1. Grundsätzliches zu Persönlichkeitsstörungen

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Einführung
1. Grundsätzliches zu
Persönlichkeitsstörungen
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
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Was sind Persönlichkeitsstörungen?
• Persönlichkeitsstörungen (PD) sind im DSM auf
Achse II codiert.
• Das macht schon deutlich, dass PD ganz andere
Arten von Störungen sind als z.B. Ängste oder
Depressionen.
• Wie wir sehen werden, müssen Therapeuten auch
ganz andere Arten von Interventionen und Strategien
anwenden, um PD effektiv zu behandeln.
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Was sind Persönlichkeitsstörungen?
• Persönlichkeitsstörungen (PD) lassen sich allgemein
definieren als Beziehungsstörungen.
• Personen mit PD weisen bestimmte Arten von
– Beziehungsmotiven,
– Beziehungs-Schemata,
– dysfunktionalem Interaktionsverhalten,
– manipulativem Interaktionsverhalten auf.
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Was sind Persönlichkeitsstörungen?
• Personen mit PD weisen komplexe Verarbeitungsund Handlungsmuster auf.
• Man kann jedoch davon ausgehen, dass der Kern der
Störung eine Störung auf der Beziehungsebene ist.
• Daher ist der Ausdruck „Persönlichkeitsstörungen“
auch nicht mehr zeitgemäß.
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Was sind Persönlichkeitsstörungen?
• Personen mit PD zeigen ein charakteristisches
Interaktionsverhalten.
• Dieses Interaktionsverhalten haben sie in ihrer
Biographie erworben.
• Dieses Interaktionsverhalten bringen die Klienten
auch in die therapeutische Beziehung ein.
• Dieses Interaktionsverhalten ist auch
charakteristisch anders als das von „Achse-IKlienten“.
• Dieses Interaktionsverhalten stellt sehr hohe
Anforderungen an Therapeuten und macht Klienten
mit PD zu „schwierigen Klienten“.
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Was sind Persönlichkeitsstörungen?
• So kann es z.B. sein, dass Klienten mit PD
– dem Therapeuten Verantwortung für ihre
Veränderungen übergeben;
– dem Therapeuten „Doppelbotschaften“ senden,
z.B.: „Helfen Sie mir – lassen Sie mich in Ruhe.“
– den Therapeuten in eine (nicht-therapeutische)
Beziehung verwickeln
oder
– den Therapeuten massiv auf Distanz halten.
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Was sind Persönlichkeitsstörungen?
• Die Interaktionsschwierigkeiten der Klienten
manifestieren sich dabei auf unterschiedliche Weise:
– Es sind Klienten, die sich (meist von Anfang an)
anders verhalten als Klienten mit Achse-IStörungen des DSM, also z.B. Klienten mit
Angststörungen, mit affektiven Störungen usw.
– Es sind Klienten, die Therapeuten oft an die
Grenzen ihrer therapeutischen Fähigkeiten
führen.
– Es sind Klienten, die Therapeuten oft auch an die
Grenzen ihrer persönlichen Belastbarkeit führen.
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Was sind Persönlichkeitsstörungen?
– Es sind Klienten, die oft hohe Ansprüche an die
Therapie und den Therapeuten stellen, ohne aber
dem Therapeuten deutlich zu machen, was denn
genau in der Therapie passieren soll.
– Es sind Klienten, die oft dem Therapeuten
deutlich machen, dass er ganz schnell etwas tun
soll, denen es aber nicht recht ist, wenn er etwas
tut.
– Es sind Klienten, die Therapeuten oft hilflos
machen, verärgern, an ihren Fähigkeiten
zweifeln lassen.
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Was sind Persönlichkeitsstörungen?
– Es sind Klienten, für die Therapeuten oft nicht
gut genug und nicht richtig ausgebildet sind.
– Und es sind oft Klienten, mit denen bestimmte
Therapeuten gar nicht arbeiten sollten, weil diese
Klienten ständig eigene Schemata des
Therapeuten aktivieren und die dem Therapeuten
deshalb unsympathisch, unerträglich u.ä. sind
und auf die sich der Therapeut daher gar nicht
einstellen kann.
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Was sind Persönlichkeitsstörungen?
• Klienten mit PD sind Klienten, die im Wesentlichen
Interaktionsprobleme aufweisen und die diese
Interaktionsprobleme in die Therapie mitbringen.
Sie haben diese Interaktionsprobleme also nicht „für
den Therapeuten erfunden“.
• Da die Klienten Interaktionsprobleme aufweisen und
der Therapeut ein Interaktionspartner ist, wird der
Therapeut schnell von einem Experten zu einem Teil
des Problems.
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Was sind Persönlichkeitsstörungen?
• Darauf sind Therapeuten aber oft nicht vorbereitet
und viele Therapieformen enthalten gar keine
Regeln dafür, wie man als Therapeut mit einer
solchen Situation umgeht.
• So sind nicht nur die Klienten schwierig, sondern es
sind auch die Therapeuten schlecht vorbereitet: Zu
einem Interaktionsproblem gehören immer
(mindestens) zwei!
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Was sind Persönlichkeitsstörungen?
• Deutlich wird dabei auch:
Die Therapeuten/Therapeutinnen haben mit diesen
Klienten
– „technische Probleme“:
Sie wissen nicht, wie sie mit diesen Klienten
umgehen sollen, sie finden keine
Arbeitsaufträge, keine Ziele, keine wirksamen
Interventionen; die Klienten machen die
Therapeuten/Therapeutinnen hilflos.
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Was sind Persönlichkeitsstörungen?
– „persönliche Probleme“:
• Therapeuten/Therapeutinnen fühlen sich
durch Klienten mit PD belastet; sie ärgern
sich oft über diese Klienten, fühlen sich
ausgenutzt, o.ä.
• Therapeuten/Therapeutinnen haben oft den
Eindruck, in einer double-bind-Situation zu
stecken; sie erhalten zwei gegenteilige
Botschaften, die sich gegenseitig
ausschließen:
1. Hilf mir, tu was, rette mich und tue es
schnell!
2. Lass mich in Ruhe, taste mich nicht an,
komm mir nicht zu nahe.
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Was sind Persönlichkeitsstörungen?
• Therapeuten haben damit den Eindruck, dass der
Klient eine Botschaft sendet von:
„Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass.“
• Dies macht Therapeuten oft sowohl hilflos als auch
ärgerlich.
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Was sind Persönlichkeitsstörungen?
• Dadurch kommt es im Therapieprozess oft zu einem
interaktionellen Teufelskreis, der die therapeutische
Beziehung drastisch verschlechtert und zu einem
Abbruch der Therapie führt:
1. Der Klient kommt in die Therapie und spezifiziert
ein Problem (oft recht unklar und unspezifisch).
Dabei definiert der Klient aber keinen klaren
Arbeitsauftrag.
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Was sind Persönlichkeitsstörungen?
2. Der Therapeut macht ein bestimmtes
therapeutisches Angebot.
3. Der Klient setzt dieses therapeutische Angebot
nicht um: Er folgt dem Therapeuten nicht (macht
z.B. keine Hausaufgaben, er beantwortet Fragen
nicht, sagt, die Therapie sei „zu schwierig“ usw.).
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Was sind Persönlichkeitsstörungen?
4. Daraufhin verstärkt der Therapeut sein
Engagement (realisiert also die „Lösung: Mehr
desselben“): Er macht neue Angebote, verstärkt
den Druck auf den Klienten usw.
5. Der Klient reagiert daraufhin mit geringerer
Compliance: Er arbeitet noch weniger mit, fängt
an, den Therapeuten zu kritisieren, ist mit der
Therapie unzufrieden.
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Was sind Persönlichkeitsstörungen?
6. Der Therapeut betrachtet diese Reaktion des
Klienten auf seine verstärkten Bemühungen als
Sabotage: Er fängt an, sich über den Klienten zu
ärgern, macht noch mehr Druck, verhält sich nicht
mehr empathisch usw.
7. Dieses Therapeuten-Verhalten macht den
Klienten noch reaktanter,
8. was den Therapeuten noch mehr ärgert usw.
9. Bis entweder der Klient die Therapie abbricht
oder der Therapeut aufgibt und dem Klienten
mitteilt, dass er ihm nicht weiterhelfen kann.
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Was sind Persönlichkeitsstörungen?
• Persönlichkeitsstörungen sind bestimmte Arten des
Erlebens und Verhaltens und insbesondere der
Beziehungsgestaltung und Interaktion.
• Es sind relativ konstante, oft unflexible Arten des
Erlebens, Verhaltens und der Interaktion, d.h.: Eine
Person mit einer bestimmten PD neigt dazu,
bestimmte Situationen immer wieder auf die gleiche
Weise zu interpretieren und sich in ähnlicher,
charakteristischer Weise zu verhalten.
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Was sind Persönlichkeitsstörungen?
• Da diese Verhaltensweisen immer wieder
vorkommen und in unterschiedlichen Situationen
auftreten, erscheinen sie wenig flexibel, oft
situationsinadäquat und erzeugen bei
Interaktionspartnern oft Unverständnis und Ärger.
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Was sind Persönlichkeitsstörungen?
• In Beziehungen entstehen daher immer wieder
Probleme.
• Dies kann man als „Interaktions-Kosten“ betrachten.
• Diese Interaktions-Kosten, die immer wieder
auftreten, sind ein Hauptmerkmal der PD.
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Was sind Persönlichkeitsstörungen?
• Der Begriff „Persönlichkeitsstörungen“ ist ein
Oberbegriff für eine Reihe von Störungen, die alle
gemeinsam haben, dass es sich um Beziehungs- oder
Interaktionsstörungen handelt und dass sie zu
unflexiblem Erleben und Verhalten führen, die im
Detail jedoch sehr unterschiedlich sind.
• Teilweise sind die gezeigten Verhaltensweisen von
zwei verschiedenen PD sehr unterschiedlich, wie
z.B. die einer histrionischen und schizoiden Störung:
Personen mit einer histrionischen Störung suchen
Aufmerksamkeit und Nähe, Personen mit einer
schizoiden Störung suchen Distanz und vermeiden
es, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
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Was sind Persönlichkeitsstörungen?
• Daher ist es wesentlich, die Eigenheiten der
einzelnen PD gut zu kennen, denn die
unterschiedlichen Arten des Erlebens und
Verhaltens, vor allem die unterschiedlichen Arten
der Beziehungsgestaltung erfordern z.T.
unterschiedliche therapeutische Vorgehensweisen.
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DSM-IV
• Das DSM-IV unterscheidet drei Gruppen von PD:
Gruppe A:
– Paranoide PD
– Schizoide PD
– Schizotypische PD
– (Passiv-aggressive PD)
Gruppe B:
– Histrionische PD
– Narzisstische PD
– Borderline PD
– Antisoziale PD
Gruppe C:
– Selbstunsichere PD
– Dependente PD
– Zwanghafte PD
– (Passiv-aggressive PD)
– (Depressive PD)
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DSM-IV
• Die Einteilung des DSM ist keine Einteilung
aufgrund einer empirischen Analyse.
• Die Einteilung erscheint auch eher willkürlich und
unzweckmäßug.
• Das DSM definiert Persönlichkeits-Störungen, also
solche Ausprägungen von „Personen-eigenheiten“,
die psychologisch als problematisch gelten können.
• Dabei ist der „Grenzwert“, von dem an von einer
„Störung“ gesprochen werden kann, recht
willkürlich.
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Stil und Störung
• Tatsächlich muss man aber annehmen, dass
Persönlichkeitsausprägungen ein Kontinuum bilden
von leicht bis ausgeprägt, von flexibel bis unflexibel,
von Stil zu Störung.
• Oldham & Morris (1995) haben auf dieses
Kontinuum zwischen Persönlichkeitsstil und
Persönlichkeitsstörung aufmerksam gemacht.
• „Stil“ ist dabei eine leichte Ausprägung derjenigen
Persönlichkeitseigenarten, die in massiver
Ausprägung als „Störung“ erscheinen.
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Stil und Störung
• Solange eine Persönlichkeitseigenart ein „Stil“ ist,
ist sie auch
– durchaus flexibel:
der Stil ist nicht dominant und nicht ständig
aktiviert; die Person ist nicht ständig auf
bestimmte Erlebens- und Verhaltensweisen
festgelegt;
– eher eine Ressource als ein Problem:
die Person kann sich in bestimmter Weise
verhalten, fühlt sich dann aber nicht gezwungen:
sie kann sich verführerisch und sexy, sie kann
sich aber auch distanziert und vorsichtig
verhalten; sie kann entscheiden, wie sie sich
verhalten will;
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Stil und Störung
– die Personen sind prinzipiell zur MetaKommunikation über ihre Stile bereit und in der
Lage; sie empfinden eine leichte Ausprägung
einer Persönlichkeitseigenart nicht als
ehrenrührig oder als problematisch.
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Stil und Störung
• Den Autoren gelingt es so, auf die Tatsache
aufmerksam zu machen, dass
Persönlichkeitseigenarten in gewisser Ausprägung
praktisch auf alle Menschen zutreffen und es deshalb
völlig unsinnig ist zu glauben, solche Eigenheiten
seien ehrenrührig: Damit distanziert man sich von
Abwertungen wie „Charakterstörung“, „unreifer
Charakter“ u.ä.
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Stil und Störung
• Daher erscheint es auch dringend angebracht, zu
„entpathologisieren“: Persönlichkeitsstörungen sind
Arten von Problemen, die als „Lösungen“ für
problematische biographische Bedingungen
entstehen und die im Erwachsenenzustand nicht
mehr günstig sind und die ein Klient aufgrund der
nun damit verbundenen hohen Kosten revidieren
kann und sollte (falls er sich dazu entscheidet).
• PD sind daher keine „schweren Charakter-Defizite“
oder „maligne“ Störungen, über die man „entsetzt“
sein müsste; PD sind vielmehr „Extremausprägungen“ von Stilen.
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Stil und Störung
• Die Autoren machen auch darauf aufmerksam, dass
Persönlichkeitseigenheiten unter bestimmten
Umständen keine Probleme, sondern sogar
Ressourcen sein können.
Das ist der Fall, wenn
– die Person diese Eigenheiten kennt; dies ist die
Voraussetzung, sie steuern zu können.
– die Person diese Eigenheiten flexibel steuern,
also einsetzen aber auch nicht-einsetzen kann;
– die Person diese Eigenheiten akzeptiert, also
keine internalen Konflikte aufweist.
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Stil und Störung
Stil
Störung
gewissenhaft, sorgfältig
zwanghaft
ehrgeizig, selbstbewusst
narzisstisch
expressiv, emotional
histrionisch
wachsam, misstrauisch
paranoid
sprunghaft, spontan
Borderline
anhänglich, loyal
dependent
zurückhaltend, einsam
schizoid
kritisch, zögerlich
passiv-aggressiv
selbstkritisch, vorsichtig
selbstunsicher
ahnungsvoll, sensibel
schizotypisch
abenteuerlich, risikofreudig
antisozial
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Einführung
2. Das „Stigmatisierungsproblem“
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Stigmatisierungsproblem
• Insbesondere Fiedler (z.B. 1999, 2000) macht auf
das sog. Stigmatisierungsproblem aufmerksam.
• Stigmatisierung bedeutet, dass ein Diagnostiker
einem Klienten durch die Vergabe einer Diagnose
„Persönlichkeitsstörung“ ein abwertendes Etikett
zuschreibt, das eine Reihe von Problemen nach sich
ziehen kann.
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Seite 34 / 323
Stigmatisierungsproblem
• Denn gerade in psychoanalytischer Literatur, aber
auch in anderer, wird der Begriff
„Persönlichkeitsstörung“ gleichgesetzt mit „sehr
schwere Störung“, „Charakterdefekt“, „Störung der
Gesamtpersönlichkeit“ u.a. Solche Assoziationen
können beim Klienten und bei anderen Personen
leider immer noch ausgelöst werden.
• Diese Arten von Interpretationen von PD sind es, die
einen Stigmatisierungseffekt auslösen (das
Verständnis als „Beziehungsstörungen“ ist dagegen
überhaupt nicht stigmatisierend!).
• Das „Stigmatisierungsproblem“ kann in einige
unterschiedliche Teilprobleme aufgeteilt werden, die
man getrennt betrachten kann.
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Offizielle Diagnostik
• Als Therapeut/Therapeutin muss man immer
unterscheiden zwischen
– der Diagnose als Arbeitshypothese:
• Dies ist eine Diagnose, die man selbst stellt,
um eine Arbeitshypothese für die Therapie zu
entwickeln:
Es ist eine interne Diagnose, die man mit dem
Supervisor oder einer Supervisionsgruppe
diskutiert, also mit Personen, die genau
wissen, was diese Diagnose bedeutet, was
man mit dieser Diagnose will und wie man
damit umgeht und die keine Information
weitergeben.
