Slawisches – 3. Sinfoniekonzert des Schleswig-Holsteinischen Sinfonieorchesters Solist: Chi Ho Han, Preisträger des ARD-Musikwettbewerbs Klavier 2014 Dirigent: Peter Sommerer 09.12.2014, Schleswig, 19.30 Uhr, A.P. MøllerSkolen 11.12.2014, Husum, 20.00 Uhr, NordseeCongressCentrum 12.12.2014, Rendsburg, 19.30 Uhr, Stadttheater 17.12.2014, Flensburg, 19.30 Uhr, Deutsches Haus Igor Strawinsky: „Der Feuervogel“ (Orchestersuite, 1919) Introduction L‘oiseau de feu et sa danse Variation de l‘oiseau de feu Ronde des princesses Danse infernale du roi Kastcheï Berceuse Final Gerade einmal 27 Jahre alt und noch herzlich unbekannt war Igor Strawinsky als er von Sergei Diaghilew, dem Impresario der legendären Ballets Russes, 1909 den Auftrag erhielt, ein Ballett über das russische Märchen vom „Feuervogel“ zu komponieren. Bereits ein Jahr zuvor hatte Strawinsky für Diaghilews Ballettkompagnie, zwei Chopin-Klavierstücke instrumentiert. Nun vertraute er dem Jungkomponisten ein eigenes Stück an – freilich erst, nachdem bekannte Größen wie Anatoli Ljadow und Alexander Glasunow abgelehnt hatten. Mit Feuereifer machte sich Strawinsky im Landhaus seines Lehrers Rimsky-Korsakow, der immerhin schon eine Oper über den Stoff komponiert hatte und dessen Einflüsse nicht zu überhören sind, an die Arbeit. Für die Balletttänzer wurde Strawinskys Komposition in ihrer rhythmischen Komplexität zu einer wahren Herausforderung, wie sich Tamara Karsavina, die den Feuervogel der Uraufführung verkörperte, später erinnert: „Es war ein tränenreiches Lernen. Für jemanden wie mich, der nur auf leicht erkennbare Rhythmen und einfache, fassliche Melodien erzogen worden war, gab es Schwierigkeiten, das kompositorische Muster zu verfolgen. Strawinsky zeigte Güte und Geduld. Er spielte wieder und wieder einige Passagen für mich. Da war keine Ungeduld über mein langsames Verstehen.“ Doch die Mühen hatten sich gelohnt. „Seht ihn euch an, er ist ein Mann am Vorabend seines Ruhms“ soll Sergei Diaghilew vor der Premiere des „Feuervogels“ seiner Ballettkompagnie gesagt haben. Und er sollte Recht behalten: Die Uraufführung des „Feuervogels“ geriet im Juni 1910 an der Pariser Opèra zu einem Sensationserfolg, der Strawinsky über Nacht zu einer internationalen Berühmtheit machte. Der Uraufführungserfolg veran-lasste Strawinsky im Jahr darauf eine Suite mit ausgewählten Nummern des Balletts zusammenzustellen. Die ursprünglich für ein hundertköpfiges Orchester gesetzte Ballettpartitur reduzierte Strawinsky 1919 dann nochmals zu einer siebensätzigen Suite für mittelgroßes Orchester, die in diesem Konzert erklingt. Tamara Karsavina und Michel Fokine in der Uraufführung von Strawinskys Ballett „Der Feuervogel“ , 1910 Die Handlung des Balletts geht auf zwei russische Volksmärchen zurück: „Kastschej der Unsterbliche“ und „Das Märchen von Iwan Zarewitsch, dem Feuervogel und dem grauen Wolf“. Sie alle kreisen um den ewigen Kampf von Gut und Böse. Das Ballett erzählt die Geschichte des jungen Prinz Iwan, der sich auf der Jagd nach dem Feuervogel in den Garten des Zauberers Kastschej verirrt. Als es ihm gelingt, den zaubermächtigen Vogel zu fangen, bittet ihn dieser inständig um seine Freiheit, die ihm Iwan auch gewährt. Zum Dank erhält er eine goldene Feder, der magische Kräfte innewohnen. Iwan bleibt allein im Garten zurück, in dem der böse Zauberer Kastschej dreizehn Jungfrauen gefangen hält – darunter auch Prinzessin Zarewna, in die sich Iwan unsterblich verliebt. Bei Iwans Versuch, die Prinzessinnen zu befreien, löst er ein magisches Glockenspiel aus, das Kastschej mit seinen schrecklichen Dämonen hervorruft. In Todesangst schwingt der Prinz die Zauberfeder, woraufhin der Feuervogel schützend erscheint. Mit einer magischen Musik zwingt er die bösen Geister zum Tanzen, bis sie von einem Wiegenlieg eingelullt einschlafen. Dann verrät der Feuervogel Iwan das Geheimnis von Kastschejs Macht: Tief in einer Höhle ist ein Riesenei