Themen des Tages 3 SÜDKURIER NR. 87 | MP DONNERSTAG, 14. APRIL 2011 S ÜO DN KN UE R ISETRA GN,R 1. 48. 7 A|P M D R IPL 2 0 1 1 Themen des Tages 3 Es geht auch ohne Tabletten Auch als Orchestermusiker hat man es mit solistischen Einsätzen zu tun. Musiker der Südwestdeutschen Philharmonie erläutern, wie sie sich auf heikle Stellen vorbereiten. Wer unter Auftrittsängsten leidet, würde am liebsten von der Bühne flüchten. Inzwischen gibt es allerdings auch Anlaufstellen für Musiker, die unter diesem Problem leiden. B ILD : D PA „Lampenfieber ist ein Tabuthema“ Auch Musiker haben spezielle Berufskrankheiten. Dazu gehören Schmerzen beim Instrumentalspiel oder Auftrittsängste. Geredet wird darüber allerdings selten Frau Berchtold-Neumann, wann kommt ein Musiker zu Ihnen in die Praxis? Zum Beispiel wenn er Schmerzen hat beim Spielen. Das ist ein großes Thema. Logischerweise, denn es ist ja physiologisch gesehen unvernünftig, was man da macht. Wenn Sie sich einen Geiger vorstellen, wie er den Ellenbogen und die linke Hand verdreht und dann stundenlang den Bogen hin und her bewegt, da wird man leicht einsehen, dass das Schmerzen in den Schultern und alle möglichen Verspannungen verursacht. Bläser wiederum haben zum Beispiel zusätzlich Probleme mit Zähnen und Lippen. Der zweite große Punkt ist natürlich das Lampenfieber. Das geht so weit, dass sehr viele Musiker Betablocker nehmen vor der Aufführung. Welcher Bereich dominiert in Ihrer Praxis, die physischen Schmerzen oder die Lampenfieber-Probleme? Die physischen Schmerzen. Aber das liegt auch daran, dass das Lampenfieber unter Musikern ein Tabuthema ist. Sie geben nicht so gerne zu, wenn sie damit ein Problem haben. Woran liegt das? Als Musiker wird man früh zur Musik gebracht. Alle, die professionell musizieren, haben meist ab dem 5. oder 6. Lebensjahr Musik gemacht. Sie haben bereits tausende von Stunden geübt, noch bevor sie ihr Musikstudium überhaupt beginnen. Die Musik bestimmt zu großen Teilen ihre Person. Und die Eltern transportieren über die Musik Anerkennung und Bestrafung. Das heißt, für das Kind ist das Selbstwertgefühl von vornherein mit der Musik gekoppelt. Es spürt: „ich bin etwas wert, wenn ich gut bin“, oder eben „ich tauge nichts, wenn ich schlecht bin“. Das Selbstbild der Profimusiker ist sehr stark mit Musik verbunden und daraus entsteht eine große Verletzlichkeit. Welche Rolle spielt der Gruppendruck innerhalb eines Orchesters? Im Orchester gibt es noch zusätzlich ein Konkurrenzverhältnis untereinander, weil die einzelnen Stimmgruppen mehrfach besetzt sind. Wenn innerhalb einer Instrumentalgruppe eine Person danebenspielt, dann zieht das ja die ganze Gruppe mit ins Verderben. Und das nimmt sie demjenigen natürlich übel. Das erzeugt Druck. Dieser Druck ist in den letzten Jahren sogar noch gestiegen. Denn es gibt ja mittlerweile auf jede Orchesterstelle 150 Bewerbungen. Und nur einer kriegt sie. Derjenige, der sie dann bekommen hat, muss sich und den anderen ständig beweisen, dass er sie zu Recht bekommen hat. Zusätzlich gibt es in den Orchestern eine Konkurrenz zwischen den jüngeren und den älteren Spielern. Denn die älteren Spieler müssen aufgrund der nachlassenden körperlichen Leistung sehr viel mehr üben, um auf ihrem Niveau zu bleiben. Die jungen Spieler aber bestimmen das technische Niveau, weil die Leistungsanforderungen an Musikhochschulen ständig zunehmen. Dem müssen sich die Älteren anpassen. Doch all diese Probleme werden in den Orchestern meist nicht kommuniziert. Ein Musiker schämt sich, wenn er Schwierigkeiten hat mit seinem Beruf. Denn das hieße ja, er hat Schwierigkeiten mit sich selbst. Das liegt an der Identität zwischen Musik und Person. Da greift man dann lieber zu Betablockern. Ja, viele tun das regelmäßig, um überhaupt spielen zu können. Die Tabletten sind aber verschreibungspflichtig, oder? Ja. Müsste man dann nicht auch die Ärzte mit in Verantwortung ziehen, die den Musikern so etwas verschreiben, nur weil die zu ihnen kommen und sagen, ich brauche das? Der Musiker kommt mit körperlichen Beschwerden zum Arzt, dann bekommt er das Medikament natürlich verordnet. Der Arzt kann nicht