Neue Verbindungen schaffen! Impulse und Horizonte für neue Soziale Kooperationen Jahrestagung des UPJ-Netzwerks engagierter Unternehmen und Mittlerorganisationen 24. März 2011, Rotes Rathaus Berlin Wandel von Staatlichkeit. Die neue Rolle des Staates im Zusammenspiel mit engagierten Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Organisationen Prof. Dr. Rolf G. Heinze Ruhr-Universität Bochum Präsentiert von: Prof. Dr. Rolf G. Heinze Ruhr-Universität Bochum, Fakultät für Sozialwissenschaft Wandel des Staates. Die neue Rolle des Staates im Zusammenspiel mit engagierten Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Organisationen Vortrag bei der Jahrestagung des UPJ-Netzwerks engagierter Unternehmen und Mittlerorganisationen „Neue Verbindungen schaffen! Impulse und Horizonte für neue Soziale Kooperationen“ (Vorläufige Fassung) BERLIN, Rotes Rathaus, 24. März 2011 Sowohl die aktuelle Atomkatastrophe in Japan als auch 2008/2009 die globale Finanzkrise stellen für viele Beobachter eine Zeitenwende dar, die grundlegende Debatten um die Steuerungsfähigkeit und Rolle des Staates ausgelöst haben. Schon durch die Exzesse auf den Finanzmärkten hat sich sowohl das Design der Gesellschaftsdeutungen als auch die sozioökonomische Situation grundlegend gewandelt. Dominierte noch vor kurzem auch in der gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeiten ein „Ökonomismus“, so haben sich diese Überhöhungen auf der großen politischen Bühne diskreditiert. In den Sozialwissenschaften wird seit geraumer Zeit ein Wandel der Staatlichkeit von epochalem Charakter konstatiert. Er wird in sozialwissenschaftlichen Debatten mit verschiedenen Begriffen wie kooperativer Staat, aktivierender Staat, Gewährleistungsstaat oder auch zerfasernder Staat diskutiert. Einen Kern dieser Diskussion bildet die Sichtweise, dass der Staat nicht mehr das Steuerungszentrum der Gesellschaft ist – wie in einigen klassischen Theorien politischer Steuerung angenommen – sondern das jenseits staatlicher Regulierungen auch gesellschaftliche Selbstregelungsmechanismen relevant sind. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit einem einseitigen Ökonomismus einerseits und dem Scheitern zentralistischer staatlicher Planungen wird strategisch eher auf ein lernorientiertes Monitoring gesetzt, in dem Kommunikation und Kooperation, Reflexion sowie Lernfähigkeit und Transparenz als Medien der Innovation wirken können (vgl. Heinze 2009). In diesem Sinne stellt das strategische Innovations-Monitoring oder auch „Schnittstellenmanagement“ eine paradigmatische Wende in der Steuerung komplexer und dynamischer Entscheidungsprozesse zwischen den verantwortlich handelnden Akteuren in den einzelnen gesellschaftlichen Teilbereichen dar. Die traditionelle hierarchische Planung ist unter den Bedingungen von intensivierter Globalisierung und erhöhter Komplexität nicht mehr zu realisieren. So herrscht in den sozialwissenschaftlichen Debatten Einvernehmen darin, dass die Zeit des traditionellen hierarchischen Sozialstaats vorüber ist und es einen tiefgreifenden Wandel von Staatlichkeit gibt. Das permanente Aufflackern von Misstrauen gegenüber den politischen Handlungslogiken ist ein Hinweis auf tieferliegende Vertrauensverluste der deutschen Regierungspolitik. Hatte die Politik noch Ende 2008/Anfang 2009 durch ein konsequentes Vorgehen bei der Bekämpfung der globalen ! Finanzkrise Vertrauen (durch „politische Führung“) gewinnen können, so manifestieren sich in letzter Zeit an verschiedenen Punkten (nicht nur am Beispiel „Stuttgart 21“) grassierende Vertrauensverluste auf verschiedenen Ebenen (im Systemvertrauen, aber auch hinsichtlich des