24 L Ö S U N G E N » Z entrale der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin Der neue Hauptsitz der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin-Mitte zenden Stadtpark öffnet. Dieser durchlässige Raum, der die dar- setzt architektonisch und energetisch ein Signal: Der Ent- überliegenden vier Bürostockwerke fast schweben lässt, dient wurf der Architekten e2a übersetzt die grün-politischen als Tagungszentrum für die zahlreichen öffentlichen Veranstal- Werte der Stiftung in eine zeitgemässe Ästhetik. Und das tungen der Stiftung. Damit holt sie «die Welt ins Haus» – wie die Energie­konzept von Basler & Hofmann stellt ihre ökolo- Heinrich-Böll-Stiftung selbst titelt. Doch nicht nur die Architek- gische Vorreiterrolle unter Beweis: Der Energieverbrauch tur setzt die Werte der Stiftung beispielhaft um: Das Energiekon- des Büro- und Kongressgebäudes unterbietet die gesetzlich zept des Ingenieurunternehmens Basler & Hofmann nimmt eine vorgeschriebenen Werte der deutschen Energieeinsparver- Vorreiterrolle in Sachen Nachhaltigkeit ein. Mit einem gewich- ordnung um die Hälfte und entspricht dem Minergie-P-Eco- teten Endenergieverbrauch von 27.7 kWh/m2EBF·a (gewichtet Standard. Die Nutzerinnen und Nutzer des Gebäudes geben nach Minergie) oder 55.7 kWh/m2EBF·a (gewichtet nach der dem Raumklima nach dem ersten Sommer ebenfalls gute deutschen Energieeinsparverordnung EnEV) liegt es weit unter Noten. Realisiert wurden die innovativen Lösungen inner- den Werten anderer moderner Bürogebäude. Gleichzeitig legte halb eines eng abgesteckten finanziellen Rahmens. die Stiftung grossen Wert auf ein gesundes und behagliches Arbeitsumfeld und eine möglichst Ressourcen schonende Bauwei- Ein Markenzeichen für die Heinrich-Böll-Stiftung se. Die angewandten Nachhaltigkeitsprinzipien lassen sich mit Als die grün-politische Heinrich-Böll-Stiftung im Jahr 2005 den denen des Minergie-P-Eco-Standards vergleichen. Neubau ihrer Zentrale ausschrieb, war eines klar: Das neue Gebäude in Berlin-Mitte sollte die Grundwerte der Stiftung wie Integrale Planung als Erfolgsfaktor: Nachhaltigkeit, Transparenz und Demokratische Kultur vorbild- energieeffizient und preiswert lich umsetzen. Gefordert waren moderne Büroflächen für die Derart anspruchsvolle Energiewerte lassen sich nur erzielen, 185 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stiftung sowie ein Kon- wenn Architektur, Fassade und Gebäudetechnik fein aufeinan- ferenzzentrum für 300 Personen. Rund 200 Architekturbüros der abgestimmt sind. Was andernorts nur als Schlagwort be- haben am Wettbewerb teilgenommen. Die Jury entschied sich nutzt wird, wurde beim Gebäude der Heinrich-Böll-Stiftung in für den Entwurf von e2a-Architekten aus Zürich. Sie schlugen allen Details gelebt: integrale Planung. Damit schaffte es das einen kraftvollen Kubus im Stil der Berliner Bauhaus-Architektur Planungsteam, die Investitions- und Betriebskosten auf ein Mini- vor, der sich mit einer transparenten «Beletage» zum angren- mum zu reduzieren. Die Investitionskosten für Heizung, Lüftung, 25 1 Die Welt ins Haus lassen: Die transparente Beletage – das Konferenzzentrum. 