Ringvorlesung zu Sigmund Freuds 150. Geburtstag: „Über die

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Andreas Weber-Meewes (Dipl.-Psych.)
Psychoanalytische Praxis
Elbchaussee 362
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E-Mail: [email protected]
Ringvorlesung zu Sigmund Freuds 150. Geburtstag:
„Über die allgemeinste Erniedrigung des Liebeslebens“ (Freud, 1912) –
Ausgangspunkt psychoanalytischer Reflektionen über die Männlichkeit
David Lynchs Film „Blue Velvet“ handelt von einem jungen Mann am Ende der
Adoleszenz, der in einer amerikanischen Kleinstadt lebt und mit einem braven
Mädchen ausgeht. Der junge Mann wirkt zuerst ein wenig naiv und erscheint
dann gänzlich verängstigt, als er in Verwicklungen mit dem weitaus älteren
Gangster Frank gerät, einem perversen Sadisten. Frank hält eine wunderschöne
laszive Sängerin mit Morddrohungen in seiner Gewalt und lässt sie auch in
seinem Nachtclub auftreten. Er kontrolliert sie total, er schreibt ihr auch das für
ihn so erregende blaue Samtkleid vor, zudem den Song „Blue Velvet“; er
berauscht sich an ihrem Auftritt, zudem an Drogen und Alkohol und er
vergewaltigt sie in seinem Rausch dann immer wieder aufs Neue, wann immer
er den Kick seiner sadistisch–fetischistischen Perversion braucht.
Der junge Mann ist bald von Franks Opfer fasziniert, sie ist von der
Unterwerfung und dem Dienst an ihrem Peiniger gezeichnet, sie wird erniedrigt,
gequält und sie wird doch - und wohl gerade so - auch Objekt der Begierde des
jungen Mannes, sie entkommt ihrer Rolle nicht wirklich. Erst als der junge
Mann gezwungenermaßen den Mut findet, selbst gewalttätig zu werden und sich
dann im Kampf gegen Frank behaupten kann, gewinnt er wieder an Freiheit und
kann dann als ernsthafter Mann zu seinem braven Mädchen zurückkehren,
nunmehr auch gezeichnet von der Furcht vor den Untiefen seiner Begierden.
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Der ganze Film wirkt wie ein Blick in die innerpsychische Welt eines
werdenden Mannes, in dem ein Kampf zwischen guten und - phylogenetisch
älteren? - bösen Selbstanteilen tobt, in dem die zärtliche Liebe, verkörpert durch
den jungen Mann, mit einer perversen und wütenden Lust ringt, also mit Frank
und damit auch mit dem heftigen Begehren gegenüber einem, vom gemeinen
Sexus gezeichneten und ausstaffierten, gedemütigten und zum baren Lustdienst
gezwungenen Weib und Ausbund an sexueller Attraktivität.
David Lynch beginnt seinen Film mit einer besonderen Kameraperspektive: von
weit oben erkennt man zuerst die amerikanische Kleinstadt, dann die Grundzüge
eines gutbürgerlichen Vororts. Die Kamera zoomt den Betrachter immer näher
an ein Einfamilienhausidyll heran, entgegen allen Erwartungen erhält man aber
keinen Einblick in das häusliche Leben, die Kamera hält auf den Garten zu, den
gepflegten Rasen neben der Einfahrt, immer näher, bis sie zwischen die
Grashalme fährt und dort unter der sichtbaren Oberfläche einen Krieg der
Insekten offenbart, den ganz alltäglichen, Jahrmillionen alten evolutionären
Kampf ums Überleben und sich Fortpflanzen in der Natur.
I. Freuds frühe Thesen über die Männlichkeit in der Schrift "Über die
allgemeinste Erniedrigung des Liebenslebens", (1912)
Freud näherte sich dem inneren Ringen der Männer zwischen wütendrauschhaftem Begehren und Respekt vor der geliebten Frau ähnlich wie David
Lynch in dieser ersten Kameraeinstellung, auch Freud nimmt zuerst etwas
scheinbar Harmloses ins Zentrum seiner Betrachtungen und nähert sich seinem
eigentlichen
Gegenstand
dann
sukzessiv
an.
Ausgangspunkt
seiner
Überlegungen in der 1912 veröffentlichten Schrift "Über die allgemeinste
Erniedrigung des Liebenslebens". ist die s. E. häufigste Sorge, die Männer zum
Analytiker treibe: die psychogen bedingte Impotenz (Freud, 1912). Bei diesen
Fällen, so hätten seine Analysen ergeben, seien die zärtliche und die sinnliche
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Strömung nicht zusammengekommen, deren Vereinigung erst ein kulturell
gewünschtes Liebesverhalten sichere.
Die zärtliche Strömung sei die ältere und reiche bis weit in die früheste Kindheit
zurück. Sie entspringe der primären Objektwahl des Knaben. Im Rahmen der
Pubertät trete dann die mächtige sinnliche Strömung hinzu. Die Inzestschranke
fordere nun aber endgültig den Übergang zu fremden Objekten, die mit der Zeit
auch die Zärtlichkeit an sich ziehen sollten. Eine starke Fixierung an die frühen
Objekte verhindere häufig den kulturell geforderten Fortschritt, das Ergebnis
einer starken unbewussten Fixierung, zumeist an die Mutter, sei dann die
absolute Impotenz des Mannes, der in der erzwungenen Regression am
Inzesttabu scheitere. Soweit nichts Neues für uns.
In Bezug auf die Männer seiner Zeit kommt Freud in Sachen Impotenz dann
aber zu der folgenden bemerkenswerten Einschätzung: " Wenn wir ... nach den
Abschattungen ihrer Symptomatologie ausschauen, dann können wir uns der
Einsicht nicht verschließen, dass das Liebesverhalten des Mannes in unserer
heutigen Kulturwelt überhaupt den Typus der psychischen Impotenz an sich
trägt. Die zärtliche und die sinnliche Strömung sind bei den wenigsten …
gehörig miteinander verschmolzen, fast immer fühlt sich der Mann in seiner
sexuellen Betätigung durch den Respekt vor dem Weibe beengt … was
wiederum durch den Umstand mitbegründet ist, dass in seine Sexualziele
perverse Komponenten eingehen, die er am geachteten Weibe zu befriedigen
sich nicht getraut. " … " Wo sie lieben, begehren sie nicht, und wo sie begehren,
können Sie nicht lieben … Erst wenn die Bedingung der Erniedrigung erfüllt ist,
kann sich die Sinnlichkeit … freier äußern, … und hohe Lust entwickeln." (ebd.;
Hervorhebungen A.W.-M.)
Also eine bemerkenswerte These: nur unter der Bedingung der Erniedrigung der
Frau fänden die meisten Männer, so Freud für seine Zeit, volle sexuelle
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Befriedigung!
Des weiteren stellte Freud an gleicher Stelle fest, dass für die beschriebene
Spaltung von Liebe und höchster Lust möglicherweise auch etwas am
männlichen Begehren selbst mit verantwortlich zu machen sei: Bei der
entwicklungsgemäßen Zusammenführung der infantilen Triebkomponenten
komme es eben auch zur Inkorporierung von Schmutzlust und Sadismus, die
zumindest Teile des männlichen Begehrens in Richtung auf ein ungeliebtes,
weibliches Objekt drängen würden (ebd.), das beschmutzt und erniedrigt werden
kann oder schon von kollektiver Erniedrigung gezeichnet ist, wie wir dann
weiter schließen können. Spätestens die pubertären Triebverstärkungen drängten
dann oftmals große Teile des Begehrens in Richtung erniedrigter oder zu
erniedrigender weiblicher Wesen.
Und Freud ging noch weiter: Schon in den „Drei Abhandlungen zur
Sexualtheorie“ hatte er wenige Jahre zuvor eine in der Biologie wurzelnde
maskuline Neigung zu Nötigung und Vergewaltigung behauptet: „Die Sexualität
der meisten Männer zeigt eine Beimengung von Aggression, von Neigung zur
Überwältigung, deren biologische Bedeutung in der Notwendigkeit liegen
dürfte, den Widerstand des Sexualobjektes noch anders als durch die Akte der
Werbung zu überwinden.“ (Freud 1905, Fischer Studienausgabe, S. 67).
Nun stellt sich für uns zuerst die Frage: Gilt das auch heute noch? Wo sie
begehren, da lieben sie nicht …
nachdem in den letzten 100 Jahren vermutlich mehr Liebe in die Kinderzimmer
eingekehrt ist, weniger geprügelt wurde, seit die Sauberkeitserziehung ganz
anders vor sich geht, die Stellung der Frauen eine umwälzende soziale
Veränderung erfahren hat, nachdem Empfängnisverhütung allgemein zugänglich
wurde, nachdem die sexuellen Umwälzungen der 60 und 70ger Jahre stattfanden
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und der „Machismo“ doch zumindest eine verstärkte öffentliche Ächtung
erfahren hat?
Vor allem zwei gesellschaftliche Oberflächenphänomene weisen auf einen
ungebrochenen maskulinen Hang zur sexuellen Erniedrigung von Frauen hin:
1.
