XVIII. Epilog - Geschichte einer Fiktion

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XVIII. Epilog - Geschichte einer Fiktion
Die mit großem illusionistischen Aufwand inszenierten Auftritte der Planetengötter in den Festaufführungen
der Renaissance stellen ohne Frage einen Höhepunkt in der Geschichte jener bildlichen Veranschaulichung
der astrologischen Himmelsmächte dar. Doch geschieht dies nur um den Preis des Fürstenlobes. Die
Regenten des Himmels verwandeln sich in Apologeten irdischer Herrschaft. Die Wirkung jener
Schauspielaufführungen hat aber wohl die allzu engen Grenzen dieser Rolle, die sie letztlich zu
Fürstendienern machte, mühelos hinter sich gelassen. Der visuelle Eindruck dieser lebenden Bilder dürfte
ungleich stärker gewesen sein, als es der oftmals eher dürre Gehalt der vorgetragenen Verse vermuten läßt.
Noch lange fahren die Planeten auf den von Baccio Baldini entworfenen Wagen über gemalte und
gezeichnete Himmel sowie durch die Köpfe der Menschen. Dennoch scheint ihre große Zeit vorüber zu sein.
Wenn auch ihre Präsenz gewissermaßen selbstverständlicher geworden ist, so werden sie - trotzdem oder
gerade deshalb - seltener gemalt. Die Mythologie verdrängt in immer stärkerem Maße die Astrologie aus den
profanen Bildprogrammen. Schon in der um 1470 entstandenen Ausmalung des Palazzo Schifanoia zu
Ferrara, die doch ganz dem Jahreskreislauf und dem Sterneneinfluß gewidmet ist, tauscht man die Planeten
gegen zwölf antike Gottheiten aus, die in dem neu entdeckten Lehrgedicht des Manilius den zwölf Monaten
zugeordnet sind. Es sind die Götter und nicht die Wandelsterne, die im Triumph in der oberen Bildzone
einherfahren und das irdische Geschehen dominieren. Um ihr Gefolge zusammernzustellen, schlug man
allerdings wieder in den Genealogie deorum gentilium des Giovanni Boccaccio nach. Aber die Astrologie
erklärt jetzt nicht mehr die antike Mythologie, sondern sie wird durch diese ersetzt. Für die Sterne bleibt
deshalb nurmehr der schmale mittlere Streifen, der bloß noch den Lauf der Sonne durch den Tierkreis zeigt.
Das bedeutendste aller Himmelsgestirne wird dabei durch eine Lichtscheibe wiedergegeben, die hinter den
naturalistisch gemalten Sternbildern aufscheint. Nur die fremdartigen Figuren der Dekane, welche die
Zodiakalzeichen begleiten und die Abu Ma'shar entnommen sind, lassen noch erkennen, daß der
Sterneneinfluß nicht allein die Jahreszeiten betrifft.1
Auch als zu Beginn des 16. Jahrhunderts in Rom Agostino Chigi von Baldassare Peruzzi sein persönliches
Geburtshoroskop in der Villa Farnesina, seinem Sommersitz, an die Decke eines zum Garten hin offenen
Saales malen läßt, zeigen diese Bilder vornehmlich die Mythen der Sternbilder und weniger die Sterne selbst.
Die Planeten treten als antike Gottheiten auf, bei denen kein Attribut mehr auf ihre astrologische Rolle
verweist. So gleicht dieses Fresko eher einem humanistisch verschlüsselten Rätselbild und es nimmt nicht
Wunder, daß es selbst Fritz Saxl nicht gelang, die Konstellation völlig richtig zu lesen.2 Im Barock tauchen
die Planeten in den himmlischen Apotheosen, die man in so zahlreichen Varianten freskierte, zwar zuweilen
auf, wie bei Tiepolo im Treppenhaus des Würzburger Schloßes, aber sie spielen keine Hauptrolle mehr. Die
Olympier sind den Fürsten des17..und 18. Jahrhunderts ungleich wichtiger als die Sternenmächte.
