Wandel von Staatlichkeit. Die neue Rolle des Staates im

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Neue Verbindungen schaffen!
Impulse und Horizonte für neue
Soziale Kooperationen
Jahrestagung des UPJ-Netzwerks engagierter
Unternehmen und Mittlerorganisationen
24. März 2011, Rotes Rathaus Berlin
Wandel von Staatlichkeit. Die neue Rolle des Staates
im Zusammenspiel mit engagierten Unternehmen und
zivilgesellschaftlichen Organisationen
Prof. Dr. Rolf G. Heinze
Ruhr-Universität Bochum
Präsentiert von:
Prof. Dr. Rolf G. Heinze
Ruhr-Universität Bochum, Fakultät für Sozialwissenschaft
Wandel des Staates. Die neue Rolle des Staates im Zusammenspiel mit engagierten
Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Organisationen
Vortrag bei der Jahrestagung des UPJ-Netzwerks engagierter Unternehmen und
Mittlerorganisationen „Neue Verbindungen schaffen! Impulse und Horizonte für neue Soziale
Kooperationen“ (Vorläufige Fassung)
BERLIN, Rotes Rathaus, 24. März 2011
Sowohl die aktuelle Atomkatastrophe in Japan als auch 2008/2009 die globale Finanzkrise stellen
für viele Beobachter eine Zeitenwende dar, die grundlegende Debatten um die Steuerungsfähigkeit
und Rolle des Staates ausgelöst haben. Schon durch die Exzesse auf den Finanzmärkten hat sich
sowohl das Design der Gesellschaftsdeutungen als auch die sozioökonomische Situation
grundlegend gewandelt. Dominierte noch vor kurzem auch in der gesellschaftlichen Konstruktion
von Wirklichkeiten ein „Ökonomismus“, so haben sich diese Überhöhungen auf der großen
politischen Bühne diskreditiert. In den Sozialwissenschaften wird seit geraumer Zeit ein Wandel der
Staatlichkeit von epochalem Charakter konstatiert. Er wird in sozialwissenschaftlichen Debatten mit
verschiedenen Begriffen wie kooperativer Staat, aktivierender Staat, Gewährleistungsstaat oder
auch zerfasernder Staat diskutiert. Einen Kern dieser Diskussion bildet die Sichtweise, dass der
Staat nicht mehr das Steuerungszentrum der Gesellschaft ist – wie in einigen klassischen
Theorien politischer Steuerung angenommen – sondern das jenseits staatlicher Regulierungen
auch gesellschaftliche Selbstregelungsmechanismen relevant sind.
Vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit einem einseitigen Ökonomismus einerseits und dem
Scheitern zentralistischer staatlicher Planungen wird strategisch eher auf ein lernorientiertes
Monitoring gesetzt, in dem Kommunikation und Kooperation, Reflexion sowie Lernfähigkeit und
Transparenz als Medien der Innovation wirken können (vgl. Heinze 2009). In diesem Sinne stellt
das strategische Innovations-Monitoring oder auch „Schnittstellenmanagement“ eine
paradigmatische Wende in der Steuerung komplexer und dynamischer Entscheidungsprozesse
zwischen den verantwortlich handelnden Akteuren in den einzelnen gesellschaftlichen
Teilbereichen dar. Die traditionelle hierarchische Planung ist unter den Bedingungen von
intensivierter Globalisierung und erhöhter Komplexität nicht mehr zu realisieren. So herrscht in den
sozialwissenschaftlichen Debatten Einvernehmen darin, dass die Zeit des traditionellen
hierarchischen Sozialstaats vorüber ist und es einen tiefgreifenden Wandel von Staatlichkeit gibt.
Das permanente Aufflackern von Misstrauen gegenüber den politischen Handlungslogiken ist ein
Hinweis auf tieferliegende Vertrauensverluste der deutschen Regierungspolitik. Hatte die Politik
noch Ende 2008/Anfang 2009 durch ein konsequentes Vorgehen bei der Bekämpfung der globalen
!