Männer
konsumieren
massenhaft
pornographische
Produkte
als
Masturbationsstimulanzien (Schmidt, 1986 und 1987), in denen Frauen zumeist
erniedrigt dargestellt werden. Schmuddelig, gemein, geradezu dümmlich, und
die beteiligte Frau erniedrigend muss ein Verkaufsschlager der Pornoindustrie
sein; zugespitzt formuliert: „Nur ein schlechter Porno ist ein guter Porno“, denn
das Produkt muss aus Sicht des Konsumenten eben relativ primitiven Regungen
entgegenkommen.
2. Männer aus allen Schichten gehen nach wie vor in Massen zu Prostituierten
und den meisten Freiern dürfte irgendwie bekannt sein, dass es sich bei den
Huren zumeist um gequälte, oft von Zuhältern zur Prostitution gezwungene
Mädchen oder Frauen handelt. Sie nehmen also auch heute bewusst an einem
kollektiven, z. T. grausamen Gebrauch dieser Frauen teil.
Der Bundesrechnungshof ging für 2002 von 400.000 Prostituierten in
Deutschland aus, die mindestens mit einem anzunehmenden Umsatz von 20
Milliarden Euro allein für 2002 steuerpflichtig gewesen wären. Bleiben wir bei
der Zahl, die wohl nicht alle illegalen Prostituierten berücksichtigt, schicken
davon 10% in den Urlaub und 10% in den Krankenstand, gehen des weiteren
von einer 5-Tage-Woche aus und von nur 2 Freiern pro Prostituierter und Tag,
dann macht das in der Woche etwa 3.500.000, im Monat ca. 14.000.000
Kontakte zwischen Prostituierten und Freiern. Die letzte Rechnung mag
statistisch nicht ganz korrekt sein, genügt aber dem Zweck, die ungefähre
Dimension des Massenphänomens Prostitution aufzuzeigen.
Werden Prominente beim Konsum von käuflichem Sex erwischt, so spiegelt der
folgende „Skandal“ die kollektive Lust am öffentlichen Anprangern eines
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Sündenbocks, dem gegenüber sich die anderen Männer und auch deren Frauen
absetzen können, als ob in ihrer Lebenswelt gleiches fremd wäre. Auch die
Heftigkeit der Skandale verweist also auf die versteckte Ubiquität des
angeprangerten Tuns.
Allein schon Pornographie und Prostitution geben also gute Gründe, davon
auszugehen, dass sich seit Freuds frühen Einschätzungen der männlichen
Luststruktur zumindest viel weniger geändert hat, als wir es vielleicht gerne
hätten. Damit stellt sich insbesondere die Frage:
II.: Wie kommt es also zu diesem sadistisch getönten Begehren? Wie sieht
der entsprechende Entwicklungsgang vom Knaben zum Mann aus?
Ich werde mich im Folgenden v.a. dieser Frage widmen,
bzw. die Wirkungen einzelner Entwicklungsumstände für die erwachsene
männliche Psyche diskutieren. Dabei werde ich mich zuerst frühen Kränkungen
zuwenden bzw. den dabei entstehenden Kompensationsmustern, dann dem
frühen Bild des mütterlichen Objektes und schließlich der Funktion des „frühen“
väterlichen Einflusses. Danach werden ödipale und postödipale Momente im
Zentrum meiner Überlegungen stehen.
II.1. Präödipale Entwicklungsvorgänge:
II.1.a. Kränkungen und narzisstischer Ausgleich
Psychoanalytiker unterschiedlichster Schulrichtungen sind sich weitgehend
darin einig, dass die frühesten Objekt- und Selbstrepräsentanzen in gute und
böse Anteile gespalten werden. (vgl. dazu Ausführungen von Abraham, Freud
(1915), Klein (1960), Kernberg (1997), Mahler, Ogden, , u. v. a. m. ). Das erste
Objekt der Lust und der Liebe des Kindes ist auch das erste Objekt des Hasses
(Freud, 1915), zumeist die Mutter. Nicht der Wunsch zu töten oder zu
vergewaltigen, wohl aber die Fähigkeit zu hassen und Triebregungen in
liebevolle und destruktive Komponenten aufzuspalten, gehört scheinbar zu den
grundlegenden Fähigkeiten jedes Kindes.
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„Warum also verarbeiten Jungen auf ihrem Weg vom Knaben zum Mann die
frühen Spaltungen des mütterlichen Objektes so oft pervers (und damit
womöglich anders als die Mädchen)?“ muss die Präzisierung unserer obigen
Frage lauten, wenn wir sadistischen Tönungen der männlichen Sexualität auf die
Spur kommen wollen.
Beide Geschlechter identifizieren sich im Zuge der Identitätsbildung anfänglich
intensiv mit dem mütterlichen Objekt. Das Mädchen kann diese Identifizierung
weitgehend beibehalten, muss späterhin das Objekt der Begierde tauschen, der
Junge kann zwar zumindest vorerst sein Objekt der Begierde beibehalten, er
muss
aber
auf
dem
Wege
zur
Ausbildung
seiner
heterosexuellen
Geschlechtsidentität nach dem Erkennen des Geschlechtsunterschiedes eine
weitgehende Entidentifizierung von der Mutter vornehmen und sich verstärkt
am Vater orientieren, wie Greenson (1982) ausführlich beschrieben hat.
Wir müssen uns diese Entidentifizierung von der Mutter als problematischen
Vorgang vorstellen. Sie war bisher das Wichtigste im Leben des Jungen, die
Herrin über Busen und Nahrung, Zuneigung und Sicherheit. Und nun soll er
darauf verzichten, genau wie sie zu werden, bisher gewisse Sicherheiten
bietende Identitätsanteile aufgeben und durch neue ersetzen.
Exkurs: Einen Hinweis auf die besondere Dramatik dieses Entidentifizierungsvorgangs für die
Entwicklung der männlichen Geschlechtsidentität können wir ethnopsychoanalytischen
Forschungen entnehmen. So berichten Theodore und Ruth W. Lidz (1986) von Volksgruppen
auf Neuguinea, bei denen die Jungen bis zu den Pubertätsriten in den Häusern der Mädchen
und Frauen bzw. Mütter aufwachsen und bis zur Adoleszenz nur wenig Kontakt zu den
Vätern bzw. Männern haben. Im Kulthaus der Männer würden die Jungen dann im Zuge der
Initiation lange Zeit folterartigen Qualen ausgesetzt und zutiefst verängstigt. Oft würden der
Penis, die Zungen und selbst die Harnröhren der Jungen zum Bluten gebracht, um sie
symbolisch von den, für einen Mann vermeintlich lebensgefährlichen, weiblichen
Verunreinigungen durch Geburtsblut ihrer Mütter zu reinigen. Im Kulthaus der Männer
würden als Ahnengeister verkleidete Junggesellen die Initianden per Fellatio „den Penis essen
und den Samen trinken“ lassen, damit sie zu Männern heranreifen könnten. Zusätzlich komme
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es oft unter erheblichen Qualen, Todesdrohungen und Verängstigungen zu Beschneidungsund Wiedergeburtszeremonien im Zeichen der männlichen Ahnen, wobei Lidz und Lidz
besonderen Wert auf den Umstand legen, dass die Wiedergeburt als Mann nun symbolisch
durch einen Ahnherrn und damit eben durch einen Mann geschehe.
Lidz u. Lidz interpretierten diese Vorgänge vor allem im Hinblick auf die lang dauernde,
intensive Nähe zwischen Müttern und Söhnen während der vorhergehenden Lebenszeit. Die
weiblichen Identitätsanteile sollen bei den Initianden zerstört werden. Gewaltsam erzwungene
Regressionen einerseits, erzwungene Angst und Abscheu vor allem Weiblichen andererseits
sollen eine Identifizierung mit einem männlichen Ahnen und Aggressor einleiten, die zum
zentralen Identitätsbestandteil des zukünftigen Kriegers ausgebaut werden soll. Die Autoren
bezweifeln, dass die starke, primäre Identifizierung mit der Mutter auf diese Weise wirklich
ganz gebrochen werden könne. Vielmehr werde so ein permanenter Konflikt in den jungen
Männern geschaffen, die sich von jetzt an immer wieder aus ihrem Innern in ihrer männlichen
Identität gefährdet sehen und letztere dann immer wieder aggressiv beweisen müssten. Die
Regeln des Männerbundes gäben dabei auch den Umgang mit diesen Konflikten im
Zusammenleben mit den Frauen vor: die minderwertig erachteten Identitätsanteile werden bei
den Frauen projektiv untergebracht, die Verachtung der Frauen als kulturtypisches Element
werde dadurch aufrechterhalten (ebd.).
In unserem kulturellen Zusammenhang setzt die Identifizierung des Jungen mit
dem Vater im Vergleich zu den eben geschilderten Verhältnissen sehr viel
früher ein, gleichwohl bringt das zumindest teilweise Aufgeben der
Identifizierung mit der Mutter für die meisten Jungen zuerst eine frühe und
besondere Schwächung des frühen Identitätsgefüges mit sich.
Gerade auch die sich immer mehr aufdrängende und kränkende Erkenntnis,
selbst niemals in der Lage zu sein, Kinder zu bekommen, bleibt für die Zukunft
zumindest durch die einfache Identifizierung mit einem vielleicht häufig
abwesenden Vater nur schwer zu kompensieren (vgl. Horney, 1932; Benz,
1982). Eigene Kreativität wächst nur langsam, wie soll der Junge sich für den
kreatürlichen Mangel seines Geschlechtes schon einen angemessenen Ausgleich
schaffen?
