Zur Fortbildung Aktuelle Medizin ÜBERSICHTSAUFSATZ dung. Da sich die epithelausgekleideten Räume nicht über die Hauptmuskelschicht hinaus erstrecken, handelt es sich nicht um Divertikel. Die Befunde ähnelten den abnormen Drüsenausführungsgängen bei chronischer Bronchitis und den Veränderungen bei Colitis cystica. Ätiologie und Pathogenese dieser Pseudodivertikulose sind noch unklar. Meist wird vermutet, daß eine lokale Oesophagitis vorausgeht, durch die entzündlichen Infiltrate die Drüsenhälse komprimiert und hierdurch die Drüsenampullen dilatiert werden. Diese Entzündung mag teilweise auch für die allgemein verminderte Oesophagusmotilität und die Strikturbildung verantwortlich sein. Andererseits ist durchaus auch möglich, daß die lokalen entzündlichen Veränderungen auf die Abnormität der Schleimdrüsen hin entstanden sind. Weiter wurde über Candidiasis als Ursache dieser Veränderungen berichtet. Bei einem 83jährigen wurde auf Grund des Biopsiepräparates sogar der Verdacht auf ein Squamosazellkarzinom geäußert und eine Röntgenbestrahlung begonnen. Pz Boyd, R. M., Bogoch, A., Greig, J. H., Trites, A. E. W.: Esophageal intramural Pseudodiverticulosis Radiology 113, (1974) 267-270 James H. Greig, M. D. Department of Radiology, Shaughnessy Hospital Vancouver, B. C., Canada Lupovitch, A., Tippins, R.: Esophageal intramural Pseudodiverticulosis: A Disease of Adnexal Glands Radiology 113 (1974) 271-272 Department of Pathology, Holy Cross Hospital 4777 E. Outer Drive Detroit, Mich. 48234 Beauchamp, J. M., Nice, Ch. M., Belanger, M. A., Neitzschman, H. R.: Esophageal intramural Pseudodiverticulosis Radiology 113, (1974) 273-276 Department of Diagnostic Radiology Charity Hospital of Louisiana 1532 Tulane Ave. New Orleans, La. 70140 Hormonell aktive Tumoren des Verdauungstrakts Wolfgang Rösch, Ludwig Demling Aus der Medizinischen Klinik mit Poliklinik (Direktor: Professor Dr. Ludwig Demling) der Universität Erlangen-Nürnberg Hormonproduzierende Tumoren des Verdauungstrakts stellen ein faszinierendes Kapitel der pathologischen Physiologie dar, bei dem die Wirkung intestinaler Hormone auf den Organismus in pharmakologischer Dosierung von der Natur vorgezeichnet ist. Auch wenn es sich um relativ seltene Krankheitsbilder handelt, erlaubt die klinische Symptomatik in vielen Fällen eine rechtzeitige Diagnosestellung. Moderne Radioimmunoassays tragen zur Frühdiagnostik dieser vorwiegend in der Bauchspeicheldrüse lokalisierten Tumoren bei. Als Friedrich Feyrter 1938 sein System der hellen Zellen als diffuse endokrine epitheliale Organe im Gastrointestinaltrakt vorstellte, waren nur wenige intestinale Polypeptidhormone bekannt. Heute werden 18 verschiedene Substanzen als Hormonkandidaten (Grossmann, 1974) diskutiert, elektronenmikroskopisch und zytochemisch lassen sich mindestens zwölf unterschiedliche endokrine Zellen nachweisen. Auf Grund dieser Zellmasse stellt heute der Verdauungskanal das größte hormonell aktive Organ des Menschen dar. Die radioimmunologische Bestimmung der Hormonspiegel, die bislang bei sieben Hormonen möglich ist (Gastrin, Sekre-. tin, Cholezystokinin-Pankreozymin, Enteroglukagon, Motilin, gastric inhibitory polypeptide (GIP), vasoactive intestinal polypeptide (VIP)), erlaubt interessante Einblicke in die physiologische Bedeutung und die gegenseitige Interaktion dieser Hormone. Von entsprechender klinischer Bedeutung sind die Radio- immunoassays bei der Diagnostik hormonell aktiver