Spezielle neurochirurgische Maßnahmen 324 25 Mikroneurochirurgische Grundsätze Kirsten Schmieder, Albrecht G. Harders Inhalt 25.1 Technische Voraussetzungen der Mikroneurochirurgie ................................324 25.2 Präoperative Planungen .................................325 25.3 Prinzipien der Trepanationen und deren Ansprüche an den Operateur .............326 Pterionaler Zugang .........................................327 Fronto-lateraler Zugang .................................327 Subfrontaler Zugang .......................................327 Paramedian-interhemispärisch frontaler, parietaler oder okzipitaler Zugang ..............327 Subtemporaler Zugang ...................................327 Subokzipitaler lateraler Zugang ...................328 Suprazerebellärer paramedianer Zugang ....328 Subokzipitaler medianer Zugang ..................328 25.4 Präparation in natürlichen arachnoidalen Spalträumen .....................................................328 25.5Mikroneurochirurgische Tumorentfernung ............................................329 25.6 Mikrochirurgische ­Ausschaltung von ­Gefäßmalformationen .............................331 Aneurysmata ....................................................331 Arteriovenöse Malformationen .....................332 Kavernome .......................................................332 25.7Schlussbemerkung ..........................................332 Literatur ..............................................................................332 Refresher-Fragen unter www.schattauer.de 25.1 Technische Voraussetzungen der Mikroneurochirurgie Die operative Behandlung neurochirurgischer Erkrankungen beruht im Wesentlichen auf dem Einsatz des Mikroskops, das neben stereoskopischem Sehen vor allem ein optimales Ausleuchten tief liegender Prozesse gewährleistet (Abb. 25-1b). Dementsprechend werden intradurale Eingriffe unter dem Mikroskop durchgeführt. Es ergeben sich folgende Vorteile: Ausleuchtung und Vergrößerung des Operationsgebietes, bessere Assistenzmöglichkeit, Ausbildung eines Assistenten. Operationsmikroskope haben neben dem Operations­ okular noch eine zweite Einblickmöglichkeit für den Assistenten, allerdings ohne stereoskopisches Sehen. Der dritte Lichtkanal wird für eine Foto- oder Videokamera genutzt. Der optimale Einsatz des Mikroskops setzt eine ­Tarierungsmöglichkeit voraus, um eine leichte Beweglichkeit – gegebenenfalls per Mundschalter – zu gewährleisten. Eine weitere technische Voraussetzung für mikroneurochirurgische Eingriffe stellt die Mayfield® -Klemme dar (Abb. 25-1a). Mit diesem Dreipunkthalter wird der Kopf des Patienten fixiert. Darüber hinaus erlaubt erst die Fixierung des Kopfes eine reproduzierbare Lagerung und damit eine Standardisierung operativer Zugänge. Daher werden intradurale Eingriffe mit Fixation des Kopfes durchgeführt. Die Fixationsdorne verursachen lediglich geringfügige Hautläsionen. Nur für Kleinkinder sind spezielle Dorne erforderlich. Darüber hinaus sind Fixationshalterungen als fester Sockel für Referenzierungsutensilien bei Einsatz der Neuronavigation erforderlich. Der Patient wird mit einer neutralen Elektrode geerdet, um zusätzlich zur bipolaren auch die monopolare Strompinzette gebrauchen zu können. Ein bequem höhenverstellbarer Stuhl mit ebenfalls höhenverstellbarer Armauflage gewährleistet entspanntes Arbeiten mit beiden Händen (Abb. 25-1b). Zusätzlich zu den »klassischen« Instrumenten zur