8
M. E. entsteht hier ein früher und zugleich bedeutender Teil jener schmerzhaften
Lücke im Selbstwertgefüge, die für die spätere, erhöhte Perversionsneigung von
Männern verantwortlich zu machen ist. Die Kränkung, nicht wie die frühe
Mutterimago zu sein, schafft im Zusammenspiel mit anderen zum Teil früheren
Kränkungen wie zum Beispiel dem Verlust der mütterlichen Brust (Bergler und
Eidelberg, 1933 ; Freud, 1917), und vor allem notwendigen erzieherischen
Einschränkungen neidische Wut auf die mütterlichen Fähigkeiten, insbesondere
auf ihre Macht; zugleich ist sie das Objekt seiner ersten sexuellen Begierden, so
dass hier der spätere Wunsch seine strukturelle Basis erhält, die entstandene
depressive
Lücke
im
narzisstischen
Identitätsgefüge,
zukünftig
mit
beglückender, Lust spendender und zugleich den neidischen Hass befriedigender
Männlichkeit d.h. mit Phallizität nachträglich zu füllen; die erniedrigte Frau soll
dann später dem Phallus, der Männlichkeit huldigen, wie im Drehbuch der
meisten pornographischen Produkte festgelegt; die spätere Perversionsneigung
des erwachsenen Mannes, also des inzwischen erwiesenermaßen „Nicht-FrauWesens“, fungiert dann im Sinne Morgenthalers (1984) als antidepressive,
narzisstische Plombe im zerbrechlichen Identitätsgefüge, als Schutz vor der
Panik, die jeden beim Untergang der Ichbewußtheit im Chaos jenseits des
symbolischen Bereiches erfasst.
Vermutlich erwerben sogar fast alle Männer im Zuge der Entidentifizierung von
der Mutter, also auch im Zuge der dramatischen Depotenzierung früherer
Allmachtsphantasien,
die
spezielle
Anlage
Unterlegenheitsangst
und
Kränkungen
zu
einer,
späterhin
kompensierenden,
perversen
Sexualbetätigung, in der die individuelle Bedeutung der möglichen Partnerin
dann auf bloße Funktionen im Triebgeschehen reduziert wird.
An die Stelle der mütterlichen Hand und der - zuerst noch in Identifizierung mit
ihr
möglichen
-
Autoerotik
tritt
im
Zuge
der
voranschreitenden
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Entidentifizierung die narzisstische Masturbation, auf die Dauer verbunden mit
entsprechenden, v.a. auch unbewussten Phantasien. Laufer und Laufer sprechen
langfristig
von
der
Entstehung
einer
„zentralen
unbewussten
Masturbationsphantasie“ (1989), der dann späterhin die zumeist perversen
Grundphantasien entspringen, die z.B. in masturbatorisch konsumierten Pornos
ihren Ausdruck finden.
Ganz besondere Bedeutung misst Stoller (1975) bei der Ausprägung solcher
grundlegender Phantasien der Feindseligkeit zu; er hält sie für den
entscheidenden Motor zur späterhin phantasierten, aber auch zur inszenierten
sexuell-lustvollen Kompensation früherer Verängstigungen, Kränkungen und
demütigender Niederlagen aus den Tagen der frühen Kindheit. Gemäß Stoller
gibt es für fast jeden Mann die passende, auf seine spezielle Kindheits- und
Kränkungsgeschichte
zugeschnittene
perverse
bzw.
pornographische
Inszenierung eines rachsüchtigen, orgiastisch-potenten Triumphes, zumeist über
die ehemals demütigende oder einfach auch nur in ihrer beneideten
Überlegenheit beängstigende Frau respektive Mutter.
Statt in der Konfrontation mit der Frau auch die alte Demütigung zu fühlen,
erlebt der erwachsene Akteur auf der Bühne seiner risikoreich inszenierten Lust
dann Überlegenheit und triumphale Rache, die häufig nur wenig verschleiert
stattfindet, in der üblichen heterosexuellen, sadistisch getönten Pornographie
meist unter dem Deckmantel der gespielten Lust einer phallisch angegriffenen
Frau.
Möglicherweise
wird
die
tendenziell
sadistische
Perversionsneigung
erwachsener Männer als Versuch, frühe von Seiten der Mutter erfahrene
Kränkungen zu kompensieren, zumindest für manche heranwachsende Jungen
durch moderne soziale Trends eher noch verstärkt, wie Ulrike Schmauch
(1997) vermutet. Die gesamte Welt der Erziehung incl. Schule und Kindergarten
und damit auch die Kultur der notwendigen aber schmerzhaften Kränkungen, ist
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in den ersten Lebensjahren nach wie vor, oder in den Fällen allein erziehender
Frauen gar mehr denn je frauendominiert, zugespitzt könnte man sagen,
Kränkungen sind zuerst weiblich.
Als Ausgleich für die nicht mögliche Identifizierung mit der mütterlichen
Übermacht, zugleich als Ausgleich für das frühe Fehlen der Väter, treten dann
für den Heranwachsenden immer mehr mediale Machohelden in den
Vordergrund, vom Heman und Powerranger der ersten Fernsehzeit bis zum
Gangsta-Rapper, der in seinen Liedern dem „Sex-wie-im-Porno“ huldigt, für
den Frauen vor allem „Nutten“ sind, der von knapp bekleideten Mädchen in
eindeutigen Posen umschwirrt und von pubertierenden Jünglingen verehrt
wird.(vgl. Stern 23/2005 „Die verlorene Unschuld“ S145.ff)
Zudem würden auch nach wie vor viele Mütter an einer althergebrachten
Idealisierung phallischer Männlichkeit und an dem, was traditionell männlicher
Sexualität zugeschrieben werde, festhalten, nämlich Angriffsdrang, besondere
Triebstärke und Omnipotenzverhalten (Schmauch, 1997).
Die Kompensation von narzisstischen Kränkungen und das nur wenig
verschleierte Ausleben sexualisierter Feindseligkeit sind für Stoller die
offensichtlichsten
Zwecke
des
üblichen
sadistisch-pervers
getöntenen,
heterosexuellen Agierens bei Männern, geheimnisartig verborgen bleibe
dahinter seines Erachtens aber zugleich, dass es dabei eben auch immer darum
gehe, Verunsicherungen der männlichen Geschlechtsidentität zu kompensieren,
die in verbliebenen Restidentifizierungen mit der Mutter wurzeln (ebd.). Ohne
dies offen auszusprechen stellt Stoller damit zugleich fest, dass aggressives
Sexualverhalten gegenüber Frauen eben auch deshalb besonders häufig
vorkommt, weil es als besonders männlich und damit die Männlichkeit
bestätigend gilt.
Exkurs II: Manchem Psychoanalytiker mag Stollers Konzeptualisierung des perversen
Agierens als zu flach erscheinen, oder wie der geschätzte Kollege Reimut Reiche auf der
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letzten DPV Tagung sagte, das habe zu wenig Tiefgang, sei letztlich naiv und damit auch zu
„amerikanisch“ im Sinne zu einfach gedachter therapeutischer Anwendbarkeit. Aber ich
glaube, wir sollten Stollers Konzept nicht unterschätzen, denn es beschreibt wie kein anderes
bisher die eigentliche innere Dramatik der Perversion. Und was zugleich besonders wichtig
ist, Stollers Konzept ist nach verschiedenen Seiten offen und erlaubt die Zusammenschau
verschiedener weiterer wichtiger Theoreme zum Verständnis des perversen Agierens.
So lässt es sich z. B. einerseits mit einem weitreichenden Identitätsbegriff verbinden, der über
Erricssons hinausreicht und unbewusste Identitätsanteile weit mehr mit einbezieht, wie auch
das gesamte Gefüge eines unbewussten Komplexes aus Verdrängtem, Abwehr und
Symptombildung als Teile der gesamten fest gefügten Identitätsstruktur. Diese ist bei
Schneider - wenngleich von ihm nicht ganz so weitgehend gefasst - insgesamt dazu angetan,
dass der einzelne einem Fall ins Unstrukturierte entgehen kann, und damit einer Panik
entgeht, die jeden erfasst, der den fest gefügten Boden des Strukturierten verlässt, egal ob wir
dies dann im Freudschen Sinne als Überschwemmt werden vom Primärprozess denken, im
Sinne Morgenthalers als Überschwemmung durch das Sexuelle jenseits der Sexualität des
Ichs oder im Sinne Schneiders eben als Angst vor dem Untergang in der Negativität jenseits
des symbolischen Bereiches. Auch bei Stoller dient das perverse Agieren neben der wütenden
Kränkungskompensation der Identitätsstabilität. Und zugleich wird bei Stoller wie auch bei
Schneider oder Morgenthaler deutlich, warum eine perverse Symptomatik so schwer
aufzulösen ist, warum der Veränderungswiderstand so groß ist, selbst wenn die Perversion für
den einzelnen noch so belastender Natur ist: Aufgabe des Symptoms bedeutet eben auch
immer die Angst vor psychosenaher Verwirrung oder zumindest vor Neuland bei gleichzeitig
zumeist
erfahrungsbedingt
paranoid
verzerrter
Erwartung,
dort
eben
nicht
auf
vertrauenswürdige Objekte zu treffen.
