Elektrogener Ammonium-Transport über die Membran?

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Elektrogener Ammonium-Transport über die
Membran?
Ohne Stickstoff gäbe es keine Proteine . Bakterien und Pflanzen haben spezielle
Membranproteine entwickelt, die das Element in Form von Ammonium-Ionen ins Zellinnere
lotsen. Auch beim Menschen sind solche sogenannten Ammonium-Transportproteine
gefunden worden. Die Kristallographie hat die Struktur einiger komplex aufgebauter
Vertreter geliefert, aber wie sie funktionieren und mit welchen Signalnetzwerken in der
Zelle sie interagieren, ist noch unklar. Emmy-Noether-Gruppenleiterin Dr. Susana Andrade
und ihr Team von der Universität Freiburg schauen tief ins Innere der Moleküle.
Jede Zelle ist im Import/Export-Geschäft. Wichtige niedermolekulare Stoffe wie Phosphat oder
Ammonium sind unentbehrlich für den Aufbau von Proteinen oder Lipiden, und viele von ihnen
müssen aus der Umgebung aufgenommen werden. In der Evolution entstanden
Membranproteine, die solche Stoffe aktiv oder passiv ins Zellinnere transportieren, man findet
sie bereits bei Bakterien. In den Wurzelzellen von Pflanzen sitzen teilweise Millionen von
Transportproteinen, die Ammonium aufnehmen. Ammonium ist die chemische Form, in der ein
Organismus Stickstoff assimilieren kann. Es wird in komplizierten biochemischen Kreisläufen in
Aminosäuren eingebaut und diese wiederum in Proteine . Auch beim Menschen sind
Ammonium-Transportproteine gefunden worden, zum Beispiel die Vertreter der RhesusproteinFamilie, die für die Blutgruppenerkennung wichtig sind. Sie sitzen in den Membranen von Blutoder Nierenzellen, wo sie zum Beispiel den pH oder den Ionenhaushalt regulieren. „In den
letzten Jahren wurde die Kristallstruktur einiger Vertreter aufgeklärt“, sagt Dr. Susana
Andrade, Emmy-Noether-Gruppenleiterin am Institut für Organische Chemie und Biochemie an
der Universität Freiburg. „Aber im Prinzip wissen wir noch so gut wie nichts über die
Funktionsweise dieser Moleküle.“
Der Transportmechanismus ist unbekannt
Andrade hat in den letzten Jahren die Kristallstruktur eines Ammonium-Transportmoleküls in
dem Bakterium Archaeoglobus fulgidus aufgeklärt. Mit einer Auflösung von 1.4 Angström (ein
Angström entspricht 0,1 Nanometer) können sie und ihr Team heute ins Innere des Moleküls
blicken und jede einzelne Aminosäure anschauen. Das Molekül ist aus drei identischen
Monomeren aufgebaut. Jedes dieser Monomere hat elf Helizes, die die Membran durchspannen.
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Zudem besitzt jedes Monomer einen Kanal, der durch eine spezielle Anordnung von zwei
Aminosäuren verschlossen wird. Aus anderen Untersuchungen wissen die Forscher, dass das
Protein den Import von Stickstoff in die Bakterienzelle vermittelt. Aber das war’s auch schon.
Der Transportmechanismus ist unbekannt. Handelt es sich bei dem Transportprotein um einen
passiven Kanal, der Ammonium in Form des positiv geladenen Ions NH4+ durchlässt, solange
der Ionengradient für dessen Diffusion sorgt? Oder ist das Protein eine aktive,
energieabhängige Schleuse, die sein Substrat unter Konformationsänderungen transportiert?
Diese Frage ist extrem schwer zu beantworten. Es ist zum Beispiel unklar, was überhaupt das
konkrete Substrat des Proteins ist. Handelt es sich um das positiv geladene Ammonium-Ion?
Oder um das elektrochemisch neutrale Ammoniak-Gas? „Die Kristallographie erlaubt einen
Blick auf die Molekülstruktur eines Proteins und ist damit eine der aussagekräftigsten
Methoden“, sagt Andrade. „Aber in unserem Falle sind Aussagen über die Funktion des
Transportproteins mit ihrer Hilfe nicht möglich.“
Oft können Forscher Transportproteine zusammen mit dem Molekül kristallisieren, das von
ihnen transportiert wird. Dann wissen sie, was durch die Membran geschleust wird. Aber die
Kristallographie macht molekulare Strukturen sichtbar, weil sie die Elektronenverteilung in
einem Kristall misst, die sich von Atom zu Atom und von Molekülbindung zu Molekülbindung
unterscheiden. Das kristallisierte Ammonium-Transportprotein von Archaeoglobus fulgidus ist
von Wassermolekülen durchdrungen, und Wassermoleküle haben eine ähnliche
Elektronenverteilung wie Ammonium. Die Forscher um Andrade sind nicht in der Lage, zu
unterscheiden, was von beiden sie im Inneren des Kanals sehen. „Wir müssen also eine andere
Methode finden, um das zu klären“, sagt Andrade.
