Zeitschrift "Militärgeschichte" - RK

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Zeitschrift für historische Bildung
C 21234
ISSN 0940 – 4163
Heft 4/2003
Militärgeschichte
Militärgeschichte im Bild: Rückkehr aus Kambodscha
Die Schlacht bei Poltava
Zwangsarbeit
Kampf um Gold
Militärgeschichtliches Forschungsamt
MGFA
IMPRESSUM
Militärgeschichte
Zeitschrift für historische Bildung
Herausgegeben
vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt
durch Jörg Duppler und Hans Ehlert
Redaktion:
Clemens Heitmann (ch),
Agilolf Keßelring (aak),
Herbert Kraus (hk),
Andreas Kunz (ak)
Redaktionsassistent:
René Henn
Anschrift der Redaktion:
Militärgeschichtliches Forschungsamt
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eingesandte Manuskripte wird nicht gehaftet. Durch Annahme eines Manuskriptes
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© 2003 für alle Beiträge beim
Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA)
Sollten nicht in allen Fällen die Rechteinhaber ermittelt
worden sein, bitten wir ggfs. um Mitteilung.
Technische Herstellung durch MGFA,
Schriftleitung
Lektorat:
Aleksandar-S. Vuletić
Bildredaktion:
Marina Sandig
Layout/Grafik:
Maurice Woynoski
Karten:
Bernd Nogli
Editorial
Die grundlegende Bedeutung von Geschichtskenntnissen für die politische Urteilsbildung ist unbestritten. Daher wird von verantwortlicher politischer und militärischer
Seite die Vermittlung von Kenntnissen über historische Abläufe und deren Ursachen
auch für die Soldaten der Bundeswehr immer wieder eingefordert. Gerade jüngste Äußerungen über die Bewertung historische Zusammenhänge und die Reaktionen von Politik
und Öffentlichkeit verdeutlichen diese Notwendigkeit. Das Militärgeschichtliche Forschungsamt sieht sich dieser Aufgabe in besonderer Weise verpflichtet und gibt bereits
seit 1991 für ein breites Publikum die Zeitschrift Militärgeschichte heraus. Der wachsenden Aufmerksamkeit, die der Geschichte in der politischen Bildung der Bundeswehr,
aber auch von der Öffentlichkeit und den Medien beigemessen wird, entsprechen die
Leserzuschriften, welche die Redaktion der Militärgeschichte regelmäßig erreichen.
Häufig melden sich Leser, die das eine oder andere Ereignis selbst erlebt haben, vielleicht
sogar daran beteiligt waren und mitunter anders bewerten. Solche Zeitzeugenberichte
sind für Historiker immer interessant, zugleich aber auch problematisch, denn sie geben
eben nur die individuelle Erinnerung, aber nicht unbedingt die historischen Tatsachen
wider. Wer jemals einen Verkehrsunfall beobachtet hat, weiß, wie zwei Zeugen denselben
Sachverhalt völlig unterschiedlich schildern können. Aus diesem Grunde sind Ereignisse
der Zeitgeschichte, also des Zeitalters der noch lebenden Zeitzeugen, zwar bei vielen
Geschichtsinteressierten besonders beliebt, jedoch auch stets besonders strittig – Zeitgeschichte ist Streitgeschichte, sagen die Historiker.
Die vor einigen Jahren geführte Debatte um die Zwangsarbeiter, die während des Krieges unter schlimmen Bedingungen in der deutschen Kriegswirtschaft arbeiten mussten,
mag dies verdeutlichen. Erst nach heftigen innenpolitischen Kontroversen und der Vermittlung der Bundesregierung gelang es, unter Einbeziehung der deutschen Industrie
ein Entschädigungsabkommen abzuschließen. Verena Krüger zeigt im vorliegenden Heft,
welches Schicksal den aus ganz Europa angeworbenen oder verschleppten Zwangsarbeitern im Deutschen Reich widerfuhr.
Ebenfalls kontrovers diskutiert werden die Geschichte der Blockkonfrontation oder
der Entwicklung deutscher Streitkräfte nach 1945. Uta Andrea Balbier beschreibt den
»Kampf um Gold«, d.h. den sportlichen Wettstreit der beiden deutschen Armeen und
ihrer Spitzenathleten während dieser Zeit, und Herbert Kraus erinnert an den humanitären Einsatz in Kambodscha, bei dem die Bundeswehr ihren ersten Toten im Auslandseinsatz beklagen musste. Außerdem haben wir aus der Vielzahl der historischen Jahrestage und Jubiläen wieder zwei Daten ausgewählt. Die Gründung der russischen Stadt
St. Petersburg durch Zar Peter I. (»der Große«) im Jahr 1703 nimmt Martin Meier zum
Anlass, um über Russlands Drang zur Ostsee und die Schlacht bei Poltava zu berichten;
Karlheinz Deisenroth erinnert an die »Zabern-Affäre« vor neunzig Jahren, als die unbedachten chauvinistischen Äußerungen eines preußischen Leutnants die deutsche Öffentlichkeit und den Reichstag beschäftigten.
Ich hoffe, die vielfältigen Beiträge dieses Heftes vermitteln Ihnen ebenso Erkenntnisgewinn wie neue Denkanstöße. Gleichzeitig darf ich mich Ihnen als neuer Leiter der für die
historische Bildung zuständigen Abteilung im MGFA vorstellen. Damit übernehme ich
auch die Mitherausgeberschaft dieser Zeitschrift von meinem Vorgänger, Herrn Oberst
i.G. Dr. Hans-Joachim Harder, dem ich für seine erfolgreiche und verdienstvolle Tätigkeit für die Militärgeschichte an dieser Stelle herzlich danke. Ich hoffe, das vorliegende
Heft des neuen Redaktions-Teams findet wie gewohnt Interesse und Gefallen, und wünsche Ihnen in diesem Sinne eine anregende Lektüre!
Druck:
SKN Druck und Verlag GmbH & Co., Norden
ISSN 0940-4163
Hans Ehlert, Oberst i.G.
D i e
A u t o r e n
Inhalt
Die Schlacht bei Poltava
4
am 28. Juni 1709
Zwangsarbeit
Martin Meier M.A.,
geboren 1975 in
Bergen/Rügen,
Historiker am
Militärgeschichtlichen
Forschungsamt, Potsdam
10
im Deutschen Reich während des
Zweiten Weltkriegs
Kampf um Gold
Spitzensportförderung in der
Nationalen Volksarmee und in der Bundeswehr
Verena Krüger M.A.,
geboren 1972 in Elmshorn,
wissenschaftliche Hilfskraft
bei der Landeskonferenz der
Frauenbeauftragten an den
wiss. Hochschulen
Baden-Württembergs
Uta Andrea Balbier M.A.,
geb. 1974 in Saarbrücken,
Historikerin, Stipendiatin der
Stiftung zur Aufarbeitung der
SED-Diktatur, Berlin,
forscht zur Geschichte der
deutsch-deutschen
Spitzensportförderung
16
Service
22
Das historische Stichwort:
Vor 90 Jahren: Die Affäre von Zabern
22
Medien online/digital
24
Lesetipp
26
Ausstellungen
28
Geschichte kompakt
30
Militärgeschichte im Bild
31
12. November 1993: Rückkehr aus Kambodscha
Deutsche Soldaten
treten vor dem German
Fieldhospital in Phnom
Penh, Kambodscha an
(Foto: BMVg / Kiesel)
Die Schlacht bei Poltava
Die Schlacht bei
E
ben noch blickte Gefreiter Måle
auf das ihm gegenüberliegende
kleine Birkenwäldchen, aus dem
der Feind zum Angriff antrat. Steif, dem
Befehle seines Offiziers, eines Kompaniechefs aus dem Uppland-Infanterieregiment folgend, marschierte er auf
die feindliche Linie zu. Der Lärm der
Geschütze, der unausstehlich beißende
Pulverdampf, die Schreie der Sterbenden, all dies nahm der junge Soldat
nicht zur Kenntnis. Ruhig schlug nun
das ihn zuvor ängstigende Herz. Automatisch, maschinengleich folgte er den
Anweisungen der brüllenden Vorgesetzten, bis schließlich um 10 Uhr ein
russisches Artilleriegeschoss den einundzwanzigjährigen Familienvater aus
dem Leben riss. Sein enthaupteter Leib
sank zu Boden, tränkte die ukrainische
Erde mit einem Strom dunklen Blutes.
Sein Schicksal ist überliefert. Neben
ihm starben an jenem Tage etwa 20 000
Menschen vor der strategisch wertlosen russischen Festung Poltava.
Jener Bedeutungslosigkeit zum Trotze
rangen zwei Monarchen unerbittlich
auf dem Schlachtfeld, das eigene Leben
nicht schonend. Karl XII. von Schweden und Peter der Große lieferten sich
vor den Toren der Feste einen Kampf,
der das Schicksal des nördlichen Europas entscheidend beeinflussen sollte.
Angesichts des bislang Geschilderten
drängen sich unweigerlich zwei Fragen
auf. Erstens: Wofür verbluteten Schweden, Deutsche, Russen, Polen, Tataren
und Ukrainer an jenem 28. Juni 1709,
oder einfacher ausgedrückt: Was führte
den Schwedenkönig in die ukrainische Ödnis? Und zum Zweiten: Warum
fand die entscheidende Schlacht im
russisch-schwedischen Ringen ausgerechnet an einem derart unbedeutenden Orte statt?
4
Zur Beantwortung ist es erforderlich,
auf eine Sommernacht des Jahres 1698
zurückzublicken. Zechend, doch bei
gutem Verstande, saßen in Rawa Ruska
der polnische König und sächsische
Kurfürst, August der Starke, sowie
der russische Zar Peter I. (der Große)
beisammen, um über Frauen, Kunst
und Politik lachend zu streiten. Natürlich vergaß August nicht, die schönen
Polinnen zu loben und vor dem Zaren
mit neuen weiblichen Eroberungen aufzuwarten.
Peter kümmerte dieses Gerede allerdings kaum. Ihm lagen die internationalen Beziehungen stärker am Herzen
als dem beleibten Kurfürsten. Mit Russland beherrschte er ein großes, potenziell reiches Land. Doch dessen Schätze
harrten ihrer Erschließung. Unendlich
rückständig war sein Staat, verglichen
mit Frankreich, England, ja selbst mit
den zerstückelten deutschen Landen.
Anbindung an Westeuropa blieb zeitlebens das Ziel des großen Zaren, dem
er alles Handeln unterwarf. Um aber
jenen Anschluss an die »moderne« Welt
zu erlangen, gebrach es Peter vor allem
an Seemacht. Häfen besaß er keine, die
Ostsee blieb ihm verschlossen, solange
Schweden alle in Frage kommenden
Gebiete in seiner Hand hielt.
Endlich nun, in eben jenem Jahre 1698
schien seine Stunde gekommen. Der
alte Schwedenkönig war gerade gestorben und an seine Stelle ein Knabe getreten. Karl nannte er sich, so wie schon
sein Vater und sein Großvater geheißen hatten. Jener Karl XII. stand gerade
in seinem siebzehnten Lebensjahr und
konnte natürlich von den diplomatischen Gepflogenheiten und von europäischer Politik nur eine geringe
Ahnung besitzen. Eine leichte Beute,
glaubte der Zar. Auch August wähnte
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2003
4Darstellung der Schlacht
von Poltava im Jahr 1709. Im
Vordergrund führt Zar Peter I.
einen Angriff auf eine schwedische Kavallerieeinheit, im Hintergrund am linken oberen
Bildrand befindet sich die von
den Schweden belagerte Festung Poltava, darunter das russische befestigte Feldlager. In
zwei Treffen hinter einander
aufgestellt, empfängt der Verteidiger die glücklosen schwedischen Angreifer. Am oberen
Bildrand sind die Redouten
deutlich erkennbar.
Foto: akg-images / Nr: 84082/1SW-33-E1709
Poltava
am 28. Juni 1709
5
Der verwundete Karl XII. lässt sich auf einer
Bahre über das Schlachtfeld tragen.
Lithographie, 1860, von Johann Nepomuk
Geiger (1805–1880)
Berlin, Slg. Archiv f. Kunst & Geschichte
Krigsarkivet, Stockholm, Foto: Bertil Olofsson
Eines aber bedachten weder Peter I.
von Russland noch seine beiden Verbündeten: den kriegerischen Charakter
Karls XII. Mochte er auch blutjung sein,
seine ganze Liebe galt von Kindesbeinen an dem Militär. Zudem stellte die
schwedische Armee seit Gustav Adolf
(1594–1632) eines der schlagkräftigsten Heere Europas dar. Auf jene Macht
konnte Karl bedingungslos bauen. Hier
soll der Weg in den bewaffneten Kon-
Foto: akg-images / Nr:172241 / 9RD-1709-7-8-A1
die Situation günstig. Durch Bestechung an die polnische Krone gelangt,
bot sich ihm endlich Gelegenheit, seine
Talente als Feldherr unter Beweis zu
stellen. Beide Monarchen vertraten die
Ansicht, dass es Zeit sei, Schweden
Land an der Ostseeküste zu entreißen.
Ihnen schloss sich wenig später der
dänische König Friedrich IV. an. Seit
weit mehr als hundert Jahren kämpften dessen Vorfahren mit den Schweden um die Vormacht im Ostseeraum.
Nun bot sich auch für Dänemark Gelegenheit, den Erzrivalen aus seiner
Position am baltischen Meer zu drängen.
5
Peter der Große schlägt den Schwedenkönig Karl XII., »Die Schlacht bei Poltawa«
Gemälde, 1717, von Jean Marc Nattier (1685–1766), Öl auf Leinwand, 90 x 112 cm
Moskau, Staatl. Puschkin-Mus. f. Bild. Künste
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2003
5
Die Schlacht bei Poltava
August der Starke und Polen
Das Heilige Römische Reich Deutscher
Nation, wie Deutschland bis 1806 hieß,
setzte sich aus Hunderten selbständiger
Staatsgebilde zusammen. Eines der größeren war das Kurfürstentum Sachsen, an
dessen Spitze Friedrich August I. stand.
Ihm sagten Zeitgenossen ungeheure körperliche Kräfte nach. Es wird behauptet, er
habe Hufeisen gerade zu biegen vermocht
und 352 Kinder gezeugt. So fiel ihm der
Beiname »der Starke« zu. Nach dem Ableben des polnischen Königs bewarb sich
Friedrich August 1697 um die frei gewordene Krone. Als protestantischer deutscher
Fürst aber wäre er im tiefreligiösen Polen
nicht akzeptiert worden, weswegen er sein
Glaubensbekenntnis wechselte und nun
zum Katholizismus übertrat.
5
Friedrich August I. Kurfürst von Sachsen als
August II. König von Polen, Gemälde von
Louis de Silvestre d.J. um 1720
Original: Dresden, Staatliche Kunstsammlungen
Foto: Bildarchiv Preussischer Kulturbesitz / F 10652 b
flikt nicht weiter skizziert werden. In
Erinnerung möchten dem Leser nur
die Kriegsziele der einzelnen Mächte
bleiben.
Für Schweden stand die Vorherrschaft
im Ostseeraum auf dem Spiel. Russland hoffte, diese Position zu übernehmen. August der Starke setzte auf Prestigegewinn durch militärische Erfolge
und Dänemark schließlich drang auf
Ausschaltung des schwedischen Feindes.
Karl XII. besiegte das dänische Heer
in Schleswig-Holstein noch im selben
Jahr, als der Krieg begann. Das war
1700. Bereits wenige Monate später
schlug er die russischen Truppen vernichtend vor der Festung Narva. Statt
jedoch seinen Erfolg zu einem endgültigen Sieg auszubauen, widmete er sich
6
Nach erfolgter Krönung zum polnischen
König im September 1697 hieß er August
II. von Polen. Während seiner Herrschaft
bemühte er sich, Polen dauerhaft an Sachsen zu binden. Zudem suchte er in beiden
Teilen seines Reiches absolutistisch, also
unumschränkt, zu herrschen. Seine Regierungszeit war geprägt von prunkvollen
Festen, einer Förderung der Künste, kostspieligen Jagden und einem in jeder Hinsicht ausschweifenden Leben des Monarchen. Vor nunmehr dreihundert Jahren,
am 1. Februar 1733 starb August der Starke
in Warschau.
seinem letzten und zugleich schwächsten Gegner – August dem Starken.
Mochte dieser auch Hufeisen verbiegen und hunderte Frauen zu glücklichen Müttern werden lassen, auf dem
Schlachtfelde blieb er erfolglos. Den
schwedischen Infanteristen und Kavalleristen schien keine Macht gewachsen. 1706 gab sich der Sachse im Frieden zu Altranstädt geschlagen. Wieviel Zeit aber blieb durch diesen Feldzug verloren! Zeit, die Zar Peter nutzte.
Er setzte ein überwältigendes Reformwerk in Russland in Gang. Die russische Armee formte er zur schlagkräftigen Truppe. Im Ural gossen gerade
errichtete Hütten Stahl und fertigten
neue Schmieden qualitativ hochwertige
Geschütze für die Artillerie. Aus Sankt
Petersburg, der 1703 an der Nevamündung gegründeten Stadt, lieferten Textilmanufakturen Uniformstoffe.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2003
5
Karl XII. (1682–1718),
König von Schweden,
Gemälde von
David von Krafft um 1706,
Original: Schloss Gripsholm
Von all dem nahm Karl XII. kaum
Notiz; für Wirtschaft und Politik besaß
er wenig Sinn. Der Schwedenkönig
setzte einzig auf die Schlagkraft seiner
kampferprobten Regimenter, die zu
einem Teil aus Schweden und Finnen,
zum anderen aber aus zahlreichen
Deutschen bestanden. Im Juni 1708
marschierten die stolzen schwedischen
Verbände aus Sachsen ab, um Russland endgültig den Todesstoß zu versetzen. Dieser Moment schien denkbar günstig. Peter der Große kämpfte
mit erheblichen innenpolitischen Problemen. Insbesondere bereiteten ihm
Kosakenaufstände Sorgen. Am Don
zeigten sich die Wehrbauern unzufrieden mit seiner autokratischen Herrschaft. Peter, der zu aufbrausender
unbedachter Rede fähig war, hatte
den Donkosakenhetman Ivan Mazeppa
gegen sich aufgebracht.
