Lampenfieber ist ein Tabuthema - Psychologische Praxis Martina

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Themen des Tages 3
SÜDKURIER NR. 87 | MP
DONNERSTAG, 14. APRIL 2011
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Themen des Tages 3
Es geht auch
ohne Tabletten
Auch als Orchestermusiker hat man es mit
solistischen Einsätzen zu tun. Musiker der
Südwestdeutschen Philharmonie erläutern,
wie sie sich auf heikle Stellen vorbereiten.
Wer unter Auftrittsängsten leidet, würde am liebsten von der Bühne flüchten. Inzwischen gibt es allerdings auch Anlaufstellen für Musiker, die unter diesem Problem leiden.
B ILD : D PA
„Lampenfieber ist ein Tabuthema“
Auch Musiker haben spezielle
Berufskrankheiten. Dazu gehören
Schmerzen beim Instrumentalspiel oder Auftrittsängste. Geredet wird darüber allerdings selten
Frau Berchtold-Neumann, wann kommt
ein Musiker zu Ihnen in die Praxis?
Zum Beispiel wenn er Schmerzen hat
beim Spielen. Das ist ein großes Thema.
Logischerweise, denn es ist ja physiologisch gesehen unvernünftig, was man
da macht. Wenn Sie sich einen Geiger
vorstellen, wie er den Ellenbogen und
die linke Hand verdreht und dann stundenlang den Bogen hin und her bewegt,
da wird man leicht einsehen, dass das
Schmerzen in den Schultern und alle
möglichen Verspannungen verursacht.
Bläser wiederum haben zum Beispiel
zusätzlich Probleme mit Zähnen und
Lippen. Der zweite große Punkt ist natürlich das Lampenfieber. Das geht so
weit, dass sehr viele Musiker Betablocker nehmen vor der Aufführung.
Welcher Bereich dominiert in Ihrer
Praxis, die physischen Schmerzen oder
die Lampenfieber-Probleme?
Die physischen Schmerzen. Aber das
liegt auch daran, dass das Lampenfieber unter Musikern ein Tabuthema ist.
Sie geben nicht so gerne zu, wenn sie
damit ein Problem haben.
Woran liegt das?
Als Musiker wird man früh zur Musik
gebracht. Alle, die professionell musizieren, haben meist ab dem 5. oder 6.
Lebensjahr Musik gemacht. Sie haben
bereits tausende von Stunden geübt,
noch bevor sie ihr Musikstudium überhaupt beginnen. Die Musik bestimmt
zu großen Teilen ihre Person. Und die
Eltern transportieren über die Musik
Anerkennung und Bestrafung. Das
heißt, für das Kind ist das Selbstwertgefühl von vornherein mit der Musik gekoppelt. Es spürt: „ich bin etwas wert,
wenn ich gut bin“, oder eben „ich tauge
nichts, wenn ich schlecht bin“. Das
Selbstbild der Profimusiker ist sehr
stark mit Musik verbunden und daraus
entsteht eine große Verletzlichkeit.
Welche Rolle spielt der Gruppendruck
innerhalb eines Orchesters?
Im Orchester gibt es noch zusätzlich ein
Konkurrenzverhältnis untereinander,
weil die einzelnen Stimmgruppen
mehrfach besetzt sind. Wenn innerhalb
einer Instrumentalgruppe eine Person
danebenspielt, dann zieht das ja die
ganze Gruppe mit ins Verderben. Und
das nimmt sie demjenigen natürlich
übel. Das erzeugt Druck. Dieser Druck
ist in den letzten Jahren sogar noch gestiegen. Denn es gibt ja mittlerweile auf
jede Orchesterstelle 150 Bewerbungen.
Und nur einer kriegt sie. Derjenige, der
sie dann bekommen hat, muss sich und
den anderen ständig beweisen, dass er
sie zu Recht bekommen hat. Zusätzlich
gibt es in den Orchestern eine Konkurrenz zwischen den jüngeren und den älteren Spielern. Denn die älteren Spieler
müssen aufgrund der nachlassenden
körperlichen Leistung sehr viel mehr
üben, um auf ihrem Niveau zu bleiben.
