Predigt am 2. Sonntag nach Epiphanias 2015 Pastor Bertram Sauppe Markuskirche Hannover Seite 1 Jedermann gibt zuerst den guten Wein und, wenn sie betrunken werden, den geringeren; du aber hast den guten Wein bis jetzt zurückbehalten. Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat, geschehen in Kana in Galiläa, und er offenbarte seine Herrlichkeit. Und seine Jünger glaubten an ihn. Johannes 2, 1-11 Liebe Gemeinde, ich erinnere mich noch sehr gut an eine Andacht in unserem Gemeindebrief. Die stand da auf Seite drei, ist lange her, habs mir doch gemerkt. Erwin Schütterle hat sie geschrieben, der heute schon legendäre ehemalige Wirt der Musikkneipe Kanapee. Der also schreibt in seiner Andacht, was er besonders bemerkenswert an Jesus findet, sei dieses erste Wunder. Jesus kommt als Wort Gottes auf die Erde und was tut er als erstes? Er macht, dass die Leute Wein zum Feiern haben, und zwar vom besten Wein und das auch nicht zu knapp. Erwin Schütterle findet das gut. Und er ist da auch in guter Gesellschaft. Wie endet die Geschichte nochmal: und seine Jünger glaubten an ihn. Supertyp. Bei dem bleiben wir. An Wein wird es uns schon nicht fehlen. Ich möchte mal wissen, was den Evangelisten Johannes bei dieser Geschichte geritten hat! Ob er sie nun aus heidnischer Tradition übernommen hat, Dionysoskult lässt grüßen, oder woher auch immer sie stammt, merkwürdig ist die Sache schon. Besonders, wenn wir bedenken, wie die anderen Evangelisten ihre Lebensgeschichte Jesu beginnen. Markus beginnt mit der Taufe Jesu, bei Matthäus sind es die Weisen aus dem fernen Osten, bei Lukas die Geburt in Armut im Stall und bei Johannes? OK., am Anfang war das Wort usw..., aber dann mal konkret: Wasser wird zu Wein! Das erste Wunder Jesu! Also wenn das nicht in der Bibel stünde und einem französischen Comic-Zeichner wäre diese Geschichte eingefallen, ich weiß nicht, was mancher fromme Christen-Mensch dazu sagen würde. Gott war das Wort, das Wort ward Fleisch, wohnte unter uns und ging erst einmal auf eine Party und zwar eine, wo die Leute aber so was von betrunken waren am Ende. Nein, ich übertreibe nicht. Steht genau so da. Nur dass die Party eine Hochzeit war. Und wenn ich mir vorstelle, diese Geschichte wäre dem Evangelisten Matthäus rechtzeitig in die Finger gekommen, so dass er sie in sein Evangelium hätte einbauen können, ich glaube, er hätte sie umgedreht und in sein 4. Kapitel gesteckt. Da hat er die karge Geschichte des Markus von der Versuchung Jesu ausgeschmückt, und das mit dem Wein wäre doch gerade recht gewesen. So steht es bei Matthäus: Da Jesus vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn. Und der Versucher trat zu ihm und sprach: Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden (Matthäus 4,2-4). Wie wir wissen, lässt Jesus das hübsch bleiben. Was aber, wenn Jesus Durst gekriegt hätte und der Versucher hätte gesagt: Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass dieses Wasser zu Wein werde. Ob der Jesus des Johannes-Evangeliums da auch noch standgehalten hätte? Nun kommen Sie mir nicht damit, dass es in der Wüste ja gar kein Wasser gibt. Predigt am 2. Sonntag nach Epiphanias 2015 Pastor Bertram Sauppe Markuskirche Hannover Seite 2 Jetzt mal im Ernst: dieses Wunder ist eines von der Kategorie, wo ein Matthäus sagen würde: so gerade nicht! Und wenn die beiden einander gekannt hätten, dann hätten sie sich vermutlich über diese Sache ziemlich in die Wolle gekriegt. Vermutlich hätte sich Matthäus zu dem Vorwurf hinreißen lassen, diese Geschichte, dass Jesus schon Betrunkene noch betrunkener macht und die Jünger deshalb an ihn glauben, diese Geschichte ist ja wohl blanke Blasphemie. Zu deutsch: Gotteslästerung. Beleidigung Jesu. Nun wissen wir allerdings, dass Johannes seinen Jesus nie und nimmer hätte beleidigen wollen. Im Gegenteil: Johannes streicht den Sohn Gottes, den Christus, wie kein anderer in seinem Evangelium heraus. Und er hat sich vermutlich bei dieser Geschichte von der Hochzeit zu Kana einiges gedacht. Vielleicht hatte er ja sogar ein schlechtes Gewissen, dass ihm sein erstes Kapitel so philosophisch vergeistigt geraten ist und die anderen hatten so hübsche Geschichten. Vielleicht hat ihm ja jemand gesagt: Johannes, jetzt aber mal konkret, was bedeutet das denn, das Wort ward Fleisch? Und dann ist ihm diese Geschichte unter gekommen und er hat sie eingebaut. Johannes hat sich dabei sicher etwas gedacht. Man kann ja wirklich auf den ersten Blick den Eindruck haben, bei ihm sei