2 Der Primärenergieverbrauch des neuen Bürogebäudes (berechnet n. EnEV) liegt bei weniger als der Hälfte des Wertes, den die deutsche Energieeinsparverordnung EnEV verlangt. 3 Der Neubau der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin-Mitte wurde im Mai 2008 bezogen. Das Vorzeigeobjekt verbindet aussergewöhnliche Architektur mit energieeffizienter Gebäudetechnik. (Foto: Jan Bitter) 2 130 Heinrich Böll Stiftung 50 Anforderung nach EnEV 100 kWh/m2 a 1 Elektrizität (Beleuchtung) Elektrizität (Heizung, Kälte, Lüftung) Warmwasser (Fernwärme) Raumwärme (Fernwärme) 3 4 4 Das Atrium funktioniert als natürliche Lunge des Büro- und Konferenzgebäudes. 5 Tabelle: Investitionskosten im Vergleich. / Grafik: Jährliche Energiekosten der Heinrich-Böll-Stiftung. 6 Das Atrium wirkt wie eine Lunge: Die Thermik sorgt für einen natürlichen Luftaustausch. 5 1.2 Energiekosten 1 350 291 Lüftungsanlagen 100 15 Sanitäranlagen 450 306 0 Warmwasser 0.2 Raumwärme CHF/m2, Jahr 0.4 Wasserverbrauch / Kühlung 0.6 Heizungs/Kühlanlagen Elektrizität / Beleuchtung 0.8 Heinrich-Böll-Stiftung Bürogeschosse [CHF/m² EBF] Elektrizität / HLKS-Anlagen Benchmark für Bürogebäude [CHF/m² EBF] 27 Klima und Kälte liegen bei rund 12 Prozent der gesamten Bauko2 Frischluftzufuhr in das Atrium. Es nutzt die Abwärme der Ab- sten von CHF 2575/m BGF für die BPK2 – ein Spitzenwert für die luft zum Aufwärmen der Frischluft. Die Büros lassen sich mit Nutzung Kongresszentrum/Geschäftshaus. Auch die jährliche hohen, schmalen Fensterflügeln zum Atrium und zu den Fluren Energierechnung dürfte der Heinrich-Böll-Stiftung kein Kopfzer- im Innern des Gebäudes hin öffnen. Diese Querlüftung versorgt brechen bereiten: Die Energiekosten für die gesamte Gebäude- die Innenräume ganz nach Bedarf mit frischer Luft – dank des technik betragen pro Jahr 3.70 CHF/m2EBF. Alleine eine konven- Atriums ohne die sonst üblichen Wärmeverluste im Winter und tionelle Kühlung würde jährliche Kosten in Höhe von ca. 4.00 ohne Ventilatoren, die zusätzlich Energie verbrauchen würden. CHF/m2EBF verursachen (s. Abb. 5). Durch die Ausnützung der natürlichen Thermik im Atrium kann mit minimalem Energieeinsatz ein Maximum an Wohlbefinden Intelligentes Energiekonzept im Gebäude erzielt werden. Das Energiekonzept wurde in einem interdisziplinären Team aus Bauphysikern, Gebäudetechnikern und Ökologen in Zusammen- Faktor 10 – mit gutem Gewissen kühlen arbeit mit dem Architekten und der Bauherrschaft entwickelt. Moderne Bürogebäude unterliegen einem Paradox: Sind sie gut Es verfolgt drei wesentliche Prinzipien: wärmegedämmt, benötigen sie zwar wenig Heizenergie, dafür – Intelligente Systeme mit möglichst wenig Geräten – das steigt jedoch der Kühlenergiebedarf. Denn die zahlreichen Bü- spart Ressourcen und hält die Installations- und Betriebs- rogeräte heizen das Gebäude von innen auf und die überschüs- kosten tief. sige Wärme kann nicht mehr durch die Gebäudehülle abfliessen. – Energie ist erst verloren, wenn