Karl XII. und Schweden
Der schwedische Staat nahm im Verlaufe des 17. Jahrhunderts einen erstaunlichen Aufstieg. König Gustav II.
Adolf schuf mit seinem Eingreifen in den Dreißigjährigen Krieg 1628/1630 die Voraussetzung für eine Vormachtstellung des nordischen Staates im Ostseeraum.
Innenpolitisch vermochten er und seine Nachfolger
in Schweden den Absolutismus zu etablieren. Als der
fünfzehnjährige Karl XII. 1697 den Thron bestieg,
stand Schweden einer Welt von Feinden gegenüber,
welche die Position Stockholms im Ostseeraum zu
schwächen trachteten. Karls positiven Charakterzügen
traten ebenso viele Schwächen zur Seite. Ruhmsüchtig war er, ungeduldig, undiplomatisch, mit dem politischen Geschäft nicht im mindesten vertraut. Seinem
Starrsinn fielen Tausende zum Opfer. Um die Staatsfinanzen kümmerte er sich nicht, jedes Reformbemühen seiner Berater wies der Schwedenkönig beharrlich
zurück. So erlebte Schweden unter seiner Ägide nicht
nur in außenpolitischer Hinsicht schwere Rückschläge.
Nach dem Tode Karls erlitt die Staatsmacht auch im
Lande selbst eine herbe Niederlage. Der Absolutismus,
d.h. die alleinige Herrschaft des Königs, wurde beseitigt, an seine Stelle trat die Herrschaft des Adels.
Karls Leichnam bildete, seit seiner Beisetzung mehrfach den Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen, zuletzt 1917. Um die Frage zu entscheiden, ob ein
Mörder oder ein feindliches Geschoss dem Leben des
Kriegerkönigs ein frühes Ende bereitete, begutachteten
Gelehrte die Eintritts- und Austrittswunden an seinem
Kopf. Bis heute halten sich dennoch befürwortende
und ablehnende Stimmen eines möglichen Mordkomplottes die Waage.
Karl XII. baute auf dessen Unterstützung. Zudem hoffte er, das Osmanische Reich zu einem Angriff gegen
Russland zu bewegen. Gleichzeitig gab
er den im Baltikum und in Polen stationierten Truppen Weisung, sich dem
Feldzug anzuschließen. Die drei Heeressäulen sollten sich auf gegnerischem
Gebiet vereinen und gemeinsam auf
Moskau marschieren. Werden sämtliche schwedischen Streitkräfte, einschließlich der im Baltikum verbleibenden Festungsbesatzungen, zusammengerechnet, so zählte Karls Heer etwa
110 000 Mann. Demselben vermochte
Moskau etwa 100 000 Soldaten entgegenzustellen. Selbst bei deutlicher
Unterlegenheit der Schweden wäre ein
russischer Sieg höchst unwahrscheinlich gewesen. Peter wusste um die
immense Schlagkraft seines Gegners.
Schon der Name des Schwedenkönigs
löste Verzweiflung, ja Panik unter den
russischen Truppen aus. Deshalb hielten sich die Verteidiger bedeckt, operierten vorsichtig und schonten ihre
Verbände nach Möglichkeit. Ihr größter
Vorteil blieben die russischen Weiten.
Taktik der verbrannten Erde trat hinzu.
Zar Peter befahl beispielsweise, bei
Smolensk alle Vorräte von der Marschroute seines Gegners zu entfernen,
jedes Dorf niederzubrennen, das den
Schweden Quartier bieten könnte, und
jedes Feld anzuzünden, das dem Feinde
Korn zu geben vermochte.
Als sich die russischen Hauptkräfte
1708 bei Holowczyn erstmals gegen
Karls Verbände stemmten, erlitten sie
trotz leichter Überlegenheit eine Niederlage. Schlechter erging es jedoch
der zweiten schwedischen Heeressäule
unter General Lewenhaupt. Der erfah-
rene Feldherr unterlag bei Lesnaja. Das
Kriegsglück Schwedens verebbte. Zu
den verlustreichen Schlachten und der
sich deutlich verschlechternden Versorgungslage traten politische Misserfolge. Der türkische Sultan verhielt
sich abwartend. Konstantinopel wollte
zunächst schwedische Erfolge sehen,
bevor es eigene Kräfte in die Waagschale warf. Zudem stieß der Kosakenführer Mazeppa zwar wie versprochen zu den Angreifern, aber nur mit
Resten einer einstmals kampfkräftigen
Truppe. Seine Streitmacht war von russischen Verbänden nahezu aufgerieben.
Mehrfach sah Karl sich nun gezwungen, die Marschroute zu ändern und
das weitere Vorgehen gegen Moskau zu
überdenken. Er verzettelte sich zunehmend. Schließlich brach der Winter
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7
Die Schlacht bei Poltava
Quelle: Svenska slagfält / Lars Ericson u.a. Stockholm 2003. S:298. Copyright Publisher Produktion AB
Peter der Große und Russland
Bereits als Kind übte sich der am 9. Juni 1672 geborenen Zarensohn Peter im militärischen Handwerk.
Aus Bauernjungen stellte der Knabe zwei Regimenter zusammen, mit denen er Krieg spielte. Mit Kanonen, die Rüben verschossen, und mit Holzgewehren
bewaffnet, schlugen die jungen »Soldaten« aufeinander ein. Seine politische und ökonomische Bildung
erlangte Peter insbesondere durch enge Kontakte zu
Ausländern, die in der »DeutschenVorstadt« am Rande Moskaus wohnten. Nachdem er als Peter I. 1689 den
Zarenthron bestiegen hatte, behielt
er seine beiden Lieblingsregimenter
3
Peter I. in der Schlacht von Poltava,
Gemälde von Gottfried Danhauer, 1718
Original: St. Petersburg, Russisches Museum,
Foto: Bildarchiv Preussischer Kulturbesitz / F 17108 b
im Dienst, und betrachtete sie nun
als Garde, die den Grundstock eines
neuen russischen Heeres darstellte.
Sein erster Feldzug galt den Türken. Noch oft führte
er mit wechselndem Erfolg Krieg gegen das Osmanische Reich. Peter trachtete nach einem Zugang zum Asovschen Meer, der ihm durch die Truppen des Sultans verwehrt
wurde. Im Norden sah sich Russland der Großmacht Schweden gegenüber. Auch hier zielte der Zar auf Zugang zur Küste.
Innenpolitisch prägte Peters Regierungszeit ein umfangreiches Reformwerk. Mit äußerster Härte setzte er einen wirtschaftlichen, kulturellen, politischen und militärischen Aufstieg Russlands in Gang. Er ließ Kanäle errichten, Rathäuser bauen und
Gesetze erarbeiten. Der russische Adel kleidete sich fortan westeuropäisch, den Bojaren befahl Peter, die Bärte abzuschneiden, und im russischen Militär hielt die Perücke Einzug. Das Handwerk, die Manufakturen, der Handel, das Bergwesen, der
Verkehr, die Forsten, alles gedieh unter Aufsicht des unermüdlichen Zaren. Als er am 8. Februar 1725 starb, verlor Russland
einen Monarchen, der mit Recht den Beinamen »der Große« trug.
über die ausgehungerten schwedischen
Soldaten herein. Ohne die Hilfe der
Donkosaken, die Lebensmittel zuführten, wäre Karls Heer jämmerlich zu
Grunde gegangen. Allein der König
gab den Kavalleristen und Infanteristen Hoffnung. Geschichten, die sich
ohnehin zahlreich um ihn rankten,
gewannen durch die Entbehrungen
neue Nahrung.
Aus jenen schweren Wochen wird beispielsweise berichtet, ein schwedischer
Soldat habe vor der Front seinem
Monarchen murrend ein Stück schimmliges Brot unter die Nase gehalten.
Ungerührt nahm Karl das ihm Dargebotene und verzehrte es. Dann wandte
er sich an den erstaunten Infanteristen
mit den Worten: »Gut ist es nicht, aber
essbar.«
8
Mag diese Geschichte auch erfunden
sein, zeigt sie doch den immensen
Respekt zeitgenössischer Beobachter
gegenüber dem schwedischen König.
Die witterungsbedingten Verluste
erwiesen sich auf beiden Seiten als
derart schmerzlich, dass sich Zar und
König auf eine mehrmonatige Waffenruhe einigten. Im Februar 1709
jedoch begannen die Kampfhandlungen erneut. Karl erfuhr nun, dass seine
»polnische« Armee noch nicht einmal
aufgebrochen war. Mit Entsatz konnte
er also auf lange Sicht kaum rechnen.
Dem Zaren waren einige tausend Tote
egal. Er vermochte seine Streitmacht
rasch wieder aufzufüllen. Karl hingegen konnte Verluste nicht ausgleichen. Das Kräfteverhältnis verschob
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2003
sich somit deutlich zu seinen Ungunsten. Er führte im Frühjahr noch etwa
25 000 Mann ins Feld. Zar Peter stellte
ihm 45 000 entgegen. Der Schwedenkönig setzte nun auf seine Überlegenheit in der offenen Feldschlacht. Er
hoffte, seinen russischen Widersacher
zur Entscheidung zu zwingen. Hierfür
bedurfte es eines Köders. Er fand sich
in der äußerst schwachen Festung Poltava, die am westlichen Ufer der Vorskla lag und lediglich Werke aus Holz
vorweisen konnte. Wenige Tage hätten
genügt, um den Ort unter schwedische
Kontrolle zu bringen. Wie verwundert
aber, ja geradezu verärgert zeigten sich
die Artilleristen, als ihr König verbot,
mehr als eine Salve täglich auf die Feste
abzufeuern. Je länger sich Poltava hielt,
desto größer wurde das Prestige, das
sich mit dem an sich unbedeutenden
Punkt auch für Zar Peter verband. Für
ihn bestand die Gefahr einer allgemeinen Erhebung der einheimischen Völkerschaften gegen die verhasste Zarenherrschaft nach dem Fall Poltavas.
Karls XII. Rechnung ging also auf: Die
Festung wirkte wie ein Magnet auf
die russische Armee. Peter zog seine
Verbände am östlichen Vorskla-Ufer
zusammen. Ein wochenlanger Kampf
um den Flussübergang entbrannte. Bei
einem Versuch, die Russen an der Forcierung der Vorskla zu hindern, verletzte eine feindliche Kugel Karl schwer
am Fuß. Da der junge Monarch seiner
Gesundheit keinerlei Aufmerksamkeit
entgegenbrachte, entzündete sich die
Wunde rasch. Fieber erfasste ihn derart
heftig, dass die Ärzte den König beinahe aufgaben. Nur langsam wieder
zu Kräften kommend, betraute Karl
einen seiner geschicktesten Feldherren
mit dem Kommando in der unmittelbar bevorstehenden Entscheidungsschlacht. Feldmarschall Renskiöld
(eigentlich Reinschild), ein gebürtiger
Pommer aus Stralsund, sollte die russischen Truppen schlagen.
Renskiold war ein tapferer, der Krone
treu ergebener Mann, jedoch von kaltgefühlloser und überheblicher Natur.
Am Morgen des 28. Juni 1709 sollte
er gemäß dem Wunsche seines Monarchen mit der Infanterie voran, gefolgt von der Kavallerie, in das russische Verteidigungssystem einbrechen.
Ohne sich um die Feldbefestigungen
zu seiner Rechten und Linken zu
kümmern, oblag es ihm dann, rechts
schwenken zu lassen und vor der
Hauptmasse der gegnerischen Truppen
derart schnell Aufstellung zu nehmen,
dass diese nicht Zeit fänden, die eigenen Reihen zu positionieren. Ein einfacher, aber kluger Plan, dessen Umsetzung jedoch gänzlich misslang.
Bereits der Aufmarsch gestaltete sich
überaus kompliziert. In stockfinsterer
Nacht verirrten sich einige Bataillone.
Das kostete Zeit. Das Überraschungsmoment entfiel hierdurch. Die alarmierten Russen erwiesen sich als meisterhafte Pioniere. In der Zeit, da die
Schweden Marschordnung einnahmen,
errichteten sie vier neue behelfsmäßige
Feldbefestigungen, und zwar feindwärts im rechten Winkel zu den alten
Anlagen. Somit scheiterte der schnelle
kampflose Einbruch in die Verteidigung. Die schwedische Formation riss
auseinander, da einige Bataillone die
nun in der Flanke befindlichen russischen Verteidiger ausschalten mussten.
Ein Drittel der Kräfte war somit gebunden, während die Masse des Heeres
weiter gegen das russische Zentrum
vorging. Dasselbe befand sich jedoch
bereits wohlgeordnet in Schlachtaufstellung. Voll entfaltet empfingen die
Russen ihren deutlich verminderten
Gegner, der sich noch in Marschformation bewegte. Seine eilends gebildete
Front drückten die russischen Truppen schnell ein. Angefeuert durch den
Zaren, stellte die Infanterie ihre neugewonnene Schlagkraft unter Beweis.
Peter, der eine Vorliebe für Verkleidungen besaß, trat in der Uniform
eines Generalmajors unter seine Soldaten. Das Kommando überließ er einem
anderen fähigen Offizier.
Die schwedische Kavallerie wich als
erste vom Schlachtfeld. Ihre Absatzbewegung verlief erfolgreich. Der schwerfälligeren Infanterie gelang ein Ausweichen jedoch nur unter erheblichen
Verlusten. Dennoch zog auch sie sich
geordnet zurück und blieb zunächst
unverfolgt. An einen neuen Angriff
war nicht zu denken. Diesmal half auch
die persönliche Anwesenheit Karls XII.
unter seinen kämpfenden Soldaten
nicht. Der Schwerverwundete ließ sich
während der stundenlangen Kämpfe
auf einer Bahre über das Schlachtfeld
tragen, um seinen Truppen Mut zuzusprechen. Von den vierundzwanzig
Trägern, die den Monarchen an jenem
Tage über die Walstatt beförderten,
blieben einundzwanzig tot zurück.
Nur Karl selbst entkam wie durch ein
Wunder.
Als die Flucht der Schweden Richtung
Süden begann, dem türkischen Reiche
entgegen, war der König noch bei
vollem Verstande. In ihrem Verlaufe
aber schwanden Karl die Sinne. Das
Wundfieber griff erneut nach seinem
Leben. Zweimal fiel er aus dem Sattel
und musste halbtot von Offizieren wieder aufs Pferd gehoben werden, bis das
geschlagene Heer schließlich die Flussgabelung Vorskla-Dnepr erreichte. Ein
aus wenigen hundert Mann bestehendes Vorauskommando erreichte nachts
den Fluss, unter ihnen auch der mit
dem Tode ringende Karl XII. Wenige
Stunden später trafen die russischen
Verfolger ein. General Lewenhaupt
übergab ohne zu zögern den Rest der
verzweifelten schwedischen Truppen,
etwa 9000–10 000 Mann, dem siegreichen Gegner.
Sein Monarch aber erreichte wohlbehalten das türkische Exil. Nach Karls
Genesung bemühte sich dieser unablässig, den Sultan zum Angriff gegen
Russland zu bewegen.
Erst 1714 kehrte er zu seinen Truppen
zurück. Von nur einem Getreuen begleitet, brachte ihn ein legendärer Ritt vom
Osmanischen Reich nach Stralsund.
Dort verteidigte er die bedeutendste
schwedische Festung auf deutschem
Boden gegen drei feindliche Heere.
Sein Lebensweg nahm 1718 ein gewaltsames Ende. Bis heute sind die
Umstände des Todes ungeklärt. Man
fand den Sechsunddreißigjährigen
während eines Norwegenfeldzuges erschossen in einem Graben vor Frederikshald. Ob durch eine gegnerische
Kugel gefallen oder durch die Hand
eines Verräters aus den eigenen Reihen
gemeuchelt, ist nach wie vor ungewiss.
Die Schlacht von Poltava 1709 aber
blieb der eigentliche Auslöser des
schwedischen Niedergangs. Sie ist von
europäischer, ja von weltgeschichtlicher Bedeutung. Schon Zeitgenossen
empfanden den Sieg der Russen vor
der kleinen ukrainischen Festung als
Wende im Krieg. Nicht wenige hielten
das Ringen zwischen den nordischen
Reichen sogar gänzlich für beendet.
Auch aus heutiger Sicht darf Poltava
als historischer Markstein gesehen
werden. Die Schlacht besiegelte das
Ende der schwedischen Vormachtstellung im Ostseeraum und ermöglichte
dem Reiche Peters des Großen, an
dessen Stelle zu treten. Russlands
Aufstieg zur Weltmacht nahm seinen
Anfang.
n Martin Meier
Literatur
Jörg-Peter Findeisen, Karl XII. von Schweden.
Ein König, der zum Mythos wurde, Berlin 1992
Reinhard Wittram, Peter I. Czar und Kaiser.