Eröffnung von Haut und Knochen wurden spezielle Instru­ mente zum mikroneurochirurgischen Arbeiten ent­ wickelt. Meist präpariert man arbeitsteilig: Die linke Hand führt den bajonettartig gebogenen Sauger (Abb. 25-1) mit Moskopp, Wassmann: Neurochirurgie. ISBN: 978-3-7945-2442-6. © Schattauer GmbH 325 Spezielle neurochirurgische Maßnahmen 25.2 Präoperative Planungen a b Abb. 25-1 Mikroneurochirurgische Instrumente, Mikroskop und Armauflage: a Aus didaktischen Gründen zusammengelegt wurden: Tumorfasspinzetten), bipolare Koagulationspinzetten mit Isolierschicht, mehrgelenkige Applikationszangen für Aneurysma-Clips. b Arrangement von Mikroskop und Armlehne des Operationsstuhls (ohne Bezüge) sowie des Instrumententisches (nach didaktischen Gegebenheiten). Feinregelung der Saugstärke und die rechte Hand arbeitet mit einer bipolaren Strompinzette, deren Stromfluss über einen Fußschalter bei Bedarf durch den Operateur aktiviert wird. Damit wird eine Gewebedurchtrennung ermöglicht und gleichzeitig oder alternierend die Blutstillung durch Verödung der Gefäße. Ohne Stromfluss dient die Pinzette der Präparation. Unterschiedliche Längen und Dicken müssen vorhanden sein, da die Arbeitstiefe bei Instrumenten, die eine definierte Halteposition in der Hand des Operateurs haben, über einen Wechsel des Instrumentes geändert wird. Gleiches gilt für Tumorfasspinzetten, Mikroscheren und Clip-Zangen, während feine Häkchen, Dissektoren, Kürretten und Mikromesser als stiftförmige Instrumente in ihrer Länge durch den Greifpunkt am Instrumentenschaft festgelegt werden. Beide Instrumentengruppen brauchen eine stabile und feste Auflage der Hand des Operateurs, um die notwendigen feinen Arbeitsbewegungen ermüdungsfrei auch über Stunden zu erlauben. eines oder zweier selbsthaltender Spatel die Arbeit des Operateurs und schützt bei zarter Retraktion das umgebende Hirn vor Verletzung und Austrocknung durch die Wärmewirkung der Lichtquelle des Mikroskops, wenn das nichtoperierte Gewebe mit feuchten Watten abgedeckt wird. Mayfield ® -Halterung zur Fixation des Kopfes mit Dornen, Sogredu­ zierventil mit abgewinkelten Saugerhandstücken, Mikroinstrumente in gerader und bajonettförmiger Ausprägung (Dissektoren, Der trainierte Umgang mit der bipolaren Strompinzette und dem Sauger, ergänzt durch den Einsatz der Schneide- und Präparationsinstrumente, ist die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche mikroneurochirurgische Operation. Wichtig ist dabei auch die gute Zusammenarbeit mit dem instrumentierenden Pflegepersonal, da ein Anreichen der Instrumente ohne die Notwendigkeit der visuellen Kontrolle durch den Operateur oder eines Nachfassens von entscheidender Bedeutung für ein »rundes Fortschreiten« der Operation ist. Bei Operationen in tieferen Hirnarealen oder bei der Präparation natürlicher Spalträume erleichtert der Einsatz CAVE Eine Schädigung des unter dem Spatel liegenden Hirns durch Druck oder Störung der Mikrozirkulation entsteht bei übermäßigem Zug am Spatel unter nicht ausreichend entlasteten Druckverhältnissen. Weiterhin ist die Wahl der Breite des Hirnspatels entscheidend, da ein zu schmaler Spatel einschneiden kann. Die Haltevorrichtung wird entweder am Operationstisch oder an der Mayfield® -Klemme fest angeschraubt. Eine flexible Schlange, deren Haltekraft variiert werden kann und die in der gewünschten Stellung durch Umlegen eines Kippschalters mit Verriegelung der einzelnen kleinen Glieder zueinander arretiert wird, dient zur Führung des Spatels. 