Zugleich kann Stollers Konzept sowohl auf dem Hintergrund des Freudschen Triebdualismus
von Eros und Todestrieb und des Konzeptes der narzisstischen Regression und der
Triebentmischung gedacht werden, als auch vor dem Hintergrund einer Theorie, die
Aggression vor allem als Reaktion auf Kränkungen und Ohnmachtsangst konzipiert. Und
Stollers Schema der perversen Handlungen ist vor allem auch offen für eine Verbindung zu
Freuds Konzept der Nachträglichkeit (Freud, 1918), ohne das wir oft weder in der Lage sind,
die spät im Leben erfolgende Perversionsbildung zu verstehen, noch sie dem Patienten
deutend verständlich zu vermitteln.
II.1.b. Präödipales Teil 2: Das gefürchtet - gehasste mütterliche Objekt
12
Um das bisherige zusammenzufassen: Ich war ausgegangen von Freuds
Bemerkungen
über
sadistische
Tönungen
höchster
männlicher
Befriedigungsakte und hatte dann die Frage gestellt, wie es denn zu dieser
sadistischen Tönung käme. Ich habe Ihnen dann beispielhaft die frühe
Notwendigkeit der Entidentifizierung von der übermächtig erlebten Mutter
beschrieben,
als
Identitätsgefüges
besondere
und
als
frühe
Schwächung
fortdauernde
des
Kränkung
noch
des
instabilen
narzisstischen
Allmachtstrebens. Diese Kränkung ziehe wie jede andere, die der Junge von
Seiten
der
Mutter
Dominanzbestrebungen
erfahre,
nach
sich,
zumeist
als
aggressive
triebhafte
antifeminine
Kompensation
von
schmerzhaften Minderwertigkeitsgefühlen. Ein entsprechendes Strickmuster, so
stellten wir weiter fest, lasse sich jederzeit in massenhaft vertriebenen
pornographischen Produkten wieder entdecken, die fast nur von Männern
identifikatorisch und masturbatorisch konsumiert werden.
Bis hierher war dies eher reine Triebpsychologie.
Ich bin in allem bisher gesagten noch nicht darauf eingegangen, welchen
Wandlungen die inneren Objekte bzw. Teilobjekte im dazugehörigen
Entwicklungsprozess vom Knaben zum Mann unterliegen. Dies will ich nun
nachholen.
Wie alle Schwächungen des narzisstischen Gefüges zieht auch die
Notwendigkeit der Entidentifizierung von der Mutter eine Regressionsbewegung
nach sich, paranoide Muster dominieren erneut über depressive, wie von Ogden
mit Bezug auf Melanie Klein ausführlich beschrieben wurde (Klein 1957; 1960);
gerade mit Hilfe von Spaltungsmechanismen soll auf die Dauer alle Kränkung
der frühen Männlichkeit aufgehoben werden. Einerseits wird dabei ein frühes
Omnipotenzbild der eigenen Person wieder belebt und männlich überformt, das
oft in hypomanischem Agieren seinen Ausdruck findet; dabei entsteht die
Anlage der Jungen zum unruhigen Geschlecht, als das sie dann mit der Zeit
immer auffälliger werden.
13
An
dieses
eher
omnipotente
Selbstbild
werden
dann
verschiedene
Affektkomplexe gebunden: in Verbindung mit Aggression soll dieses Bild
eigener
männlicher
Überlegenheit
Dominanz
sichern,
wo
Unterlegenheitsempfindungen drohen. Bisweilen knüpfen sich an dieses
omnipotente Selbstbild auch heftige Liebesgefühle, was es dem Jungen
späterhin erleichtert, sich in den ödipalen Ring zu wagen. Aber damit nicht
genug der Spaltprodukte im Identitätsbereich: negative Teilbilder, gefüllt mit
Eindrücken eigener Minderwertigkeit werden - von der Selbstüberhöhung
verdeckt - im Untergrund gehalten, weitestgehend verleugnet und späterhin
vielfach nach außen projiziert. Letzteres dient vor allem dazu, Neid und
depressive
Unterlegenheitsgefühle
abzuwehren;
hypomanisches
Agieren,
Spaltung und Verleugnung als zentrale Abwehrmechanismen perverser
Strukturen zeichnen sich hier deutlich ab.
Es wird in diesen Vorgängen aber nicht nur das Selbstbild regressiv
aufgesplittert, sondern auch das Bild vom mütterlichen Gegenüber zumindest
gespalten. Auf der Oberfläche dominiert meist ein idealisiertes Mutterbild von
der liebevollen Versorgerin, die ihren kleinen Prinzen bewundert; verleugnet
und darunter verborgen bleibt das Bild von der überlegenen und mächtigen
Mutter, die schwere und schwerste Kränkungen zufügen kann. Dieses Bild ist
gefürchtet und erhält bisweilen noch Aufladung durch Projektionen von Wut
und Neid, die der Junge vornehmen muss, um nicht auch das geliebte
Mutterobjekt anzugreifen, das er ja keinesfalls verlieren möchte.
In diesem gefürchteten, mit dem projiziertem Neid aufgeladen Spaltungsprodukt
können wir unschwer die Grundzüge jenes früheren Teilobjektes wieder
erkennen,
das
in
Zeiten
vorherrschender
früher
paranoid-schitzoider
Mechanismen entstand: das in seiner Gier, Wut und Rache gefürchtete mächtige
primäre böse Teilobjekt.
Von da an geht es für den Jungen also darum, sich vor einer Phantasiefrau zu
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schützen, die ihm erneut und doch anders als zur Zeit der Frühblüte der
paranoid-schizoiden Position gefährlich erscheint. Als – in Folge der
kompensatorischen männlichen Selbstüberhöhung nun gedemütigt, weil – nicht
männlich erscheinendes Wesen und zugleich böses, mit eigenem Neid projektiv
aufgeladenes Objekt, birgt sie ab jetzt die neue Gefahr, sich seine Männlichkeit
rauben zu wollen (vgl. Gerlach, 1995). Die „Vagina dentata“ als späteres
Derivat dieser Vorgänge ist eine unbewusste paranoide Phantasie, auf der m. E.
eine ganze Reihe grausamer Rituale fußen, die in männerdominierten Kulturen
Frauen angetan werden, darunter die im moslemisch-afrikanischen Raum weit
verbreiteten, grausamen Genitalverstümmelungen bei jungen Mädchen.
Die gefürchtet/gehasste Frau ist oftmals aber nicht nur ein reines
Phantasieobjekt des Knaben, sondern bisweilen auch ein Produkt der
Verflechtung von mütterlichen Phantasien mit den seinen. Unvermeidlich
komme es, so Schmauch (1997), bei den Müttern als " Angehörige des
Geschlechts zweiter Klasse " zu ambivalenten Gefühlseinstellung gegenüber
dem Jungen: ein Kind, das einen Penis hat, kann eben zum geliebten Kind und
gleichzeitig zum " typischen rücksichtslosen Macho" werden, es kann phallische
Vollkommenheit verleihen und zugleich Objekt des Neides sein etc..
Entsprechend hat der Junge eben auch oft tatsächlich mit beängstigender Wut
von Seiten der überlegenen Mutter zu kämpfen (ebd.), nicht nur mit seinem
Phantasiebild eines neidisch-bösartigen Objektes .
In seinem unbewußten Ringen mit diesem Bild versucht der Junge sich dadurch
zu schützen, dass er diesem bösen Wesen nun all das projektiv zuschreibt, was
er für sich selbst nicht fühlen möchte: ein minderwertig- schwaches, gekränktneidisches, unterlegenes Wesen zu sein, voller primitiver Regungen, das es zu
bekämpfen, zu beherrschen, zu kontrollieren, also männlich zu dominieren gilt.
Im häufigsten (und zugleich milderen) Fall entsteht jenes Grundmuster einer
triebhaften, primitiven, gemeinen, gierigen und durchtriebenen Frau, die es für
15
den Mann zu beherrschen gilt, die seiner kompensatorisch zur Schau gestellten
Macht unterworfen sein soll, das übliche pornographische Drehbuch zeichnet
sich erneut ab: begierig und unersättlich will sie sein Geschlecht haben, stürzt
sich darauf, doch er läuft nicht verängstigt davon, sondern unterwirft sie seinem
Phallus, kontrolliert und dominiert sie, dringt wo immer möglich in sie ein,
erniedrigt sie mit Gesten und im lustvollen Triumph seines Orgasmus, mit dem
dieses weibliche Objekt sichtbar besudelt werden soll.
Im schlimmeren Fall kommt es dann späterhin bei schon erwachsenen Männern
zu besonders dramatischen Regressionsbewegungen, denen die
bisher
beschriebenen Spaltungen nicht mehr richtig standhalten; dann droht schließlich
sogar ein dramatischer Zusammenfluss einzelner zuvor gespaltener Anteile, im
Sinne einer Verschmelzung von manischer Omnipotenz mit heftigem Hass und
Neid, während im Gegenüber nur noch Züge eines verdientermaßen zu
hassenden Objektes erscheinen. Dies schafft dann die Grundzüge eines
triebhaften Gewalttäters ohne innere Begrenzung.
