1 Frauen und Sprachgebrauch

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Frauen und Sprachgebrauch:
gesprächs- und kommunikationsanalytische Aspekte
F RIEDERIKE BRAUN
Reden Frauen anders?
Entwicklungen und Positionen in der
linguistischen Geschlechterforschung1
1 Einleitung
Das Sprachverhalten von Frauen ist ein Thema, das nicht nur die Linguistik beschäftigt, sondern auch im Alltag eine wachsende Rolle
spielt. Denn die sprachbewusste »Eva« achtet heute auf ihre »Verbalhygiene«, wie es Deborah Cameron (1995 a, b) zynisch nennt: Manche
Frauen nehmen an speziellen Rhetorikkursen für Frauen teil, andere
studieren die Ratgeberliteratur zum Thema »Kommunikation zwischen den Geschlechtern«, und wieder andere absolvieren ein Durchsetzungstraining. Nicht immer wird jedoch das weibliche Sprachverhalten als Problem gesehen: So setzen z. B. Industriebetriebe mitunter
gezielt weibliche Führungskräfte ein, um einen Kommunikationsstil zu
fördern, in dem die »kommunikative Kompetenz« von Frauen (soft
skills) ihre wohltuende Wirkung entfaltet.
Zum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung ist die Frage
nach dem geschlechtstypischen Sprachverhalten gereift, als sich die linguistische Geschlechterforschung etablierte. Innerhalb seiner ca. 30jährigen Geschichte hat dieser Wissenschaftszweig eine umfangreiche
Forschungsliteratur hervorgebracht, in der sehr heterogene, durchaus
widersprüchliche Befunde und Ansätze präsentiert werden. Der vorliegende Überblick soll deutlich machen, welche unterschiedlichen theoretischen Positionen in der Beschreibung und Erklärung des weiblichen
und männlichen Sprachverhaltens vertreten wurden bzw. werden. Bei
allen Perspektivenwechseln, die sich in der Forschungsgeschichte aus1
Dieser Beitrag erschien zuerst als LAUD Series A: General & Theoretical Paper
No. 520 (2000) und wurde für den vorliegenden Sammelband geringfügig überarbeitet.
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1 Frauen und Sprachgebrauch
machen lassen, erweist sich allerdings eine Tendenz als relativ konstant: In Betrachtungen über die Sprache von Frauen und Männern bildet männliches Sprachverhalten häufig den Hintergrund, vor dem das
weibliche als besonders und erklärungsbedürftig hervortritt. Auf diese
Asymmetrie soll der Titel »Reden Frauen anders?« ironisch aufmerksam machen, denn die Frage, ob Männer »anders« reden, ist kaum gestellt worden. Aus dieser schiefen Perspektive lassen sich die verschiedenen Positionen unter folgenden Überschriften fassen:
Reden Frauen überhaupt?
Frauen reden anders
Frauen reden schlechter
Frauen reden besser
Frauen reden anders, aber gleich gut
Wer anders redet, ist eine Frau
Reden Frauen wirklich so anders?
Im Folgenden sollen diese Ansätze kurz vorgestellt und kommentiert
werden.
2 Reden Frauen überhaupt?
Auch wenn die Frage nach weiblichem und männlichem Sprachverhalten heute ganz selbstverständlich erscheinen mag, wurde Sprachforschung doch lange Zeit so betrieben, als gebe es, überspitzt gesagt, keine Frauen – oder jedenfalls keine sprechenden. Denn vielfach wurden
Sprachdaten nur von männlichen Gewährspersonen erhoben und die
Frage nach Geschlechtsunterschieden wurde gar nicht gestellt. Theorien bezogen sich nicht selten auf männliche Sprecher in männlichen
Kommunikationskontexten. Hierfür finden sich Beispiele selbst in der
Soziolinguistik, also der Teildisziplin, die sich ausdrücklich der Beziehung zwischen sozialen und sprachlichen Strukturen widmet und deshalb die Kategorie Geschlecht eigentlich unmöglich übersehen dürfte.
Als ein Beispiel ist einer der »klassischen« Artikel der Anredeforschung zu nennen: »The pronouns of power and solidarity« von Roger
Brown und Albert Gilman (1960). Der Artikel untersucht die Verwendung von du- und Sie-Formen in verschiedenen Sprachen. Obwohl
Brown und Gilman bei ihren Befragungen auch Daten einiger Sprecherinnen einholten, stützen sie ihre Darstellung, wie sie ohne weitere Begründung angeben, ausschließlich auf die Angaben ihrer männlichen Informanten (vgl. Brown/Gilman 1960: 262). Selbst im Fragebogen, also als
Adressatinnen von Anredeverhalten, spielen Frauen eine untergeordne-
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FRIEDERIKE BRAUN: Reden Frauen anders?
te und beschränkte Rolle. So skizzieren Brown und Gilman (1960: 262)
den Fragebogenteil zur Anrede in der Familie z. B. folgendermaßen:
»The questionnaire asks about usage between the subject and his mother, his
father, his grandfather, his wife, a younger brother who is a child, a married
elder brother, that brother’s wife, a remote male cousin, and an elderly female servant whom he has known from childhood.«
Obwohl im Fragebogen also ein Großvater vorkommt, gibt es keine
Großmutter; es gibt Brüder, aber keine Schwestern – und zum Ausgleich nur ein älteres Dienstmädchen. Trotz der weitgehenden Ausblendung von Frauen als Sprecherinnen und als Adressatinnen hatten
Brown und Gilman aber keine Bedenken, Verallgemeinerungen über
die Regeln des Duzens und Siezens in den untersuchten Sprachgemeinschaften zu formulieren.