Die Regenten des Himmels aber waren für viele Jahrhunderte ausschließlich die sieben Planeten, die man für
höhere Wesen einer besonderen Art hielt. Sie waren die unbestrittenen Herrscher ihrer jeweiligen Sphären,
die als feste Schale die Erde umgaben, und sie steuerten nach göttlichen Vorgaben das irdische Geschehen
bis in alle Einzelheiten. In ihnen sah man die wahren Ordnungskräfte des Universums, deren geheimnisvolle
Bewegungen den Schlüssel bereit hielten für ein tieferes Verständnis der Welt.
Wir sind den zuweilen verschlungenen Bahnen dieser eigentümlichen Himmelsbewohner über gut 400 Jahre
gefolgt, von ihrem ersten großen Auftritt seit der Antike in den Bildern der Handschrift des spanischen
Mönches Oliva aus dem 11. Jahrhundert bis hin zu den Popularisierungen der Renaissance, als das Wissen
um ihre Bedeutung mit Hilfe gereimter Verse und eingängiger Graphiken zum Allgemeingut breiter
Schichten wird.
Es waren zunächst nur wenige gewesen, die jenen spannenden Aufbruch im 10. und 1 i. Jahrhundert
begannen. Die Mönche hielten damals lediglich Bruchstücke der antiken Oberlieferung in der Hand, die kein
zusammenhängendes Bild mehr ergaben. Getrieben von der Furcht, das Fest der Auferstehung des Herrn
aufgrund falscher Zeitbestimmung vielleicht einen Vollmond zu früh oder zu spät zu begehen, lernten sie
von den Arabern wieder, auf die Sterne zu schauen und deren Bewegungen zu messen. Daraus ergaben sich
neue Fragen. Die Kühnsten von ihnen wollten jetzt begreifen, wie das Weltgebäude konstruiert ist und auf
welche Weise das komplexe Zusammenspiel der vielfältigen Erscheinungen funktioniert. Auch das
verstanden sie als Dienst an Gottes Schöpfung und einen Weg zum Heil. Aber schon Wilhelm von Hirsau
kam um die Mitte des 11. Jahrhunderts in Konflikt mit seinem monastischen Gelübde, als die Himmelsbeobachtung ihm die Zeit für die vorgeschriebenen Gebete zu den kanonischen Stunden nahm. Rastlos und
von einem schier unbegrenzten Erkenntnisinteresse beseelt war die Tätigkeit der Mönche, welche im 12.
Jahrhundert die Grundlagentexte der Sternenwissenschaft aus dem Arabischen übersetzten. Hermann von
Carinthia und Robert Ketenensis arbeiteten an nichts Geringerem als daran, die Grundmauern für ein neues
Weltbild zu errichten, einen christlichen Glauben mit dem Fundament in der rationalen Welterkenntnis.
Bernardus Silvestris vermochte dies in einer literarischen Vision einzufangen, die über Jahrhunderte die
Phantasie der intellektuellen beflügeln sollte. Die Vorstellung vom Aufbau der Welt hatte wieder eine
konkrete Gestalt angenommen. Man machte sich ein Bild vom Kosmos und insbesondere von den Planeten,
die dort in den Höhen der Sphären unermüdich ihre Bahnen zogen - aber man malte sie noch nicht.
Wenn uns die Indizien nicht trügen, war es erst das spezielle Interesse eines Herrschers, das jene
Himmelsmächte in die Realität gemalter Bilder überführte. In der Person des Staufers Friedrich 11.
verbanden sich kaiserliches Repräsentationsbedürfnis mit wissenschaftlicher Neugier und der Kenntnis
antiker Bildhandschriften. Im Kontext seiner ambitionierten Hofhaltung sind offenbar die ersten Bilder der
Himmelsregenten geschaffen worden. Georgius Fendulus präsentierte die Planeten als Könige des Himmels
und gab damit einem Bildinteresse Gestalt, das schon in den literarischen Schilderungen des 12. Jahrhunderts
anklang. Es bedurfte aber offenbar eines besonderen Rahmens, wie ihn die Verbindung von Wissenschaft
und Repräsentation am staufischen Kaiserhof in Süditalien bereitstellte, um die Wandelsterne und ihre astrologischen Kräfte tatsächlich bildwürdig zu machen.