Finanzkrise Vertrauen (durch „politische Führung“) gewinnen können, so manifestieren sich in
letzter Zeit an verschiedenen Punkten (nicht nur am Beispiel „Stuttgart 21“) grassierende
Vertrauensverluste auf verschiedenen Ebenen (im Systemvertrauen, aber auch hinsichtlich des
subjektiven Selbstvertrauens). Beim Systemvertrauen geht es um die Gleichzeitigkeit von Marktund Staatsversagen, die Sozialvertrauensverluste beziehen sich auf subjektive Verunsicherungen.
Zusammengenommen ergibt sich in vielen Fragen ein erhebliches Misstrauensvotum gegenüber
dem politischen System, das nicht mehr durch eine Status-quo-fixierte Politik befriedigt werden
kann. Vor allem wenn sich die Regierungspolitik auf Positionen zurückzieht, es gäbe ohnehin keine
alternativen Optionen, sind Legitimationskonflikte vorprogrammiert. Die schwindende Akzeptanz
wird auch vorangetrieben durch die Funktionsverluste der traditionellen politischen Akteure (den
politischen Parteien und Interessenvertretungen) sowie der politischen Arenen (vor allem den
Parlamenten).
Die politischen Organisationen scheinen inhaltlich und organisatorisch in vielen gesellschaftlichen
Themenfeldern ausgehöhlt; manche Beobachter sehen schon den „Herbst“ der Volksparteien. Die
verminderte Ausstrahlungskraft der politischen Parteien ist aber nicht nur über die Erosion der
soziokulturellen Milieus zu erklären, sondern auch auf die Entstandardisierung und Prekarisierung
von beruflichen Lebensläufen zurückzuführen. Immer mehr Individuen (gerade jüngere
Erwerbspersonengruppen) – und auch nicht nur aus dem „Prekariat“, sondern aus der
gesellschaftlichen Mitte – stehen unter dem permanenten Zwang, Ökonomisierungslogiken gerecht
zu werden. Erwartungssicherheiten und Optionen für eine Beteiligung an politischen
Organisationen gehen zurück, während neue Anforderungen durch die Globalisierung und
Flexibilisierung der Arbeit an das Selbstmanagement und die Kontrollfähigkeit wachsen. Wenn es
zur Aufgabe der Individuen gehört, sich selbst zu ‚managen’, geht das traditionelle Vertrauen in die
Politik bzw. ganz allgemein in die sozialpartnerschaftlichen (korporatistischen) Regulierungsformen
und die Parteien zurück.
In der neueren Debatte um die Handlungsfähigkeit des Staates wurde generell die Bedeutung
zentraler, hierarchischer Institutionen relativiert und auf die permanente Überlastung des Staates
hingewiesen. Akteure und Verhandlungssysteme unterhalb oder neben der Staatsebene gerieten
als Steuerungsressourcen ins Blickfeld. Die Kombination von staatlicher Steuerung und
gesellschaftlicher Regulierung ist von besonderem Interesse und könnte charakterisiert werden als
ein Trend zum Staat ohne Verstaatlichung. Auch international zeigt sich dieser Schwenk in
Richtung Verhandlungsnetzwerke mit eigenständigen Wohlfahrtspotentialen.
Die neuen steuerungstheoretischen Konzepte scheinen zwar in der offiziellen Politik angekommen
zu sein, werden aber nicht systematisch umgesetzt. Dies liegt sicherlich auch an der Abarbeitung
der globalen Finanzkrise (den „Rettungsaktionen“), die die staatliche Politik erheblich beansprucht
und die ohnehin vorhandenen Tendenzen zur Selbstüberlastung noch verschärft. Im Gegensatz zu
der geforderten neuen Rolle des Staates, der auf die kollektive Kompetenz der nicht-staatlichen
Akteure und organisatorische Lern- und Innovationsfähigkeit setzen muss, dominiert derzeit in der
Regierungspolitik neben der aktuellen Krisenbekämpfung die Sanierung der öffentlichen Haushalte
!
(eine „Austeritätspolitik“) und eine Verschiebung der Verantwortung auf die Bürger sowie eine
generelle Anspruchssenkung.