Wenn schon die Soziolinguistik, jedenfalls die frühe, den Sprachgebrauch von Frauen übergehen konnte, so verwundert es nicht, dass
dies auch in anderen Bereichen linguistischer Beschreibung geschah
und noch geschieht. Noch im Jahr 1994 war z. B. auf einer internationalen Konferenz für türkische Linguistik ein Vortrag über die Sprache in
der türkischen Region Bolu zu hören, der ausschließlich auf Sprachdaten männlicher Sprecher beruhte (Hayasi 1998). Natürlich ist es aus erhebungspraktischen Gründen nicht immer möglich, beide Geschlechter gleichermaßen in eine Untersuchung einzubeziehen. Aber nur die
Sprache von Männern zu untersuchen und diese dann als die Sprache
einer ganzen Region zu beschreiben, ist kennzeichnend für die Haltung, auf die die Überschrift »Sprechen Frauen überhaupt?« zielt. Natürlich ist mitunter auch der umgekehrte Fall zu beobachten: Frauen
(insbesondere ältere Sprecherinnen) waren z. B. in der deutschen Dialektforschung bevorzugte Informantinnen. Dass aber eine ganze Theorie oder ein Sprachmodell ausschließlich auf weiblicher Sprache und
weiblichen Kommunikationskontexten basiert, scheint in der Linguistik eindeutig die Ausnahme zu sein.
3 Frauen reden anders
Die Tatsache, dass auch Frauen redeten, ließ sich nicht auf Dauer übersehen. Die sprachliche Andersartigkeit von Frauen wurde dabei zunächst in fremden Kulturen konstatiert und war vom Hauch des Exotischen umgeben: Im 17. Jahrhundert etwa wurde beobachtet, dass es auf
den Kleinen Antillen ein Volk gebe, bei dem die Frauen eine ganz andere Sprache verwendeten als die Männer. Vermutet wurde, dass die
Frauen einem Stamm angehörten, dessen Männer in einer kriegeri-
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1 Frauen und Sprachgebrauch
schen Auseinandersetzung getötet worden waren. Die siegreichen
Krieger heirateten die Frauen des unterlegenen Stammes, jedoch behielten die Frauen ihre eigene Sprache bei.2 Heute wird jedoch – weit
weniger exotisch – angenommen, dass es sich nicht um verschiedene
Sprachen, sondern um weibliche und männliche Register derselben
Sprache handelte oder sogar nur um einige lexikalische Unterscheidungen, wobei gegenseitige Verständlichkeit aber gewährleistet war
(Baron 1986: 59 f.).
Auch Wilhelm von Humboldt, der im 19. Jahrhundert Beobachtungen über das weibliche Sprachverhalten anstellte, beschäftigte sich vorwiegend mit Kulturen und Sprachen, die als exotisch galten, z. B. mit
indianischen und afrikanischen Sprachgemeinschaften. Doch auch
ganz generell ging Humboldt davon aus, dass Frauen irgendwie anders
sprechen als Männer, wenngleich er sich nicht in der Lage sah, diese
Unterschiede zu benennen:
»Frauen drücken sich in der Regel natürlicher, zarter und dennoch kraftvoller, als Männer aus. Ihre Sprache ist ein treuerer Spiegel ihrer Gedanken und
Gefühle [...]. Wirklich durch ihr Wesen näher an die Natur geknüpft, durch
die wichtigsten und doch gewöhnlichsten Ereignisse ihres Lebens in grössere
Gleichheit mit ihrem ganzen Geschlecht gestellt, [...] verfeinern und verschönern sie die Naturgemässheit der Sprache, ohne ihr zu rauben, oder sie zu
verletzen. Ihr Einfluss geht im Familienleben und im täglichen Umgang so
unmerklich in das gemeinsame Leben über, dass er sich einzeln nicht festhalten lässt.« (Humboldt 1827–29: 253 f.)
Einer der Ersten, die weibliches Sprachverhalten speziell in westlichen
Kulturen genauer betrachteten, war der dänische Linguist Otto Jespersen (1925). Aufgrund seiner Eindrücke stellte er verschiedene, sehr
konkrete Merkmale des weiblichen Sprechens zusammen, wie z. B.:
»Darüber besteht jedoch kein zweifel, daß die frauen in allen ländern davor
zurückschrecken, gewisse körperteile und gewisse natürliche verrichtungen
mit den unmittelbaren und oft derben bezeichnungen zu benennen, die männer und vor allem junge leute bevorzugen, wenn sie unter sich sind. Die frauen ersinnen deshalb harmlose und schönfärbende wörter und redensarten
[...].« (Jespersen 1925: 229)
Insgesamt beschrieb Jespersen folgende Unterschiede im Sprachverhalten von Frauen und Männern:
Frauen:
– unvollständige Sätze
– parataktischer Satzbau
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Männer:
– vollständige Sätze
– hypotaktischer Satzbau
Vgl. dazu Günthner/Kotthoff (1991) und Baron (1986: 59 f.).
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FRIEDERIKE BRAUN: Reden Frauen anders?
– Euphemismen
– verstärkende Adverbien
– geringerer Wortschatz
– durchschnittliche Wortwahl
– reden mehr und schneller
– Kraftausdrücke und Tabuwörter
– umfangreicherer Wortschatz
– ungewöhnliche und innovative
Wortwahl
– reden weniger, Sprachstörungen
So überholt, wie Jespersens Betrachtungen wegen ihrer altertümlichen
Ausdrucksweise erscheinen, sind sie nicht: Wie sich noch zeigen wird,
entsprechen manche der von Jespersen genannten Punkte den Variablen, die auch heute in der linguistischen Geschlechterforschung untersucht werden (z. B. der Gebrauch von Kraftausdrücken oder von verstärkenden Adverbien).