Tumoren des Verdauungstrakts, die aus Ansammlungen sogenannter APUD 1 )Zellen neuroektodermalen Ursprungs bestehen. Entsprechend der entwicklungsgeschichtlichen Entstehung der einzelnen Darmabschnitte werden Tumoren des Vorderdarms (Speicheldrüsen, Ösophagus, Magen, Duodenum, Pankreas und Gallenwege) von denen des Dünn- und Dickdarms, bei welchen es sich fast ausschließlich um Karzinoide handelt, differenziert; ferner wird entsprechend der klinischen Symptomatik zwischen monohormonalen und multi-hormonalen Syndromen unterschieden. Im folgenden sollen die wichtigsten Krankheitsbilder, die ihre Ursache in hormonell aktiven Tumoren des Verdauungstrakts haben und die häufig durch 1 ) APUD (amine content and/or amine precurson uptake and decarboxylation) DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 43 vom 23. Oktober 1975 2965 Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Tumoren des Verdauungstrakts eine Entfernung des Tumors geheilt werden können, aufgeführt werden. Die Tatsache, daß klinische Syndrome mit hormonellem Hintergrund relativ selten sind, darf allerdings nicht darüber hinweg- täuschen, daß Adenome aus argentaffinen Zellen im Pankreas zum Beispiel in 1,5 Prozent aller untersuchten Organe oder Karzinoide in 0,03 bis 0,5 Prozent aller entfernten Wurmfortsätze zu finden sind. Tabelle 1: Diagnostik des Zollinger-Ellison-Syndroms Test Hinweis auf Z.E.Syndrom 1-2 U/kg Sekretin i.v. über 30 sec 1-3 U/kg/h Sekretin 30 ug/kg/h Glukagon Das 1955 von Zollinger und Ellison beschriebene Krankheitsbild eines gastrin-produzierenden Tumors der Bauchspeicheldrüse mit therapieresistenten peptischen Ulzera infolge einer gastralen Hypersekretion hat unter den zu besprechenden Krankheitsbildern die größte Bedeutung erlangt. Klinik: Atypisch postbulbär gelege- 0 Magensekretionsanalyse: nächtliche HCI-Produktion Basalsekretion (BAO) Basalkonzentration (BAC) BAO : PAO* BAC : MAC** ® Mukosabiopsie ® Serumgastrin C) Stimulationstests: 12-15 mg Ca/kg i. v. über 3 h 2 mg/kg Ca i. v. als Bolus Zollinger-Ellison-Syndrom: > 100 mval HCI/12 h > 15 mval HCl/h > 100 mval HCl/1 > 0.6 > 0.6 Belegzellhyperplasie > 100-200 pg/ml > 80% der Histamin-stim. HCI steiler Anstieg von HCI und Gastrin nach 5-10 min Verdoppelung des Gastrins Anstieg von Säure und Serumgastrin Anstieg von Säure und Serumgastrin * peak acid output (maximal stimulierte Sekretion) maximal acid concentration (maximale Säurekonzentration unter Stimulationsbedingungen) ne (25 Prozent) oder multiple (10 bis 20 Prozent) Ulzera sowie Ulkusrezidive nach chirurgischen Eingriffen sind ebenso verdächtig wie eine exzessive Säuresekretion (über 100 mval 2) nächtliche Nüchternsekretion; über 15 mval/h Basalsekretion; über 100 mval/1 basale Säurekonzentration; eine Basalsekretion, die 60 Prozent der stimulierten Sekretion erreicht). Häufig finden sich Durchfälle, die entweder auf eine direkte Schleimhautreizung durch Säure im Dünndarm oder eine vermehrte Sekretinfreisetzung zurückgehen, entweder intermittierend oder mit einer Steatorrhoe (Inaktivierung der Enzyme durch Säure) einhergehend oder als profuse wässrige Durchfälle mit Hypokaliämie. Diagnostik: Die Diagnose beruht Tabelle 2: Diagnostik des Insulinoms Test Hinweis auf Insulinom (Richtwerte) 0 Nüchternblutzucker < 40 mg/100 ml < 40 mg/100 ml © BZ nach 15stündigem Fasten ® Seruminsulinspiegel nach Fasten nach 15 g Alkohol/h ® Proinsulinspiegel 0 Provokationstests: 100 g Glukose oral* 25 g