26-27.qxd 27.07.04 11:36 Seite 26 PFLANZENSCHUTZ ■ Eichen-Prozessionsspinner Die April bis Anfang Mai (etwa zum Austrieb der Eichenblätter) aus den Eiern schlüpfenden Raupen durchlaufen sechs Larvenstadien. Dabei unterscheiden sich die einzelnen Stadien sowohl in ihrem Verhalten als auch ihrem optischen Erscheinungsbild – insbesondere in Bezug auf die Ausbildung der Brennhaare – deutlich. Alle Stadien treten gesellig auf, wobei die ersten Stadien die Blätter und Triebe der Eichen zu einem lockeren Gespinst verbinden, ältere Larvenstadien (etwa ab L5; Mitte Juni) bilden größere Gespinstnester aus, die ähnlich wie die frühen Gespinste als Ruhestätte fungieren, jedoch reichlich mit Kot und Häutungsresten gefüllt sind. Die ersten Gespinste treten entsprechend der Eiablage eher im oberen Kronenbereich auf, die fußballgroßen und bis zu einem Meter langen Gespinstnester rutschen dann in tiefere Bereiche und finden sich meist in Astgabelungen, am Stamm oder unterhalb dicker Seitenäste. Der Fraß der Larven erfolgt nachts, wobei die typischen Prozessionen gebildet werden. Vereinzelt sind auch Wanderungen am Tage zu beobachten, hierbei handelt es sich meist um Larven, die sich gerade gehäutet haben. Typisch für den Eichenprozessionsspinner sind mehrreihige Prozessionen. Im Schutz der Massenbewegung grasen die Raupen Wirtsbäume und deren Nachbarn ab. Die Idee, einmal die Larven im Kreis laufen zu lassen, hat der Entomologe Jean Henri Fabre bereits vor 100 Jahren umgesetzt. Das erstaunliche Ergebnis war, dass die Tiere weiter unbeeindruckt ihren Weg gehen: Belegt ist für den Kiefern-Prozessionsspinner eine Wanderung um eine Vase (Umfang 1,35m) über einen Zeitraum von sieben Tagen, wobei die Tiere in der Nacht geruht haben und am Tag ihren Weg wieder aufgenommen haben; über 335mal haben sie dabei ihre Runden gedreht. Ein Kontakt mit den Brennhaaren führt auf Grund mechanischer Reizung in Verbindung mit einem in den Brennhaaren gelagerten Stoff (Thaumetopein) zu vielfältigsten allergischen und pseudoallergischen Reaktionen. Auf der Haut führt ein Kontakt binnen kurzer Zeit zu schmerzhaftem Brennen und Jucken, zu Rötungen und Schwellungen und zur Quaddelbildung (lässt innerhalb einer Woche nach). Auch Schleimhautreizungen treten auf (Mund, Nase, Auge). Anfällige Personen können einen Asthma-Anfall erleiden, auch ist im Extremfall ein allergischer Schock möglich. Unspezifische Begleiterscheinungen äußern sich in Form von Fieber, Müdigkeit oder auch Schwindel. In allen Fällen sollte stets der Arzt aufgesucht werden mit dem Hinweis auf einen Kontakt mit den Prozessionsspinnerraupen. Die Behandlung erfolgt bei- spielsweise auf der Basis von Kortisonpräparaten und Antihistaminika. Bedingt durch die Langlebigkeit der Brennhaare in den alten Gespinstnestern, beschränkt sich der kritische Zeitraum nicht nur auf die Raupenzeit. Auch dies sollte beim Auftreten von verdächtigen Hautsymptomen oder anderen Reaktionen berücksichtigt werden. Die direkten Maßnahmen reduzieren sich auf rein mechanische Verfahren zur Entfernung der Raupen und der Gespinstnester (Schutzkleidung und Atemschutz erforderlich) sowie den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Das Entfernen kann über ein Absammeln oder auch Absaugen erfolgen. Bewährt