• Diese Arbeitshypothese impliziert keine
Bewertung und schon gar keine Abwertung:
Sie dient lediglich als sachliche Information
für den Therapeuten, als Heuristik zur
Orientierung. Sie ist damit notwendig, damit
der Therapeut sich auf den Klienten
einstellen kann.
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Offizielle Diagnostik
– der Diagnose als offizielle Stellungnahme:
In diesem Fall geht die Diagnose als offizielle
Stellungnahme an einen Klienten, eine
Versicherung, einen Richter u.ä.
Dies bedeutet immer,
– dass der Adressat oft nicht weiß, was die
Diagnose genau bedeutet und wozu sie in der
Therapie dient
– dass es sein kann, dass der Adressat eine
abwertende Interpretation vornimmt
– und dass man daher in der Regel nicht
vorhersehen kann, wie er sie interpretiert und
was er aus ihr macht
– und dass man nicht weiß, ob die Information
weitergegeben wird und man nicht weiß wie,
wofür oder wogegen sie verwendet wird.
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Offizielle Diagnostik
• Das Stigmatisierungsproblem resultiert damit
eindeutig
– aus einer falschen Interpretation des Problems
der PD;
– aus einer bewertenden und zwar abwertenden
Interpretation.
• Nochmals: Aus einer Interpretation von PD als
„Beziehungsstörung“ und als „Extremisierung von
normalen Beziehungsstilen“ resultiert keine
Stigmatisierung.
• Stigmatisierung ist damit kein notwendiger Aspekt
dieser Diagnose!
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Offizielle Diagnostik
• Es gilt aber auch:
– Interne Arbeitshypothesen sind vollständig
anders zu betrachten als offizielle DiagnoseStellungen!
• Eine Persönlichkeitsstörungs-Diagnose als interne
Arbeitshypothese zu stellen, ist m.E. völlig
unproblematisch, wenn die
Therapeuten/Therapeutinnen wissen, was genau
damit gemeint ist und wozu es in der Therapie dient!
• Und solche Diagnosen sind notwendig, damit der
Therapeut richtige Indikationsentscheidungen treffen
kann.
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Seite 39 / 323
Offizielle Diagnostik
• Ein/e Therapeut/in kann sich m.E. sogar auf keinen
Fall leisten, diese Diagnose nicht zu stellen (ob man
die Störung dabei Persönlichkeitsstörung nennt oder
anders, ist dabei völlig sekundär: Man muss das
Problem erfassen!): Denn die Analyse des
Interaktionsproblems ist von entscheidender
therapeutischer Bedeutung.
• Denn vom Verständnis dieses Problems hängt
entscheidend ab, ob sich der Therapeut bereits früh
in der Therapie angemessen auf den Klienten
einstellen kann!
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 40 / 323
Offizielle Diagnostik
• Eine Persönlichkeits-Störung-Diagnose offiziell zu
stellen, ist jedoch oft nicht unproblematisch.
• Eine solche Diagnose kann zu einem bleibenden
Etikett für einen Klienten werden, das dem Klienten
durchaus schaden kann (je nachdem, wer die
Diagnose wie interpretiert).
• Als Therapeut/in weiß man nicht, was bestimmte
Institutionen mit solchen Diagnosen machen.
• Daher sollte man m.E. mit der offiziellen
Herausgabe heikler Informationen als Therapeut/in
immer sehr vorsichtig sein.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 41 / 323
Stigmatisierung
• Ein weiteres Teilproblem der Stigmatisierung
kommt dadurch zustande, dass trotz neuerer
Forschungsansätze mit dem Begriff
„Persönlichkeitsstörungen“ immer noch sehr
negative und abwertende Implikationen verbunden
sind (vor allem in psychoanalytischer Literatur).
• Diese Implikationen, das möchte ich sehr deutlich
betonen, haben z.T. mit alten theoretischen Ansätzen
und z.T. mit psychoanalytischen Ansätzen zu tun;
sie sind keine notwendiger Bestandteil der
Forschung oder Therapie von
Persönlichkeitsstörungen!
• Insbesondere in psychoanalytischer Literatur werden
abwertende Begriffe benutzt, die die Diagnose für
Klienten z.T. zu einer Beleidigung machen.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 42 / 323
Stigmatisierung
• Implikationen älterer und psychoanalytischer
Literatur sind z.B.;
– Eine PD zu haben, ist ein furchtbarer
Schicksalsschlag, denn:
– die „Gesamtpersönlichkeit“ ist gestört;
– die Störung ist „tiefgreifend“, „früh“;
– die Störung ist extrem schwer behandelbar.
– Eine PD zu haben, ist ehrenrührig, denn
– es ist eine Charakterstörung;
– es ist Ausdruck eines „unreifen Charakters“;
– es ist eine maligne Störung.
– Eine PD zu haben, ist hoffnungslos, denn
– die Störung ist langandauernd;
– es gibt keine geeigneten Therapien.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 43 / 323
Stigmatisierung
• Es ist klar:
Erhält ein Klient derartige Informationen zusammen
mit einer Diagnose, dann ist die Therapeut-KlientBeziehung sofort tiefgreifend gestört.
• Als Klient kann man eigentlich nur beleidigt sein
und den Kontakt zum Therapeuten abbrechen.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 44 / 323
Implikationen der Stigmatisierung
• Und es ist klar:
Therapeuten, die eine solche Einstellung Klienten
gegenüber haben, werden sich schwer tun, den
Klienten respektvoll und empathisch zu begegnen.
• Sie werden es schwer haben, das aufzubauen, was
bei diesen Klienten das zentralste therapeutische
Agens überhaupt ist: Eine vertrauensvolle
Therapeut-Klient-Beziehung.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 45 / 323
Implikationen der Stigmatisierung
• Es ist jedoch keineswegs nötig, Störung und
Klienten so zu sehen.
Man kann vielmehr
– sehen, dass die Klienten zwar in der Interaktion
sehr schwierig sind, sie sich das Problem aber
nicht ausgesucht haben und es nicht entwickelt
haben, um Therapeuten zu ärgern;
– sehen, dass Klienten teilweise Lösungen
gefunden haben für hoch pathologische
Umweltbedingungen, in denen sie aufgewachsen
sind und dass diese Lösungen Leistungen sind,
dass aber die Lösungen heute nicht mehr gut
funktionieren;
– sehen, dass „Störungen“ hohe Ressourcen
aufweisen können, wenn die Klienten lernen,
anders mit ihren Schemata umzugehen.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 46 / 323
Implikationen der Stigmatisierung
• Kurz:
Man kann „Persönlichkeitsstörungen“
– hochgradig entpathologisieren,
– unter interaktioneller Perspektive sehen,
– unter Ressourcen-Perspektive sehen.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 47 / 323
Schwierige Klienten
• Und:
– Schwierige Klienten sind eine Aufgabe für
Therapeuten/Therapeutinnen.
– Wenn Therapeuten/Therapeutinnen mit
schwierigen Klienten nicht fertig werden, dann
ist das ein Problem der
Therapeuten/Therapeutinnen, nicht der Klienten.
– Wenn Therapeuten/Therapeutinnen versagen, ist
es nicht gerechtfertigt, den Klienten „maligne
Probleme“ anzuhängen.
– Die Klienten sind nicht dazu da, die
Therapeuten/Therapeutinnen zu erheitern: Die
Therapeuten/Therapeutinnen sind dazu da, auch
schwierigen Klienten effektiv zu helfen.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 48 / 323
Einführung
3. Schema-Theorie
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 49 / 323
Terminus
• Es ist klar, dass der Terminus
„Persönlichkeitsstörungen“
heute
– unpassend
– unglücklich
– problematisch
– inhaltlich nicht mehr zutreffend ist.
• Ich hoffe, dass er verändert wird; solange er aber
offiziell gilt, sollte man verstehen, was er meint, und
sich nicht durch antiquierte Konzepte verschrecken
lassen.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 50 / 323
Relevanz
• Denn ohne jeden Zweifel ist es für die
therapeutische Praxis von entscheidender
Bedeutung, ist es für den Fortschritt des Klienten
von essentieller Relevanz, dass Therapeuten mit
diesen Konzepten und den therapeutischen
Möglichkeiten vertraut sind.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 51 / 323
Relevanz
• Deutlich ist aber, dass Therapeuten, die mit Klienten
arbeiten, die eine PD aufweisen, den Klienten in
bestimmter Weise entgegenkommen sollten:
– Sie sollten die Probleme des Klienten verstehen
und verstehen, dass es sich um eine Art von
Lebensdefinition handelt, um eine
Identitätsdefinition, die man nicht abwerten darf,
sondern die man respektieren sollte als eine Art
von Lösung,
– allerdings auch als eine Lösung, die modifiziert,
überarbeitet, verändert werden muss, wenn der
Klient seine Lebensqualität erhöhen will.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 52 / 323
Relevanz
• Daher sollte der Therapeut auch ein weitgehendes
Verständnis haben für die tiefen inneren Konflikte
von Klienten, ihre Zerrissenheit, die daraus
resultierenden, manchmal skurrilen Lösungen, die
aber dennoch ein Aspekt der Person des Klienten
sind.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 53 / 323
Schema-Theorie
• Der Begriff „Persönlichkeits-Störung“ impliziert den
Begriff „Persönlichkeit“.
• Ich möchte den Begriff „Persönlichkeit“ schematheoretisch definieren und damit auch immer
interaktions-theoretisch.
• Jede Person erwirbt in ihrer Lerngeschichte
verschiedene Arten von Schemata.
• Schemata lassen sich auffassen als (mehr oder
weniger) generalisierte Schlussfolgerungen aus
persönlichen Erfahrungen.
• Diese Schlussfolgerungen verdichten sich zu
Annahmen und Imperativen, die bei der Steuerung
des Verhaltens eine wesentliche Rolle spielen.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 54 / 323
Schema-Theorie
• Erfahrungen verdichten sich z.B. zu Selbstschemata,
also Aussagen-Systemen über sich selbst,
z.B. über eigene Kompetenzen:
– ich habe ein gutes Gedächtnis
– ich kann schlecht Mathe
oder zu Aussagen über eigene Attraktivität, z.B.:
– ich sehe gut aus
– ich habe anderen wenig zu bieten.
• Erfahrungen verdichten sich auch zu motivationalen
Schemata, also Aussage-Systemen über eigene
Ziele, Werte, z.B.:
– ich möchte für andere wichtig sein
– ich möchte anerkannt werden
usw.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 55 / 323
Schema-Theorie
• Schemata beziehen sich damit z.B. auf
– das Selbst:
- eigene Kompetenzen
- eigene Attraktivitäten
u.ä.
– das Motivsystem:
- eigene Ziele, Werte
- eigene Motive
- eigene Intentionen
u.ä.
– das Überzeugungssystem:
- Annahmen über Effekte eigenen
Handelns
- Annahmen über eigene
Kontrollmöglichkeiten
- Annahmen über „Realität“
u.ä.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 56 / 323
Schema-Theorie
• Schemata bestimmen in einem bottom-up/top-downVerarbeitungsprozess die Informationsverarbeitung,
einschließlich der affektiven Verarbeitung.
• Daher kann man
– kognitive Schemata
und
– affektive Schemata
unterscheiden.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 57 / 323
Schema-Theorie
Situation
Verarbeitung
Schemata
Reaktionen /
Handlungen
Schlussfolgerungen
Konsequenzen
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 58 / 323
Schema-Theorie
• Jede Person bringt nun bestimmte Schemata, die sie
aus ihrer Biographie erworben hat, in eine
bestimmte Situation mit ein.
• Diese Schemata sind personenspezifisch, sie sind
spezifisch für diese spezifische Person mit diesen
spezifischen Erfahrungen.
• Diese Schemata vermitteln damit eine personenspezifische, idiosynkratische Verarbeitung der
Situation.
Beispiel: Einladung zur Pressekonferenz
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Interaktionelle Theorie
• Diese Schemata sind dispositionelle Strukturen, d.h.
– sie sind relativ zeitstabil:
Sie werden zwar durch Erfahrungen auch (in der
Regel!) weiterhin modifiziert, jedoch nur sehr
langsam, sodass sie als zeitstabil gelten können.
– sie sind situationsübergreifend:
Verschiedene Situationen, die bestimmte
Charakteristika aufweisen, aktivieren diese
Schemata.
– sie sind zuverlässig:
Auslösende Situationen aktivieren entsprechende
Schemata immer wieder (mit hoher
Wahrscheinlichkeit).
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Interaktionelle Theorie
• Schemata werden durch Situationen getriggert
(à bottom-up-Verarbeitung)
und steuern dann die weitere Verarbeitung der
Situation in hohem Maße (à top-downVerarbeitung)
• Personen bringen also personenspezifische,
idiosynkratische Schemata und damit systematische
Verarbeitungs-Voreingenommenheiten in eine
bestimmte Situation ein.
• Damit hat jede Informationsverarbeitung in jeder
Situation einen personenspezifischen Anteil.
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Interaktionelle Theorie
• Jede Verarbeitung hat aber auch einen
situationsspezifischen Anteil, denn
– nicht jede Situation löst relevante Schemata aus,
d.h. etliche Situationen werden relativ
„unvoreingenommen“ verarbeitet;
– nicht jede Situation triggert ein relevantes
Schema im gleichen Ausmaß: Je besser eine
Situation auf ein Schema „passt“, desto stärker
ist die Schema-Aktivierung.
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Interaktionelle Theorie
• Schemata führen zu einer „voreingenommenen“
Verarbeitung: Schema-konsistente Information wird
schneller, leichter und „tiefer“ verarbeitet als
Schema-widersprechende Information.
• Information, die Schemata widerspricht, kann völlig
„ausgefiltert“ werden.
• Situationen sind komplex und können eine Vielzahl
von Schemata gleichzeitig aktivieren; dabei variiert
die „Zusammensetzung“ der aktivierten Schemata
von Situation zu Situation.
• Schemata können sehr leicht und schnell oder nur
sehr schwer aktivierbar sein. Je leichter ein Schema
aktivierbar ist, desto stärker determiniert es die
Verarbeitung.
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Interaktionelle Theorie
• Schemata können sehr eng definiert sein (z.B.: „Ich
kann Latein nicht.“) oder sehr weit generalisiert sein
(z.B.: „Ich kann gar nichts.“).
Je weiter ein Schema generalisiert ist, desto stärker
determiniert es die Verarbeitung.
• Schemata können zu einer „allergischen“
Verarbeitung führen: Z.B. kann eine Person mit sehr
negativen Selbstschemata schon auf leichte Kritik
sehr schnell sehr heftig (= allergisch) reagieren.
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Interaktionelle Theorie
• Schemata sind exekutive Strukturen.
• Schemata sind kein Teil des episodischen
Gedächtnisses
• Sie determinieren, sobald sie aktiviert sind, die
Informationsverarbeitung, die emotional-affektive
Verarbeitung und die Steuerung der Handlung.
• Die Aktivierung von Schemata determiniert somit
den „state of mind“.
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Interaktionelle Theorie
• Schemata werden zum großen Teil durch
Situationsaspekte automatisch aktiviert.
• Damit sind Schemata der Person meist nicht
bewusst, nicht repräsentiert.
• Auch die Aktivierung der Schemata geschieht meist
nicht bewusst.
• Die Schema-Aktivierung geschieht nicht intentional.
• Personen können die Schema-Aktivierung in aller
Regel nicht kontrollieren.
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Interaktionelle Theorie
• Wesentlich ist auch die Dominanz eines Schemas.
Eine Person kann im Hinblick auf einen
Situationskomplex eine Reihe von gleich
bedeutsamen, gleich leicht aktivierbaren Schemata
aufweisen (z.B. auf einer Party: „Ich will
Aufmerksamkeit“ und „Ich will mich amüsieren“
und „Ich will Leute kennenlernen“ und „Ich will
wissen, wie es meinen Freunden geht“ usw.
In diesem Fall bleiben Verarbeitung und Handlung
flexibel.
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Interaktionelle Theorie
• Eine Person kann jedoch im Hinblick auf den
Situationskomplex auch nur ein dominantes Schema
aufweisen (z.B.: „Ich will Aufmerksamkeit und
sonst gar nichts.“).
In diesem Fall werden Verarbeitung und Handlung
rigide: Die Person nimmt Situationen immer in
ähnlicher Weise wahr und verhält sich in ähnlicher
Weise.