Andererseits wächst die Zahl der Publikationen über die gesellschaftliche Verantwortung der
Unternehmen, Corporate Social Responsibility (CSR) oder Corporate Citizenship (CC). Manche
Beobachter sprechen schon mit Blick auf die Welt der Stifter und Spender von einer „GoodwillGesellschaft“. Solche bürgerschaftlichen Aktivitäten von Unternehmern bzw. Unternehmen sollen
wohl auch mithelfen, das negative Unternehmerbild in Deutschland zu korrigieren. Es ist auch den
wirtschaftlichen Akteuren klar, dass Vertrauen das zentrale „Schmiermittel“ auch jeglicher
Wirtschaftstransaktionen ist und das soziale Umfeld für den Unternehmenserfolg von großer
Bedeutung ist. In der neuen Debatte um Verantwortung und CSR geht es um die Frage nach den
Grenzen einer Ökonomisierung der Gesellschaft und auch institutionellen Formen der
sozialpartnerschaftlichen Kooperation, wie sie im klassischen deutschen rheinischen Kapitalismus
üblich waren. Die Debatte um CSR ist auch ein Ergebnis des Bedeutungsverlustes des Staates,
der zwar bei der direkten Regulierung der akuten Finanzkrise in den Jahren 2008 und 2009
erhebliches geleistet hat, allerdings schon durch die Verschuldung der öffentlichen Haushalte an
Gestaltungskraft verloren hat. Die Fokussierung auf Bürgerengagement muss deshalb genau
beobachtet werden, damit es nicht zu einer Instrumentalisierung dieser sensiblen Ressource
kommt.
Insgesamt kommt es zu einem öffentlichen Diskurs über einen kooperativen Staat oder auch die
Neufassung der Rolle von Unternehmen in einer Gesellschaft, die einerseits immer stärker von
Ökonomisierungstendenzen, andererseits immer weniger von einer strategischen Führung durch
den Staat und damit der Politik geprägt wird. Empirische Studien bestätigen die These, dass CSRAktivitäten inzwischen zum selbstverständlichen Bestandteil deutscher Unternehmenspolitik
gehören, wenngleich dies vor allem für Großunternehmen gilt. Die von vielen
Unternehmensberatern beschworene Triple-Win-Situation durch CSR (ökologische oder soziale
Projekte bekommen Unterstützung, die Unternehmen verbessern ihr öffentliches Image und die
Verbraucher haben ein gutes Gewissen) überzeugt allerdings nicht in jedem Fall bzw. kann in
sensiblen Bereichen (etwa bei Energiekonzernen, die sich einen „superökologischen“ Anstrich
geben) auch negative Schlagzeilen produzieren, wenn sie überzogen auftreten. Vordergründige
PR-Aktionen nach dem Motto „Tue Gutes und verkünde es überall“ werden folglich nicht
ausreichen, um den gesellschaftlichen Verantwortungsdimensionen der Unternehmen
nachzukommen. Die Wiedergewinnung von Vertrauen als existenzielles Merkmal einer erneuerten
sozialen Marktwirtschaft ist ein schwieriger und langwieriger Prozess, zumal in den nächsten
Jahren keine neuen Wohlstandschübe zu erwarten sind.
Die wachsende Thematisierung der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen ist
sicherlich auch ein Reflex auf die sozioökonomischen Verunsicherungen und die Krise des
traditionellen deutschen Erfolgsmodells. Hier hat sich eine neue Debatte um die Grundprinzipien
der „sozialen Marktwirtschaft“ entfacht, in denen die Ordnungsprinzipien systematisiert und auch
neue Entwürfe diskutiert werden. Das traditionelle deutsche Wirtschaftsmodell, das auf
diversifizierter Qualitätsproduktion und Mitbestimmung beruht, muss gerade heute (nach der
!
globalen Finanz- und Wirtschaftskrise) seine Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit vor dem
Hintergrund globalisierter Märkte beweisen. Trotz aller strukturellen Probleme haben wir im Kern
noch immer in vielen Sektoren die Fähigkeit zur strukturellen Innovation, wenngleich sicherlich der
institutionelle Rahmen erneuert werden muss. Um die Stärken zu erhalten und zu verbessern,
gehört aber an erster Stelle, sich auf die globalisierte Wirtschaft und deren Dynamik voll
einzustellen und sich andererseits kreativ auf die eigenen institutionellen Vorteile zu besinnen.