hat sich ein vorheriges Abspritzen der Nester mit Wasserglas (= Natriumsilikat), um die Brennhaare zu binden. TL Eine haarige Angelegenheit er Eichenprozessionsspinner gehört zu den Schädlingen, deren Auftreten manchmal auch in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Das ist zum Beispiel dieses Jahr wieder der Fall. Prozessionsspinner kommen in Mitteleuropa nur mit drei wichtigen Arten vor, nämlich dem Eichen-Prozessionsspinner (Thaumetopoea processionea), dem Kiefern-Prozessionsspinner (T. pinivora) und dem Pinien-Prozessionsspinner (T. pityocampa). Charakteristisch ist für alle drei Arten die Prozessionsbildung bei den Larven, das Vorhandensein von Brennhaaren und die Ausbildung von Gespinstnestern. D Entwicklungsstadien Der Eichen-Prozessionsspinner durchlebt wie jeder andere Schmetterling die Stadien Ei, Larve, Puppe und Imago (holometabole Entwicklung), wobei eine Generation pro Jahr gebildet wird. Die Überwinterung erfolgt als Ei. Die nur 1 mm großen Eier werden als Gelege (circa 150 Stück) im oberen Kronenbereich junger Eichenzweige (ein- bis dreijährige Triebe), bevorzugt auf der Südseite abgelegt. Sie werden vom Weibchen mit einem Sekret abgedeckt, sodass das Gelege nur schwer zu erkennen ist. Es ist als einschichtige Platte aus bis zu acht, jeweils bis 30 Eier umfassenden Reihen aufgebaut. Bevorzugte Eiablageplätze der Wärme liebenden Art sind sonnige Waldränder sowie besonnte Einzelbäume, wobei in der Nähe stehende Lichtquellen eine Eiablage fördern (zum Beispiel Straßenbeleuchtung, Hausbeleuchtung, Flutlicht). ■ Prozessionsspinner Brennhaare und deren Auswirkungen auf den Menschen D ie Raupen des Eichenprozessionsspinners besitzen zwei Typen von Haaren. Zum einen die auf Warzen sitzenden, auffälligen und recht langen Haare (die jedoch für den Menschen unschädlich sind) sowie sehr kurze, nur etwa 0,1 bis 0,2 mm langen Spiegelhaare, die auf dem Rücken der Larven in den so genannten Spiegelfeldern ausgebildet werden. Deren Anzahl nimmt mit dem Larvenstadium zu: So besitzen die beiden ersten Larvenstadien keine Brennhaare, das dritte Stadium bildet bereits einige auf dem 11. Hinterleibssegment aus und im sechsten Larvenstadium tragen die Segmente vier bis elf deutliche Spiegelfelder. Die Zahl der 26 Brennhaare ist enorm: Schätzungen für eine ausgewachsene Prozessionsspinnerraupe gehen von 600 000 Brennhaaren aus. Diese Haare werden von den Larven abgegeben und mit dem Wind weiter verbreitet. Sie sind am unteren Ende zugespitzt, mit Widerhaken versehen und dringen so leicht in die Haut ein. Ein Kontakt ist auf direktem Wege (Larvenkontakt), über die vom Wind verbreiteten Haare oder über die Gespinstnester möglich, die auf Grund von Häutungsresten ein nicht zu unterschätzendes Potenzial darstellen. Beim Pinien-Prozessionsspinner wird über eine Wirkungsdauer der Haare von über zwölf Jahren berichtet. 