• Eine solche Rigidität ist typisch für solche
Schemata, die bei PD eine Rolle spielen.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
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Interaktionelle Theorie
• Dies macht deutlich:
– Jede Verarbeitung hängt von
personenspezifischen (d.h. schemaspezifischen)
und von situationsspezifischen Faktoren ab.
– Situationsspezifische Faktoren spielen immer
eine Rolle, da Schemata durch sie (in
unterschiedlichem Ausmaß) getriggert werden.
– Personenspezifische Faktoren spielen in dem
Ausmaß eine Rolle, in dem relevante Schemata
getriggert werden.
– Dies kann in geringem Umfang geschehen: Dann
sind Verarbeitung und Handlung der Person
wenig voreingenommen und flexibel.
– Dies kann jedoch in hohem Maße geschehen:
Dann werden Verarbeitung und Handlung der
Person voreingenommen und unflexibel.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
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Interaktionelle Theorie
• Weist eine Person ein leicht aktivierbares und/oder
hoch generalisiertes und/oder dominantes Schema
auf, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß,
– dass dies in vielen Situationen aktiviert wird,
– dass dies sehr häufig die Verarbeitung und
Handlung determiniert,
– dass es die Selbstregulation der Person stark stört
und die Person in ihrer Verarbeitung und
Handlung unflexibel macht.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
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Interaktionelle Theorie
• Eine solche Unflexibilität ist aber kein alles-odernichts-Phänomen: Es reicht von leichten
Voreingenommenheiten bis zu völliger
Unflexibilität des Handelns.
• Eine Person mit leicht negativem Selbstschema kann
dazu neigen, jede Rückmeldung als Kritik
aufzufassen, kann dies aber schnell wieder
relativieren.
• Eine Person mit stark negativem Selbstschema fasst
dagegen jede Rückmeldung als Kritik auf und kann
sich davon kaum selbst distanzieren.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
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Interaktionelle Theorie
• Dies impliziert auch eine ganz wesentliche
Erkenntnis:
Wann ein Schema oder wann eine SchemaAusprägung „noch günstig“ oder „schon ungünstig“
ist, wann sie noch „funktional“ oder bereits
„dysfunktional“ ist, kann nicht objektiv und
allgemein entschieden werden.
• Es kann vielmehr nur individuell im Kontext des
Einzelfalls entschieden werden.
• In der Regel ist es nicht schwierig, die Extreme zu
definieren:
Man kann große Flexibilität leicht als
unproblematisch erkennen und leicht sehen, dass
eine Person mit großer Inflexibilität in
Schwierigkeiten geraten wird.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
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Interaktionelle Theorie
• Den „Übergang“ zu bestimmen, die Grenze
zwischen funktional und dysfunktional, das ist
jedoch kaum möglich.
• Daher sollte man annehmen,
– dass Schema-Ausprägungen auf einem
Kontinuum von funktional (d.h. für die Person
günstig, positiv) bis dysfunktional (d.h. für die
Person ungünstig, kostenintensiv) angeordnet
sind,
– dass die Extremwerte des Kontinuums meist gut
definierbar sind,
– dass der „Grenzwert“ des Übergangs von
funktional zu dysfunktional jedoch nicht klar
bestimmt werden kann und
– dass dieser Grenzwert idiosynkratisch, zeitinstabil und bewertungsabhängig ist.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
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Einführung
4. Ich-Syntonie
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Ich-Syntonie
• Wesentlich für ein Verständnis von
Persönlichkeitsstörungen ist die Unterscheidung
zwischen
- Ich-Syntonie
und
- Ich-Dystonie
(Vaillant & Perry, 1988; Fiedler, 1994)
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
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Ich-Syntonie
• Ein bestimmtes Verhalten und Erleben (z.B. Angst)
ist dann ich-dyston,
– wenn die Person es als nicht-zu-sich-gehörig
erlebt;
– es als fremd, störend und beeinträchtigend erlebt;
– es „los sein will“, unter dem Erleben oder
Verhalten leidet.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
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Ich-Syntonie
• Ein bestimmtes Erleben oder Verhalten (z.B. die
Suche nach Aufmerksamkeit) ist dann ich-synton,
– wenn die Person es als zu-sich-gehörig erlebt, als
Teil der eigenen Person, u.U. sogar als Teil der
eigenen Identität („das bin ich“);
– wenn die Person es nicht als fremd und störend,
sondern als vertraut, u.U. sogar als angenehm
erlebt;
– wenn die Person unter dem Erleben und
Verhalten selbst gar nicht leidet, sondern
höchstens unter den Konsequenzen oder „Kosten
des Verhaltens“.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
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Ich-Syntonie
• Die mit Persönlichkeitsstörungen verbundenen
Erlebens- und Verhaltensweisen sind in der Regel
ich-synton: Die Personen erleben diese „als Teil
ihrer Persönlichkeit“ und nicht als störend.
• Dies hat eine wesentliche therapeutische
Konsequenz: Die Personen sind nicht motiviert, ihr
Erleben oder Verhalten zu modifizieren, sie sind
nicht änderungsmotiviert.
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Ich-Syntonie
• Derksen (1995, S. 5) schreibt:
Viele Personen [mit PD] leiden nicht direkt unter
ihrer Persönlichkeitsstörung. Daher suchen sie auch
nicht spontan therapeutische Hilfe. Im allgemeinen
äußern sie aber, z.B. Hausärzten gegenüber, vage
Beschwerden, Probleme auf der Arbeit oder in
Beziehungen oder allgemeine AnpassungsSchwierigkeiten.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 79 / 323
Ich-Syntonie
• Aufgrund der Ich-Syntonie der PD kommen die
Personen oft in Therapie
– ohne klare Problem-Definition und ohne dass
man eine klare DSM-Diagnose zu
Therapiebeginn (!) vergeben könnte;
– ohne klaren Arbeitsauftrag, also ohne Definition,
woran und mit welchem Ziel in der Therapie
überhaupt gearbeitet werden kann (und sollte);
– mit einem (oft wenig spezifischen) Auftrag,
„Kosten zu reduzieren“ (wie: „Machen Sie mich
wieder fit!“, „Meine Beziehung muss besser
werden!“, „Meine Gesundheit ist
angeschlagen.“).
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
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Ich-Syntonie
• Diese Aufträge bereiten wegen ihrer Unkonkretheit
den Therapeuten oft große Probleme: Man weiß oft
gar nicht, was psychologisch überhaupt getan
werden kann.
• Therapeuten geraten oft in die Rolle von Ehe-,
Rechts- oder Gesundheitsberatern, oft sogar von
Finanzberatern, was ihrer Aufgabe jedoch überhaupt
nicht entspricht.
• Therapeuten haben bei Klienten mit PD oft den
Eindruck, sie wissen nicht, was der Klient überhaupt
in der Therapie will:
– Wozu kommt er?
– Was hat er überhaupt für ein Problem?
– Woran will er arbeiten?
– Was will er erreichen?
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Ich-Syntonie
• Das Rätsel für den Therapeuten verstärkt sich
dadurch, dass der Klient in der Therapie kaum
mitarbeitet, dennoch immer wieder kommt.
• Daraus resultiert die hoch interessante und hoch
relevante Frage:
„Wenn der Klient nicht in die Therapie kommt, um
sich oder sein System zu ändern, warum kommt er
dann?“
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
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Charakterisierung
• Zusammenfassend kann man also sagen, dass
Klienten mit PD
– meist hoch generalisierte, negative Schemata
aufweisen;
– Schemata aufweisen, die sehr leicht zu „triggern“
sind und damit eine hochgradig
voreingenommene, allergische Verarbeitung
erzeugen;
– Rigide, nur schwer modifizierbare Schemata
aufweisen;
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
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Charakterisierung
– ihre Probleme jedoch meist nicht als ihre
Probleme erkennen, sondern bezüglich ihrer
Schemata und Überzeugungen eine hohe IchSyntonie aufweisen;
– deshalb im Hinblick darauf kaum
änderungsmotiviert sind und meist keinen
Arbeitsauftrag aufweisen;
– in die Therapie kommen, um „Kosten“ zu
reduzieren oder um sich ihre Sichtweise vom
Therapeuten bestätigen zu lassen.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 84 / 323
Epidemiologie
5. Epidemiologie und
Co-Morbiditäten
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 85 / 323
Prävalenz
• Nach Maier et al. (1992) liegt die Prävalenzrate von
PD in unbehandelten Bevölkerungsgruppen bei 1012%, also sehr hoch.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 86 / 323
Co-Morbiditäten
• Für die therapeutische Praxis ist jedoch gar nicht so
sehr die Prävalenz-Rate in der unbehandelten
Bevölkerung relevant.
• Relevant ist vor allem die Rate der Co-Morbidität.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 87 / 323
Co-Morbiditäten
• Co-Morbidität bedeutet das gleichzeitige Auftreten
von zwei verschiedenen psychischen Störungen.
• Zwei Arten von Co-Morbiditäten sind relevant:
– Co-Morbidität zwischen PD und Achse-IStörungen
– Co-Morbiditäten von PD untereinander.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 88 / 323
Co-Morbiditäten
• Co-Morbiditäten mit PD sind deshalb relevant, weil
das Vorliegen einer PD
– das Interaktionsverhalten eines Klienten im
Therapieprozeß sehr stark verändern kann und
damit zu völlig anderen Anforderungen an den
Therapeuten führt
– die Behandlung einer Achse-I-Störung, z.B. einer
Angststörung, stark beeinträchtigen kann.
– oft ganz andere therapeutische Vorgehensweisen
erfordert als bei Achse-I-Störungen, und zwar
von Beginn der Therapie an.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 89 / 323
Co-Morbiditäten
• Aus diesem Grund ist es wesentlich zu wissen, ob
neben einer Achse-I-Störung auch noch eine PD
vorliegt.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
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Co-Morbiditäten
• Wesentlich ist es auch zu wissen, ob bei einer Person
mehrere PD vorliegen, da, wie ausgeführt,
unterschiedliche PD z.T. zu sehr unterschiedlichen
Erlebensweisen und zu unterschiedlichem
Interaktionsverhalten führen, auf die der Therapeut
auch sehr unterschiedlich reagieren muss.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 91 / 323
Co-Morbidität mit Achse-I
• In verschiedenen Studien liegt die Co-MorbiditätsRate, d.h. der Prozentsatz von PD bei behandelten
Klienten im Mittel bei 52% (Fydrich et al., 1996):
– bei ambulant behandelten Klienten zwischen 38
– 81%;
– bei stationär behandelten Klienten zwischen 26 –
92%.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 92 / 323
Co-Morbidität mit Achse-I
• Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass ein Klient, der
wegen einer Achse-I-Störung in Therapie kommt,
auch eine PD aufweist.
• Es lohnt sich daher grundsätzlich zu analysieren, ob
bei einem Klienten eine PD vorliegt.
• Dazu mehr unter dem Aspekt „Interaktions-Rating“.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 93 / 323
Co-Morbidität mit Achse-I
• Co-Morbiditäten von PD bei Klienten mit:
– Angststörungen
52%
– affektiven Störungen
56%
– somatoformen Störungen
26,8%
– Essstörungen
43,8%
(Fydrich et al., 1996)
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 94 / 323
Co-Morbidität mit Achse-I
• In der „Bad Dürkheimer-Cormorbiditäts-Studie“
ergaben sich bei Patienten mit unterschiedlichen
Achse-I-Störungen (Angststörungen, affektive
Störungen, somatoforme Störungen und
Essstörungen) unterschiedliche Prävalenzraten für
die einzelnen PD.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
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Co-Morbidität mit Achse-I
Paranoide
8,2
Schizotypische
2,7
Schizoide
3,8
Histrionische
3,8
Narzisstische
0,5
Borderline
7,1
Antisoziale
0,5
Selbstunsichere
39,0 !
Dependente
20,9 !
Zwanghafte
10,4
Passiv-aggressive
0,5
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 96 / 323
Diagnostik
6. Diagnostik von
Persönlichkeitsstörungen
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 97 / 323
Diagnostik
• Bei der Diagnostik von PD geht es um zwei
Aufgaben:
1. Feststellen, ob bei einem Klienten überhaupt eine
PD vorliegt.
2. Feststellen, welche PD bei einem Klienten
vorliegt.
• Diese beiden Aufgaben sind manchmal, aber nicht
immer getrennt: Manche Verfahren erfassen sofort
die Art der Störung und beantworten damit
gleichzeitig Frage 1.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 98 / 323
Diagnostik
• Methodisch gibt es vier Zugänge zur Diagnostik von
PD:
1. Kategorial-prototypische Diagnostik als
Experten-Rating
2. Interview-Verfahren
3. Fragebogen-Verfahren
4. Rating von Interaktions-Prozessen
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 99 / 323
Kategorial-prototypische Diagnostik
• Kategorial-prototypische Diagnostik bedeutet, dass
es Definitionen der Persönlichkeitsstörungen gibt,
denen ein Beurteiler bei der Einschätzung eines
Klienten folgen soll.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 100 / 323
Kategorial-prototypische Diagnostik
• Es gibt heute zwei große Diagnostik-Systeme, die
(u.a.) Definitionen von PD geben, die bei der
Einschätzung von Klienten beachtet werden sollen:
– das DSM IV
– das ICD 10
• Hier soll etwas näher auf das DSM eingegangen
werden.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 101 / 323
DSM-Diagnostik
• Das DSM IV wählt im Grunde eine kategoriale Art
der Diagnostik.
• Eine Persönlichkeitsstörung wird durch eine
Auflistung von Merkmalen definiert.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 102 / 323
DSM-Diagnostik
• Diese Merkmale muss der Diagnostiker mit seinen
Beobachtungen eines realen Klienten vergleichen
und entscheiden, welche und wie viele der
aufgelisteten Merkmale jeweils zutreffen.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 103 / 323
DSM-Diagnostik
• Das DSM definiert für jede einzelne Störung, wie
viele der angegebenen Merkmale mindestens
zutreffen müssen, damit die entsprechende Diagnose
vergeben werden kann.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 104 / 323
DSM-Diagnostik
• So sind z.B. die diagnostischen Kriterien einer
histrionischen PD nach DSM IV:
1. Die Person fühlt sich unwohl in Situationen, in
denen sie nicht im Mittelpunkt steht.
2. Ihre Interaktion mit anderen ist häufig bestimmt
durch ein übertrieben sexuell-verführerisches oder
provokantes Verhalten.
3. Die Person zeigt schnell wechselnde und
oberflächlich wirkende Emotionen.
4. Die Person nutzt durchgängig die eigene äußere
Erscheinung, um die Aufmerksamkeit auf sich zu
lenken.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 105 / 323
DSM-Diagnostik
5. Die Person hat einen übertrieben
impressionistischen Sprachstil, der keine Details
kennt.
6. Die Person liebt Selbstdarstellung und Theatralik,
sowie einen übertriebenen Ausdruck von
Gefühlen.
7. Die Person ist suggestibel, d.h. leicht durch
andere Personen oder Umstände zu beeinflussen.
8. Die Person hält Beziehungen gewöhnlich für
intimer, als sie in Wirklichkeit sind.
Mindestens fünf der acht Kriterien müssen erfüllt sein.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 106 / 323
DSM-Diagnostik
• Einige Aspekte der DSM-Diagnostik sollen
verdeutlicht werden.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 107 / 323
Prototypische Definitionen
• Das DSM gibt eine Liste von Definitionsmerkmalen
an, von denen eine bestimmte Anzahl zutreffen muß
(jedoch nicht alle zutreffen müssen).
Dies wird als prototypische Definition bezeichnet
und von einer streng kategorialen Definition (bei der
alle Merkmale zutreffen müssen) unterschieden.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 108 / 323
Prototypische Definitionen
• Der Vorteil dieses Vorgehens ist eine größere
Flexibilität der Diagnose: Man trägt der Tatsache
Rechnung, dass PD komplexe Störungen sind, und
dass nicht alle Aspekte, die bei einer Störung
vorkommen können, immer bei jeder individuellen
Störungsausprägung vorkommen müssen.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 109 / 323
Prototypische Definitionen
• Das Problem dabei ist, dass die Kriterien arbiträr
sind, es also keine empirischen Belege dafür gibt,
warum man z.B. gerade beim Vorliegen von fünf
Kriterien die Diagnose stellen soll.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 110 / 323
Prototypische Definitionen
• Deutlich wird damit auch, dass es völlig
unterschiedliche Kriterien-Kombinationen z.B.
innerhalb der histrionischen PD geben kann, d.h.
also, völlig unterschiedliche Arten, histrionisch zu
sein.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 111 / 323
Prototypische Definitionen
Dies wird der Realität schon gerecht, in der es wirklich
eine riesige Gestaltungsbreite einer einzelnen Störung
gibt; das macht aber auch deutlich, dass man es bei
einer definierten Störung keineswegs mit einem klar
und eng umgrenzten Feld von Erlebens- und
Verhaltensweisen zu tun hat.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 112 / 323
Prototypische Definitionen
Und das wiederum macht bereits klar, dass eine
Diagnose in der Praxis weit schwieriger zu stellen sein
wird, als ein erster Blick in die Kriterien dies nahe legt.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 113 / 323
Kriterien-Ähnlichkeit
Im DSM wird deutlich, dass die Definitionskriterien der
einzelnen Störungen ähnlich sind.
