose Neu gemeldete Fälle 2004 CH: 4142 VS: 48 Neu gemeldete Fälle 2009 CH: 6352 VS: 115 Die Zahl der gemeldeten Fälle hat sich seit Ende der Neunzigerjahre verdreifacht. 7 von 10 betroffenen Personen sind Frauen. Gonorrhö Neu gemeldete Fälle 2004 CH: 531 VS: 1 Neu gemeldete Fälle 2009 CH: 914 VS: 10 Rund 8 von 10 betroffenen Personen sind Männer. Syphilis Neu gemeldete Fälle 2006 CH: 649 VS: 8 Neu gemeldete Fälle 2009 CH: 861 VS: 19 Rund 8 von 10 betroffenen Personen sind Männer. Quelle: BAG Wir möchten, dass dieses Projekt noch dieses Jahr aus den Start­löchern gelassen wird. In einem nächsten Schritt wird es darum gehen, die bereits effizienten Massnahmen beizubehalten – insbeson­ dere die Impfung gegen Hepatitis B und humane Papillomaviren (HPV). Zudem soll ein besonderes Augenmerk auf die Früherkennung von Gebärmutterhals­ krebs geworfen werden. Dieser wird nämlich durch Papillomaviren ausge­ löst und ist damit auch auf eine STD zurückzuführen. Welches sind die Zielgruppen für eine Früherkennung? Personen, die eine neue, feste Beziehung eingehen. Personen, die ein Risiko ein­ gehen, also ungeschützten Geschlechts­ verkehr mit einem oder mehreren gele­ gentlichen Partnern haben. Personen, die aufgrund ihres Verhaltens gefährdet sind (Geschlechtsverkehr unter Einfluss von Drogen oder gegen Bezahlung). Per­ sonen, die sexuell missbraucht werden. Ebenso jene, die denken, eine Infektion zu haben, sei es nun mit oder ohne er­ kennbare Symptome. Gonorrhö, Syphilis und Chlamydiose: Wie werden diese Krankheiten behandelt? Diese drei STD werden mit Antibiotika behandelt, welche die Infektion heilen und Komplikationen vorbeugen – das heisst, sofern die Behandlung rechtzei­ tig begonnen wird. Welche ist die häufigste dieser drei Krankheiten? Ganz klar Chlamydiose, d.h. die Chla­ mydien-Infektion, mit durchschnittlich über 6000 jährlich in der Schweiz neu gemeldeten Fällen. Zweifelsohne ist dies aber nur die Spitze des Eisbergs … Das BAG geht auf der Grundlage einer Studie davon aus, dass lediglich 5% der Infektionsfälle in der Bevölkerung iden­ tifiziert werden! Diese Krankheit betrifft die Mehrheit der jungen Erwachsenen. Wie kann man feststellen, ob man infiziert ist? Um eine Chlamydien-Infektion ans Licht zu bringen, muss man sich einem spezifischen Test unterziehen. Wer soll einen solchen Test machen lassen? In der Schweiz werden diesbezügliche Weisungen erarbeitet. Im Wallis ist eine Studie in Zusammenarbeit mit dem Kanton Waadt in Planung, welche die Rate der infizierten Frauen in der Bevöl­ kerung bestimmen soll. Die Studie soll der besseren Eingrenzung der Bevölke­ rungsgruppen, an die sich dieser Test in erster Linie richtet, dienen. Weshalb gibt es eigentlich keinen Impfstoff gegen diese STD? Weil das ganz einfach noch niemand probiert hat! Aber im Ernst – bei STD handelt es sich um bakterielle Infek­ tionen. Bakterien sind komplexe Orga­ nismen, die schwer zu bekämpfen sind. Da wir auch nach einer Infektion keine natürliche Immunität gegen diese drei Krankheiten entwickeln, wird die Ent­ wicklung eines Impfstoffs nahezu un­ möglich. n Nützliche Adressen Bundesamt für Gesundheit (BAG) www.LoveLife.ch Zentralinstitut der Walliser Spitäler (ZIWS) Sprechstunde für Infektionskrankheiten Av. Grand Champsec 86, 1950 Sitten Telefon 027 603 47 80 www.ichv.ch SIPE-Zentren (Sexualität, Information, Prävention, Erziehung) Susten, Dilei, Sustenstr. 3, 3952 Susten Telefon 027 473 31 38 Visp, Pflanzettastrasse 9, 3930 Visp Telefon 027 946 51 73 Brig, Alte Simplonstrasse 10, 3900 Brig Telefon 027 923 93 13 www.sipe-vs.ch Aidshilfe Oberwallis Spittelgasse 2, 3930 Visp Telefon 027 946 46 68 www.aidsvs.ch Realisiert durch die Partner: Departement für Finanzen, Institutionen und Gesundheit Dienststelle für Gesundheitswesen WB EXTRA 6 .10 | 11