Wirtschaftsordnungen aus einer ethischen

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Hochschule für Philosophie München
Institut für Gesellschaftspolitik
Prof. Johannes Müller S.J.
Hauptseminar:
Ordo- vs. Neoliberalismus: Zu den
geistigen Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft
im SS 2006
bei DDr. Johannes Wallacher
Wirtschaftsordnungen
aus einer ethischen Betrachtung
Eingereicht von:
Johannes Grössl (FS 2)
am 15.09.2006
Johannes Grössl – Rambergstr. 6 – 80799 München – 089 / 38 39 49 32 – [email protected]
Gliederung
1. Ordnung und Ethik ……………………………………………………. 1
2. Kosmos und Taxis …………………………………………………….. 2
3. Reines Taxis-Denken: Planwirtschaft und Kommunismus …………… 3
4. Reines Kosmos-Denken: Natürliche Evolution ………………………. 4
5. Das Wesen der spontanen Ordnung …………………………………… 6
6. Grundsätze der Wirtschaftspolitik …………………………………….. 8
7. Eine soziale Gestaltung der globalen Rahmenordnung ………………... 9
8. Marktkonforme Eingriffe ………………………………………………. 12
9. Ethischer Konsum als Grundlage eines ethischen Marktes …………….. 13
Literaturverzeichnis ………………………………………………………... 16
1
1. Ordnung und Ethik
Will man wirtschaftliche Ordnungstheorien diskutieren, muss man sich zuerst darauf
einigen, was für eine Art von Ordnung angestrebt werden soll. Selbst wenn ein Vertreter eines
strikten Kosmos-Denkens davon ausgeht, eine globale Wirtschaftsordnung entstehe spontan,
sofern man sich mit politischen Eingriffen weitgehend zurückhält, muss dieser Kriterien
angeben, wie man eine geordnete Welt oder Gesellschaft von einer ungeordneten
unterscheiden kann. Mit der Frage, was für eine Art von Ordnung angestrebt werden soll, ist
schon vor Beginn einer wirtschaftlichen Erörterung eine philosophische Grundentscheidung
zu treffen. Nach Walter Eucken besteht das Ziel aller Wirtschaftsprozesse in der
„Überwindung der individuellen Knappheit“1; die zu erstrebende Ordnung bezeichnet er als
eine, „die dem Wesen des Menschen und der Sache entspricht“2; sie solle „funktionsfähig und
menschenwürdig sein“3. Der Begriff ‚sollen‘ ist ein Begriff der Ethik; über Pflichten jedoch
gibt es in einer Welt mit unterschiedlichen Kulturen und pluralen Wertvorstellungen große
Meinungsverschiedenheiten. Johannes Müller fordert deshalb von einem moralischen
Standpunkt als „tragfähige[r] Begründung einer Ethik der Wirtschaft“, dass dieser „möglichst
universal und interkulturell vermittelbar ist“4. Erfahrungen, vor allem solche, die allen
Menschen gemeinsam sind, sind viel besser vermittelbar als abstrakte ethische Konzepte und
setzen außerdem keine metaphysischen Vorentscheidungen (wie z.B. die Existenz einer
menschlichen Seele) voraus; damit erfüllen sie diese Voraussetzungen. Die Erfahrung von
Leid und Ungerechtigkeit führt in Verbindung mit der menschliche Fähigkeit, sich in die Lage
der Mitmenschen zu versetzen (diese wird von Peter Ulrich als „kognitive Wurzel unserer
Moralität.“5 beschrieben), zu der kulturunabhängigen Pflicht, menschliche Leiderfahrungen
wie Hunger, Armut, Diskriminierung oder Unterdrückung zu verringern.
1
Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 100.
Ebd., 373.
3
Lenel, Walter Euckens »Grundlagen der Nationalökonomie«, 6.
4
Müller / Wallacher, Entwicklungsgerechte Weltwirtschaft, 109.
5
Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik, 45.
2
2
„Die Aufgabe wirtschaftlicher Ordnungspolitik bzw. Weltordnungspolitik ist es, den
Markt […] so zu steuern, dass er zum Nutzen aller wirksam werden kann.“6 Diese Arbeit
wurde mit dem Ziel geschrieben, die verschiedenen wirtschaftlichen Ordnungstheorien, vor
allem die Theorie der spontanen Ordnung (das Kosmos-Denken), von einem normativethischen Gesichtspunkt her zu beurteilen. Im 5. Kapitel wird erörtert, ob die Idee der
spontanen Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft mit dem Ziel einer gerechten
Weltordnung vereinbar ist und die ethischen Mindestforderungen, nämlich die Stillung der
Grundbedürfnisse und die Garantie der grundlegenden Rechte aller Menschen, erfüllen kann.
Im Anschluss wird eine öko-soziale Gestaltung der wirtschaftlichen Rahmenordnung
dargestellt, deren Grundlagen es sind, nur marktkonforme Eingriffe in die Wirtschaftsvorgänge zu gewähren und außerdem das sich in einem liberalen Markt schnell entwickelnde
„ethische Marktversagen“, das durch fehlende Informationen über die Folgen unethischen
Konsums ausgelöst wird, durch eine breite Aufklärung über diese Folgen zu überwinden.
2. Kosmos und Taxis
Aristoteles unterscheidet im 5. Buch seiner Nikomachischen Ethik die distributive
Gerechtigkeit (‚Soziale Gerechtigkeit‘) und die kommutative Gerechtigkeit des Tausches:
„Von der Gerechtigkeit im speziellen Sinn und dem in ihrem Sinne Gerechten findet sich die
eine Form bei der Verteilung von Ehre, Geld oder anderen Gütern, die unter den Mitgliedern
der Staatsgemeinschaft teilbar sind […]. Die andere Form betrifft den Ausgleich in
Transaktionen zwischen Menschen. Diese hat wiederum zwei Teile. Von den Transaktionen
sind nämlich die einen gewollt, die anderen gegen das eigene Wollen. Gewollt sind zum
Beispiel Kauf, Verkauf, Darlehen, Bürgschaft, Nutznießung, Deposition, Miete (man
bezeichnet diese als gewollt, weil der Ursprung der Transaktionen im eigenen Wollen liegt).