auseinanderhalten, woher zum Beispiel der Bluthochdruck kommt. Er hat ja nur den Pa- Zur Person Martina BerchtoldNeumann ist Diplompsychologin und betreibt eine psychologische Praxis in Stein am Rhein. Sie betreut unter anderem Musiker. Berchtold-Neumann spielt selbst Geige, hat ihr Musikstudium aber zugunsten der Psychologie aufgegeben. Heute spielt sie in dem Laienorchester Concerto Constanz. Berchtold-Neumann ist Präsidentin der Schweizer Gesellschaft für Musikmedizin (SMM) ➤ Die SMM hat ihren Sitz in Farnern bei Bern. In dieser Gesellschaft haben sich MusikerInnen, ÄrztInnen und TherapeutInnen zusammengeschlossen, um Musikern mit ihren spezifischen Problemen eine Anlaufstelle und fachkundige Hilfe anzubieten. (esd) Infos zu Berchtold und zur SMM: www.mabene.ch www.musik-medizin.ch tienten in einem Erregungszustand vor sich, und dann muss er reagieren. Wo ist da die Grenze zwischen medizinischer und psychologischer Indikation? Das ist immer schwierig zu sagen. Den Musiker mit Bluthochdruck, der zum Arzt geht, müsste man fragen: Woher kommen denn die Probleme? Oftmals hängen diese eben mit der Psyche und mit Stress zusammen. Es ist natürlich relativ einfach, ein Medikament einzunehmen. Das ist einfacher als zu überlegen, wo stehe ich im Leben und muss ich vielleicht irgendetwas ändern? tung bringen. Das ist, wie wenn Sie eine Schlaftablette nehmen. Da müsste man dann auch fragen: ist das Doping? Sie wollen aber, dass Sie am nächsten Morgen ausgeruht sind, weil Sie arbeiten müssen. Aber natürlich würde ich das auch kritisieren und sagen, schauen Sie lieber mal, was in Ihrem Leben los ist. Warum haben Sie Schlafstörungen? Ein Sportler hingegen greift ja noch mal ganz anders in seinen Körper ein, da geht es um reine Leistungssteigerung über die Grenzen seiner Physiologie hinaus. Kommen auch Musiker zu Ihnen in die Praxis, die sagen, ich kann nur noch mit Tabletten spielen, will das aber nicht mehr? Klar. Und dann muss man daran arbeiten, das Lampenfieber auf einem anderen Weg in den Griff zu bekommen. Dazu muss man seine Kognitionen anschauen, sein Wertesystem. Wie bewertet er selber seinen eigenen Erfolg bzw. sein eigenes Versagen. Manchmal muss man auch zusätzlich in die Kindheit gehen und nachschauen, was ist alles mit der Musik verbunden? Wurde die Liebe über die Musik definiert? Wie funktionierten Belohnung und Bestrafung? Wurde der Betroffene belohnt, wenn er sechs Stunden am Tag geübt hat, und bestraft, wenn er nur zwei Stunden geübt hat? Und wie genau sah das aus? Dann muss man versuchen, die Emotionen, die mit diesem Sanktionssytem zusammenhängen, zu korrigieren. Funktioniert das denn? Das ist doch bei Musikern auch der Fall. Das ist natürlich die ganz große Schwierigkeit. Ich selber arbeite gerne mit Hypnose. Hypnose ist ja eine Form von tiefer Entspannung, und Musiker können als kreative Menschen gut entspannen und sich in andere Welten hineindenken. Unter Hypnose ist es möglich, veränderte emotionale Erfahrungen zu machen. Vielleicht gab es ja auch mal etwas, wofür ich geliebt wurde, ohne dass es mit der Musik zu tun hatte. Diese Erfahrung müsste man dann verstärken, um die Kopplung von Liebe und Musik zu relativieren. Es geht letztlich darum, sein Selbstbild zu korrigieren. Nein, sie wollen ihre Leistung ja nicht steigern, sie wollen schlicht ihre Leis- FRAGEN: ELISABETH SCHWIND Ist dieses Thema vergleichbar mit Doping im Sport? Ich denke nicht. Denn bei Doping im Sport geht es ja rein darum, die Leistung zu steigern. Was sind Betablocker? ➤ Wer unter Auftrittsangst leidet, be- ➤ Betablocker gehören zu den meist- findet sich in einem Zustand physiologischer Erregung. Symptome können schwitzige Hände, Zittern, Bluthochdruck oder starkes Herzklopfen sein. Betablocker dämpfen diese Symptome, indem sie die sogenannten Betarezeptoren blockieren, über die normalerweise das Adrenalin in den menschlichen Körper gelangt. Die kognitive Leistung wird dadurch nicht weiter beeinträchtigt, allerdings fühlen sich manche Menschen gedämpft. verschriebenen Medikamenten. Da sie Blutdruck und die Herzfrequenz senken, bekommen Bluthochdruckpatienten oder Menschen, die einen Herzinfarkt