Glukose i.v. 1 g Tolbutamid i.v. (25 mg/kg)** • 150 mg/kg L-Leucin p.o. in 0.1 nHCI 1 mg Glukagon i.v. (20ug/kg) "*" ® Suppressionstests 600 mg Diazoxid/h i.v. normale oder leicht erhöhte Insulinwerte > 25% des Plasmainsulins Insulin > 150 ,uU/m1 > 150 /./U/m1 > 120 ,uU/m1 > 40 ,uU/m1 > 150 4/m1 nach 5-10 min Abfall des Plasmainsulins * Blutentnahme nach 30', 60', 90', 120', 180'. ** Blutentnahme nü, nach 15', 30', 45', 60', 90', 120', 150', 180'. **" Blutentnahme nü, nach 10', 20', 30', 45', 60', 90'. heute weitgehend auf dem Nachweis erhöhter Serumgastrinspiegel, da kritische Säurewerte und eine Belegzellhyperplasie auch beim UIcus-duodeni-Leiden gefunden werden. Bei Serumgastrinwerten im Grenzbereich werden Stimulationstests durchgeführt (Tabelle 1), da sich gezeigt hat, daß Patienten mit einem Zollinger-Ellison-Syndrom auf gastrinsenkende Polypeptidhormone abnorm reagieren. Bei 30 Prozent der Patienten gelingt eine angiographische Lokalisation des Pankreastumors, über 60 Prozent sind maligne. Bei über 50 Prozent finden sich multiple Adenome bis hin zur diffusen Inselzellhyperplasie (Nesidioblastose), so daß man heute mit Ausnahme 2 2966 Heft 43 vom 23. Oktober 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT ) Milligramm äquivalent Zur Fortbildung Aktuelle Medizin der in zwölf Prozent ektop in der Duodenalwand gelegenen Tumoren primär eine Gastrektomie, also die Entfernung des Erfolgsorgans, anstrebt. Eine momentane, durch die exzessive Säureproduktion bedingte Inoperabilität läßt sich durch Histamin-H2-Rezeptor-Antagonisten oder Somatostatingabe überbrükken. Differentialdiagnose: Differentialdiagnostisch ist vom Zollinger-Ellison-Syndrom eine G-Zell-Hyperplasie des Antrums (Polak, 1972) abzugrenzen, bei der es nach einer proteinreichen Nahrung zu einer exzessiven Gastrinfreisetzung kommt, und die mit einer Zweidrittel-Resektion des Magens geheilt werden kann. Da das Pankreasadenom verschiedene Hormone wie Insulin, Glukagon, Serotonin, Melanozyten-stimulierendes Hormon (MSH) und ACTH neben Gastrin produzieren kann, sollten immer möglichst viele Hormone analysiert werden. Wichtiger ist jedoch die Suche nach assoziierten Tumoren im Rahmen einer multiplen endokrinen Adenomatose (MEA 1), die sich in 20 bis 30 Prozent in Nebenschilddrüse, Hypophysenvorderlappen, Nebenniere und Schilddrüse nachweisen lassen, sowie nach einer familiären Belastung in Richtung Ulkusdiathese und Nierensteinleiden (familiäre endokrine Adenomatose — Wermer-Syndrom). Verner-Morrison-Syndrom (WDHA-Syndrom, Pankreatische Cholera, Vipoma) Klinik: Profuse wäßrige Durchfälle mit Hypokaliämie und eine Achlorhydrie oder Hypochlorhydrie trotz morphologisch intakter Magenschleimhaut kennzeichnen das 1958 von Verner und Morrison beschriebene Krankheitsbild, bei dem sich ebenfalls ein Inselzelltumor der Bauchspeicheldrüse findet. Ein Drittel aller Patienten mit einem gutartigen Adenom verstarben im hypokalämisch bedingten Nierenversagen, bevor eine exakte Dia- ,s.,menumnizza_ Abbildung 1: Rezidivierende Anastomosenulzera bei 32jährigem Patienten mit piuriglandulärem Syndrom (Gastrinom der Bauchspeicheldrüse und primärer Hyperparathyreodismus) DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 43 vom 23. Oktober 1975 2967 Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Tumoren des Verdauungstrakts gnose gestellt werden konnte. Die cholera-ähnlichen Durchfälle mit einem Flüssigkeitsverlust von vier bis sechs Litern