25.2 Präoperative Planungen Die Planung eines mikroneurochirurgischen Eingriffes erfolgt am Tag vor der Operation. Eine simulierte Ex-vivo-Operation mit den einzelnen Schritten wird mithilfe der bildgebenden Diagnostik (CT, gegebenenfalls dreidimensional; MRT, funktionelles MRT; digitale Subtrak­ tions­angiografie) von jüngeren Kollegen im Beisein eines erfahrenen Operateurs exemplarisch »durchgespielt«. Moskopp, Wassmann: Neurochirurgie. ISBN: 978-3-7945-2442-6. © Schattauer GmbH Spezielle neurochirurgische Maßnahmen 326 25 Mikroneurochirurgische Grundsätze Im ersten Schritt werden Lage- und Nachbarschaftsbeziehung der Läsion unter Berücksichtigung der Neuroanatomie definiert. Entscheidend sind Größe, mögliche zystische oder nekrotische Anteile, Ausdehnung, Oberflächenbeziehungen auch in der Tiefe, Verlagerung von Hirnteilen, Gefäßen oder der Ventrikel. Darüber hinaus ist es vor allem in der Tumorchirurgie entscheidend, sich die Wachstumscharakteristik eines Tumors vor Augen zu führen. Nach einer genauen Beschreibung der Läsion erfolgen die virtuelle Planung und ein »Durchspielen« möglicher Zugangswege unter besonderer Berücksichtigung einer atraumatischen und der Läsion angemessenen Strategie. Die endgültige Entscheidung für einen Zugang wird vor allem auch in Kenntnis der jeweiligen Risiken getroffen. Abgesehen von den Risiken des Zugangsweges selbst müssen auch die speziellen Risiken, die durch die Läsion aufgrund ihrer Lage und Größe entstanden sind, berücksichtigt werden. Der ausgewählte Zugang muss dabei nicht der kürzeste, sondern der am wenigsten traumatisierende sein. umgebende Strukturen definieren Gefäße: Hirnnerven: Gehirn: • Arterien • Nn. I–XII • Nuclei • Venen • Tractus • Sinus • limbisches System • eloquente Areale C Zugangswege zur Läsion natürliche Spalträume: • Sulci • Fissuren • Zisternen D Sinusbezug Nasennebenhöhlen Felsenbein For. magnum E F Lagerung Trepanation Größe transkortikal Kosmetik Hautschnitt operieren wie Planung: F Abb. 25-2 Planungsschritte einer mikroneurochirurgischen ­Operation. 25.3 Prinzipien der Trepanationen und deren Ansprüche an den Operateur Der knöcherne Zugang soll dem Operateur einen ausreichenden Ein- und Überblick ermöglichen. Eine zu kleine Kraniotomie behindert die freie Beweglichkeit des Operateurs, insbesondere auch das Einführen und Bewegen von Instrumenten speziell bei Präparationen in größerer Tiefe. In diesem Kapitel werden die Trepanationen und die daraus resultierenden operativen Zugänge vorgestellt, deren sich der Mikroneurochirurg bedient, um sowohl tumoröse als auch vaskuläre Läsionen operativ anzugehen. Für jede dieser Trepanationen existiert eine Vorgabe, die auf den Erstbeschreiber zurückgeht und die mit der Zeit entstandenen Modifikationen berücksichtigt. Diese Vorgabe umfasst: Lagerung des Patienten auf dem Operationstisch und die Fixierung des Kopfes in der Mayfield® -Klemme, Festlegung des Hautschnittes unter kosmetischen und funktionellen Gesichtspunkten (Blut-, Nervenversorgung), Topografie von Bohrlöchern, Verlauf des Sägeschnittes und osteoklastischer Anteile der jeweiligen Trepanation. A anatomische »Standortbestimmung« einer intrakraniellen Raumforderung (rechts/links, Lobus, Lobulus, Marklager, Leitungsbahnen) B In einem letzten Schritt wird die Trepanation in ihrer Lage und Größe festgelegt, der Hautschnitt unter dem Gesichtspunkt der Kosmetik und der