Zur Geschichte Peters des Großen in seiner
Zeit, 2 Bde, Göttingen 1964
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2003
9
Zwangsarbeit
Zwangsarbeit
Bundesarchiv / K 0511/500/1N
im Deutschen Reich während des Zweiten Weltkriegs
I
m Juli 2000, 55 Jahre nach Ende
des Zweiten Weltkriegs, wurde in
Berlin das Abkommen über die
Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter unterzeichnet. Damit wurde
Zwangsarbeit als nationalsozialistisches Unrecht anerkannt und ein Entschädigungsanspruch generell begründet. Da es während des Kalten Krieges nicht im Interesse der westlichen
Verbündeten lag, dass die bundesdeutsche Regierung immense Summen an
die Sowjetunion und andere Staaten
jenseits des Eisernen Vorhangs leistet,
wurde sie in ihrer abwehrenden Haltung gegen die Entschädigung ausländischer Zwangsarbeiter – maßgeblich
von den Vereinigten Staaten – unterstützt. So wurden Reparationsforderungen aus dem Zweiten Weltkrieg,
unter die die Ansprüche von ausländischen ehemaligen Zwangsarbeitern
fielen, auf einen künftigen Friedensvertrag verschoben. Dieser Fall trat mit der
deutschen Wiedervereinigung auf der
Grundlage des Zwei-plus-Vier-Vertrages ein, der im März 1991 in Kraft trat
und quasi als Friedensvertrag angesehen wird. Es bedurfte jedoch erst
der großen Sammelklagen amerikanischer Anwälte gegen deutsche Unternehmen und des öffentlichen Drucks
aus den Vereinigten Staaten, bis es zu
einer Einigung kam. Das Interesse der
deutschen Wirtschaft an dem Entschädigungsgesetz lag hauptsächlich in der
zukünftigen Rechtssicherheit vor weiteren Klagen begründet. Schließlich
wurde festgelegt, dass die Bundesregierung und die Stiftungsinitiative der
deutschen Wirtschaft 10 Mrd. DM zur
Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen bereitstellen. Im Prinzip ausgeschlossen
wurden allerdings die kriegsgefangenen Zwangsarbeiter und die zivilen
Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen, die in der Landwirtschaft oder in
privaten Haushalten eingesetzt waren.
10
5
Zwangsarbeiterinnen aus der Sowjetunion in einem Kfz-Instandsetzungswerk der deutschen
Wehrmacht in Berlin, 19. Januar 1945
Mit der finanziellen Entschädigung
widerfährt den wenigen noch lebenden
Opfern, die einen Anspruch geltend
machen können, zumindest insofern
Gerechtigkeit, als sie einen Schadensersatz für erzwungene Arbeitsleistung
erhalten; Geld also, das ihnen als
Zwangsarbeitern ganz oder zum Teil
vorenthalten wurde. Der größte Teil des
Betrages fließt nach Polen und in die
Nachfolgestaaten der Sowjetunion, die
Länder, aus denen die größten Opfergruppen stammen. Etwa 2500 € sollen
beispielsweise die Personen erhalten, die
ins Deutsche Reich deportiert wurden,
in der Industrie eingesetzt wurden und
unter besonders schlechten Lebensbedingungen zu leiden hatten. 7500 €
sind für ehemalige KZ-Häftlinge vorgesehen. Der Entschädigungsfonds hat
außerdem insofern Bedeutung, als man
sich durch ihn einen positiven Einfluss
auf das Deutschlandbild im Ausland
verspricht.
Die Verschleppung von Millionen
Zivilisten und Kriegsgefangenen zur
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2003
Zwangsarbeit sowie deren Umstände
gelten als völkerrechtliches Verbrechen und wurden im Rahmen der
Nürnberger Prozesse zum Kriegsverbrechen und zum Verbrechen gegen
die Menschlichkeit erklärt. Insgesamt
arbeiteten in den Jahren 1939 bis 1945
nach neueren Schätzungen 11–12 Mio.
Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen aus fast 20 europäischen Ländern im Deutschen Reich. Ohne diese
Arbeitskräfte hätte Deutschland den
Krieg mit großer Wahrscheinlichkeit
schon im Sommer 1943 verloren. 1944
stellten ausländische Zivilarbeiter und
Kriegsgefangene ein Viertel aller Beschäftigten im Deutschen Reich. Der
millionenfache Einsatz von Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen war
nicht von langer Hand geplant, vielmehr entwickelte sich diese Praxis erst
in den Kriegsjahren. In der Behandlung und Versorgung der Menschen,
die sich insbesonders nach der Herkunftsnation richtete und von der die
Überlebenschancen abhingen, beruhte
maßgeblich auf der nationalsozialisti-
schen Rassenideologie, aber auch auf
bündnispolitischen Erwägungen.
3
Ukraine, Mai 1942:
Vor dem Abtransport nach
Deutschland werden die
Arbeitsdienstverpflichteten
untersucht.
Zwischen Ideologie und
Pragmatismus:
Die Rekrutierung
ausländischer Arbeitskräfte
Der Masseneinsatz ausländischer Arbeitskräfte im Deutschen Reich begann
mit dem Überfall auf Polen im September 1939. Schon im Oktober desselben
Jahres arbeiteten über 200 000 polnische Kriegsgefangene in der deutschen Landwirtschaft. Aus ideologischen Gründen war die nationalsozialistische Führung zuvor gegen den Einsatz polnischer Arbeitskräfte gewesen.
Diese Haltung hatte sich jedoch schnell
geändert: Wenn nicht deutsche Frauen
in großem Umfang zur Arbeit in Industrie und Landwirtschaft herangezogen
werden sollten – was ebenso wie der
Einsatz von Polen gegen die nationalsozialistische Ideologie verstieß –,
dann mussten ausländische Arbeitskräfte eingesetzt werden, um den Krieg
wie geplant fortführen zu können.
Nach größtenteils erfolglosen Anwerbungskampagnen der deutschen Arbeitsverwaltungsbehörden im besetzten Gebiet wurden Anfang 1940
polnische Zivilisten zur Arbeit in
Deutschland zwangsverpflichtet. Wer
sich zu entziehen versuchte, wurde
mit Gewalt fortgebracht. Die Behandlung der polnischen Zwangsarbeiter
und Zwangsarbeiterinnen, die vorwiegend in der Landwirtschaft eingesetzt
wurden, war zunächst nicht eindeutig
geregelt. Erst im März 1940 wurden die
zahlreichen Vorschriften und Bestimmungen in den so genannten »Polenerlassen« zusammengefasst, die die Diskriminierung der Polen und Polinnen
in allen Lebensbereichen zur Folge
hatten.
Die polnischen Zwangsarbeiter deckten die Bedürfnisse des Krieg führenden Deutschen Reiches noch nicht.
Mit der Besetzung Frankreichs im
Juni 1940 zog man nun auch französische Kriegsgefangene als Arbeitskräfte
heran. Zudem setzten die deutschen
Behörden auf die Anwerbung von
Zivilisten zur Arbeit im Deutschen
Reich. Auch im besetzten Belgien und
den Niederlanden wurden Zivilisten
Bundesarchiv / B 19 880
3
Ukraine, Juni 1942:
Die Bevölkerung wird
zur Zwangsarbeit nach
Deutschland verfrachtet,
um hier in der
Rüstungsindustrie
eingesetzt zu werden.
Bundesarchiv / B 25 445
zunächst formal als freie Beschäftigte
angeworben. In diesen besetzten Ländern wurde erst im Frühjahr 1941 (Niederlande) bzw. 1942 (Frankreich, Belgien) durch die Einführung der allgemeinen Arbeitspflicht und Repressalien verschiedener Art der Druck auf
Zivilisten erhöht, in Deutschland zu
arbeiten. Erst ab 1943 begann man in
den Niederlanden und Belgien mit jahrgangsweisen Aushebungen zur Rekrutierung von Arbeitskräften. Mit Deportationen in größerem Umfang und einhergehend mit brutalen Repressionsmaßnahmen begannen die deutschen
Behörden in den Niederlanden 1944.
Die Arbeitskräfte aus den westeuropäischen Ländern standen in der nationalsozialistischen Hierarchie deutlich über
den Polen und dementsprechend gestaltete sich ihre Behandlung.
Schon bald nach dem Überfall auf die
Sowjetunion im Juni 1941 zeichnete
sich ab, dass dieser Krieg nicht mit
einem schnellen Sieg für die Deutschen enden würde. In der Kriegswirtschaft wurde ein deutlicher Mangel
an Arbeitskräften festgestellt, zumal
immer mehr deutsche Arbeiter zur
Wehrmacht einberufen wurden. Ende
1941 gaben Hitler und Göring einen
Beschluss heraus, der fortan das Leben
von schätzungsweise 3–4 Mio. Sowjetbürgern bestimmen sollte: Sie genehmigten den Arbeitseinsatz sowjetischer
Kriegsgefangener und Zivilisten für
das Deutsche Reich. Ähnlich wie im
Falle der Polen hatten sich bis dahin vor
allem die Ideologen in der Parteiführung und die SS gegen die Vorstellung
gesperrt, auf sowjetische Arbeitskräfte
angewiesen zu sein. Diese bezeichneten
sie gemäß der nationalsozialistischen
Rassenlehre als »slawische Untermenschen« und sahen in ihnen außerdem
– anders als bei den Polen – eine politische Gefahr, den »Bolschewismus«.
Hitler und Göring entschieden sich mit
ihrem Beschluss jedoch pragmatisch
und gaben somit dem kriegswirtschaftlichen Druck nach.
Auf die meisten sowjetischen Kriegsgefangenen konnte jedoch nicht mehr
zurückgegriffen werden: Zu dem Zeitpunkt waren bereits 70 % (= 2,8 Mio.)
der sowjetischen Kriegsgefangenen in
den Lagern der Wehrmacht umgekommen; ihr Tod war einkalkuliert und
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2003
11
Quelle: Spoerer, Mark/ Zwangsarbeit im Dritten Reich und Entschädigung: ein Überblick
http://www.akademie-rs.de/publikationen/hp56_spoerer.htm
Zwangsarbeit
ist als ein Aspekt des »Vernichtungskrieges« zu sehen. Die deutsche Führung hatte kein Interesse am Erhalt
des Lebens der Gefangenen, solange
an einen Arbeitseinsatz noch nicht
gedacht wurde.
Nun entschied man, wie in Polen vorzugehen und in großer Anzahl sowjetische Zivilisten und Zivilistinnen
als Arbeitskräfte für das Deutsche
Reich heranzuholen. Die Rekrutierungen von Arbeitskräften aus den besetzten Gebieten und der Arbeitseinsatz
der Zivilisten sollten fortan durch das
Amt des »Generalbevollmächtigten für
den Arbeitseinsatz« effektiver und zentral geleitet werden, das der Thüringer Gauleiter Fritz Sauckel im März
1942 übernahm. Gemeinsam mit den
Behörden der Zivilverwaltung bzw. der
Wehrmacht im eroberten Gebiet setzte
Sauckel die Deportation der Sowjetbürger ins Werk. Im Unterschied zum
Vorgehen in den westeuropäischen
Ländern ging man hier, ebenso wie
in Polen, nach einer kurzen Phase
von erfolglosen Anwerbungskampagnen schnell zur Gewaltanwendung
über. Oft kam es vor, dass Zivilisten
auf Märkten, vor Milchständen oder
Kinos abgefangen, in Lastwagen gestoßen und in Sammellager transportiert
wurden. Ihnen stand eine mehrwöchige Fahrt in verschlossenen Eisenbahnwagen bevor, in der Regel Vieh-
12
waggons. Stellten Städte oder Gemeinden die festgelegten Kontingente an
Arbeitskräften nicht, drohten Gewalttaten der Deutschen. In einem Bericht
der Sicherheitskräfte werden die als
Reaktion auf den Versuch, sich dem
Abtransport zu entziehen, anzuwendenden Maßnahmen genannt:
»Beschlagnahmung des Getreides und
des Eigentums, Inbrandsetzung des
Hauses, gewaltsames Zusammentreiben, Fesselung und Misshandlung
der Gesammelten, Zwangsaborte von
schwangeren Frauen«.
Diejenigen sowjetischen Soldaten, die
nach dem Beschluss Hitlers und
Görings in Gefangenschaft gerieten
und für den Arbeitseinsatz im Deutschen Reich vorgesehen waren, wurden
zunächst in Durchgangslager und von
dort aus in Kriegsgefangenen-Stammlager im Deutschen Reich gebracht.
Arbeitsfähige sowjetische Kriegsgefangene wurden über die Arbeitsämter
an Einsatzstellen verteilt. Der Status
der sowjetischen Zwangsarbeiter, der
in den so genannten »Ostarbeitererlassen« vom Februar 1942 festgeschrieben
wurde, lag noch unter dem der Polen.
Dementsprechend geringer waren in
der Regel ihre Überlebenschancen.
Die Politik gegenüber den sowjetischen
Zwangsarbeitern gestaltete sich para-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2003
dox: Wegen ihrer Arbeitskraft waren
die Menschen ins Deutsche Reich verschleppt worden, aber ihre Arbeitsleistung konnte bei der katastrophalen
Versorgungslage, der sie ausgesetzt
waren, nicht hoch sein. Deshalb hatten
anfangs viele Betriebe an einem Einsatz sowjetischer Zwangsarbeiter kein
großes Interesse. Nach der deutschen
Niederlage in Stalingrad Anfang 1943
strebte die deutsche Führung fortan die
Steigerung der wirtschaftlichen Produktivität der sowjetischen Zwangsarbeiter an. Unter der Leitung des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels
wurde eine Kampagne zur Leistungssteigerung sowjetischer Arbeiter und
Arbeiterinnen durch bessere Versorgung und mehr Spielraum der Betriebe
bei der Behandlung der Zwangsarbeiter durchgeführt. Gleichzeitig sollte
der angenommenen politischen Gefahr
durch die sowjetischen Arbeiter und
Arbeiterinnen durch die Verschärfung
des Strafsystems entgegengewirkt werden. Mit diesen veränderten Bestimmungen wurden die sowjetischen Arbeitskräfte für die Industrie äußerst
lohnend, und auch die Privatwirtschaft
forderte nun in großer Anzahl sowjetische Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen an. Dass auch die Privatindustrie nicht nur auf Bestimmungen
reagiert hat, sondern aktiv an dem
Zwangsarbeitsprogramm beteiligt war
und außerdem einen großen Kapitalgewinn aus dieser Praxis gezogen hat, ist
inzwischen durch die Forschung belegt.
Bei der letzten größeren Gruppe von
ausländischen Zwangsarbeitern, die
nach Deutschland deportiert wurden,
handelte es sich um italienische Kriegsgefangene. Anfang September 1943
wurde das Mussolini-Regime gestürzt.
Kurze Zeit später gab die neue italienische Regierung unter Marschall Badoglio den Waffenstillstand mit den Alliierten bekannt. Daraufhin besetzten
deutsche Truppen Rom, nahmen italienische Soldaten gefangen und deportierten sie ins Deutsche Reich. Die Italiener wurden vorwiegend für militärische Arbeiten eingesetzt. Neben den
italienischen Soldaten wurden auch
Zivilisten deportiert. Man behandelte
sie in ähnlich unmenschlicher Weise
wie die Sowjetbürger, vor allem aufgrund des »Verrats«, der ihnen vorgeworfen wurde.
Bundesarchiv / 183-H28897
3
In einem Kraftfahrzeug-Instandsetzungswerk
der deutschen Wehrmacht, in dem aus dem
Material unbrauchbarer Kraftwagen
fahrtüchtige Wagen montiert werden, sind
auch zwangsverpflichtete Facharbeiter aus
der Sowjetunion beschäftigt.
Aufnahme vom 19. Januar 1945
Die Haager Landkriegsordnung
(1907)
Mit der Haager Landkriegsordnung
wurden völkerrechtliche Vereinbarungen getroffen, die dazu beitragen
sollten, menschliches Leid im Krieg
einzudämmen. Der Vertrag wurde
auf der zweiten Haager Friedenskonferenz, an der 44 Staaten teilnahmen, geschlossen und regelte die
Behandlung von Kriegsgefangenen
und den Schutz der Zivilbevölkerung
in besetzten Gebieten. Die Bestimmungen besagten u.a., dass Kriegsgefangene mit Menschlichkeit zu
behandeln seien und ihre Verpflegung und Unterkunft jener der eigenen Truppenreserve zu entsprechen
habe. Zum Arbeitseinsatz durften,
soweit der Gesundheitszustand dies
erlaubte, nur einfache Soldaten herangezogen werden, Offiziere jedoch
nicht. Die Arbeitsleistungen der
Kriegsgefangenen durften darüber
hinaus in keinem Zusammenhang
mit Kriegshandlungen stehen.
Die kriegsgefangenen Zwangsarbeiter
unterstanden dem Oberkommando der
Wehrmacht. Den italienischen, sowjetischen und polnischen Kriegsgefangenen verweigerte das nationalsozialistische Deutschland den völkerrechtlichen Schutz gemäß der Genfer
Konvention (1929) bzw. der Haager
Landkriegsordnung (1907) vollkommen. Auch die Überführung in den
Zivilarbeiterstatus, wie er im Fall polnischen und italienischen Kriegsgefangenen erfolgte, widersprach dem Völkerrecht. Den Franzosen wurde der
Schutz der Genfer Konvention nur zum
Teil gewährt, während die Bestimmungen im Umgang mit den britischen
und amerikanischen Kriegsgefangenen
weitgehend eingehalten wurden.