und bis zu 300 mval Kalium/24 h führen zu einer schweren metabolischen Azidose. Weitere häufig zu beobachtende Symptome sind Flush (25 Prozent), eine pathologische Glukosebelastung (50 Prozent), eine Hyperkalzämie, eine Hypomagnesiämie mit Tetanie, eine atonische Gallenblase und Psychosen. Diagnostik und Therapie: Das Rätsel, ob Sekretin, Enterogastrone, Glukagon, Prostaglandine oder GIP für die klinische Symptomatik verantwortlich zu machen sind, ist durch die Untersuchungen von Bloom (1973) weitgehend geklärt. Sowohl im Serum wie in Tumoren ließen sich große Mengen an vaso- aktivem intestinalem Polypeptid nachweisen, weshalb auch der Name Vipoma geprägt wurde. Die lebensbedrohliche Diarrhoe sistiert unter einer Glukokortikoidtherapie (Seif, 1975), die chirurgische Entfernung der meist benignen Geschwülste ist anzustreben. Insulinom Klinik: Das Krankheitsbild des insulinproduzierenden B-Zell-Tumors der Bauchspeicheldrüse mit hypoglykämischen Anfällen, bedingt durch eine Neuroglykopenie, ist bereits seit 1927 bekannt. Trotzdem vergehen im Schnitt immer noch drei bis vier Jahre zwischen erster Symptomatik und Diagnosestellung, wobei nicht wenige Patienten wegen psychotischer oder paranoi- Tabelle 3: Hormonproduzierende Tumoren des Verdauungstrakts Krankheitsbild Klinische Symptomatik Hormonproduktion endokrin aktive Zellen Zollinger-Ellison-Synd rom peptische Ulzera HCI-Hypersekretion Durchfälle Gastrin D(?)-Zelle des Pankreas Verner-Morrison-Syndrom WDHA-Syndrom wäßrige Durchfälle Hypokaliämie Vasoactive intestinal polypeptide (VIP) ? Pankreas Pankreatische Cholera Vipom A-, Hypochlorhydrie Insulinom Hypoglykämie Psychose, Paranoia Demenz Insulin B-Zelle des Pankreas Glukagonom nekrolytisches Erythem Stomatitis Diabetes mellitus Glukagon A-Zelle des Pankreas KarzinoidSyndrom Serotonin Flush Bradykinin Durchfälle Endokardfibrose 2968 Heft 43 vom 23. Oktober 1975 der Züge in einer entsprechenden Fachabteilung behandelt werden. Die morgendliche Hypoglykämie mit Blutzuckerwerten unter 40 mg°/o ist charakteristisch, sie ist jedoch selten so dramatisch wie die iatrogen induzierte, sondern verbirgt sich in der chronischen oder subchronischen Form zumeist hinter Änderungen der Persönlichkeitsstruktur, Gedächtnisschwund und zunehmender Demenz. Seltener sind periphere Neuropathie und progressive Muskelatrophie. Diagnostik: Diagnostisch beweisend ist ein normaler oder leicht erhöhter Seruminsulin-Spiegel zum Zeitpunkt einer hypoglykämischen Phase. Verschiedene Stimulationsund Suppressionstests (Tabelle 2) erleichtern die Diagnose, eine angiographische Lokalisationsdiagnostik gelingt in rund 30 Prozent. Bei den 10 bis 15 Prozent malignen Insulinomen mit Lebermetastasen kann eine Pharmakotherapie mit Diazoxid (3 bis 8 mg/kg/d), Protamin-Zink-Glukagon, somatotropem Hormon (STH) und Streptozotocin (200 bis 1600 mg/m 2 Körperoberfläche) versucht werden, wobei beim Diazoxid auf Nebenwirkungen wie Knochenmarksdepression, Ödeme, Hirsutismus und Hypertrichose, beim Streptozotocin auf Nieren-, Leber- und Knochenmarksschäden zu achten ist. Glukagonom Enterochromaffine Zellen des Darms DEUTSCHES ÄRZTEBLATT A-ZellGlukagon-produzierende Tumoren der Bauchspeicheldrüse stellen Raritäten dar, nicht zuletzt auch deshalb, weil die klinische Symptomatik nicht sehr charakteristisch ist. Klinik: Zumeist bestehen ein Diabetes mellitus sowie bullöse oder ekzematoide Hautveränderungen, die mit Entfernung des Tumors wieder