Die jungen Spieler aber bestimmen das
technische Niveau, weil die Leistungsanforderungen an Musikhochschulen ständig zunehmen. Dem müssen sich die Älteren anpassen. Doch all
diese Probleme werden in den Orchestern meist nicht kommuniziert. Ein
Musiker schämt sich, wenn er Schwierigkeiten hat mit seinem Beruf. Denn
das hieße ja, er hat Schwierigkeiten mit
sich selbst. Das liegt an der Identität
zwischen Musik und Person.
Da greift man dann lieber zu Betablockern.
Ja, viele tun das regelmäßig, um überhaupt spielen zu können.
Die Tabletten sind aber verschreibungspflichtig, oder?
Ja.
Müsste man dann nicht auch die Ärzte
mit in Verantwortung ziehen, die den
Musikern so etwas verschreiben, nur
weil die zu ihnen kommen und sagen,
ich brauche das?
Der Musiker kommt mit körperlichen
Beschwerden zum Arzt, dann bekommt
er das Medikament natürlich verordnet. Der Arzt kann nicht auseinanderhalten, woher zum Beispiel der Bluthochdruck kommt. Er hat ja nur den Pa-
Zur Person
Martina BerchtoldNeumann ist Diplompsychologin und
betreibt eine psychologische Praxis in
Stein am Rhein. Sie
betreut unter anderem Musiker. Berchtold-Neumann spielt
selbst Geige, hat ihr Musikstudium aber
zugunsten der Psychologie aufgegeben.
Heute spielt sie in dem Laienorchester
Concerto Constanz. Berchtold-Neumann
ist Präsidentin der Schweizer Gesellschaft für Musikmedizin (SMM)
➤ Die SMM hat ihren Sitz in Farnern bei
Bern. In dieser Gesellschaft haben sich
MusikerInnen, ÄrztInnen und TherapeutInnen zusammengeschlossen, um
Musikern mit ihren spezifischen Problemen eine Anlaufstelle und fachkundige Hilfe anzubieten. (esd)
Infos zu Berchtold und zur SMM:
www.mabene.ch
www.musik-medizin.ch
tienten in einem Erregungszustand vor
sich, und dann muss er reagieren.
Wo ist da die Grenze zwischen medizinischer und psychologischer Indikation?
Das ist immer schwierig zu sagen. Den
Musiker mit Bluthochdruck, der zum
Arzt geht, müsste man fragen: Woher
kommen denn die Probleme? Oftmals
hängen diese eben mit der Psyche und
mit Stress zusammen. Es ist natürlich
relativ einfach, ein Medikament einzunehmen. Das ist einfacher als zu überlegen, wo stehe ich im Leben und muss
ich vielleicht irgendetwas ändern?
tung bringen. Das ist, wie wenn Sie eine
Schlaftablette nehmen. Da müsste man
dann auch fragen: ist das Doping? Sie
wollen aber, dass Sie am nächsten Morgen ausgeruht sind, weil Sie arbeiten
müssen. Aber natürlich würde ich das
auch kritisieren und sagen, schauen Sie
lieber mal, was in Ihrem Leben los ist.
Warum haben Sie Schlafstörungen? Ein
Sportler hingegen greift ja noch mal
ganz anders in seinen Körper ein, da
geht es um reine Leistungssteigerung
über die Grenzen seiner Physiologie hinaus.
Kommen auch Musiker zu Ihnen in die
Praxis, die sagen, ich kann nur noch mit
Tabletten spielen, will das aber nicht
mehr?