Ab Frühjahr 1944 konnten aufgrund
der Kriegslage ausländische Zivilisten
nur noch in geringem Umfang zur
Zwangsarbeit ins Deutsche Reich
deportiert werden. Gleichzeitig war der
kriegswirtschaftliche Druck so groß,
dass das Rüstungsministerium den
»Einsatz« von KZ-Häftlingen in der
Privatindustrie durchsetzen konnte. Sie
unterstanden der SS und waren zuvor
vorwiegend in SS-eigenen Betrieben
eingesetzt worden. Aufgrund hoher
Verluste in der Rüstungsproduktion
durch die Bombardierungen der Alliierten wurde 1944 auf höchster Ebene
entschieden, einen Teil der Rüstungsfabriken untertage – in Steinbrüche, Bergwerke und Eisenbahntunnel – oder
in Großbunker übertage zu verlagern.
Das Vorhaben verlangte ein enormes
Arbeitskraftpotential, denn neben den
Produktionsstätten mussten auch
Unterkünfte für die Arbeiter errichtet
und Transportwege ausgebaut werden.
Die Privatindustrie, vorwiegend einige
der großen Rüstungsfabriken, arbeitete dabei eng mit der SS und Albert
Speer, dem Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion, zusammen. In dieser Phase stellten Vertreter
der Industrie konkrete Forderungen
auf Zuweisung von KZ-Häftlingen.
Insgesamt waren etwa 1,5 Mio. KZHäftlinge als Zwangsarbeiter eingesetzt, deren Lebens- und Arbeitsbedingungen so schrecklich waren, dass
die Opfer kaum eine Überlebenschance
hatten.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2003
13
Bundesarchiv / 183-N0619-503
Zwangsarbeit
Die Genfer Konventionen
1864 schlossen 16 Staaten eine Vereinbarung zum Schutz von Verwundeten der kriegführenden Heere.
Diese Genfer Konvention wurde
1906 erweitert und 1907 durch die
Haager Abkommen auf den Seekrieg
ausgeweitet. 1929 trat ein Vertrag
zur Behandlung von Kriegsgefangenen hinzu, der im Wesentlichen
auf den Bestimmungen der Haager
Landkriegsordnung basierte, diese
aber noch ausführlicher regelte. Die
Genfer Abkommen von 1929, zu
deren Unterzeichnern auch das Deutsche Reich zählte, galten bis nach dem
Zweiten Weltkrieg. 1949 wurden
die früheren Vereinbarungen durch
die Vier Genfer Abkommen ersetzt
(Schutz der Verwundeten der Streitkräfte im Felde und zur See, der
Kriegsgefangenen und der Zivilbevölkerung). Später wurden Zusatzprotokolle aufgenommen, die das Völkerrecht an die Veränderungen der
Kriegstechnik anpassen und außerdem den Opfern von nicht internationalen bewaffneten Konflikten
Schutz bieten sollten.
Hunger, Kälte, Krankheit
und Diskriminierung:
Die Lebensumstände
der Zwangsarbeiter und
Zwangsarbeiterinnen
Die Bedingungen, unter denen die
Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen inmitten der deutschen Bevölkerung leben mussten, wurden von vielfältigen Aspekten bestimmt. Das Kriterium der Nationalität bzw. der »Volkstumszugehörigkeit« gemäß der nationalsozialistischen Rassenlehre wirkte
sich am stärksten aus. Die Abstufungen waren feiner, als sie hier dargestellt werden können. Allgemein
gefasst kann jedoch gesagt werden,
dass französische, belgische und niederländische Arbeiter in der rassistischen Hierarchie unter den Deutschen, aber über den anderen Gruppen der Zwangsarbeiter angesiedelt
wurden. Die Ernährung der Zwangs-
14
5
Frankreich, April 1943: Ehemalige Kriegsgefangene, die zur Arbeit in der Rüstungsindustrie in
Deutschland verpflichtet wurden, vor der Abfahrt
arbeiter aus diesen Ländern war in
der Regel wesentlich besser als die der
Polen und Sowjetbürger. Einige der
Arbeitskräfte aus Westeuropa konnten
sogar eine private Unterkunft finden
und somit das Leben im Lager umgehen. Ihr Lohn entsprach in der Regel
dem der deutschen Arbeiter, ebenso
verhielt es sich mit der Arbeitszeit.
Allerdings hatten diese Arbeitskräfte
fast keine Möglichkeit, Heimaturlaub
zu erhalten. Sie hatten häufig unter
Diskriminierungen, Schikanen und demütigenden Strafen zu leiden.
jegliche Arbeitsminderleistung hatte
mit Einweisung in ein »Arbeitserziehungslager« bestraft zu werden. Arbeitszeitbegrenzungen gab es kaum.
Bei sexuellem Kontakt eines Polen
mit einer deutschen Frau drohte seine
öffentliche Hinrichtung, die Frau wurde öffentlich gedemütigt; Polen durften
außerdem ihren Ortsbezirk nicht verlassen und keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen. Die optische Stigmatisierung erfolgte durch ein »P«-Abzeichen, das deutlich sichtbar an der Kleidung zu tragen war.
Die polnischen Arbeiter und Arbeiterinnen mussten hingegen in Unterkünften untergebracht sein, die von
denen der Deutschen getrennt waren:
In der Praxis handelte es sich dabei
meist um Ställe. Den Polen wurde
weniger und qualitativ schlechteres
Essen als den Zwangsarbeitern aus
westeuropäischen Ländern zugeteilt.
Viele der polnischen Arbeiter hatten
aber in gewisser Hinsicht dadurch
einen Vorteil, dass sie in der Landwirtschaft eingesetzt waren und dort
leichter Zugang zu zusätzlichen Nahrungsmitteln hatten als beispielsweise
sowjetische Zwangsarbeiter, die vorwiegend in der Industrie arbeiteten
und aus Lagerküchen und Werkskantinen verpflegt wurden. Von ihrem Bruttolohn wurde den Polen eine diskriminierende Sondersteuer abgezogen;
Der Status der Sowjetbürger lag sogar
unter dem, der den Polen zugeschrieben war, und so litt diese Gruppe
der Zwangsarbeiter in der Regel unter
noch extremeren Lebensbedingungen.
Dies drückte sich z.B. in den deutlich
geringeren Verpflegungssätzen aus, die
gerade zum Überleben ausreichen sollten. Die sowjetischen Zwangsarbeiter
litten unter ständigem Hunger. Insbesondere wurde auch Wert darauf
gelegt, die sowjetischen Bürger und
Bürgerinnen noch stärker von den
deutschen Arbeitern abzugrenzen, als
es im Fall der Polen praktiziert wurde.
Sie wurden vorwiegend in fabriknahen Baracken untergebracht, die sie,
außer zur Arbeit, nicht verlassen durften. Auch die sicherheitspolitischen
Bestimmungen waren um einiges rigider: Schon bei geringster »Disziplin-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2003
widrigkeit« hatte die Einweisung in
ein Konzentrationslager oder die »Sonderbehandlung«, d.h. die Hinrichtung
ohne formelles Urteil, zu erfolgen. Zudem war die diskriminierende Sondersteuer höher als die, die den polnischen Arbeitskräften auferlegt wurde.
Aus dem Bericht eines Amtsarztes, der
im August 1942 ein Lager für sowjetische Zwangsarbeiter in Freiburg
im Breisgau inspizierte, geht hervor,
welchen katastrophalen hygienischen
Umständen die Menschen in diesen
Unterkünften ausgesetzt waren:
»Das Russenlager wurde heute von mir
besichtigt. Es beherbergt z. Zt. etwa 160
Männer und Frauen. Es ist erforderlich folgende Einrichtungen mit größter Beschleunigung fertig zu stellen:
1) Waschgelegenheiten, da die vorhandene Möglichkeit ganz ungenügend ist
und die meisten Leute sich überhaupt
nicht waschen können, es sei denn im
vorbeifließenden Kanal. 2) Abortanlagen. Da nur 2 oder 3 Aborte vorhanden
sind, findet notgedrungen jede Nacht
eine unbeschreibliche Verunreinigung
der Umgebung und sogar des Hauses
selbst statt, die zu den größten gesundheitlichen Bedenken Anlass gibt. […]
Es ist, wenn eine Wiederverlausung der
Leute und die unerträgliche Ausbreitung der jetzt schon zahlreich vorhandenen Flöhe vermieden werden soll,
auch nötig, dass jeder Mann und jede
Frau zwei Garnituren Wäsche besitzt.
Die meisten Leute besitzen nur ein
Hemd, das meist noch zerrissen ist und
konnte[n] sich bisher nie umziehen.«
Dieser Bericht wurde aufgrund der Seuchengefahr verfasst, von der auch Deutsche bedroht waren, nicht etwa aus
Gründen der Menschlichkeit. Angesichts dieser Umstände verwundert es
nicht, dass die vorwiegend jungen und
gesunden Menschen aus der Sowjetunion bereits nach einer kurzen Aufenthaltsdauer in Deutschland erkrankten. Sie litten vor allem an Tuberkulose, Flecktyphus und Hungerödemen. Arbeitsunfähige wurden bald in
ihre Heimat zurücktransportiert, wenn
sie nicht vorher starben. Den sowjetischen Zwangsarbeitern blieb von
ihrem Arbeitslohn nach Abzug der
so genannten »Ostarbeiterabgabe« und
Abzügen für Verpflegung und Unterkunft kaum etwas. Die Frauen, die
etwas mehr als die Hälfte der sowjetischen Zivilarbeiter stellten, erhielten bei gleichen Leistungsanforderungen eine noch schlechtere Bezahlung
als die Männer.
Die Lebensverhältnisse der Zwangsarbeiter hingen jedoch nicht ausschließlich von den Bestimmungen der Behörden ab. Wenn ein Zwangsarbeiter
einem Bauernhof zugeteilt wurde, so
kam es auf die Familie an, ob sie den
Arbeiter hungern ließ und misshandelte oder menschlich mit ihm umging.
In Fabriken bestimmte beispielsweise
auch das Verhalten des Vorarbeiters
den Leidensdruck des Zwangsarbeiters mit. Er konnte den Arbeiter zusätzlich schikanieren, bestrafen und misshandeln, oder aber ihn weitgehend in
Ruhe lassen. Frauen waren sexuellen
Übergriffen schutzlos ausgeliefert. Im
Verhalten des Großteils der deutschen
Bevölkerung, die mit Zwangsarbeitern
zu tun hatte, zeigte sich – von Ausnahmen abgesehen –, dass die nationalsozialistische Führung sich durchaus auf
den bestehenden Rassismus im Volk
verlassen konnte.
Die zur Zwangsarbeit eingesetzten KZHäftlinge hatten kaum eine Überlebenschance. Zugleich bedeutete die
Zwangsarbeit für sie fast die einzige
Möglichkeit, den Vernichtungsprogrammen zu entgehen. Zu der täglichen Arbeitszeit von 15-16 Stunden
kamen die langen Anmarschwege, die
katastrophale Versorgungslage und
körperliche Misshandlungen durch die
SS, Wachmannschaften und Zivilarbeiter. Die KZ-Häftlinge waren in ungeheizten Baracken, Zelten oder Erdlöchern untergebracht. Waren sie im Baubereich eingesetzt, so konnten sie nur
einige Wochen überleben. Die Lebenserwartung der Häftlinge in der Produktion war etwas höher, da ihrer
Arbeitskraft durch die Anlernzeit ein
höherer Wert beigemessen wurde. Insgesamt aber kalkulierte man ihren Tod
ein: Er blieb das Ziel der SS. Der
Vernichtungsprozess der Häftlinge auf
den Großbaustellen im Deutschen
Reich lief vor den Augen der einheimischen Bevölkerung ab. Einer der wenigen Überlebenden, Ladislaus ErvinDeutsch, wurde 1944 aus Klausenburg,
damals Ungarn, zunächst nach Auschwitz, und von dort aus zur Zwangsar-
beit in das Dachauer Außenlager Kaufering deportiert. Er erinnert sich an
die Ankunft in Kaufering:
»Hinter dem Bahnhof erwachte gerade
ein friedliches, kleines Städtchen. […]
Vielleicht hatte die Bevölkerung von
Kaufering noch nicht einmal die zur
Zwangsarbeit Verschleppten gesehen.
Als wir vorbeizogen, nahmen sie die
zum Lüften hinausgehängten Betten
wieder rein und schlossen die Fenster.
In den Straßen drückten sich die Menschen an die Häuserwände. Wir waren
Ausgestoßene aus der zivilen Welt.«
n Verena Krüger
Literatur:
Ulrich Herbert, Fremdarbeiter. Politik und
Praxis des »Ausländer-Einsatzes« in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Bonn 1999
Mark Spoerer, Zwangsarbeit unter dem
Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich
und im besetzten Europa 1939–1945,
Stuttgart/München 2001
Aus den Erinnerungen einer
Ukrainerin, die als Jugendliche ins
Deutsche Reich zur Zwangsarbeit
verschleppt wurde:
»Ich hatte mein 15. Lebensjahr noch
nicht vollendet. Man brachte mich
1942 nach Deutschland, in die härteste Fabrik. Die Arbeit war schrecklich […] man goss den Zement, einen
speziellen Zement, wenn er tropfte,
bildeten sich in der Kleidung sofort
Löcher. In der Nähe der Fabrik waren
die Baracken, wo wir schliefen, […]
wir bekamen nicht einmal Strohsäcke
[…]. Als man uns in Viehwaggons
nach Deutschland brachte, kamen
die Deutschen, die uns anschauten
als seien wir Wilde. […] Zu essen gab
man uns Steckrüben und verschiedene
Rübenabfälle, von solchen Rüben, die
für Tiere angebaut werden.«
Das Zitat ist entnommen aus:
G.G. Verbickij, Ostarbajtery. Istorija rossijan
nasil’stvenno vyvezennych na raboty v Germaniju (vtoraja mirovaja vojna). Dokumenty
i vospominanija. / G.G. Werbizky, Ostarbeiters. Russian Forced Laborers in Nazi Germany (World War II). Documents and Life
Stories, Vestal, N.Y., 2000, S. 16 f.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2003
15
Kampf um Gold
Kampf um Gold
Spitzensportförderung
in der Nationalen Volksarmee und in der Bundeswehr
Die Konkurrenzsituation zwischen der
Bundeswehr und der Nationalen Volksarmee im Bereich der Spitzensportförderung ist nur vor dem Hintergrund
der allgemeinen sportpolitischen Entwicklung der beiden deutschen Staaten in der Zeit des Kalten Krieges zu
16
Bundesarchiv
Z
u keinem Zeitpunkt während
der deutschen Teilung standen
sich die Bundeswehr und die
Nationale Volksarmee in einer Gefechtssituation gegenüber. Doch einzelne Soldaten kämpften immer wieder
auf Aschenbahnen, Ruderstrecken und
eisigen Bobbahnen gegeneinander. Bei
den Olympischen Sommerspielen in
Tokio 1964 konnten die beiden deutschen Armeen jeweils den ersten Olympiasieger in ihren Reihen feiern. Luftwaffenfähnrich Willi Kuhweide hatte
dort Olympisches Gold ersegelt, während unweit von ihm der Kanute Feldwebel Jürgen Escher als erster Soldat
der DDR auf das oberste Podest des
Siegertreppchens gepaddelt war. Ihnen
sollten viele weitere folgen. So teilten
sich bei den Olympischen Spielen
in München im Sommer 1972 zwei
Armeesportler das Gold im Gehen
»brüderlich«. Hauptmann Peter Frenkel holte Gold über 20 km für die
DDR; Oberfeldwebel Werner Kannenberg erhielt für seine Leistungen über
die 50 km Strecke Olympisches Gold
für die Bundesrepublik. Aufs eindringlichste dürfte jedoch das Rodelfinale
zwischen dem Obergefreiten Georg
Hackl und Hauptmann Jens Müller
vom Armeesportclub Oberhof 1988 in
Calgary in Erinnerung geblieben sein.
Dort wurde auf dem Siegertreppchen
auch deutlich, welcher deutsche Staat
sich über rund vierzig Jahre im Spitzensport gegen den Systemkonkurrenten jenseits der Mauer hatte durchsetzen können. Am mittleren Flaggenmast wurden Hammer und Zirkel gehisst, während sich die Bundesrepublik erneut mit Platz zwei zufrieden
geben musste.
5
Olympische Winterspiele 1988: Siegerehrung auf dem Olympic Plaza im Zentrum von
Calgary. In der Herren-Einsitzerkonkurrenz des Rennschlittenwettbewerbes verwies der
NVA-Soldat Jens Müller den Bundeswehrsoldaten Georg Hackl auf den zweiten Platz.
Dritter wurde Juri Chartschenko aus der UdSSR.
erklären. Bereits in den 1950er Jahren
hatte die DDR ein zwar noch grobmaschiges, aber mit der Zeit immer
effizienter arbeitendes Fördersystem
für den Spitzensport entworfen, das
durch Zentralisierung, Konzentration,
Verstaatlichung und frühe Talentförderung gekennzeichnet war. Dahinter
stand das politische Kalkül der Parteiführung, dem noch jungen zweiten
deutschen Staat durch sportliche Siege
zu außenpolitischem Ansehen zu verhelfen. Damit hoffte die SED den
bundesrepublikanischen Alleinvertretungsanspruch, seit 1955 in der Hallstein-Doktrin zementiert, im sportlichen Bereich systematisch zu unterlaufen. Die bundesdeutsche Sportführung
versuchte das sportliche Streben der
DDR nach Anerkennung zunächst auf
sportpolitischem Weg zu verhindern.
Deshalb setzte sie immer wieder im
engen Schulterschluss mit der Bundesregierung vor dem Internationalen
Olympischen Komitee die künstliche
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2003
Verklammerung beider deutscher Staaten in einer gesamtdeutschen Olympiamannschaft durch.