4 Frauen reden schlechter
Spätestens mit Jespersen war der Verdacht aufgekommen, dass Frauen
anders reden als Männer. Die linguistische Geschlechterforschung als
wissenschaftliche Disziplin verdankt ihre Entstehung jedoch nicht Otto
Jespersen, sondern den Impulsen, die von der Frauenbewegung der
späten 1960er- und der 1970er-Jahre ausgingen. Feministinnen, die damals die gesellschaftliche Benachteiligung von Frauen anprangerten,
entdeckten im Sprachverhalten eine wesentliche Ursache weiblicher
Machtlosigkeit. Eine der wichtigsten Arbeiten in diesem Zusammenhang ist der Artikel »Language and woman’s place«, den die Amerikanerin Robin Lakoff 1973 veröffentlichte und 1975 zu einem Buch ausbaute. Obwohl auch andere das Thema Sprache und Geschlecht etwa
zur gleichen Zeit entdeckten (z. B. die amerikanischen Linguistinnen
Mary Ritchie Key und Cheris Kramer oder der norwegische Psychologe
Rolf Blakar), gilt v. a. Lakoffs Arbeit als »Initialzündung« der linguistischen Frauenforschung, da sie eine breite Diskussion und eine wahre
Flut an empirischen Untersuchungen auslöste. Nach Lakoff (1973) ist
weibliches Sprachverhalten durch folgende Merkmale gekennzeichnet:
– Frauen besitzen einen differenzierten Wortschatz im trivialen Bereich der Farbbezeichnungen, z. B. ecru, mauve, lavender
– Frauen verwenden schwächere Ausrufe oder Kraftausdrücke als
Männer, z. B. oh dear! (vs. männlich shit!), goodness! (vs. männlich
damn!)
– Frauen verwenden Adjektive, die Assoziationen von Frivolität und
Trivialität erwecken, z. B. adorable, charming, lovely (vs. männlich oder
neutral great, terrific, cool)
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1 Frauen und Sprachgebrauch
– Frauen stellen häufig Fragen und verwenden angehängte Frageformen (tag questions), z. B. Sure it is hot here, isn’t it? oder The war in Vietnam is terrible, isn’t it?
– Frauen neigen zur Verwendung von Unschärfemarkierungen
(hedges), z. B. you know, kind of
– Frauen drücken sich höflicher aus als Männer (z. B. indirekte Aufforderungen)
Mit diesen Eigenschaften reflektiert weibliches Sprachverhalten die gesellschaftliche Machtlosigkeit von Frauen. Um der weiblichen Rolle gerecht zu werden, so Lakoff, müssen Mädchen den weiblichen Sprachstil
erlernen; damit legen sie aber das Fundament dafür, nicht ernst genommen zu werden und sich nicht durchsetzen zu können.
In Deutschland leitete Senta Trömel-Plötz 1978 die Diskussion ein.
Ihr Artikel »Linguistik und Frauensprache« wurde, wie der von Lakoff,
Auslöser für eine Vielzahl empirischer Studien. Ihre Bestandsaufnahme weiblichen Sprachverhaltens im Deutschen unterscheidet sich von
Lakoffs Beobachtungen nur in Nuancen.3 Darüber hinaus stimmt Trömel-Plötz (1982: 52) mit Lakoff in der negativen Einschätzung des
weiblichen Sprachverhaltens überein und sieht Frauen in einer Zwickmühle gefangen: Sprechen sie typisch weiblich, werden sie als Frau
akzeptiert, bleiben aber machtlos. Sprechen sie dagegen wie Männer,
gelten sie nicht als »richtige« Frau oder werden als Emanze diskreditiert. Die Pionierinnen der linguistischen Geschlechterforschung gingen also von folgenden Annahmen aus: a) Frauen reden anders als
Männer, b) weibliches Sprachverhalten bringt Frauen Nachteile in der
Kommunikation. Weibliche Sprache ist somit ein Handicap.
5 Empirische Untersuchungen: Ergebnistendenzen
Die Thesen von Lakoff und Trömel-Plötz stützten sich zunächst nicht
auf empirische Befunde, sondern auf Beobachtungen und Introspektion, ein Punkt, der insbesondere Lakoff immer wieder angelastet wurde (vgl. auch Hall 1995: 184). Wie schon angedeutet, motivierten sie
aber empirische Forschung zum geschlechtstypischen Sprachverhalten. Die erste Untersuchungswelle ergab folgende Tendenzen (vgl. die
Zusammenfassung in Braun 1993):4
3
4
So etwa in der Feststellung, dass Frauen besonders zu Diminutiven neigen, ein
Punkt, der bei Lakoff nicht angesprochen ist.
Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch andere Überblicksdarstellungen (z. B.
Günthner 1997: 123).
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FRIEDERIKE BRAUN: Reden Frauen anders?
– Frauen orientieren sich in Aussprache und Grammatik an der hochsprachlichen Norm. Männer dagegen neigen zu Formen der Umgangssprache oder des Dialekts. Diese Formen sind z. T. positiv mit
Männlichkeit assoziiert und können ein verdecktes Prestige haben.
– Frauen sind höflicher und indirekter als Männer: Sie kennzeichnen
ihre Äußerungen z. B. häufiger als Bitten, wohingegen Männer zu direkten Aufforderungen neigen und den Imperativ verwenden. Frauen sprechen andere häufig mit Namen an, womit sie ihr Gegenüber
aktiv in das Gespräch einbeziehen. Auch gestalten Frauen Gespräche
dialogisch, indem sie mehr Fragen stellen. Mithilfe abschwächender
Formulierungen (hedges) geben Frauen ihren Aussagen eine zurückhaltende Form.
– Männer sind in Gesprächen auf die Rolle des Sprechenden orientiert:
Sie ergreifen häufiger das Wort als Frauen und produzieren längere
Äußerungen. Auch neigen sie dazu, andere zu unterbrechen – insbesondere Frauen. Als Zuhörerinnen bekunden Frauen durch Minimalreaktionen wie hm, ja oder genau ihr Interesse an den Äußerungen anderer. Männer geben weniger Minimalreaktionen, erhalten aber
mehr als Frauen.