Und dazu gehören auch die Mitbestimmungskultur und das traditionelle zumeist lokal verankerte
soziale Engagement der Unternehmen. In diesem Zusammenhang können CSR-Aktivitäten
sicherlich mithelfen, das negative Unternehmerbild in Deutschland zu korrigieren und die
Unternehmen wieder in neue Kooperationsstrukturen mit Regierungen und Akteuren der
Zivilgesellschaft zu bringen. Auch in wirtschaftstheoretischen Diskussionen werden Kooperation
und Vertrauen gerade in Krisenzeiten als zentrale ökonomische Variablen betrachtet. Nur wenn
Menschen Vertrauen haben, investieren sie in Autos oder Wohnungen, verlässliche Erwartungen
werden aber nicht über Berechnungen im engeren Sinne aufgebaut, es geht gerade in Krisenzeiten
auch um Zukunftsvertrauen.
Hinsichtlich der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen hat sich der Wind in den
letzten Jahren gedreht. Immer mehr Unternehmen in Deutschland verweisen explizit auf ihre
gesellschaftliche Verantwortung und organisieren verschiedene Kampagnen und Aktionen. In
empirischen Untersuchungen sprechen über 90 Prozent der befragten Unternehmen davon, sich
gesellschaftlich zu engagieren. Das Engagement reicht von Geld- und Sachspenden über
Unterstützung ehrenamtlichen Engagements bis hin zu Stiftungsgründungen. Die empirische
Forschung zur gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen ist allerdings in Deutschland
noch unterbelichtet –und dies gilt auch explizit für die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen
Organisationen und die Engagementförderung in regionalen und lokalen Netzwerken.
Die zunehmende strategische Positionierung im Feld gesellschaftlicher Verantwortung (oder wie es
in aktuellen Debatten meist genannt wird: von Corporate Social Responsibility) erfolgt allerdings
nicht zum „Selbstzweck“, sondern dient natürlich auch der
Realisierung ökonomischer
Zielvorstellungen („Verantwortung kann sich rechnen!“). Verschiedene Autoren verweisen explizit
auf die Wettbewerbsvorteile von CSR; insbesondere für Großunternehmen werden folgende
Wettbewerbsvorteile herausgestellt:
x
Verbesserung des Risikomanagements und Reduzierung von Risiken
x
Förderung der Reputation
x
Verbesserung des Zugangs zu Kapital
Während früher die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung eine Säule des deutschen
Modells war, haben sich jedoch in dieser Frage gewichtige Verschiebungen ergeben. Im Kontext
der traditionellen „Deutschland AG“ trugen Unternehmen quasi automatisch ihren Teil der
öffentlichen Verantwortung, der auch durch gesetzliche Vorgaben geklärt war. Die Rückwirkungen
!
auf die Gesellschaft brauchten nicht explizit eingefordert werden, sondern gehörten zur
Unternehmenskultur. Diese enge Verbindung ist mit dem internationalen Durchbruch des
angelsächsischen „Finanzmarktkapitalismus“ aufgebrochen und deshalb tauchen in den letzten
Jahren zunehmend Fragen auf wie: Kommen Unternehmen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung
nach, sind sie gute Corporate Citizens?
Wenn diese Fragen nicht im historischen Kontext thematisiert werden, kommt man leicht zur
Hypothese, es gäbe ausgehend von angelsächsischen Vorbildern eine neue Form
gesellschaftlicher Verantwortung der Unternehmen. Diese Sichtweise ist insofern verkürzt, da in
den bisherigen Debatten um CSR in Deutschland die traditionell weitgefächerte Mitwirkung der
Unternehmen weitgehend vernachlässigt wird. Dies bedeutet nicht, CSR als Mythos oder
Modewelle entlarven zu wollen, vielmehr gilt es, eine realistische Standortbestimmung
vorzunehmen und die historische Dimension in die Debatte um die gesellschaftliche Verantwortung
der Unternehmen einzuziehen. Allerdings muss schon konstatiert werden, dass auch im Selbstbild
vieler Unternehmen diese klassische Rolle oft nur noch verschwommen wahrgenommen wird und ausgehend von den Globalisierungsprozessen und dem Vordringen international agierender
Großunternehmen – immer mehr Unternehmen über das klassische soziale Engagement hinaus
neue Formen von CSR erproben und auch konkreter ihre „Reputationsgewinne“ resümieren.
