Die gesundheitliche Bedeutung des glykämischen Indexes von

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CURRICULUM
Schweiz Med Forum 2006;6:893–897
893
Die gesundheitliche Bedeutung
des glykämischen Indexes von
kohlenhydrathaltigen Nahrungsmitteln
Kaspar Berneisa, Ulrich Kellerb
a
b
Klinik für Endokrinologie und Diabetologie, UniversitätsSpital Zürich, Zürich,
Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und klinische Ernährung, Universitätsspital Basel
Quintessenz
쎲 Der Begriff des «glykämischen Indexes» (GI) stammt aus Studien von
Jenkins et al., in welchen die Auswirkung verschiedener Nahrungsmittel mit
je 50 g Kohlenhydraten auf den Blutzuckerspiegel mit derjenigen von 50 g
Glukose verglichen wurde.
쎲 Anfänglich wurde der GI aus dem postprandialen Blutzuckeranstieg innert
zwei Stunden, und zwar als Fläche unter der Kurve über dem Blutzuckernüchternwert bestimmt. Dazu berechnete man das Verhältnis zwischen der Blutzuckerfläche nach der Einnahme von 50 g Kohlenhydraten des Testnahrungsmittels und derjenigen nach der Einnahme von 50 g Glukose (= 100%) und gab
das Resultat in Prozenten an. Später wechselte man für den Standardwert
(100%) von Glukose zu 50 g Kohlenhydraten in Form von Weissbrot.
쎲 Die intra- und interindividuelle Variabilität des GI ist mit 025% verhältnismässig hoch, selbst bei Nahrungsmitteln, welche – zum Beispiel durch Kochen
– nicht weiter verarbeitet werden müssen.
쎲 Der GI wird durch die Zubereitungsart des Essens (z.B. Pürieren, Kochen
usw.) und andere Makronährstoffe beeinflusst. Proteine und Fasern verzögern
die Aufnahme von Kohlenhydraten und wirken sich somit auf den GI aus.
쎲 Da normale Mahlzeiten meist gemischt sind, lässt sich der GI der ganzen
Mahlzeit nicht zuverlässig aus dem GI der Einzelkomponenten berechnen.
쎲 Epidemiologische Studien wie die «Nurses Health Study» und die «Health
Professionals Follow up Study» konnten eine Assoziation zwischen einem hohen
GI und einem erhöhten Risiko für Diabetes und eine koronare Herzerkrankung
zeigen.
쎲 Interventionsstudien sind widersprüchlich: Einige zeigen eine bessere Blutzuckereinstellung und bessere Lipide bei Personen mit Diabetes Typ 1 und 2,
die faserreiche Kost zu sich nahmen. Andere Studien fanden hingegen keinen
Unterschied.
쎲 Es gibt keinen Beweis für einen kausalen Zusammenhang zwischen einem
hohen GI und Diabetes, Adipositas und kardiovaskulären Erkrankungen.
쎲 In letzter Zeit wächst die Evidenz dafür, dass Fruktose, die einen ausgesprochen tiefen GI aufweist, möglicherweise über eine gesteigerte De-novoLipogenese zur Adipositas beiträgt (siehe auch Berneis et al. [1]).
쎲 Aufgrund der heutigen Datenlage können keine konkreten auf dem GI basierenden Ernährungsempfehlungen abgegeben werden.
쎲 Für ausgewählte Patienten, etwa für Diabetiker, kann die Einhaltung von
Diäten, welche die sogenannte glykämische Last oder «Load» (GL) mit einbeziehen, sinnvoll sein, wenn diese längerfristig durchgeführt werden. In solchen Fällen ist eine qualitative und quantitative Modulation der Kohlenhydrate
anzustreben.
CME zu diesem Artikel finden Sie auf S. 889 oder im Internet unter www.smf-cme.ch.