subjektiven Selbstvertrauens). Beim Systemvertrauen geht es um die Gleichzeitigkeit von Marktund Staatsversagen, die Sozialvertrauensverluste beziehen sich auf subjektive Verunsicherungen. Zusammengenommen ergibt sich in vielen Fragen ein erhebliches Misstrauensvotum gegenüber dem politischen System, das nicht mehr durch eine Status-quo-fixierte Politik befriedigt werden kann. Vor allem wenn sich die Regierungspolitik auf Positionen zurückzieht, es gäbe ohnehin keine alternativen Optionen, sind Legitimationskonflikte vorprogrammiert. Die schwindende Akzeptanz wird auch vorangetrieben durch die Funktionsverluste der traditionellen politischen Akteure (den politischen Parteien und Interessenvertretungen) sowie der politischen Arenen (vor allem den Parlamenten). Die politischen Organisationen scheinen inhaltlich und organisatorisch in vielen gesellschaftlichen Themenfeldern ausgehöhlt; manche Beobachter sehen schon den „Herbst“ der Volksparteien. Die verminderte Ausstrahlungskraft der politischen Parteien ist aber nicht nur über die Erosion der soziokulturellen Milieus zu erklären, sondern auch auf die Entstandardisierung und Prekarisierung von beruflichen Lebensläufen zurückzuführen. Immer mehr Individuen (gerade jüngere Erwerbspersonengruppen) – und auch nicht nur aus dem „Prekariat“, sondern aus der gesellschaftlichen Mitte – stehen unter dem permanenten Zwang, Ökonomisierungslogiken gerecht zu werden. Erwartungssicherheiten und Optionen für eine Beteiligung an politischen Organisationen gehen zurück, während neue Anforderungen durch die Globalisierung und Flexibilisierung der Arbeit an das Selbstmanagement und die Kontrollfähigkeit wachsen. Wenn es zur Aufgabe der Individuen gehört, sich selbst zu ‚managen’, geht das traditionelle Vertrauen in die Politik bzw. ganz allgemein in die sozialpartnerschaftlichen (korporatistischen) Regulierungsformen und die Parteien zurück. In der neueren Debatte um die Handlungsfähigkeit des Staates wurde generell die Bedeutung zentraler, hierarchischer Institutionen relativiert und auf die permanente Überlastung des Staates hingewiesen. Akteure und Verhandlungssysteme unterhalb oder neben der Staatsebene gerieten als Steuerungsressourcen ins Blickfeld. Die Kombination von staatlicher Steuerung und gesellschaftlicher Regulierung ist von besonderem Interesse und könnte charakterisiert werden als ein Trend zum Staat ohne Verstaatlichung. Auch international zeigt sich dieser Schwenk in Richtung Verhandlungsnetzwerke mit eigenständigen Wohlfahrtspotentialen. Die neuen steuerungstheoretischen Konzepte scheinen zwar in der offiziellen Politik angekommen zu sein, werden aber nicht systematisch umgesetzt. Dies liegt sicherlich auch an der Abarbeitung der globalen Finanzkrise (den „Rettungsaktionen“), die die staatliche Politik erheblich beansprucht und die ohnehin vorhandenen Tendenzen zur Selbstüberlastung noch verschärft. Im Gegensatz zu der geforderten neuen Rolle des Staates, der auf die kollektive Kompetenz der nicht-staatlichen Akteure und organisatorische Lern- und Innovationsfähigkeit setzen muss, dominiert derzeit in der Regierungspolitik neben der aktuellen Krisenbekämpfung die Sanierung der öffentlichen Haushalte ! (eine „Austeritätspolitik“) und eine Verschiebung der Verantwortung auf die Bürger sowie eine generelle Anspruchssenkung. Andererseits wächst die Zahl der Publikationen über die gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen, Corporate Social Responsibility (CSR) oder Corporate Citizenship (CC). Manche Beobachter sprechen schon mit Blick auf die Welt der Stifter und Spender von einer „GoodwillGesellschaft“. Solche bürgerschaftlichen