Jesus nur der hohe Gottessohn, der mal kurz eine Stippvisite auf der Erde macht, aber so richtig ganz Mensch ist er nicht. Er weiß alles schon im Voraus und am Ende am Kreuz ist er nicht verzweifelt, sondern hat sein Werk vollbracht. Vielleicht ist die Geschichte vom Weinwunder ja eine, die zeigen will: Jesus war hier ganz Mensch. Mittendrin. Vielleicht ist das eine Geschichte, die uns zu einem Alltags-Glauben ermutigen will, gegen den wir Theologen ja durchaus einige Bedenken ins Feld führen könnten. Lieber Gott, mach, dass heute schönes Wetter wird. Ist doch Sonntag. Lieber Gott mach, dass heute alles klappt mit der Feier. Lieber Gott mach, dass ich die Prüfung bestehe. Lieber Gott mach, dass die Hochzeit schön wird. Es könnte eine Ermutigung sein zu einem Alltagsglauben, der aus Fleisch und Blut ist. Übrigens auch eine Ermutigung, protestantische Verzichtsmoral einfach in Frage zu stellen. Die kann ja manchmal ziemlich hart sein. Sieben Wochen ohne..., vor Jahren schon hat man versucht, das in’s Positive zu drehen. Find ich gut! Sieben Wochen ohne Geiz! Damit hat es 2008 angefangen. In diesem Jahr: sieben Wochen ohne Runtermachen! Du bist schön! Vielleicht führt diese Geschichte von der Hochzeit zu Kana dazu, den Glauben lebensbejahender, weltzugewandter zu verstehen. Was mir persönlich aber noch mehr an dieser Geschichte gefällt, ist ihre Anstößigkeit. Ja, ich glaube, im Sinne eines Matthäus ist das eine böse Jesus-Karikatur. Wenn auch ungewollt. Und jetzt komme ich zu dem Punkt, der mir heute wichtig ist: diese Widersprüche in der Bibel kommen der Wahrheit näher als wenn da alles eine Linie hätte. Ich vermute mal, es ist in anderen Religionen nicht anders, von der christlichen Tradition weiß ich es: die ist in sich so widersprüchlich, dass es eine Freude ist. Predigt am 2. Sonntag nach Epiphanias 2015 Pastor Bertram Sauppe Markuskirche Hannover Seite 3 Sie hat einen zentralen Angelpunkt, das ist das Kreuz. Was das Kreuz aber als Symbol der Heilung und der Gottesnähe für uns bedeutet, ja das versuchen die Zeugen des Neuen Testaments auf sehr vielfältige und sehr widersprüchliche Art und Weise zu erzählen, aufzuschreiben, weiterzugeben. Für den einen, für Paulus, ist die Auferstehung eine rein geistliche Sache. Fleisch und Blut können das Reich Gottes nicht ererben (1. Kor. 15, 50). Für den anderen ist klar, dass der auferstandene Jesus am Ende leibhaftig noch eine Grillparty am See Genezareth mit seinen Jüngern feiert. Na gut, es war keine Party, aber von dem Auferstandenen höchstpersönlich gegrillten Fisch gab’s doch. Na, und wo steht das? Eben! Johannes 21. Diese Widersprüchlichkeiten des Evangeliums sind mir wertvoll. Sie haben doch alle das eine Ziel: Christus als den Auferstandenen zu predigen, Gott als den heilsamen, barmherzigen und gnädigen Gott zu glaubhaft zu machen. Oder? Oder? Vielleicht müssen wir sogar dies im Neuen Testament immer wieder suchen. Da gibt es schon auch die richtig unbequemen Stellen, die auch uns nicht ins Bild passen. Der Glaube des Neuen Testaments schert nicht alles über eine Kamm. Es ist keine wohlgeordnete Welt. Im Gegenteil: die Menschen, die uns im Neuen Testament als Boten Gottes begegnen, sind vielfältig, widersprüchlich, übrigens auch miteinander gar nicht immer freundlich gesinnt. Sie kennen den sogenannten Wettlauf des Petrus und des Johannes zum Grab Jesu? Steht auch bei Johannes, Kapitel 20. Johannes, „der Lieblingsjünger“ ;-), und Petrus rennen los und Johannes ist natürlich als erster da. Das bleibt im Johannesevangelium nicht unerwähnt, auch wenn der am Ende Petrus grade noch den Vortritt lässt. Man darf schon vermuten, dass da eine gewisse Konkurrenz der beiden dahinter steckt. Sehr menschlich. Und so nehme ich diese ungewöhnliche, aber so lebensnahe Geschichte von der Hochzeit zu Kana heute als ein Lehrstück dafür, dass diese Welt bunt ist und widersprüchlich und vor allem: dass der Glaube nicht dadurch wahrer und glaubwürdiger wird, wenn alle dasselbe sagen und alle dasselbe denken. Nein, im Gegenteil, wir kommen der Wahrheit näher, wenn es den Widerspruch gibt, auch die Provokation, auch das Ärgernis, auch den Streit. Darum gehört es zum Glauben dazu, den anderen zu respektieren, auf ihn zu hören, ihn zu tolerieren. Und wenn der andere aber nunmal von einer Welt träumt, in der alle dasselbe sagen und denken und keiner aus der Reihe tanzt? Ja, dann lohnt es sich, mutig dagegen zu halten für eine Welt, in der Widersprüche nicht glatt gebügelt werden. Amen.