F L U G P L A T Zdaktion Dienstag, 7. Januar 2014 re Jugend Wer is(s)t was? Ist vegetarisch leben gesund? Vegetarisch, vegan oder doch lieber klassisch? FLUGPLATZ unterhielt sich mit Joela Fischer über die Vor- und Nachteile unterschiedlicher Ernährungsstile. Die 28-Jährige hat Ernährungswissenschaft in Kiel studiert. Mit oder ohne? Der FLUGPLATZ hat Vegetariern und Co. auf ihre Teller geguckt Veganer: Die steigende Anzahl der Veganer lässt sich grundsätzlich auf den Tier- und den Umweltschutz zurückführen. Veganer essen nichts, was tierischen Ursprungs ist: weder Fleisch, noch Milchprodukte, noch Honig. Auch sonst vermeiden Veganer tierische Produkte wie Leder, Daunen und Wolle. Alles, was Tiere leiden lässt, wird abgelehnt. Acht Prozent der Bundesbürger leben vegetarisch. Das sind zehn Mal mehr als vor 20 Jahren. Ist das vom gesundheitlichen Standpunkt aus eine gute Entwicklung? Das kann man so nicht genau sagen. Wichtig ist eine ausgewogene Ernährung. Ich glaube, dass der größte Gesundheitsaspekt an dieser Stelle der Nicht-Verzehr von rotem Muskelfleisch ist. Hauptsächlich also vom Schwein und Rind. Es kann die Bildung freier Radikale fördern. Damit steigt der oxidative Stress im Körper und natürlich auch das Krebsrisiko. Frutarier: Der bekannteste Frutarier war Steve Jobs, so kam er angeblich auch auf den Firmennamen „Apple“. Denn Frutarier ernähren sich ausschließlich von Früchten, Nüssen und Samen – also von Dingen, die nicht den Tod einer Pflanze mit sich bringen. Die Makrobiotik hat ihre Wurzeln im Zen-Buddhismus. Sie unterteilt die Nahrung in Ying und Yang. Hauptnahrungsmittel hier ist Vollkorngetreide. Rohköstler verzehren alle Nahrungsmittel im rohen Zustand. Meist Gemüse und Obst, aber manchmal auch Fleisch und Fisch. Vegetarier: Fleisch ist tabu, Fisch ebenso! Vegetarier essen nichts von toten Tieren. Nur Dinge von lebenden wie Eier, Milch oder Honig. Die Pescetarier (kommt vom lateinischen piscis, Fisch) essen kein Fleisch, aber Fisch. Pudding-Vegetarier: Diese Ernährungsart ist „ethisch“ vegetarisch, erlaubt sich aber viele Fertigge- richte und Süßigkeiten – was sehr kalorienhaltig und ungesund ist. Der Flexitarier ist ein Teilzeit-Vegetarier: Flexitarier essen Fleisch nur unter bestimmten Bedingungen. Es muss zum Beispiel BioQualität haben. Das Essen der Flexitarier ist gesund und nachhaltig, denn an den fleischfreien Tagen werden stattdessen vermehrt Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte und Sojaprodukte verzehrt. Fleisch aus dem Reagenzglas: Manipulation der Zellen eines Schweins für eine tellergerechte Größe, Stromstöße ersetzen die Bewegung des Tieres für eine kaubare Konsistenz: Fleisch aus dem Reagenzglas wurde vor kurzem erst entdeckt. Es würde nicht nur Energie sparen und Umwelt schonen, sondern auch den Geldbeutel. Doch im Moment kostet ein einziger Bissen vom Fleisch der Zukunft 60 000 Euro. Vegetarisch leben kann man aus ethischen oder gesundheitlichen Gründen – oder einfach, weil Gemüse meist viel hübscher aussieht. Die Mazdaznan-Ernährung beruht auf der Lehre des Propheten Zarathustra. Die besagt, dass man durch eine spirituelle Ernährungsweise und Atem-und Meditationstechniken eine höhere Kulturstufe und Frieden erzielen kann. MANUELA KACZMAREK,18 FLUGPLATZ-Autor Marvin Graewert hat probeweise vegan gelebt – und Avocados schätzen gelernt MARVIN GRAEWERT, 17 Bevor ich mein Experiment startete, informierte ich mich darüber, was ich essen durfte – es war erstaunlich wenig. Beispiel Chips: Ich dachte, sie bestünden aus Kartoffeln und Gewürzen. In Wirklichkeit sind viele Chipsorten nicht einmal vegetarisch. Doch da es in Deutschland 250 000 bis 460 500 überzeugte Veganer gibt, war ich zuversichtlich, dass ich das Experiment überstehen würde. ✳ Zuhause essen war nie ein Problem: Es gibt viele leckere vegane Gerichte, die nur darauf warten, ausprobiert zu werden. Gefüllte Avocado etwa würde ich den meisten „normalen“ Gerichten vorziehen. Zumal eine Avocado die einfachste Möglichkeit für einen Veganer ist, Vitamin D aufzunehmen. Auch beim Frühstück habe ich Butter oder Käse nicht vermisst. Es gibt vegane Aufstriche, die so gut schmecken, dass mir nichts gefehlt hat. Nur beim Blick