Mitte der 1960er Jahre begann diese
Strategie jedoch zu bröckeln. Denn erstens wurde die DDR 1965 in der Olympischen Bewegung vollständig anerkannt, und zweitens forderte – seit
dem schlechten Abschneiden der westdeutschen Athleten in Tokio 1964 –
auch die westdeutsche Öffentlichkeit
mehr sportliche Siege zur Steigerung
des nationalen Prestiges; eine Einstellung, die sich besonders nach der Vergabe der Olympischen Spiele an die
Stadt München im Jahr 1966 verfestigte. Die politisch aufgeladene Medailleneuphorie in beiden deutschen Staaten spiegelte sich auch in der Spitzensportförderung ihrer Armeen wieder.
Beide wurden ihrer Verantwortung im
sportlichen Wettkampf der Systeme
mit dem Aufbau einer eigenen Spitzensportförderung gerecht.
dpa
dpa/epu
5
11. September 1960, Rom: Abschlussfeier der XVII. Olympischen Sommerspiele. Die zweifache
Goldmedaillengewinnerin im Kunst- und Turmspringen Ingrid Krämer (DDR) trägt die mit den
Olympischen Ringen versehene schwarz-rot-goldene Fahne der gesamtdeutschen Mannschaft.
5
10. Oktober 1964, Tokio: XVIII. Olympische Sommerspiele. Einmarsch der gesamtdeutschen
Olympiamannschaft in das Olympiastadion
Unter Druck von außen:
Spitzensport in der
Bundeswehr
Gesamtdeutsche
Olympiamannschaft:
Mit ihrer Gründung 1955 stellte sich
die Bundeswehr in die Tradition des
prinzipiell engen Verhältnisses zwischen Sport und Militär in Deutschland. Dabei lag der Schwerpunkt ihrer
Tätigkeit zunächst ausdrücklich auf
dem Breitensport, der die militärische
Ausbildung spielerisch ergänzte. Doch
bereits mit dem Inkrafttreten der Allgemeinen Wehrpflicht im Jahr 1957
sah sich die Bundeswehr mit einem
naheliegenden Problem konfrontiert,
da sich unter den eingezogenen Rekruten bald auch erste Leistungssportler
befanden. Deren Förderung während
ihres Militärdienstes beschränkte sich
jedoch bis Ende der 1960er Jahre
lediglich auf die Delegierung an Standorte mit günstigen Trainingsmöglichkeiten und die Freistellung zum täglichen Training ab 15.00 Uhr. Außerdem ermöglichten Dienstbefreiung und
Sonderurlaub den sportlichen Soldaten die Teilnahme an Wettkämpfen,
auch wenn diese im kommunistischen
Machtbereich stattfanden. Auf diese Art
und Weise sollte verhindert werden,
dass die jungen Athleten durch ihren
Wehrdienst in einen unaufholbaren
Trainingsrückstand zur Weltelite gerieten.
Zu Beginn der 1960er Jahre wuchs
jedoch der öffentliche Druck auf die
Bundeswehr, nachdem bekannt wurde,
dass neben den USA auch einige europäische Staaten dazu übergingen, die
Ressourcen ihrer Armeen zur gezielten
Ausbildung von Spitzensportlern zu
nutzen. Außerdem war bekannt, wie
hoch der kommunistische Konkurrent
für die Medaillen in den Armeesport
investierte. Der Sportreferent der Bundeswehr, Oberstleutnant i.G. Dr. Hugo
Bach, meldete gegenüber diesen Forderungen jedoch prompt »erhebliche
sachliche und moralische Bedenken«
an. So machte er geltend, dass es der
Auftrag der Bundeswehr sei, Soldaten
auf ihre Verteidigungsaufgaben vorzubereiten, nicht jedoch eine kleine
Gruppe von Spitzensportlern zu trainieren. Außerdem verstoße die Einrichtung von so genannten »Sportbataillonen« gegen den Olympischen Amateurstatus und eine zu starke Leistungsorientierung laufe dem in der Bundeswehr gepflegten kameradschaftlichen
Sport zuwider. So sehr Bach im Recht
war, so schnell wurden seine Auffassungen von der allgemeinen sportpolitischen Entwicklung dennoch eingeholt.
Im Zusammenhang mit der Pleite von
Tokio 1964 und der »sportlichen Mobilmachung« vor München seit 1966 forderte der Deutsche Bundestag im Jahr
Erstmalig traten west- und ostdeutsche
Athleten 1956 in Melbourne und Cortina d’Ampezzo mit in einer gemeinsamen Olympiamannschaft an. Sie war von
dem damaligen Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC),
dem Amerikaner Avery Brundage, ins
Leben gerufen worden. Dieser wollte mit
ihr das Unpolitische und Verbindende
der Olympischen Bewegung symbolisieren. Tatsächlich wich das IOC durch
diese Kompromisslösung jedoch auch der
unpopulären Entscheidung aus, die DDR
als vollständiges Mitglied ihrer Gemeinschaft anzuerkennen. Seit 1959 wurde für
die gesamtdeutsche Olympiamannschaft
eine eigene künstliche Flagge gehisst.
Sie zeigte die fünf weißen Olympischen
Ringe vor schwarz-rot-goldenem Hintergrund. Als Hymne diente Beethovens
»Ode an die Freude«. Obwohl die DDR
1965 als vollständiges Mitglied der Olympischen Bewegung anerkannt wurde, trat
sie 1968 in Mexiko und Grenoble noch
einmal mit Olympiaflagge und -hymne
auf. Erst in Mexiko fiel dann die Entscheidung des IOC, der DDR in Zukunft auch
ihr volles staatliches Protokoll zuzugestehen. Diesen neu gewonnenen Trumpf
ihrer staatlichen Selbstdarstellung spielte
die DDR 1972 erstmalig in Sapporo aus
und auch zu den Olympischen Spielen
in München im gleichen Jahr brachte sie
»Hammer und Zirkel« und »Auferstanden aus Ruinen« mit.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2003
17
SKA/IMZ / Foto: Matthias Zins
Kampf um Gold
Die Hallstein-Doktrin:
Die Hallstein-Doktrin, benannt nach
dem Staatssekretär im Auswärtigen
Amt Walter Hallstein, war ein diplomatischer Hebel, mit dem die DDR
isoliert und der Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik gefestigt werden sollte. Sie unterstrich,
dass die Bundesregierung weiterhin
jede Anerkennung der DDR durch
einen dritten Staat als »unfreundlichen Akt« betrachten und gegebenenfalls die diplomatischen Beziehungen zu dem anerkennenden
Staat abbrechen würde. Eine Bekräftigung dieser Position schien
angezeigt, nachdem Bundeskanzler
Konrad Adenauer im Rahmen seines
Besuches in Moskau im September
1955 die Aufnahme diplomatischer
Beziehungen zur Sowjetunion vereinbart hatte. Damit war die Bundesrepublik von dem bisherigen
Grundsatz abgewichen, keine diplomatischen Beziehungen zu Staaten
zu pflegen, die die DDR anerkannten. Nach Ansicht Bonns vertiefte
eine solche Anerkennung nicht nur
die Spaltung Deutschlands, sondern
sie lief auch dem Grundsatz zuwider, dass allein die demokratisch
gewählte Bundesregierung befugt
sei »für das deutsche Volk zu sprechen«. Wenn Bonn dennoch einem
Botschafteraustausch mit Moskau
zustimmte, so konnte dies zwar mit
Hinweis auf den Status der Sowjetunion als Besatzungsmacht zur Ausnahme erklärt werden. Das Auswärtige Amt fürchtete jedoch, dass
vor allem Entwicklungsländer nun
an der Prinzipienfestigkeit der Bundesregierung zweifeln und versucht
sein könnten, die DDR anzuerkennen. Die Hallstein-Doktrin diente
dazu, eine solche Anerkennungswelle zu verhindern. Sie erfüllte
auch zunächst ihren Zweck, erwies
sich aber angesichts der zunehmenden Entspannungsbemühungen in
den 1960er Jahren als außenpolitischer Bumerang, der die diplomatische Bewegungsfreiheit der Bundesrepublik zusehends einengte.
18
1968 die Bundeswehr auf, zur Förderung von Spitzenathleten Fördergruppen einzurichten, die möglichst eng
an die Leistungszentren des Deutschen
Sportbundes (DSB) angelehnt sein sollten. Daraufhin richtete die Bundeswehr zwei Lehrkompanien ein, eine
am Standort der Sportschule in Sonthofen und eine an der Außenstelle
der Sportschule in Warendorf. Jede
der Kompanien umfasste 200 Förderplätze. Zusätzlich bauten Heer, Luftwaffe und Marine bei Truppenverbänden und Dienststellen Sportfördergruppen auf, die weitere 230 Förderplätze
zur Verfügung stellten. In diese Einheiten wurden seit dem 1. April 1970
wehrpflichtige Sportler nach Abschluss
ihrer Grundausbildung versetzt. Dort
nahmen das sportliche Training 70 %,
der militärische Lehrstoff nur 30 %
des Dienstes ein. Die Bundeswehr bot
zwar nur in Ausnahmefällen Übungsund Sportstätten, garantierte jedoch
jedem Spitzensportler einen Verpflegungszuschuss. Die eigentliche sportliche Hoheit über die dienenden Leistungsträger lag jedoch bei den Fachverbänden. Ihre Bundestrainer trugen die
Verantwortung für die individuellen
Trainingspläne der Athleten, in ihren
Leistungszentren sollte das dienstliche
Training durchgeführt werden. Zudem
beantragten sie die Versetzung eines
wehrpflichtigen Sportlers in die Lehrkompanien oder Fördergruppen.
Parallel zum Aufbau dieser neuen
Sportförderstrukturen änderte sich
auch die öffentliche Haltung der Bun-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2003
5
Bundespräsident Prof. Dr. Karl Carstens verleiht
das Silberne Lorbeerblatt an verdiente Sportler, u.a. an sieben Soldaten der Bundeswehr
deswehr zum Spitzensport. Entgegen
vorheriger Bedenken wurde nun die
Signalwirkung des Spitzensports auf
den Breitensport betont. So erklärte die
»Truppenpraxis« im Jahr 1969, dass
auch Sportidole in Uniform jugendliche
Nacheiferer fänden und so ihren Beitrag zur Gesunderhaltung der Bevölkerung leisteten. Nun unterstrich man
die durch die Konkurrenzsituation
des Kalten Krieges gewandelte gesellschaftliche Bedeutung des Sports und
verpflichtete sich zum verantwortungsvollen Umgang mit sportlichen Talenten. Aber die Bundeswehr argumentierte nicht nur aus reiner Selbstlosigkeit, denn schließlich gehörte jeder
Soldat auf dem obersten Treppchen zur
eigenen Imagepflege dazu; getreu dem
Werbeslogan der 1970er Jahre: »Solche
Männer hat die Bundeswehr«. Intern
wurde zwar von Zeit zu Zeit der Verteilungsschlüssel 30 % zu 70 % auf
den Prüfstand gehoben und kritische
Stimmen formulierten immer wieder
Vorurteile gegen den Leistungssport
per se. Doch bereits nach zwei Jahren,
pünktlich zu den Olympischen Spielen
in München 1972, zeigte sich, dass das
neue Förderkonzept von den Sportlern angenommen wurde, denn von
insgesamt 430 Förderplätzen waren zu
diesem Zeitpunkt 390 belegt. Auch die
Tatsache, dass Bundeswehrangehörige
bei den internationalen Militärsportveranstaltungen des Conseil Internati-
Bundesarchiv Bild 183-L0831-226 / Foto: Schlage
5
XX. Olympische Sommerspiele München,
20-km Gehen: Peter Frenkel (DDR) überquert
den Zielstrich im Olympiastadion
onal du Sport Militaire (CISM) immer
mehr Medaillen errangen, und die ständig steigende Zahl Bundeswehrangehöriger als Teilnehmer bei den Olympischen Spielen bestätigten den Erfolg der
gezielten militärischen Spitzensportförderung.
Erfolgreiche Kindergärtner:
Spitzensport in der NVA
Die Entwicklung der Spitzensportförderung der Nationalen Volksarmee
unterschied sich wesentlich von derjenigen der Bundeswehr. In der DDR
bestand zum Zeitpunkt der Gründung
der Armeesportvereinigung Vorwärts
(ASV) am 1. Oktober 1956 bereits ein
staatlich initiiertes und reglementiertes
Leistungssportfördersystem. In dieses
hatte sich bereits die Vorgängerorganisation der ASV strukturell eingepasst und auch sie selbst unterwarf
sich nun den Vorgaben, die von Seiten
der Partei und der Führung des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB)
gemacht wurden. Dazu gehörte zum
einen die Konzentration ihrer talentiertesten Sportler in so genannten
Armeesportclubs (ASK). Diese waren
seit 1954 neben den zivilen Sportclubs
die Kernzellen des DDR-Leistungssports. Für die Sportler der Sportclubs
hatte das Politbüro ausdrücklich festgelegt, dass ihre Haupttätigkeit im sport-
5
In der DDR waren Sport und Politik untrennbar miteinander verbunden. Die Monatszeitschrift
»Armeesportler« der NVA-Sportvereinigung propagierte nicht nur die sportlichen Erfolge der
ASV-Athleten, sondern warb zugleich für die politischen Absichten der SED und ihrer Armee.
lichen Training zu bestehen habe. Die
Armeesportclubs bestanden zunächst
in Berlin, Leipzig, Rostock und Oberhof. In den 1970er Jahren kamen in
Frankfurt/Oder jeweils ein ASK und
ein FC Vorwärts dazu. Doch nicht nur
dort wurde das Gold für die NVA
geschmiedet. Der auffälligste Unterschied zur Bundeswehr bestand in der
Nachwuchsarbeit der NVA, welche die
zweite Säule der armeeinternen Leistungssportförderung bildete.
Die Schlüsselfunktion des Nachwuchsleistungssports betonte SED-Parteichef
Walter Ulbricht, der die Entstehung des
DDR-Leistungssportsystems nicht nur
aufs engste begleitete, sondern auch
mitformte, bereits in Reden aus den
frühen 1950er Jahren. Somit erstaunt
auch nicht die Äußerung von Verteidigungsminister Generaloberst Willi
Stoph, der bereits im Februar 1956 die
NVA darauf einschwor: »Den Sportnachwuchs, den wir brauchen, müssen
wir uns selbst entwickeln und heranbilden.« Unmittelbar nach der Gründung
der ASV folgten circa 1000 Jungen und
Mädchen diesem Ruf, bis zum Fall der
Mauer sollten es 33 000 werden. Doch
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2003
19
Kampf um Gold
5
Olympische Sommerspiele in München, am
31. August 1972:
Siegerehrung für die Medaillengewinner im
20-km-Gehen. Bildmitte Goldmedaillengewinner Peter Frenkel, rechts Hans-Georg Reimann
(Bronzemedaille/beide DDR), links Wladimir
Golubnitschi (UdSSR/Silbermedaille)
Bundesarchiv Bild 183-L0901-200 / Foto: Schulze
gerade zu Beginn meldeten sich noch
kritische Stimmen, die – vergleichbar
mit der Diskussion, die rund zehn Jahre
später in der Bundesrepublik geführt
wurde – auf den Konflikt zwischen
Verteidigungsauftrag und sportlicher
Kaderschmiede hinwiesen. Trotzdem
wurde gemäß der Parteilinie auf der
1. Sportkonferenz der ASV im Juni 1958
angestrebt, in Zukunft in jedem Standort Kinder- und Jugendabteilungen
zu bilden, außerdem wurden Patenschaften über Schulsportgemeinschaften übernommen.
Für die größten Talente unter den
Kindern und Jugendlichen wurden
in den Sportclubs A- und B-Jugendmannschaften jeder betriebenen Sportart gebildet. Diese Auslese lief jedoch
nur schleppend an. 1960 trainierten erst
20
2000 Kinder und Jugendliche in den
Armeesportklubs. Aus diesen Anfangsschwierigkeiten, der Umstrukturierung
des westdeutschen Leistungssports seit
Mitte der 1960er Jahre und dem besonderen Stellenwert der Olympischen
Spiele 1972 für die DDR-Sportführung,
resultierte Mitte der 1960er Jahre auch
ein starker Veränderungsdruck auf die
Talentförderung in den Reihen der
NVA. So wurde die Armeesportvereinigung im Jahr 1964 durch den Deutschen Turn- und Sport-Bund (DTSB)
aufgefordert, für ihren Nachwuchs ein
zusätzliches Stützpunktsystem aufzubauen, aus dem die späteren Trainingszentren (TZ) hervorgingen. Diese
TZ bildeten schließlich in den 1970er
Jahren die Basis des dreigliedrigen Fördersystems, das den DDR-Sport zum
Weltruhm bringen sollte.
Der unterschiedliche Stellenwert des
Spitzensports in der NVA im Vergleich
zur Bundeswehr erklärt sich unter
anderem aus der unterschiedlichen
gesellschaftlichen Stellung des Spitzensportlers in beiden deutschen Staaten.
Denn da die Stellung des Leistungssportlers im Sozialismus dank ideolo-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2003
gischer Mystifizierung höher war als
in der Bundesrepublik, verfiel die NVA
noch schneller der Versuchung zur
Geburtsstätte von Helden zu werden.