Von den Transaktionen gegen das Wollen sind die einen heimlich, zum Beispiel Diebstahl,
Ehebruch, Giftmischerei, Kuppelei, Verführung von Sklaven, Meuchelmord, falsches
Zeugnis. Die anderen sind gewaltsam, zum Beispiel Misshandlung, Freiheitsberaubung,
Totschlag, Raub, Verstümmelung, Verleumdung, Beleidigung.“7
Aristoteles charakterisiert hier das Gerechtigkeitsverständnis einer „Taxis“ und das eines
„Kosmos“. Um Gerechtigkeit in der Gesellschaft zu garantieren, ist im Kosmos-Denken die
Aufgabe des Staates, den gerechten Verkehr der Einzelnen untereinander zu regeln: Jeder
Verkehr muss eine freiwilliger sein; unfreiwillige Transaktionen müssen vom Staat geahndet
6
7
Müller / Wallacher, Entwicklungsgerechte Weltwirtschaft, 109.
Aristoteles, Nikomachische Ethik, V.5.5, 1130f (Wolf, 166).
3
und bestraft werden. Die Taxis (altgr. Reihenfolge, gute Ordnung; abgeleitet von ta,ssw,
altgr. anordnen, unterordnen) ist die Gerechtigkeit der Zuteilung von öffentlichen Gütern.
Dieser Begriff wurde auf jede Art von Einmischung des Staates in wirtschaftliche Vorgänge
ausgeweitet. Das Ideal einer Taxis ist die Gemeinsamkeit der Ziele8; Es wird versucht, eine
Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu konstruieren, die im Plan der Konstrukteure diese
Ziele am schnellsten erreichen kann.
3. Reines Taxis-Denken: Planwirtschaft und Kommunismus
Die Idee einer konstruierten Gesellschaft ist kein Produkt des 19. und 20.
Jahrhunderts. Schon Platon war der erste Vertreter eines strikten Taxis-Denkens, in seinem
Werk „Politeia“ entwirft er einen totalitären Idealstaat, der aristokratisch von eigentumslosen,
zölibatär lebenden Philosophenkönigen regiert wird; nach der Kritik Karl Poppers spricht sich
Platon klar für Selektion und Kommunismus aus9; das Ideal der Chancengleichheit wird „bis
zu einem eugenischen Zuchtstaat durchgeführt“10. Die Ursprünge des Kommunismus finden
sich auch in jüdischer Tradition: Die Forderung, das Land müsse regelmäßig so umverteilt
werden, dass jeder Bauer sein Auskommen findet, ist in der Bibel im Buch Levitikus
aufzufinden, dem dritten Buch des Pentateuchs.11
Das kommunistische Manifest von 1848 ist die Grundlage des modernen
Kommunismus, der sich als Gegensatz und notwendige Folge des Kapitalismus begreift. Karl
Marx kritisiert am Kapitalismus des 19. Jahrhundert, dass Arbeiter nicht entsprechend der
durch sie erlangten Wertsteigerung entlohnt werden. Eine Klassengesellschaft entstehe;
Menschen würden durch die Profitgier der höheren Klassen ausgenutzt.12 Die Überwindung
dieser Klassengesellschaft und eine absolute distributive Gerechtigkeit ist das Ziel, besser
gesagt die Utopie, des Kommunismus. Alle Mittel, dieses Ziel zu erreichen, würden durch das
Ziel gerechtfertigt. Im letzten Abschnitt des Werks von Karl Marx heißt es:
„[Die Kommunisten] erklären es offen, daß ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den
gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnungen. Mögen die herrschenden Klassen
vor einer kommunistischen Revolution zittern. […] Proletarier aller Länder – vereinigt euch!“13
8
Habermann, Ordnungsdenken, 173.
Vgl. Popper, Der Zauber Platons, 82-88 sowie 126-168.
10
Habermann, Ordnungsdenken, 176.
11
Vgl. Lev 25, 23.
12
Vgl. Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 45, sowie das Werk Das Kapital von Karl Marx.
13
Marx / Engels, Manifest, IV. Kapitel.
9
4
Obwohl dies nicht im Sinne von Marx war, verlangt nicht nur die Errichtung sondern auch die
Aufrechterhaltung eines kommunistischen Staates die Beschränkung vieler Freiheitsrechte
und damit die Verursachung von menschlichem Leid. Des Weiteren führt ein System, in dem
jeder Arbeiter unabhängig von seiner Leistung denselben Lohn erhält, zu einem
Leistungsabfall. Durch diese niedrigere Gesamteffizienz wird es immer schwieriger, die
Grundbedürfnisse aller Menschen zu decken.
Viele kommunistische Versuche in der Vergangenheit bestätigten die Auffassung, dass
das System des Kommunismus sowohl weniger effizient als auch menschenunwürdiger als
andere Systeme ist. Die hohen Ideale, die man den geistigen Vätern des Kommunismus
durchaus zusprechen kann, lassen sich praktisch nicht umsetzen.
Warum die Planung einer Gesellschaft nicht funktionieren kann und warum ein
System mit einer freien Marktwirtschaft viel effizienter ist, lässt sich gut aus den Arbeiten
Friedrich August von Hayeks herauslesen. Der Vertreter der Österreichischen Schule der
Nationalökonomie erhielt 1972 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften.
4. Reines Kosmos-Denken: Natürliche Evolution
Die Kernthese F.A. von Hayeks besteht in der Annahme, dass eine Ordnungspolitik
durch Eingreifen in die Wirtschaftsvorgänge unmöglich ist, da der Staat sich dabei ein Wissen
anmaßt, welches er nie besitzen kann. Hayek spricht von der „Grundtatsache der
unvermeidlichen Unkenntnis des Menschen von einem Großteil dessen, worauf das
Funktionieren einer Zivilisation beruht.“14 Der Staat soll aber nicht nur ein Eingreifen in die
Wirtschaftsvorgänge unterlassen, auch soll er den Ordnungsrahmen nicht konstruktivistisch
gestalten. Dies beinhaltet eine totale Ablehnung jeder Taxis, jedes sozialistischen
Planungsgedankens. Die Grundaufgabe des liberalen Staates ist folglich, einen freien
Wettbewerb zu garantieren und Monopole zu unterbinden; der Staat muss ein starker Staat
sein – nicht durch eine möglichst hohe Staatsquote wie in Deutschland, aber er muss stark
genug sein, um sämtliche Privilegien suchende Gruppen abwehren zu können.15 Des Weiteren
ist ein geringes Maß an Ordnungspolitik erlaubt, jedoch nur in dem Umfang, wie dieses
Monopole verhindern und Privilegienfreiheit garantieren kann16: Jedes Unternehmen soll die
gleichen Chancen bekommen, am Markt teilzunehmen; keine Gruppe darf vom Staat
14
Hayek, Die Verfassung der Freiheit, 30.