Im gleichen Ambiente und wahrscheinlich auf Anregung des Kaisers legte Michael Scotus dann die
Grundlage für die gesamte weitere Entwicklung. Seine ausführliche Beschreibung der Sterne und Planeten
ist eines der folgenreichsten Bücher zur Himmelskunde, die im Mittelalter verfasst wurden. Die Planeten
nahmen bei ihm das Aussehen ihres jeweiligen Wirkungsspektrums an und führten auf diese Weise zugleich
Grundtypen der menschlichen Gesellschaft vor. Erst jetzt konnten die astrologischen Bilder wirkliche
Anschaulichkeit erlangen und ihren eigenen Part neben den Texten spielen.
Doch die Auswertung dieser Überlegungen geschah erst nach Jahrzehnten an einem anderen Ort. Es waren
Pietro d'Abano und Giotto, die in Padua eine neue Ikonographie für die Planeten schufen. Der Schauplatz
hatte sich damit in vielerlei Hinsicht gewandelt. Es waren jetzt die italienischen Stadtstaaten, die jenes
Bildthema aufgriffen und für ihre Zwecke nutzten. Das Interesse an den astrologischen Bildern war auf ein
anderes Publikum übergesprungen; aus der höfischen Exklusivität gelangte es in eine kommunale
Öffentlichkeit. Darstellungen der Planeten brachte man fortan in den Rathäusern an, und sie wurden zum
Bestandteil einer politischen Bildersprache. Die Institution der Kommune suchte auf diese Weise ihren
politischen Standort gleichsam kosmologisch zu stützen. Im Verlaufe des 14. Jahrhunderts scheint sich darüber sogar eine Art öffentlicher Diskurs entsponnen zu haben, der gerade auch mit Bildern ausgetragen
wurde und an dem die gelehrten Mönchsorden mit großer Vehemenz teilnahmen.
Die astrologische Bilderwelt, der Reigen der Planeten, die in den vertrauten Kostümen ihrer
gesellschaftlichen Rollen auftraten - als Landmann, Ritter, Kleriker, städtischer Beamter oder kokette
Verführerin besaß jetzt einen festen Platz in der Vorstellungswelt der Stadtbürger. Der Verbreitung der
Bilder entsprach auch eine vermehrte Anwendung der Astrologie sowie ein verstärktes Interesse an
derartigen Fragen, das auch das Laienpublikum der Städte erfasst hatte. Mit den Sternenmächten erklärte
man nicht allein den Aufbau des Kosmos, sondern, wie wir von Giovanni Villani lernen, ebenso die
Wechselfälle der Geschichte und die Vielfalt täglicher Ereignisse.
An der Wende zum 15. Jahrhundert erlangten die Himmelsbilder eine neue Qualität der Anschaulichkeit, die
ich als Illusionismus kosmischer Fiktionen bezeichnet habe. Den Malern ging es damals eben nicht nur um
eine genaue Reproduktion der Wirklichkeit, sondern in gleichem Maße auch um die suggestive Vorführung
jener Dinge, die mit menschlichen Augen nicht zu sehen sind. Die Elemente der Vorstellung bildlich so
anschaulich zu präsentieren, daß sie als Teil der Wirklichkeit erscheinen, war eine der wichtigsten Aufgaben
der Malerei. So machte man im Palazzo Trinci von Foligno den Betrachter zum Zeugen des Wettlaufes der
Planeten oberhalb der Wolken. Doch während die Trinci den Sternengöttern huldigten, beeindruckte in
Florenz wenig später Paolo Toscanelli durch die astronomische Exaktheit seiner Himmelsbeobachtungen.