Blutversorgung sowie die erforderliche Lagerung des Patienten bestimmt (Abb. 25-2). Dieser festgelegte Ablauf zur Planung einer mikroneurochirurgischen Operation ändert sich auch nicht durch den Einsatz der Neuronavigation. Diese bietet eine zusätzliche Sicherheit, aber die intraoperative Einschätzung – insbesondere der Größe der Läsion und des Fortschrittes der Operation in dreidimensionaler Hinsicht – obliegt dem Operateur. A Die Trepanation zur Freilegung von Kortexanteilen wird nachstehend nicht eigens besprochen – sie stellt vergleichsweise geringe technische Ansprüche an den Operateur. Eingriffe zur Freilegung der hinteren Schädelgrube, des Kleinhirnbrückenwinkels sowie der supratentoriellen Regio occiptials können in halbsitzender bzw. sitzender Lagerung oder in Seitenlagerung oder Bauchlage durchgeführt werden. Die übrigen der nachstehend geschilderten Operationszugänge werden in Rückenlage des Patienten durchgeführt. Moskopp, Wassmann: Neurochirurgie. ISBN: 978-3-7945-2442-6. © Schattauer GmbH 327 Pterionaler Zugang Subfrontaler Zugang Der pterionale Zugang erlaubt einen Überblick über die Fissura Sylvii, große Teile der frontalen Schädelbasis und Teile des Frontal- und Temporallappens. Die Eröffnung der Lamina terminalis und damit des III. Ventrikels ist möglich. Die Hauptindikationen für diesen Zugang sind: Aneurysmata des vorderen Hirnkreislaufs, Tumoren der frontalen und temporalen Schädelbasis, bis nach suprasellär reichende sowie intraparenchymale Tumoren des Frontal- und Temporallappens, die Epilepsiechirurgie. Der subfrontale Zugang mit Heraussägen der Stirnhöhlenvorderwand und Resektion der Stirnhöhlenhinterwand erlaubt einen Überblick über die gesamte frontale Schädelbasis bis zur Sellaregion. Die Eröffnung der Lamina terminalis und damit des III. Ventrikels ist möglich. Hauptindikationen sind: Aneurysmata des vorderen Hirnkreislaufs, Meningeome der frontalen Schädelbasis bis zum Diaphragma sellae, Kraniopharyngeome, Deckung fronto-basaler Duraverletzungen. Die von Yaşargil beschriebene zweischichtige Präparation der Faszie des M. temporalis zum Schutz des frontalen Astes des N. facialis wird nicht von allen Operateuren durchgeführt und stellt einen speziellen Anspruch an den Zugang dar, weil man gerade durch diese Präparationstechnik auch den Nerven schädigen kann. Die Entfernung des Keilbeinflügels – unter Umständen mit Teilen des Orbitadachs und des vorderen Klinoidfortsatzes – ist entscheidend, um einen basisnahen Arbeitskorridor zu schaffen und eine unnötige Retraktion des Gehirns zu vermeiden. Der spezielle Anspruch liegt zum einen in der Duraeröffnung unter Durchtrennung des frontalen Falxansatzes mit Unterbindung des Beginns des Sinus sagittalis superior. Zum anderen wird bei der Präparation in die Tiefe ein- oder beidseitig der N. olfactorius aus seiner arachnoidalen Schicht präpariert, um bei der Anhebung des Frontallappens eine Schädigung zu verhindern. Darüber hinaus erfolgt am Ende der Operation eine Kranialisa­ tion der Stirnhöhle beidseits mit einem Galea-Periost-­ Lappen. Fronto-lateraler Zugang In Abwandlung des pterionalen Zugangs beschränkt sich der fronto-laterale Zugang auf den frontalen Anteil der Trepanation, der je nach Bedarf erweitert wird. Er erlaubt einen Überblick über das Orbitadach der jeweiligen Seite der frontalen Schädelbasis und lateral auf die Fissura ­Sylvii. Eröffnungen der Lamina terminalis und damit des III. Ventrikels sind