– Insgesamt wurde bei Frauen ein eher kooperativer Gesprächsstil
festgestellt: Frauen greifen Beiträge von anderen auf, lassen andere
zu Wort kommen und sprechen persönlicher. Dagegen erscheint der
Gesprächsstil von Männern kompetitiv: Männer beziehen sich häufig auf eigene Äußerungen statt auf die von anderen und kümmern
sich weniger um den Beziehungsaspekt des Gesprächs.
Eine neuere Bestandsaufnahme, die ausschließlich Arbeiten aus dem
angloamerikanischen Raum betrachtet, kommt zu folgender Liste geschlechtstypischer Unterschiede (Mulac 1999):
Frauen:
– intensivierende Adverbien
– Bezugnahme auf Gefühle
– Nebensätze
– durchschnittliche Satzlänge
– satzeinleitende Adverbialangaben
– Unsicherheitsverben
– Oppositionen
– Negationen
– hedges
– Fragen
Männer:
– Bezugnahme auf Quantität
– beurteilende Äußerungen
– elliptische Sätze
– Direktive
– Lokative
– ich-Bezüge
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1 Frauen und Sprachgebrauch
In den empirischen Befunden lassen sich also viele, wenn auch nicht alle Merkmale wiederfinden, die Lakoff und Trömel-Plötz postuliert hatten. Allerdings ist zu bedenken, dass es sich hier nur um graduelle und
nicht um kategorische Unterschiede handelt. Frauen und Männer machen lediglich unterschiedlich häufig Gebrauch von Formen aus einem
insgesamt gleichen Repertoire. Zu bedenken ist auch, dass die Unterschiede nicht in allen Studien in gleichem Umfang bestätigt wurden
und dass die Untersuchungen heute z. T. als methodisch kritikwürdig
gelten.
6 Frauen reden besser
Nachdem derartige empirische Ergebnisse vorlagen, galt es allgemein
als gesichert, dass Frauen anders reden als Männer. Die Interpretation
der Unterschiede änderte sich jedoch bald. War die ursprüngliche Auffassung gewesen »Frauen reden schlechter«, so bildete sich jetzt die
gegenteilige Sicht heraus: Frauen redeten in Wirklichkeit »besser«! Dieser Tenor findet sich z. B. in einer Arbeit von Fritjof Werner zum Thema
Gesprächsverhalten von Frauen und Männern aus dem Jahr 1983. Werner
(1983: z. B. 253 f.) hebt die negativen Auswirkungen hervor, die männliches Sprachverhalten insbesondere auf den Beziehungsaspekt von
Kommunikation haben könne, wohingegen weibliches Sprechen beziehungsfreundlich sei. Eine noch deutlichere Abwertung männlichen
Sprechens – und damit eine Aufwertung des weiblichen Stils – findet
sich in dem 1984 von Trömel-Plötz herausgegebenen Sammelband Gewalt durch Sprache. Hier beschreibt Ursula Zumbühl (1984) männliches
Gesprächsverhalten z. B. unter folgenden Überschriften:
1. Geschwätzigkeit (Logorrhöe)
2. Das Kraftsyndrom (auch Wurmsatzsyndrom genannt)
3. Die Pseudostruktur
4. Die Pseudo-Souveränität
5. Das Selbstermächtigungssyndrom
6. Das Aufwertungssyndrom
7. Das Zeiterschleichungssyndrom
Die von Lakoff aufgeworfene Frage »Was machen Frauen falsch?« erhält bei Zumbühl also die gegenteilige Form: »Was machen Männer
falsch?« Die Überschriften lassen, ironisch überzeichnet, anklingen, zu
welchen Antworten Zumbühl kommt.
Noch verstärkt findet sich die Position »Frauen reden besser« in den
jüngsten Arbeiten von Senta Trömel-Plötz. Den Wandel in ihrer Einstel-
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FRIEDERIKE BRAUN: Reden Frauen anders?
lung erklärt Trömel-Plötz als Ergebnis eines langen Erkenntnisprozesses, in dessen Verlauf sie die Qualität und Kompetenz im weiblichen
Gesprächsverhalten erkannt habe (Trömel-Plötz 1996 b: 370). Die Sprache der Verständigung, wie Trömel-Plötz die Frauensprache im Titel ihres
Buches von 1996 bezeichnet, wird nun folgendermaßen charakterisiert:
»[...] Verzicht auf Selbstdarstellung – wichtig in der Herstellung von Gleichheit; Vermeidung von dominanten Sprechhandlungen – wichtig in der Herstellung von Nähe und Solidarität; Anerkennung der Leistung anderer –
wichtig in der Konstruktion von Kompetenz und Arbeitsbegeisterung; Informationsfluß und Aufteilung von Macht – wichtig in der Herstellung von
Solidarität und Loyalität. Alle diese Eigenschaften sind wesentlich für einen
humanen Dialog. Sie sind erlernbar und können gesellschaftlich eingesetzt
werden zu einer Kommunikation der Verständigung.«
(Trömel-Plötz 1996 a: 16)
Weil Frauen sprachliche Dominanzgesten vermeiden und ihr Gegenüber kommunikativ unterstützen, hat weibliche Sprache für TrömelPlötz eine »therapeutische«, ja geradezu »heilende« Qualität (vgl. auch
Trömel-Plötz 1997). Frauengespräche sind »Idealgespräche«.
7 Frauen reden anders, aber gleich gut
Während Frauensprache also einerseits als Handicap kritisiert und andererseits als menschliche, heilende Sprache glorifiziert wurde, entstand in der Diskussion eine weitere Position, die sich als diplomatischer Mittelweg präsentierte: »Frauen sprechen anders, aber gleich
gut«. Vertreterinnen und Vertreter dieses Standpunkts nehmen für beide Geschlechter ein ungleiches, aber gleichwertiges Sprachverhalten
an. Dabei werden die Unterschiede so stark betont, dass Verständigungsprobleme zwischen den Geschlechtern unvermeidbar scheinen.