Deutlich wird dieses Selbstverständnis
an dem Loblied, das Oberst Wolfgang
Sachse seiner ASV zum 25. Geburtstag
schrieb:
»Im Klassenkampf (…) seinen Mann
zu stehen, sich als Patriot der sozialistischen Heimat zu bewähren, Kämpfertum, Risikobereitschaft, und einen
unbändigen Siegeswillen auszustrahlen – das ist es, was die Popularität
unserer Leistungssportler ausmacht
(…).«
Daher integrierte die NVA ihre Sportler generell viel stärker in die eigene
Imagepflege. Dazu gehörte beispielsweise die Teilnahme der rot-gelben Trikotträger bei den Massenübungen des
Leipziger Sportfestes seit 1956. Aber
auch die ersten weiblichen Medaillengewinnerinnen der ASV sollten helfen,
der grauen Truppe ein menschliches
Antlitz zu geben. Für die Geburt
von Helden – neben ihrem unbestrittenen breitensportlichen Engagement
5
Den Arbeitern und Bauern zum Dank: die
Armeesportvereinigung (ASV) »Vorwärts« bei
den Massenübungen des Leipziger Turn- und
Sportfestes im Leipziger Zentralstadion im Juli
1977 unter der Losung »Stärkt unsere DDR«.
Bundesarchiv Bild 183-S0730-104 / Foto: Koard
– wurde die Armeesportvereinigung
Vorwärts pünktlich zur bereits genannten Jubiläumsfeier belohnt: Sie erhielt
1981 den Vaterländischen Verdienstorden in Gold.
Statt Krieg – Zusammenfassung
Zum Zeitpunkt der Gründung der
NVA und ihrer Armeesportvereinigung Vorwärts im Jahr 1956 bestand
in der DDR bereits der außenpolitisch
motivierte »Staatsauftrag Olympisches
Gold«. Dieser Vorgabe kam die Armeesportvereinigung von Beginn an
durch die gezielte Förderung, aber
auch die frühe Sichtung von Leistungssportlern in ihren Sportgruppen nach.
Im Gegensatz dazu kam die Bundeswehr in ihren Anfangsjahren jungen
Leistungssportlern zwar durch Freistellungen entgegen, definierte aber für
sich keinen expliziten Förderauftrag.
Erst die wachsende sportliche Stärke
der DDR, die Verve, mit der ostdeutsche Sportfunktionäre und Politiker
sportliche Wettkämpfe zum Kampf der
Systeme stilisierten, und die Annahme
dieser Herausforderung durch die
westdeutsche Bevölkerung führten zu
einem langsamen Umdenken. Dieser
Prozess wurde maßgeblich durch den
Zielpunkt der Olympischen Spiele 1972
in München bestimmt, an dem sich
die NVA gleichermaßen orientierte. So
erklärt es sich auch, dass es in beiden
Armeen gleichzeitig zu Strukturveränderungen in der Sportförderung seit
Mitte der 1960er Jahre kam.
Die entscheidenden Weichen für die
Spitzensportförderung in den Reihen
von NVA und Bundeswehr wurden
vor 1972 gestellt; beide Armeen perfektionierten ihr Fördersystem zwar
im Laufe der Jahre, doch die Grundbestandteile Sportclubs und Trainingszentren auf der einen, Sportlehrkompanien und Sportgruppen auf der anderen Seite der Mauer blieben bis in die
späten 1980er Jahre bestehen. Mit der
Auflösung der DDR kam auch das
Ende der Armeesportvereinigung Vorwärts, ihr kostspieliges Spitzensportfördersystem war für die Bundeswehr
nicht finanzierbar. Dennoch veränderte
das Jahr 1990 auch die Sportförderung
in der Bundeswehr, indem man es zu
Neustrukturierung und Konzentration
nutzte.
Was von der Armeesportvereinigung
Vorwärts blieb, sind ihre unvergesslichen sportlichen Erfolge und einige
Talente, die in den 1990er Jahren in
der Bundeswehr ein neues sportliches
Zuhause fanden. Dazu gehörten die
Biathleten Stabsunteroffizier Frank
Luck (Gold und Silber in Lillehammer
1994), Stabsunteroffizier Sven Fischer
(Gold und Bronze in Lillehammer 1994)
und Mark Kirchner (als Unteroffizier
Gold in Albertville 1992 und als Stabsunteroffizier ebenfalls Gold in Lillehammer 1994). Auch Oberfeldwebel
Wolfgang Hoppe erfuhr in einem
Bundeswehrbob noch einmal olympisches Silber in Albertville und für
den Schwimmer Stabsunteroffizier Jörg
Hoffmann reichte es 1992 in Barcelona
noch einmal für Bronze.
n Uta Andrea Balbier
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2003
21
Service
Das historische Stichwort
»Jetzt hört alle
Jurisprudenz auf,
... jetzt regiert
Mars die Stunde!«
Vor 90 Jahren: Die Affäre von Zabern
I
©Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG
m Frankfurter Frieden vom 10. Mai
1871, der den Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 formell
beendete, hatte der preußische Ministerpräsident und Reichskanzler Otto
von Bismarck, auch unter dem Druck
der Militärführung, auf der Abtretung
des seit dem Ende des 17. Jahrhunderts
von Frankreich annektierten alten deutschen Kulturlandes Elsass und Teilen
Lothringens einschließlich der Festung
Metz bestanden. Von deutscher Seite
wurden die neu hinzugekommenen
Landesteile in erster Linie als militärisches Bollwerk gegenüber eventuellen
französischen Revanchebestrebungen
gesehen und dementsprechend mit
22
einer unübersehbaren Militärmacht
überzogen. In der Münsterstadt Straßburg war nun das Generalkommando
des XV. Armeekorps stationiert. In der
alten Reichsstadt Metz stand das XVI.
Armeekorps. Beide Festungen wurden
darüber hinaus zusätzlich verstärkt
und in Mutzig westlich von Straßburg
wurde mit der Feste »Kaiser Wilhelm«
eine moderne, der Waffenentwicklung
der Artillerie entsprechende Großfestung geschaffen.
Den als »verwelscht« (umgangssprachlich für »fremdländisch«; im wilhelminischen Kaiserreich wurde das Wort
abwertend für die romanischen Völker,
vorwiegend Franzosen und
Italiener, benutzt) geltenden
Einwohnern der neu hinzugekommenen Gebiete wurde mit
vornehmlich preußischen Regimentern und einer aus zumeist
preußischen Beamten bestehenden Zivilverwaltung eine sich
zu den in zwei Jahrhunderten
herausgebildeten Mentalitäten
entgegengesetzt verhaltende
Führungsschicht aufgezwungen. Diese sollte den häufig als
»Wackes« beschimpften Elsässern ›den Franzosen austreiben‹. Ein vom Kaiser persönlich
eingesetzter Statthalter wachte
über die politische Sicherheit
dieser im Reichsinneren immer
als Grenz-, wenn nicht gar als
Feindesland empfundenen Region, für die beispielsweise
die Passpflicht erst in späteren
Jahren abgeschafft wurde. Die
bestehenden Spannungen soll-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2003
5
Oktober 1913, Schloßpark zu Donaueschingen:
General v. Deimling und Graf Wedel im Gespräch
Bildarchiv Preussischer Kulturbesitz / Foto: H. Hoffmann
ten sich im Jahre 1913 schließlich in
einer die Welt aufhorchen lassenden
Eruption entladen und dem Deutschen
Reich einen Scherbenhaufen militärischer und politischer Fehlentscheidungen hinterlassen.
Die vom 28. Oktober 1913 ausgehende
»Zaberner Affäre« entzündete sich vordergründig an einer Kasernenhofblüte,
wie sie nicht nur für die Armee der
Kaiserzeit typisch war. Während einer
Instruktionsstunde über das Verhalten
im Umgang mit Einheimischen äußerte
der junge Leutnant Günther Freiherr
von Forstner (1893–1915) aus der 5.
Kompanie des Infanterieregiments 99:
»Wenn ihr dabei einen solchen Wackes
[= herabsetzende, laut Regimentsbefehl
verbotene Bezeichnung für einen Elsässer] über den Haufen stecht, schadet
das auch nichts.« Mit dieser die Elsässer verletzenden Bemerkung setzte er
einen Mechanismus in Gang, dessen
Weiterungen zuletzt den Reichstag und
die Weltöffentlichkeit in äußerste Rage
brachten. Denn elsässische Soldaten
gaben der örtlichen Zeitung den Hinweis, dass Forstner für hartes Vorgehen
gegen die einheimische Bevölkerung
eine Belohnung von 10 Mark angeboten hatte; der begleitende Sergeant
hatte diese zusätzlich noch um weitere
drei Mark erhöht.
Am 6. November wurde die Öffentlichkeit durch die Presse in verhaltener Form über den Vorfall informiert.
Die sich hieran entzündende Unruhe
in der Bevölkerung artikulierte sich
zuerst nur in Gespött und Hänseleien
gegenüber Forstner, so dass diesem
zum Schutz bei seinen Spaziergängen
und Einkäufen in der Stadt eine Wache
unter Gewehr beigegeben wurde. Die
aus dem unvermindert provokanten
Auftreten des Leutnants resultierende
Erregung in der Bevölkerung geriet
mehr und mehr außer Kontrolle der
zivilen Ordnungsmacht, so dass sich
der Regimentskommandeur, Oberst
Friedrich Ernst von Reuter, allen gesetzlichen Vorgaben zum Trotz, zum
bewaffneten Eingreifen berechtigt
glaubte und sich in der Folge mehrfacher Kompetenzüberschreitungen
schuldig machte. Zu tumultartigen
Szenen kam es am 28. November, als
Reuter in höchster Erregung etwa zwei
Dutzend Bürger, darunter auch höhere
Justizbeamte, verhaften ließ, die sich
– seiner Meinung nach – auffällig verhalten und seinen auf den Vorschriften für das Einschreiten des Militärs
basierenden Anordnungen angeblich
widersetzt hatten. Bestärkt in seinem
Handeln wurde Reuter noch vom
Kommandierenden General des XV. Armeekorps, Berthold von Deimling, wie
auch vom Kronprinzen des Deutschen
Reiches und von Preußen, Wilhelm,
der mittels impulsiver Telegramme an
die Beteiligten die Stimmung weiter
anheizte. Mehrere Tage herrschte in
Zabern (frz.: Saverne) der Ausnahmezustand, das Militär dominierte über
die Zivilgewalt.
Ein ungeheurer Proteststurm erhob
sich allenthalben und erreichte am
3. Dezember den Reichstag, wo sich
Reichskanzler Theobald von Bethmann
Hollweg einem Misstrauensantrag stellen musste. Der neuen Kriegsminister
Erich von Falkenhayn sprach sich in
scharfer Rede im Parlament gegen eine
rechtliche Würdigung des Verhaltens
des Militärs aus und trug damit dazu
bei, dem Kanzler mit großer Mehrheit
das Misstrauen auszusprechen. Jedoch
musste Bethmann Hollweg, da er nach
der damaligen Verfassung nur dem
Kaiser gegenüber verantwortlich war,
nicht von seinem Amt zurücktreten.
3
Karikatur zur
»Zabern-Affäre«
von Th. Th. Heine aus
dem Simplicissimus,
1913:
»Preußen kolonisiert.« –
»Lieben sollt ihr mich,
ihr Wackes!!«
Original: Kunstbibliothek, Berlin
Repro: Bildarchiv Preussischer
Kulturbesitz
© VG Bild-Kunst, Bonn 2003
Als unumgänglich allerdings erwies
sich die kriegsgerichtliche Aufarbeitung des militärischen Verhaltens der
Beteiligten. Zusätzlich zur disziplinären Ahndung des Gebrauchs des
Schimpfwortes »Wackes« mit einer
Woche Stubenarrest für Forstner begannen um die Jahreswende 1913/14 die
Prozesse gegen die beteiligten Offiziere wegen Körperverletzung und
Freiheitsberaubung, die letztlich mit
Freisprüchen endeten. Ein zumindest
nicht unvoreingenommenes Gericht
bemühte sich gerade im Falle des
Obersten von Reuter, den vom Kriegsministerium und besonders vom Kaiser
für unabdingbar erachteten Vorrang
der militärischen Kommandogewalt
vor der zivilen Administration gleichsam als Axiom deutlich herauszustreichen. Mit wenig Fingerspitzengefühl
und geringem Verständnis für die
Belange der zivilen Macht wurde damit
zugleich deren oberste Spitze im
Reichslande, der kaiserliche Statthalter
Karl Graf von Wedel, als Marionette
in der Hand des Kaisers bloßgestellt.
Noch einmal hatte das Militär über
die zivilen Instanzen obsiegt und seine
Vorrangstellung im politischen Gefüge
des Reiches der Öffentlichkeit sichtbar
vor Augen geführt.
Das Scheitern dieser jegliches Maß
vermissen lassenden Politik manifestierte sich schließlich in der Ablösung
der gesamten politischen Führungsspitze in Elsass-Lothringen. Während
der Kaiser den Statthalter auf dessen
mehrfach geäußerten Wunsch sowie
die übrige zivile Verwaltungsspitze
von ihren Dienstposten entließ, verlieh er demonstrativ dem in ein bevorzugtes Regiment versetzten Oberst von
Reuter den Preußischen Orden des
Roten Adlers und beließ den eigentlichen Scharfmacher in der Affäre,
General von Deimling, in seinem
Kommando. Der anscheinend für den
Grenzlanddienst für besonders befähigt gehaltene Leutnant von Forstner
schließlich wurde in ein Grenzregiment auf der anderen Seite des Reiches nach Bromberg transferiert, das
Infanterieregiment 99 für einige Zeit
den Augen der Bevölkerung auf einem
nahe gelegenen Truppenübungsplatze
entzogen, sehr zum wirtschaftlichen
Schaden wiederum der Zaberner Einwohner. Einziges materielles Ergebnis
dieser Affäre bestand in einer Kodifizierung und Spezifizierung der Dienstvorschrift über den Waffengebrauch des
Militärs, die in revidierter Form noch
vor dem Kriegsbeginn 1914 erschien.
Eine parlamentarische Kommission dagegen zur Untersuchung der Zaberner
Vorfälle tagte einige Male und vertagte
sich dann für immer.
Dass der an sich unbedeutende und
geringfügige Zaberner Vorfall auf dem
Kasernenhof einen solchen, das Gefüge
des Reiches erschütternden Eklat hervorrufen konnte, gewährt tiefe Einblicke in die angespannte politische
Situation des Elsass am Vorabend des
Ersten Weltkrieges.
Karlheinz Deisenroth
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2003
23
Service
Medien online/digital
Erinnerungsorte des Kalten Krieges
D
er Kalte Krieg prägte nicht nur
die politische, sondern auch
die bauliche Landschaft im
geteilten Deutschland. Die bekanntesten Bauwerke dieser Teilung der Welt
in zwei Militärblöcke waren die Berliner Mauer und die innerdeutsche
Grenze, neben denen andere Überreste
häufig vergessen werden, wie z.B. leerstehende Kasernen und Bunkeranlagen. Denn die politischen und militärischen Führungen der beiden verfeindeten deutschen Staaten hatten sich
on
4www.dienststellemarienthal.de
jeweils Schutzräume errichten lassen,
aus denen heraus sie im Kriegsfall
regieren und führen wollten. Für die
Verfassungsorgane der Bundesrepublik war dies die »Dienststelle Marienthal« im Ahrtal und für den DDRMinister für Nationale Verteidigung
und die Führung der NVA der Bunker
Harnekop bei Berlin.
Von den beiden Anlagen ist die ostdeutsche auch über die Wiedervereinigung hinaus erhalten geblieben; sie
liegt gut versteckt im Wald etwa 30
Kilometer nordöstlich von Berlin. Im
nahe gelegenen Ort Harnekop deutet
nichts darauf hin, dass sich hier der
»Führungsbunker« des Verteidigungsministers der DDR befand (Tarnbezeichnung: »Flugwetterstation«). Das
dreietagige Bauwerk wurde zwischen
24
1971 und 1976 für die Führung der NVA im Kriegsfall
gebaut, war mit damals modernster Technik ausgestattet
und sollte im Ernstfall etwa
450 Personen aufnehmen.
Heute ermöglicht der Verein
»Baudenkmal Bunker Harnekop e.V.« die Besichtigung
eines der früher am besten
gehüteten Staatsgeheimnisse
der DDR.
Das Pendant der Bundesrepublik liegt
in einem alten Eisenbahntunnel im
Ahrtal, etwa 25 Kilometer südlich von
Bonn. Dort wurde Anfang der 60er
Jahre ein »Ausweichsitz der Verfassungsorgane des Bundes im Krisenund Verteidigungsfalle zur Wahrnehmung von deren Funktionsfähigkeit« errichtet. Der Regierungsbunker wurde im
Jahre 1972 in Betrieb genommen und kostete seitdem 3
Milliarden DM. Er erstreckt
sich unter einer bundeseigenen Grundstücksfläche
von 188 023 Quadratmetern
und besteht aus einem unterirdischen Stollensystem
mit einer Gesamtlänge von
19 000 Metern; die unterirdische Fläche umfasst insgesamt 83 000 Quadratmeter, der umbaute Raum 367 000 Kubikmeter. Unter anderem finden sich hierin
936 Schlafzellen, 897 Büros, fünf Großkantinen, fünf Kommandozentralen,
fünf Sanitätsbauwerke, zwei Fahrradabstellhallen, eine Druckerei, ein Friseursalon sowie ein Raum für ökumenische Gottesdienste. Fünf völlig
autarke Sektionen sollten ca. 3000 Personen eine Lebensgarantie für 30 Tage
gewähren. Ein unabhängiges System
der Strom-, Wasser- und Luftversorgung sowie ein nahezu unerschöpfliches Reservoir an Nahrung und
Gebrauchsgegenständen (allein 20 000
Ersatzteil-Artikel für die technischen
Anlagen) und 25 000 Türen bürgten
für größtmögliche Autarkie. Trotzdem
ist der Regierungsbunker, der während eines Manövers mit dem Codenamen »Rosengarten« bezeichnet wurde,
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2003
4www.bunker-harnekop.de
während der 22-jährigen Nutzung niemals von einem Bundeskanzler betreten worden. An dessen Stelle erprobte
ein Double, als »Bundeskanzler üb.«
bezeichnet, bei der zweijährlich stattfindenden NATO-Übung den atomaren Kriegszustand. Am 8. Dezember
1997 beschloss die Bundesregierung
die Schließung der nationalen Sicherungsanlage und seitdem wurde der
Bunker zwischenzeitlich als Standort
für ein Münzdepot, eine Technodisco,
ein unterirdisches Erlebnishotel (»Bunker-Wunderland«) sowie für die Züchtung von Pilzkulturen in Erwägung
gezogen. Wegen mangelnder Brandschutzvorrichtungen und zu hoher Folgekosten scheiterten diese Nutzungsversuche, so dass die Anlage nun verschlossen werden soll.