Aktivitäten von Unternehmern bzw. Unternehmen sollen wohl auch mithelfen, das negative Unternehmerbild in Deutschland zu korrigieren. Es ist auch den wirtschaftlichen Akteuren klar, dass Vertrauen das zentrale „Schmiermittel“ auch jeglicher Wirtschaftstransaktionen ist und das soziale Umfeld für den Unternehmenserfolg von großer Bedeutung ist. In der neuen Debatte um Verantwortung und CSR geht es um die Frage nach den Grenzen einer Ökonomisierung der Gesellschaft und auch institutionellen Formen der sozialpartnerschaftlichen Kooperation, wie sie im klassischen deutschen rheinischen Kapitalismus üblich waren. Die Debatte um CSR ist auch ein Ergebnis des Bedeutungsverlustes des Staates, der zwar bei der direkten Regulierung der akuten Finanzkrise in den Jahren 2008 und 2009 erhebliches geleistet hat, allerdings schon durch die Verschuldung der öffentlichen Haushalte an Gestaltungskraft verloren hat. Die Fokussierung auf Bürgerengagement muss deshalb genau beobachtet werden, damit es nicht zu einer Instrumentalisierung dieser sensiblen Ressource kommt. Insgesamt kommt es zu einem öffentlichen Diskurs über einen kooperativen Staat oder auch die Neufassung der Rolle von Unternehmen in einer Gesellschaft, die einerseits immer stärker von Ökonomisierungstendenzen, andererseits immer weniger von einer strategischen Führung durch den Staat und damit der Politik geprägt wird. Empirische Studien bestätigen die These, dass CSRAktivitäten inzwischen zum selbstverständlichen Bestandteil deutscher Unternehmenspolitik gehören, wenngleich dies vor allem für Großunternehmen gilt. Die von vielen Unternehmensberatern beschworene Triple-Win-Situation durch CSR (ökologische oder soziale Projekte bekommen Unterstützung, die Unternehmen verbessern ihr öffentliches Image und die Verbraucher haben ein gutes Gewissen) überzeugt allerdings nicht in jedem Fall bzw. kann in sensiblen Bereichen (etwa bei Energiekonzernen, die sich einen „superökologischen“ Anstrich geben) auch negative Schlagzeilen produzieren, wenn sie überzogen auftreten. Vordergründige PR-Aktionen nach dem Motto „Tue Gutes und verkünde es überall“ werden folglich nicht ausreichen, um den gesellschaftlichen Verantwortungsdimensionen der Unternehmen nachzukommen. Die Wiedergewinnung von Vertrauen als existenzielles Merkmal einer erneuerten sozialen Marktwirtschaft ist ein schwieriger und langwieriger Prozess, zumal in den nächsten Jahren keine neuen Wohlstandschübe zu erwarten sind. Die wachsende Thematisierung der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen ist sicherlich auch ein Reflex auf die sozioökonomischen Verunsicherungen und die Krise des traditionellen deutschen Erfolgsmodells. Hier hat sich eine neue Debatte um die Grundprinzipien der „sozialen Marktwirtschaft“ entfacht, in denen die Ordnungsprinzipien systematisiert und auch neue Entwürfe diskutiert werden. Das traditionelle deutsche Wirtschaftsmodell, das auf diversifizierter Qualitätsproduktion und Mitbestimmung beruht, muss gerade heute (nach der ! globalen Finanz- und Wirtschaftskrise) seine Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit vor dem Hintergrund globalisierter Märkte beweisen. Trotz aller strukturellen Probleme haben wir im Kern noch immer in vielen Sektoren die Fähigkeit zur strukturellen Innovation, wenngleich sicherlich der institutionelle Rahmen erneuert werden muss. Um die Stärken zu erhalten und zu verbessern, gehört aber an erster Stelle, sich auf die globalisierte Wirtschaft und deren Dynamik voll einzustellen und sich andererseits kreativ auf die eigenen institutionellen Vorteile zu besinnen. Und dazu gehören auch die Mitbestimmungskultur und das