Wohl die bekannteste Vertreterin dieser Richtung ist die amerikanische Sprachwissenschaftlerin Deborah Tannen, deren populärwissenschaftliche Bücher zu Bestsellern wurden, so z. B. der Band You just
don’t understand von 1990 (deutsch als Du kannst mich einfach nicht verstehen, 1991). Die theoretische Position von Tannen speist sich zu beträchtlichen Teilen aus den anthropologischen Arbeiten von Daniel
Maltz und Ruth Borker. In diesem Ansatz werden Gespräche zwischen
Frauen und Männern wie Gespräche zwischen Menschen betrachtet,
die verschiedene Dialekte sprechen oder verschiedenen Kulturen angehören.5 Zwischen ihnen muss es zu Missverständnissen kommen. Wäh5
Die geschlechtstypischen Varietäten werden deshalb auch, in Analogie zu Dialekt
oder Soziolekt, mit dem Begriff Genderlekt bezeichnet.
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1 Frauen und Sprachgebrauch
rend Frauen z. B. mit Minimalreaktionen signalisieren ›ich höre dir zu‹,
bedeuten Minimalreaktionen im männlichen Genderlekt ›ich stimme
dir zu‹ (Maltz/Borker 1991). Das macht einsichtig, warum Frauen und
Männer Minimalreaktionen unterschiedlich häufig verwenden und
unterschiedlich auf sie reagieren.
Tannen illustriert Kommunikationsprobleme zwischen Frau und Mann
mit vielerlei Fallbeispielen, die nicht selten konstruiert wirken. Hier als
Beispiel aus der deutschen Ausgabe von You just don’t understand ihre
Beschreibung der missglückten Interaktion eines Ehepaars während einer Autofahrt:
»Die Frau hatte gefragt: ›Würdest du gern irgendwo anhalten, um was zu
trinken?‹ Ihr Mann hatte – wahrheitsgemäß – mit ›Nein‹ geantwortet und
nicht angehalten. Frustriert mußte er später feststellen, daß seine Frau verärgert war, weil sie gern irgendwo Rast gemacht hätte. Er fragte sich: ›Warum
hat sie mir nicht einfach gesagt, was sie wollte? Warum spielt sie solche Spielchen mit mir?‹« (Tannen 1991: 13)
Nach Tannen lässt das indirekte Kommunikationsverhalten der Frau
ihren Mann in dem Glauben, dass sie tatsächlich nur seinen Wunsch erfragt. Nach weiblichen Maßstäben jedoch handelt es sich hier um einen
Vorschlag, allerdings in eine indirekte Form gekleidet und deshalb
missverständlich.
Die Ursache dafür, dass Frauen und Männer unterschiedliche »Sprachen« sprechen, sieht Tannen (ebenso wie Maltz/Borker, z. B. 1991) darin, dass Kinder und Jugendliche Freundschaften innerhalb des eigenen
Geschlechts bevorzugen. Dabei sind Jungengruppen hierarchisch
strukturiert und von Konkurrenz geprägt. Mädchen dagegen spielen in
kleinen Gruppen oder zu zweit. Sie streben nach Bindung und Beliebtheit. Diese unterschiedlichen Strukturen bringen unterschiedliche
Kommunikationsstile hervor. Aus Tannens Perspektive ist aber weder
weibliches noch männliches Sprechen überlegen. Wichtig ist nur, dass
beide Geschlechter sich jeweils auf den anderen Stil einstellen, um
Konflikte zu vermeiden.
Damit findet Tannen zu einer Position, die sich im wahrsten Sinne
gut verkauft: Ihre Bücher bestätigen die Erwartung, dass sich die Geschlechter erheblich unterscheiden; dabei muss niemandem Dominanz
unterstellt werden und auch niemandem ein defizitärer Kommunikationsstil. Vonseiten der linguistischen Geschlechterforschung wird Tannen jedoch häufig vorgehalten, dass ihre Darstellung vereinfachend
und vor allem stereotypisierend ist (vgl. Cameron 1995 a: 144). Die
große Popularität von Tannens Büchern dürfte denn auch weniger aus
der Richtigkeit ihrer Beobachtungen resultieren als aus der Befriedigung des Wiedererkennens, nämlich des Wiedererkennens stereotyper
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FRIEDERIKE BRAUN: Reden Frauen anders?
Annahmen über die Eigenschaften von Frauen und Männern (Cameron
1995 b: 207 f.).6
Auf die Spitze getrieben findet sich die Position »anders, aber gleich
gut« in den Beziehungsratgebern des Autors John Gray (z. B. 1992), auf
den hier kurz eingegangen sei, um zu zeigen, wie sich Ansätze der linguistischen Geschlechterforschung in populärwissenschaftlichen Medien niederschlagen. Grays Bücher verkünden als zentrale Botschaft:
Frauen und Männer sind so unterschiedlich wie Wesen von verschiedenen Planeten, nämlich: Men are from Mars. Women are from Venus. Dass
diese verschiedenartigen Wesen unterschiedliche Sprachen sprechen,
überrascht kaum. Im Grunde bräuchten Frauen und Männer für ihre
Gespräche Übersetzungshilfen:7
»To fully express their feelings, women assume poetic license and use various
superlatives, metaphors, and generalizations. Men mistakenly take these expressions literally. [...] You can see how a ›literal‹ translation of a woman’s
words could easily mislead a man who is used to using speech as a means of
conveying only facts and information.« (Gray 1992: 60 f.)
Zur Einordnung der Position »anders, aber gleich gut« sei abschließend
erwähnt, dass sie meist mit Blick auf die Kommunikation in persönlichen Beziehungen vertreten wird, wie Cameron (1995 a) beobachtet.
Geht es dagegen um öffentliche und berufliche Kontexte, so wird meistens nach wie vor ein sprachlicher Nachholbedarf aufseiten der Frauen
vermutet, wie auch die zahlreichen Rhetorikangebote für Frauen in
Volkshochschulen und Weiterbildungseinrichtungen belegen.