„Der Kern der liberalen Position ist die Ablehnung jegliches Privilegs.“ in: Hayek, The Road to Serfdom, ix f.
Vgl. dazu auch Mises, Liberalismus, 599f, sowie Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 334-336.
16
Vgl. Vanberg, Friedrich A. Hayek, 15.
15
5
begünstigt werden.17 Dadurch wird der freie Wettbewerb garantiert und die Grundlage für
eine spontane Entwicklung der Gesellschaftsordnung gesetzt. Eine solche spontane Ordnung
der Gesellschaft nützt das auf Millionen Menschen verteilte Wissen und fordert Eigenverantwortung – somit ist sie um ein Vielfaches effizienter als alle anderen Systeme.18
Aus ethischer Sicht – so kann man nun einwenden – ist nicht Effizienz das alleinige
Ziel aller wirtschaftlichen Vorgänge, sondern immer eine Kombination aus Effizienz und
sittlich Gutem.19 Hierbei spielen die Würde des Menschen und Verteilungsgerechtigkeit eine
große Rolle. Laut John Gray ist die Ansicht des späteren Hayek jedoch, dass Recht und Moral
Teil der Naturgeschichte der Menschheit sind.20 Hayek überträgt das Prinzip der spontanen
Ordnung und des Wettbewerbs als Entdeckungsverfahren auch auf die Gestaltung des
Regelrahmens.21 Dieser Regelrahmen entwickle sich durch natürliche Evolution und lasse
sich nicht nach ethischen Maßstäben beurteilen, da diese Maßstäbe ebenso ein Produkt der
kulturellen Evolution seien. Im Kosmos-Denken ist also jede Form der Sozialethik subjektiv.
Der kulturellen Evolution müsse man freien Lauf lassen. Da die Schwächeren jedoch meist
die weniger Effizienten und weniger Durchsetzungsfähigen sind, gehen sie als Verlierer aus
dem Wettbewerb hervor.
Lässt sich die angestrebte Privilegienfreiheit denn überhaupt erreichen? Wenn man nur
den Aspekt sieht, dass keine Gruppe vom Staat bevorzugt oder benachteiligt werden solle, ist
das – zumindest in der Theorie – machbar. Sowohl den Menschen als auch den einzelnen
Staaten in der Welt sind jedoch von Natur aus „Privilegien“ gewährt worden. Menschen
besitzen unterschiedliche Stärke, Intelligenz und Begabungen; viele Krankheiten oder
Schicksalsschläge sind nicht selbst verantwortet.22 Die Menge an Rohstoffvorkommen oder
das Klima eines Landes sind Faktoren, die die wirtschaftliche Stärke bzw. die
Ausgangsbedingung zu deren Entwicklung stark bestimmen, auf die wir jedoch keinen oder
kaum Einfluss nehmen können. Der Weg zu einer echten Privilegienfreiheit kann deshalb nur
mit Hilfe wirtschaftlicher Umverteilung begangen werden kann. Doch wird Privilegienfreiheit
m. E. im Paläoliberalismus nicht als Ziel, sondern als Effizienz steigerndes Mittel betrachtet;
sobald der Punkt der maximalen Effizienz erreicht wurde, wird eine Weiterentwicklung zu
einer echten Chancengleichheit nicht mehr in Erwägung gezogen.
17
Vgl. ebd., 13.
Vgl. dazu Hayek, Die Verfassung der Freiheit, 39.
19
„In die Frage nach der Legitimation eines Wirtschaftssystems müssen die Kriterien der Effizienz und des
sittlich Guten gemeinsam eingehen.“, in: Koslowski, Wirtschaftsethik, 98.
20
Vgl. Gray, Freiheit im Denken Hayeks, 71.
21
Vgl. Vanberg, Friedrich A. Hayek, 8f.
22
Vgl. z.B. Singer, Praktische Ethik, Kapitel 3: Gleichheit und ihre Implikationen, 33-81.
18
6
5. Das Wesen der spontanen Ordnung
Nach der schottischen Schule muss eine natürliche Ordnung „nicht mit egalisierendem
Staatszwang erst herbeigeführt werden, sie ist […] bereits latent da – nur vielfach behindert
und verdeckt durch ‚falsche Gesetze‘“23. Das Bild der unsichtbaren Hand vermittelt eine
falsche Vorstellung der Idee der spontanen Ordnung: Es ist kein übermächtiges Wesen, das in
der paläoliberalen Vorstellung die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Vorgänge
koordiniert und ordnet. Eine Ordnung von der Art, wie sie angestrebt werden solle, sei bereits
in der „seelischen Natur des Menschen“24 vorhanden. Im spontanen Zusammenwirken der
Menschen würden diese Seelenordnungen – falls sie nicht durch konstruierte Institutionen und
Regelwerke behindert werden – sich zu einer gesellschaftlichen Ordnung zusammenfügen.
Diese „naturpsychische Ordnung“ (Edgar Salin)25 ist auch ein Grundgedanke der chinesischen
Philosophie: „Eine harmonische Gesellschaft, das ist eine wohlkoordinierte, beginnt nach
Konfuzius mit der Ordnung des eigenen Selbst, und von da an politisch hoch bis zur Ordnung
des Staates“26.
Hiermit sollte aufgezeigt werden, dass die Idee der spontanen Ordnung eine stark
metaphysikbehaftete Theorie ist. (Alexander Rüstow bezeichnet die metaphysischen
Grundlagen des Paläoliberalismus als „deistisch-stoische Theologie der prästabilierten
Harmonie“27) Unterzieht man diese Theorie einer ethischen Kritik, könnte sich diese recht gut
behaupten – jedoch nur, wenn sie als Prämisse voraussetzt, dass das ethisch richtige Handeln
ein Teil der seelischen Natur des einzelnen Menschen ist.