Beide Bunker verfügen über eine eigene
Internet-Seite. Während die Webseite
der Dienststelle Marienthal einen
»Abwicklungscharakter« aufweist, da
lediglich eine kurze Geschichte des
Baues und einige Photographien abrufbar sind, ist die Seite des Bunkers in
Harnekop deutlich umfangreicher. Der
Nutzer hat auf dieser, neben der Erlangung von Detailinformationen zum
Bau, die Möglichkeit einen virtuellen
Rundgang durch den Bunker zu unternehmen. Des weiteren sind Dokumente
und eine große Linkliste zum Thema
Bunkerbau verfügbar. Auf beiden Internet-Seiten besteht zudem die Möglichkeit Bücher oder Videos über die jeweiligen Bunker zu bestellen.
ch/René Henn
4www.bunkernetzwerk.de
Auf dieser Seite findet der
interessierte Besucher umfassende
Informationen zum Themen wie:
4 Bunkeranlagen auf dem Gebiet
der ehemaligen DDR, im
speziellen
4 der NVA, des MfS, der
Volkspolizei, der Post und der
GSSD
4 Bunkeranlagen beider
Weltkriege
4 Literatur- und Reisetipps
Dokumentensuche im Internet
D
ie Suche nach Dokumenten
im Internet gestaltet sich oft
schwierig: meist findet man
nach langwieriger Suche nicht das
gewünschte Dokument oder dieses
wird nur auszugsweise wiedergegeben. Die Freude über eine InternetSeite, auf der Dokumente zum Thema
deutsche Geschichte von 1800 bis heute
nicht nur auszugsweise, sondern vollständig abrufbar sind, ist daher verständlich. Dieser Glücksfall ist mit dem
documentArchiv gegeben. Momentan
sind hier 1003 Dokumente online verfügbar, deren Anzahl jedoch stetig
steigt.
Das Archiv gliedert sich in die sieben
Rubriken:
line
19. Jahrhundert,
Kaiserreich,
Weimarer Republik,
Nationalsozialismus,
Bundesrepublik,
DDR,
Ausland/Internationales
Innerhalb der einzelnen Rubriken sind
die Dokumente in chronologischer
Abfolge aufgelistet. So ist für das
19. Jahrhundert auch die Emser Depesche abrufbar, die gerade in militärgeschichtlicher Hinsicht eine bedeutende
4www.documentArchiv.de
Rolle spielte, da durch sie der deutschfranzösische Krieg 1870/71 ausgelöst
wurde. Aber auch zahlreiche Dokumente aus der Zeit des Nationalsozialismus können eingesehen werden – so
z.B. die Weisung des Obersten Befehlshaber der Wehrmacht Adolf Hitler für
den bewaffneten Einmarsch der Wehrmacht in Österreich (»Unternehmen
Otto«).
Nutzer von dieser u.a. auf die Seite
des Feldpost-Archivs, wo ausgewählte
Feldpostbriefe aus dem Zweiten Weltkrieg zur Verfügung gestellt werden,
gelangen. Alles in allem also eine
gelungene Seite, die sowohl Suchende
als auch Interessierte gleichermaßen
erfreuen dürfte.
René Henn
Die Webseite bietet zudem eine
umfangreiche Linkliste. So kann der
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2003
25
Service
Lesetipp
Immer wieder werden Historiker von Geschichtsinteressierten gefragt, wo man denn nur
all die vielen Informationen und für Laien häufig verwirrenden Zusammenhänge in
Ruhe nachlesen könne. Auch die Redaktion der Militärgeschichte erreichen regelmäßig
solche Anfragen. Häufig enthalten sie aber gar keine konkreten Nachfragen zu einem speziellen Gegenstand, sondern erfolgen aus einem allgemeinen Interesse an der Geschichte
oder auch einfach aus dem Wunsch heraus, das eigene Schulgeschichtswissen noch mal
aufzufrischen. Daher stellen wir Ihnen, sehr geehrte Leserinnen und Leser, heute keine
einzelnen Buchtitel zu ausgewählten Themen vor, sondern verschiedene, aus Sicht der
Redaktion empfehlenswerte Buch- und Zeitschriftenreihen. Wir glauben, dass Sie dort
neben einem grundlegenden Überblick über die allgemeine Geschichte auch militärgeschichtliche Themen in ansprechender und fundierter Form präsentiert bekommen, und
würden uns freuen, wenn der eine oder andere Titel Ihr Interesse fände.
ch
26
(Militär-)Geschichte bei
»C.H.Beck Wissen«
Seiten). Alle diese
Magazine zeichnen sich durch
unterhaltsam geschriebene und
leicht verständliche Beiträge sowie eine attraktive Bebilderung,
viele Grafiken, Tabellen und andere
Informationen aus. Damit kombinieren
sie Unterhaltung und Wissensvermittlung in idealer Weise.
or rund zehn Jahren legte der
renommierte C.H.Beck Verlag
(München) eine handliche Buchreihe
zu wissenschaftlichen Themen aus den
Bereichen Geschichte, Naturkunde,
Religion, Philosophie, Medizin, Musik
und Sprachwissenschaften auf. Deren
Format war und ist der vielzitierten
»Informationsgesellschaft« angepasst:
Mit 110 bis 140 Seiten knapp im Seitenumfang und konzentriert in der Darstellung ist jeder Band von anerkannten Fachleuten ihrer Disziplin verfasst
und in sich abgeschlossen. Die Darstellungen richten sich an ein Lesepublikum, das weit über die wissenschaftlichen Experten hinausreicht. Zweifellos nutzt der zusammenfassende
Charakter des Forschungsstandes in
den zumeist äußerst gelungenen Überblicken auch dem Spezialisten. Adressat der mittlerweile ca. 230 Werke
aus den verschiedensten Wissensgebieten ist aber eher der interessierte
Laie. Lesbarkeit und Verständlichkeit
ohne übertriebenen Wissenschaftsjargon, eine knapp bemessene Beigabe
von Bildern oder Karten und ein
weiterführendes Literaturverzeichnis
kennzeichnen bei gleichzeitigem Verzicht auf einen gelehrten Anmerkungsapparat das Profil der Reihe.
Selbstverständlich greifen diese Titel
immer wieder auch militärgeschichtliche Themen auf, doch wer sich ausschließlich für Militärgeschichte interessiert, kann nicht nur zur Militärgeschichte greifen, sondern auch zu
der alle zwei Monate erscheinenden
»Militär und Geschichte« ( 3,- € für 50
Seiten). Diese präsentiert ausschließlich Berichte über militärgeschichtliche Themen überwiegend des 19.
und 20. Jahrhunderts sowie auch über
Militaria (Uniformen, Orden, Waffen).
Innerhalb des bisherigen Verlagsprogramms von »C.H Beck Wissen« spielt
Geschichte, insbesondere auch Alte
Geschichte, eine dominierende Rolle.
Von Anfang an wurden dabei militärgeschichtliche Themen berücksichtigt und so sind inzwischen sind fünf
Darstellungen erschienen, die sich explizit vergangenen Kriegen widmen:
dem Bauernkrieg 1524–1526 (von Peter
Blickle), dem Dreißigjährigen Krieg
1618–1648 (Georg Schmidt), dem Ersten Weltkrieg 1914–1918 (Volker Berg-
W
Die monatlich erscheinenden Magazine »Damals«, »Geschichte« sowie
»PM-history« (zehn Ausgaben im Jahr)
sind im Umfang und Qualität recht
ähnlich und bieten für einen moderaten Preis (6,10 bzw. 4,30 €) auf etwa
70–100 Seiten einen attraktiven Mix aus
jeweils mehreren Beiträgen zu einem
Hauptthema und verschiedenen kleineren Rubriken. Außerdem enthalten
sie verschiedene Serviceelemente, wie
z.B. TV- und Lesetipps sowie Ausstellungshinweise; die »Damals« bietet dazu sogar eine Internetsuchmaschine an,
die wir den Leserinnen und Lesern
der Militärgeschichte schon wiederholt vorgestellt haben (siehe ServiceAusstellungen in diesem Heft). Ebenfalls im Zeitschriftenhandel erhältlich
ist ein Ableger der Zeitschrift »Geo«, die
vor allem wegen ihrer exzellenten Bilder
bekannt ist. »Geo-Epoche« erscheint alle
drei Monate und besticht ebenfalls durch
eine hervorragende Bildqualität, ist dafür aber auch etwas teurer (8,-€ für 180
ch
V
Geschichte(n)
im Magazinformat
er sich für Geschichte, Zeitgeschichte und Politik interessiert,
kann nicht nur aus einer unüberschaubaren Flut von Büchern etwas nach
dem jeweils eigenen Geschmack auswählen, sondern bekommt außerdem
in fast allen gängigen Zeitungen und
Zeitschriften Beiträge über entsprechende Themen geboten. Es gibt aber
auch einige Spezialzeitschriften für historisch Interessierte, die in Zeitschriftenläden, Kiosken, im Supermarkt und
sogar an Tankstellen erhältlich sind,
wobei der Leser zwischen fünf empfehlenswerten Titeln die Qual der Wahl
hat.
Fazit: Wer sich für (Militär-)Geschichte
interessiert und den Griff zum dicken
Buch scheut oder einfach eine Lektüre
für die Bahnfahrt oder die Badewanne
sucht, wird unter den vielen Geschichtszeitschriften bestimmt etwas
nach dem eigenen Geschmack finden.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2003
hahn), dem Zweiten Weltkrieg (Gerhard Schreiber) und dem Kalten Krieg
1945–1991 (Bernd Stöver). Militärgeschichte ist in diesen Büchern nirgendwo die pure Chronologie der Feldzüge und Schlachten. Sie wird vielmehr
verknüpft mit den politischen Hintergründen und Entwicklungen, den Auswirkungen auf die einzelnen Gesell-
schaften im Kriege sowie dem alltäglichen Leben an der Front und in der
Heimat. Breiten Raum etwa widmet
Peter Blickle in seinem Porträt des
Bauernkrieges dem langen Nachwirken dieser »Revolution des Gemeinen
Mannes«: sei es als Bezugspunkt liberaler Forderungen im 19. Jahrhundert,
sei es in der Vereinnahmung Thomas
Müntzers durch die DDR-Geschichtsschreibung im 20. Jahrhundert.
Doch nicht nur jene Bücher der Reihe,
die den Krieg ausdrücklich im Titel
führen, sind militärgeschichtlich relevant. Ins Gewicht fallen z.B. auch
die kleinen Biographien über Alexander den Großen (von Hans-Joachim
Gehrke) und Hannibal (Pedro Barceló),
deren Leben der Nachwelt als einzige
große Feldzüge erscheinen: über die
»japanischen Ritter«, die Samurai (Hermann Schwentker), über Stauffenberg
und den 20. Juli 1944 (Peter Hoffmann); schließlich viele Bände über
Goten, Inkas, Wikinger usw., Ländergeschichten über Mesopotamien, Frankreich, China etc., in denen Wehrverfassung und Militärpolitik wenigstens am
Rande eine Rolle spielen.
Anzuzeigen und zu empfehlen bleibt
damit eine engagierte Buchreihe, aus
der sich jeder (militär-)geschichtlich
Interessierte seinen eigenen kleinen
Handapparat zusammenstellen kann,
und das zu einem überschaubaren, einheitlichen Preis von 7,90 € pro Band.
Armin Wagner
Deutsche und Weltgeschichte
im Überblick
B
ereits seit Jahren werden Studierenden der Geschichtswissenschaft
schon in den ersten Semestern die
Reihen »Grundriss der Geschichte«
sowie »Enzyklopädie deutscher Geschichte« aus dem R. Oldenbourg
Verlag empfohlen. Viele Studenten
haben einen oder gar mehrere der
schmalen grauen oder der dickeren
blau-grauen Bände bei sich im Regal
stehen. Beide Reihen sind aber auch für
andere Nutzer, insbesondere für Multiplikatoren (z.B. in der politischen Bildung) hervorragend geeignet.
Der universalgeschichtlich angelegte
»Grundriss der Geschichte« bietet mit
nunmehr 33 Bänden einen historischen
Überblick zu zahlreichen Ländern und
Themen. Deren Bandbreite reicht von
der griechischen und römischen Antike
über das Mittelalter, die Frühe Neuzeit bis zur Zeitgeschichte (z.B. Imperialismus, Zwischenkriegszeit, Weimarer
Republik, Drittes Reich, DDR, Bundesrepublik), wobei auch die außereuropäische Geschichte Beachtung findet (z.B.
Byzanz, Afrika, Osmanisches Reich).
Wer eine kompetente und systematische Einführung in eines dieser Themen
sucht, ist mit dem »Grundriss« aus dem
Oldenbourg-Verlag gut beraten. Neben
den ausgewiesenen Autoren trägt dazu
vor allem die einheitliche Gliederung
der Bände bei. Jeder umfasst etwa
350–450 Seiten und ist unterteilt in eine
Darstellung, die einen Überblick über
das Thema bietet, sowie einen zweiten
Teil, der ausgewählte Einzelfragen vertieft und schließlich eine ausführliche
Bibliographie, die weiterführende Literatur und Quellen nennt. Diese beiden
letzten Teile machen die Reihe insbesondere für Studierende und Fachhistoriker zum wertvollen Arbeitsmittel.
Wer sich evt. vom stattlichen Umfang
der Bände abschrecken lässt oder sich
mehr für deutsche und weniger für allgemeine Geschichte interessiert, dem
sei die Enzyklopädie deutscher Geschichte (EdG) aus dem selben Verlag
empfohlen. Die mittlerweile fast 70
Bände der Reihe betrachten alle Epochen und vielfältige Themen ausschließlich zur deutschen Geschichte.
Demnächst erscheinen sogar Bände zur
Militärgeschichte (Militärgeschichte
des späten Mittelalters und der Frühen
Neuzeit sowie Militärgeschichte des 19.
und 20. Jahrhunderts). Im Unterschied
zum »Grundriss der Geschichte« sind
die einzelnen Bände der EdG mit etwa
150 Seiten deutlich weniger voluminös,
die Fragestellungen dafür aber spezieller. Themen, die im »Grundriss« mit
einem Band abgehandelt werden (z.B.
DDR), sind hier auf drei Bände aufgeteilt (z.B. Innen- und Außenpolitik
sowie Sozialgeschichte der DDR). Die
bewährte Gliederung der GrundrissBände wurde für diese Enzyklopädie
übernommen; die einzelnen Bände enthalten einen Überblick über das Thema,
eine Erörterung zu Einzelfragen und
abschließend wiederum einen Literaturteil.
Beide Reihen sind weniger zum abendlichen »Schmökern«, als vielmehr zum
systematischen Nachlesen und Selbststudium geeignet. Nicht zuletzt der
relativ günstige Preis (Grundwissen
24,80 € bzw. EdG 19,80 €) hat sie
so zum unverzichtbaren Arbeitsmittel
für Historiker, Studierende und Lehrer
sowie andere in der historischen Bildung Tätige werden lassen.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2003
ch
27
Service
Ausstellungen
•Berlin
Abgestempelt.
Judenfeindliche Postkarten
Museum für
Kommunikation Berlin
Leipziger Straße 16
D-10117 Berlin-Mitte
Telefon: (030) 20 29 40
Telefax: (030) 20 29 41 11
www.museumsstiftung.de/berlin
e-mail: [email protected]
Dienstag bis Freitag
9.00 Uhr bis 17.00 Uhr
Samstag bis Sonntag
11.00 Uhr bis 19.00 Uhr
9. Oktober 2003 bis
15. Februar 2004
Verkehranbindungen:
U-Bahn: Bis Haltestelle
»Mohrenstraße« bzw.
»Stadtmitte« (U2/U6),
Buslinien TXL, 148, 200, 348
Hofjagd
Deutsches
Historisches
Museum/
Ausstellungshalle von
I.M. Pei
Hinter dem
Gießhaus 3
10117 Berlin
www.dhm.de
Täglich von
10.00 Uhr bis 18.00 Uhr
19. Februar bis
12. April 2004
Eintritt frei
28
»Stalingrad erinnern«. Stalingrad im
deutschen und im russischen
Gedächtnis
Deutsch-Russisches
Museum
Berlin-Karlshorst
Zwieseler Straße 4/
Ecke Rheinsteinstraße
D-10318 Berlin
Telefon: (030) 50 15 08 10
www.museum-karlshorst.de
e-mail:
[email protected]
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2003
Dienstag bis Sonntag
10.00 Uhr bis 18.00 Uhr
15. November 2003 bis
29. Februar 2004
Eintritt frei
Verkehrsanbindungen:
Ab S-Bahnhof »Karlshorst«
(S 3) Ausgang »Treskowallee«,
zu Fuß Richtung Rheinsteinstraße (ca. 15 Min. ) oder
mit dem Bus 396; ab U-Bahnhof »Tierpark« (U5) mit dem
Bus 396
•Bonn
Der Kreml.