8 Wer anders redet, ist eine Frau
In deutlicher Abgrenzung zu der Tannen‘schen Position der »interkulturellen Kommunikation« zwischen den Geschlechtern hat sich in den
6
7
Tannen vernachlässigt die Bedeutung kontextueller Faktoren ebenso wie asymmetrische Statuskonstruktionen in gemischtgeschlechtlichen Gesprächen. Vgl.
auch die kritische Stellungnahme in Günthner (1997: 129 f.): Günthner weist darauf hin, dass Frauen und Männer, Mädchen und Jungen sich in ständigem kommunikativem Austausch miteinander befinden und daher zumindest passive
Kenntnisse des jeweils anderen Stils besitzen. Auch gibt es keine sprachlichen
Elemente, die ausschließlich einem Geschlecht eigen sind. Der Vergleich mit
unterschiedlichen Dialekten oder Kulturen ist daher überzogen.
Auf eine gefährliche Auslegungsmöglichkeit der Auffassung »anders, aber gleich
gut« weist die Psychologin Crawford (1995: 108 ff.) hin: In Vergewaltigungsprozessen wird mitunter ganz im Sinne von Tannen oder Gray davon ausgegangen,
dass ein bloßes Missverständnis zwischen Frau und Mann zu dem Übergriff führte. Der Täter wird damit zumindest ein Stück weit aus seiner Verantwortung entlassen.
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1 Frauen und Sprachgebrauch
letzten Jahren ein weiterer theoretischer Ansatz etabliert, der unter
dem Stichwort doing gender bekannt ist. Auch hier wird davon ausgegangen, dass Frauen und Männer unterschiedlich kommunizieren. Die
Erklärung für diese Unterschiede aber weicht, angelehnt an Thesen des
Soziologen Erving Goffman und der Literaturwissenschaftlerin Judith
Butler, radikal von früheren Theorien ab. Zentraler Gedanke des doing
gender ist, dass Geschlecht keine vorgegebene außersprachliche Variable ist, die die Sprachproduktion auf bestimmte Weise beeinflusst. Vielmehr wird Geschlecht (gemeint ist das soziale Geschlecht) durch kommunikative Aktivitäten erst inszeniert und hergestellt. Frauen und
Männer stellen sich durch ihr Verhalten als Frauen und als Männer dar;
erst durch diese Inszenierung entsteht überhaupt soziales Geschlecht:
»We argue that gender is not a set of traits, nor a variable, nor a role, but the
product of social doings of some sort. What then is the social doing of gender? It is more than the continuous creation of the meaning of gender through
human actions [...]. We claim that gender itself is constituted through interaction.« (West/Zimmerman 1991: 16)
Nach dieser Auffassung gibt es keine weiblichen und männlichen Charaktermerkmale oder Wesenszüge, die während der Sozialisation auf
der Grundlage biologischer Unterschiede geprägt werden. Die grundlegende Teilung der Gesellschaft in weiblich und männlich beruht vielmehr auf der sozialen Konstruktion von Geschlecht, die durch das
doing gender immer wieder vollzogen und legitimiert wird. Die Inszenierung von Geschlecht geschieht auf der Grundlage von Regeln und
symbolischen Ordnungen wie z. B. Sprache, Kleidung und anderen alltäglichen Verhaltensweisen (vgl. Günthner 1997: 134 ff.).8 Durch ihr
Sprachverhalten schaffen Frauen und Männer Geschlechtsunterschiede
und tragen zur Herstellung von Differenz bei. Wenn z. B. Frauen mit
Minimalreaktionen andere stärker unterstützen, als Männer dies tun,
stellen sie sich damit als kooperativ und beziehungsorientiert dar. Da
diese Eigenschaften mit dem gängigen Bild von Weiblichkeit assoziiert
sind, betonen Frauen hiermit ihr Geschlecht und bestätigen die ihnen
8
Als nichtsprachliches Beispiel dafür, wie Geschlechtsunterschiede – auch vermeintlich biologische – hergestellt werden, nennt Goffman (1977) die Paarbildung in heterosexuellen Beziehungen. Obwohl die weibliche und die männliche
Bevölkerung insgesamt in Größe, Kraft und Alter weitgehend übereinstimmen,
finden sich doch in der Mehrzahl solche Paare zusammen, bei denen der Mann
größer, stärker und älter ist als die Frau. Durch diese Paarbildung wird ein Geschlechterverhältnis hergestellt, in dem Männer allgemein größer, stärker und erfahrener erscheinen als Frauen, obwohl es nicht wenige Frauen gibt, die größer,
stärker und erfahrener sind als viele Männer.
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FRIEDERIKE BRAUN: Reden Frauen anders?
zugeschriebenen Merkmale. Jedoch gehen die Meinungen darüber auseinander, wie kontinuierlich sprachliches doing gender geschieht. Während Goffman die Inszenierung für optional hält, sehen West/Zimmerman (1991) sie als unvermeidbar an, weil Individuen in allen Situationen als weiblich oder männlich agieren. Günthner (1997: 134 ff.)
argumentiert dagegen zu Recht, dass Geschlecht je nach Situation in
den Hintergrund treten oder aber relevant gemacht werden kann. Ein
anschauliches Beispiel hierfür liefert eine amerikanische Untersuchung
über das Sprachverhalten beim Telefonsex (Hall 1995). Deren Befunden
zufolge verstärken professionelle Anbieterinnen von Telefonsex ihre
Sprache bewusst in eine Richtung, die der Lakoff ’schen Beschreibung
von »Frauensprache« entspricht. Auch ein bisexueller Mann, der in der
Studie befragt wurde, nutzt Merkmale der »Frauensprache«, um sich
am Telefon als Frau zu inszenieren. Im Kontext der Vermarktung dient
also »weibliche Sprache« zur Herstellung des Produkts Weiblichkeit
und bewirkt hier sogar eine Zuspitzung des doing gender zum doing
sex.9
In der linguistischen Geschlechterforschung nimmt heute der Ansatz des doing gender eine bedeutende Stellung ein. Er wird vertreten
von Autorinnen wie (neben West und Zimmerman) Deborah Cameron
(vgl. z. B. 1995 a) oder im deutschsprachigen Raum Susanne Günthner
und Helga Kotthoff. Der Gedanke des doing gender lässt sich auch mit
der Beobachtung vereinbaren, dass verschiedene »communities of
practice« (vgl. hierzu z. B. Eckert/McConnell-Ginet 1999) eigene Formen des Kommunikationsverhaltens pflegen und Geschlecht dabei
möglicherweise ganz unterschiedlich konstruieren.