So wird z.B. das Kriterium „hat keine engen Freunde
oder Bekannte“ sowohl als Definitionskriterium bei der
schizoiden PD, der schizotypischen PD als auch bei der
selbstunsicheren PD benutzt.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 114 / 323
Kriterien-Ähnlichkeit
• Und selbst wenn die Kriterien nicht identisch
formuliert sind, so sind sie doch oft ähnlich
formuliert.
• So wird z.B. deutlich, dass sowohl Klienten mit
histrionischer als auch Klienten mit narzisstischer PD
nach Aufmerksamkeit und Bewunderung streben.
• Das entspricht der Empirie, denn bestimmte Arten
von Merkmalen kommen tatsächlich bei mehreren
Störungen vor: Insofern sind diese Definitionen
völlig berechtigt.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 115 / 323
Kriterien-Ähnlichkeit
• Es ist andererseits aber klar, dass solche
Kriterienüberlappungen oder Kriterien-Ähnlichkeiten
es dem Diagnostiker erschweren, zwei Störungen
exakt voneinander zu trennen.
• Dies macht sich dann auch in einer Senkung der
Reliabilität bemerkbar (die Störung X kann einmal
eher als histrionisch, einmal eher als narzisstisch
erscheinen).
• Deutlich ist auch, dass eine Störung niemals anhand
eines einzelnen Merkmals definiert werden kann,
sondern immer anhand eines Syndroms.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 116 / 323
Kriterien-Ähnlichkeit
• Man muss jedoch sehen, dass dieses Problem
faktisch nicht vermeidbar ist:
Wenn ein Kriterium X bei zwei verschiedenen
Störungen vorkommt, dann muss es auch als
Kriterium aufgeführt werden, völlig unabhängig
davon, ob sich Kriterien überlappen oder nicht.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 117 / 323
Kriterien-Ähnlichkeit
• Das Problem liegt auch nicht so sehr in der
„Überlappung von Kriterien“, sondern darin, dass die
DSM-Diagnostik zu oberflächlich und zu wenig
systemorientiert ist.
• Die DSM-Kriterien definieren isolierte,
oberflächliche Kriterien; unklar ist, wie diese
Kriterien interagieren, welche Relevanz jedes
einzelne Kriterium hat, usw..
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 118 / 323
Kriterien-Ähnlichkeit
• Das ist zugleich ein Vorteil und ein Nachteil des
DSM: Man will nur beobachtbare Kriterien anführen,
und so „theoriefrei wie möglich sein“.
• Das belastet zum einen die Indikatoren nicht mit
theoretischen Spekulationen und ist insofern sehr gut.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 119 / 323
Kriterien-Ähnlichkeit
• Andererseits lassen sich viele Indikatoren aber erst in
ihrer Interaktion mit anderen Indikatoren verstehen,
die Herstellung von Zusammenhängen erfordert aber
wiederum eine Störungstheorie: Ganz theoriefrei zu
diagnostizieren ist eine Illusion.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 120 / 323
Kriterien-Ähnlichkeit
• Beispiel: „Hat keine engen Freunde oder Bekannte“.
• Die Gründe dafür, warum ein Klient keine engen
Freunde oder Bekannte hat, sind z.B. bei schizoiden
und selbstunsicheren Klienten deutlich verschieden:
– Selbstunsichere hätten gerne Bekannte und
Freunde, trauen sich aber nicht, Kontakt
herzustellen aus Angst vor Ablehnung.
– Schizoide zeigen dagegen gar kein Interesse an
Freunden und Bekannten.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 121 / 323
Kriterien-Ähnlichkeit
• Oberflächlich sind die Kriterien ähnlich, tatsächlich
sind die Kriterien aber mit ganz unterschiedlichen
psychischen Faktoren verbunden.
• D.h.:
Die oberflächlich ähnlichen Kriterien haben in
verschiedenen Störungen eine unterschiedliche
Bedeutung.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 122 / 323
Kriterien-Ähnlichkeit
• Eine ganz wesentliche Folgerung daraus ist:
Zum Diagnostizieren sind die DSM-Kriterien
hilfreich;
um aber valide und reliabel diagnostizieren zu
können, reichen DSM- (genauso: ICD-) Kriterien
nicht aus;
der Diagnostiker / Therapeut muss vielmehr eine
Störungstheorie besitzen, er muss verstehen, was die
einzelnen Kriterien im Kontext der Störung bedeuten.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 123 / 323
Kriterien-Ähnlichkeit
• So bedeutet z.B. das „Streben nach Bewunderung“
bei Histrionikern und Narzissten unterschiedliches:
– Ein histrionischer Klient möchte wegen des
Aussehens bewundert werden, dafür, wie
interaktionell kompetent er ist u.a., er will
Aufmerksamkeit; das zentrale Motiv ist
Wichtigkeit.
– Ein narzisstischer Klient will wegen seiner
Leistung bewundert werden, will als Person
anerkannt werden, das zentrale Motiv ist
Anerkennung.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 124 / 323
Kriterien-Ähnlichkeit
• Versteht ein Diagnostiker nicht nur die
Oberflächenmerkmale, sondern auch die zentralen
Motive, die Schemata und die Zusammenhänge, dann
kann er Histrioniker und Narzissten wieder
voneinander unterscheiden.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 125 / 323
Expertise-System
• Im Grunde ist das DSM ein Expertise-System:
Der Diagnostiker kann das System nur dann
anwenden, wenn er seht viel Zusatzwissen (=
Expertenwissen) darüber hat, was genau mit den
einzelnen Begriffen gemeint sein soll und welche
Indikatoren eigentlich auf was hinweisen.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 126 / 323
Expertise-System
• Beispiel:
Nehmen wir als Beispiel das erste Kriterium der
histrionischen PD: „Die Person fühlt sich unwohl in
Situationen, in denen sie nicht im Mittelpunkt steht“.
Wie kann ein Diagnostiker wissen, wann und ob
dieses Kriterium zutrifft?
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Seite 127 / 323
Expertise-System
In der Regel teilt ein Klient dem Diagnostiker dies nicht
direkt mit.
Und wenn der Diagnostiker direkt fragt, besteht eine
hohe Wahrscheinlichkeit, dass ein Klient nicht valide,
sondern nach sozialer Erwünschtheit antwortet.
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Seite 128 / 323
Expertise-System
Also muss der Diagnostiker indirekte Informationen des
Klienten erhalten, Erzählungen auswerten und Schlüsse
ziehen.
Dazu muss er aber Vorstellungen davon haben, was für
einen Klienten denn „unwohl“ heißt, was es heißt, „im
Mittelpunkt zu stehen“, usw..
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Seite 129 / 323
Expertise-System
Alle diese allgemeinen Begriffe muss der Diagnostiker
mit den Informationen des Klienten füllen.
Dazu muss er eine Reihe, z.B. hoch komplexer
Schlussfolgerungen ziehen.
Wann hat ein Klient einen „impressionistischen
Sprachstil“?
Wann zeigt er „eine oberflächlich wirkende Emotion“?
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Seite 130 / 323
Expertise-System
Um dies überhaupt beurteilen zu können, muss ein
Diagnostiker über sehr viel Wissen verfügen, in der
Lage sein, sein Wissen und seine Schlussfolgerungen zu
reflektieren usw., d.h. der Diagnostiker muss ein
klinisch-psychologischer Experte sein.
Nicht das DSM stellt Diagnosen: Ein Diagnostiker stellt
Diagnosen aufgrund der DSM-Kriterien und aufgrund
seines Wissens, mit dem er die Kriterien überhaupt erst
anwenden kann!
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Seite 131 / 323
Expertise-System
• PD sind komplexe Störungen; daher werden
komplexe Diagnostik-Strategien wohl unumgänglich
sein.
• Komplexe diagnostische Strategien sind aber nur von
Personen zu leisten, die über eine hohe Expertise
verfügen.
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Seite 132 / 323
Cluster-Analyse
• Saß et al. 1995 führten auf der Basis umfangreichen
Diagnosematerials hierarchische Clusteranalysen zur
Bestimmung von Ähnlichkeitsrelationen zwischen
den einzelnen Diagnosen durch.
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Cluster-Analyse
• Dabei ergab sich folgende Cluster-Lösung:
schizotypisch
paranoid
zwanghaft
schizoid
dependent
selbstunsicher
narzisstisch
histrionisch
Borderline
antisozial
passiv-aggressiv
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Cluster-Analyse
• Damit wird deutlich, dass die DSM-Einteilungen von
PD keine empirischen Einteilungen sind.
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Seite 135 / 323
Vergleich
• Vergleicht man die DSM-Gruppen mit den
empirischen Clustern, so zeigt sich:
I
DSM
Empirische Cluster
- paranoide
I
- schizotypisch
- schizoide
- paranoid
- schizotypische
- zwanghaft
- schizoid
II - histrionische
II
- narzißtische
- dependent
- selbstunsicher
- borderline
- antisoziale
III
- narzißtisch
- histrionisch
III - selbstunsichere
IV
- borderline
- dependente
- antisozial
- zwanghafte
- passiv-aggr.
- passiv-aggressive
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Seite 136 / 323
Strukturierte Interviews
7. Strukturierte Interviews
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Seite 137 / 323
Strukturierte Interviews
• Strukturierte Interviews sind solche, bei denen ein
Interviewer dem Klienten genau vorgeschriebene
Fragen in genau vorgeschriebener Reihenfolge stellt.
• Die Interviews basieren dabei auf dem DSM (wie
z.B. das SKID II) oder auf dem ICD.
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Seite 138 / 323
Beispiel
• Ein Beispiel für ein strukturiertes Interview ist das
IPDE („International Personality Disorder
Examination“) von Mombour et al. (1993), das auf
dem ICD 10 basiert.
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Seite 139 / 323
Strukturierte Interviews
• Diese Art der Diagnostik ist nicht völlig
unproblematisch.
• Zwar garantiert sie, dass der Diagnostiker alle
Kriterien tatsächlich erhält, und dass er dies
strukturiert und damit standardisiert tut.
• Dennoch sind die Fragen z.T. leicht durchschaubar
und können Klienten leicht veranlassen, nach sozialer
Erwünschtheit zu antworten.
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Seite 140 / 323
Strukturierte Interviews
• Wenn man ernst nimmt, dass PD
Beziehungsstörungen sind, dann hat dies auch eine
bedeutende Konsequenz für die Diagnostik.
• Die Erhebung jeder vertraulichen, unangenehmen,
peinlichen oder intimen Information setzt eine
vertrauensvolle Beziehung voraus, wenn man valide
Daten erhalten will.
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Seite 141 / 323
Strukturierte Interviews
• Ohne vertrauensvolle Beziehung muss man mit
Antworten nach sozialer Erwünschtheit rechnen:
Die Klienten werden, wenn sie es peinlich finden,
dem Interviewer nicht sagen: „Klar, ich muss immer
im Mittelpunkt stehen, sonst fühle ich mich nicht
wohl!“.
• Was aber schon für Klienten ohne PD zutrifft, trifft
für Klienten mit PD noch in höherem Ausmaß zu.
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Strukturierte Interviews
• Daher machen solche Interviews wahrscheinlich nur
dann Sinn, wenn zwischen Klient und Diagnostiker
bereits eine vertrauensvolle Beziehung besteht.
• Ist das nicht der Fall, kann man Validität und
Reliabilität der Daten trotz der Strukturierung oft
bezweifeln.
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Fragebögen
8. Fragebögen
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Fragebogen-Verfahren
• Man kann die DSM-Kriterien (oder andere) auch in
Fragebogen-Items umsetzen.
• Kuhl und Kazen (1996) haben aufgrund einer
spezifischen Theorie der Persönlichkeitsstörung von
Kuhl (1995), dem sog. „STAR-Modell“, einen
Fragebogen entwickelt: Das „Persönlichkeitsstil-undStörungs-Inventar“ (PSSI).
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Seite 146 / 323
PSSI
• Das Problem von Fragebögen ist prinzipiell das
Gleiche wie das von Interviews: Klienten können
geneigt sein, nach sozialer Erwünschtheit zu
antworten.
• Diese Tendenz ist beim PSSI meiner Einschätzung
nach wegen der meist positiven Frageformulierungen
so gering wie bei keinem anderen Instrument
(Interview oder Fragebogen).
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Seite 147 / 323
PSSI
• Der PSSI eignet sich in der Praxis für ein erstes
Screening, um auf eventuell vorliegende PD
aufmerksam zu werden.
• Es sollte jedoch immer mit einer klinischen Diagnose
verstanden werden.
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Diagnostik-Fragebogen: PSSI 1
• Persönlichkeits-Stil- und Störungs-Inventar PSSI
von Kuhl:
Skalierung vierstufig:
(trifft gar nicht zu <---> trifft ausgesprochen zu)
• paranoid
– Viele Menschen nützen es aus, wenn man
Schwäche zeigt.
– Ein gewisses Misstrauen gegenüber anderen ist
oft angebracht.
• schizoid
– Intimität zu anderen Menschen ist mir eher
unangenehm.
– Ich wahre immer die Distanz zu anderen
Menschen.
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Seite 149 / 323
Diagnostik-Fragebogen: PSSI 2
• schizotypisch
– Ich habe schon öfter Eingebungen gehabt.
– Ich spüre die Bedürfnisse anderer oft eher, als sie
sie selbst bemerken.
– Ich glaube, dass andere manchmal meine
Gefühle spüren, auch wenn sie sich anderswo
aufhalten.
– Ich glaube, dass Strahlungen das Denken und
Fühlen der Menschen beeinflussen.
– Es gibt viele Dinge, die man mit dem Verstand
nicht erklären kann.
– Ich glaube an Gedankenübertragung.
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Seite 150 / 323
Diagnostik-Fragebogen: PSSI 3
• antisozial
– Jeder ist sich selbst der Nächste.
– Meine Bedürfnisse lebe ich aus, auch wenn
andere zurückstecken müssen.
• borderline
– Ich spüre oft eine innerliche Leere.
– Oft kann ich selbst bei kleinen Enttäuschungen
meine Wut kaum noch kontrollieren.
• histrionisch
– Ich kann Menschen für mich einnehmen, wenn
ich es will.
– Ich kann sehr charmant sein.
– Ich habe auf das andere Geschlecht eine
besondere Anziehungskraft.
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Seite 151 / 323
Diagnostik-Fragebogen: PSSI 4
• narzisstisch
– Wenn andere nicht auf meine Wünsche
eingehen, kann ich böse werden.
– Ich habe ein ausgeprägtes Gefühl für das
Besondere.
• selbstunsicher
– Viele Seiten von mir zeige ich nicht, weil ich
befürchte, dass ich die Sympathie mancher
Menschen verlieren würde.
– Wenn mir eine Schwäche bewusst wird, kann
mich das eine ganze Zeit belasten.
• abhängig
– Wenn ich ganz allein bin, fühle ich mich oft
hilflos.
– Ich lehne mich gern an eine starke Person an.
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Seite 152 / 323
Diagnostik-Fragebogen: PSSI 5
• zwanghaft
– Ich bin ein Mensch mit festen Gewohnheiten.
– Es stört mich sehr, wenn andere meinen
geregelten Tagesablauf durcheinanderbringen.
• negativistisch
– Ich fühle mich von anderen oft missverstanden.
– Viele Menschen haben es nicht verdient, dass sie
im Leben so viel Glück haben.
– Ich bin in meinem Leben oft ungerecht behandelt
worden.
– Bei Menschen, die zunächst sympathisch wirken,
sehe ich sehr schnell auch die negativen Seiten.
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Seite 153 / 323
Diagnostik-Fragebogen: PSSI 6
• depressiv
– Ich fühle mich oft niedergeschlagen und kraftlos.
– Mir schwindet oft die Hoffnung, dass Dinge, die
mir nicht gefallen, je anders werden.
• selbstlos
– Ich fühle mich wohl, wenn ich für jemanden
sorgen kann.
– Wenn andere mich brauchen, bin ich immer zum
Helfen bereit.
• aggressiv
– Wenn Leute sich gegen mich wenden, kann ich
sie fertigmachen.