In einer zunehmend global vernetzten Wirtschaft und einem Staat, der immer mehr (nicht nur)
fiskalische Handlungsspielräume einbüßt, aber auch einer Öffentlichkeit, in der sich gerade durch
die Exzesse der Finanzkrise ein negatives Unternehmensbild breit gemacht hat, erscheint es den
Unternehmen zunehmend attraktiv, sich einerseits selbst stärker (als „Corporate Citizens“) in die
gesellschaftliche Verantwortung zu nehmen, andererseits wird es auch von ihnen im Kontext
transnationaler Einbettung erwartet.
Das soziale Engagement der Unternehmen spielt in der Öffentlichkeit inzwischen eine weitaus
bedeutsamere Rolle und auch das Management beschäftigt sich intensiver mit der eigenen Rolle
der Unternehmen. So meint inzwischen auch die große Mehrzahl der europäischen
Führungskräfte, dass das gesellschaftliche Engagement der Firmen diese wettbewerbsfähiger
macht. Die Zahl der Manager, die CSR oder Corporate Citizenship für „alten Wein in neuen
Schläuchen“ halten, geht zurück und es ist zu einem Wandel der strategischen Bedeutung des
Engagements gekommen. Bürgerschaftliches Engagement von Unternehmen wird nicht mehr als
soziale Schwärmerei abgetan, sondern ist ein Trend, der sich auch in Deutschland mehr und mehr
durchsetzt.
Dies liegt auch an der veränderten Staatlichkeit und einen zerfasernden Staat, der allein nicht mehr
das Steuerungszentrum darstellt. Wie bereits betont, kann der Staat aber nicht generell zum
Rettungsanker bei Marktversagen werden. Es gibt viele Hinweise, dass er als Träger innovativer
Vernetzungsprozesse sogar überfordert ist. Deshalb kann der aktivierende Sozialstaat nur
zusammen mit einer aktiven Gesellschaft und aktiven Unternehmen konzipiert werden. Für diesen
Umbauprozess in Richtung auf eine bessere Balance zwischen Staat, Markt und aktiver
Gesellschaft liegt aber kein Drehbuch vor. Angesichts des dramatischen Marktversagens und der
!
drohenden Überforderung des Staates sind in dieser historischen Phase wieder die
gesellschaftlichen Ordnungsleistungen gefragt.
Konsens besteht sowohl in wissenschaftlichen Diskursen als auch in politischen Diskussionen,
dass nach attraktiven Ergänzungen und Alternativen zu den klassischen etatistischen
Herrschaftsformen zu suchen ist. Inzwischen finden sich in fast allen Politikfeldern auch
Expertenkommissionen und gemischt zusammengesetzte Netzwerke, die sich durch eine enge
Verzahnung zwischen Staat, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft auszeichnen. Ein
Funktionswandel vom hierarchischen zum moderierenden Staat ist einerseits schon länger zu
beobachten und andererseits werden durch die Einbeziehung gesellschaftlicher Institutionen auch
neue Ressourcen, Informationen und damit Handlungsoptionen erschlossen.
Dafür ist eine neue Schnittstellendynamik zwischen dem Staat und außerstaatlichen Akteuren
(auch aus der Wirtschaft) erforderlich, die sich bislang nur in Konturen abbildet. Sozialinvestive
politische Strategien sind vor dem Hintergrund der Finanzmarktkrise allerdings immer schwerer zu
realisieren, denn langfristig angelegte Strategien können nach den Exzessen auf den
Finanzmärkten und dem zerstörten Vertrauen noch schwieriger umgesetzt werden.