Mit seiner Hilfe ließ Cosimo de Medici ein genaues Abbild des Sternenhimmels in der Kuppel seiner
Privatkapelle anbringen, das nicht allein einen stupenden Naturalismus zur Schau stellt, sondern zugleich ein
vollständiges Horoskop darstellt - die erste präzise Wiedergabe einer Gestirnskonstellation mit den Mitteln
der Kunst seit 600 Jahren.3 Diese Kuppelausmalung bildet im Grunde eine Art ideellen Endpunkt für unser
Thema, denn weder in der Genauigkeit noch in den naturalistischen Qualitäten ist dieses Fresko jemals
übertroffen worden. Doch die Geschichte astrologischer Bilder verläuft trotz des Aufsehens, das die Medici
mit ihrer unkonventionellen Kapellenausstattung erregten, in anderen Bahnen und das Interesse an einer
Verbildlichung der Planeten nimmt dabei weiter zu.
Der zweite Schlüsseltext für die Geschichte astrologischer Bilder entstand aus humanistischem Interesse in
der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Verfaßt hat ihn Giovanni Boccaccio, dem es um eine rationale
Deutung der antiken Mythologie ging, die er in der Astrologie zu finden glaubte. Mit Hilfe der
Sternenwissenschaft wollte er zeigen, daß die von ihm so verehrten antiken Dichter nicht bloß über
nichtsnutzigen Unsinn geschrieben hatten, sondern im Gegenteil ein tiefes Wissen in ihren Versen verborgen
war. Dies wiederum hat die Mythologisierung der Planetenbilder eingeleitet, von der ich eben schon
gesprochen habe. Boccaccios Ideen lieferten aber auch einen Baustein für das vermutlich früheste
synkretistische Programm der Renaissance in Rimini, das Basinio da Parma und Agostino di Duccio im
Auftrag von Sigismondo Malatesta realisierten. Hier ging es nicht mehr nur um antike Dichtkunst, auch
wenn man versuchte, ihre Metaphern möglichst direkt in Bilder zu übersetzen, sondern zugleich um nichts
weniger als die gedankliche Einheit der großen Religionen. Im 15. Jahrhundert sind es in besonderem Maße
Fürsten und Signoren, die anstelle der Kommunen die Sternenmächte in die repräsentative Ausstattung ihrer
Paläste und Privatkapellen integrieren, um ihre Herrschaft mit dem himmlischen Glanz der Planetengötter zu
umgeben.
Die entscheidende Veränderung im Umgang mit den astrologischen Bildern fand aber nicht an den
italienischen Fürstenhöfen, sondern zur gleichen Zeit in den Städten Deutschlands statt.
Damit tritt eine intellektuelle Leistung in den Blick, die im Rahmen der Kunstgeschichte noch nicht
angemessen gewürdigt wurde. Es ist geradezu ein revolutionärer Bruch im Bildgebrauch, der sich dort unter
Einsatz eines neuen Mediums ereignete. Auf der Basis von gereimten Popularisierungen der Astrologie
entwickelte man aller Wahrscheinlichkeit nach in Basel die völlig neue Bildvorstellung der Planetenkinder.
Im engen Wechselspiel von Bild und Poesie gelang den unbekannten Initiatoren ein Entwurf von großer
Eingängigkeit, der als Holzschnitt schnell Verbreitung fand. Immer weitere Kreise konnten auf diese Weise
ihr Interesse an Verbildlichungen des Sterneneinflußes befriedigen, nachdem sie sich mit Hilfe
volkssprachlicher Abhandlungen ein Grundwissen astrologischer Zusammenhänge angeeignet hatten. Die
Relevanz der neuen Bilderfindung wurde sehr bald auch an den Höfen erkannt, dort übertrug man sie aber
wieder in den exklusiven Prunk kostbarer Handschriften. Im Umkreis der Medici griff man ebenfalls die
populäre Bilderfolge auf und transferierte sie in das Ambiente der Florentiner Rernaissancekultur mit ihren
pompösen Festen. Doch tat man dies nicht mehr in aufwendig gemalten Bildern, sondern in dem auf eine
breite Rezeption angelegten Medium des Kupferstiches. Baccio Baldini erfand dabei für die Planetengötter
Wagen, auf denen sie, gezogen von den unterschiedlichsten Wesen, fortan noch schneller durch die Sphären
eilen konnten. Diese Graphikfolge wirkt wie eine geniale Synthese der seinerzeit kursierenden Ideen und so
hat sie die Bildvorstellung mit geradezu normierender Kraft für lange Zeit festgelegt.