– Ich greife lieber an, als mich angreifen zu lassen.
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Seite 154 / 323
Diagnostik-Fragebogen: PSSI 1
• rhapsodisch
– Auch langweilige Arbeiten kann ich mir meist
durch irgendwas Schönes versüßen.
– Ich finde fast alle Menschen, die ich kenne,
einfach wunderbar.
– Ich kann mich jeden Tag für irgendwelche Dinge
oder Menschen begeistern.
– Mein Optimismus ist unbesiegbar.
– Es bringt nichts, wenn man sich in schwierige
Gefühle vertieft.
– Ich interessiere mich für alles, was mir nette
Leute über sich erzählen.
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Seite 156 / 323
Rating
9. Rating des
Interaktionsprozesses
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Seite 157 / 323
Rating des Interaktionsprozesses
• Rating-Verfahren des Interaktionsverhaltens sind
nicht-reaktive Messverfahren.
• Sie werden angewandt auf Material, das nicht
explizit zu Diagnose-Zwecken erhoben worden ist.
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Seite 158 / 323
Rating des Interaktionsprozesses
• So kann man mit einem Rating-Verfahren z.B. eine
Therapiestunde einschätzen, in der Therapeut und
Klient über irgendwelche Themen sprechen.
• Vorteil dieser Verfahren ist vor allem, dass das
tatsächliche Interaktionsverhalten des Klienten
erfasst werden kann und nicht ihre Einschätzung oder
Darstellung ihres Interaktionsverhaltens.
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Seite 159 / 323
Rating des Interaktionsprozesses
• Dadurch kann auch die Tendenz, im Sinne sozialer
Erwünschtheit zu reagieren, stark reduziert werden.
• Im Therapieteil der Vorlesung wird ein InteraktionsRating vorgestellt werden.
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Seite 160 / 323
Reliabilitäten
10. Reliabilitäten
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Seite 161 / 323
Reliabilitäten
• Eine wesentliche Frage für die Beurteilung der Güte
der Diagnostik von PD ist die nach der Reliabilität:
– Re-Test-Reliabilität
– Inter-Rater-Reliabilität
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Seite 162 / 323
Reliabilitäten
• A priori muss man bei PD-Diagnose-Verfahren damit
rechnen, dass die Reliabilitäten niedriger ausfallen
werden als bei der Diagnose anderer Störungen, und
zwar weil
– PD ein sehr komplexes und damit schwer zu
erfassendes Phänomen ist;
– die Störung sich direkt auf die Diagnostik
auswirkt.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 163 / 323
Reliabilitäten
• Persönlichkeitsstörungen umfassen sehr viele
Bereiche des Denkens, Fühlens und Handelns; wie
ausgeführt, genügt es auch im Grunde nicht,
Oberflächenmerkmale „abzufragen“.
• Dies macht die Diagnostik von PD zu einem
komplexen Vorgang, der hohe Expertise erfordert.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 164 / 323
Reliabilitäten
• Anders als andere Klienten bringen Klienten mit
Interaktionsstörungen ihr Problem unmittelbar in die
diagnostische Situation mit ein.
• Ein Klient, dessen Problem Misstrauen ist, wird auch
in der diagnostischen Situation misstrauisch sein; ein
Klient, der das Bedürfnis hat, sich als „toll“
darzustellen, wird sich auch dem Diagnostiker als
„toll“ darstellen usw..
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 165 / 323
Reliabilitäten
• Wenn der Diagnostiker dieses Verhalten direkt
erfassen kann, kann er damit sogar ZusatzInformationen erhalten (er „sieht“ das Misstrauen des
Klienten unmittelbar).
• Wenn das diagnostische Instrument aber nur auf
Beantwortung von Fragen vertraut, können die
Antworten sehr verzerrt werden.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 166 / 323
Reliabilitäten
• Die Reliabilitäten von DSM- oder ICD-basierter
Diagnostik sind wesentlich davon abhängig, ob das
diagnostische Vorgehen strukturiert-systematisch
oder unstrukturiert erfolgt.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 167 / 323
Reliabilitäten
Unstrukturierte
Inter-Rater
Rate-Re-Rate
.46 - .61
.54
.78
.55
Interviews
Strukturierte
Interviews
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 168 / 323
Reliabilitäten
• Test-Retest-Reliabilitäten
– Personality Diagnostic
.40 - .47
Questionnaire (Hyler et al. 1983)
– SCID II : Structural
.20 - .28
Clinical Interview for
DSM III-R (Spitzer et al., 1987)
– Personality Disorder
.40 - .47
Examination
(Looranger, 1987)
– Internationale Checklisten
.38 - .52
für Persönlichkeitsstörungen
(Bronisch et al., 1992)
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 169 / 323
Co-Morbidität mit Achse-I
• Man muss berücksichtigen, dass die relativen
Ausprägungen der einzelnen Störungen in einer
Stichprobe sehr stark von der Art der Stichprobe
abhängen, z.B. davon, ob es sich um eine ambulante
oder eine stationäre Stichprobe handelt.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 170 / 323
Modell der Doppelten Handlungsregulation
• Das „Modell der Doppelten Handlungsregulation“
ist eine allgemeine Theorie über das Funktionieren
von PD.
• Die einzelnen Komponenten des Modells müssen
dann noch für einzelne PD spezifiziert werden.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 171 / 323
Das Modell der doppelten Handlungsregulation (Sachse, 1997)
MOTIV-EBENE:
Authentische Bedürfnisse
Motive
Interaktionelle Ziele
SCHEMA-EBENE:
Annahmen / Erwartungen
Beziehungsschemata
Verarbeitungskompetenzen
Handlungskompetenzen
Handlungen
in Situationen
Konsequenzen
Selbstschemata
SPIEL-EBENE:
Images und Appelle
Interaktionelle Ziele
/ Vermeidungsziele
Verarbeitungskompetenzen
Handlungskompetenzen
Diskrepanz
Strategisches
Handeln
Testverhalten
Kurzfristige
Konsequenzen
Langfristige
Konsequenzen
Beziehungsmotive
• Beziehungsmotive sind die Grundmotive der
authentischen Regulationsebene.
• Auf der höchsten Hierarchieebene sind sie sehr
allgemein gefasst.
• Auf der Ebene der interaktionellen Ziele sind die
konkret operationalisiert.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 173 / 323
Beziehungsmotive
• Die sechs Beziehungsmotive, die hier behandelt
werden sollen, sind:
– Anerkennung
– Wichtigkeit
– Verlässlichkeit
– Solidarität
– Autonomie
– Territorialität/Grenzen
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 174 / 323
Beziehungsmotiv: Anerkennung
• Motiv nach „Anerkennung, Zuwendung, Liebe“
• Es ist ein Motiv,
– von Interaktionspartnern als Person gemocht und
geschätzt zu werden;
– von Interaktionspartnern als Person geachtet und
respektiert zu werden;
– von Interaktionspartnern als Person positiv
definiert zu werden.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 175 / 323
Beziehungsmotiv: Anerkennung
• Operationalisierungen können sein:
– Anerkennung bekommen
– Lob bekommen
– akzeptiert werden
– positive Rückmeldung erhalten
– freundlich behandelt werden
– liebevoll behandelt werden.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 176 / 323
Beziehungsmotiv: Anerkennung
• Positive Rückmeldungen sind z.B.:
– Du bist ok.
– Wir mögen Dich.
– Wir akzeptieren Dich als Person.
– Du kannst XY.
– Wir trauen Dir etwas zu.
– Wir sind stolz auf Dich.
– Du hast positive Eigenschaften.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 177 / 323
Beziehungsmotiv: Anerkennung
• Bei positiver Rückmeldung kann es sich durchaus
um realistische positive Rückmeldung handeln, die
mit respektvoller Kritik und auch negativem
Feedback kombiniert werden kann.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 178 / 323
Beziehungsmotiv: Anerkennung
• Negative Rückmeldungen sind z.B.:
– Du bist nicht ok.
– Du bist nicht so ok, wie Du bist.
– Du bist als Mädchen / als Junge nicht ok.
– Du bist ein Versager.
– Wir trauen Dir nichts zu.
– Wir schämen uns für Dich.
– Wir verachten Dich.
– Du blamierst uns.
– Du bist völlig scheiße.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 179 / 323
Beziehungsmotiv: Anerkennung
• Wie bei allen Beziehungsmotiven muss die
Rückmeldung nicht in erster Linie verbal erfolgen;
• sie kann stark non-verbal oder para-verbal erfolgen
oder dadurch, dass Informationen nicht gegeben
werden (z.B. zeigt das Kind den Eltern stolz ein Bild;
die Eltern reagieren aber gar nicht darauf).
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 180 / 323
Beziehungsmotiv: Anerkennung
• Auch müssen die Rückmeldungen nicht massiv
erfolgen.
• Es kann auch schwach negative Rückmeldungen über
einen langen Zeitraum hinweg konsistent geben.
• Solche konsistent negativen Rückmeldungen führen
ebenfalls zu einem negativen, manchmal sogar zu
einem sehr negativen Selbst-Schema.
• Klienten haben hier oft falsche Such-Modelle.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 181 / 323
Beziehungsmotiv: Anerkennung
• Positive Rückmeldungen führen zu positiven
Einträgen im Selbst-Schema, z.B.:
– ich bin ok;
– ich verfüge über bestimmte Fähigkeiten;
– ich bin erfolgreich;
– ich bin liebenswert;
– ich kann mir etwas zutrauen;
– ich werde Aufgaben bewältigen.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 182 / 323
Beziehungsmotiv: Anerkennung
• Personen mit positiven Interaktionserfahrungen sind
demnach solche, die sich selbst positiv sehen und
sich selbst positiv und akzeptierend gegenüberstehen.
• Personen mit einem positiven Selbst-Schema nehmen
auch an, dass sie von anderen positiv eingeschätzt
werden.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 183 / 323
Beziehungsmotiv: Anerkennung
Positive Rückmeldungen führen auch zu positiven
Einträgen ins Beziehungs-Schema:
• Beziehungen sind angenehm, förderlich;
• in Beziehungen werde ich geliebt und geachtet;
• in Beziehungen werde ich respektiert, nicht
abgewertet.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 184 / 323
Beziehungsmotiv: Anerkennung
• Personen mit diesen positiven
Interaktionserfahrungen sind demnach solche, die
auch Beziehungen positiv einschätzen: Sie erwarten,
dort Zuwendung und Liebe zu finden, Respekt und
Akzeptierung.
• Sie haben damit ein Konzept, dass sich Beziehungen
lohnen.
• Und: Dass Beziehungen nicht Selbstwert-bedrohlich
sind.
• Und sie haben ein Konzept, dass sie sich auf
Beziehungen einlassen können.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 185 / 323
Beziehungsmotiv: Anerkennung
• Negative Rückmeldungen bezüglich dieses Motivs
führen zu negativen Einträgen ins Selbst-Schema:
– ich bin nicht ok;
– ich bin nicht liebenswert;
– ich bin ein Versager;
– ich kann nichts;
– ich kann Aufgaben nicht bewältigen;
– ich werde scheitern.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 186 / 323
Beziehungsmotiv: Anerkennung
• Personen mit diesen negativen
Interaktionserfahrungen zeigen damit eine negative
Selbsteinschätzung: sie trauen sich selbst wenig zu,
finden sich nicht akzeptabel, halten sich selbst für
Versager u.a.; oft können sie sich selbst auch nicht
leiden, werten sich selbst ab u.a.
• Und sie nehmen auch an, dass sie von anderen
negativ eingeschätzt und bewertet werden.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 187 / 323
Beziehungsmotiv: Anerkennung
• Personen mit negativem Selbst-Schema reagieren oft
auch hyper-allergisch auf Kritik: Denn Kritik
aktiviert das negative Schema und führt zu einem
negativen „state of mind“.
• Solche Personen vermeiden dann oft auch negative
Rückmeldungen, Kritik oder Situationen, in denen
sie scheitern könnten.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 188 / 323
Beziehungsmotiv: Anerkennung
• Negative Rückmeldungen führen auch zu negativen
Einträgen im Beziehungskonzept, z.B.:
– in Beziehungen erhalte ich keine Anerkennung;
– Beziehungen sind nicht förderlich;
– in Beziehungen wird man abgewertet;
– wenn man eine enge Beziehung hat, ist man
verletzlich;
– Beziehungen sind (potentiell) Selbstwertbedrohlich.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 189 / 323
Beziehungsmotiv: Anerkennung
• Personen mit dieser Interaktionserfahrung haben
damit auch eine eher zurückhaltende bis ablehnende
Haltung Beziehungen gegenüber: Beziehungen
werden als nicht erforderlich angesehen, in massiven
Fällen sogar als bedrohlich.
• Oder die Personen lassen sich nicht völlig auf
Beziehungen ein, behalten in hohem Maße
Autonomie, öffnen sich nur zögerlich, gehen
Bindungen nur unter Vorbehalt ein.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 190 / 323
Beziehungsmotiv: Anerkennung
• Sie lassen oft auch nur solche Beziehungspartner an
sich heran, die „sicher“ sind, von denen sie sicher
annehmen, dass sie nicht abgewertet werden.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 191 / 323
Beziehungsmotiv: Anerkennung
• Oft bilden sich hier weitere Überzeugungen aus wie:
– man muss autonom bleiben;
– man kann sich nur auf sich selbst verlassen;
– am besten bleiben Beziehungen unverbindlich;
– man muss eine Beziehung jederzeit auch wieder
verlassen können.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 192 / 323
Beziehungsmotiv: Anerkennung
• Die Personen können auch die Überzeugung
entwickeln, dass sie etwas aktiv tun und leisten
müssen, um anerkannt werden zu können.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 193 / 323
Beziehungsmotiv: Wichtigkeit
• Motiv nach Wichtigkeit
• Es ist das Motiv,
– im Leben eines Interaktionspartners als Person
von Bedeutung zu sein, eine Rolle zu spielen;
– für einen Interaktionspartner als Person eine
Bereicherung seines Lebens zu sein;
– für eine andere Person einen Wert zu haben,
wertvoll und wichtig zu sein.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 194 / 323
Beziehungsmotiv: Wichtigkeit
• Operationalisierungen sind:
– wichtig sein
– ernst genommen werden
– Aufmerksamkeit erhalten
– respektiert werden
– andere hören zu und setzen sich mit der Person
auseinander
– zugehörig sein.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 195 / 323
Beziehungsmotiv: Wichtigkeit
• Positive Rückmeldungen sind z.B.:
– ich bin gern mit Dir zusammen;
– ich habe Zeit für Dich;
– ich spiele gerne mit Dir;
– Du bist eine Bereicherung für mein Leben;
– Deine Anwesenheit erzeugt bei mir positive
Gefühle.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 196 / 323
Beziehungsmotiv: Wichtigkeit
• Negative Rückmeldungen sind z.B.:
– ich habe keine Zeit für Dich;
– ich bin nicht gern mit Dir zusammen;
– Du störst mich;
– Du bist eine Last für mich;
– wenn Du nicht wärst, hätte ich Karriere machen
können;
– seit Du da bist, bin ich krank;
– wir haben leider vergessen, Dich rechtzeitig
abzutreiben.
– Du wirkst toxisch auf mich.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 197 / 323
Beziehungsmotiv: Wichtigkeit
• Positive Rückmeldungen bezüglich dieses Motivs
führen zu positiven Einträgen im Selbst-Schema,
z.B.:
– ich bin wichtig;
– ich habe anderen Personen etwas zu bieten;
– ich habe positive Eigenschaften, die von anderen
geschätzt werden.
– Ich bereichere das Leben anderer.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 198 / 323
Beziehungsmotiv: Wichtigkeit
• Personen mit positiven Interaktionserfahrungen
haben damit Selbst-Schemata, die sie im Hinblick auf
ihren „Wert für andere“ oder ihre Chancen auf eine
Beziehung optimistisch stimmen: Die Person schätzt
Ihren „Marktwert“ der Beziehungen hoch ein.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 199 / 323
Beziehungsmotiv: Wichtigkeit
• Positive Rückmeldungen bezüglich dieses Motivs
führen auch zu positiven Einträgen ins BeziehungsSchema, z.B.:
– andere finden mich attraktiv;
– ich habe anderen etwas zu bieten;
– ich kann im Leben anderer Personen eine
wichtige Rolle spielen;
– ich werde ernst genommen;
– in Beziehungen wird man respektiert;
– in Beziehungen wird einem zugehört;
– man erhält Aufmerksamkeit.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 200 / 323
Beziehungsmotiv: Wichtigkeit
• Personen mit positiver Interaktionserfahrung
schätzen damit auch Beziehungen positiv ein: Sie
erwarten, ernst genommen zu werden, sie erwarten,
dass der Partner mit ihnen glücklich ist u.ä.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 201 / 323
Beziehungsmotiv: Wichtigkeit
• Negative Rückmeldungen bezüglich dieses Motivs
führen zu negativen Einträgen im Selbst-Schema:
– ich bin nicht wichtig;
– ich habe anderen Personen nichts zu bieten;
– ich habe Eigenschaften, die andere abstoßen;
– im Extremfall: Ich bin toxisch.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 202 / 323
Beziehungsmotiv: Wichtigkeit
• Personen mit diesen negativen
Interaktionserfahrungen zweifeln daran, anderen
Personen in Beziehungen etwas zu bieten zu haben:
Sie glauben, dass sie keine Eigenschaften aufweisen,
die sie für Interaktionspartner wichtig machen
könnte. Oder sie glauben sogar, dass sie
Eigenschaften haben, die andere abstoßen.