Einleitung
In den letzten zwei Jahrzehnten wurden zahlreiche Studien publiziert, welche einen Zusammenhang zwischen einer vermehrten Zufuhr von
Nahrungsmitteln mit einem hohen glykämischen
Index (GI) bzw. einer hohen glykämischen Last
oder «Load» (GL = GI x Menge) und der Entstehung von Diabetes, Übergewicht und kardiovaskulären Erkrankungen zeigten. Die vorliegenden
Daten aus epidemiologischen und Interventionsstudien werden in der Literatur kontrovers beurteilt. Einerseits empfehlen gewisse Ärzte und
Ernährungstherapeuten diätetische Massnahmen, die in einer Einschränkung von Kohlenhydraten, vor allem denjenigen mit einem hohen GI
bestehen [2, 3], andererseits besagen zum Beispiel die Empfehlungen der American Diabetes
Association, dass die heutige Datenlage nicht
dazu berechtige, den GI in der Praxis der Ernährungsberatung von Diabetikern anzuwenden [4].
Aber zuerst zurück zu den «Wurzeln»: Der GI
wurde erstmals von Otto in Bremen und später
von Jenkins et al. als Behandlungskonzept bei
der diätetischen Beratung von Typ-1-Diabetikern eingeführt [5]. Die Bezeichnung des GI
stammt aus Jenkins Studien, in welchen die Auswirkung verschiedener Nahrungsmittel mit je 50 g
Kohlenhydraten auf den Blutzuckerspiegel mit
derjenigen von 50 g Glukose verglichen wurde
[5]. Der GI entspricht der Fläche über der Nüchternglukose zwei Stunden nach der Einnahme
des jeweiligen Nahrungsmittels, ausgedrückt in
Prozenten des Standards. Als Standard (= 100%)
wurde die Fläche unter der Kurve zwei Stunden
nach der Einnahme von 50 g Glukose definiert;
später wählte man als Standard 50 g Kohlenhydrate in Form von Weissbrot – wobei GI-Werte,
die auf dem «Glukose»-Standard basieren, mit
dem Faktor 1,43 multipliziert werden können,
um die Werte des «Weissbrot»-Standards zu berechnen. Mit dem GI lässt sich also die unterschiedliche Wirkung von Kohlenhydraten auf
den Blutzucker charakterisieren. Es ist naheliegend, dass dies zu Untersuchungen geführt hat,
die abklärten, ob sogenannte «schnelle» Zucker
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Summary
Glycaemic index of carbohydrate containing foods
and its bearing on health
쎲 The term glycaemic index (GI) originated from studies by Jenkins et al.,
who compared the effect on the rise in plasma glucose of 50 g carbohydrates
in various carbohydrate-rich foods with that of 50 g glucose.
쎲 The GI is determined, on the basis of the postprandial rise in plasma
glucose within 2 hours, as the area under the curve above the fasting plasma
glucose level. For this the ratio between the plasma glucose area after 50 g
carbohydrates from the test food and that after 50 g glucose (= 100%) is calculated and the result expressed in percent. Later the standard (100%) was
changed from glucose to 50 g carbohydrate in the form of white bread instead
of glucose.
쎲 The intra- and interindividual variability of the GI is quite high (0 25%) even
for foods which need further processing, e.g. by cooking.
쎲 The GI is influenced by the manner of preparing the meal (e.g. creaming,
pureeing etc.) and other macronutrients. Protein and fibres delay the uptake
of carbohydrates and thus have an effect on the GI.
쎲 Since normal meals are usually mixed, the GI of the whole meal cannot
be reliably calculated from the GI of the individual components.
쎲 Epidemiological studies such as the “Nurses Health Study” and the “Health
Professionals Follow Up Study” have demonstrated an association between a
high GI and heightened risk of diabetes and coronary heart disease.
쎲 Intervention studies are contradictory: some show better plasma glucose
control and better lipids in diabetes type 1 and 2 patients on high fibre diets,
while other studies found no difference.
쎲 There is no proof of a causal connection between a high GI and diabetes,
obesity or cardiovascular diseases.
쎲 Evidence has recently been growing that fructose, which has a markedly low
GI, contributes to obesity possibly via “de novo lipogenesis” (see also Berneis
et al. [1]).