Geschriebene Texte und gemalte Bilder stehen in dieser Geschichte kosmischer und astrologischer Ideen in
einem beständigen Dialog der gegenseitigen Erhellung; sie kommen sozusagen ohne einander nicht aus.
Doch haben die Maler wohl ohne Frage die eindrücklicheren und einflußreicheren Visionen der
Himmelsregenten geschaffen.
Stark vereinfachend könnte man von drei bis vier Etappen oder Weichenstellungen ausgehen, welche die
Entwicklung astrologischer Bilder bestimmt haben und die wenigstens an drei historisch und gesellschaftlich
unterschiedlichen Schauplätzen spielen. Die ersten Bilder entstehen im Kontext eines hochmittelalterlichen
Hofes in Form aufwendiger Buchillustration. Mit einer zeitlichen Verzögerung folgt die Etablierung im
öffentlichen Raum der italienischen Kommunen im Medium monumentaler Wandmalerei, die ihre
Fortsetzung an den Fürstenhöfen der Renaissance findet. In diesem Umfeld schlägt Giovanni Boccaccio
dann auch die Brücke zum Humanismus und zur antiken Mythologie. Schließlich werden in den deutschen
Städten jegliche Begrenzungen der Rezeptionsmöglichkeiten überwunden, indem man die Bilder der Planetenkinder mit den Mitteln der Graphik massenhaft verbreitet. Jede der Stufen ist zudem durch den Übertritt
in eine andere Gattung gekennzeichnet, und es entsprechen ihr darüber hinaus andere, jeweils neu
entwickelte Bildtypen.
Die hier rekonstruierte Entwicklung gleicht in vielen Punkten einem Wechselspiel von Stadt und Hof, einem
immer wieder neu entfachten Austausch zwischen diesen beiden gesellschaftlichen Polen. Die Begriffe von
Stadt und Hof habe ich über mehrere Jahrhunderte hinweg als gegensätzliche Kategorien gebraucht, ohne auf
die speziellen historischen Bedingungen im einzelnen einzugehen. Aber natürlich ist Hof nicht gleich Hof
und Stadt nicht gleich Stadt; zudem sind beide Bereiche keineswegs voneinander abgeschottet, so daß sie als
völlig disparate Welten gelten könnten. Ich verwende diese Begriffe, um schlagwortartig zwei Kulturmodelle
zu bezeichnen, zwei unterschiedliche Orientierungen, die in den hier behandelten Zeiträumen immer wieder
in ihren jeweils besonderen Formen wirksam werden. Der Hof ist dabei eher mit Repräsentation und Prunk
verbunden, mit Exklusivität, sozialer Abgrenzung und eingeschränkter Öffentlichkeit. Tugenden, Reichtum,
Freigiebigkeit sollen dort zur Schau gestellt werden. In der Stadt geht es stärker um Konsensbildung
zwischen verschiedenen Gruppen; Informationen, Bilder oder Wissen sollen eher einer breiteren
Öffentlichkeit, weiteren Kreisen zur Verfügung stehen. So allgemein diese Kategorien zunächst sind, so
bewähren sie sich doch bei der Ordnung des vielfältigen Materials. Vor allem lenken sie den Blick auf
signifikant verschiedene Ausrichtungen der einzelnen Kunstwerke, auf die unterschiedlichen Bedürfnislagen,
die sie befriedigen sollen. Der Öffentlichkeitscharakter und damit auch die Bühne, auf der die Bilder agieren,