Prämisse 1:
Die seelische Natur des Menschen ist eine ethische.
Prämisse 2:
Die Ordnung der seelischen Natur überträgt sich auf die Ordnung der Gesellschaft,
sofern es keine künstlich geschaffenen Institutionen oder Regelwerke gibt, die dies
behindern.
Prämisse 3:
Nur Institutionen oder Regelwerke hindern den Menschen daran, nach seiner
seelischen Natur zu leben.
Konklusion:
Ohne geschaffene Institutionen und Regelwerke entsteht eine ethische Ordnung
der Gesellschaft.
In diesem Argument ist das Adjektiv ‚ethisch‘ normativ verwendet: Es verweist auf das
Moralprinzip der „allgemeinen normativen Logik der Zwischenmenschlichkeit“28, wie es
23
Habermann, Ordnungsdenken, 182.
Ebd.
25
Ebd.
26
Ebd., 171.
27
Rüstow, Paläoliberalismus, Kommunismus und Neoliberalismus, 70;
vgl. dazu auch Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik, 168-176.
28
Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik, 44.
24
7
etwa Peter Ulrich entfaltet.29 Ist jedoch Moral – wie von F.A. von Hayek vertreten –
ausschließlich ein Produkt eines evolutionären Vorgangs, existiert keine normative Ethik. So
ergibt sich ein logischer Widerspruch zu Prämisse 1: Gibt es keine normative Ethik, kann
auch der seelischen Natur des Menschen keine ethische Ordnung zugrunde liegen. Des
Weiteren lässt sich Prämisse 3 scharf angreifen: Trifft man eine metaphysische Vorentscheidung zugunsten eines freien Willens, ist jedem Menschen selbst die Wahl überlassen, ob
er ethisch handeln will oder nicht. Freie Entscheidungen können nicht ausschließlich von
äußeren Gegebenheiten, wie z.B. der Existenz von Institutionen abhängen.
Nun wurde ansatzweise aufgezeigt, dass eine normative Ethik mit einer spontanen
Ordnungstheorie unvereinbar ist. Lässt sich ein neues Argument finden, welches von der
ethischen Natur der menschlichen Seele zu einer Aussage über die Ordnung der Gesellschaft
hinführt?
Prämisse 1:
Die seelische Natur des Menschen ist eine ethische.
Prämisse 2a:
Die ethischen Handlungen oder Unterlassungen der einzelnen Menschen
übertragen sich auf die ethische Ordnung der Gesellschaft, sofern es keine künstlich
geschaffenen Institutionen oder Regelwerke gibt, die dies behindern.
Prämisse 2b:
Jeder Mensch hat die freie Wahl nach seiner seelischen Natur zu leben, sofern er diese
ergründet hat.
Prämisse 3:
Die meisten Menschen würden, wenn sie sich ihrer seelischen Natur bewusst wären
und keine Institution oder Regelwerke sie daran hinderten, sich zum größten Teil für
ethische Handlungen entscheiden.
Prämisse 4:
Eine ethische Ordnung der Gesellschaft lässt sich nicht konstruieren (da jede
Umsetzung von gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Planung Freiheitsrechte
einschränken und ein nicht vorhandenes Wissen voraussetzen würde)
Prämisse 5:
Die Stillung aller Grundbedürfnisse, Bildung und eine menschenwürdige Behandlung
(inkl. aller Freiheitsrechte) ist die beste Möglichkeit, die Menschen beim Ergründen
ihrer seelischen Natur zu unterstützen.
Konklusion:
Die Stillung aller Grundbedürfnisse, Bildung und eine menschenwürdige
Behandlung ist der beste Weg, damit Menschen nach ihrer ethischen Natur
handeln und sich diese natürliche Ordnung der Seele auf die Gesellschaft
überträgt (sofern keine Institutionen diesen Vorgang behindern).
Damit die Grundbedürfnisse aller Menschen gestillt werden und alle Menschen Bildung und
Freiheit genießen, ist jedoch zuerst eine ethische Ordnung der Gesellschaft notwendig. Diese
lässt sich – soll sich der Staat heraushalten – nur erreichen, wenn die Grundbedürfnisse aller
gestillt werden und alle Menschen Bildung und Freiheit genießen. An diesem circulus vitiosus
29
Vgl. ebd., 44-49
8
erkennt man, dass die Utopie, allein durch das Heraushalten des Staates aus allen
wirtschaftlichen Vorgängen würde es allen Menschen gut gehen, nicht haltbar ist.
Trotz allem lassen sich aus dem Denken Hayeks folgende Erkenntnisse gewinnen:
1) Die Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb ist das effizienteste (wenn auch nicht
ethischste) Wirtschaftssystem. 2) Jeder Versuch, die Wirtschaft und Gesellschaft
konstruktivistisch umzugestalten, wäre eine Anmaßung von Wissen und ist somit zum
Scheitern verurteilt. 3) Da wir die Regelwerke im Ordnungsrahmen nicht neu erfinden
können, müssen „wir uns auf die Steuerungsleistung allgemeiner Regeln verlassen, die sich in
der Vergangenheit bewährt haben“30. 4) Die Gesetzgebung ist sehr anfällig dafür, einigen
Gruppen Privilegien einzuräumen und dadurch den Wettbewerb zu behindern.
6. Grundsätze der Wirtschaftspolitik
Mittlerweile haben fast alle Ökonomen eingesehen, dass weder ein reine Taxis- noch
eine reine Kosmos- Gestaltung der Gesellschaft und Wirtschaft ethische Anforderungen
erfüllt. Walter Eucken erkennt in seinen „Gründsätzen der Wirtschaftspolitik“ (1952), dass die
individuellen
Wirtschaftsordnungen
der
einzelnen
Länder
Mischformen
der
Grundformen von Wirtschaftsplänen (Zentralverwaltungs- und Planwirtschaft) sind.