Insgesamt können wir die Grundzüge des gehassten primären Objektes von
verschiedenen Seiten her denken (und wir müssen dies bei jedem Patienten auch
aufs Neue tun). Bei Freud ist das gehasste Objekt zuerst alles anfänglich Böse
und Schmerz bereitende, das aus dem frühen Selbst projektiv ausgelagert im
ersten erkennbaren Gegenüber untergebracht wurde (1917), aus Stollers Sicht
steht die kränkende und v.a. demütigende Qualität des mütterlichen Objektes im
Vordergrund, bei Greenson ist es ihre kränkende Unerreichbarkeit im Sinne des
Wunsches, selbst wie die Mutter sein zu wollen. Laplanche hebt die
eindringenden, verführenden und in letzter Konsequenz überstimulierendtraumatischen Objektanteile hervor, bei Mätzler geht es in Anlehnung an
Meltzer um ein Objekt, das nicht psychisch erreicht werden kann, das für den
kleinen Jungen als Container im Sinne Bions (Grinberg et. al.) versagt und damit
nicht in der Lage ist, die paranoiden Verzerrungen der frühen Objekteindrücke
16
zu beruhigen. In jedem Fall geht es um ein Objekt das überfordert, psychischen
Schmerz bereitet und in seiner Überlegenheit gefürchtet wird und das nicht mehr
durch Identifizierung bewältigt werden kann, sondern höchstens durch intrusive
Formen projektiver Identifizierung in Schach gehalten werden soll.
Pohl (2003) sieht in früh gewachsenem Neid auf die Fähigkeiten der Frau und
v.a. im Hass auf die paranoid gefürchtete Frau /respektive Mutter die
unbewusste Urwurzel für die im Laufe der weiteren Entwicklung anwachsende
männliche Kriegslust. Hypervirile Kriegsschwärmer wie Ernst Jünger und
millionenfache Anhänger von Krieg und Gewalt träumten, so Pohl,
kompensatorisch hassend von männlicher Neuschaffung durch Zerstörung, von
neuem Leben, das aus männlicher Zerstörungswut entstehen solle, gemeinsam
einem destruktiven Schöpferwahn verfallend.
Militär und Krieg gelten dabei als Ort, an dem " Männer noch Männer sind ", wo
sie ihre beschädigte Männlichkeit sanieren können. Typisch für das Militär sei,
durch Abspaltung, Projektion und Zerstörungsbereitschaft ein Angstpotenzial in
ein Grausamkeitspotenzial gegenüber einem äußeren Feind, d. h. gegenüber
einem Objekt in der Tradition der gehassten frühen Mutterimago zu verwandeln.
Ernst Jünger spreche z.B. auch vom Schlachtfeld als " dem Bett der wahren
Geliebten "; der kriegerische Kampf gerate dabei zur eruptiven Entladung
sadistisch-sexueller Motive. Krieg, so Pohl, sei dann eigentlich eine
antifeminine Selbstinszenierung mit initiationsähnlichen Zügen, die ihr
eigentliches feindliches Objekt „Frau“ im Bild des zu zerstörenden Feindes zu
vertuschen suche. Sexuelle Gewalt sei deshalb auch keine zufällige
Randerscheinung einiger weniger Kriege, sondern eines der kollektiven,
geheimen männlichen Motive im und zum Krieg. Massenvergewaltigungen
unter Kriegs- oder kriegsähnlichen Zuständen enthüllten nur den Schleier des
Geheimnisses männlicher Kriegslust (ebd.). Der Kriegsvergewaltiger erscheint
vielleicht
oberflächlich
als
unberührbarer
Grausamkeitsarbeiter
(vgl.
17
Mitscherlich 1983), durch den Befehl innerlich entlastet, aber er vergewaltigt
nicht auf Befehl, sondern vor allem aus sadistischer Lust!
Desexualisiert-homoerotische Bindungen im Sinne von Kameradschaft,
Führerliebe und Gruppenloyalität unterfüttern die gemeinsame Hassausübung
(Freud, 1921 und ). Dabei stellen die Männer nicht nur die eigene Potenz in
gegenseitiger Zeugenschaft unter Beweis, sondern dokumentieren zugleich die
Ohnmacht der Feinde / der Frauen. Sie glauben damit, so Pohl, sich selbst als
körperlich, psychisch und kulturell intakte, gute Männer zu beweisen.
Kriegsvergewaltigung könne so auch als kollektiv ausbrechende Form
männlicher, triumphaler Rache am weiblichen Geschlecht gelten, der im
Befehlsfall kein entsprechendes Über-Ich mehr entgegensteht.
Zeit für einen erneuten Rückblick, für ein Auftauchen aus dem Ringen mit der
Männlichkeit: bisher bin ich bei all meinen geschilderten Betrachtungen
eigentlich dauernd dem Ziel gefolgt, auszuarbeiten, was ich zu Beginn aus
Freuds kleiner Schrift „Über die allgemeinste Erniedrigung des Liebeslebens“
zitierte: Für die männertypische Spaltung von Liebe und Lust sind v.a. perverse,
gerade sadistische Bedürfnisse verantwortlich zu machen, die die meisten
Männer sich an respektierte Frauen nicht zu richten getrauten, höchste Lust und
zärtliche Liebe kämen bei ihnen nicht wirklich zusammen.
Aber die konsequente Ausarbeitung dieser sadistischen Einfärbung droht nun, je
besser sie gelingt, ein sehr einseitiges, grausames Bild entstehen zu lassen.
Deshalb fühle ich mich an dieser Stelle genötigt, der Frage nachzugehen,
welchen Einfluss denn das frühere Erreichen der depressiven Position gemäß
Klein oder des „status of concern“ nach Winnicott (1945) im Sinne eines
gereiften angemessenen Schuldgefühls auf die spätere Entwicklung vom Knaben
zum Mann hat: werden die zuletzt geschilderten Verhältnisse durch besagte
psychische Reifezustände nicht gebremst oder gar verhindert ?
18
Ich meine wir können hier eine einfache Gleichung aufmachen: umso besser es
Mutter und Knaben zuallererst gelingt, in ein wohliges Miteinander zu kommen,
je weniger dramatisch (und je leichter dementsprechend zu überwinden) die
paranoiden Phantasien ausfallen, je stabiler es dem Knaben möglich wird, in
angemessene Schulgefühle und wiedergutmachende liebevolle Stimmungen zu
kommen, um so leichter wird er auch zur Zeit der Erkenntnis des kränkenden
Geschlechtsunterschiedes den neuerlichen Rückfall in paranoide Verzerrungen
überwinden, sein Neid auf die für ihn unerreichbaren Fähigkeiten der Mutter
bzw. Frauen wird sich in Grenzen halten, je sicherer er sich ihrer stolzen Liebe
sein kann. Und nicht zuletzt: umso weniger er sie vermissen muss (z.B. durch zu
frühe Fremdbetreuung), je geringer also der Druck ist, ihre fehlende Nähe durch
Identifizierung auszugleichen, um so leichter wird er dann auch die
erforderlichen Entidentifizierungsprozesse durchstehen, ohne sich allzu hilflos
zu fühlen, und damit verbundene Kränkungen leichter überwinden.
Und doch bleibt wohl für jeden Mann zu konstatieren, dass die frühe Lücke im
Identitätsgefüge, die die Entidentifizierungsprozesse hinterlassen, eine
Sollbruchstelle schaffen, die sich bei mehr oder minder schweren Belastungen
zur Lücke, zum Riss auswachsen kann, der dann oft mit perversem Agieren
gefüllt wird, um einer Dekompensation zu entgehen.
Die Liebesfähigkeit des Einzelnen als Erscheinung an der psychischen
Oberfläche ist nur ein mäßiger Schutz vor dem sadistischen Agieren, da soll
man sich nicht täuschen lassen.
Exkurs III: Besonders deutlich wird dies in missbräuchlichen Verhältnissen, nicht nur in
inzestuösen Missbrauchsfällen. Betrachten wir den Missbrauch eines Therapeuten an seiner
Patientin näher, dann entdecken wir leicht unter dem Deckmantel vordergründigen sich
hingezogen Fühlens eine neidische Ausbeutung. Der Therapeut, zumeist am Rande seiner
Fähigkeiten, statt von Selbstzweifeln geplagt zu sein, verfällt in ein omnipotent-narzisstisches
sexuelles Agieren und raubt seiner vielleicht hoffnungsvollen Patientin die Chance auf eine
Entwicklung, die er selbst vielleicht nie schaffte. Er würde diese Patientin wohl heftig
beneiden, würde sie sich zur liebenden, vielleicht sogar prokreativen Frau weiterentwickeln.
Unter dem Deckmantel der Liebe benutzt er sie dann für sein eigenes narzisstisches
19
Wohlgefühl und raubt ihr zugleich untergründig ihre Entwicklungschance. Er macht sie von
der Hoffnungsträgerin zum Opfer, alles dies unter dem Deckmantel einer Liebesempfindung
und doch ist es nur eine perverse Inbesitznahme.