entsprechen sich eben nicht. Allerdings ist eine klare Grenzziehung zwischen beiden Ebenen keinesfalls
möglich, es handelt sich ja gerade nicht um ein stabiles System. Von Anbeginn an finden sich Spuren
gegenseitiger Beeinflußung. Auch eine Differenzierung zwischen Adel und Bürgertum hilft hier nicht weiter,
denn Bürger und Patrizier orientieren sich vornehmlich am Leitbild des Adels und arbeiten nur allzuoft als
Beamte am Hof. Die Adligen andererseits unterhalten Paläste in den Städten und feiern dort mit Vorliebe
ihre Feste. Der Hof ist im i 2. Jahrhundert ohne Frage ein Kristallisationspunkt der sich verselbständigenden
Laienkultur, doch kommen in Italien spätestens im 13. Jahrhundert die politisch selbständigen Kommunen als
Gegenpart, als ein weiteres Aktionsfeld mit ganz anderen Orientierungen hinzu. In Nordeuropa entwickeln
die Städte mit dem Übergang zum 15. Jahrhundert eine entscheidende Dynamik, ohne daß dadurch aber die
Höfe an Bedeutung verlören. Die Geschichte der astrologischen Bilder ist mit diesem kulturellen
Wechselspiel gegenseitiger Beeinflussung, das über Jahrhunderte währt, auf das Engste verwoben.
Diese hier beschriebene Geschichte liegt nun aber gleichzeitig quer zu den gängigen Epochenschwellen und
führt die eingefahrene Trennung von Mittelalter und Renaissance im Grunde ad absurdum. Wir sind hier
zwar nur mit einem Spezialthema befasst, jedoch wiederholt sich das gleiche Bild auch auf anderen
Gebieten. Schon seit mehreren Jahrzehnten wird von verschiedenen Seiten immer wieder eine andere Sicht
skizziert, die ein Kontinuum entwirft, das vom 11. Jahrhundert an bis tief in die sogenannte Neuzeit dauert.
So hat beispielsweise Jean Delumeau drei übergreifende Kriterien definiert, um den tiefgreifenden Wechsel
zu kennzeichnen, der sich in seinen Augen als kontinuierlicher Prozeß in den Jahrhunderten zwischen 1300
und 160o ereignet und jenen viel beschworenen Sonderweg Europas einleitet. Er benennt die intensivierte
Beobachtung der Wirklichkeit, die zunehmende Neigung zu Organisation und Ordnung sowie ein
wachsendes Abstraktionsvermögen.4 Der Niederländer Johan Huizinga hat schon viel früher diesen Prozeß
mit Meereswellen verglichen, die ohne Unterbrechung an einen Strand rollen, um so die Vielzahl der kleinen
Übergänge zu verschiedenen Zeiten in das Bild einer Entwicklung fassen zu können. Der Beginn dieses
Aufbruchs aber lag, wie seit langem bekannt ist, im Grunde schon im 1o. Jahrhundert.5 Die Astrologie stellt
innerhalb der Geschichte der Bilder und des Denkens einen Strang dar, der an diesem andauernden Umbruch
durch beinahe alle Jahrhunderte hindurch wesentlichen Anteil hat. Sie ist mit dem Mittelalter und der
Neuzeit in gleicher Weise verbunden, und daran wird zugleich deutlich, daß jeder dieser Übergänge seine
eigene, zuweilen verworrene Geschichte hat, die sich erst im Zusammenhang und vor allem auch mit dem
Blick auf ihre lange Dauer offenbaren kann.