31
zwei
Trotz
der Verwerfung einer Dichotomie von Kosmos und Taxis besteht aber weitgehender Konsens,
dass beim Kriterium Effizienz, das auch eine große Auswirkung auf die soziale Gerechtigkeit
hat (Wenn nichts oder wenig da ist, ist eine gerechte Verteilung kaum von Nutzen.), die freie
Marktwirtschaft – also das Kosmos-Denken – ganz klar im Vorteil ist: Ein freier Markt ist das
effizienteste Mittel, um Wohlstand (für die breite Masse?) zu schaffen. So bezeichnet
Alexander Rüstow bei der Rechtfertigung der Marktwirtschaft „die Steigerung der
Produktivität [als] eine überwirtschaftliche Forderung, eine soziale Forderung, eine ethische
Forderung“32. Da eine freie Marktwirtschaft das „produktivste Wirtschaftssystem“33 darstellt,
müsse mit direkten Eingriffen in den Markt strengste Zurückhaltung geübt werden; der Staat
dürfe nur in einer marktkonformen Weise, und zwar durch die Gestaltung des Marktrandes
(d.h. des Marktrahmens), in die Wirtschaft eingreifen.34 Damit spricht man sich auch (wie von
Hayek das sehr deutlich tat) gegen die Theorie des Keynesianismus und dessen antizyklische
Finanzpolitik zur Aufrechterhaltung der Gesamtnachfrage aus.
30
Vanberg, F.A. Hayek und die Freiburger Schule, 7.
Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 19-25.
32
Rüstow, Wirtschaft als Dienerin der Menschlichkeit, 10.
33
Ebd., 9.
34
Vgl. Rüstow, Paläoliberalismus, Kommunismus und Neoliberalismus, 68.
31
9
Die Grundlagen, auf die sich alle liberalen Schulen einigen können, sind Walter
Euckens Grundsätze der Wirtschaftspolitik: 1) „Die Politik des Staates sollte darauf gerichtet
sein, wirtschaftliche Machtgruppen aufzulösen oder ihre Funktionen zu begrenzen.“35 2) „Die
wirtschaftliche Tätigkeit des Staates sollte auf die Gestaltung der Ordnungsformen der
Wirtschaft gerichtet sein, nicht auf die Lenkung des Wirtschaftsprozesses.“36 Uneinigkeit
besteht jedoch in der Frage der Gestaltung dieser Rahmenordnung, wenn man diese aus einer
außer- bzw. überwirtschaftlichen Perspektive, z.B. aus einer anthropologischen oder ethischen
betrachtet und dabei das Kriterium maximaler Effizienz nicht das alleinige Kriterium bleibt.
Idealtypisch kann man den Ordoliberalismus von anderen Ausprägungen des
Neoliberalismus dadurch unterscheiden, dass bei ihm die Wirtschaft für den Menschen, in den
anderen der Mensch für die Wirtschaft da ist; nach diesen Kriterien soll jeweils die
Rahmenordnung der Wirtschaftsvorgänge gestaltet werden. Die Formen des Neoliberalismus,
die
den
Menschen
als
reinen
Wirtschaftsmenschen
betrachten
und
eine
totale
Marktgesellschaft propagieren, sind (obwohl diese die Wirtschaftordnung als gesellschaftliche
Konstruktion und nicht als Produkt einer natürlichen Evolution sieht) aus ethischer
Perspektive ähnlich wie der Paläoliberalismus zu kritisieren: Das Ziel der wirtschaftlichen
Entwicklung besteht in diesen Theorien ausschließlich in der Effizienzsteigerung. Eine
gerechte Verteilung des Reichtums und eine Annäherung der Chancengleichheit aller
Menschen wird der Markt von selbst nie erreichen.
7. Eine soziale Gestaltung der globalen Rahmenordnung
Es ist ein großer Spagat, den die ordoliberalen Schulen zu machen versuchen: Wie
lässt sich der Markt nach ethischen Kriterien umgestalten, ohne dabei in den Markt
einzugreifen, was zu einer Senkung der Produktivität führen und damit den ethischen Zielen
entgegenlaufen würde ?
Wilhelm Röpke beschreibt den Grundgedanken wie folgt: „Die Marktwirtschaft ist
nicht alles. Sie muß in eine höhere Gesamtordnung eingebettet werden, die nicht auf Angebot
und Nachfrage, freien Preisen und Wettbewerb beruhen kann“.37 Im kommunitarischen Flügel
des Ordoliberalismus ist das Gestaltungskriterium der Rahmenordnung die Lebensdienlichkeit. Alexander Rüstow stellt den Begriff der Vitalpolitik auf, die „auf eine anthropologische
35
Vgl. Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 334.
Ebd., 336.
37
Röpke, Jenseits von Angebot und Nachfrage, 21 und 23.
36
10
Fundierung der Sozialpolitik hinausläuft“38. Der Staat müsse in einer marktkonformen39
Weise, und zwar durch die Gestaltung des Marktrandes (d.h. des Marktrahmens), in die
Wirtschaft eingreifen, und zwar mit der Zielsetzung, die ‚vita humana‘, d.h. das
menschenwürdige Leben zu fördern40.
In der heutigen Zeit ist es jedoch für den einzelnen Nationalstaat nicht oder kaum
mehr möglich, den Marktrand zu gestalten. Nationale Märkte existieren praktisch nicht mehr:
Waren und Dienstleistungen können heutzutage global angeboten und nachgefragt werden;
Geld lässt sich in Sekundenschnelle über den ganzen Erdkreis hinweg transferieren. Der
„Prozess zunehmender Entfesselung und Entgrenzung unter völlig inadäquaten weltweiten
Rahmenbedingungen“41 führte in den letzten Jahrzehnten zunehmend zu einem Verlust des
Primats der Politik. Franz-Josef Radermacher charakterisiert den Globalisierungsprozess wie
folgt:
„[Der
Globalisierungsprozess
läuft]
wegen
fehlender
internationaler
Standards
und
Regulierungsmöglichkeiten und der daraus resultierenden Fehlorientierung des Weltmarktes dem
Ziel einer nachhaltigen Entwicklung, also dem Schutz des Sozialen, der Förderung von Fairness
und Ausgleich zwischen den Kulturen und vor allem der globalen ökologischen Stabilität
entgegen.“42
Um Rahmenbedingungen für eine globale ethische (öko-soziale) Marktwirtschaft setzen zu
können, bedarf es globaler Institution, die Rahmenbedingungen für den gesamten Markt
setzen können. Existierende Institutionen wie die WTO, der IWF oder die Weltbank sind
„zwar international, aber nicht kosmopolitisch“43, d.h. „sie gründen auf Interessenabsprachen
zwischen Nationalstaaten und ihren Repräsentanten […] In solchen Metainstitutionen bilden
nicht die Bürger den Souverän, sondern die Staaten“44 Überspitzt könnte man die heutigen
politischen wie wirtschaftlichen globalen Institutionen in Anlehnung an Max Stirner als
Vereine der Egoisten bezeichnen.