쎲 Present data do not allow any concrete GI-based nutritional recommendations to be made.
쎲 For selected patients, e.g. diabetics, diets incorporating the glycaemic load
(GL) make sense if carried out on a long term basis. Qualitative and quantitative modulation of carbohydrates should be the aim in these cases.
für Diabetes, Übergewicht und Atherosklerose
mitverantwortlich sein könnten.
Die Frage, ob Kohlenhydrate mit hohem GI
schädlich für die Gesundheit sind, ist – angesichts der weltweiten Zunahme von Übergewicht
und dem metabolischen Syndrom – aktuell und
soll in diesem Artikel näher beleuchtet werden.
Die Variabilität des glykämischen
Indexes und seine Einflussfaktoren
Die Variabilität des GI von Tag zu Tag ist bei
wiederholten Messungen beim gleichen Probanden mit 25% verhältnismässig hoch, selbst für
Nahungsmittel, die – zum Beispiel durch Kochen
– nicht weiter verarbeitet werden müssen. So
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lässt sich der GI vor allem bei gemischten Mahlzeiten nur mit Vorbehalt bestimmen. Eine Kartoffel hat in ihrer ursprünglichen Form einen
um etwa 25% tieferen GI als in püriertem Zustand. Reis kann je nach seiner individuellen
Zusammensetzung einen GI zwischen 68 und
108 besitzen, je nach Verhältnis von Amylose
zu Amylopektin. Amylopektin kann einfacher zu
Glukose hydrolysiert werden; je höher sein Anteil im Reis ist, desto höher ist der GI. Auch Pasta
ist nicht gleich Pasta: Maccheroni haben typischerweise einen höheren GI als Spaghetti, und
der GI von Spaghetti variiert ja nach Durchmesser: je dünner, desto höher der GI. Ebenfalls die
Zubereitungsweise von Lebensmitteln verändert
den GI: Beispielsweise kann die Stärke in ungekochten Kartoffeln bei der Verdauung nicht
hydrolysiert werden. Beim Kochvorgang werden
die Stärkegranula gelatinisiert und können hydrolysiert werden. Sobald die Kartoffel kalt wird,
bildet sich die Gelatinisation teilweise zurück,
und ungefähr 12% der Stärke können wiederum
nicht mehr hydrolysiert werden. Auch die Kochhitze und die Wassermenge, die zum Kochen benutzt wird, haben mitunter einen Einfluss auf
den GI. Es gibt zahlreiche Tabellen, die den GI
von bis zu 750 verschiedenen Nahrungsmitteln
angeben [6]. Allerdings sind ganze Mahlzeiten
in der Regel gemischt, und es wird um so schwieriger, den GI vorherzusagen. Je nach Art und
Qualität des Kohlenhydratanteils einer Mahlzeit
wird der GI höher oder tiefer sein. Es gibt Studien, welche die Vorhersagbarkeit des GI von
gemischten Mahlzeiten untersucht haben. Einige
gelangten zum Resultat, dass sich auch der GI
von gemischten Mahlzeiten vorhersagen lasse,
andere wiesen darauf hin, dass andere Makronährstoffe wie Proteine und Fasern mit der Aufnahme und somit dem GI von Kohlenhydraten
interagieren und daher nur eine beschränkte
Vorhersage möglich sei [7]. Wie dem auch sei, es
leuchtet ein, dass es wegen der Variabilität des
GI selbst und aufgrund möglicher Einflüsse des
Verarbeitungsprozesses, inklusive des Kauvorganges nur in sehr beschränktem Mass möglich
ist, basierend auf dem GI verschiedener Nahrungsmittel verlässliche Ernährungsempfehlungen abzugeben [8].
Hoher glykämischer Index als Ursache
von Übergewicht und Diabetes
Ein hoher postprandialer Glukoseanstieg ist mit
einem stärkeren Sättigungsgefühl verbunden [9].