verschwinden. Gewichtsverlust und Anämie sind häufig. Als relativ typisch werden die Hautveränderungen im Sinne eines nekrolytischen wandernden Erythems angesehen, wobei die Veränderun- Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Tumoren des Verdauungstrakts gen innerhalb von 7 bis 14 Tagen abheilen. Histologisch findet sich eine Nekrolyse der Oberflächenanteile des Stratum Malpighi und eine gerihggradige perivasale lymphozytäre Infiltration (Mallinson et al, 1974). Diagnostik: Laborchemisch weisen diese Patienten erniedrigte Aminosäurenspiegel im Serum und deutlich erhöhte Glukagonwerte auf. Wird die Glukagonsekretion durch Somatostatin unterdrückt, kommt es zu einer Hypoglykämie. 0,5 mg Glukagon i. v. gegeben führen hingegen zu keinem Anstieg der Insulin- oder Glukosespiegel. Auf eine Stimulation mit Arginin und Alanin wird gelegentlich eine supranormale Glukagonfreisetzung gesehen. Differentialdiagnose: Auch bei diesem Tumor muß nach assoziierten Adenomen im Rahmen einer multiplen endokrinen Adenomatose gefahndet werden. Daneben ist differentialdiagnostisch an eine primäre oder sekundäre A-Zell-Hyperplasie bei Adenomen der Nebenschilddrüse, der Hypophyse und des Nebennierenmarks zu denken. Karzinoid-Syndrom Abbildung 2 (oben): Inselzelladenom der Bauchspeicheldrüse— Abbildun g (Mitte): „Riesenfaltengastritis" (glanduläre Hyperplasie) bei Zollinger Ellison-Syndrom Abbildung 4 (unten): Karzinoid der Duodenalwand 2970 Heft 43 vom 23. Oktober 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Während Karzinoide mit Ausnahme der Speiseröhre im gesamten Verdauungstrakt, mit besonderer Bevorzugung in Appendix, Ileum und Rektum anzutreffen sind, ist das Karzinoid-Syndrom weitgehend an Lebermetastasen gebunden. 1953 wies Lembeck 5-Hydroxy-Tryptamin in einem Karzinoidtumor nach; die klinische Symptomatik mit Flush, Durchfällen, rechtsseitigen Endokard- und Klappenveränderungen sowie Bronchokonstriktion wurde lange Zeit auf dieses Amin zurückgeführt, doch glaubt man heute, daß eher Bradykinin, Histamin oder Prostaglandine hierfür verantwortlich zu machen sind. Ödeme, Pellagra-ähnliche Hautveränderungen, peptische Ulzera und Arthralgien werden gelegentlich beobachtet. Zur Fortbildung Aktuelle Medizin DIE GLOSSE Klinik: Während beim solitären Karzinoid mit einem Durchmesser zwischen 1,5 und 3,5 Zentimeter die Primärsymptomatik allenfalls in einer chronischen Lumenobstruktion beziehungsweise einer intestinalen Blutung bei Oberflächenexulzeration besteht, löst nach einer Metastasierung eine Nahrungsaufnahme, insbesondere Alkohol, Aufregung sowie Palpation des Abdomens eine Flushsymptomatik mit Tränenfluß, Hypotonie und Tachykardie aus, die sich durch alphaadrenerge Blocker verhindern läßt. Auf der anderen Seite lassen sich diese Anfälle durch 10 ml konzentrierten Alkohol, 15 bis 20 «g Noradrenalin oder 5 bis 10 pg Adrenalin provozieren (Grahame-Smith, 1974). Die häufig profusen Durchfälle, die jedoch nur selten mit einer Malabsorption einhergehen, lassen sich zumeist mit Methysergid (Deseril®), einem 5-HT-Antagonisten, oder Parachlorophenylalanin, beherrschen. Diagnose: Der Nachweis einer erhöhten Ausscheidung von 5-Hydroxyindolessigsäure im Urin orientiert grob über eine gesteigerte 5HT-Produktion, wobei der Patient kein Chlorpromazin und keine Bananen zu sich nehmen sollte. Die DifferentialDifferentialdiagnose: diagnostisch muß ein Karzinoid des Bronchus und der Ovarien ausgeschlossen