Genau in dem Augenblick, in dem Integrationschancen und Sicherheiten angesichts der globalen
ökonomischen Krisen prekär werden, sind auch die herkömmlichen Methoden der
Risikoabsicherung selbst riskant geworden und erfordern weder eine Verstaatlichung noch eine
(ohnehin derzeit diskreditierte) Vermarktlichung. Beansprucht wird vielmehr eine Komplementarität
zwischen Politik, Wirtschaft, gemeinschaftlicher Handlungsfähigkeit (einer „aktiven“
Bürgergesellschaft) und auch Eigenverantwortung. Wo sind aber die Akteure, die ein solch
kreatives Schnittstellenmanagement umsetzen können?
Die Handlungsmöglichkeiten der Regierung sind erschöpft, eine Strategieschwäche prägt die
deutsche Politik schon länger und auch die selbstorganisatorischen Steuerungskompetenzen sind
durch die vielfältigen Ökonomisierungsanforderungen weitgehend absorbiert. Entgrenzungen
stellen aber nicht nur Gefährdungen dar. Indem die Individuen die verschiedenen Systemlogiken
selbst ausbalancieren müssen, wachsen auch die Fähigkeiten zur Selbststeuerung und Aktivierung
von Kompetenzen wie Bürgerengagement und gemeinschaftlicher Handlungsfähigkeit. Und dies
gilt auch für das politische System; wenn es auch strukturell verkrustet ist, gibt es doch
inkrementalen Wandel.
Gefordert ist aber mehr: die komplexen Herausforderungen verlangen nach balancierten
Verknüpfungen zwischen den Handlungslogiken von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Alle
bislang vorliegenden Erfahrungen besagen, dass der Wandel von Regulationsstrukturen nur über
kooperativ und experimentell ausgerichtete, zeitraubende und manchmal enttäuschungsreiche
Planungs- und Gestaltungsprozesse möglich ist. Die Zusammenarbeit wird oft dadurch
beeinträchtigt oder kommt überhaupt nicht zustande, weil einzelne Akteure befürchten, übervorteilt
zu werden.
!
In einzelnen Sektoren und Regionen scheinen solch strategische Überlegungen zur
Zusammenführung von staatlicher und privater Handlungskompetenzen aber angekommen zu sein
und es zeichnet sich schemenhaft eine neue kooperativ organisierte Staatlichkeit ab, weil der Staat
ohne die Mitwirkung privater Akteure und Organisationen gar nicht die geforderten Kompetenzen
und finanziellen Ressourcen besitzt.
Auch der soziökonomische Wandel geht auch international in Richtung von einer „managed“ zu
einer „entrepreneurial economy“; die Frage bleibt, wie dieser Wandel politisch gestaltet werden soll
oder ob er nur toleriert oder sogar verdrängt wird. Manche Länder entwerfen kreative
Zukunftsperspektiven, wie in den verschiedenen gesellschaftlichen Feldern mit einer verstärkten
Selbstständigkeitsorientierung umgegangen wird. Empirische Indikatoren verdeutlichen, dass sich
eine „Kultur der Selbstständigkeit“ zukünftig weiter ausbreiten wird, ob dies politisch
wünschenswert erscheint oder nicht. Aber nicht nur in der sicherlich ambivalent zu beurteilenden
Frage der Existenzgründungen, sondern auch in anderen Feldern gelingt es den
sicherheitsfixierten Deutschen offenbar nur schwer, sich auf die neuen Herausforderungen der
globalisierten und wissensorientierten Wirtschaft aktiv einzustellen. Dies gilt auch für die deutsche
Wirtschaft, deren Akteure oft die unternehmerische Gesellschaft ausrufen, aber nur in wenigen
Fällen zu den innovativen Kräften zählen.