Wenn wir die Geschichte der Planetendarstellungen jetzt überblicken, so ist zunächst ein ständig wachsendes
Interesse an den astrologischen Bildern zu konstatieren, das im Verlauf der Jahrhunderte immer weitere
Kreise umfasst. Doch geht es im Grunde weniger um diese quantitative Zunahme, eindrücklicher noch sind
die qualitativen Veränderungen im Bildgebrauch, die wir feststellen konnten. Manche dieser Veränderungen
gelten nicht nur für den Themenbereich der Astrologie allein, sondern dürften sich in verwandter Form auch
an anderen Beispielen aufzeigen lassen. Exemplarisch zeigt sich hier der wechselnde Umgang mit Bildern in
jenem lang währenden Umbruch vom Mittelalter zur Neuzeit. Mit dem Begriff des Bildinteresses, den ich
hier immer wieder verwandt habe, möchte ich besonders auf diese wechselnde Geschichte der bildlichen
Darstellungen hinweisen. Bilder sind nicht zu allen Zeiten da, sie entstehen vielmehr erst, wenn bestimmte
Themen aktuell werden und die Phantasie ihnen einen entsprechenden Raum zur Verfügung stellt. Dies ist
zumeist ein sehr komplexer Vorgang, der im einzelnen untersucht werden muß, wenn man die Faszination
und die Wirkungen, die von Bildern ausgehen, verstehen will. Die Tatsache, daß ein Gedanke oder eine Idee
in ein gemaltes oder skulptiertes Bild gefasst wird, ist nicht selbstverständlich, sondern Ergebnis eines
Bedürfnisses, das anders nicht befriedigt werden kann. Einmal entstanden, führen die Bilder dann eine Art
Eigenleben, sie verändern sich, passen sich speziellen Situationen an und reagieren auf die Wünsche der
Betrachter. Wenn sie den gesellschaftlichen Ort und damit auch ihr Publikum wechseln, so verändern sie
zumeist auch ihre Gestalt. Für die astrologischen Planetenbilder habe ich diese Geschichte hier zu
rekonstruieren versucht, um damit zugleich zu zeigen, daß eine Geschichte der Bilder, die das Interesse,
denen diese ihre Entstehung verdanken, und den wechselnden Gebrauch, den unterschiedliche Betrachter
von ihnen machen, mit in den Blick nimmt, daß eine solche Bildgeschichte zugleich auch zu einer
Geschichte menschlicher Fiktionen wird, zu einer Geschichte der Ideen, des Denkens und der Träume. Eine
solche Geschichte der menschlichen Einbildungskraft kommt ohne Bilder nicht aus. Sind es doch gerade die
Bilder, welche in besonderem Maße die Vorstellungen der Phantasie befördern, ob sie nun von Malern
realisiert oder von Dichtern geschildert werden.
Anmerkungen zu Kapitel XVIII
1 Warburg 1912; Bertozzi 1985; Varese 1989; Roettgen 1996• S. 408 ff.
2 Saxl 1934; Quinta-McGralh 1984 und 1995; Lippincott
1991.
3 Das vorausgehende Beispiel des 9. Jahrhunderts ist ebenso singulär wie die Kuppelausmalung der Medici.
Es handelt sich um das sogenannte Planetarium in der Leidener Aratea-Handschrift, welches die Planetenstellung vom 18. 3. 816 fixiert, s. o. Kap. III.
4 Delumeau 1967; vgl. zu den verschiedenen Überlegun-gen die Übersicht bei Skalweit 1982.
5 Huizinga 1923, S. 59: »Der Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit bietet nicht das Bild eines einzigen
großen Umschwunges, sondern das einer langen Reihe von Wellen, die anrollen auf einen Strand: jede von
ihnen bricht sich in einem anderen Abstand und in einem anderen Augenblick. Überall liegen die
Grenzlinien zwischen alt und neu wieder anders; jede Kulturform, jeder Gedanke wendet sich zu seiner Zeit,
und die Veränderung gilt nie für den gesamten Komplex der Bildung.« Vgl. auch von Moos 1988. Zum 10.
Jahrhundert siehe u. a. Wolff 1968 sowie die Studien von Bergmann 1985, Borst 1989 oder Jaeger 1987.
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