Der neue Hauptsitz der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin

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L Ö S U N G E N » Z entrale der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin
Der neue Hauptsitz der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin-Mitte
zenden Stadtpark öffnet. Dieser durchlässige Raum, der die dar-
setzt architektonisch und energetisch ein Signal: Der Ent-
überliegenden vier Bürostockwerke fast schweben lässt, dient
wurf der Architekten e2a übersetzt die grün-politischen
als Tagungszentrum für die zahlreichen öffentlichen Veranstal-
Werte der Stiftung in eine zeitgemässe Ästhetik. Und das
tungen der Stiftung. Damit holt sie «die Welt ins Haus» – wie die
Energie­konzept von Basler & Hofmann stellt ihre ökolo-
Heinrich-Böll-Stiftung selbst titelt. Doch nicht nur die Architek-
gische Vorreiterrolle unter Beweis: Der Energieverbrauch
tur setzt die Werte der Stiftung beispielhaft um: Das Energiekon-
des Büro- und Kongressgebäudes unterbietet die gesetzlich
zept des Ingenieurunternehmens Basler & Hofmann nimmt eine
vorgeschriebenen Werte der deutschen Energieeinsparver-
Vorreiterrolle in Sachen Nachhaltigkeit ein. Mit einem gewich-
ordnung um die Hälfte und entspricht dem Minergie-P-Eco-
teten Endenergieverbrauch von 27.7 kWh/m2EBF·a (gewichtet
Standard. Die Nutzerinnen und Nutzer des Gebäudes geben
nach Minergie) oder 55.7 kWh/m2EBF·a (gewichtet nach der
dem Raumklima nach dem ersten Sommer ebenfalls gute
deutschen Energieeinsparverordnung EnEV) liegt es weit unter
Noten. Realisiert wurden die innovativen Lösungen inner-
den Werten anderer moderner Bürogebäude. Gleichzeitig legte
halb eines eng abgesteckten finanziellen Rahmens.
die Stiftung grossen Wert auf ein gesundes und behagliches Arbeitsumfeld und eine möglichst Ressourcen schonende Bauwei-
Ein Markenzeichen für die Heinrich-Böll-Stiftung
se. Die angewandten Nachhaltigkeitsprinzipien lassen sich mit
Als die grün-politische Heinrich-Böll-Stiftung im Jahr 2005 den
denen des Minergie-P-Eco-Standards vergleichen.
Neubau ihrer Zentrale ausschrieb, war eines klar: Das neue
Gebäude in Berlin-Mitte sollte die Grundwerte der Stiftung wie
Integrale Planung als Erfolgsfaktor:
Nachhaltigkeit, Transparenz und Demokratische Kultur vorbild-
energieeffizient und preiswert
lich umsetzen. Gefordert waren moderne Büroflächen für die
Derart anspruchsvolle Energiewerte lassen sich nur erzielen,
185 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stiftung sowie ein Kon-
wenn Architektur, Fassade und Gebäudetechnik fein aufeinan-
ferenzzentrum für 300 Personen. Rund 200 Architekturbüros
der abgestimmt sind. Was andernorts nur als Schlagwort be-
haben am Wettbewerb teilgenommen. Die Jury entschied sich
nutzt wird, wurde beim Gebäude der Heinrich-Böll-Stiftung in
für den Entwurf von e2a-Architekten aus Zürich. Sie schlugen
allen Details gelebt: integrale Planung. Damit schaffte es das
einen kraftvollen Kubus im Stil der Berliner Bauhaus-Architektur
Planungsteam, die Investitions- und Betriebskosten auf ein Mini-
vor, der sich mit einer transparenten «Beletage» zum angren-
mum zu reduzieren. Die Investitionskosten für Heizung, Lüftung,
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1 Die Welt ins Haus lassen: Die transparente Beletage – das Konferenzzentrum.
2 Der Primärenergieverbrauch des neuen Bürogebäudes (berechnet n. EnEV)
liegt bei weniger als der Hälfte des Wertes, den die deutsche Energieeinsparverordnung EnEV verlangt.