Die traditionellen deutschen Selbstzweifel scheinen aber in der jüngeren Generation derzeit im
Rückgang begriffen zu sein, was nicht unwesentlich darauf zurückzuführen ist, dass die
traditionellen Aufstiegsversprechungen nicht mehr verfangen und auch der symbolische „Kitt“ der
Mittelstandsgesellschaft auseinanderbröselt. Es ist bereits im Zusammenhang mit neuen
Wertorientierungen bei jungen Menschen auf einen wachsenden Pragmatismus und dem Wunsch
nach mehr Selbstbestimmung hingewiesen worden, während die resignierende Anpassung eher
zurückgeht. Neuere Untersuchungen sprechen auch von einem weitgehend positiven
Unternehmerbild und der wachsenden Offenheit, selbst unternehmerisch tätig zu werden. Diese
Indizien sollten auch in den sozialwissenschaftlichen Debatten ernstgenommen werden, denn hier
zeigen sich Aufbrüche, die auf einen neuen Vergesellschaftungsmodus hinweisen, der grob
umschrieben werden kann mit der Formel „Mach dein Ding“. Die Besinnung auf die eigene
Kreativität und die Suche nach einer beruflichen Selbstständigkeit wird auch geweckt durch die
schlechten Einstiegschancen gerade für junge, hochqualifizierte Menschen. „Young, educated and
unwanted“ ist nicht nur in den USA eine Formel, die viele junge Leute in Existenzgründungen treibt,
zumal im Umfeld der Internetwirtschaft die finanziellen Mittel für eine Gründung oft eher
überschaubar sind.
Sicherlich kann hieraus nicht abgeleitet werden, die neuen Selbstständigen wären der Träger einer
neuen Mitte, die sich nun in allen westlichen Gesellschaften ausbreitet. Die Realitäten einer
globalisierten und zunehmend sozial fragmentierten Gesellschaft bilden ein „raues Klima“ für jedes
neue Unternehmen und deshalb werden viele Hoffnungen auch wieder enttäuscht werden.
Dennoch bleiben einige Fakten, die nicht nur auf eine Zerstörung der Mittelschichten hindeuten,
sondern auch noch immer Entfaltungsspielräume für selbstbestimmtes und gleichzeitig sozial
orientiertes Handeln bieten. Sozioökonomisch ist hier vor allem der weiter gewachsene
!
Dienstleistungssektor zu nennen, der in manchen Sektoren berufliche Perspektiven bietet. Aber
auch darüber hinaus gewinnen im Lebensalltag Dienstleistungsinteraktionen an Bedeutung, so
dass das klassische (konservative) deutsche Wohlfahrtsregime als ein Transferstaat real
transformiert wurde in einen Wohlfahrtsstaat mit ausgebautem sozialem Dienstleistungssektor.
Hierdurch werden die sozialen Dienste aber auch zu Impulsgebern des sozialen Wandels,
allerdings können sie nur unter der Voraussetzung erfolgreich sein, dass sie nicht isoliert erbracht
werden, sondern auf Formen der Kooperation und Vernetzung auf lokaler bzw. regionaler
Ebene zurück greifen können. In den Diskursen um einen sozialen Investitionsstaat werden
dementsprechend die sozialen Dienste nicht nur als Versorgungsinstanz definiert, sondern auch
mit Aktivierungsaufgaben und Eigenverantwortung verbunden.
Ob die politisch neu akzentuierten Formen eines „Wohlfahrtsmix“ in den verschiedenen Feldern
(aktuell intensiv in der Familien- und Bildungspolitik) akzeptiert werden und sich erfolgreich
ausbreiten, ist damit noch nicht endgültig entschieden. Die neuen Verschränkungen von
sozialstaatlichen, marktbezogenen und bürgergesellschaftlichen Elementen bspw. in sozialen
Einrichtungen und Diensten werden nicht umsonst als hybride Organisationsformen bezeichnet.
Die Fokussierung auf Eigenverantwortung im Rahmen eines Wohlfahrtsmix sollte jedoch nicht als
Aufforderung zur Privatsierung und einen Rückzug des Staates verstanden werden, vielmehr geht
es um die Mobilisierung und Stärkung freiwilligen sozialen Engagements.
Der Blick in vergleichbare Länder demonstriert, dass sich Regierungspolitik nicht zu sehr auf die
Verteidigungsposition des status-quo beschränken darf, gefragt sind vielmehr positive Szenarien
für eine neue Landkarte „positiver Wohlfahrt“. Es ist auffällig, wie häufig in Deutschland davon die
Rede ist, der Wohlstand müsse „erhalten“ bleiben. Dass Wohlstand vielmehr täglich neu
geschaffen werden muss, wird unterschlagen. Doch in Deutschland dominieren eher defensive
Positionen. Die Zumutung des Wandels ins Positive zu wenden, impliziert auch einen anderen
Politikstil und die Offenheit zu kommunizieren, dass es keine Sicherheiten mehr ohne Risiken gibt.