Wissenschaftliche Studien, welche die Wirkung
von Nahrungsmitteln mit hohem GI auf das
Hunger- und das Sättigungsgefühl untersuchten,
fielen allerdings unterschiedlich aus. In sechs
Studien, welche die Nahrungsaufnahme nach
einer Mahlzeit mit hohem GI auswerteten,
fanden drei eine signifikante Verminderung der
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Nahrungsaufnahme bei hohem GI, während die
anderen drei dies nicht zeigen konnten. Eine
Interventionsstudie, die über 30 Tage durchgeführt wurde, gab gesunden Probanden entweder
Nahrung mit tiefem oder hohem GI. Die Studienteilnehmer konnten essen, soviel sie wollten.
Nach 30 Tagen liess sich hinsichtlich des Gewichtes kein Unterschied feststellen [10].
Trotzdem wurde aufgrund von Daten epidemiologischer Studien die These abgeleitet, dass ein
hoher GI durch die postprandiale Hyperglykämie
und Hyperinsulinämie zu Insulinresistenz und
somit zu Diabetes und zur koronaren Herzkrankheit (KHK) führen könnte [11]. Allerdings fehlt
dafür bis jetzt der experimentelle Nachweis.
In der Studie von Kiens et al. wurde am Ende
einer 30tägigen Versuchsperiode die Insulinsensitivität mit der Methode der euglykämischen
hyperinsulinämen Clamp bestimmt. Dabei werden Insulin und Glukose infundiert und errechnet, wieviel Glukose aufgenommen wird – entsprechend einem Mass für die Insulinsensitivität.
Interessanterweise fanden die Autoren keinen
Unterschied, egal ob die Probanden während
30 Tagen viel Nahrungsmittel mit hohem oder
mit tiefem GI eingenommen hatten. In einer
älteren Studie wurde sogar gezeigt, dass kohlenhydratreiche Nahrung nach zehn Tagen zu einer
erhöhten Insulinempfindlichkeit führt [12]. Es
existiert bis jetzt also kein direkter experimenteller Nachweis beim Menschen, dass Nahrungsmittel mit hohem GI zur Insulinresistenz führen.
Deshalb ist es nicht angebracht, einen kausalen
Zusammenhang zwischen einem hohen GI und
der Entstehung eines Diabetes Typ 2 zu konstruieren. In der Pathogenese des Diabetes steht
die Insulinresistenz vor der Erschöpfung der
Betazellfunktion, welche schliesslich eine Hyperglykämie bewirkt. Dies wird auch in einer kürz-
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lich publizierten Arbeit von Liese et al. bestätigt:
Bei 979 Erwachsenen mit normaler und verminderter Glukosetoleranz aus der «Insulin
Resistance Atherosclerosis Study» fand sich
kein Zusammenhang zwischen dem GI und der
Insulinempfindlichkeit oder dem BMI. Interessanterweise korrelierte jedoch die vermehrte
Einnahme von Nahrungsfasern mit einer gesteigerten Insulinempfindlichkeit und einem tieferen BMI [13].
Grosse epidemiologische Studien wie die «Health
Professionals Follow up Study» und die «Nurses
Health Study» zeigten eine Assoziation zwischen
einem hohen GI und dem Risiko für Diabetes. So
liess sich bei einem Kollektiv von 65 173 Frauen
und einem Follow-up von sechs Jahren zeigen,
dass sowohl ein hoher GI als auch eine hohe glykämische Last oder «Load» (GL) mit einem höheren Risiko für Diabetes assoziiert war. Ebenso
war die Einnahme von viel Nahrungsfasern mit
einem ungefähr um das 2,5fache tieferen Diabetesrisiko verbunden [14]. Im Gegensatz dazu
ergab eine neuere Publikation der «Nurses Health
Study», diesmal mit 91 249 Teilnehmerinnen
und einem Follow-up von acht Jahren sowie
einer exakteren Ernährungserhebung, zwar eine
Assoziation zwischen einem hohen GI und dem
Risiko für Diabetes, jedoch interessanterweise
keine Korrelation mehr zwischen der GL und
Diabetes [15].