traditionelle zumeist lokal verankerte soziale Engagement der Unternehmen. In diesem Zusammenhang können CSR-Aktivitäten sicherlich mithelfen, das negative Unternehmerbild in Deutschland zu korrigieren und die Unternehmen wieder in neue Kooperationsstrukturen mit Regierungen und Akteuren der Zivilgesellschaft zu bringen. Auch in wirtschaftstheoretischen Diskussionen werden Kooperation und Vertrauen gerade in Krisenzeiten als zentrale ökonomische Variablen betrachtet. Nur wenn Menschen Vertrauen haben, investieren sie in Autos oder Wohnungen, verlässliche Erwartungen werden aber nicht über Berechnungen im engeren Sinne aufgebaut, es geht gerade in Krisenzeiten auch um Zukunftsvertrauen. Hinsichtlich der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen hat sich der Wind in den letzten Jahren gedreht. Immer mehr Unternehmen in Deutschland verweisen explizit auf ihre gesellschaftliche Verantwortung und organisieren verschiedene Kampagnen und Aktionen. In empirischen Untersuchungen sprechen über 90 Prozent der befragten Unternehmen davon, sich gesellschaftlich zu engagieren. Das Engagement reicht von Geld- und Sachspenden über Unterstützung ehrenamtlichen Engagements bis hin zu Stiftungsgründungen. Die empirische Forschung zur gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen ist allerdings in Deutschland noch unterbelichtet –und dies gilt auch explizit für die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen und die Engagementförderung in regionalen und lokalen Netzwerken. Die zunehmende strategische Positionierung im Feld gesellschaftlicher Verantwortung (oder wie es in aktuellen Debatten meist genannt wird: von Corporate Social Responsibility) erfolgt allerdings nicht zum „Selbstzweck“, sondern dient natürlich auch der Realisierung ökonomischer Zielvorstellungen („Verantwortung kann sich rechnen!“). Verschiedene Autoren verweisen explizit auf die Wettbewerbsvorteile von CSR; insbesondere für Großunternehmen werden folgende Wettbewerbsvorteile herausgestellt: x Verbesserung des Risikomanagements und Reduzierung von Risiken x Förderung der Reputation x Verbesserung des Zugangs zu Kapital Während früher die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung eine Säule des deutschen Modells war, haben sich jedoch in dieser Frage gewichtige Verschiebungen ergeben. Im Kontext der traditionellen „Deutschland AG“ trugen Unternehmen quasi automatisch ihren Teil der öffentlichen Verantwortung, der auch durch gesetzliche Vorgaben geklärt war. Die Rückwirkungen ! auf die Gesellschaft brauchten nicht explizit eingefordert werden, sondern gehörten zur Unternehmenskultur. Diese enge Verbindung ist mit dem internationalen Durchbruch des angelsächsischen „Finanzmarktkapitalismus“ aufgebrochen und deshalb tauchen in den letzten Jahren zunehmend Fragen auf wie: Kommen Unternehmen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nach, sind sie gute Corporate Citizens? Wenn diese Fragen nicht im historischen Kontext thematisiert werden, kommt man leicht zur Hypothese, es gäbe ausgehend von angelsächsischen Vorbildern eine neue Form gesellschaftlicher Verantwortung der Unternehmen. Diese Sichtweise ist insofern verkürzt, da in den bisherigen Debatten um CSR in Deutschland die traditionell weitgefächerte Mitwirkung der Unternehmen weitgehend vernachlässigt wird. Dies bedeutet nicht, CSR als Mythos oder Modewelle entlarven zu wollen, vielmehr gilt es, eine realistische Standortbestimmung vorzunehmen und die historische Dimension in die Debatte um die gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen einzuziehen. Allerdings muss schon konstatiert werden, dass auch im Selbstbild