werden, die auch ohne Lebermetastasen eine klassische Symptomatik hervorrufen können. Syndromose — eine neue Krankheit der modernen Medizin Ferner muß noch erwähnt werden, daß Karzinoide auch eine Reihe anderer Hormone wie Kortison, ACTH, MSH, antidiuretisches Hormon (ADH) und Insulin zu produzieren vermögen. Die ersten Fälle wurden vor etwa 100 Jahren von Neurologen beschrieben. Seither sind weit über 1000 bekannt und ihre Zahl wächst von Jahr zu Jahr, allein 1966 bis 1973 um etwa 250. Blanchard nannte die Krankheit: „Taufsuchtssyndrom" (Syndrome de baptöme). Fischer hatte es 1931 noch relativ leicht, dieses infiltrierend wachsende Leiden der modernen Terminologie zu beschreiben, heute stehen wir ziemlich fassungslos vor dem eindrucksvollen Werk, das Prof. Dr. Leiber und Frau Dr. Olbrich in der Sammlung „Klinische Syndrome" zusammengestellt haben. Ein Mikrozensus in diesem Walhalla der Wissenschaftler läßt schätzen, daß etwa 1270 der aufgeführten Syndrome mit Eigennamen belegt sind (genaues Zählen ist aus Zeitgründen nicht möglich, das Buch enthält 975 Seiten!). Die Autoren geben selbst zu, daß die Zahl der Syndrome kaum noch zu übersehen ist. Aber welcher Kollege sollte es dann? Und was droht dem Staatsexamenskandidaten? Auf jeden Fall ist es ratsam, das Syndrom zu kennen, in das, um einen modernen Ausdruck zu gebrauchen, der Name eines der Prüfer involviert ist. Die hormonproduzierenden Tumoren des Verdauungstrakts stellen ein interessantes Spektrum der Endokrinologie dar, bei dem mit immer neuen Überraschungen zu rechnen ist. Die Weiterentwicklung von Radioimmunoassays und immunzytochemischen Untersuchungsmethoden läßt die Klärung mancher noch pathogenetisch unklarer Erkrankungen des Verdauungstrakts erwarten. So konnten Polak et al (1975) unlängst Somatostatin-produzierende Zellen in Pankreas und oberem Verdauungstrakt nachweisen. Die Anzahl der Hormonkandidaten und die vielen, in ihrer Funktion noch unklaren endokrinen Zellen im Verdauungstrakt, die möglicherweise alle ein Tumoräquivalent besitzen, läßt noch viel Raum für Spekulationen übrig. quantitative Bestimmung von 5HTP, 5-HT und 5-HIE oder Bradykinin ist entsprechenden Laboratorien vorbehalten. Literatur bei den Verfassern Prognose: Die Prognose hängt zum einen vom Ausmaß der Metastasierung, zum anderen von der kardialen Beteiligung ab, wobei das Rechtsherzversagen häufig limitierend wirkt. Eine symptomatische Therapie ist mit Alpha-Methyldopa, das die 5-HT-Synthese hemmt, mit Alpha-Blockern, die eine 5-HT Freisetzung verhindern, und mit Kallikrein-Inhibitoren denkbar. Ein wechselnder Erfolg ist beim metastasierenden Karzinoid von einer Streptozotocin-Therapie zu erwarten. Anschrift der Verfasser: Privatdozent Dr. med. Wolfgang Rösch Prof. Dr. med. Ludwig Demling Medizinische Klinik mit Poliklinik der Universität Erlangen-Nürnberg 852 Erlangen Krankenhausstraße 12 Horst Jungmann*) Überraschend ist die Lektüre des „Leiber-Olbrich". Allein mit dem Schielen sind 66 Eigennamen verbunden. Angeborene Herzfehler haben 55 Eigennamen in der Weltliteratur verankert. Einen der Rekorde halten die Knochenveränderungen. Nach dem Auszählen von 760 mit Eigennamen belegten Syndromen, die unter anderem mit Knochenveränderungen einhergehen, tränten die Augen, der Verdacht auf eins der 66 mit Strabismus verbundenen Syndrome tauchte auf und der Glosseur gab auf. > *) Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 43 vom 23. Oktober 1975 2971