möglich. Hauptindikationen für diesen Zugang sind: Aneurysmata des vorderen Hirnkreislaufs, Tumoren der frontalen Schädelbasis, bis nach suprasellär reichende sowie intraparenchymale Tumoren des Frontallappens. Der spezielle Anspruch liegt zum einen in der eventuell unvermeidbaren Eröffnung der Stirnhöhle, um den Schädel hinreichend basal zu eröffnen, mit der konsekutiven Erfordernis einer Kranialisation. Unter Kranialisation versteht man das Verschließen der eröffneten Nasennebenhöhlenanteile durch Aufsteppen eines (gegebenenfalls gestielten) Galea-Periost-Lappens über das freigelegte Stück bis hinunter zur Dura. Zum anderen wird eine Entfernung knöcherner Unregelmäßigkeiten des Orbitadaches mithilfe der Kugelfräse häufig notwendig, um einen möglichst freien basalen Einblick zu erlauben. Paramedian-interhemispärisch frontaler, parietaler oder okzipitaler Zugang Der paramedian-interhemispärisch frontale, parietale oder okzipitale Zugang erlaubt einen Überblick über den Kortex im Mittelspalt sowie über den Sinus, die Falx bis hinunter zum Balken und das Ventrikelsystem. Haupt­ indikationen sind: parasagittale Falxmeningeome, Tumoren in den mittelspaltnahen Hirnanteilen von frontal bis okzipital, Tumoren im Ventrikelsystem. Der spezielle Anspruch liegt zum einen in der Platzierung der Bohrlöcher auf dem Sinus mit der potenziell notwendigen Versorgung eventueller Verletzungen. Zum anderen bedarf es einer Eröffnung der Dura unter Schonung der einmündenden Brückenvenen sowie der Pacchioni-Granulationen. Subtemporaler Zugang Der subtemporale Zugang erlaubt einen Überblick über die temporale Schädelbasis und die in der Tiefe lokalisierte Cisterna ambiens sowie die angrenzenden Anteile des Mittelhirns. Hauptindikationen sind: Moskopp, Wassmann: Neurochirurgie. ISBN: 978-3-7945-2442-6. © Schattauer GmbH Spezielle neurochirurgische Maßnahmen 25.3 Prinzipien der Trepanationen und deren Ansprüche an den Operateur 328 25 Mikroneurochirurgische Grundsätze Spezielle neurochirurgische Maßnahmen Meningeome der temporalen Schädelbasis einschließ- lich des Tentoriumschlitzes, Prozesse an der Felsenbeinspitze, lateralisierte Kavernome des Mittelhirns, Basilariskopfaneurysmata. Der spezielle Anspruch liegt zum einen in der möglichst basalen, felsenbeinnahen Lage der Trepanation. Zum anderen verlangt die subtemporale Präparation in die Tiefe selbst bei Unterstützung durch eine lumbale Liquordrainage ein vorsichtiges Vorgehen unter Schonung der basalen, den Temporallappen drainierenden Venen (vor allem der V. Labbé). Subokzipitaler lateraler Zugang Der subokzipital laterale Zugang erlaubt, je nach Ausdehnung in der Längsachse, einen Überblick über den gesamten Kleinhirnbrückenwinkel vom Tentorium bis zum For. magnum. Hauptindikationen sind: Meningeome des Kleinhirnbrückenwinkels, Vestibularis-Schwannome, neurovaskuläre Kompressionssyndrome der Nn. trigeminus et facialis. Der spezielle Anspruch liegt zum einen in der teilweisen Entfernung des Mastoids mit dem Ziel einer nur geringen Retraktion des Kleinhirns. Dies verlangt die Freilegung des Sinus transversus und des Sinus sigmoideus, mit der Gefahr der Eröffnung des Sinus oder angrenzender knöcherner lakunärer Venen. Die Versorgung derartiger Verletzungen dient zur Blutstillung und bei sitzender Lagerung der Vermeidung einer Luftembolie. Die spätere Abdeckung der eröffneten Anteile des Mastoids mit Muskel und Fibrinkleber oder einer Kombination aus Kollagen