vieler Unternehmen diese klassische Rolle oft nur noch verschwommen wahrgenommen wird und ausgehend von den Globalisierungsprozessen und dem Vordringen international agierender Großunternehmen – immer mehr Unternehmen über das klassische soziale Engagement hinaus neue Formen von CSR erproben und auch konkreter ihre „Reputationsgewinne“ resümieren. In einer zunehmend global vernetzten Wirtschaft und einem Staat, der immer mehr (nicht nur) fiskalische Handlungsspielräume einbüßt, aber auch einer Öffentlichkeit, in der sich gerade durch die Exzesse der Finanzkrise ein negatives Unternehmensbild breit gemacht hat, erscheint es den Unternehmen zunehmend attraktiv, sich einerseits selbst stärker (als „Corporate Citizens“) in die gesellschaftliche Verantwortung zu nehmen, andererseits wird es auch von ihnen im Kontext transnationaler Einbettung erwartet. Das soziale Engagement der Unternehmen spielt in der Öffentlichkeit inzwischen eine weitaus bedeutsamere Rolle und auch das Management beschäftigt sich intensiver mit der eigenen Rolle der Unternehmen. So meint inzwischen auch die große Mehrzahl der europäischen Führungskräfte, dass das gesellschaftliche Engagement der Firmen diese wettbewerbsfähiger macht. Die Zahl der Manager, die CSR oder Corporate Citizenship für „alten Wein in neuen Schläuchen“ halten, geht zurück und es ist zu einem Wandel der strategischen Bedeutung des Engagements gekommen. Bürgerschaftliches Engagement von Unternehmen wird nicht mehr als soziale Schwärmerei abgetan, sondern ist ein Trend, der sich auch in Deutschland mehr und mehr durchsetzt. Dies liegt auch an der veränderten Staatlichkeit und einen zerfasernden Staat, der allein nicht mehr das Steuerungszentrum darstellt. Wie bereits betont, kann der Staat aber nicht generell zum Rettungsanker bei Marktversagen werden. Es gibt viele Hinweise, dass er als Träger innovativer Vernetzungsprozesse sogar überfordert ist. Deshalb kann der aktivierende Sozialstaat nur zusammen mit einer aktiven Gesellschaft und aktiven Unternehmen konzipiert werden. Für diesen Umbauprozess in Richtung auf eine bessere Balance zwischen Staat, Markt und aktiver Gesellschaft liegt aber kein Drehbuch vor. Angesichts des dramatischen Marktversagens und der ! drohenden Überforderung des Staates sind in dieser historischen Phase wieder die gesellschaftlichen Ordnungsleistungen gefragt. Konsens besteht sowohl in wissenschaftlichen Diskursen als auch in politischen Diskussionen, dass nach attraktiven Ergänzungen und Alternativen zu den klassischen etatistischen Herrschaftsformen zu suchen ist. Inzwischen finden sich in fast allen Politikfeldern auch Expertenkommissionen und gemischt zusammengesetzte Netzwerke, die sich durch eine enge Verzahnung zwischen Staat, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft auszeichnen. Ein Funktionswandel vom hierarchischen zum moderierenden Staat ist einerseits schon länger zu beobachten und andererseits werden durch die Einbeziehung gesellschaftlicher Institutionen auch neue Ressourcen, Informationen und damit Handlungsoptionen erschlossen. Dafür ist eine neue Schnittstellendynamik zwischen dem Staat und außerstaatlichen Akteuren (auch aus der Wirtschaft) erforderlich, die sich bislang nur in Konturen abbildet. Sozialinvestive politische Strategien sind vor dem Hintergrund der Finanzmarktkrise allerdings immer schwerer zu realisieren, denn langfristig angelegte Strategien können nach den Exzessen auf den Finanzmärkten und dem zerstörten Vertrauen noch schwieriger umgesetzt werden. Genau in dem Augenblick, in dem Integrationschancen und Sicherheiten angesichts der globalen ökonomischen Krisen prekär werden, sind