38
Rüstow, Paläoliberalismus, Kommunismus und Neoliberalismus, 68.
39
Nach ihrer Wirkung auf den Markt unterschied Adam Smith zwischen marktkonformen und marktinkonformen Interventionen, d.h. solche die den Marktmechanismus ganz oder teilweise ausschalten. Zu den
marktkonformen Eingriffen gehören nach Smith Subventionen und Steuererhöhungen oder –senkungen,
insbesondere bei der Mehrwertsteuer, da bei einem solchen Eingriff das Angebot-Nachfrage-Verhältnis
weiterhin den Preis bestimmen kann. Mindest-, Höchst- oder Festpreise für Waren oder den Faktor Arbeit sind
jedoch marktinkonform, setzen also den Preismechanismus außer Kraft und bedürfen meist noch weiter
reichender Folgeinterventionen. (Vgl. Wagner, Rolf, Arbeitsblätter zum Leitfaden VWL: Marktinterventionen;
http://www.wagner-berlin.de/pdf/am8.pdf, 14.9.06)
40
Vgl. Rüstow, Paläoliberalismus, Kommunismus und Neoliberalismus, 68.
Radermacher, Der Wirtschaftstandort Deutschland, 2.
42
Ebd.
43
Cobbers, Die Globalisierung der Finanzmärkte, 148.
44
Bohmann, Die Öffentlichkeit des Weltbürgers, 108.
41
11
Schon auf der Konferenz von Bretton Woods, wo im Jahr 1944 die Grundstruktur
eines globalen Finanzsystems mitsamt seiner Organisationen IWF und Weltbank
ausgearbeitet wurde, diskutierten die beteiligten 44 Staaten über mehrere Gestaltungsvorschläge zum internationalen Finanzsystem; die meisten dieser Vorschläge sind jedoch nie
über den Diskursstatus hinausgekommen.45 Neben einer internationalen Kreditversicherungsanstalt46 und einem internationalen Konkursgerichtshof47 wurde auch eine internationale
Finanzregulierungsbehörde48 in Betracht gezogen.
Der amerikanische Ökonom James Tobin entwickelte in den 70er Jahren „als Reaktion
auf den Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems der fixen Wechselkurse“49 die Idee der
Einführung einer globalen Devisentransaktionssteuer. Der strukturelle Grundgedanke Tobins
zielt darauf ab, es Investoren zu erschweren, „gegen die Währung zu spekulieren und so die
Gefahr einer Krise zu senken“50; Würde eine solche Steuer wie von Tobin vorgeschlagen
geringe 0,5% bemessen, würde dies hoch genug sein, um spekulative Transaktionen am
Devisenmarkt weniger attraktiv zu machen und damit die Finanzmärkte stabilisieren, sie
würde aber auch tief genug sein, um „nur vernachlässigbar geringe Störungen auf den
Gütermärkten“51 auszulösen. Der Ertrag von 200 Milliarden Dollar pro Monat52 müsste – um
eine sozialgerechte Umverteilung zu garantieren – für eine Förderung der weltweiten
Chancengleichheit ausgegeben werden, d.h. zuallererst zur Stillung der Grundbedürfnisse
aller Menschen, Sicherung des Friedens, stärkerer Umsetzung der Menschenrechte und
natürlich
auch
für
die
wirtschaftliche
Entwicklung
ärmerer
Länder.
Auch
die
Millenniumsziele der UN53 könnten mit diesen finanziellen Mitteln leicht erreicht und sogar
übertroffen werden.
Die Einnahmen-Seite einer möglichen öko-sozialen Marktwirtschaft ist mithilfe der
Tobinsteuer marktkonform, da diese – falls sie global und ohne Ausnahme erhoben wird –
den Marktmechanismus nicht behindert und niemandem Privilegien einräumt.54 Wie lassen
sich jedoch auf der Ausgaben-Seite all diese sozialen Ziele durch ausschließlich
marktkonformes Eingreifen erreichen?
45
Vgl. Cobbers, Die Globalisierung der Finanzmärkte, 146.
Vgl. ebd. 153.
47
Vgl. ebd. 151.
48
Vgl. ebd. 153.
49
Ebd. 158.
50
Ebd.
51
Ebd. 159.
52
Nach eigener Rechnung. Der tägliche Umsatz des Forex (Foreign Exchange Market) beträgt nach eigenen
Angaben 1,9 Billionen Dollar. Vgl. http://www.forex.com/history_forex.html (19.04.2006). Ausgegangen wird
von Steuereinzugskosten, die bei etwa 30% des Steueraufkommens liegen.
53
Vgl. http://www.un.org/millenniumgoals/
54
Vgl. dazu Fußnote 15 und 39.
46
12
8. Marktkonforme Eingriffe
Die Aufgaben des (Welt-)Staates lassen sich zusammenfassend in die drei Ebenen der
Sozialität aufteilen: Garantie des freien Wettbewerbs; Ordnungspolitik mit dem Ziel der
Chancengleichheit und der Wahrung der Menschenrechte; Umverteilung des Reichtums zum
Vorteil der durch physische (und historische) Faktoren Benachteiligten, wobei das vorrangige
Ziel sein muss, die physischen Mindestbedürfnisse aller Menschen zu befriedigen.