in den Kühlschrank hat es viel Selbstüberwindung gekostet, kein Würstchen herauszugreifen. Auswärts zu essen war eigentlich auch kein Problem, man musste sich nur im Voraus informieren. Was immer geht: Pizza ohne Käse oder ausgewählte Nudelgerichte beim Chinesen. Marvin kam vegan Schwierig wird es, wenn man ganz gut klar. nachts hungrig durch die Stadt läuft und außer Dönerläden nichts mehr offen hat. Die letzte Möglichkeit ist dann, sich bei einem FastfoodRestaurant Pommes zu bestellen. Pommes selbst bestehen erstaunlicherweise wirklich nur aus Kartoffeln und Salz. An meiner Schule ist es schon schwierig, vegetarische Gerichte oder Snacks zu finden. Veganes Essen zu finden war unmöglich, denn schon eine einfache Brezel ist möglicherweise nicht vegan, da sie mit Schweinefett hergestellt sein kann. Aber wenn man Essen von Zuhause mitbringt und die Spötteleien über sich ergehen lässt, kann man auch in der Schule gut zurecht kommen. ✳ Momente, in denen ich den Selbstversuch abbrechen wollte, gab es kaum, zumal ich mich besser fühlte. Einen gab es allerdings, am Nikolaustag, als der Stiefel mit lauter nicht-veganen Sachen gefüllt war. Nicht einmal die Kaubonbons konnte ich essen, da sie mit Bienenwachs überzogen waren. Aber zum Glück ist vegane Schokolade ein ganz guter Ersatz. Vor dem Experiment dachte ich, ich würde abnehmen. Das war aber nicht der Fall. Vielleicht, weil eine Woche zu kurz war. Mir kam es nicht so vor, als würde ich weniger essen – nur anders, bewusster und gesünder. Bewusster habe ich gegessen, da man vor jedem Verzehr die Inhaltsstoffe genau analysieren muss und man die Dinge manchmal aufgrund der vielen Zusatzstoffe wieder weglegt. Jeden Tag fühlte ich mich besser, vor allem die nachmittägliche Müdigkeit fiel weg. Das erste Mal Fleisch nach dieser Woche war zwar gut, aber nicht so gut wie erwartet. ✳ Obwohl ich mich besser gefühlt habe, wäre ein veganes Leben nichts für mich: Zu groß wäre der Verzicht. Allerdings werde ich künftig weniger tierische Produkte und mehr Obst und Gemüse essen. Eine Gesellschaft ohne Leiden Matthias Rude ist überzeugter Veganer: Im FLUGPLATZ-Interview erklärt er, warum Matthias Rude, 30, hat Philosophie und Vergleichende Religionswissenschaften studiert. Zurzeit promoviert er in Philosophie. 2013 hat er ein Buch mit dem Titel „Antispeziesismus – Die Befreiung von Mensch und Tier in der Tierrechtsbewegung und der Linken“ veröffentlicht. FLUGPLATZ: Herr Rude, warum haben Sie sich dafür entschieden, vegan zu leben? MATTHIAS RUDE: Bei mir kam das aus einem politischen Bewusstsein heraus. Ich war zuvor schon linkspolitisch aktiv und trete allgemein für gesellschaftliche Befreiung und gegen Ausbeutung ein. Da gehört es für mich inzwischen ganz klar dazu, dass man auch gegen die Ausbeutung von Tieren eintritt. Gibt es noch andere Gründe? Die Tierhaltung ist eine der Industrien, welche die Umwelt am meisten belastet und verschmutzt, etwa durch den Ausstoß von CO2, aber auch durch die ganze Gülle und die Abfälle; da werden Böden und Grundwasser verseucht. Hinzu Ja. Ich verfolge keinen moralischen Ansatz, der das generell verurteilen würde. Ich mache Politik dort, wo ich lebe. kommt noch die Abholzung der Regenwälder: Die Futtermittel werden vor allem in Regenwaldgebieten in Südamerika angebaut. Das heißt, dort werden riesige Regenwaldflächen abgeholzt und abgebrannt. Denken Sie, dass man die Ausbeutung der Tiere nur verhindern kann, wenn sich alle Menschen vegan ernähren? Ich denke, dass man „Tierhaltung“ nicht in jeder Situation historisch oder auch geographisch verurteilen und stets von Ausbeutung sprechen sollte, aber dass wir jedenfalls in den westlichen Industriestaaten auf einem technischen Niveau angekommen sind, wo Tierhaltung überhaupt nicht mehr notwendig ist und die weitere gesellschaftliche Entwicklung teilweise sogar hemmt und große Schäden, vor allem für die Umwelt, mit sich bringt. Das heißt, es ist für Sie in Ordnung, dass zum Beispiel Nomadenstämme im Norden, bei denen es schon lange so Tradition ist, Rentiere züchten und von deren Produkten leben? Sie haben ein Buch geschrieben über die Geschichte des Antispeziesismus. Was ist das genau? Für die Tierbefreiungsbewegung