Interessanter ist in Bezug auf die Frage nach Prävention (kollektiver) sexueller Gewalt
Eberhard Schorschs Auslotung der Möglichkeiten, kollektiven Phantasmatae zu entgehen (die
Mann und Frau in althergebrachte, nur scheinbar Intitätssicherheit bietende Muster drängten),
so dass Männer in individueller Ausdifferenzierung ihrer Lust zumindest der kollektivprojektiven Zuschreibung von geforderter Gewaltausübung gerade durch die Frauen entgehen
könnten und diese umgekehrt sich der männlichen Gewalt leichter erwehren könnten, wenn
sie ihre eigene Aggressivität nicht mehr so leicht projektiv verleugnen könnten. Sexualität
zwischen Mann und Frau kann dann in verschiedenen Regressionsformen gedacht werden,
einerseits als individuell- differenziertes Geschehen vielfacher verschränkter erotischer
Regressionsbewegungen, andererseits als undifferenziertes, von kollektiven Mustern
bestimmtes Regredieren in einfache, eher von Spaltungen bestimmte - und damit eben auch in
gewaltbestimmte - Geschlechtsbeziehungsstrukturen.
Allerdings bleibt bei Schorsch offen, warum solch „differenziertere“
Geschlechterbeziehungen dem Druck angstbedingter Regression zu primitiveren Mustern
standhalten könnten, die sexueller Gewalt zumeist vorausgeht.
I.1.c. Präödipale Zusammenhänge Teil 3: Die Rolle des frühzeitig
beteiligten Vaters
Ich fasse noch einmal zusammen: auf der Suche nach den perversen
Bestrebungen in der ganz normalen Männlichkeit habe ich bisher einerseits
sadistische
Triebvorgänge
benannt,
die
aus
frühen
Kränkungen
und
Ichschwächungen resultieren, und andererseits mit Ihnen zu betrachten versucht,
welchen Wandlungen die frühen Selbstbilder und Objektrepräsentanzen dabei
unterliegen, und welche Folgen dies häufig für die erwachsene Psyche eines
Mannes hat.
Bisher bewegten sich alle meine vorgetragenen Gedanken um das uranfängliche
Paar von Mutter und Sohn, nun ist der Punkt gekommen, ergänzend
20
anzuschauen, welche Bedeutung dem Vater in den bisher beschriebenen
präödipalen Vorgängen zukommt.
Ja, vielleicht hängt es ja gerade auch an der Beteiligung des Vaters, wie das
frühe Ringen des Jungen um seine Identität verläuft. Zumindest kann man sich
vorstellen, dass es dem Jungen umso leichter fällt, seine Entwicklungsaufgaben
zu erfüllen, wenn er bei der Lösung aus der Identifizierung mit der Mutter beim
Vater Halt und Ersatz findet. Dieser erlaubt neue männliche Identifizierungen
einerseits als reale Person, andererseits als Vermittler einer männlichen Kultur.
Von besonderer Bedeutung ist zu diesem Zeitpunkt für den Jungen, dass dieser
Vater deutlich anders ist als die Mutter. Nur so bietet er als wirkliche Alternative
eine Orientierung.
Er sollte v.a. nicht von der Mutter entwertet erscheinen, dies schwächt den
Jungen bei seiner Identifizierung mit dem Vater enorm, worin wiederum Anlass
zu späterem, überkompensierend-aggressivem Agieren zu erkennen ist. Ein
frühzeitig intensiv mit dem Sohn beschäftigter, respektierter, liebender Vater
bietet dem Jungen eine frühzeitige Alternative zur Identifizierung mit der
Mutter, gerade wenn er es versteht, beim Jungen fortzusetzen, was die Mutter
begonnen hat, ohne diese aber nur zu imitieren; vielmehr geht es darum, dem
Sohn die Möglichkeit zu geben, bei der Mutter erworbenes in eine neue Identität
zu transformieren. Zugleich kann eine frühe Wurzel des späteren Wunsches,
selbst Vater zu werden, entstehen (Diamond, 1984).
Derzeit steigt die Zahl der Jungen, die ohne Vater aufwachsen, ebenso wie die
Zahl derer, die mit einem intensiven, frühzeitigen Kontakt zum Vater
aufwachsen. Doch auch allein die Präsenz eines „frühen Vaters“ ist noch nicht
unbedingt ein Fortschritt. Unter den so genannten neuen Vätern scheinen
zumindest einige zu sein, die weniger eine Alternative zu den Müttern sein
können, sondern die vielmehr ihren Frauen bei den Kindern aus narzisstischneidischen Gründen Konkurrenz machen; solche Väter helfen den Jungen nicht
21
wirklich aus ihrem frühen Dilemma und geben eher Anlass, dann doch auf
scheinbar starke Macho-Medienhelden zurückzugreifen (s.o.); auf diese Weise
vollzieht sich identifikatorisch eher eine unbewusste Delegation der oftmals
unterdrückten, väterlichen Aggressivität an ihre Söhne!
Der Junge identifiziert sich im Rahmen seiner Geschlechtsidentitätsbildung aber
nicht nur mit dem Abbild des Vaters, wie er diesen wahrnimmt und phantasiert,
sondern er nimmt auch die Anforderungen des Vaters auf, die dieser an ihn als
heranwachsendes männliches Wesen richtet. Häufig kommt es dabei auch zur
Inkorporation narzisstisch hoch aufgeladener Ideale. Horst Eberhard Richter hat
in „Eltern Kind Neurose“ entsprechende Vorgänge skizziert. Oftmals bleiben
diese Ideale ebenso unerreichbar „männlich“ (wie die Väter selbst für ihre
Söhne oft unerreichbar erscheinen), die inkorporierten Ideale werden damit
selbst zur Quelle dauernder Kränkungen, die dann wiederum Ausgangspunkt
aggressiven Kompensationsverhaltens sind. Zu letzterem gehören dann späterhin
bisweilen auch Wettbewerbsbestrebungen unter Männern um Frauen, was dann
weniger ödipaler Konkurrenz entspringt, als vielmehr allein dem Wunsch nach
narzisstischer Männlichkeitsbestätigung.
Die Psychoanalyse hat sich bisher insgesamt noch zu wenig mit der Bedeutung
des frühen väterlichen Einflusses auf das Kind beschäftigt. Michael D. Diamond
nannte den „präödipalen Vater“ zurecht den „vernachlässigten Elternteil der
Psychoanalyse“ (ebd.); zumeist wird der Vater nur als Konkurrent, als
triangulierende Tatsache ohne besondere Individualität, als autoritäre Macht und
in Ausnahmefällen vielleicht noch als negativ-ödipales Liebesobjekt betrachtet,
kaum aber als mögliche, frühzeitig haltende Person mit ganz eigener Bedeutung,
obwohl schon Forschungsergebnisse aus der Säuglingsbeobachtung belegen, wie
früh Kinder Kontakt zu den Vätern aufzunehmen und zu halten versuchten, so
der amerikanische Psychoanalytiker Stanley Cath (1991). Der frühe väterliche
Halt bietet womöglich vor allem für die Jungen eine große Chance, frühe
22
Identitätskrisen mit all ihren schon besprochenen Folgen besser zu bewältigen
II.2. Phallischer Narzissmus und Ödipuskomplex:
Wir haben uns bei der Suche nach einer Beschreibung der besonderen
Entwicklungsbedingungen der Jungen bisher vor allem mit präödipalen
Momenten beschäftigt, mit frühen Kränkungen und der Notwendigkeit der
Entidentifizierung von der Mutter, mit triebgesteuerten Kompensationsmustern
früher Minderwertigkeitsgefühle und der allgemeinen männlichen Anfälligkeit
für sexualisierte Gewalt, mit den Wandlungen der Mutterobjektbilder und seinen
Spaltungen, und mit der Bedeutung des Vaters für diese eher präödipalen
Vorgänge. Nun gilt es lebensgeschichtlich etwas später anzusiedelnde Vorgänge
für die Frage genauer zu betrachten, warum Männer nur selten mit ganzer Lust
begehren, wen sie zärtlich lieben.
Gehen wir noch ein Stück weiter im kindlichen Entwicklungsgang: Die
einsetzende Identifizierung mit dem Vater führt nun zuvorderst zu einem
phallischen Narzissmus im Sinne eines kompensatorischen, übertriebenen
Selbstbewusstseins in starker Anlehnung an das eigene Geschlecht (Freud, 1914,
1917, 1923a, 1924b, 1933, Tyson 1997). Die Jungen sind jetzt sehr stolz auf ihr
Genital, sie rivalisieren nun heftig untereinander und mit erwachsenen Männern,
als ob es gar keine Frauen oder Mädchen gäbe, mit denen sie rivalisieren
könnten; häufig ist ihnen nun für längere Zeit sogar alles ein Grauen, was
scheinbar mit Weiblichkeit zu tun hat, ausgenommen ihre „gute Mutter“, die
lieben, versorgen und bewundern soll.
Mit
Hilfe
des phallischen
Narzissmus
verleugnen
die
Knaben
ihre
Minderwertigkeitsgefühle gegenüber der einst so mächtigen und geburtsfähigen
Frau / Mutter umso leichter. Der Penis wird jetzt immer mehr zum Träger der
narzisstischen Versprechungen und zum Ort größtmöglicher Kränkungen
zugleich.