und Fibrinkleber als Vlies soll eine Liquorrhö verhindern. Suprazerebellärer paramedianer Zugang Der suprazerebelläre paramediane Zugang erlaubt einen Überblick über die Kleinhirnoberfläche, die Unterfläche des Tentoriums sowie in der Tiefe über die Cisterna laminae quadrigeminae. Hauptindikationen sind: Tumoren des Oberwurms, Prozesse in der Pinealisregion und im hinteren Anteil des III. Ventrikels. Der spezielle Anspruch liegt zum einen in der Darstellung des Sinus transversus und des Confluens sinuum mit einer sinusnahen Duraeröffnung, wobei das häufige Vorliegen eines Sinus suboccipitalis oder anderer sinu- soidaler Abflüsse diese Duraeröffnung erschwert. Zum anderen müssen bei der Präparation in die Tiefe oberhalb des Kleinhirns die Drainagevenen zum Tentorium entweder geschont oder gezielt koaguliert werden, um Blutungen oder Luftembolien zu vermeiden. Subokzipitaler medianer Zugang Der subokzipitale mediane Zugang unter Einbeziehung des For. magnum erlaubt einen Überblick über die dorsalen Kleinhirnanteile, einen Einblick in den unteren Anteil des IV. Ventrikels sowie nach Präparation zwischen Wurm und Tonsille einen Überblick über den Boden der Rautengrube und teilweise über die Lateralfläche der ­Medulla oblongata. Hauptindikationen sind: Tumoren, die von dorsal Kontakt zum IV. Ventrikel haben; Tumoren und Kavernome der Rautengrube selbst; Aneurysmata der Aa. vertebralis et inferior posterior cerebelli; Meningeome des kranio-zervikalen Überganges (s. Kap. 37). Der spezielle Anspruch liegt zum einen in der Duraeröffnung unter gezielter Behandlung eröffneter Anteile eines Sinus suboccipitalis oder angrenzender sinusoidaler duraler Drainagevenen auch auf Höhe des For. magnum. Zum anderen verlangt die Präparation zwischen Wurm und Tonsille oder lateral der Medulla oblongata die unbedingte Schonung der arteriellen und venösen Gefäße und die nur geringe Manipulation der kaudalen Hirnnerven. 25.4 Präparation in natürlichen arachnoidalen Spalträumen Die Planung der Operation und die Trepanationen berücksichtigen vor allem Lage, Ausdehnung und Erreichbarkeit natürlicher Spalträume des Gehirns. Darüber hinaus sorgt die Trepanation dafür, durch Resektion knöcherner Anteile mehr Platz zur Präparation zu erhalten. Allgemeines Prinzip bei intrakraniellen Eingriffen ist es, durch Lagerungstechniken und die Außenableitung von Liquor entspannte Verhältnisse zu schaffen und dadurch den Spateldruck so gering wie möglich zu halten. Kortikale Sulci unterscheiden sich in ihrer Ausdehnung und Tiefe. In Abhängigkeit davon ist auch die Präparation zwischen den Arachnoidalschichten mehr oder weniger gut möglich (Abb. 25-3). Moskopp, Wassmann: Neurochirurgie. ISBN: 978-3-7945-2442-6. © Schattauer GmbH Abb. 25-3 Arachnoidale Präparationstechnik, Präparation der Arachnoidalschichten des Windungstals: a Nach Inzision lässt sich die Arachnoidea – Arachnoidelbrücken in wechselnder Ausprägung auseinanderdrängend – präparieren. b Nach scharfer Durchtrennung der Arachnoidea gelangt man entlang der Gefäße in die Tiefe. 