(Welt-)Staatliche Eingriffe in die Wirtschaft sind (wenn die Marktkonformität gewahrt
werden will) nur bei meritorischem Bedarf und bei Marktversagen erlaubt. Das meritorische
Gut bezeichnet ein Gut, welches einen großen ökonomischen Nutzen stiftet, aber nicht in
ausreichendem Maße nachgefragt wird, da der Nutzen entweder nicht in breiter Öffentlichkeit
bekannt ist oder sich erst in Zukunft auswirkt. Solche Güter sollten vom Staat subventioniert
werden; zu ihnen zählen z.B. eine gesetzliche Altersversicherung, Drogenprävention, die
Gurtpflicht beim Autofahren und der Umweltschutz. Ein Marktversagen kommt meist
dadurch zustande, dass die Voraussetzungen zur Herausbildung eines effizienten
Marktgleichgewichts nicht erfüllt werden. Wegen der Komplexität dieser Thematik soll hier
Marktversagen nur mithilfe des Saure-Gurken-Problems von G.A. Akerlof, einem Unterfall
des Versagens durch asymmetrische Information, beispielhaft dargestellt werden:
„[Im Gebrauchtwagenmarkt] kennen die Verkäufer als Eigentümer die Qualität ihres
Gebrauchtwagens genau. […] Für die Käufer ist es unmöglich, die Qualität eines einzelnen
Fahrzeugs genau zu beurteilen. Sie bewerten alle Fahrzeuge eines Fahrzeugtyps gleich und kennen
somit nur die durchschnittliche Qualität dieses Typs. Da vor Vertragsabschluss die eine Marktseite
besser über die Qualität des Produkts informiert ist, liegt eine Informationsasymmetrie vor. Ein
Informationsaustausch zwischen den Anbietern und den Nachfragern wird ausgeschlossen.
Aufgrund dieser Informationsasymmetrie werden alle Autos zunächst zu einem gleichen Preis
gehandelt, der die durchschnittliche Qualität widerspiegelt. Während auf der einen Seite die
Anbieter schlechter Qualitäten hiervon profitieren, wird auf der anderen Seite der Verkäufer eines
überdurchschnittlich guten Wagens keinen höheren Preis realisieren können, da der Käufer die
gute Qualität nicht erkennen kann. Dies bedeutet, dass Güter unterschiedlicher Qualität nicht mehr
zu unterschiedlichen Preisen gehandelt werden.
Die Zahlungsbereitschaft der Käufer in Höhe des nur durchschnittlichen Preises führt
dazu, dass Verkäufer guter Autos nicht mehr bereit sind, ihr Fahrzeug zu diesem aus ihrer Sicht zu
niedrigen Preis auf dem Markt anzubieten. Es werden folglich nur noch schlechte Autos, die
‚lemons‘ gehandelt, die guten werden aus dem Markt gedrängt. Dieses Phänomen wird adverse
selection (Negativauslese) genannt. […] [Dies führt letztlich dazu, dass] der Markt mithin
schrumpft oder sogar ganz zusammenbricht.“55
55
Borchert / Goos, Analysen von Märkten mit asymmetrischer Information, 5-6.
13
Der Fall des Marktversagens, der bei Gebrauchtwagen im Hinblick auf eine öko-soziale
Weltwirtschaft ziemlich unbedeutend erscheint, ergibt sich bei anderen Beispielen jedoch als
sehr ausschlaggebend: Die Nachfrage eines Produktes wird von den Konsumenten (meist
aufgrund mangelnder Informationen oder aber auch der Ignoranz, diese Informationen nicht
wahrhaben zu wollen) kaum mehr davon abhängig gemacht, wie das Produkt entstanden ist,
ob bei diesem Produktionsprozess Mensch oder Tier ausgebeutet wurde, was dieser
Produktionsprozess für Auswirkungen auf die Umwelt hat, wie groß der Ressourcenverbrauch
für dieses Produkt ist und welche Auswirkung dieses Produkt auf die Gesundheit des
Konsumenten hat.
Vom Argument dafür, dass Menschen, die der ethischen Natur ihrer Seele bewusst
sind, eine ethische Ordnung der Gesellschaft fordern (Seite 8), müssen die Prämissen 2a und 3
neu überdacht werden: Der freie Markt wird vorwiegend durch Konsum, d.h. das Angebot
wird vor allem durch die Nachfrage gesteuert; eine erhöhte Nachfrage von Produkten, die eine
ethische Ordnung der Welt fördern, führt zu einer verstärkt ethischen Ordnung der Welt; eine
erhöhte Nachfrage von Produkten, die eine ethische Ordnung der Welt fördern, setzt das
Wissen der Konsumenten um die ethische Qualität dieser Produkte voraus. Dies ist die
ethische
Variante
von
Marktversagen
durch
asymmetrische
Information.
Dieses
Marktversagen zeigt sich u. a. daran, dass der Anteil der Discounter in Deutschland am
Lebensmitteleinzelhandel bei über 30 Prozent (mit steigender Tendenz) liegt56 und Produkte
aus Fairem Handel immer noch Marktnischen darstellen.
9. Ethischer Konsum als Grundlage eines ethischen Marktes
Da Verbraucher nicht bei jedem Einkauf alle ausschlaggebenden Informationen über
ein Produkt in Erfahrung bringen können, müssen einerseits international ethische
Mindeststandards für die Herstellungsbedingungen von Gütern festgelegt werden (z.B. Verbot
von Kinderarbeit, Verbote von gesundheitsgefährdenden Stoffen in Lebensmitteln57 oder
Genussmitteln, bzw. das Versehen der Produkte mit entsprechenden Warnhinweisen, wie dies
bei Tabak in der EU mittlerweile umgesetzt wurde), andererseits müssen den Verbrauchern
mehr Informationen über alle Produkte besser zugänglich gemacht werden. „Letztlich geht es
56
Vgl. Wöldecke, Lebensmitteleinzelhandel, 87. (Der Anteil von über 30 Prozent ist auf das Jahr 1999 datiert.
Mittlerweile müsste der Anteil der Discounter am Lebensmitteleinzelhandel schon bei 40-50% liegen.)
57
Die verbreitete Meinung ist, dass alle die Gesundheit gefährdenden Stoffe in normalen Lebensmitteln verboten
sind. Das ist ganz und gar nicht der Fall. Z.B. werden die meisten abgepackten Wurst- und Käsewaren mit
Nitraten (Nitritpökelsalz) länger haltbar gemacht. Nitrate sind in mittleren Mengen, die bei täglichem
Wurstkonsum jedoch leicht erreicht werden können, nachweislich krebserregend.