3 Der Neubau der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin-Mitte wurde im Mai 2008
bezogen. Das Vorzeigeobjekt verbindet aussergewöhnliche Architektur mit
energieeffizienter Gebäudetechnik. (Foto: Jan Bitter)
2
130
Heinrich Böll
Stiftung
50
Anforderung nach EnEV
100
kWh/m2 a
1
Elektrizität (Beleuchtung)
Elektrizität (Heizung, Kälte, Lüftung)
Warmwasser (Fernwärme)
Raumwärme (Fernwärme)
3
4
4 Das Atrium funktioniert als natürliche Lunge des Büro- und Konferenzgebäudes.
5 Tabelle: Investitionskosten im Vergleich. / Grafik: Jährliche Energiekosten der Heinrich-Böll-Stiftung.
6 Das Atrium wirkt wie eine Lunge: Die Thermik sorgt für einen natürlichen Luftaustausch.
5
1.2
Energiekosten
1
350
291
Lüftungsanlagen
100
15
Sanitäranlagen
450
306
0
Warmwasser
0.2
Raumwärme
CHF/m2, Jahr
0.4
Wasserverbrauch / Kühlung
0.6
Heizungs/Kühlanlagen
Elektrizität / Beleuchtung
0.8
Heinrich-Böll-Stiftung
Bürogeschosse
[CHF/m² EBF]
Elektrizität / HLKS-Anlagen
Benchmark für
Bürogebäude
[CHF/m² EBF]
27
Klima und Kälte liegen bei rund 12 Prozent der gesamten Bauko2
Frischluftzufuhr in das Atrium. Es nutzt die Abwärme der Ab-
sten von CHF 2575/m BGF für die BPK2 – ein Spitzenwert für die
luft zum Aufwärmen der Frischluft. Die Büros lassen sich mit
Nutzung Kongresszentrum/Geschäftshaus. Auch die jährliche
hohen, schmalen Fensterflügeln zum Atrium und zu den Fluren
Energierechnung dürfte der Heinrich-Böll-Stiftung kein Kopfzer-
im Innern des Gebäudes hin öffnen. Diese Querlüftung versorgt
brechen bereiten: Die Energiekosten für die gesamte Gebäude-
die Innenräume ganz nach Bedarf mit frischer Luft – dank des
technik betragen pro Jahr 3.70 CHF/m2EBF. Alleine eine konven-
Atriums ohne die sonst üblichen Wärmeverluste im Winter und
tionelle Kühlung würde jährliche Kosten in Höhe von ca. 4.00
ohne Ventilatoren, die zusätzlich Energie verbrauchen würden.
CHF/m2EBF verursachen (s. Abb. 5).
Durch die Ausnützung der natürlichen Thermik im Atrium kann
mit minimalem Energieeinsatz ein Maximum an Wohlbefinden
Intelligentes Energiekonzept
im Gebäude erzielt werden.
Das Energiekonzept wurde in einem interdisziplinären Team aus
Bauphysikern, Gebäudetechnikern und Ökologen in Zusammen-
Faktor 10 – mit gutem Gewissen kühlen
arbeit mit dem Architekten und der Bauherrschaft entwickelt.
Moderne Bürogebäude unterliegen einem Paradox: Sind sie gut
Es verfolgt drei wesentliche Prinzipien:
wärmegedämmt, benötigen sie zwar wenig Heizenergie, dafür
–
Intelligente Systeme mit möglichst wenig Geräten – das
steigt jedoch der Kühlenergiebedarf. Denn die zahlreichen Bü-
spart Ressourcen und hält die Installations- und Betriebs-
rogeräte heizen das Gebäude von innen auf und die überschüs-
kosten tief.
sige Wärme kann nicht mehr durch die Gebäudehülle abfliessen.
–
Energie ist erst verloren, wenn sie das Gebäude verlassen
Normalerweise läuft deshalb im Sommer die Klimaanlage mit
hat. Abwärme wird auf innovative Weise wieder genutzt.
hohem Energieverbrauch. Für die Nutzerinnen und Nutzer be-
–
Möglichst natürliche und nutzerbestimmte Lüftung und
deutet dies: Fenster geschlossen halten. Für eine gute Energie-
Kühlung. In vielen Bürogebäuden sind die Nutzerinnen und
bilanz ist eine Kühlung mit niedrigem Primärenergieverbrauch
Nutzer der Technik ausgeliefert. Im Gebäude der Heinrich-
entscheidend.