9 Reden Frauen wirklich so anders?
So sehr sich die bisher dargestellten Theorieansätze auch voneinander
unterscheiden, allen gemeinsam ist die Annahme, dass geschlechtstypische Sprachunterschiede bestehen und eine wichtige Rolle spielen. In
der linguistischen Geschlechterforschung gibt es daneben jedoch seit
Anfang der 1990er-Jahre eine andere Sichtweise, die diese Grundannahme bezweifelt. Hier wird die Frage aufgeworfen, ob das Sprachverhalten von Frauen und Männern wirklich so unterschiedlich ist bzw. ob
9
Darüber hinaus können ganze verbale Gattungen der Inszenierung von Männlichkeit oder Weiblichkeit dienen, so etwa in Georgien das ausschließlich männliche Genre der Trinksprüche gegenüber dem weiblichen Genre der Klagelieder
(Günthner 1997: 140) oder in der Türkei der rituelle männliche Wettstreit in sexuellen Beschimpfungen der Mutter, Ehefrau oder Schwester eines Konkurrenten
(vgl. Braun 2001).
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1 Frauen und Sprachgebrauch
solche Unterschiede von entscheidender Bedeutung sind. Im deutschen Sprachraum ist es vor allem Karsta Frank (1992 a, b), die diese
Frage formuliert.10
Nach Frank sind die Kategorien »weiblich« und »männlich« zu grob,
um das Sprachverhalten von Individuen zu erklären. Eine Person ist ja
nicht nur Frau oder Mann, sondern kommt aus einer bestimmten
Schicht, hat einen bestimmten Bildungsstand, einen Beruf und verkehrt
in einem bestimmten Milieu. Es ist z. B. unrealistisch anzunehmen,
dass eine Geschäftsfrau, die sich in vielfältigen beruflichen Kontexten
bewegt, das gleiche Sprachverhalten an den Tag legt wie eine Landwirtin, die sich überwiegend in der dörflichen Umgebung aufhält – und
zwar nur deshalb gleich, weil beide Frauen sind. Eine Frau und ein
Mann mit ähnlichen sozialen Merkmalen könnten sich sprachlich näher stehen als diese zwei Frauen. Darüber hinaus variieren Personen
ihr Sprachverhalten, je nachdem, mit wem und in welcher Situation sie
sprechen. Auch ein Mann wird z. B. mit seinem kleinen Kind beziehungsorientiert und fürsorglich sprechen und nicht denselben Stil verwenden wie in einer geschäftlichen Verhandlung.
Noch wichtiger als diese Einwände ist jedoch folgender von Frank
hervorgehobener Gesichtspunkt: Nach Geschlechtsunterschieden in
der Sprache wird vor allem deshalb gefragt, weil erwartet wird, dass
sich Frauen und Männer in praktisch allem, was sie sind und tun,
unterscheiden. Diese Erwartung gründet sich auf Geschlechtsstereotype, also allgemein geteilte Annahmen über die Unterschiede und die
Eigenschaften von Frauen und Männern. Im weiblichen Stereotyp spielen soziale und expressive Aspekte eine zentrale Rolle, denn Frauen
gelten als beziehungs- und gefühlsorientiert. Im männlichen Stereotyp
ist dagegen der instrumentelle Aspekt zentral, da Männer als ziel- und
sachorientiert gesehen werden. Diese Stereotype prägen die Erwartungen, wie sich Frauen und Männer sprachlich verhalten sollen. Auch die
ersten Hypothesen der linguistischen Geschlechterforschung lassen
den Einfluss derartiger Stereotype erkennen: Bei Frauen wird ein indirekter und beziehungsorientierter Stil vermutet, bei Männern dagegen
ein sach- und durchsetzungsbezogener. Frank argumentiert jedoch,
dass derartige Unterschiede im Wesentlichen im Auge der Betrachtenden entstehen, weil diese vor allem das wahrnehmen, was ihren Voran10
Frank weist auch darauf hin, dass die vorliegenden Untersuchungsergebnisse
zum Sprachverhalten von Frauen und Männern noch nicht eindeutig genug sind.
So beruhen die betreffenden Studien häufig auf geringen Datenmengen, die in
besonderen Gesprächssituationen wie z. B. Fernsehtalkshows oder Experimenten
erhoben wurden. Vor allem aber geht es Frank darum, die Kategorie Geschlecht
aus einer ganz anderen Perspektive zu untersuchen.
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FRIEDERIKE BRAUN: Reden Frauen anders?
nahmen entspricht. Der viel zitierte »weibliche« oder »männliche« Stil
könnte demnach eine Art optische Täuschung sein und nicht so sehr
ein getreues Bild tatsächlichen Verhaltens.