14
darum, die Konsumentensouveränität, die die ökonomische Theorie einfach als gegeben
voraussetzt, durch geeignete institutionelle Rahmenbedingungen und Unterstützungsformen
zu fördern und für reflektierende Konsumenten real lebbar zu machen.“58 Dies gelingt durch
Konsumenteninformationen, Konsumentenberatung und durch „das öffentliche Engagement
für die politische Realisierung einer fortschrittlichen Gesetzgebung im Bereich des
Konsumentenschutzes“59.
Die
Kennzeichnungspflicht
von
gentechnisch
veränderten
Produkten, die Stiftung Warentest oder das Biosiegel sind erste Schritte auf diesem Weg.
Wie kann ein Produkt mehr oder weniger ethisch sein? Dies kann man neben den
Herstellungsbedingungen vor allem mit dem Ressourcenaufwand zur Herstellung einschätzen;
mögliche Kriterien sind Flächennutzung, Energieverbrauch oder Wasserverbrauch. Wilhelm
Röpke erwartet von einer sozialen Weltordnung dass sie „die natürlichen Reichtümer der Erde
jedem Lande [und durch anschließende gerechte Verteilung in den einzelnen Ländern auch
jedem Menschen] zu gleichen Bedingungen zugänglich macht“60. Im Moment stehen im
weltweiten Durchschnitt für jeden Menschen 325 kg Getreide pro Jahr zur Verfügung (bei
einer durchschnittlichen zur Kultivierung nutzbaren Fläche von 2.700 m² pro Kopf der
Weltbevölkerung).61 Ein durchschnittlicher Österreicher verbraucht etwa 560 kg Getreide pro
Jahr, ein durchschnittlicher Nordamerikaner sogar um die 900 kg, wobei davon über zwei
Drittel an Vieh verfüttert wird; sie verbrauchen also 70% respektive 175% zu viel.62 Würden
alle Menschen diese Menge an Getreide (direkt und indirekt) verbrauchen, könnten mit der
weltweiten Getreidemenge nicht mehr als 3,8 bzw. 2,4 der 6,6 Milliarden Menschen ernährt
werden.63 Aus einer verteilungsgerechten Sichtweise ist es also nicht das einzelne Produkt
(oder der einzelne Schwimmbadbesuch oder die einzelne Autofahrt), das ethisch oder
unethisch ist, sondern der Gesamtverbrauch jeder einzelnen Person an Ressourcen.
Andererseits gibt es auch Einzelprodukte, bei denen der Konsum unethisch ist; das sind z.B.
Produkte aus Kinderarbeit oder unwürdigen Arbeitsbedingungen, Aktien von ökologisch
destruktiv agierenden Firmen, Pelze, gentechnisch veränderte Lebensmittel. Ethischer
Konsum beinhaltet also sowohl eine beschränkte Quantität als auch eine zureichende ethische
Qualität der Konsumgüter einer Person.
58
Ebd., 330.
Ebd.
60
Röpke, Civitas Humana, 177.
61
Vgl. Krämer, Entwicklungsland Deutschland, 107.
62
Vgl. ebd. sowie Singer, Praktische Ethik, 281.
59
63
Der UN-Sonderberichterstatter Jean Ziegler fasst diese Problematik etwas überspitzt auf der
Abschlusskundgebung der Friedensbewegung in Berlin am 21. Mai 2002 zusammen: „Die Weltlandwirtschaft
könnte heute ohne Probleme 12 Milliarden Menschen ernähren. […] Wer heute am Hunger stirbt, wird
ermordet.“ Peter Singer plädiert hingegen juristisch korrekter auf fahrlässige Tötung.
15
Da in einem freien Markt jedoch kein direkter Einfluss auf die gerechte Verteilung der
Ressourcen genommen werden darf (dies wären stark marktinkonforme Eingriffe), ist es
notwendig, dass weit reichend informatorische Eingriffe vorgenommen werden. Je mehr
Menschen sich der Problematik der gerechten Verteilung der Ressourcen und damit der
wirtschaftlichen Güter bewusst sind, desto mehr ändert sich das Konsumverhalten in eine
ethische Richtung (sofern sich die Menschen der ethischen Natur ihrer Seele bewusst sind,
also ethisch handeln wollen). Wie schon erwähnt, führt ein ethisches Konsumverhalten
verstärkt zu einer ethischen Ordnung der Weltwirtschaft, und zwar spontan, d.h. ohne
staatliche Eingriffe (vgl. S. 8).
Die Herausbildung eines ethischen Konsumverhaltens ist einerseits eine Sache der
schulischen Bildung, noch viel mehr aber eine Sache der Erziehung und der kulturellen
Prägung. Die Aufgabe des Staates zur Stärkung des ethischen Konsumverhaltens beinhaltet
also Eingriffe des Staates in das Bildungssystem und in die Erziehung.64
Zum Abschluss fasse ich die Grundgedanken dieser Arbeit in einer These zusammen,
die ich aus der Konklusion des 2. Argumentes (6. Kapitel) und aus den Gedanken dieses
Kapitels abgeleitet habe; sie zeigt nach meinem Erachten einen Weg zu einer ethischen
Ordnung der Weltwirtschaft:
Die Stillung aller Grundbedürfnisse, eine menschenwürdige Behandlung und Bildung, vor
allem im Bereich der ethischen Auswirkungen des Konsumverhaltens, führt verstärkt
dazu, dass Menschen nach ihrer ethischen Natur handeln. Daraus ergibt sich – sofern
keine Institutionen oder Regelwerke dies behindern – ein ethisches Konsumverhalten, aus
dem sich eine ethische Ordnung der Weltwirtschaft ergibt. So überträgt sich die natürlich
ethische Ordnung der Seele auf die Gesellschaft.
64
Dabei lässt sich eine Parallele zur Pflicht des Staates erkennen, politisch zu bilden und damit eine Demokratie
überhaupt zu ermöglichen; schon die Weimarer Verfassung bestimmte in Artikel 148, dass in allen Schulen
„staatsbürgerliche Gesinnung“ anzustreben sei. Vgl. Detjen, Die Demokratiekompetenz der Bürger, 11.
16
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