Böll-Stiftung bestimmen die Mitarbeitenden selbst über
Lüftung und Kühlung.
Auch die Aussenfassade der Heinrich-Böll-Stiftung verfügt
über gute Dämmwerte: Sie hat einen Glasanteil von rund 65 Prozent und ist 3-fach verglast ausgeführt. Hier wird jedoch nicht
Das Atrium als Lunge
mit der Kältemaschine, sondern mit Wasser gekühlt. In allen Bü-
Damit der CO2-Gehalt in der Raumluft auf einem angenehmen
ros sind entlang der Fensterfronten so genannte Brüstungskli-
Niveau bleibt, ist eine regelmässige Frischluftzufuhr nötig. Bei
mageräte installiert. Darin befindet sich ein Hochleistungswär-
der Heinrich-Böll-Stiftung setzt man dabei auf eine natürliche
metauscher, durch den im Sommer Wasser mit einer Temperatur
Lüftung: Das Atrium im Innern des Gebäudes wirkt wie eine
von 20°C zirkuliert. Ein kleiner Ventilator im Brüstungsklimage-
Lunge. Im Sommer wird der Innenhof durch das offene Atriums-
rät verteilt die gekühlte Luft im Raum. Auch bei Aussentempe-
dach natürlich belüftet. Im Winter, wenn das Dach geschlossen
raturen von 32°C steigt die Raumtemperatur nicht über einen
ist, sorgt ein Lüftungsgerät mit Wärmerückgewinnung für die
Maximalwert von 25°C.
6
Atrium offen
Sommer
Atrium geschlossen
Winter
28
Das dafür benötigte Kühlwasser wird über einen adiabatischen
adiabatischen Rückkühler gekühlt. Für dieses aussergewöhn-
Rückkühler im Keller des Gebäudes erzeugt: Auf seinen Rohren
liche Konzept erhielt Basler & Hofmann den Green-CIO Award
wird Stadtwasser versprüht. Dabei entsteht Verdunstungskälte,
der Information Week in Kooperation mit Experton Group. Der
die das Kühlwasser wieder auf 20°C abkühlt. Danach gelangt
Preis würdigt innovative Projekte, die die Energieeffizienz von
das Wasser wieder zurück in den Kreislauf.
IT-Systemen deutlich verbessern.
Die Vorteile des Systems liegen auf der Hand: Konventio-
nelle Klimasysteme benötigen Wasser mit einer Temperatur von
8 bis 10°C. Das Kühlwasser wird im Raum dann wieder auf 12 bis
18°C erwärmt. Diese Art der Kälteerzeugung verschlingt sehr
viel elektrische Energie. Beim System, das in der Heinrich-BöllStiftung eingesetzt wird, ist kein «Temperatursprung» nötig, zur
Kühlung genügt Wasser mit einer Temperatur von 20°C. Dadurch
wird hier um den Faktor 10 effizienter gekühlt als mit herkömmlichen Systemen.