Die Annahme, dass Frauen und Männer im Gespräch stereotyp
wahrgenommen werden, ist noch nicht hinreichend durch empirische
Untersuchungen überprüft worden, obwohl sich in der Forschungsliteratur einzelne relevante Hinweise finden. So stellten Anthony Mulac
und sein Forschungsteam in mehreren Studien fest, dass Versuchspersonen identische sprachliche Äußerungen unterschiedlich beurteilen,
wenn sie einmal einer Frau und ein andermal einem Mann zugeschrieben werden (Mulac et al. 1985).11 In einem Forschungsprojekt, das an
der Universität Kiel (Gender Research Group) zur Frage der stereotypen Sprachwahrnehmung durchgeführt wurde, hat sich Folgendes
herausgestellt (vgl. hierzu auch den Beitrag von Anja Gottburgsen in
diesem Band): Es gibt im deutschen Sprachraum tatsächlich übereinstimmende Vorannahmen vom typisch weiblichen und typisch männlichen Sprachverhalten, die den Geschlechtsstereotypen entsprechen.
Diese stereotypen Erwartungen beeinflussen die Wahrnehmung von
Sprachverhalten jedoch nicht so eindeutig und ausschließlich wie von
Frank angenommen. So wird zwar das Sprachverhalten der Frau als gefühlsorientierter wahrgenommen, wenn dieselbe Äußerung einmal einer Frau und einmal einem Mann zugeschrieben wird. Außerdem wird
auch angenommen, dass die Frau ein niedrigeres Jahreseinkommen erhält. Aber davon abgesehen wirkt das Geschlecht der sprechenden Person nur in komplexen Interaktionen mit anderen Faktoren auf die
Wahrnehmung.
10 Zusammenfassung
Aufgrund der Heterogenität der dargestellten Positionen erscheint es
schwierig, den Forschungs- und Diskussionsstand in der linguistischen
Geschlechterforschung zu bewerten. Bei genauerer Betrachtung schließen sich die unterschiedlichen Ansätze jedoch nicht aus, sondern las-
11
Nach den Erkenntnissen von Mulac et al. (1985) gibt es zwar neben diesen Wahrnehmungseffekten auch Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen
Sprachprodukten (im Gebrauch von hedges, Füllwörtern, Rechtfertigungen, elliptischen Sätzen und Nebensätzen). Diese sind jedoch sehr subtil, und Versuchspersonen können daran nicht erkennen, ob eine Äußerung von einer Frau oder
einem Mann stammt. Mulac et al. vermuten daher, dass die Beurteilung von Sprecherinnen und Sprechern in Alltagssituationen aus einer Kombination realer
Unterschiede und stereotyper Wahrnehmungen resultiert.
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1 Frauen und Sprachgebrauch
sen vor dem Hintergrund empirischer Ergebnisse folgende Einschätzungen zu:
1. Geschlechtsstereotype, deren Bedeutung z. B. in der Psychologie
hinreichend nachgewiesen worden ist, sind auch für die Sprache
und das Kommunikationsverhalten von Bedeutung. Dabei ist zu
vermuten, dass sie in zwei Richtungen zugleich wirken, indem sie
einerseits das Verhalten von Sprecherinnen und Sprechern beeinflussen und andererseits auch mitbestimmen, wie die Sprechenden
und ihre Äußerungen von anderen wahrgenommen werden.
2. Es gibt geschlechtstypische Unterschiede im Sprachverhalten. Diese
sind empirisch zu häufig festgestellt worden, um als bloßes methodisches Artefakt abqualifizierbar zu sein. Gerade wenn Geschlechtsstereotype eine große Rolle spielen, kann das Sprachverhalten von
Frauen und Männern davon kaum unberührt bleiben.
3. Es ist aber noch nicht hinlänglich bekannt, wie groß und wie bedeutsam die Unterschiede im weiblichen und männlichen Sprachverhalten tatsächlich sind. Wie der doing-gender-Ansatz plausibel macht,
können geschlechtstypische Merkmale dazu dienen, Geschlecht in
Szene zu setzen; eine solche Inszenierung ist aber nicht in allen Situationen gefordert. Mit Sicherheit jedenfalls sind weder geschlechtstypische Unterschiede noch die Gemeinsamkeiten innerhalb der Geschlechter so groß, dass von unterschiedlichen Sprachen oder Kulturen die Rede sein kann.
4. Geschlechtsunterschiede im Sprachverhalten lassen sich auf der
Grundlage des doing gender neu interpretieren. »Weiblicher« und
»männlicher« Sprachstil sind demnach den Geschlechtern nicht
schicksalhaft zugeordnet oder genetisch angelegt, sondern sind aktive Darstellungsleistungen. Frauen und Männer haben damit die Option, sich in der Kommunikation unterschiedlich in Szene zu setzen.
Da sie es aber nicht tun müssen, wird verständlich, warum nicht alle Frauen und alle Männer zu jeder Zeit konstante Verhaltensmerkmale aufweisen.
5. Sprecherinnen und Sprecher werden häufig unterschiedlich wahrgenommen. Das Geschlecht ist ein Ordnungskriterium von so fundamentaler Bedeutung, dass Menschen immer als weiblich oder männlich eingeordnet werden – wie nebensächlich das Geschlecht für die
konkrete Situation auch sein mag. Frauen und Männer gehören ver-
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FRIEDERIKE BRAUN: Reden Frauen anders?
schiedenen sozialen Kategorien an, und Stereotype sagen uns, wie
diese Kategorien beschaffen sind. Es ist daher höchst plausibel, dass
Stereotype zumindest mitbestimmen, wie Frauen und Männer im
Gespräch wahrgenommen werden. Damit ist aber die gleichzeitige
Existenz tatsächlicher Unterschiede nicht ausgeschlossen.
Stereotype suggerieren: Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus,
eine Auffassung, die in der Ratgeberliteratur und in Rhetorikseminaren
für Frauen häufig noch verschärft wird (vgl. auch Cameron 1995 b:
202). In Wirklichkeit könnte es sich jedoch um viel weniger spektakuläre Unterschiede handeln, wie Anthony Mulac (1999) sie mit dem Satz
beschrieb: »Männer sind aus Brandenburg, Frauen aus Schleswig-Holstein«.
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