• Sie nehmen dann auch häufig an, dass sie etwas aktiv
tun und leisten müssen, um wichtig zu sein.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 203 / 323
Beziehungsmotiv: Wichtigkeit
• Negative Rückmeldungen führen auch zu negativen
Einträgen im Beziehungs-Schema, z.B.:
– ich habe keine Bedeutung im Leben anderer;
– andere finden mich nicht attraktiv;
– ich bin für andere ein Störfaktor;
– ich bin in Beziehungen toxisch;
– ich belästige andere;
– ich kann von anderen nicht ernst genommen
werden;
– keiner respektiert mich;
– niemand hört mir zu;
– ich erhalte keine Aufmerksamkeit.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 204 / 323
Beziehungsmotiv: Wichtigkeit
• Personen mit diesen negativen
Interaktionserfahrungen zweifeln daran, dass sich
vom Partner aus positive Beziehungen entwickeln
werden: Sie nehmen an, dass der Partner sie nicht
wichtig nehmen wird, sie nicht ernst nehmen wird,
ihnen nur wenig Aufmerksamkeit und Zeit widmen
wird u.ä.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 205 / 323
Beziehungsmotiv: Wichtigkeit
• Auch Personen mit solchem Schema können hyperallergisch reagieren, wenn
– sie ignoriert werden;
– sie nicht respektiert werden;
– man ihnen nicht zuhört;
– man sie ausschließt.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
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Beziehungsmotiv: Verlässliche Beziehung
• Motiv nach verlässlicher Beziehung
• Es ist das Motiv,
– dass eine Beziehung zu einem wichtigen
Interaktionspartner verlässlich ist: dass sie auch
morgen noch existiert, wenn sie heute besteht.
– dass die Beziehung nicht „kündbar“ ist;
– dass die Beziehung belastbar ist, nicht durch
Krisen in Frage gestellt werden kann.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
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Beziehungsmotiv: Verlässliche Beziehung
• Positive Rückmeldungen sind z.B.:
– ich bin bei Dir;
– die Beziehung zu Dir ist mir wichtig;
– Krisen erschüttern die Beziehung nicht, stellen sie
nicht in Frage;
– Kritik erschüttert die Beziehung nicht;
– man kann sich streiten, ohne die Beziehung zu
gefährden;
– wenn man eine Zeit lang getrennt war,
beeinträchtigt das die Beziehung nicht.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
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Beziehungsmotiv: Verlässliche Beziehung
• Negative Rückmeldungen sind z.B.:
– wenn Du nicht spürst, kommst Du ins Heim / ins
Internat;
– jetzt mag ich Dich nicht mehr, wenn Du xy tust
(Bestrafung durch „Liebesentzug“)!;
– jetzt ist der Ofen aber aus!;
– wenn Du Dich so verhälst, bist Du nicht mehr
meine Tochter / mein Sohn!
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
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Beziehungsmotiv: Verlässliche Beziehung
• Positive Rückmeldungen haben vor allem positive
Einträge ins Beziehungs-Schema zur Folge, z.B.:
– Beziehungen sind verlässlich;
– Beziehungen sind stabil;
– Beziehungen sind belastbar;
– Beziehungen sind wichtiger als
Auseinandersetzungen;
– Beziehungen sind wichtiger als Normen und
Regeln;
– Beziehungen sind eine verlässliche Grundlage für
eine Lebensgestaltung.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
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Beziehungsmotiv: Verlässliche Beziehung
• Eine Person mit dieser positiven
Interaktionserfahrung kann in Beziehungen eine
angemessene Streitkultur entwickeln: Sie kann ihre
Meinung äußern, auch wenn diese negativ ist, weil
sie weiß, dass die Beziehung einen Streit aushalten
wird.
• Sie zweifelt auch nicht bei Krisen daran, dass die
Beziehung stabil bleiben wird.
• Sie kann sich damit auch (ohne Vorbehalte) auf eine
Beziehung einlassen, eine Bindung eingehen.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
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Beziehungsmotiv: Verlässliche Beziehung
• Negative Rückmeldungen bezüglich dieses Motivs
führen zu negativen Einträgen ins BeziehungsSchema:
– Beziehungen sind nicht verlässlich;
– jeder Streit stellt die Beziehung in Frage;
– wenn ich meine Bedürfnisse äußere, kann das
schon die Beziehung gefährden.
– Beziehungen können jederzeit gekündigt werden,
manchmal sogar ohne Vorwarnung.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 212 / 323
Beziehungsmotiv: Verlässliche Beziehung
• Personen mit dieser negativen Interaktionserfahrung
haben keine Streitkultur: Sie trauen sich nicht, eigene
Meinungen zu äußern, aus Angst, damit die
Beziehung in Frage zu stellen; oder sie passen sich
den Wünschen des Interaktionspartners an, um die
Beziehung nicht zu gefährden.
• Sie können sich auch nie völlig auf Beziehungen
einlassen: Man kann sich nicht wirklich binden,
wenn man jederzeit verlassen werden kann.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 213 / 323
Beziehungsmotiv: Verlässliche Beziehung
• Auch dieses Schema kann zu hyper-allergischen
Reaktionen führen:
– Jede Beziehungskrise kann starke Ängste
auslösen, verlassen zu werden.
– Jede Unzufriedenheit des Partners kann zur
Angst führen, dass der Partner die Beziehung
verlässt.
• Diese Ängste können zu einem kompensatorischen
Verhalten führen, indem die Personen aktiv
versuchen, etwas zu tun, was die Partner an sie
bindet.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 214 / 323
Beziehungsmotiv: Solidarität
• Motiv nach solidarischer Beziehung
• Es ist das Motiv,
– dass sich jemand um mich kümmert, für mich da
ist, wenn ich ihn brauche;
– dass ich Hilfe bekomme, wenn ich welche
brauche, weil ich krank bin, in der Klemme
stecke, es mir schlecht geht usw.
– dass ich Schutz und Unterstützung erhalte, wenn
ich angegriffen werde.
• Das Motto heißt: Wenn ich Dich brauche, dann
kommst Du.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 215 / 323
Beziehungsmotiv: Solidarität
• Positive Rückmeldungen sind z.B.:
– wenn ich krank bin, nimmt sich der
Interaktionspartner Zeit und kümmert sich;
– wenn ich vom Lehrer kritisiert werde, dann
werde ich verteidigt;
– wenn ich Probleme habe, ist jemand da, der mir
zuhört und der mir hilft;
– wenn es mir schlecht geht, dann ist jemand da,
um mich zu trösten usw.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 216 / 323
Beziehungsmotiv: Solidarität
• Negative Rückmeldungen sind z.B.:
– ich muss ins Krankenhaus und niemand besucht
mich;
– mir geht es schlecht, aber niemand kümmert sich
um mich;
– ich habe Probleme, aber niemand unterstützt
mich (ich bekomme z.B. keine Unterstützung,
wenn ich Probleme in der Schule habe);
– ein Lehrer kritisiert mich und mein Vater sagt:
Wenn der nicht spurt, hauen Sie ihm richtig eins
um die Ohren;
– die Nachbarin beschwert sich über mich und ich
bekomme Stubenarrest, ohne dass meine
Meinung überhaupt nur gehört wird u.ä.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 217 / 323
Beziehungsmotiv: Solidarität
• Positive Rückmeldungen führen zu positiven
Einträgen ins Beziehungs-Schema, z.B.:
– ich kann mich darauf verlassen, dass ein Partner
mir hilft, wenn ich Hilfe brauche;
– ich werde Schutz bekommen, wenn ich
angegriffen werde;
– wenn es mir schlecht geht, ist jemand für mich
da;
– ich kann mich darauf verlassen, dass mein
Partner für mich da ist, wenn ich ihn brauche.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
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Beziehungsmotiv: Solidarität
• Personen mit solchen positiven
Interaktionserfahrungen fühlen sich in Beziehungen
geborgen und aufgehoben: Sie haben das Gefühl,
nicht allein zu sein, das Gefühl, dass der Partner im
Ernstfall an ihrer Seite steht. Und sie haben nicht den
Eindruck, dass sie sich nur auf sich selbst verlassen
können.
• Diese Überzeugung erhöht die Intention, sich auf
Beziehungen einzulassen, sich zu binden.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
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Beziehungsmotiv: Solidarität
• Negative Rückmeldungen führen zu negativen
Einträgen ins Beziehungs-Schema, z.B.:
– wenn ich jemanden brauche, ist keiner da;
– ich kann mich auf niemanden verlassen;
– ich werde keine Hilfe erhalten;
– ich kann mich nur auf mich selbst verlassen;
– ich muss auch dafür sorgen, dass ich mich auf
mich verlassen kann.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
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Beziehungsmotiv: Solidarität
• Personen mit diesen negativen
Interaktionserfahrungen fühlen sich in Beziehungen
nicht geborgen; sie haben den Eindruck, dass ihr
Partner sich nicht um sie kümmern wird, wenn sie
Hilfe brauchen. Das führt zu einem Vorbehalt
gegenüber der Beziehung: Man muss immer ein
gewisses Ausmaß an Autonomie bewahren, um sich
im Ernstfall selbst helfen zu können.
• Man muss daher immer Autonomie aufrechterhalten.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 221 / 323
Beziehungsmotiv: Autonomie
• Motiv nach Autonomie und nach persongerechter
Förderung der eigenen Autonomie
• Es ist ein Motiv
– danach, selbst zu bestimmen: die Freunde, die
Kleidung, die Freizeit; ein Bedürfnis, eigene
Entscheidungen zu treffen und das Leben selbst
zu gestalten.
– danach, als Kind oder Jugendlicher so viel
Autonomie zu erhalten, wie man will und
verkraften kann, also weder unter- noch
überfordert zu werden.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
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Beziehungsmotiv: Autonomie
• Positive Rückmeldungen sind, in Übereinstimmung
mit dem Selbstbestimmungs-Bedürfnis, dem Kind
oder Jugendlichen Autonomie-Bereiche
einzuräumen, z.B.:
– sich alleine anzuziehen;
– sich Freunde selbst zu wählen;
– die eigene Kleidung selbst zu bestimmen;
– die Einrichtung des eigenen Zimmers zu
bestimmen u.ä.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
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Beziehungsmotiv: Autonomie
• Negative Rückmeldungen sind:
– das Kind einzuschränken (Over-Protectiveness):
Dem Kind eigene Kleidung, Freunde u.a.
vorzuschreiben, obwohl das Kind das nicht mehr
will;
– das Kind zu kontrollieren: das Kind ständig zu
überwachen, in seiner Bewegung einzuschränken;
– dem Kind zu viel Autonomie zu geben /z.B.
eigenen Schlüssel haben und Essen selber
kochen, obwohl sich das Kind davon überfordert
fühlt).
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 224 / 323
Beziehungsmotiv: Autonomie
• Positive Rückmeldungen führen auch zu positiven
Einträgen ins Beziehungs-Schema:
– ich bin ein „origin“: ich bestimme über mein
Leben;
– ich habe Entscheidungsfreiheit;
– ich habe Handlungsspielsraum;
– in Beziehungen habe ich eigenen
Entscheidungsraum.
– selbst wenn ich eine Beziehung eingehe, kann
ich noch wichtige Aspekte meines Lebens selbst
bestimmen.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 225 / 323
Beziehungsmotiv: Autonomie
• Personen mit positiven Interaktionserfahrungen
zeigen damit eine internale Kontrollüberzeugung: Sie
sehen sich als „origin“ ihrer Taten und können so
auch Verantwortung für ihr Handeln übernehmen.
• Damit muss man auch eine Beziehung nicht als
bedrohliche Einschränkung wahrnehmen; man kann
auch freiwillig Entscheidungsbereiche abgeben und
Kompromisse machen.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 226 / 323
Beziehungsmotiv: Autonomie
• Personen mit dieser Interaktionserfahrung fühlen sich
in Beziehungen nicht eingeschränkt; sie reagieren
aber auf reale Einschränkungen oft auch mit einer
Verteidigung ihrer Freiheiten.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 227 / 323
Beziehungsmotiv: Autonomie
• Negative Rückmeldungen bezüglich dieses Motivs
führen zu negativen Eintragungen ins Selbst-Schema:
– ich kann nicht über mein Leben bestimmen;
– ich werde von außen kontrolliert;
– ich werde fremdbestimmt;
– Beziehungen schränken ein.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 228 / 323
Beziehungsmotiv: Autonomie
• Personen mit dieser negativen Interaktionserfahrung
weisen damit eine starke externale
Kontrollüberzeugung auf: Sie fühlen sich
fremdbestimmt und das führt oft auch dazu, wenig
Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 229 / 323
Beziehungsmotiv: Autonomie
• Negative Rückmeldungen führen auch zu negativen
Einträgen im Beziehungskonzept, z.B.:
– ich werde vom Partner kontrolliert;
– ich werde vom Partner eingeschränkt;
– eine Beziehung einzugehen bedeutet, seine
Freiheit zu verlieren, u.ä.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 230 / 323
Beziehungsmotiv: Autonomie
• Überforderungen im Bereich Autonomie können zu
Schemata führen wie:
– ich muss alles allein machen;
– ich muss dafür sorgen, dass ich unabhängig
bleibe;
– ich darf meine Autonomie niemals aufgeben;
– ich kann mich nie ganz auf eine Beziehung
einlassen.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 231 / 323
Beziehungsmotiv: Autonomie
• Personen mit derart negativen
Interaktionserfahrungen fühlen sich in
Partnerschaften oft eingeengt, kontrolliert,
fremdbestimmt oder sie sehen Partnerschaften als
unverbindlich an: In jedem Fall zeigen sie damit aber
Vorbehalte gegen eine engere Bindung.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 232 / 323
Beziehungsmotiv: Grenzen
• Motiv nach eigener Domäne oder der
Unverletzlichkeit der eigenen Grenzen
• Es ist ein Motiv,
– eine eigene Domäne, ein eigenes Territorium
definieren zu können;
– über das man selbst verfügt und bei dem man
bestimmen kann, wer eintreten darf und wer
nicht;
– und dessen Grenzen sicher sind und von anderen
respektiert werden.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 233 / 323
Beziehungsmotiv: Grenzen
• Positive Rückmeldungen sind z.B.:
– wenn das Kind seinen Schreibtisch als seine
Domäne definiert, dass niemand daran geht;
– dass eigene Bereiche wie Briefe, Tagebücher,
Aufzeichnungen nicht eingesehen werden;
– dass Erwachsene klopfen, wenn sie das Zimmer
betreten;
– dass die Grenzen des eigenen Körpers vollständig
respektiert werden;
– dass Grenzen von Interaktionspartnern respektiert
werden.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 234 / 323
Beziehungsmotiv: Grenzen
• Negative Rückmeldungen sind z.B.:
– Mama räumt den Schreibtisch des Kindes auf;
– Mama liest Briefe oder Tagebücher;
– Mama schmeißt ohne Zustimmung des Kindes
Stofftiere weg;
– Vater verübt sexuellen Missbrauch;
– Vater schlägt das Kind (Gewalt-Missbrauch).
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 235 / 323
Beziehungsmotiv: Grenzen
• Positive Rückmeldungen führen zu positiven
Eintragungen im Selbstkonzept, z.B.:
– ich bestimme selbst über meine Domäne;
– ich kann meine Grenzen gut verteidigen.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 236 / 323
Beziehungsmotiv: Grenzen
• Positive Rückmeldungen führen auch zu positiven
Eintragungen ins Beziehungskonzept:
– meine Grenzen werden von anderen respektiert;
– andere nehmen meine Grenzen wahr.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 237 / 323
Beziehungsmotiv: Grenzen
• Personen mit dieser Interaktionserfahrung halten ihre
Domäne damit auch in Beziehungen für sicher: Sie
gehen davon aus, dass Partner Grenzen respektieren,
sie vertrauen dem Partner diesbezüglich.