Ist die Fracht geladen?
In dieser Apparatur untersuchen die Forscher um Dr. Susana Andrade aus Freiburg winzige Membranstückchen
mithilfe von Elektroden. © Dr. Susana Andrade.
Zurzeit versuchen die Freiburger Biochemiker diese Frage mithilfe der Elektrophysiologie zu
beantworten. Sie spannen hierzu winzige künstliche Membranstücke zwischen zwei Kammern
mit physiologischer Lösung. In die Membranstücke integrieren sie das zu untersuchende
Transportprotein. Durch Anlegen einer Spannung können sie Ionen in der Lösung dazu
anregen, sich über die Membran zu bewegen. Ist das Substrat des Transportproteins das
elektrochemisch neutrale Ammoniakgas, dann misst die Methode nichts. Aber ist es das
Ammonium-Ion, dann werden die Wissenschaftler mithilfe von Elektroden charakteristische
Stromflüsse messen können. In diesem Fall können sie unter Umständen sogar Rückschlüsse
über die konkrete Funktionsweise des Kanals machen. Je nachdem, wie die Stromflüsse sich in
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der Zeit verändern oder ob sie erst ab einer gewissen Spannungsschwelle fließen und so weiter.
„Wir versprechen uns sehr viel von dieser Methode“, sagt Andrade. „Und selbst wenn wir keine
Ströme messen können, haben wir eine Aussage: Das Substrat unseres Transportproteins ist
dann mit Sicherheit kein Ion.“ Die Forscher werten zurzeit die ersten Ergebnisse aus.
Die Kristallstruktur eines Ammonium-Transportmoleküls von Archaeoglobus fulgidus (oben) und des intrazellulären
Proteins Gln-K, das den Öffnungszustand zu regulieren scheint. © Dr. Susana Andrade
Der Mechanismus des Transports könnte ziemlich komplex sein, das immerhin ist bereits klar.
Eine Aminosäurebarriere im Inneren des Kanals zum Beispiel kann nicht die einzige Stelle sein,
an der ein Substrattransport reguliert wird. Denn sie muss zwar offen sein, damit die Zelle
Ammonium aufnimmt, aber wenn sie fehlt, dann ist der Kanal nicht automatisch offen. Das
wissen Andrade und ihre Mitarbeiter aus Experimenten, in denen sie die beiden beteiligten
Aminosäuren manipuliert haben. Und dann kommt noch eine weitere Ebene der Komplexität
hinzu. Im Inneren der Bakterienzelle wurde ein Molekül identifiziert, das mit dem AmmoniumTransportprotein interagiert. Es handelt sich dabei um das Protein mit dem Namen Gln-K, das
unter anderem dazu in der Lage ist, den Energielevel und den Spiegel an Ammonium in der
Zelle zu messen. „Dieses Protein reguliert offenbar den Öffnungszustand des AmmoniumTransportproteins“, sagt Andrade. Es verfügt an einem Ende über eine Art Schlaufe, die genau
ins Innere des Kanals passt und diesen verschließen kann, das haben kristallografische
Untersuchungen gezeigt. Und das ergibt biologisch auch einen Sinn, denn die Zelle will kein
Ammonium aufnehmen, wenn sie genug davon in ihrem Inneren hat oder wenn sie zu wenig
Energie in Form von ATP besitzt.
Neben den elektrophysiologischen Experimenten wollen Andrade und ihr Team in Zukunft auch
die molekularen Vorgänge rund um Gln-K näher untersuchen. Und vielleicht gelingt es ihnen
irgendwann, den Mechanismus des Transports und seiner Regulation in allen Einzelheiten
aufzuklären. „Es handelt sich um ein sehr kompetitives Feld“, sagt Andrade. „Aber die
Einsichten sind auch sehr wichtig, zum Beispiel im Zusammenhang mit den möglichen
Rückschlüssen auf die menschlichen Rhesusproteine und deren Funktionsweise.“
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Fachbeitrag
15.08.2011
mn
BioRegion Freiburg
© BIOPRO Baden-Württemberg GmbH
Weitere Informationen
Dr. Susana Andrade
Emmy-Noether Gruppenleiterin
Institut für Organische Chemie und Biochemie
Abteilung Biochemie
Albertstrasse 21
79104 Freiburg
Tel.: 0761/ 203 8719
Fax: 0761/ 203 6161
Universität Freiburg, Biochemie, AG
Andrade
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