Klar. Und dann muss man daran arbeiten, das Lampenfieber auf einem anderen Weg in den Griff zu bekommen. Dazu muss man seine Kognitionen anschauen, sein Wertesystem. Wie bewertet er selber seinen eigenen Erfolg bzw.
sein eigenes Versagen. Manchmal muss
man auch zusätzlich in die Kindheit gehen und nachschauen, was ist alles mit
der Musik verbunden? Wurde die Liebe
über die Musik definiert? Wie funktionierten Belohnung und Bestrafung?
Wurde der Betroffene belohnt, wenn er
sechs Stunden am Tag geübt hat, und
bestraft, wenn er nur zwei Stunden geübt hat? Und wie genau sah das aus?
Dann muss man versuchen, die Emotionen, die mit diesem Sanktionssytem
zusammenhängen, zu korrigieren.
Funktioniert das denn?
Das ist doch bei Musikern auch der Fall.
Das ist natürlich die ganz große Schwierigkeit. Ich selber arbeite gerne mit
Hypnose. Hypnose ist ja eine Form von
tiefer Entspannung, und Musiker können als kreative Menschen gut entspannen und sich in andere Welten hineindenken. Unter Hypnose ist es möglich,
veränderte emotionale Erfahrungen zu
machen. Vielleicht gab es ja auch mal
etwas, wofür ich geliebt wurde, ohne
dass es mit der Musik zu tun hatte. Diese
Erfahrung müsste man dann verstärken, um die Kopplung von Liebe und
Musik zu relativieren. Es geht letztlich
darum, sein Selbstbild zu korrigieren.
Nein, sie wollen ihre Leistung ja nicht
steigern, sie wollen schlicht ihre Leis-
FRAGEN: ELISABETH SCHWIND
Ist dieses Thema vergleichbar mit
Doping im Sport?
Ich denke nicht. Denn bei Doping im
Sport geht es ja rein darum, die Leistung
zu steigern.
Was sind Betablocker?
➤ Wer unter Auftrittsangst leidet, be-
➤ Betablocker gehören zu den meist-
findet sich in einem Zustand physiologischer Erregung. Symptome können schwitzige Hände, Zittern, Bluthochdruck oder starkes Herzklopfen
sein. Betablocker dämpfen diese
Symptome, indem sie die sogenannten Betarezeptoren blockieren, über
die normalerweise das Adrenalin in
den menschlichen Körper gelangt.
Die kognitive Leistung wird dadurch
nicht weiter beeinträchtigt, allerdings
fühlen sich manche Menschen gedämpft.
verschriebenen Medikamenten. Da
sie Blutdruck und die Herzfrequenz
senken, bekommen Bluthochdruckpatienten oder Menschen, die einen
Herzinfarkt hatten, Betablocker verschrieben. Sie sind meist gut verträglich, können aber Nebenwirkungen wie Asthma und Erektionsstörungen hervorrufen. Bei Gesunden können sie den Blutdruck zu sehr senken
und zu Schwindel führen.
➤ Abhängigkeit: Betablocker erzeugen
keine körperliche, wohl aber psy-
chische Abhängigkeit. Laut Schätzungen nehmen 30 bis 60 Prozent der
Profimusiker regelmäßig Betablocker,
um Auftrittsängste in den Griff zu
bekommen. Die Dunkelziffer ist hoch.
➤ Doping: Wenn ein Sportschütze
Betablocker einnimmt, um eine ruhige Hand zu haben, ist dies bereits
Doping. Nach Auskunft von Frank
Peschke, Dopingbeauftragter des
Südbadischen Sportschützenverbandes, dürfen Betablocker nur mit
Ausnahmegenehmigung eingesetzt
werden. (esd)
➤ Andrew Hale, SoloHorn: „Wenn ich übe,
versuche ich mir die
Konzertsituation bereits
genau vorzustellen. Direkt
vor dem Konzert versuche
ich, möglichst gar nicht mehr dran zu
denken. Wir Blechbläser haben ja
häufig zwei oder drei Sätze lang nichts
Besonderes zu tun und erst im letzten
Satz einen wichtigen Einsatz. Wenn
ich nun die ganze Zeit daran denke,
mache ich mich ja verrückt. Also
versuche ich das auszuklammern. Ein
gutes Beispiel ist Bachs h-Moll-Messe.