• Notfalls können sie ihre Grenzen dann aber auch
wirklich effektiv verteidigen.
• Daher sind sie bezüglich ihrer Grenzen nicht in
„Alarmbereitschaft“.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 238 / 323
Beziehungsmotiv: Grenzen
• Negative Rückmeldungen führen zu negativen
Einträgen im Selbst-Schema, z.B.:
– ich kann meine Grenzen nicht verteidigen;
– ich kann meine Domäne nicht schützen.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 239 / 323
Beziehungsmotiv: Grenzen
• Personen mit solchen Interaktionserfahrungen sind
unsicher, was ihre Kompetenzen zum Schutz ihrer
Grenzen betrifft; sie sind daher sehr sensibel gegen
alle Anzeichen von Grenzverletzung und reagieren
auf vermeintliche Grenzüberschreitungen allergisch.
• Eine Konsequenz kann auch sein, auf
Grenzverletzungen sofort sehr massiv zu reagieren,
weil man glaubt, dass man nichts mehr tun kann,
wenn der „Feind“ erst einmal eingedrungen ist.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 240 / 323
Beziehungsmotiv: Grenzen
• Negative Rückmeldungen führen auch zu negativen
Einträgen ins Beziehungs-Schema, z.B.:
– mein Partner wird meine Grenzen nicht
respektieren;
– jeder übertritt meine Grenze
und
– jede Grenzüberschreitung ist mit Abwertung,
Verletzung, Kränkung u.a. verbunden;
– Interaktionspartner gehen über Grenzen und
richten im Territorium Schaden an.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 241 / 323
Beziehungsmotiv: Grenzen
• Personen mit dieser Interaktionserfahrung sind daher
Partnern gegenüber sehr misstrauisch, lassen sich
nicht „in die Karten gucken“, verteidigen ihre
Grenzen absolut und bestehen oft kleinlich auf der
Einhaltung von Grenzen.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 242 / 323
Beziehungsmotiv: Grenzen
• Negative Erfahrungen führen häufig zu einem hyperallergischen Schema: Jede kleine Grenzverletzung
kann dann schon als massive Kränkung, massive
Unverschämtheit empfunden werden, woraufhin die
Person massiv aggressiv reagieren kann.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 243 / 323
Beziehungsmotiv: Grenzen
• Ganz besonders traumatisierend wirkt die
Überschreitung der körperlichen Grenzen durch
Gewalt-Missbrauch oder sexuellen Missbrauch.
• Dies führt in der Regel zu massiven
Traumatisierungen und zu Schemata wie:
– ich bin hilflos;
– ich bin ausgeliefert;
– ich kann mich nicht wehren, u.ä.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 244 / 323
Kompetenzen
• Um durch Handeln zu einer Befriedigung der
Beziehungsmotive gelangen zu können, muss die
Person effektiv handeln.
• Und um effektiv handeln zu können, benötigt die
Person Kompetenzen.
• Es lassen sich unterscheiden:
– Verarbeitungs-Kompetenzen
– Handlungs-Kompetenzen
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 245 / 323
Verarbeitungs-Kompetenzen
• Verarbeitungskompetenzen sind solche
Wissensstrukturen, mit deren Hilfe man effektiv
Situationen analysieren und verstehen kann.
• Eine wichtige Kompetenz ist Empathie (im
sozialpsychologischen Sinne): Die Fähigkeit, sich in
andere Personen hineinzuversetzen und zu
rekonstruieren,
– was die wollen;
– was denen wichtig ist;
– welche Motive die haben;
– was sie erwarten;
– was sie verabscheuen usw.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 246 / 323
Verarbeitungs-Kompetenzen
• Wichtig ist auch:
– die Fähigkeit, die Stimmung des Gegenübers
einzuschätzen;
– zu beurteilen, wo der andere Stärken und
Schwächen hat, wie er sich selbst einschätzt;
– und wahrzunehmen, wie der Partner gerne
gesehen und eingeschätzt werden möchte.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 247 / 323
Verarbeitungs-Kompetenzen
• Kann man dies rekonstruieren, dann
– kann man sich komplementär verhalten;
– kann man einen guten Eindruck machen;
– kann man das Richtige zum richtigen Zeitpunkt
tun;
– kann man es vermeiden, in Fettnäpfchen zu
treten.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 248 / 323
Verarbeitungs-Kompetenzen
• Wichtig ist auch die Fähigkeit zu rekonstruieren, wie
man von anderen wahrgenommen wird, was andere
von einem denken und halten.
• In dem Fall kann man auch versuchen, negative
Einschätzungen systematisch zu korrigieren.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 249 / 323
Verarbeitungs-Kompetenzen
• Wesentlich ist auch die Fähigkeit, Situationen
zutreffend einzuschätzen und zu wissen, um welche
Art von Situation es sich im Augenblick handelt.
• Das ermöglicht es dann, passende Strategien zu
realisieren (und unpassende Handlungen zu
vermeiden).
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 250 / 323
Handlungs-Kompetenzen
• Handlungskompetenzen beziehen sich zum einen auf
ein Wissen
– über angemessene soziale Regeln;
– über angemessenes soziales Verhalten;
– darüber, welche Verhaltensweisen in welchen
Situationen angemessen sind und welche nicht.
• Dies sind sehr grundlegende Aspekte „sozialer
Kompetenzen“.
• Es gibt Klienten, die bereits auf diesem Niveau
Defizite aufweisen.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 251 / 323
Handlungs-Kompetenzen
• Die Kompetenz bezieht sich aber auch auf die
Verfügbarkeit von sozialen Handlungsstrategien,
z.B.
– eine Strategie, Kontakt herzustellen;
– einer Strategie zu flirten;
– einer Strategie, smalltalk zu führen;
– Strategien der Gesprächsführung;
– Strategien der Konfliktbewältigung;
– Strategien der Selbstdarstellung
u.ä.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 252 / 323
Handlungs-Kompetenzen
• Es gibt Personen, die nur über wenige, rigide
Strategien verfügen.
• Es gibt auch Personen, die über eine Vielzahl von
Strategien verfügen, die hoch elaboriert, verzweigt
und hoch flexibel sind.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 253 / 323
Beziehungsschemata
• Beziehungsschemata sind Annahmen darüber, wie
Beziehungen im Allgemeinen funktionieren oder
darüber, wie andere Personen Beziehungen der
Person gegenüber gestalten werden.
– Z.B.: „Beziehungen sind nicht verlässlich.“
– Z.B.: „In Beziehungen werde ich angewertet.“
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 254 / 323
Beziehungsschemata
• Personen mit PD weisen in der Regel negative bis
massiv negative Beziehungsschemata auf.
• Diese Schemata kommen, wie ausgeführt, durch
Erfahrungen mit zentralen Bezugspersonen in der
Biographie zustande.
• Diese negativen Schemata führen zu entsprechenden
Vermeidungszielen auf der Strategie-Ebene.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 255 / 323
Selbst-Schemata
• Selbst-Schemata sind Annahmen und
Überzeugungen über sich selbst.
• Sie können sich auf unterschiedliche Selbst-Aspekte
beziehen:
– auf Fähigkeiten,
– auf Eigenschaften,
– auf Attraktivität u.ä.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 256 / 323
Selbst-Schemata
• Personen mit PD weisen in der Regel negative bis
massiv negative Selbst-Schemata auf.
• Auch diese Schemata kommen durch biographische
Erfahrungen mit wichtigen Beziehungspersonen
zustande.
• Auch sie führen zu Vermeidungszielen auf der
Strategie-Ebene.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 257 / 323
Schemata
• Schemata führen zu einer voreingenommenen
Informationsverarbeitung.
• Bilden sich in der Biographie erste Schemata heraus,
dann können diese bereits die weitere
Informationsverarbeitung verzerren.
• Dies hat zur Folge,
– dass bereits leicht negative, aber konsistent
negative Rückmeldungen zu massiv negativen
Schemata führen können;
– die Schemata die tatsächliche biographische
Situation keineswegs valide abbilden müssen.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 258 / 323
Lösungen für das Dilemma
• Die Bildung von PD hat immer mit der Frustration
wichtiger, zentraler Beziehungsmotive zu tun.
• Eine Person bemerkt, dass sie als Person, für ihr
authentisches Handeln, keine Anerkennung,
Wichtigkeit usw. erhält.
• Die wichtigen Bezugspersonen „verweigern“ somit
die Befriedigung dieser Motive oder frustrieren sie
aktiv.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 259 / 323
Lösungen für das Dilemma
• Diese Frustrationen führen zum einen dazu, dass das
authentische Verhalten eingestellt wird: Das
Verhalten wird „gelöscht“, da es nicht zu den
erwünschten Effekten führt.
• Es kann, wenn es bestraft wird, sogar aversiv
werden: Die Person kann sich dann gar nicht mehr
authentisch verhalten bzw. sogar eine Angst davor
entwickeln, sich authentisch zu verhalten.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 260 / 323
Lösungen für das Dilemma
• Diese Tatsache muss therapeutisch berücksichtigt
werden: Klienten können sich dann auch als
Erwachsene kaum noch oder gar nicht mehr
authentisch verhalten.
• Daher muss das authentische Verhalten erst wieder
aufgebaut werden.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 261 / 323
Lösungen für das Dilemma
• Die Frustration der Beziehungsmotive führt
außerdem, wie ausgeführt wurde, zu negativen
Selbst- und Beziehungs-Schemata.
• Diese Schemata führen dadurch, dass sie eine
voreingenommene Verarbeitung zur Folge haben, zu
einer Stabilisierung des Systems.
• Die negativen Schemata müssen daher in der
Therapie dringend und unbedingt modifiziert
werden.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 262 / 323
Lösungen für das Dilemma
• Mit der Bildung negativer Schemata ist der
Entwicklungsprozess aber keineswegs
abgeschlossen.
• Die Person, das Kind oder der Jugendliche verharrt
in der Regel nicht untätig in der ungünstigen
Position und lässt die Frustration passiv über sich
ergehen.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 263 / 323
Lösungen für das Dilemma
• Diese Frustrationen wichtiger Motive stellen für die
Person eine Problem-Situation dar.
• Sie führt zu ungünstigen Konsequenzen, sie fordert
aber auch eine aktive Lösung heraus.
• Menschen ertragen in der Regel nicht passiv einen
aversiven Zustand. Sie versuchen vielmehr, mit
diesem Zustand aktiv umzugehen.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 264 / 323
Lösungen für das Dilemma
• Man muss vielmehr annehmen, dass Personen eine
starke Motivation aufweisen werden, für dieses
Problem eine Lösung zu finden.
• Sie werden versuchen, die Frustrationen zu
vermindern und sie werden versuchen, das, was sie
brauchen, auf andere Weise zu bekommen.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 265 / 323
Lösungen für das Dilemma
• Die Person wird versuchen für das Dilemma,
Bedürfnisse nicht befriedigt zu bekommen, die aber
von zentraler Bedeutung sind, eine Lösung zu
finden.
• Und die daraus resultierenden Lösungen sind m.E.
der Kern oder der zentrale Aspekt der
Persönlichkeitsstörungen.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 266 / 323
Lösungen für das Dilemma
• Es muss eine Lösung sein, die in dem jeweiligen
(Familien-)System auch funktioniert, d.h. die
Lösung muss positive Effekte erzeugen.
• Und das System wird sehr wahrscheinlich immer nur
bestimmte Arten von Lösungen zulassen und andere
Arten nicht.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 267 / 323
Lösungen für das Dilemma
• Von der Art der gefundenen Lösung hängt dann
wesentlich die Art der entwickelten PD ab.
• Und die Art der Lösung hängt wesentlich vom
System ab, davon, welche Art von Lösung im
gegebenen System möglich ist.
• Damit ist eine PD nicht nur eine individuelle
Lösung, sondern es ist immer auch eine soziale
Lösung.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 268 / 323
Lösungen für das Dilemma
• Damit kann man PD auch positiv konnotieren: Als
Lösungen für dysfunktionale Umweltbedingungen.
• Diese Lösung führt zwar heute zu Problemen, sie
war aber in der Biographie wichtig, vielleicht sogar
notwendig, und sie war eine Leistung der Person.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 269 / 323
Strategisches Handeln
• Das Problem besteht nun darin, zu versuchen,
wichtige Interaktionspartner, die die Befriedigung
zentraler Motive „verweigern“, dazu zu veranlassen,
doch so zu handeln, dass ein gewisses Ausmaß an
Befriedigung erreicht wird.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 270 / 323
Strategisches Handeln
• Damit muss die Person aber Personen, die
bestimmte Handlungen nicht von sich aus ausführen,
die keine intrinsische Motivation für diese
Handlungen haben, durch bestimmte Strategien zu
diesem Handeln veranlassen.
• Und das bedeutet: Die Person muss strategisch
handeln, sie muss so handeln, dass sie ihre Ziele
erreichen kann.
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Strategisches Handeln
• Was man nicht freiwillig bekommt, muss man sich
aktiv holen;
was man durch authentisches Handeln nicht
bekommt, muss man sich durch strategisches
Handeln holen;
was man als Person nicht bekommt, bekommt man
für bestimmtes Verhalten.
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Strategisches Handeln
• Um zu bekommen, was man braucht, muss man
somit die Interaktionspartner dazu veranlassen,
etwas zu tun, was sie von sich aus (ohne besondere
„Aufforderung“) gar nicht tun würden.
• Das bedeutet aber: Um das zu erreichen, muss man
einer Strategie folgen, man muss strategisch
handeln.
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Strategisches Handeln
• In dieser Situation, in der man nicht „von selbst“ das
bekommt, was man braucht,
– muss man überhaupt handeln: Man muss etwas
tun, man muss aktiv werden (man bekommt es ja
nicht mehr „einfach so“, als Person, ohne etwas
dafür zu tun, „unconditional“);
– man muss in bestimmter Weise aktiv werden,
man muss genau das tun, was die
Beziehungspartner zu bestimmten Reaktionen
(z.B. Lob, Anerkennung, Aufmerksamkeit, u.ä.)
veranlasst.
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Strategisches Handeln
• Strategisch handeln bedeutet also,
– dass man überhaupt handeln muss;
– dass man falsch handeln kann;
– dass man in bestimmter Weise handeln muss, um
Effekte zu erzielen;
– dass man wissen muss, mit welchen Handlungen
man positive Effekte erzielt;
– dass man deshalb gezielt handeln muss;
– dass die Handlung deshalb auch immer auf das
Erzielen dieser Effekte aus ist.
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Strategisches Handeln
• Dies hat Konsequenzen:
1. Da man handeln muss, ist der Effekt auch immer
auf die Handlung bezogen. Man bekommt damit
aber die erzielte (positive) Rückmeldung nicht
mehr ad personam (unconditional), sondern
immer (nur) für bestimmte Handlungen. Das
schränkt natürlich den Wert der erzielten
Rückmeldungen (stark) ein: Es ist das Handeln
gemeint und nicht (ohne weiteres) die Person!
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Strategisches Handeln
2. Man muss gezielt und strategisch handeln, also
genau das tun, was die positiven Effekte erzeugt:
Damit kann man aber nicht mehr genau das tun,
was man möchte, man kann nur noch das tun,
was wirkt. Das schränkt den Handlungsspielraum
ein.
Und man kann auch nicht mehr alle Ziele
verfolgen, sondern nur noch die Ziele, die sich
im System erreichen lassen. Damit sind
bestimmte Motive oder Motivaspekte gar nicht
mehr zu befriedigen.
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Strategisches Handeln
3. Da man strategisch handelt, geht der erzielte
Effekt nicht nur auf das Handeln zurück, sondern
auch noch auf ausgesuchtes, besonderes
Handeln: Das schränkt dann den Wert der
erhaltenen Rückmeldung noch weiter ein („Der
andere tut das ja nur, weil...“).
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Strategisches Handeln
4. Wenn man für das Handeln gezieltes Wissen
einsetzt, auf was der Interaktionspartner reagiert,
dann handelt man nicht nur strategisch, sondern
sogar manipulativ: Das kann den Wert der
Rückmeldung noch weiter einschränken („Ich
habe mir Lob erschlichen.“).
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Strategisches Handeln
5. Da die Handlung immer auf die Erzielung von
Effekten aus ist, ist sie per definitionem
extrinsisch motiviert. Es ist daher
wahrscheinlich, dass diese Handlungen selbst
nicht bekräftigend, nicht befriedigend wirken.
Eine intrinsische Motivation ist kaum
herzustellen.
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Strategisches Handeln
• Das strategische Handeln hat damit Vorteile: Es
erzeugt Effekte und ohne dieses Handeln hätte man
gar nichts.