bezeichnet „Speziesismus“ diejenige Ideologie, welche die Ausbeutung der Tiere legitimiert. Antispeziesismus ist der politische Kampf gegen Tierausbeutung und gegen jede Ideologie, mit der sie gerechtfertigt wird. Mir ist wichtig zu zeigen, dass es eine lange Vorgeschichte gibt von Menschen und Bewegungen, welche die Befreiung von Mensch und Tier immer schon zusammengedacht haben, so wie das die moderne Tierbefreiungsbewegung auch macht; sie kümmert sich nicht nur um Tiere, wie die klassische Tierrechtsbewegung, sondern betätigt sich in weiteren Feldern politisch. Unser Ziel ist ei- Matthias Rude ne Gesellschaft, in der alle ohne leiden zu müssen leben können, Menschen und Tiere. Denken Sie, dass die Tierbefreiungsbewegung in Zukunft noch mehr Zulauf finden wird? Ich glaube, dass sie auf jeden Fall stärker werden wird in den nächsten Jahren, weil wir gesellschaftlich einen Punkt erreicht haben, an dem die Befreiung der Tiere die nächste große Befreiungsbewegung nach der Abschaffung der Sklaverei und der Befreiung der Frauen sein wird. Ich denke, dass man Befreiung gesellschaftlich weiterdenken muss und dass sie nicht beim Menschen Halt machen wird. Tiere sind ein Teil unserer Gesellschaft und dürfen von gesellschaftlicher Emanzipation nicht ausgeschlossen werden.“ Also denken Sie, dass es mit der Ausbeutung der Tiere ähnlich ist wie früher mit der Sklaverei oder der Unterdrückung der Frauen: dass die Gesellschaft das Unrecht einfach nicht sieht? Ja. Genau das bezeichnet ja auch der Begriff des Speziesismus als Ideologie. Eine Ideolo- Bei veganer Ernährung fehlt noch mehr. Kann man das überhaupt noch ausgleichen? Es ist möglich, aber schwierig. Beispielsweise können Milch und Milchprodukte durch Sojamilch oder durch Produkte auf Reis-Basis ersetzt werden. Bei den Spurenelementen und Vitaminen wird es aber deutlich schwieriger. Gegebenenfalls sollte über eine Substitution nachgedacht werden. Man spricht auch darüber, dass Soja Herzkreislauf-Probleme verursachen könne. Stimmt das? Aus Tierstudien ergeben sich Verdachtsmomente, aber eine Übertragung der Daten auf den Menschen ist meines Wissen noch nicht bekannt. Eine Woche nur Blumen Auf meine Lieblingsgerichte habe ich für eine Woche verzichtet, auch meine Lederjacke musste im Schrank bleiben. Ich habe versucht, eine Woche vegan zu leben. Das heißt: keine tierischen Produkte, überhaupt keine. Was sind Nachteile bei einem vegetarischen Lebensstil? Natürlich muss man darauf achten, dass die Ernährung weiterhin ausgewogen ist. Es sollte auf das Spurenelement Eisen und das Vitamin B12 geachtet werden. Weiterhin muss man auf die Bioverfügbarkeit von Mineralstoffen achten. Es gibt Pflanzeninhaltsstoffe, die die Absorption von Mineralstoffen hemmen können. gie ist dazu da, Ausbeutungsverhältnisse zu verschleiern. Spätestens seit dem 19. Jahrhundert und dem Darwinismus gab es Hinweise, dass die anderen Tiere unsere Verwandten sind, dass sie uns ähnlich sind und, genauso wie wir, Schmerz empfinden. Und darauf kommt es ja an. Info: Matthias Rude, „Antispeziesismus. Die Befreiung von Mensch und Tier in der Tierrechtsbewegung und der Linken“, 2013, 204 Seiten, 10 € Interview: Kerstin Strey Bilder: Privat, Fotolia Karikatur: Rafael Winniger Was gibt es statt Soja noch für Ersatzprodukte? Als Tofuersatz gibt es mittlerweile Seitan, ein Produkt auf Weizenbasis. Joela Fischer Wer sollte nicht vegan leben? Einschränkungen gibt es für Kranke, ältere Menschen, Schwangere und Stillende. Kinder und Jugendliche in der Wachstums- und Entwicklungsphase sollten zudem auch nicht rein vegetarisch ernährt werden, da eine Gefahr der unzureichenden Bedarfsdeckung besteht. Wo kann bei veganer Ernährung eine Grenze gezogen werden? Eine natürliche Grenze gibt es nicht. Jeder muss selbst entscheiden. Frutarismus ist noch extremer als Veganismus. Kann man das gesundheitlich noch vertreten? Das ist für mich sehr fragwürdig, und aus ernährungsphysiologischer Sicht ist Frutarismus ohne Supplementierung kaum möglich. Frutarismus gehört für mich eher zu einer Modeerscheinung. Interview: Moritz Rentzsch, 18 REDAKTION: Eike Freese, Gabi Schweizer BORDTREFF: Montags 18 Uhr im Tagblatt MAILS: [email protected]