In der «Health Professional Follow up Study»
hatten Männer mit der höchsten GL und der tiefsten Einnahme von faserreichen Nahrungsmitteln ein relatives Risiko von 2,17, einen Diabetes
Typ 2 zu entwickeln [16]. Es sei ausdrücklich
darauf hingewiesen, dass mit epidemiologischen
Assoziationen keine kausalen Zusammenhänge
bewiesen werden können.
Glykämischer Index und
kardiovaskuläre Erkrankungen
«Nurses Health Study»
2,03
1,11
2,5
2
1,74
1,2
Tertile 3
1,42
1
1
Tertile 2
1,05
0,5
Tertile 1
<23
23–29
BMI (kg/m2)
G
ly
kä
m
is
ch
e
RR
La
st
0,94
1,5
0
1,97
>29
Interaktion: p <0,01
Abbildung 1
Relatives Risiko (RR) für eine koronare Herzkrankheit in Abhängigkeit von BMI und glykämischer Last (adaptiert nach Liu et al. [17] mit freundlicher Genehmigung des «American
Journal of Clinical Nutrition», American Society for Nutrition [ASN], Bethesda, MD).
Die Annahme, dass Nahrungsmittel mit hohem
GI schädlich sind, stammt vor allem aus den
obenerwähnten epidemiologischen Studien: In
der «Nurses Health Study» mussten die Probandinnen bei der Basisuntersuchung einen Ernährungsfragebogen ausfüllen, und der GI und
die GL waren signifikant mit einem erhöhten
Risiko für eine koronare Herzkrankheit verbunden (Abb. 1 x). Allerdings nahm während der
Studie das Risiko für die KHK insgesamt ab, während die GL anstieg. Dies ist natürlich verwirrend, um so mehr, als uns andere epidemiologische Studien (z.B. zur Vitaminversorgung und
zum Krebsrisiko) gelehrt haben müssten, dass
aus Assoziationen keine kausalen Zusammenhänge abgeleitet werden sollten. Überdies gibt es
auch Studien wie etwa das «Puerto Rico Heart
Health Program», die gezeigt haben, dass Personen mit einer hohen Kohlenhydrateinnahme und
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folglich mit einer höheren GL ein tieferes Risiko
für eine KHK haben sollen [18]. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es abgesehen von gewissen epidemiologischen Assoziationen keine
experimentellen Beweise dafür gibt, dass ein
hoher GI in der Nahrung zu einem höheren Herzinfarktrisiko führt.
Der glykämische Index in der
Ernährungstherapie bei Diabetes
Bei Diabetes Typ 1 ist die Ernährungsberatung
ein integraler Bestandteil des Behandlungskonzeptes und kann zu einer guten Blutzuckereinstellung beitragen. Viele dieser Patienten
wägen oder schätzen die Kohlenhydrate ihrer
Mahlzeiten und spritzen demzufolge entsprechendes Mahlzeiteninsulin. Von der European
Association for the Study of Diabetes (EASD)
wird Nahrung mit einem hohen Faseranteil und
einem tiefen glykämischen Index empfohlen, um
den postprandialen Blutzuckeranstieg zu verringern [19]. Die American Diabetes Association
(ADA) gibt diesbezüglich keine spezifischen
Empfehlungen ab [4]. Immerhin konnte eine
kontrollierte Interventionsstudie über 24 Wochen bei Patienten mit Diabetes Typ 1 zeigen,
dass eine faserreiche Diät (50 g/d) im Vergleich
zu einer faserarmen (15 g/d) zu einer besseren
Blutzuckereinstellung und zum verminderten
Auftreten von Hypoglykämien führte [20]. Die
Fasern wurden in Form von Früchten und Gemüse mit hohem Faseranteil eingenommen
(Äpfel, Orangen, Birnen, Artischocken, Brokkoli
usw.), während die andere Gruppe statt dessen
mit Bananen, Fruchtsäften und Tomaten usw.,
also mit Früchten und Gemüse mit eher tiefem
Faseranteil vorliebnehmen musste. Ein hoher
Faseranteil bedeutet einen tieferen GI, wobei
die Autoren nicht ausschliessen konnten, dass
andere intrinsische Eigenschaften der bevorzugten Lebensmittel zur besseren Blutzuckereinstellung beitrugen. Der Nutzen bei Diabetes Typ 2 ist
weniger gut belegt: Während Groop et al. bei
15 Patienten mit Diabetes Typ 2 nach einer
48wöchigen Behandlung mit gereinigten Faserpräparaten (Guarpräparat, 15 g/d) eine bessere
Blutzuckereinstellung und eine Verbesserung des
Lipidprofils zeigen konnten [21], fanden Uusitupa et al. nach einer dreimonatigen Behandlung
von 39 Typ-2-Diabetikern mit Guar keine Veränderung der Blutzuckereinstellung [22].