Gottesruhm
und
Zarenpracht
Kunst- und Ausstellungshalle
der Bundesrepublik
Deutschland
GmbH
Museumsmeile Bonn
Friedrich-Ebert-Allee 4
53113 Bonn
Telefon: (0228) 91 71-0
Telefax: (0228) 23 41 54
www.kah-bonn.de
e-mail: [email protected]
Dienstag bis Mittwoch
10.00 Uhr bis 21.00 Uhr
Donnerstag bis Sonntag
10.00 Uhr bis 19.00 Uhr
13. Februar bis 9. Mai 2004
Verkehrsanbindungen:
Bus: Linien 610 und 630
bis Haltestelle »Heussallee«,
U-Bahn: Ab Hauptbahnhof
U16/63/66 (in Richtung
Regierungsviertel) bis
Haltestelle »Heussallee«
•Dresden
Deutsche Jüdische
Soldaten. Von der Epoche
der Emanzipation bis zum
Zeitalter der Weltkriege
Neue Synagoge
23. Januar bis 3. März 2004
Telefon: (03364) 21 46
www.museumeisenhuettenstadt.de
e-mail:
[email protected]
Dienstag
10.00 Uhr bis 18.00 Uhr
Mittwoch bis Freitag
10.00 Uhr bis 16.00 Uhr
jeden ersten Samstag und
Sonntag im Monat
13.00 Uhr bis 16.00 Uhr
10. November 2003 bis
14. März 2004
Dienstag bis Sonntag
8.45 bis 16.30 Uhr
Bis 21. März 2004
Verkehrsanbindungen:
Ab Hauptbahnhof mit Bus bis
Haltestelle »Roßmühlstraße/
Paradeplatz«
•Luckenwalde
•Hamburg
Verbrechen der
Wehrmacht. Dimensionen
des Vernichtungskrieges
1941–1944
Kampnagel
Jarrestraße 20
22303 Hamburg
www.verbrechen-derwehrmacht.de
Dienstag bis Donnerstag
10.00 Uhr bis 18.00 Uhr
Freitag bis Sonntag
10.00 Uhr bis 19.30 Uhr
29. Januar bis 28. März 2004
•Mainz
Die Kreuzzüge
•Potsdam
Königliche Visionen.
Potsdam – eine Stadt
in der Mitte Europas
Haus der
BrandenburgischPreußischen Geschichte
Schloßstr. 1
14467 Potsdam
Telefon: (0331) 201 39 3
Telefax: (0331) 201 39 59
www.hbpg.de
Dienstag bis Sonntag
10.00 Uhr bis 18.00 Uhr
Mittwoch
10.00 Uhr bis 20.00 Uhr
ab 18.00 Uhr 50 Prozent
Eintrittsermäßigung
30. August 2003 bis
28. März 2004
•Saverne
•Ingolstadt
Dom- und
Diözesanmuseum
Domstraße 3
55116 Mainz
Eingang durch den
Dom und Kreuzgang
Telefon: (06131) 25 33 44
Telefax: (06131) 25 33 49
www.kath.de/bistum/mainz/
kirche/dommuseum.htm
ð
Festungen. Graphiken
und Bücher aus dem
Besitz des Bayerischen
Armeemuseums
• E i s e n h ü t te n s t a d t
Kriegsgefangene in
Brandenburg – Das
Stalag III B in
Fürstenberg/Oder
Städtisches Museum/
Galerie Eisenhüttenstadt
Löwenstraße 4
15890 Eisenhüttenstadt ð
Aufstand des Gewissens.
Militärischer Widerstand
gegen Hitler und das
NS-Regime 1933–1945
Foyer der Kreisverwaltung
des Landkreises
Teltow-Fläming
15. März bis 20. April 2004
e-mail:
[email protected]
Dienstag bis Sonntag
10.00 Uhr bis 17.00 Uhr
2. April bis 30. Juli 2004
Eintritt frei
Verkehrsanbindungen:
Buslinien 54–57, 60 65, 71, 73
bis Haltestelle »Höfchen«
(Zabern)
Saverne 1913
Chateau de Rohan
Musée de Saverne
F 67700 Saverne
Telefon: 0033 (3889) 10 62 8
Montag, Mittwoch bis
Sonntag
14.00 bis 17.30 Uhr
2. Januar bis 20. Februar 2003
3
Neues Schloß
Paradeplatz 4
85049 Ingolstadt
Telefon: (0841) 93 77 0
Telefax: (0841) 93 77 200
www.bayerischesarmeemuseum.de
Interessante
Ausstellungen zu
Themen Ihrer
Wahl und in Ihrer
Nähe können sie
ganz gezielt und
bequem im
Internet suchen:
www.damals.de
ð
René Henn
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2003
29
Geschichte kompakt
28. November bis 1. Dezember 1943
Konferenz von Teheran
In seiner mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichneten Darstellung des Zweiten Weltkrieges bezeichnete Winston Churchill
die Ergebnisse der Konferenz von Teheran als die »Lösung des
Gordischen Knotens«. Trotz einer Vielzahl von Interessengegensätzen konnten sich die alliierten Staats- und Regierungschefs
der »Anti-Hitler-Koalition« auf wichtige Grundsätze der weiteren Kriegführung und der Nachkriegsordnung verständigen.
Das Treffen der »Großen Drei«, des sowjetischen Parteiund Regierungschefs Stalin, des amerikanischen Präsidenten
Roosevelt und des britischen Premierministers Churchill dauDie »Großen Drei« beim Fototermin erte von Ende November bis Anfang Dezember 1943. Man
akg-images 9AA-1943-11-28-A1
einigte sich für das Jahr 1944 auf die Errichtung der »Zweiten
Front« durch westalliierte Landungen in Nord- und Südwestfrankreich, eine gleichzeitige sowjetische Offensive auf die deutsche Ostfront und sowjetische Unterstützung im Kampf gegen
Japan nach Abschluss der Kampfhandlungen in Europa. Des Weiteren wurde die Verschiebung
der sowjetisch-polnischen Grenze nach Westen vereinbart, wofür Polen als Kompensation deutsche Gebiete östlich der Oder erhalten sollte. Über die Teilung Deutschlands, die nach dem Ende
des Krieges geplant war, konnte indes keine abschließende Einigung erzielt werden: Während
Churchill für eine Zweiteilung eintrat, schwebte Roosevelt die Bildung von fünf »autonomen« und
zwei durch die Vereinten Nationen zu verwaltenden Gebieten vor; Stalin forderte wie Roosevelt
die Zerstückelung Deutschlands, wollte sich dabei jedoch nicht auf Einzelheiten festlegen.
Roosevelts Vorstellung der »Einen Welt« mit Errichtung einer Weltfriedensorganisation
unter Einschluss der UdSSR wurde besprochen; die Zustimmung Stalins zur Gründung und
Organisation der Vereinten Nationen erfolgte jedoch erst auf der nachfolgenden Konferenz von
Jalta im Februar 1945.
René Henn
25. Juli 1963
Militärgeschichte
Zeitschrift für historische Bildung
Ü Vorschau
Sebastian Haffner bezeichnete ihn als den »Anfang
einer Geschichte, die noch nicht zu Ende ist –
auch für die Jüngsten unter uns nicht«. Der Erste
Weltkrieg stellte die Weichen für das 20. Jahrhundert. Oktoberrevolution und Sowjetimperium, Nationalsozialismus und der »totale Krieg«
eines Adolf Hitler sind ohne ihn kaum vorstellbar. Die politische Landkarte veränderte sich
infolge des »Großen Krieges«, wie der Erste Weltkrieg genannt wurde, ehe er durch einen zweiten Weltkrieg noch übertroffen wurde. Er kostete
rund acht Millionen Soldaten das Leben, etwa
Die Nagold-Affäre
Am 30. Juli 1963 meldete die Kölnische Rundschau: »Kölner Rekrut
im Todeskampf nach Gewaltmarsch«. Zwei Tage später verstarb
der 19-jährige Rekrut Gerd Trimborn. Es konnte im Rahmen der
gerichtlichen Untersuchung nicht zweifelsfrei festgestellt werden,
ob der Tod durch die Überlastung auf dem Marsch am 25. Juli oder
durch ein bereits vorhandenes Nierenleiden verursacht worden war.
Dennoch sollten die dabei zu Tage getretenen Zustände in der Ausbildungskompanie 6/9 bei den Fallschirmjägern in Nagold einen
der größten Skandale der noch jungen Bundeswehr auslösen.
Entgegen bestehenden Befehlen, welche die Durchführung einer
Marschübung in den Stunden außerordentlicher Tageshitze verboten, hatte der Kompaniechef den im Dienstplan angesetzten Marsch
nicht gestrichen. Während einer kurz vor Erreichen der Kaserne
befohlenen »Gefechtseinlage« musste der Jäger Trimborn den Lauf
abbrechen, erreichte gestützt auf Kameraden noch die Kaserne, um
dann bewusstlos zusammenzubrechen.
© Kölnische Rundschau
Der Kompaniechef meldete den Vorfall dem vorgesetzten Brigadekommando; eine weitere Meldung als Besonderes Vorkommnis unterblieb. Eine Zeitungsbotin der Kölnischen Rundschau erfuhr von den Eltern Trimborns von dem Vorfall und meldete
ihn ihrer Redaktion. Das nicht in Kenntnis gesetzte Verteidigungsministerium musste erst mit
Nachdruck auf dem Dienstweg Meldungen einholen. Die Anzeige unbeteiliger Zivilisten bei
der Polizei über Misshandlungen von Soldaten eines anderen Zuges auf demselben Marsch –
Beleidigungen, Fußtritte und Stöße mit dem Gewehr – und die Recherchen der zunehmend
misstrauischer werdenden Presse brachten erst das ganze Ausmaß der entwürdigenden Schleifermethoden in dieser Kompanie in den Blick der schockierten Öffentlichkeit.
In seinem Jahresbericht stellte der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hellmuth
Heye, den Fall in den weiteren Zusammenhang der geistigen Auseinandersetzung um die
Grundsätze der Inneren Führung. Er griff diejenigen, die deren Prinzipien als für die Praxis
ungeeignet, zu weich und die Ausbilder nur verunsichernd diffamierten, scharf an und forderte
eine Menschenführung in der Bundeswehr, »die den Soldaten als Persönlichkeit und als Staatsbürger respektiert und seinen guten Willen nicht bricht«. Um seinem Anliegen mehr Nachdruck zu verleihen, stellte Heye seinen Bericht der Illustrierten Quick zur Verfügung, die ihn
unter dem Titel »In Sorge um die Bundeswehr« veröffentlichte. Die darauf folgende, sehr kontroverse Debatte führte zum Rücktritt des Wehrbeauftragten, aber auch zu einer breiten öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Innenleben der Bundeswehr.
hk
30
Heft 1/2004
Service
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2003
5
Gedenktafel am Schauplatz des Attentates im bosnischen Sarajevo, wo unweit der »Lateinerbrücke« über
die Miljačka am 28. Juni 1914 der österreichische
Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand und seine Ehefrau Sophie ermordet wurden.
20 Millionen wurden verwundet und allein drei
Millionen Menschen starben an durch den Krieg
verursachten Krankheiten und Seuchen. Durch
diese »Urkatastrophe« des 20. Jahrhunderts für
Europa wurden Kräfte freigesetzt, welche die
großen Vielvölkerreiche, wie das Osmanische
Reich, die Habsburger Monarchie und das Zarenreich in den Untergang stürzten. Mit den Vereinigten Staaten von Amerika trat in Europa erstmals eine außereuropäische Großmacht maßgeblich auf den Plan. Viele aktuelle Krisen, über die
uns Rundfunk und Fernsehen täglich informieren, sind ohne den Ersten Weltkrieg kaum denkbar.
Die nächsten Ausgaben der Militärgeschichte
werden verstärkt über den Ersten Weltkrieg
berichten. 90 Jahre nach dem schicksalhaften
Attentat von Sarajevo und dem anschließenden
Kriegsausbruch beginnt die Serie mit einem »virtuellen Rundgang« durch die Ausstellung des
Deutschen Historischen Museums »Der Weltkrieg 1914–1918, Ereignis und Erinnerung«.
aak
Militärgeschichte im Bild
12. November 1993: Rückkehr aus
A
Kambodscha
m 12. November 1993 kehrten
die letzten der 145 Ärzte und
Sanitäter der Bundeswehr aus
Kambodscha, wo sie seit Mai 1992
auf Bitten der Vereinten Nationen
humanitäre Hilfe geleistet hatten, nach
Deutschland zurück. UNTAC (United
Nations Transitional Authority in Cambodia) hatte die Aufgabe gehabt, Kambodscha auf seinem Weg aus dem Bürgerkrieg militärisch und administrativ
zu unterstützen. Die Entwaffnung der
Bürgerkriegsparteien sowie die Vorbereitung und Begleitung freier Wahlen
spielten dabei eine zentrale Rolle. Dazu
wurden 22 000 Blauhelme im ganzen
Land stationiert. Deren sanitätsdienstliche Versorgung wurde durch deutsche, indische und französische Soldaten sichergestellt.
Das deutsche Kontingent betrieb in
der Hauptstadt Phnom Penh das mit
60 Betten ausgestattete »UNTAC Field
Hospital« und behandelte dort in den
17 Monaten ununterbrochenen Einsatzes 3489 Patienten stationär und 95 409
Patienten ambulant. Die Leistungsfähigkeit und das Engagement der deutschen Soldaten verschaffte ihnen nicht
nur bei den Vereinten Nationen, sondern auch in der kambodschanischen
Zivilbevölkerung großes Ansehen, da
nach Zusage der VN im Rahmen
freier Kapazitäten auch die einheimische Bevölkerung medizinisch versorgt
werden konnte, was letztlich etwa 25 %
der Behandlungen ausmachte.
In dem auch als »größtes Minenfeld
der Welt« bezeichneten Land waren
die Räumung der Minen und die Ausbildung einheimischer Experten eine
wichtige Aufgabe von UNTAC. Beinoperationen nach Minenexplosionen
gehörten zum täglichen Pflichtprogramm der Chirurgen im deutschen
Hospital. Ärztliche Begleitung bei
der Lebensrettung durch die Luft
(MEDEVAC) – gelegentlich auch unter
Beschuss durch die Roten Khmer – war
genauso zu leisten wie die Versorgung
von Verletzten nach Überfällen oder
nächtliche Operationen nach Terroranschlägen.
der Einsatz in Kambodscha nicht vergessen werden, der den guten Ruf der
Bundeswehr international mit begründen half.
hk
Trauriger Höhepunkt des Einsatzes
war für das deutsche Kontingent die
Ermordung des Sanitätsfeldwebels Alexander Arndt am 14. Oktober 1993 auf
offener Strasse, nur wenige Tage vor
Einsatzende. Feldwebel Arndt war der
erste deutsche Soldat, der bei einer VNMission den Tod fand.
Der erfolgreiche humanitäre deutsche
Einsatz in Kambodscha rückte durch
das fast gleichzeitige deutsche Engagement in Somalia in der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit etwas in den
Hintergrund. Er fiel in eine Zeit heftiger und kontroverser Diskussionen
in Deutschland über den Sinn und
das Ausmaß deutscher Beteiligung an
internationaler Friedenswahrung und
Friedensschaffung.1994 leitete die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes hierzu ein neues Kapitel ein.
Über der raschen Folge von internationalen Aufgaben der Bundeswehr seither sollte
5
Im Feldhospital in Phnom Penh untersucht
Dr. Altherr, MdB, als Oberstabsarzt d.R. einen
Kambodschaner
SKA/IMZ / Foto: Detmar Modes
5
Das von deutschen Sanitätssoldaten betriebene Hospital in Phnom Penh
BMVg / Foto: Detmar Modes
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2003
31
NEUE PUBLI K AT I O N E N
des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes
E
rstmals werden ostdeutsche
Generale und Admirale, die
aufgrund ihrer herausgehobenen
Position die Kasernierte Volkspolizei
und die Nationale Volksarmee zwischen
1949 und 1990 nachhaltig geprägt
haben, in ausführlichen Porträts vorgestellt. Anhand neuester Forschungsergebnisse können die unterschiedlichen Wege dieser Männer in die
Streitkräfte, ihre politischen Überzeugungen, ihr Führungsverhalten, ihre
militärischen Leistungen, aber auch ihr
Arrangement mit der SED-Diktatur
sowie ihre persönlichen Konflikte und
Brüche aufgezeigt werden.
Genosse General!
Die Militärelite der DDR in biografischen Skizzen.
Im Auftrag des
Militärgeschichtlichen Forschungsamtes
Dabei geht es nicht nur um die
individuellen Lebensläufe, sondern
auch um das Milieu, in dem die
»sozialistischen Militärkader« lebten,
wodurch Einblicke in bisher wenig
bekannte Bereiche der Militärgeschichte der DDR möglich werden.
herausgegeben von
Hans Ehlert und Armin Wagner
Berlin: Ch. Links Verlag 2003, VIII, 632 S.
(= Militärgeschichte der DDR, 7)
ISBN: 3-86153-312-X
29,90
Mit Beiträgen zu Rudolf Bamler, Bernhard Bechler,
Friedrich Dickel, Rudolf Dölling, Wilhelm Ehm, Heinz
Hoffmann, Theodor Hoffmann, Heinz Keßler, Arno von
Lenski, Vincenz Müller, Erich Peter, Fritz Peter, Wolfgang
Reinhold, Horst Stechbarth, Fritz Streletz, Willi Stoph,
Waldemar Verner, Kurt Wagner, Heinz Bernhard Zorn
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