sie das Gebäude verlassen Normalerweise läuft deshalb im Sommer die Klimaanlage mit hat. Abwärme wird auf innovative Weise wieder genutzt. hohem Energieverbrauch. Für die Nutzerinnen und Nutzer be- – Möglichst natürliche und nutzerbestimmte Lüftung und deutet dies: Fenster geschlossen halten. Für eine gute Energie- Kühlung. In vielen Bürogebäuden sind die Nutzerinnen und bilanz ist eine Kühlung mit niedrigem Primärenergieverbrauch Nutzer der Technik ausgeliefert. Im Gebäude der Heinrich- entscheidend. Böll-Stiftung bestimmen die Mitarbeitenden selbst über Lüftung und Kühlung. Auch die Aussenfassade der Heinrich-Böll-Stiftung verfügt über gute Dämmwerte: Sie hat einen Glasanteil von rund 65 Prozent und ist 3-fach verglast ausgeführt. Hier wird jedoch nicht Das Atrium als Lunge mit der Kältemaschine, sondern mit Wasser gekühlt. In allen Bü- Damit der CO2-Gehalt in der Raumluft auf einem angenehmen ros sind entlang der Fensterfronten so genannte Brüstungskli- Niveau bleibt, ist eine regelmässige Frischluftzufuhr nötig. Bei mageräte installiert. Darin befindet sich ein Hochleistungswär- der Heinrich-Böll-Stiftung setzt man dabei auf eine natürliche metauscher, durch den im Sommer Wasser mit einer Temperatur Lüftung: Das Atrium im Innern des Gebäudes wirkt wie eine von 20°C zirkuliert. Ein kleiner Ventilator im Brüstungsklimage- Lunge. Im Sommer wird der Innenhof durch das offene Atriums- rät verteilt die gekühlte Luft im Raum. Auch bei Aussentempe- dach natürlich belüftet. Im Winter, wenn das Dach geschlossen raturen von 32°C steigt die Raumtemperatur nicht über einen ist, sorgt ein Lüftungsgerät mit Wärmerückgewinnung für die Maximalwert von 25°C. 6 Atrium offen Sommer Atrium geschlossen Winter 28 Das dafür benötigte Kühlwasser wird über einen adiabatischen adiabatischen Rückkühler gekühlt. Für dieses aussergewöhn- Rückkühler im Keller des Gebäudes erzeugt: Auf seinen Rohren liche Konzept erhielt Basler & Hofmann den Green-CIO Award wird Stadtwasser versprüht. Dabei entsteht Verdunstungskälte, der Information Week in Kooperation mit Experton Group. Der die das Kühlwasser wieder auf 20°C abkühlt. Danach gelangt Preis würdigt innovative Projekte, die die Energieeffizienz von das Wasser wieder zurück in den Kreislauf. IT-Systemen deutlich verbessern. Die Vorteile des Systems liegen auf der Hand: Konventio- nelle Klimasysteme benötigen Wasser mit einer Temperatur von 8 bis 10°C. Das Kühlwasser wird im Raum dann wieder auf 12 bis 18°C erwärmt. Diese Art der Kälteerzeugung verschlingt sehr viel elektrische Energie. Beim System, das in der Heinrich-BöllStiftung eingesetzt wird, ist kein «Temperatursprung» nötig, zur Kühlung genügt Wasser mit einer Temperatur von 20°C. Dadurch wird hier um den Faktor 10 effizienter gekühlt als mit herkömmlichen Systemen. Im Winter heizen die Server – eine «ausgezeichnete» Idee Daten und Fakten Gebäude Ort Berlin Planung 2006-2007 Bau/Sanierung 2007–2008 Gebäudetyp Geschäftshaus mit Kongresszentrum Anzahl Arbeitsplätze ca. 200 Energiebezugsfläche (EBZ) 5607 m2 Gebäudehülle