Modediäten, die sich auf den GI
oder die GL beziehen (Glyx, LOGI usw.)
Diäten, die auf einer Verminderung des GI oder
der GL beruhen (Glyx, LOGI usw.), können für
den einzelnen Patienten sinnvoll sein, da sie zu
einer tieferen Energiedichte der konsumierten
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Nahrungsmittel führen und damit die Tendenz
zu einer geringeren Kalorieneinnahme und
einem vermehrten Konsum von nährstoff- und
nahrungsfaserreichen Nahrungsmitteln fördern.
Das wichtigste bei allen Diätformen ist auf jeden
Fall, dass sie langfristig durchgeführt werden
können, ohne bei den Mikronährstoffen wie etwa
Vitaminen oder Spurenelementen in einer Mangelernährung zu münden. Auch für diese Diäten
sind die obenerwähnten Einschränkungen zu
beachten. Sie haben eine gewisse Evidenz bei
Diabetikern, jedoch nicht bei der übrigen übergewichtigen Bevölkerung. Grundsätzlich ergibt
in der klinischen Praxis die Anwendung der
GL mehr Sinn, da ebenfalls eine quantitative
und nicht nur eine qualitative Modulation der
Kohlenhydrateinnahme praktiziert wird.
Schlussfolgerung
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass
grosse epidemiologische Studien Zusammenhänge zwischen einem hohem GI und einem
erhöhten Risiko für Diabetes, KHK und Übergewicht gezeigt haben. Interventionelle Studien
konnten nachweisen, dass faserreiche Kost mit
tiefem GI möglicherweise die Blutzuckereinstellung von Diabetikern vorteilhaft beeinflusst. Es
existieren jedoch noch keine grossen und länger
dauernden randomisierten kontrollierten Interventionsstudien, die gezeigt hätten, dass eine
Ernährung mit tiefem GI das Risiko für Diabetes,
Übergewicht und KHK vermindert. Im Gegenteil, die Evidenz wächst, dass auch Zuckerarten
mit tiefem GI wie zum Beispiel Fruktose zu
einer gesteigerten De-novo-Lipogenese, zu einer
Gewichtszunahme und schliesslich zur Insulinresistenz führen können.
Auch wenn diese Feststellung nicht sensationell
ist: Eine ausgewogene Ernährung, bestehend
aus einer täglichen Einnahme von Früchten,
Gemüse und Vollkornprodukten zusammen mit
regelmässiger Bewegung, ist sicherlich der allgemeinen Gesundheit förderlicher als Empfehlungen, die auf spezifischen Eigenschaften
einzelner Makronährstoffe (Proteinen, Kohlenhydraten und Fetten) basieren.
Trotz aller kritischer Abwägungen soll zum
Schluss festgehalten werden, dass der GI und die
GL vom Konzept her interessant sind und die
Anwendung in Einzelfällen wie zum Beispiel bei
Ausdauersportlern, welche durch Einnahme von
Nahrungsmitteln mit tiefem GI einen «Hungerast» vermeiden können, und bei einigen Diabetikern (v.a. mit Diabetes Typ 1) durchaus seine
Berechtigung haben kann.
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Literatur
Korrespondenz:
PD Dr. med. Kaspar Berneis
Klinik für Endokrinologie
und Diabetologie
UniversitätsSpital Zürich
Rämistrasse 100
CH-8091 Zürich
[email protected]
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