versteckt, das die Seele des Zauberers enthält. Iwan zerschlägt das Ei, Kastschej stirbt und sein Zauberreich verschwindet. Seine Opfer sind nun befreit und Iwan ist mit Prinzessin Zarewna vereint. Die Handlungsstränge des Balletts lassen sich auch in der Suite nachverfolgen. Schon die Introduktion führt den Hörer mit bedrückend dunklen Tönen der tiefen Bläser und Kontrabässe in das Reich Kastschejs. Doch mit dem energetischen Tanz des Feuervogels belebt sich die Szenerie: Betörend flirrende Glissandi und impressionistische, mit silbrigen Arabesken angereicherte Klangkaskaden lassen den Flügelschlag des Feuervogels geradezu bildlich auferstehen. Dann springt die Suite in den Zaubergarten, wo die Prinzessinnen tanzen. Es erklingt ein Reigen voller Anmut, dessen lyrische Oboenkantilene auf ein russisches Volkslied aus der Sammlung Rimsky-Korsakows zurückgeht. Dieser von Diatonik und russischer Folklore geprägten menschlichen Sphäre setzt Strawinsky in hartem Kontrast die chromatische Klangwelt der bösen Zaubermächte entgegen. Der folgende infernalische Höllentanz Kastschejs und seines Gefolges weist mit den effektvollen Tutti-Blöcken und den archaischen Synkopen bereits auf die rhythmischen Ausbrüche von Strawinskys Skandal-Ballett „Le Sacre du Printemps“ voraus. Im schwermütigen Wiegenlied der Fagotte und Oboen beruhigt sich anschließend das Geschehen wieder. Ein majestätischer Hymnus im 7/4-Takt feiert mit gewaltigen Steigerungen der Blechbläser im Finale schließlich den Sieg des Guten über die Mächte des Bösen. Weiterführende Informationen: http://www.schott-musik.de/shop/persons/featured/18550/ Hörbeispiele: Strawinsky dirigiert Strawinsky: https://www.klassik.tv/videos/strawinsky-conducts-strawinsky/ Philadelphia Orchestra unter Riccardo Muti: http://youtu.be/NizpFQVTzQQ Peter I. Tschaikowsky: Klavierkonzert Nr. 1 (1874) Allegro non troppo e molto maestoso Andantino semplice Allegro con fuoco Es sind die wohl berühmtesten Einleitungstakte der Klavierliteratur: Wuchtig eröffnen die Hörner mit ihrem kraftvollen Auftakt Tschaikowsky erstes Klavierkonzert, durchsetzt mit markanten Orchesterschlägen und monumental begleitet mit über 7 ½ Oktaven reichenden Akkorden des Klaviers. Ein Beginn, der sich in seiner Bekanntheit wohl nur mit dem von Beethovens Fünfter messen lassen kann – und der in seiner Eingängigkeit sogar schon für Joghurt-Werbung herhalten musste. Komponist und Widmungsträger: Nikolai Rubinstein, Peter Tschaikowsky, Hans von Bülow Die ungeheure Popularität, die Tschaikowskys erstes Klavierkonzert heute besitzt, täuscht leicht über dessen schwierige Geburtsstunde hinweg: Ursprünglich wollte Tschaikowsky das Konzert seinem Freund und Gönner Nikolai Rubinstein widmen, dem er viel zu verdanken hatte. Schließlich hatte Rubinstein ihm nicht nur eine musikalische Ausbildung ermöglicht, sondern gewährte dem mittelosen Komponisten auch einige Jahre freie Kost und Logis. Als Tschaikowsky sein Werk am Klavier jedoch erstmals vorspielte, schlug ihm vernichtende Kritik Rubinsteins entgegen, wie er sich auch Jahre später noch schmerzlich in einem Brief an seine Gönnerin Nadeschda von Meck erinnerte: „Ich spielte den ersten Satz. Nicht ein Wort, nicht eine Bemerkung. Ich fand die Kraft, das Konzert ganz durchzuspielen. Weiterhin Schweigen. ,Nun?‘, fragte ich, als ich mich vom Klavier erhob. Da ergoss sich ein Strom von Worten aus Rubinsteins Mund. Mein Konzert sei wertlos, völlig unspielbar. Die Passagen seien so bruchstückhaft, unzusammenhängend und armselig komponiert, dass es nicht einmal mit Verbesserungen getan sei. Die Komposition sein schlecht, trivial, vulgär. Hier und da hätte ich von anderen stibitzt. Ein oder zwei Seiten vielleicht sein es wert, gerettet zu werden; das Übrige müsse vernichtet oder völlig neu komponiert werden.