auch die herkömmlichen Methoden der Risikoabsicherung selbst riskant geworden und erfordern weder eine Verstaatlichung noch eine (ohnehin derzeit diskreditierte) Vermarktlichung. Beansprucht wird vielmehr eine Komplementarität zwischen Politik, Wirtschaft, gemeinschaftlicher Handlungsfähigkeit (einer „aktiven“ Bürgergesellschaft) und auch Eigenverantwortung. Wo sind aber die Akteure, die ein solch kreatives Schnittstellenmanagement umsetzen können? Die Handlungsmöglichkeiten der Regierung sind erschöpft, eine Strategieschwäche prägt die deutsche Politik schon länger und auch die selbstorganisatorischen Steuerungskompetenzen sind durch die vielfältigen Ökonomisierungsanforderungen weitgehend absorbiert. Entgrenzungen stellen aber nicht nur Gefährdungen dar. Indem die Individuen die verschiedenen Systemlogiken selbst ausbalancieren müssen, wachsen auch die Fähigkeiten zur Selbststeuerung und Aktivierung von Kompetenzen wie Bürgerengagement und gemeinschaftlicher Handlungsfähigkeit. Und dies gilt auch für das politische System; wenn es auch strukturell verkrustet ist, gibt es doch inkrementalen Wandel. Gefordert ist aber mehr: die komplexen Herausforderungen verlangen nach balancierten Verknüpfungen zwischen den Handlungslogiken von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Alle bislang vorliegenden Erfahrungen besagen, dass der Wandel von Regulationsstrukturen nur über kooperativ und experimentell ausgerichtete, zeitraubende und manchmal enttäuschungsreiche Planungs- und Gestaltungsprozesse möglich ist. Die Zusammenarbeit wird oft dadurch beeinträchtigt oder kommt überhaupt nicht zustande, weil einzelne Akteure befürchten, übervorteilt zu werden. ! In einzelnen Sektoren und Regionen scheinen solch strategische Überlegungen zur Zusammenführung von staatlicher und privater Handlungskompetenzen aber angekommen zu sein und es zeichnet sich schemenhaft eine neue kooperativ organisierte Staatlichkeit ab, weil der Staat ohne die Mitwirkung privater Akteure und Organisationen gar nicht die geforderten Kompetenzen und finanziellen Ressourcen besitzt. Auch der soziökonomische Wandel geht auch international in Richtung von einer „managed“ zu einer „entrepreneurial economy“; die Frage bleibt, wie dieser Wandel politisch gestaltet werden soll oder ob er nur toleriert oder sogar verdrängt wird. Manche Länder entwerfen kreative Zukunftsperspektiven, wie in den verschiedenen gesellschaftlichen Feldern mit einer verstärkten Selbstständigkeitsorientierung umgegangen wird. Empirische Indikatoren verdeutlichen, dass sich eine „Kultur der Selbstständigkeit“ zukünftig weiter ausbreiten wird, ob dies politisch wünschenswert erscheint oder nicht. Aber nicht nur in der sicherlich ambivalent zu beurteilenden Frage der Existenzgründungen, sondern auch in anderen Feldern gelingt es den sicherheitsfixierten Deutschen offenbar nur schwer, sich auf die neuen Herausforderungen der globalisierten und wissensorientierten Wirtschaft aktiv einzustellen. Dies gilt auch für die deutsche Wirtschaft, deren Akteure oft die unternehmerische Gesellschaft ausrufen, aber nur in wenigen Fällen zu den innovativen Kräften zählen. Die traditionellen deutschen Selbstzweifel scheinen aber in der jüngeren Generation derzeit im Rückgang begriffen zu sein, was nicht unwesentlich darauf zurückzuführen ist, dass die traditionellen Aufstiegsversprechungen nicht mehr verfangen und auch der symbolische „Kitt“ der Mittelstandsgesellschaft auseinanderbröselt. Es ist bereits im Zusammenhang mit neuen Wertorientierungen bei jungen Menschen auf einen wachsenden Pragmatismus und dem Wunsch nach mehr Selbstbestimmung hingewiesen worden, während