31/2004 26-27.qxd 27.07.04 11:36 Seite 27 Die langen Haare der Raupen sind ungefährlich Bild: Perny Bild: Steiner In „Prozessionen“ wandern die Raupen von Baum zu Baum Die Eier sitzen in einem mehrreihigen Gelege Bild: Perny Ende Juni/Anfang Juli, etwa zur Blütezeit der Robinie, kommt es zur Bildung von Puppe, die sich innerhalb der Gespinstnester befinden. Nach etwa 3 bis 5 Wochen schlüpfen die Falter. Ein Teil der Puppen (3 %) kann in Diapause gehen, sodass die Falter erst nach ein oder zwei Jahren schlüpfen. Die Schmetterlinge sind vergleichsweise unscheinbar (grau-braune Farbe, Spannweite 3 cm) und werden vom Laien, da die Tiere auch gerne vom Licht angezogen werden, als Motten angesprochen. Ihre Hauptaktivität liegt in den Nachmittags- bis Abendstunden, sie können dabei auch größere Strecken zurücklegen. Die Lebensdauer der Falter ist kurz, nach der Begattung erfolgt die Eiablage. Schadwirkung Das Nahrungsspektrum des Eichenprozessionsspinners beschränkt sich auf Eichen, nämlich hauptsächlich Stiel- 31/2004 Eiche (Quercus robur), Trauben-Eiche (Q. petraea) und Rot-Eiche (Q. rubra). In der Literatur wird zusätzlich Naschfraß an Hainbuche (Carpinus betulus) beschrieben. Da der Schlupf der Raupen mit dem Austrieb der Eichen einhergeht, treten bereits frühzeitig Fraßschäden auf, also an schwellenden Knospen und jungen Blättern. Für eine einzelne Raupe wird eine Fraßleistung von etwa sieben bis acht Blättern aufgeführt. Auf Grund der hohen Individuenanzahl der Larven ist ein Kahlfraß möglich, der jedoch durch einen Neuaustrieb im gleichen Jahr („Johannistrieb“) meist ausgeglichen wird. Ohne zusätzliche Stressfaktoren ist ein einmaliger Befall nicht weiter beunruhigend. Kritisch ist hingegen ein mehrjähriger Kahlfraß in Verbindung mit anderen Störeinflüssen (zum Beispiel Eichenmehltau, Eichenprachtkäfer). Die Schäden können dann bis zum Absterben der Bäume reichen. Bild: Tomiczek Eine Prozession kann aus Tausenden Raupen bestehen Bekämpfung Beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ist darauf zu achten, dass die Gefahr in erster Linie von den Brennhaaren ausgeht und Maßnahmen, die erst nach dem dritten Larvenstadium greifen, wenig sinnvoll sind. Einsetzbar wären beispielsweise bis Anfang Mai Präparate auf der Basis von Bacillus thuringiensis (= B.t.). Günstig für einen hohen Wirkungsgrad ist hier eine warme Witterung sowie niederschlagsfreie Zeit in den Tagen nach einer Applikation. Neben den B.t.-Produkten sind auch Neem-Produkte und klassische Kontaktmittel (Pyrethroide) einsetzbar. Pheromonfallen, ausgestattet mit Sexuallockstof- fen zum Abfangen der männlichen Falter, sind ebenfalls bekannt. Sie dienen jedoch primär einem Monitoring, eine echte Bekämpfung ist auf diesem Weg nicht möglich. Über die erfolgreiche Stamminjektion mit Hilfe von systemisch wirksamen Produkten wird in Versuchen berichtet. Daraus abgeleitete praktische Maßnahmen sind aber zumindest in Deutschland nicht legal. Eine Prognose für den Befall im nächsten Jahr ist über die Erfassung der Eigelege im Kronenspitzenbereich möglich. Vor jeder Anwendung ist zu klären, ob der Einsatz der jeweiligen Pflanzenschutzmittel legal möglich ist. Dies gilt insbesondere bei gärtnerisch nicht genutzten Flächen, bei denen eine Ausnahmegenehmigung nach §6 (3) Pflanzenschutzgesetz erforderlich ist. Ansprechpartner in Sachen Eichenprozessionsspinner sind je nach ihrem Auftreten in erster Linie die Forstbehörden beziehungsweise die Pflanzenschutzämter der Länder. Thomas Lohrer, Forschungsanstalt für Gartenbau, Institut für Gartenbau, Freising Bilder: Perny (2), Steiner, Tomiczek, Bundesamt und Forschungszentrum für Wald, Wien 27