329 Spezielle neurochirurgische Maßnahmen 25.5 Mikroneurochirurgische Tumorentfernung a Die Fissura Sylvii ist der wichtigste natürliche Spalt­ raum bei Läsionen des medialen Frontal- und Temporal­ lappens sowie der Inseloberfläche. Die Präparation erlaubt neben der Gewinnung von Liquor nicht nur die Darstellung der dort verlaufenden A. cerebri media mit ihren Ästen sowie der Sylvischen Venen, sondern auch eine spannungsarme Trennung des Frontal- und Temporallappens. Dies erlaubt eine breite Übersicht über die medialen sellären und parasellären Strukturen. Über Zugänge des Mittelspalts wird meist erst bei Erreichen der Balkenzisterne Liquor gewonnen. Bei deren Eröffnung besteht eine gute Übersicht über die A. pericallosa und eine Aufsicht auf den Balken mit den damit verbundenen Zugangsmöglichkeiten zu Seitenventrikeln bzw. III. Ventrikel. Die Präparation dieser Spalträume verlangt ein hohes Maß an technischem Können und spezielle Instrumente. Die Eröffnung der obersten Arachnoidalschicht kann entweder mit einem Mikromesser erfolgen, mit zwei kleinen anatomischen Pinzetten unter Zug oder mit einer spitzen Mikroschere (Abb. 25-3). Die weitere Präparation zwischen den Arachnoidalschichten erfolgt meist mit der bipolaren Pinzette, unterstützt durch den gezielten Einsatz der stumpfen oder spitzen Mikroschere. Entscheidend ist dabei die möglichst breitflächige Präparation, um bei einem Einsatz des Spatels zu einem späteren Zeitpunkt keine Quetschung des Hirns oder ein Ein- bzw. Abreißen von kleinen Gefäßen zu verursachen. 25.5Mikroneurochirurgische Tumorentfernung Bezüglich der Strategie der operativen Tumorentfernung bestehen konzeptionelle Unterschiede zwischen der Neurochirurgie und den meisten nichtneurochirurgischen Disziplinen. Dabei haben in jüngerer Zeit auch nichtneu- b rochirurgische Schädelbasisoperateure neurochirurgische Operationsprinzipien übernommen und dadurch in ihrem Fachgebiet Fortschritte erzielt (s. Kap. 19). Im Rahmen der Entfernung intrakranieller Tumoren wird meist unabhängig von deren Oberflächenbeziehung eine intratumorale Aushöhlung vorgenommen. Dann werden die verbliebenen Kapselanteile in den gewonnenen Raum gezogen und schonend von der umliegenden Grenzschicht oder vom nicht befallenen Hirn gelöst. Eine Tumorresektion »weit im Gesunden« – wie sie in anderen chirurgischen Disziplinen erforderlich sein kann – kommt für die Neurochirurgie nicht in Betracht. Historisch sind für (bösartige) Gliome viele Resektionskonzepte jenseits der makroskopischen Tumorgrenzen ohne erkennbaren Vorteil für den Patienten durchgeführt und heute sämtlich verlassen worden. Die Duraeröffnung muss eine möglichst gute Readapta­ tion der Dura am Operationsende erlauben. Die Abdichtung der vernähten Dura unter Aufbringen von sogenannten Fibrinklebern und Kollagen-Fibrin-Vlies-Kombination findet breite Anwendung. Bei extraaxialen kortikalen Tumoren soll nach gezielter Ausschaltung der duralen Tumorversorgung die Duraeröffnung nur bis zum Rand des Tumors geführt werden, da es sonst unter Umständen zu einem Hervorquellen von Hirngewebe am Rand des Tumors am Übergang zum Durarand kommen kann. Das Eingehen in den Tumor ist der nächste Schritt. Zunächst wird der Tumor gehöhlt, d. h., es wird je nach Konsistenz mit dem Sauger, der Tumorfasspinzette oder mit dem Ultraschallaspirator (z. B. CUSA®) eine zentrale Volumenreduktion durchgeführt. Die verbleibende Tumorrestschale wird dann aus den angrenzenden gesunden Hirnarealen herauspräpariert. Dabei kann der Tumor in den entstandenen Resektionsbereich hineingedrückt werden, um einen Präparationsraum zu schaffen. Die Präparation unter leichtem Zug bietet sich an, z. B. mit einer Tumorfasspinzette und einer Präparationspinzette ohne Sauger. Nach vollständiger Tu- Moskopp, Wassmann: Neurochirurgie. ISBN: 978-3-7945-2442-6. © Schattauer GmbH