Sie dauert zwei Stunden, aber für
Horn gibt es nur fünf Minuten und
die liegen genau in der Mitte. Es
handelt sich um die Bass-Arie „Quoniam“, sie ist zudem sehr klein besetzt. Ich warte also genau eine Stunde, dann stehe ich auf, atme tief ein –
und dann muss der Ton sitzen. Und
die Stunde davor kann dann schon
zur Qual werden. Da sitzt man dann
da und fragt sich: was mache ich hier
eigentlich? Ich versuche dann, mich
auf die laufende Musik zu konzentrieren. Zur Übung renne ich manchmal auch eine Treppe hoch oder
mache Liegestütze, bis das Herz so
richtig klopft, und dann versuche ich
den Atem zu kontrollieren und dennoch einen ruhigen Ton herauszubringen. Und ich bin erstaunt, wie
ruhig man spielen kann, selbst wenn
die Pumpe heftig geht.“
➤ Ralf-Peter Patt, SoloOboe: „Es gibt angenehme und weniger angenehme Solostellen. Rossinis
Ouvertüre zur „Seidenen
Leiter“ zum Beispiel gehört zu den gefürchteten Stücken für
Solo-Oboe. Dennoch hat sie einen
Vorzug, zumindest was den schnellen
Teil betrifft. Die Solo-Stelle der Oboe
wird nämlich in den Streichern vorweggenommen. Für mich als SoloOboisten ist das eine Hilfe. Es gibt mir
die Gelegenheit, die Melodik zu verfolgen, bevor ich sie selbst spielen
muss, und die Finger schon mal mitgehen zu lassen. Demgegenüber
verhält es sich bei Rossinis Ouvertüre
zur „Italienerin in Algier“ gerade
umgekehrt. Die Solostellen sind technisch nicht ganz so anspruchsvoll,
aber das Adagio beginnt mit nur zwei
oder drei Akkorden im Orchester.
Danach muss ich ganz alleine wie im
Freiflug einsetzen. Da helfen mir
Bilder. Zum Beispiel stelle ich mir vor,
wie ein Raubvogel über eine Landschaft gleitet. Wichtig ist es auch, die
Gedanken nach außen zu lenken.
Dazu schaue ich beispielsweise jemanden an, wie er spielt. Oder ich
lächle jemanden an. Vielleicht hatte
ich auch kurz vor dem Konzert noch
eine angenehme Begegnung. Auch
das kann dann helfen.“
➤ Eldar Saparayev, SoloCello: „Wenn ich eine
Solo-Stelle habe, informiere ich mich vorab über
das Stück. Ich möchte
alles wissen über den
Komponisten und wie das Werk einzuordnen ist. So bekomme ich eine
Vorstellung von der Interpretation, die
ich für richtig halte. Das bespreche
ich dann auch mit dem Dirigenten.
Am besten, ich treffe ihn vorab, rede
mit ihm über meine Vorstellung, und
dann finden wir eine gemeinsame
Lösung. So halte ich es auch mit
Solo-Stellen in der Oper – zuletzt bei
Verdis „Nabucco“ in der Bayerischen
Staatsoper. Da bestehe ich darauf, bei
den Sängerproben dabei sein zu
können. Beim Ballett arbeite ich
ebenfalls eng mit den Tänzern zusammen. Wenn ich mir mit der Interpretation sicher bin, bin ich mir auch
sonst sicher. Schlimmes Lampenfieber kommt bei mir selten vor. Selbst
die gefürchteten Probespiele hinter
dem Vorhang kann ich genießen. Ich
denke mir dann: Denen schenke ich
jetzt mal meine Musik. Ich weiß, dass
ich nicht so richtig schlecht spielen
kann. Man muss an sich glauben,
dann geht das schon.“ (esd)
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