die resignierende Anpassung eher zurückgeht. Neuere Untersuchungen sprechen auch von einem weitgehend positiven Unternehmerbild und der wachsenden Offenheit, selbst unternehmerisch tätig zu werden. Diese Indizien sollten auch in den sozialwissenschaftlichen Debatten ernstgenommen werden, denn hier zeigen sich Aufbrüche, die auf einen neuen Vergesellschaftungsmodus hinweisen, der grob umschrieben werden kann mit der Formel „Mach dein Ding“. Die Besinnung auf die eigene Kreativität und die Suche nach einer beruflichen Selbstständigkeit wird auch geweckt durch die schlechten Einstiegschancen gerade für junge, hochqualifizierte Menschen. „Young, educated and unwanted“ ist nicht nur in den USA eine Formel, die viele junge Leute in Existenzgründungen treibt, zumal im Umfeld der Internetwirtschaft die finanziellen Mittel für eine Gründung oft eher überschaubar sind. Sicherlich kann hieraus nicht abgeleitet werden, die neuen Selbstständigen wären der Träger einer neuen Mitte, die sich nun in allen westlichen Gesellschaften ausbreitet. Die Realitäten einer globalisierten und zunehmend sozial fragmentierten Gesellschaft bilden ein „raues Klima“ für jedes neue Unternehmen und deshalb werden viele Hoffnungen auch wieder enttäuscht werden. Dennoch bleiben einige Fakten, die nicht nur auf eine Zerstörung der Mittelschichten hindeuten, sondern auch noch immer Entfaltungsspielräume für selbstbestimmtes und gleichzeitig sozial orientiertes Handeln bieten. Sozioökonomisch ist hier vor allem der weiter gewachsene ! Dienstleistungssektor zu nennen, der in manchen Sektoren berufliche Perspektiven bietet. Aber auch darüber hinaus gewinnen im Lebensalltag Dienstleistungsinteraktionen an Bedeutung, so dass das klassische (konservative) deutsche Wohlfahrtsregime als ein Transferstaat real transformiert wurde in einen Wohlfahrtsstaat mit ausgebautem sozialem Dienstleistungssektor. Hierdurch werden die sozialen Dienste aber auch zu Impulsgebern des sozialen Wandels, allerdings können sie nur unter der Voraussetzung erfolgreich sein, dass sie nicht isoliert erbracht werden, sondern auf Formen der Kooperation und Vernetzung auf lokaler bzw. regionaler Ebene zurück greifen können. In den Diskursen um einen sozialen Investitionsstaat werden dementsprechend die sozialen Dienste nicht nur als Versorgungsinstanz definiert, sondern auch mit Aktivierungsaufgaben und Eigenverantwortung verbunden. Ob die politisch neu akzentuierten Formen eines „Wohlfahrtsmix“ in den verschiedenen Feldern (aktuell intensiv in der Familien- und Bildungspolitik) akzeptiert werden und sich erfolgreich ausbreiten, ist damit noch nicht endgültig entschieden. Die neuen Verschränkungen von sozialstaatlichen, marktbezogenen und bürgergesellschaftlichen Elementen bspw. in sozialen Einrichtungen und Diensten werden nicht umsonst als hybride Organisationsformen bezeichnet. Die Fokussierung auf Eigenverantwortung im Rahmen eines Wohlfahrtsmix sollte jedoch nicht als Aufforderung zur Privatsierung und einen Rückzug des Staates verstanden werden, vielmehr geht es um die Mobilisierung und Stärkung freiwilligen sozialen Engagements. Der Blick in vergleichbare Länder demonstriert, dass sich Regierungspolitik nicht zu sehr auf die Verteidigungsposition des status-quo beschränken darf, gefragt sind vielmehr positive Szenarien für eine neue Landkarte „positiver Wohlfahrt“. Es ist auffällig, wie häufig in Deutschland davon die Rede ist, der Wohlstand müsse „erhalten“ bleiben. Dass Wohlstand vielmehr täglich neu geschaffen werden muss, wird unterschlagen. Doch in Deutschland dominieren eher defensive Positionen. Die Zumutung des Wandels ins Positive zu wenden, impliziert