Im Winter heizen die Server – eine «ausgezeichnete» Idee
Daten und Fakten
Gebäude
Ort
Berlin
Planung
2006-2007
Bau/Sanierung
2007–2008
Gebäudetyp
Geschäftshaus mit Kongresszentrum
Anzahl Arbeitsplätze
ca. 200
Energiebezugsfläche (EBZ)
5607 m2
Gebäudehülle
sertemperatur bis 50°C benötigen, wärmt das innovative Brü-
Gebäudehüllfläche A
5746 m2
Gebäudehüllzahl A/EBF
1.02
Fensterfläche FF inkl. Brüstung > Glasfläche geringer 2977 m2
Fensterfläche FF/EBF
0.53
U-Wert gesamtes Fenster
ca. 0.9 W/m2K
g-Wert Glas
0.4 %
stungsklimagerät die Büros bereits mit einer Vorlauftempera-
U-Werte
Das Brüstungsklimagerät sorgt im Sommer für Kühlung, im Winter für Wärme. Und auch beim Heizen ist es aussergewöhnlich
effizient. Während herkömmliche Heizsysteme eine Heizwas-
können die Server in die Gebäudetechnik eingebunden und ihre
Boden gegen Erdreich
Wand gegen Erdreich
Wand gegen aussen
Decke, resp. Dach gegen aussen
Fenster, inkl. Rahmen
Aussentüren
Atriumsdach
Abwärme direkt nutzbar gemacht werden. Die Cool-Racks wer-
Energieerzeugung
tur von 28°C. Und was andernorts lästige Wärmelast ist, wird
hier effektiv genutzt: die Abwärme der Server. Die Server der
Heinrich-Böll-Stiftung sind in so genannten Cool-Racks eingebaut – ein «Kühl-Schrank» im wahrsten Sinne des Wortes. Damit
0.32 W/m2K
0.26 W/m2K
0.11 W/m2K
0.17 W/m2K
0.9–1.2 W/m2K
1.3 W/m2K
1.8 W/m2K
ca. 28°C. Das so erwärmte Wasser wird dann in das Heizsystem
– Fernwärme von Vattenfall Berlin
– Kühlung: KW 25 für Büros in Kombination mit Kältemaschine
für Entfeuchtung/Kühlung Kongresszentrum
– Wärmespeicher: kein Wärmespeicher
eingespeist und sorgt in den Büros für angenehme Tempera-
Wärmeverteilung
den von Wasser mit einer Temperatur von 23°C durchflossen.
Die Serverabluft erwärmt das Wasser auf eine Temperatur von
turen im Winter. 90 Prozent der so «gewonnenen» Energie kann
direkt als Heizenergie genutzt werden, rund 10 Prozent werden
für die Pumpen benötigt, die für die Umwälzung des warmen
Wassers sorgen. Im Sommer werden auch die Server über den
System / Lufterneuerung mit WRG
– Konvektives Heizsystem mit Brüstungsklimageräten
Rio-Therm
– Natürlich Lüftung mit Wärmerückgewinnung auf den
Bürogeschossen
– Konventionelle Lüftung in den
Konferenzräumen
Primärenergieberechnung nach Minergie
Adressen
Bauherr
Heinrich-Böll-Stiftung e.V., Herr Bert Bloss
Schumannstrasse 8, D-10117 Berlin-Mitte, www.boell.de
Architektur:
e2a Architekten. Piet Eckert
Hardturmstrasse 76, CH-8005 Zürich, www.e2a.ch
Energiekonzept, Bauphysik, Ökologie, TGA-Planung
Basler & Hofmann, Ingenieure und Planer AG,
Philipp Grob, Forchstrasse 395, CH-8032 Zürich
Tel. +41 31 868 48 41, www.bhz.ch
Klimasystementwickler
Beat Kegel, Spyrigstrasse 7, CH-8044 Zürich
Tel. +41 44 363 11 70
Heizwärmebedarf
Wärmebedarf für Warmwasser
Elektrizität für HLKS-Anlagen
Elektrizität für Beleuchtung
Ertrag PV
15.7 kWh/m2EBFa
3.7 kWh/m2EBFa
8.2 kWh/m2EBFa
11.2 kWh/m2EBFa
53 000 kWh/a
Primärenergieberechnung nach EnEV (Deutschland)
Heizwärmebedarf
Wärmebedarf für Warmwasser
Elektrizität für HLKS-Anlagen
Elektrizität Beleuchtung
17.4 kWh/m2EBFa
4.1 kWh/m2EBFa
14.4 kWh/m2EBFa
19.8 kWh/m2EBFa
Endenergieverbrauch
Fernwärme für Raumwärme
Fernwärme für Warmwasser
Elektrizität für HLKS-Anlagen
Elektrizität für Beleuchtung
30.5 kWh/m2EBFa
7.2 kWh/m2EBFa
4.8 kWh/m2EBFa
6.6 kWh/m2EBFa
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