Typisch für die Entwicklung des Jungen sei weniger, so Ulrike Schmauch, dass
er - wie früher angenommen -narzisstisch und libidinös befriedigter aufwachse
23
als das Mädchen, sondern dass seinem Genital eigentlich von Beginn an eine
zentralere Bedeutung und eine besondere Erregbarkeit zuerkannt werden würde;
der Junge werde auch und gerade von der Mutter zumeist weniger in seiner
sinnlichen Ganzheit wahrgenommen, sondern vielmehr darauf zentriert, Träger
des Machtsymbols Phallus zu sein. Die Überbesetzung des Penis werde von
einer Verleugnung der " inneren Genitalität " (Kestenberg) begleitet, die
Kastrationsangst werde so automatisch zum Organisator der Ängste und der
weiteren Entwicklung, zugleich komme es zur Gleichsetzung von Härte mit
Männlichkeit. Überbesetzung des Penis bedeute auch, dass alle erwünschte und
phantasierte
Größe,
Macht
und
Aggressivität,
aber
auch
Minderwertigkeitsgefühle und die allgemein verbreitete Angst zu versagen, ab
jetzt auf engste mit dem Penis verknüpft werden.
Mit dem Wunsch, von der Mutter bewundert und geliebt zu werden wie der
Vater, kommt auch der Wunsch, sie zu besitzen, zu beherrschen, und erotisch zu
benutzen auf; aber auch über das Bedürfnis nach kompensatorischer Bedeutung
in der Rivalität mit dem Vater, gerät der Junge nun leicht in ödipale
Konfliktmuster (Freud 1900, 1909, Deserno 1999). Der Vater wird nun in
diesem Lebensfeld immer mehr zum Störenden, das große Vorbild soll im
weitgehend unbewussten Triebgeschehen beseitigt werden, gerade auch wenn
der Junge sich letztlich gegenüber dem erwachsenen Rivalen extrem unterlegen
fühlen muss, insbesondere wenn er sich auch von dessen Seite realen
Demütigungen ausgesetzt fühlt.
An der Stelle ödipaler Rivalität bietet die Männerwelt nun ein Versprechen an,
das es für den Jungen lohnend macht, auf die Mutter als Objekt des Begehrens
zu
verzichten.
Wer
bereit
ist,
die
inzestuösen
Begehren
und
die
Beseitigungswünsche gegenüber dem männlichen Rivalen aufzugeben, dem
wird versprochen, dass er nicht nur strafender Kastration entgeht, sondern dass
er einst selbst ein erwachsener Mann (wie der Vater) sein darf, der einen Phallus
besitzen wird, der ihm - im Gegensatz zu dem kleinen Penis des Jungen - nicht
24
nur Lust bereiten, sondern vor allem auch Bedeutung und Macht über die Frauen
verleihen soll. Dies ist das Gerüst des Generationen übergreifenden
Männerbundes in der patriarchalen Ordnung: Inzestverbot, Kastrations- bzw.
Todesdrohung und ein Versprechen von Macht, wenn der Heranwachsende sich
den Regeln des Bundes unterordnet.
Dies tut er zumeist, doch oft nur vordergründig.
Theodor Reik (1915) hat in einer wunderbaren, frühen Arbeit über
Pubertätsriten in unterschiedlichen Kulturen und Religionen deutlich gemacht,
dass (ödipale) Rivalität bis hin zu blutigen Vernichtungswünschen, gepaart mit
intensiven Besitzansprüchen gegenüber Frauen, und begleitet von heftigen
Vergeltungsängsten gegenüber den Rivalen, bei nahezu jedem Mann unter der
Oberfläche schwer zu kontrollieren bleiben (vgl. auch Freud, 1912).
Die in Aussicht gestellte Macht, symbolisch gesprochen: der versprochene
Phallus erscheint dem ödipalen Jungen als überbesetzter Retter in der Not. Viele
Männer halten späterhin am Glauben an das frühe Versprechen von späterer
phallischer Macht fest und erhoffen sich gerade von phallisch zentrierten,
sexuellen Interaktionen eine fast magische Heilung ihrer gekränkten Seele.
Umso größer wird aber auch ihre gesellschaftsbezogene Wut ausfallen, wenn sie
sich späterhin um ihr vermeintliches Anrecht betrogen fühlen.
In den Perversionsneigungen als privatem seelischem Rückzugsort des
frustrierten Mannes spielt die Hoffnung auf den Phallus ihre alte zentrale Rolle,
die perversionstypische Inszenierung von Kränkungen und ihrer machtvollen
Überwindung i. V. m. orgiastisch erlebtem Triumphgefühl spiegelt die
heimliche narzisstische Hoffnung auf den Phallus wieder.
Ins Erwachsenenleben hineinragende Kastrationsängste mit ödipaler Wurzel
können durch kollektive, fetischistische Verleugnung (vgl. Freud, 1938) in
Schach gehalten werden: der Massenkonsum fetischistisch gezeichneter,
zugleich unterworfen erscheinender Frauen in Pornoprodukten - aber auch
25
täglich z. B. auf Seite 1 der Bildzeitung - hat für die Männer kollektiv ebenso
beruhigenden wie erregenden Charakter. Der phallische Männerbund ahndet
zwar grausame Vergewaltigungsverbrechen in Friedenszeiten, erlaubt aber den
nur mäßig verhüllten, im Grunde sadistisch unterfütterten kollektiven Gebrauch
von öffentlichen Frauen.
Eigentlich, so möchte man annehmen, sollte die Errichtung des Überichs zum
Ende des Ödipuskomplexes dem wütenden Phantasieleben des Knaben ein Ende
machen, ihm zumindest einen mächtigen Gegenspieler schaffen, aber dem ist
nur einseitig so. Der Vater als patriarchales Phantasievorbild des Knaben geht ja
auch als solcher in seine Gewissens- und Idealbildung ein. Die Aggressivität des
Überichs als auch die Aggressivität des entstehenden männlichen Ideals fällt
umso drastischer aus, je mehr der Vater tatsächlich zur Gewalt neigt und /oder
dem Leben des Sohnes sehr fern ist, so dass seine reale Präsenz die Phantasien
des Knaben nicht begrenzen kann. Aber: diese Aggressivität ist und bleibt eine
tendenziell patriarchale, das heißt, sie schützt Frauen und Mädchen nur bedingt,
nämlich nur solange sie nicht der kulturell üblichen Spaltung von Liebe und
Lust bzw. Hass unterliegend eher dem Bereich kollektiv zu erniedrigenden
Frauen angehören.
Im ödipalen Geschehen laufen damit alle Fäden zusammen, unter dem „Primat
der Genitalzone“, wie Freud (1905) dies nannte, werden Ideal und Lust,
prägenitale Bestrebungen und Ängste integriert, verarbeitet und kompensiert;
hier kreuzen sich nicht nur ödipale Wünsche und Kastrationsangst, sondern eben
auch das mehrfach erwähnte aggressive Ideal und die oben bereits
angesprochene, früher angelegte Fähigkeit zur Aufspaltung triebhafter
Bestrebungen, der Wunsch nach perverser Kränkungskompensation und ein
diesbezüglich relativ mildes patriarchales Über- Ich mit dem Wunsch nach einer
eindeutigen, Sicherheit gebenden, männlichen Geschlechtsidentität. Miteinander
verwoben
ergeben
diese
Faktoren
zwangsläufig
eine
männliche
26
Geschlechtsidentität, die der
von
Freud
beschriebenen
"allgemeinsten
Erniedrigung des Liebesleben" zu Grunde liegt.
Bestenfalls gelingt es dem einzelnen im Laufe seiner gesamten Entwicklung,
Liebe, Lust und auch aggressive Begehren weitgehend zu verschmelzen, es
verbleibt aber fast immer eine Regressionsmöglichkeit, die im Kränkungsfall
oder in Situationen besonderer Angst narzisstische Kompensationen in
althergebrachter, eher sadistischer Manier zulässt, der die beschriebene frühe
Spaltung des ersten Objektes zu Grunde liegt.
Die oben beschriebene, frühe Entidentifizierung von der Mutter sorgt auch
dafür, dass - gegenüber dem bisher beschriebenen Entwicklungsgang im Bezug
auf die heterosexuellen Orientierungen des kleinen Jungen - negativ-ödipale
Bestrebungen eine geringere Rolle spielen, schließlich setzten sie die
Identifizierung mit der Mutter als Liebesobjekt des Vaters voraus. Die
verbleibenden, auf Restidentifizierungen mit der Mutter fußenden, frühen
homosexuellen Regungen werden weitgehend desexualisiert (Freud, 1921) und
eher dazu verwandt, Bindungen unter Jungen und später auch unter Männern zu
festigen. Sie würden den Wunsch nach patriarchal adäquater Kompensation
erlittener Kränkungen im Zuge der üblichen heterosexuellen Inszenierungen
sonst stören, und auch das Gefühl einer eindeutigen sexuellen Identität
verhindern. Häufig dient später dann ein erniedrigtes weibliches Sexualobjekt
als Mittler dazu, die homoerotischen Lüste indirekt zu befriedigen. So wird
beispielsweise die Prostituierte zum verschleiernden Zwischenglied einer
erotischen Begegnung zweier Männer, die kurz nacheinander die gleiche Frau
benutzen. Auch das (bisweilen gemeinsame) Betrachten von pornographischen
Produkten dient häufig indirekt auch der Befriedigung homoerotischer
Bedürfnisse.