“ Tschaikowsky änderte an seinem Konzert keine einzige Note, sondern schickte es dem Dirigenten und Pianisten Hans von Bülow, dessen Urteil ganz anders ausfiel: „Die Ideen sind so originell, so edel, so kraftvoll, die Details so interessant. Die Form ist so vollendet, so reif, so stilvoll – in dem Sinne, dass sich Absicht und Ausführung überall decken. Ich bin stolz auf die Ehre, die Sie mir mit der Widmung dieses herrlichen Kunstwerkes erwiesen haben, das hinreißend in jeder Hinsicht ist.“ 1875 hob Hans von Bülow als neuer Widmungsträger das Konzert dann auch selbst in Boston aus der Taufe. Auch in Tschaikowskys erstem Klavierkonzert klingen immer wieder slawische Idiome an: Schon das Hauptthema des ersten Satzes beruht auf einem ukrainischen Volkslied, das Tschaikowsky einem Bettler auf einem Markt bei Kiew abgehört haben soll. Ein zweites inniges Thema erinnert in der Klavierfortführung stark an Schumann. Es entspinnt sich ein herrliches Wechselspiel zwischen Solist und Orchester, gewaltige Steigerungen charakterisieren die Durchführung bis eine virtuose Coda den Satz kraftvoll beschließt. Geradezu monumental sind auch die Ausmaße des Kopfsatzes: Gute 23 Minuten dauert er und nimmt damit immerhin drei Fünftel des gesamten Klavierkonzerts ein. Im Gegensatz dazu ist der zweite Satz von fast kammermusikalischer Qualität: Die einleitende zarte Weise der Querflöte wird zunächst glitzernd vom Klavier umspielt, dann jedoch von einem schnellen, scherzoartigen Mittelteil unterbrochen, in dem Tschaikowsky das französische Chanson „Il faut s’amuser, danser et rire“ („Man muss sich vergnügen, tanzen und lachen“) zu einem Walzer verarbeitet, bevor der Satz mit dem verträumten Eingangsthema schwärmerisch ausklingt. Das ungestüme Rondo-Finale hat seine Themen wiederum ukrainischen und russischen Volkstänzen abgelauscht und lässt Klavier und Orchester noch einmal in einer mitreißenden Stretta brillieren. Weiterführende Informationen: http://www.tschaikowsky-gesellschaft.de/ Hörbeispiel: Martha Argerich / Orchester de la Suisse Romande unter Charles Dutois: http://youtu.be/ItSJ_woWnmk Chi Ho Han wurde 1992 in Seoul geboren und erhielt ab seinem fünften Lebensjahr Klavierunterricht. 2003 gab er sein erstes Klavierkonzert. Seine professionelle Ausbildung begann er im selben Jahr als Privatschüler von Jiae Kim und setzte sie in den Jahren 2004 bis 2008 bei Kyung Seun Pee fort. 2008 bis 2012 studierte er an der Folkwang Universität in Essen bei Prof. Arnulf von Arnim, seit 2012 erhält er an der Hochschule für Musik in Hannover Unterricht bei Prof. Arie Vardi. Erste Erfolge bei internationalen Wettbewerben feierte er bereits mit 17 Jahren: Im Jahr 2009 gewann er als jüngster Teilnehmer den dritten Preis beim 13. Internationalen Beethoven Klavierwettbewerb in Wien und bekam damit die Möglichkeit, gemeinsam mit dem Sinfonieorchester des österreichischen Rundfunks, das erste Klavierkonzert Beethovens zu interpretieren. 2011 erspielte er sich zweite Preise beim Bonner Beethoven-Wettbewerb und beim Internationalen Schubert-Wettbewerb in Dortmund und gewann im letzten Jahr den ersten Preis beim 11. Kissinger Klavierolymp. Als jüngste Auszeichnung erhielt Chi Ho Han beim renommierten ARD-Musikwettbewerb den zweiten Preis im Fach Klavier sowie den Publikumspreis 2014. Die Géza Anda-Stiftung zeichnete ihn für seine herausragenden pianistischen Leistungen und als hoffnungsvolles Talent mit dem Förderpreis der Stiftung aus. Seit 2013 ist Chi Ho Han Stipendiat der Werner Richard - Dr. Carl Dörken Stiftung. Als Solist war Chi Ho Han bereits bei zahlreichen Musikfestivals und Konzertveranstaltungen in Europa und Asien zu Gast und trat u.a. gemeinsam mit renommierten Klangkörpern wie dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, dem Münchner Kammerorchester, dem Beethovenorchester Bonn, den Dortmunder Philharmonikern, dem Korean Symphony Orchestra und dem Orchestre philharmonique de Marseille auf. Antonín Dvořák: Sinfonie Nr. 6 (1880) Allegro non tanto Adagio Scherzo – Furiant Finale – Allegro von spirito Antonín Dvořáks Weg zum angesehen Komponisten und einem der wichtigsten Vertreter der tschechischen Nationalbewegung war lang und steinig. 