auch einen anderen Politikstil und die Offenheit zu kommunizieren, dass es keine Sicherheiten mehr ohne Risiken gibt. Der bei vielen zentralen Akteuren noch immer gern kommunizierte Hinweis auf die eigene Organisationsstärke darf allerdings nicht darüber hinweg täuschen, dass auch das "soziale Kapital" spätestens dann erschöpft ist, wenn es den verantwortlichen Akteuren in Politik und Wirtschaft nicht gelingt, den massiven Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt und in der sozialen Sicherung aktiv zu begegnen. Eine Umsteuerung könnte also auch im Interesse der etablierten Akteure liegen. Allerdings gibt es hierfür bislang kaum gelungene Vorzeigebeispiele, demgegenüber ist in vielen Organisationen eher ein Riss zwischen den "Modernisierern" und den "Bewahrern" zu erkennen. Zudem sind die dominierenden Eigeninteressen und das Beharrungsvermögen der sozialpolitischen Akteure, von den staatlichen Einrichtungen über die Verbände bis hin zu den Berufsorganisationen, einzukalkulieren, die nach allen Erfahrungen einer Umstrukturierung reserviert gegenüber stehen. Es gibt scheinbar aber Auswege aus diesem Dilemma und ein prominentes Beispiel hierfür ist das derzeit breit diskutierte Phänomen des Social Entrepreneurship (SE); es weist aufgrund seines (scheinbar) visionären Charakters eine Attraktivität auf. Ein Ausweg aus der sich öffnenden Schere zwischen wachsenden sozialen Aufgaben bei stagnierenden öffentlichen Finanzen scheint ! gefunden. Aus organisationssoziologischer Perspektive handelt es sich bei SE um hybride Organisationen, die verschiedene Handlungsorientierungen integrieren. Demzufolge sind auch verschiedene Varianten vorhanden. SE bewegt sich dabei zwischen den Polen einer gewinnorientierten Orientierung, einer an gemeinschaftlichen Werten orientierten Perspektive und einer staatsorientierten bürokratischen Rationalität. Bei näherem Hinsehen erweist sich jedoch die Übertragung eines Modells aus dem angelsächsischen Raum auf die deutsche Wohlfahrtsstaatswirklichkeit als nur begrenzt möglich. Eine Theoriebildung der hybriden Organisationen für Deutschland steht vor diesem Hintergrund noch aus. Nur so könnte überprüft werden, inwiefern es sich beim SE um ein konsistentes Konzept handelt, mit dem die neuen hybriden Strukturen zwischen Markt, Staat und Gemeinschaft besser als mit dem bereits vorhandenen „Dritter Sektor“ Modell erfasst werden können und ggf. den Charakter eines Leitbild für die Modernisierung der etablierten wohlfahrtsstaatlichen bzw. sozialpolitischen Strukturen entwickeln kann. Hinzu kommt, dass eine empirische Überprüfung der teilweise fast schon euphorisch anmutenden Einschätzungen bezüglich der Wirkungen von SE bislang noch nicht vorgelegt wurde. Ein von der Stiftung Mercator geförderter Forscherverbund widmet sich diesen Fragestellungen und thematisiert neben der wissenschaftlichen Aufarbeitung des Feldes auch die gesellschaftspolitischen Auswirkungen bzw. Potenziale von SE. Im Rahmen eines an meinem Lehrstuhl durchgeführten Projekts („Social Entrepreneurship im etablierten Wohlfahrtsstaat. Lückenbüßer oder Innovationsinkubator“) ermitteln wir in zwei Sektoren („kultursensible Altenpflege und –hilfe“ sowie die „Förderung der Bildung von Kindern mit Migrationshintergrund“), in welchem Umfang SE-Strukturen erkennbar sind, welche Ausstrahlungskraft sie auf etablierte Trägerstrukturen aufweisen und inwiefern die aktuellen politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen fördernd oder eher hemmend wirken. LITERATUR: Heinze, Rolf G., 2009: Rückkehr des Staates? Politische Handlungsmöglichkeiten in unsicheren Zeiten, Wiesbaden: VS-Verlag !