sertemperatur bis 50°C benötigen, wärmt das innovative Brü- Gebäudehüllfläche A 5746 m2 Gebäudehüllzahl A/EBF 1.02 Fensterfläche FF inkl. Brüstung > Glasfläche geringer 2977 m2 Fensterfläche FF/EBF 0.53 U-Wert gesamtes Fenster ca. 0.9 W/m2K g-Wert Glas 0.4 % stungsklimagerät die Büros bereits mit einer Vorlauftempera- U-Werte Das Brüstungsklimagerät sorgt im Sommer für Kühlung, im Winter für Wärme. Und auch beim Heizen ist es aussergewöhnlich effizient. Während herkömmliche Heizsysteme eine Heizwas- können die Server in die Gebäudetechnik eingebunden und ihre Boden gegen Erdreich Wand gegen Erdreich Wand gegen aussen Decke, resp. Dach gegen aussen Fenster, inkl. Rahmen Aussentüren Atriumsdach Abwärme direkt nutzbar gemacht werden. Die Cool-Racks wer- Energieerzeugung tur von 28°C. Und was andernorts lästige Wärmelast ist, wird hier effektiv genutzt: die Abwärme der Server. Die Server der Heinrich-Böll-Stiftung sind in so genannten Cool-Racks eingebaut – ein «Kühl-Schrank» im wahrsten Sinne des Wortes. Damit 0.32 W/m2K 0.26 W/m2K 0.11 W/m2K 0.17 W/m2K 0.9–1.2 W/m2K 1.3 W/m2K 1.8 W/m2K ca. 28°C. Das so erwärmte Wasser wird dann in das Heizsystem – Fernwärme von Vattenfall Berlin – Kühlung: KW 25 für Büros in Kombination mit Kältemaschine für Entfeuchtung/Kühlung Kongresszentrum – Wärmespeicher: kein Wärmespeicher eingespeist und sorgt in den Büros für angenehme Tempera- Wärmeverteilung den von Wasser mit einer Temperatur von 23°C durchflossen. Die Serverabluft erwärmt das Wasser auf eine Temperatur von turen im Winter. 90 Prozent der so «gewonnenen» Energie kann direkt als Heizenergie genutzt werden, rund 10 Prozent werden für die Pumpen benötigt, die für die Umwälzung des warmen Wassers sorgen. Im Sommer werden auch die Server über den System / Lufterneuerung mit WRG – Konvektives Heizsystem mit Brüstungsklimageräten Rio-Therm – Natürlich Lüftung mit Wärmerückgewinnung auf den Bürogeschossen – Konventionelle Lüftung in den Konferenzräumen Primärenergieberechnung nach Minergie Adressen Bauherr Heinrich-Böll-Stiftung e.V., Herr Bert Bloss Schumannstrasse 8, D-10117 Berlin-Mitte, www.boell.de Architektur: e2a Architekten. Piet Eckert Hardturmstrasse 76, CH-8005 Zürich, www.e2a.ch Energiekonzept, Bauphysik, Ökologie, TGA-Planung Basler & Hofmann, Ingenieure und Planer AG, Philipp Grob, Forchstrasse 395, CH-8032 Zürich Tel. +41 31 868 48 41, www.bhz.ch Klimasystementwickler Beat Kegel, Spyrigstrasse 7, CH-8044 Zürich Tel. +41 44 363 11 70 Heizwärmebedarf Wärmebedarf für Warmwasser Elektrizität für HLKS-Anlagen Elektrizität für Beleuchtung Ertrag PV 15.7 kWh/m2EBFa 3.7 kWh/m2EBFa 8.2 kWh/m2EBFa 11.2 kWh/m2EBFa 53 000 kWh/a Primärenergieberechnung nach EnEV (Deutschland) Heizwärmebedarf Wärmebedarf für Warmwasser Elektrizität für HLKS-Anlagen Elektrizität Beleuchtung 17.4 kWh/m2EBFa 4.1 kWh/m2EBFa 14.4 kWh/m2EBFa 19.8 kWh/m2EBFa Endenergieverbrauch Fernwärme für Raumwärme Fernwärme für Warmwasser Elektrizität für HLKS-Anlagen Elektrizität für Beleuchtung 30.5 kWh/m2EBFa 7.2 kWh/m2EBFa 4.8 kWh/m2EBFa 6.6 kWh/m2EBFa