1841 wird er in Böhmen geboren, einem Landstrich, der heute in Tschechien liegt. Seine Mutter ist die Tochter eines Gutsverwalters, sein Vater ist Schlachter und führt eine Gaststätte – aber er spielt auch Bratsche und weckt bei seinem Sohn schon früh das Interesse für Musik. Dvořák lernt Geige, Klavier und Orgel und schreibt mit 14 Jahren seine erste Komposition. Nach seiner Schulzeit verdient er sein Geld vor allem als Bratscher: In Kaffeehäusern spielt er zunächst zum Tanz auf und wird 1862 schließlich Stimmführer der Bratschen im Orchester des „Interimstheaters“ in Prag. Als Komponist jedoch trat Dvořák bis dahin noch nicht öffentlich in Erscheinung. Mangels Aufführungsgelegenheiten schrieb er seine Stücke vorerst für sich selbst. Erst ab 1871, also im Alter von 30 Jahren, beginnt man in Prag, auf die Werke Dvořáks aufmerksam zu werden. Dieser quittiert daher seinen Dienst als Orchestermusiker und widmet sich vor allem dem Komponieren. 1873 heiratet er seine ehemalige Klavierschülerin Anna ČErmáková, mit der er sechs Kinder haben wird. Um der wachsenden Familie ein festes Einkommen bieten zu können, tritt Dvořák für drei Jahre eine Organistenstelle in Prag an. Als Antonín Dvořák im Herbst 1880 auf Anregung des Dirigenten Hans Richter mit der Komposition seiner Sechsten Sinfonie begann, waren die Kämpfe um Anerkennung und finanzielle Sicherheit für den tschechischen Komponisten gerade erst ausgestanden. Johannes Brahms und der Wiener Musikkritiker Eduard Hanslick hatten ihm 1875 zu einem Stipendium des österreichischen Staates verholfen und spätestens seitdem sich Brahms für die Verlegung und Aufführung seiner Werke einsetzte, kannte auch das breitere Publikum Dvořáks Kompositionen. Dies sollte für Dvořák nicht nur den Anfang seiner internationalen Karriere bedeuten, sondern auch der Beginn einer lebenslangen Freundschaft zu Brahms werden. So wurde Dvořák im Laufe seines Lebens sogar als „Böhmischer Brahms“ bezeichnet, was er vor allem der glücklichen Verbindung von absoluter Musik mit slawischer Folklore in seinem Œuvre zu verdanken hatte. In Freundschaft verbunden: Johannes Brahms und Antonín Dvo ák Und kaum ein Werk wird diesem Ehrentitel gerechter als Dvořáks Sechste Sinfonie. Der slawische Stil tritt hier noch weitaus stärker in den Vordergrund als in seinen vorherigen Sinfonien. Schon das Hauptthema des ersten Satzes beruht auf einer böhmischen Volksmelodie, deren Auftakt mit einem markanten Quartmotiv den gesamten Kopfsatz über präsent bleibt und auch im folgenden Adagio noch zwei Mal zitiert wird. Als Vorbild dieser strengen Durcharbeitung und Orchestrierungskunst ist Johannes Brahms unverkennbar. Das Scherzo kommt dem slawischen Idiom wohl am nächsten: Es ist nach der Form des Furiant gestaltet, eines böhmischen Nationaltanzes, der seinen Schwung aus dem Nebeneinander von Zweier- und Dreierrhythmus gewinnt. Das Finale wiederum ist eng mit Johannes Brahms verwandt: Tonart, Tempo, Taktart und thematisches Material weisen deutliche Bezüge zum Schlusssatz von Brahms Zweiter Sinfonie auf. Die für Dezember 1880 vorgesehene Uraufführung von Dvořáks Sechster Sinfonie mit den Wiener Philharmonikern unter Hans Richter musste aufgrund von politischen Spannungen jedoch abgesagt werden. Einige Orchestermusiker weigerten bereits nach der ersten Probe die Komposition eines Slawen aufzuführen. Die anfängliche Ablehnung sollte der Popularität der Sinfonie jedoch keinen Abbruch tun: Nach ihrer Uraufführung in Prag im Jahre 1881 und weiteren Aufführungen in England entwickelte sie sich auch in Deutschland und Österreich schnell zu einem beliebten Repertoirestück. Weiterführende Informationen: http://www.br-online.de/kinder/fragen-verstehen/musiklexikon/2013/03773/ Hörbeispiel: Berliner Staatskapelle / Otmar Suitner: http://youtu.be/u4rKio2irYU