• Es erzeugt jedoch nicht in gleichem Ausmaß
positive Effekte wie authentisches Handeln, die
positiven Effekte sind mehrfach „gedämpft“.
• Die Effekte, die man dadurch erzielen kann, sind
besser als gar nichts, aber sie sind nicht so positiv
wie die Effekte authentischen Handelns.
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Strategisches Handeln
• Die entsprechenden Strategien können Kinder schon
früh lernen.
• Sie lernen sie
– durch Versuch und Irrtum;
– durch Modelllernen;
– dadurch, dass das System ihnen Strategien
empfiehlt („Wenn Du das und das tätest, dann
würde ich Dich loben.“).
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Strategisches Handeln
• Als Strategien kommen im Wesentlichen zwei
Strategien in Frage.
• Die erste Strategie besteht darin, Erwartungen zu
erfüllen.
• Die zweite Strategie besteht darin, den
Interaktionspartner zu bestimmtem Verhalten zu
„zwingen“.
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Strategisches Handeln
• Erwartungen erfüllen: Man kann Interaktionspartner
dazu veranlassen, einen zu loben, anzuerkennen
usw., wenn man sich so verhält, wie sie es erwarten,
z.B.
– wenn man erfolgreich ist und damit
„vorzeigbar“;
– wenn man sich an Regeln und Normen hält;
– wenn man für sie da ist, ihre Wünsche erfüllt
usw.
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Strategisches Handeln
• Diese Strategie erscheint auf den ersten Blick wenig
problematisch, aber genaugenommen ist sie unoffen
und manipulativ: Man verhält sich ja nicht deshalb
so, weil man das Verhalten selbst gut fände oder
weil man die Erwartungen der Bezugspersonen
teilen würde.
• Man verhält sich vielmehr deshalb so, weil das
Verhalten bestimmte Effekte erzielt.
• Man will mit dem Verhalten jemanden dazu
bekommen, etwas Bestimmtes zu tun: Und damit ist
das Verhalten manipulativ.
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Strategisches Handeln
• Es ist manipulativ, weil
– die tatsächlichen Verhaltensziele nicht offen
dargelegt werden;
– der Betroffene damit über die Absichten
getäuscht wird;
– der Betroffene damit keine Wahl hat, sondern
sich erwartungsgemäß verhält.
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Strategisches Handeln
• Mit dem Begriff „manipulativ“ soll jedoch nur ein
Fakt ausgedrückt werden, keine Wertung.
• Wir alle sind gelegentlich manipulativ.
• Daher ist manipulativ nur eine Beschreibung einer
Strategie, keine Abwertung!
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Strategisches Handeln
• Eine andere Strategie besteht darin, den
Beziehungspartner zur Reaktion zu zwingen, z.B.
– erhält man Aufmerksamkeit, wenn man vorgibt,
Kopfschmerzen zu haben;
– erhält man Hilfe, wenn man vorgibt, etwas nicht
zu können usw.
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Strategisches Handeln
• Aufgrund des Handelns ist die Bezugsperson
aufgrund eigener Normen und Regeln oder aufgrund
sozialen Drucks veranlasst oder gezwungen zu
reagieren.
• Diese Strategie ist hochgradig unoffen und
manipulativ!
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Interaktionelle Ziele auf der Strategie-Ebene
• Wie aufgezeigt wurde, unterscheidet sich das
Handeln auf der Strategie-Ebene sehr deutlich von
Handeln auf der authentischen Ebene.
• Zu dem strategischen Handeln gehören nun auch
andere interaktionelle Ziele.
• Auf der strategischen Ebene verfolgt die Person
damit andere interaktionelle Ziele als auf der
authentischen Ebene.
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Interaktionelle Ziele auf der Strategie-Ebene
• Ein sehr wichtiger Grund dafür liegt darin, dass sich
ganz einfach nicht alle Ziele durch Strategien
verfolgen lassen: Man kann Interaktionspartner
durch Verhalten dazu bewegen, einen zu loben aber
nur schwer dazu bewegen, einen zu mögen; man
kann sie dazu bewegen, einem Aufmerksamkeit zu
geben, aber nur schwer dazu, einem eine Bedeutung
für das eigene Leben zu geben usw.
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Interaktionelle Ziele auf der Strategie-Ebene
• Die Konsequenz davon ist, dass auf der
Strategieebene bezüglich positiver Ziele nur noch
„erreichbare“, „umsetzbare“, „herstellbare“ Ziele
verfolgt werden.
• Und das bedeutet auch: Viele Ziele, vor allem alle
ad personam definierten Ziele, werden gar nicht
mehr verfolgt.
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Interaktionelle Ziele auf der Strategie-Ebene
• Damit werden aber auch per definitionem bestimmte
Motive auch gar nicht mehr verfolgt und damit auch
gar nicht mehr befriedigt.
• Wir haben schon gesehen, dass die Besonderheiten
des strategischen Handelns die Wirkungen der
Effekte dämpfen: Der durch strategisches Handeln
erzielte Effekt ist kaum noch als persönlich-positive
Rückmeldung zu interpretieren.
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Interaktionelle Ziele auf der Strategie-Ebene
• Und das bedeutet auch: Der hergestellte Effekt
befriedigt die zentralen Beziehungsmotive kaum
noch, der Effekt kommt kaum noch „bei den
Motiven an“.
• Außerdem wirken dann auch noch die negativen
Schemata wie Filter: Erhält die Person z.B. die
Rückmeldung, wichtig zu sein, hat aber das Schema
„ich bin nicht wichtig“, dann lässt das Schema die
Information kaum noch durch, die Rückmeldung
kommt also „bei den Motiven nicht an“.
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Interaktionelle Ziele auf der Strategie-Ebene
• Und: Die durch strategisches Handeln hergestellten
Effekte kommen auch deshalb nicht bei den
zentralen Beziehungsmotiven an, weil diese auf der
strategischen Ebene auch gar nicht mehr verfolgt
werden.
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Interaktionelle Ziele auf der Strategie-Ebene
• Damit wird aber deutlich: Aus drei Gründen führen
die durch strategisches Handeln hergestellten
positiven Effekte nicht zu einer Befriedigung der
Beziehungsmotive selbst.
• Durch diese Strategie sind die zentralen
Beziehungsmotive gar nicht zu befriedigen.
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Interaktionelle Ziele auf der Strategie-Ebene
• Es gilt aber: Nicht befriedigte Motive bleiben hoch
in der Motiv-Hierarchie.
• Wie schon in der Biographie vorher, so werden auch
durch die Strategien die zentralen Motive nicht
befriedigt.
• Daher bleiben sie weiter hoch in der Hierarchie und
es kommt zu einem permanenten Defizit-Erleben:
Ein Gefühl permanenter Unzufriedenheit stellt sich
ein!
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Interaktionelle Ziele auf der Strategie-Ebene
• Und diese Unzufriedenheit erzeugt stark eine
Tendenz zu „mehr desselben“, da alternative
Strategien ja nicht zur Verfügung stehen.
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Interaktionelle Ziele auf der Strategie-Ebene
• Ganz anders ist die Situation bezüglich der
interaktionellen Ziele auf der Spielebene: Diese
werden durch das strategische Handeln sehr wohl
bekräftigt!
• Und daher gibt es auch durch das Handeln immer
wieder C+, das Handeln wirkt permanent verstärkt!
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Interaktionelle Ziele auf der Strategie-Ebene
• Da die zentralen Motive jedoch nicht befriedigt
werden und da die negativen Schemata immer
wieder Zweifel sähen, werden auch hier die
positiven Effekte immer wieder schnell
„geschreddert“!
• Der positive Effekt der erzielten positiven
Rückmeldung hält nicht lange an, er verschwindet
wieder und muss damit immer wieder durch neues
Verhalten erneut hergestellt werden.
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Interaktionelle Ziele auf der Strategie-Ebene
• Das Bedürfnis ist damit „unstillbar“.
• Eine Klienten mit histrionischer
Persönlichkeitsstörung sagte mal: „Wenn ich mich
so verhalte und Aufmerksamkeit bekomme, ist das
immer wieder so, als wäre man durstig und würde
etwas Leckeres zu trinken bekommen.“.
• Es ist angenehm und schmeckt auch gut, aber es
macht nicht wirklich satt.
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Interaktionelle Ziele auf der Strategie-Ebene
• Auf der strategischen Ebene bildet sich, anders als
auf der authentischen Ebene, noch eine zweite Art
von Zielen: Vermeidungsziele.
• Diese sind auf der Strategie-Ebene von besonders
großer Bedeutung.
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Interaktionelle Ziele auf der Strategie-Ebene
• Vermeidungsziele kommen zustande durch die
negativen Schemata.
• Hat eine Person z.B. ein negatives Selbst-Schema, in
dem z.B. steht „Kritik ist furchtbar“, dann
resultieren daraus Vermeidungsziele: Es wird zu
einem zentralen Ziel, Kritik unter allen Umständen
zu vermeiden.
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Interaktionelle Ziele auf der Strategie-Ebene
• Ein Vermeidungsziel kann z.B. lauten:
– „Vermeide Kritik!“
– „Vermeide Situationen, in denen Du kritisiert
werden könntest!“
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Interaktionelle Ziele auf der Strategie-Ebene
• Hat eine Person z.B. ein Schema der Art „In
Beziehungen wird man nicht respektiert, dann kann
ein Ziel resultieren:
– „Vermeide Beziehungen, in denen Du keinen
Respekt erhälst.“
oder
– „Teste Interaktionspartner genau daraufhin, ob
sie Dich auch wirklich respektieren.“
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Interaktionelle Ziele auf der Strategie-Ebene
• Eine besondere Art von Vermeidungszielen sind
„Kompensationsziele“.
• Dies sind Ziele, die darauf ausgelegt sind, negative
Annahmen zu kompensieren.
• Diese Ziele sind scheinbar positiv definiert, als
scheinbar positive Ziele; tatsächlich dienen sie aber
nicht der Herstellung eines positiven Zustandes,
sondern der Vermeidung eines negativen Zustandes.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 306 / 323
Interaktionelle Ziele auf der Strategie-Ebene
• Hat z.B. jemand ein Schema „Ich bin ein Versager“,
dann heißt z.B. das Kompensationsziel: „Beweise,
dass Du kein Versager bist, beweise, dass Du toll
bist!“.
• Das Ziel heißt dann: „Strebe danach, überragend zu
sein!“
• Oft wird der Vermeidungscharakter des Ziels erst
deutlich, wenn klar wird, dass das Ziel aus einem
negativen Schema resultiert.
• Z.B. führt auch die Annahme „ich bin nicht wichtig“
zu dem Ziel: „Versuche, die Wichtigste zu sein!“
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 307 / 323
Interaktionelle Ziele auf der Strategie-Ebene
• Kompensationsziele sind daher als „Negation“
negativer Annahmen gemeint, sie dienen deshalb
auch nicht dazu, etwas Positives zu erreichen,
sondern etwas Negatives zu widerlegen.
• Um das zu können, sind Kompensationsziele oft
übertrieben, extrem, definiert. Z.B.:
– „Sei toll!“
– „Sei besser als alle anderen!“
– „Sei die Wichtigste!“
usw.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 308 / 323
Interaktionelle Ziele auf der Strategie-Ebene
• Jemand mit einem Schema „ich bin nicht wichtig“
hat z.B. das Kompensationsziel:
– „Ich muss für alle Bezugspersonen die wichtigste
Person sein.“
oder
– „Ich will unter allen Umständen von jedem
uneingeschränkte Aufmerksamkeit.“
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 309 / 323
Interaktionelle Ziele auf der Strategie-Ebene
• Es ist wichtig zu verstehen, wie Kompensationsziele
wirken.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
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Interaktionelle Ziele auf der Strategie-Ebene
• Positive Ziele setzen an einem positiven Punkt des
Spektrums an und dienen dazu, den Zustand (durch
Handeln) noch positiver zu machen:
positiver Endzustand
+
Handeln
+
AusgangsZustand
0
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 311 / 323
Interaktionelle Ziele auf der Strategie-Ebene
• Haben Personen dies erreicht, dann
– fühlen sie sich gut,
– sind stolz,
– sind zufrieden,
– genießen sie den Zustand.
• Dieser Zustand der Zufriedenheit hält eine ganze
Weile an.
• Personen sind während dieser Zeit nur wenig
motiviert, weiterhin zu handeln.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
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Interaktionelle Ziele auf der Strategie-Ebene
• Bei Kompensationszielen setzt der Ausgangspunkt
aufgrund der negativen Definition des negativen
Schemas schon im Minus an: Der Zustand wird als
defizitär wahrgenommen.
• Die Handlung dient dann auch nicht primär dazu,
den Zustand positiv zu machen, sondern den
Zustand zumindest auf Null zu bringen.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 313 / 323
Interaktionelle Ziele auf der Strategie-Ebene
+
3
4
2
Schema
-
1
1
Der Ausgangspunkt ist negativ aufgrund der
Definition des negativen Schemas.
2
Die Handlung bringt den Zustand auf Null
oder nur wenig in den positiven Zustand
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
3
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Interaktionelle Ziele auf der Strategie-Ebene
• Darüber hinaus macht das negative Schema den
erreichten Effekt auch sofort wieder zunichte
4 :
Es „schreddert“ den Erfolg.
• Die Person kann deshalb mit dem Erfolg nicht lange
zufrieden sein, kann den Erfolg nicht genießen.
• Daher muss der Effekt immer wieder und immer
wieder erneut durch neues Handeln
wiederhergestellt werden.
• Eine echte „Kompensation“ ist deshalb mit dieser
Strategie überhaupt nicht möglich.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 315 / 323
Interaktionelle Ziele auf der Strategie-Ebene
• Kurzfristig und kurzzeitig wird jedoch immer wieder
ein Kompensationseffekt erzielt: Und dadurch wird
das Handeln auch immer wieder (doch) bekräftigt
und dadurch in seiner Auftretenswahrscheinlichkeit
erhöht.
• Einen veränderten Einfluss auf die negativen
Schemata oder gar einen Effekt bezüglich der
Befriedigung der Beziehungsmotive hat der Effekt
jedoch nicht.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 316 / 323
Interaktionelle Ziele auf der Strategie-Ebene
• Man muss davon ausgehen, dass auf der
strategischen Ebene ein großer Teil der Ziele (nicht
alle!) Vermeidungsziele und Kompensationsziele
sind.
• Sehr wahrscheinlich handelt es sich bei allen
übertrieben und extrem formulierten Zielen um
Kompensationsziele.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 317 / 323
Interaktionelle Ziele auf der Strategie-Ebene
• Dies gilt auch für Ziele wie:
– „Ich muss mein Territorium um jeden Preis
schützen.“
– „Ich muss unter allen Umständen meine
Autonomie aufrechterhalten.“
– „Ich darf auf keinen Fall verlassen werden.“
– „Ich darf keiner Person vertrauen.“
usw.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 318 / 323
Kompetenzen auf der Strategie-Ebene
• Auch für das (strategische) Handeln auf der
Strategie-Ebene benötigt eine Person Verarbeitungsund Handlungskompetenzen.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 319 / 323
Verarbeitungskompetenzen
• Wichtige Verarbeitungskompetenzen sind (neben
denen, die schon auf der authentischen Ebene
wichtig waren) die Fähigkeit der Person, einen
Interaktionspartner oder potentiellen
Interaktionspartner daraufhin einzuschätzen, ob er
sich komplementär zum strategischen Handeln
verhalten wird.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 320 / 323
Verarbeitungskompetenzen
• Davon kann auch die Partnerwahl abhängen:
– Ist zu erwarten, dass der potentielle Partner auf
bestimmte Strategien positiv (komplementär)
reagieren wird, dann kommt er als Partner in die
engere Wahl.
– Ist zu erwarten, dass er gar nicht oder negativ
reagieren wird, dann wird er ausgeschlossen.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 321 / 323
Handlungskompetenzen
• Manche Klienten mit PD verfügen über sehr viele,
sehr elaborierte (und hoch manipulative)
Handlungsstrategien.
• Sie können dadurch lange erfolgreich agieren.
• Ihr Handeln ist dann auch nicht leicht und nicht
schnell als strategisch und manipulativ zu
durchschauen.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 322 / 323
Handlungskompetenzen
• Manche Klienten mit PD verfügen dagegen nur über
wenige und/oder rigide Handlungsstrategien.
• Die Strategien sind dann oft leicht und schnell
durchschaubar.
• Diese Strategien wirken dann nicht sehr effektiv und
vor allem nicht sehr lange effektiv.
© Prof. Dr. Rainer Sachse IPP 2004
Seite 323 / 323
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