hatten, Betablocker verschrieben. Sie sind meist gut verträglich, können aber Nebenwirkungen wie Asthma und Erektionsstörungen hervorrufen. Bei Gesunden können sie den Blutdruck zu sehr senken und zu Schwindel führen. ➤ Abhängigkeit: Betablocker erzeugen keine körperliche, wohl aber psy- chische Abhängigkeit. Laut Schätzungen nehmen 30 bis 60 Prozent der Profimusiker regelmäßig Betablocker, um Auftrittsängste in den Griff zu bekommen. Die Dunkelziffer ist hoch. ➤ Doping: Wenn ein Sportschütze Betablocker einnimmt, um eine ruhige Hand zu haben, ist dies bereits Doping. Nach Auskunft von Frank Peschke, Dopingbeauftragter des Südbadischen Sportschützenverbandes, dürfen Betablocker nur mit Ausnahmegenehmigung eingesetzt werden. (esd) ➤ Andrew Hale, SoloHorn: „Wenn ich übe, versuche ich mir die Konzertsituation bereits genau vorzustellen. Direkt vor dem Konzert versuche ich, möglichst gar nicht mehr dran zu denken. Wir Blechbläser haben ja häufig zwei oder drei Sätze lang nichts Besonderes zu tun und erst im letzten Satz einen wichtigen Einsatz. Wenn ich nun die ganze Zeit daran denke, mache ich mich ja verrückt. Also versuche ich das auszuklammern. Ein gutes Beispiel ist Bachs h-Moll-Messe. Sie dauert zwei Stunden, aber für Horn gibt es nur fünf Minuten und die liegen genau in der Mitte. Es handelt sich um die Bass-Arie „Quoniam“, sie ist zudem sehr klein besetzt. Ich warte also genau eine Stunde, dann stehe ich auf, atme tief ein – und dann muss der Ton sitzen. Und die Stunde davor kann dann schon zur Qual werden. Da sitzt man dann da und fragt sich: was mache ich hier eigentlich? Ich versuche dann, mich auf die laufende Musik zu konzentrieren. Zur Übung renne ich manchmal auch eine Treppe hoch oder mache Liegestütze, bis das Herz so richtig klopft, und dann versuche ich den Atem zu kontrollieren und dennoch einen ruhigen Ton herauszubringen. Und ich bin erstaunt, wie ruhig man spielen kann, selbst wenn die Pumpe heftig geht.“ ➤ Ralf-Peter Patt, SoloOboe: „Es gibt angenehme und weniger angenehme Solostellen. Rossinis Ouvertüre zur „Seidenen Leiter“ zum Beispiel gehört zu den gefürchteten Stücken für Solo-Oboe. Dennoch hat sie einen Vorzug, zumindest was den schnellen Teil betrifft. Die Solo-Stelle der Oboe wird nämlich in den Streichern vorweggenommen. Für mich als SoloOboisten ist das eine Hilfe. Es gibt mir die Gelegenheit, die Melodik zu verfolgen, bevor ich sie selbst spielen muss, und die Finger schon mal mitgehen zu lassen. Demgegenüber verhält es sich bei Rossinis Ouvertüre zur „Italienerin in Algier“ gerade umgekehrt. Die Solostellen sind technisch nicht ganz so anspruchsvoll, aber das Adagio beginnt mit nur zwei oder drei Akkorden im Orchester. Danach muss ich ganz alleine wie im Freiflug einsetzen. Da helfen mir Bilder. Zum Beispiel stelle ich mir vor, wie ein Raubvogel über eine Landschaft gleitet. Wichtig ist es auch, die Gedanken nach außen zu lenken. Dazu schaue ich beispielsweise jemanden an, wie er spielt. Oder ich lächle jemanden an. Vielleicht hatte ich auch kurz vor dem Konzert noch eine angenehme Begegnung. Auch das kann dann helfen.“ ➤ Eldar Saparayev, SoloCello: „Wenn ich eine Solo-Stelle habe, informiere ich mich vorab über das Stück. Ich möchte alles wissen über den Komponisten und wie das Werk einzuordnen ist. So bekomme ich eine Vorstellung von der Interpretation, die ich für richtig halte. Das bespreche ich dann auch mit dem Dirigenten. Am besten, ich treffe ihn vorab, rede mit ihm über meine Vorstellung, und dann finden wir eine gemeinsame Lösung. So halte ich es auch mit Solo-Stellen in der Oper – zuletzt bei Verdis „Nabucco“ in der Bayerischen Staatsoper. Da bestehe ich darauf, bei den Sängerproben dabei sein zu können. Beim Ballett arbeite ich ebenfalls eng mit den Tänzern zusammen. Wenn ich mir mit der Interpretation sicher bin, bin ich mir auch sonst sicher. Schlimmes Lampenfieber kommt bei mir selten vor. Selbst die gefürchteten Probespiele hinter dem Vorhang kann ich genießen. Ich denke mir dann: Denen schenke ich jetzt mal meine Musik. Ich weiß, dass ich nicht so richtig schlecht spielen kann. Man muss an sich glauben, dann geht das schon.“ (esd)