Der bei vielen zentralen Akteuren noch immer gern kommunizierte Hinweis auf die eigene
Organisationsstärke darf allerdings nicht darüber hinweg täuschen, dass auch das "soziale Kapital"
spätestens dann erschöpft ist, wenn es den verantwortlichen Akteuren in Politik und Wirtschaft
nicht gelingt, den massiven Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt und in der sozialen
Sicherung aktiv zu begegnen. Eine Umsteuerung könnte also auch im Interesse der etablierten
Akteure liegen. Allerdings gibt es hierfür bislang kaum gelungene Vorzeigebeispiele,
demgegenüber ist in vielen Organisationen eher ein Riss zwischen den "Modernisierern" und den
"Bewahrern" zu erkennen. Zudem sind die dominierenden Eigeninteressen und das
Beharrungsvermögen der sozialpolitischen Akteure, von den staatlichen Einrichtungen über die
Verbände bis hin zu den Berufsorganisationen, einzukalkulieren, die nach allen Erfahrungen einer
Umstrukturierung reserviert gegenüber stehen.
Es gibt scheinbar aber Auswege aus diesem Dilemma und ein prominentes Beispiel hierfür ist das
derzeit breit diskutierte Phänomen des Social Entrepreneurship (SE); es weist aufgrund seines
(scheinbar) visionären Charakters eine Attraktivität auf. Ein Ausweg aus der sich öffnenden Schere
zwischen wachsenden sozialen Aufgaben bei stagnierenden öffentlichen Finanzen scheint
!
gefunden. Aus organisationssoziologischer Perspektive handelt es sich bei SE um hybride
Organisationen, die verschiedene Handlungsorientierungen integrieren. Demzufolge sind auch
verschiedene Varianten vorhanden. SE bewegt sich dabei zwischen den Polen einer
gewinnorientierten Orientierung, einer an gemeinschaftlichen Werten orientierten Perspektive und
einer staatsorientierten bürokratischen Rationalität.
Bei näherem Hinsehen erweist sich jedoch die Übertragung eines Modells aus dem
angelsächsischen Raum auf die deutsche Wohlfahrtsstaatswirklichkeit als nur begrenzt möglich.
Eine Theoriebildung der hybriden Organisationen für Deutschland steht vor diesem Hintergrund
noch aus. Nur so könnte überprüft werden, inwiefern es sich beim SE um ein konsistentes Konzept
handelt, mit dem die neuen hybriden Strukturen zwischen Markt, Staat und Gemeinschaft besser
als mit dem bereits vorhandenen „Dritter Sektor“ Modell erfasst werden können und ggf. den
Charakter eines Leitbild für die Modernisierung der etablierten wohlfahrtsstaatlichen bzw.
sozialpolitischen Strukturen entwickeln kann. Hinzu kommt, dass eine empirische Überprüfung der
teilweise fast schon euphorisch anmutenden Einschätzungen bezüglich der Wirkungen von SE
bislang noch nicht vorgelegt wurde. Ein von der Stiftung Mercator geförderter Forscherverbund
widmet sich diesen Fragestellungen und thematisiert neben der wissenschaftlichen Aufarbeitung
des Feldes auch die gesellschaftspolitischen Auswirkungen bzw. Potenziale von SE. Im Rahmen
eines an meinem Lehrstuhl durchgeführten Projekts („Social Entrepreneurship im etablierten
Wohlfahrtsstaat. Lückenbüßer oder Innovationsinkubator“) ermitteln wir in zwei Sektoren
(„kultursensible Altenpflege und –hilfe“ sowie die „Förderung der Bildung von Kindern mit
Migrationshintergrund“), in welchem Umfang SE-Strukturen erkennbar sind, welche
Ausstrahlungskraft sie auf etablierte Trägerstrukturen aufweisen und inwiefern die aktuellen
politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen fördernd oder eher hemmend wirken.
LITERATUR:
Heinze, Rolf G., 2009: Rückkehr des Staates? Politische Handlungsmöglichkeiten in unsicheren
Zeiten, Wiesbaden: VS-Verlag
!
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