Mit den zuletzt geschilderten ödipalen Entwicklungsvorgängen und ihren
Wirkungen auf die Psyche des erwachsenen Mannes bin ich fast schon am Ende
27
meiner Ausführungen angelangt, Sie merken, wir haben den Kreis der
Entwicklung vom Knaben zum Mann und damit seiner Spaltungstendenzen in
geliebte und zu erniedrigende Objekte schon weitgehend geschlossen.
Aber ich will es nicht versäumen, nun noch einige wenige Bemerkungen zu
Vorgängen der Latenzzeit und der Pubertät zu machen.
II.3. Latenz und Grundschulzeit:
Im beobachtbaren Verhalten von Jungen, in ihren Witzen, Sprüchen und
Raufereien ist das - traditionell in dieser Phase für verborgen gehaltene sexuelle Moment ebenso präsent wie in ihren Verliebtheiten, in Masturbation
und Urethralerotik, so Ulrike Schmauch. So latent ist die Sexualität in der
Latenzzeit nicht, wie wir lange annahmen; oder müsste man sagen: heutzutage
scheint im Gegensatz zu früher nichts mehr latent zu bleiben?
Auf alle Fälle zeigen Jungen in diesem Alter heutzutage, dass sie viel größere
Probleme als die Mädchen haben, trieb- und konfliktferne Bereiche der
Interaktionen und des Lernens zu entwickeln. Sie fallen gerade unter dem Joch
der schulisch geforderten Ruhe und Disziplin endgültig als das unruhige
Geschlecht auf; ungleich häufiger als Mädchen zeigen Jungen in der Schule
Hyperaktivität, neigen zu Unfällen, zu Leistungsstörungen und zu gesteigerter
Aggressivität, was dann auch später für die Männer im Vergleich zu den Frauen
gilt (vgl. Deserno) ; Schmauch führt dies einerseits auf die vormals schon
erwähnte, dominierende hypomanische Abwehrstruktur zurück; sie meint aber
auch, dass die Jungen oft gar nicht zu einer relativen Triebruhe gelangen
könnten, weil sie permanent von einem medialen Strom von
Überlegenheitsangeboten, von Bildern sexuell verfügbarer Frauen und sexuell
angreifender Männer überschwemmt werden würden.
Dazu kommt eine zunehmende Familiarisierung der kindlichen sexuellen
Entwicklung, so der Hamburger Sexualforscher Gunther Schmidt (1993), das
heißt, die Eltern drängten sich immer öfter - in scheinbar toleranterem Bemühen
um Aufklärung und Offenheit - in die Intimsphäre der Kinder und beschwören
28
damit letztendlich latent inzestuöse Familiensituationen herauf, die der Lösung
aus ödipalen Strukturen, so können wir schließen, nicht unbedingt zuträglich
sind; letzteres, so Schmauch wiederum, verstärke die Notwendigkeit regressiver
Bewegungen und manischer Abwehrbemühungen.
II.4. Pubertät und Adoleszenz:
Schon vor der Pubertät sind die Jungen einem enormen Druck ausgesetzt, sich
als männlich und aktiv zu beweisen. Nur selten haben sie in der Adoleszenz
dann eine zweite Chance auf Autonomie, vielmehr bedrängt sie jetzt ein
zunehmender Zwang, sich in die männliche "Rollenkonserve" einzupassen.
Zentrale Bedeutung kommt hierbei der männlichen Gleichaltrigengruppe mit
ihrer unerbittlichen sozialen Kontrolle zu.
Selbst wenn die frühkindliche Entwicklung relativ positiv verlaufen ist und die
Pubertät dem Jugendlichen eigentlich die Chance eröffnet, den familiären
Rahmen auch innerlich zu verlassen und sich neuen Lebens- und
Liebesmöglichkeiten zuzuwenden, verhindert die Rigidität der männlichen
Gleichaltrigengruppe doch oft den rechtzeitigen Aufbruch zu neuen Ufern. Die
Anpassungszwänge sind hier oft so rigide, dass es jetzt, wenn schon nicht zu
einer Spaltung des Frauenbildes, so doch zu einer Spaltung von innen und außen
kommt, also zwischen inneren Empfindungen und äußerlichen
Rollenanforderungen, so Schmauch (ebd.). Im Verhalten ähnelt ein solcher
Jugendlicher dann leicht dem traditionellen Mann, und erst nach seiner Lösung
aus der Peergroup kann sich dann vielleicht noch mal die Chance auf ein
gleichberechtigtes Miteinander mit Frauen ergeben.
Im häufigeren Fall drängen aber innere, der Fixierung an die infantilen Objekte
entspringende Zwänge in Kombination mit den rigiden Rollenerwartungen der
Gleichaltrigengruppe auf ein traditionelles Rollenverhalten als Teil der
Geschlechtsidentität, wie Freud beschrieben hat: Wo sie begehren, da lieben sie
nicht...
29
Der Druck, dem männliche Jugendliche von Seiten der Mädchen und Frauen im
Zuge der Frauenbewegung zunehmend ausgesetzt sind, verstärkt die
Spaltungstendenzen bisweilen. So zeigen neuere sexualwissenschaftliche
Studien einerseits Tendenzen zu einer scheinbaren Pazifizierung der
partnerschaftlichen Sexualität bei jugendlichen Paaren, andererseits gleichzeitig
eine verstärkte Tendenz zu sexueller Aggression und Orientierung an typisch
pornographischem Material (vgl. Schmidt, 1993), die heimlichen Phantasien von
der erniedrigenden Überlegenheit bedrängen den einzelnen Jungen aus seinem
eigenen psychischen Untergrund heraus.
In eine solche beängstigende und zur Regression zwingende Situation war auch
der junge Mann geraten, von dem ich Ihnen zu Beginn meines Vortrages mit
einem kurzen Blick auf das Geschehen in David Lynchs Film Blue Velvet
berichtete. Er konnte den Fängen des Gangsters Frank zuerst nicht entkommen
und seiner Faszination für das laszive Opferweib dann nicht entgehen. Erst mit
seiner Entscheidung für den Kampf gegen das Böse gewann er wieder Ruhe und
fand zu seinem guten Mädchen zurück.
Die Realität sieht leider meist weniger heroisch aus, der Kampf mit den dunklen
Seiten der Lust bleibt für die meisten Männer ein geheimes, anhaltendes, oft
quälendes Ringen, schambesetzt nicht zuletzt deshalb, weil es scheinbar ein
immerwährendes Tabu gibt, über diese Seiten ihrer Lust zu sprechen; wie mir
scheint wirkt dieses Tabu desöfteren auch in die Arbeit mit unseren Patienten
hinein. Eine Kollegin sagte mir einmal, man lege heute eben das
Hauptaugenmerk auf andere Zusammenhänge, auf die Analyse der Objekt- und
Übertragungsbeziehungen entlang der zu entwickelnden Fähigkeiten z. B.
Getrenntheit ertragen zu können, die Intimität und Zweisamkeit des Elternpaares
akzeptieren zu können etc.; dann, so hoffe man, richte sich das mit der
Sexualität von selbst. Ich bin diesbezüglich skeptisch, kann mir kaum eine
vollständige Analyse vorstellen, in der die Zuspitzung der Identitätsproblematik
30
in der Sexualität und die zentrale unbewusste Masturbationsphantasie kaum eine
Rolle spielen.
Literatur:
- Abraham, Karl:
Prägenitale Entwicklungsstufen der Libido und Psychose. Ges.Schriften II, 3-102, (19161924); Frankfurt/M. (Fischer 1982)
- Balint, Michael
(1937): Frühe Entwicklungsstadien des Ichs. Primäre Objektliebe. In: Urformen der Liebe und
die Technik der Psychoanalyse. München (dtv/Klett-Cotta 1988), 83-102
(1960): Primärer Narzißmus und primäre Liebe. In: Regression. Therapeutische Aspekte und
die Theorie der Grundstörung. München (dtv/Klett-Cotta 1987), S.43-86
Benz, Andreas E.:
„Der Gebärneid der Männer“; Zürich (1982)
- Bergler und Eidelberg:
„Der Mammaekomplex des Mannes“; in: Int. Zetschr. F. Psa. Bd.XIX (1933)
- Bundesrechnungshof: Bemerkungen 2003 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des
Bundes / Kap. 50 Unzureichende Besteuerung im Rotlichtmilieu, S.185;
- Cath, Stanley:
„Vatersein, von der Kindheit bis ins Alter.“ (in: R.M. Friedman, L. Lerner (Hg.): „Zur
Psychoanalyse des Mannes“, Springer (1991), S. 65-77)
- Deserno, Heinrich:
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Totem und Tabu (1912)
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Über die allgemeinste Erniedrigung des Liebeslebens (1912) in: Beiträge zur Psychologie des
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Zur Einführung des Narzissmus (1914)
Triebe und Triebschicksale (1915)
Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1917)
Über Triebumsetzungen, insbesondere in der Analerotik (1917)
31
Aus der Geschichte einer infantilen Neurose (1918)
Massenpsychologie und Ichanalyse (1921)
Die infantile Genitalorganisation (1923)
Das Ich und das Es (1923)
Der Untergang des Ödipuskomplexes (1924)
Einige psychische Folgen des anatomischen Geschlechtsunterschiedes (1925)
Das Unbehagen in der Kultur (1930)
Neue Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1933)
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