Welt der Wissenschaft: Kippenhahns Kosmos Einradioaktives Rätsel? Im Sonnenkern entstehen unvorstellbare Mengen an Neutrinos. Sie durchstömen zu Milliarden in jeder Sekunde unseren Körper, ohne dass wir davon etwas spüren. Könnten sie trotz ihrer verschwindend geringen Neigung, mit anderen Elementarteilchen in Wechselzuwirkung zu treten, für eine jahreszeitliche Schwankung gewisser radioaktiver Zerfallsraten verantwortlich sein? Von Rudolf Kippenhahn D ie Sonne ist ein Kernkraft- Argonatom um. Auch bei einem europä- heißt: Von jeder Menge des Stoffes hat werk, ob wir wollen oder ischen Experiment mit 30 Tonnen Gallium sich nach dieser Zeit die Hälfte der Atome nicht. Ihre Energie wird in entstand etwa nur ein Germaniumatom in Phosphoratome umgewandelt. Die sich ihrem bei täglich. Die Son­nen­neu­trinos beeinflussen über nahezu vier Jahre erstreckenden der Fusion von Wasserstoff- zu Helium- unsere Welt of­fen­bar nur wenig. Aber neu- Mes­sun­gen zeigten einerseits, dass die atomen frei. Dabei entstehen aber auch erdings kam der Verdacht auf, dass sie auch Rate der Zerfälle im Laufe der Jahre sinkt. Unmengen an Neutrinos. Diese sonder- noch einen anderen, bisher unbekannten Das war zu erwarten, schließlich verrin- baren Teilchen reagieren praktisch nie Einfluss haben könnten. gerte sich während der Messzeit die Men- tiefen Inneren mit Atomen, deshalb weiß man so wenig ge an Silizium. Das Überraschende aber Sonnenoberfläche vor und erreichen die Radioaktivität im Jahres­rhythmus? Erde. Die Neutrinos durchdringen auch Im Jahre 1986 veröffentlichten drei ame- fang Februar etwas schneller als Anfang den Erdkörper. Am Tag erreichen sie uns rikanische Physiker um David E. Alburger August (siehe Grafik). Warum strahlt es von oben, in der Nacht von unten. Es gibt einige Atomarten, vor allem Chlor vom Brookhaven Laboratory im US-Bun- im Winter mehr als im Sommer? Die ge- desstaat New York Untersuchungsergeb- messenen jährlichen Abweichungen lie- und Gallium, die zwar nur selten, aber doch nisse über das radioaktive Isotop Si­li­zi­ gen im Bereich von etwa 0,2 Prozent und gelegentlich mit einem dieser Neutrinos re- um-32 [1]. Es zerfällt mit einer Halbwerts- sind etwa dreimal stärker als statistische agieren. Der Kern des Atoms Chlor-37 stößt zeit von etwa 150 Jahren zu Phosphor. Das Schwan­kun­gen. von ihnen. Sie dringen ungehindert zur war, dass die Zerfallsrate im Jahresrhythmus schwankte. Das Silizium zerfiel An- dann ein Elektron ab und wird zu Argon-37, der Sonne zugewandten Quadratzentimeter treffen auf der Erde in der Sekunde 66 merkt nichts von ihnen. Bei einem langjährigen Versuch in den USA wandelte sich in 390 000 Litern einer den Sonnenneutrinos 1 Jahr Zerfallsrate Milliarden Sonnenneutrinos. Aber man ausgesetzten Chlorverbindung im Mittel nur alle paar Tage ein Chloratom in ein 40 Februar 2010 Zeit Rudolf Kippenhahn / SuW-Grafik das Gallium-71 zu Germanium-71. Jeden Das radioaktive Silizium-32 sollte gemäß seiner Halbwertszeit von etwa 150 Jahren kontinuierlich zerfallen (rote Kurve in dieser schematischen Darstellung). Messungen an einer Probe, die am Brookhaven Laboratory untersucht wurde, zeigten jedoch jahreszeitliche Schwankungen (grüne Kurve). Sterne und Weltraum NASA / JPL Falls Sonnenneutrinos den radioaktiven Zerfall beeinflussen, sollte sich dies auch auf die drei PlutoniumbatWas kann den Zerfallsraten diesen ne. Deshalb ist sie uns am 3. Januar fünf terien an Bord der Planetensonde Rhyth­mus aufprägen? Dieser Frage nahm Millio­nen Kilometer näher als am 5. Juli. Cassini auswirken. Denn sie war bei sich der Physiker Ephraim Fischbach von Da die Stärke der Neutrinostrahlung mit einem Vorbeiflug an der Venus einem der Purdue University im US-Staat India- dem Abstand abnimmt, treffen im Winter viel stärkeren Neutrinostrom na an. Fischbach ist ein unkonventioneller mehr Neutrinos bei uns ein als im Som- ausgesetzt als jetzt während ihres Denker, er stellte sich in seinem vielseitigen mer (siehe Grafik S. 42). Können die Son- Aufenthalts im Saturnsystem. Forscherleben die Frage nach der so ge- nenneutrinos den radioaktiven Zerfall des nannten »fünften Kraft«, von der man ver- Siliziums beeinflussen? Geben sich die mutete, dass sie messbare Ab­wei­chungen Sonnenneutrinos nicht nur durch spär- von der newtonschen und der ein­stein­ liche Reaktionen in Tausenden Litern ei- Neutronen ab. Während sich Cassini bei schen Gravitationstheorie be­wirkt. Zum ner Chlorverbindung und in Tonnen von der Venus Schwung holte, war sie einem Beispiel müssten Körper ver­schiedener Gallium zu erkennen, sondern prägen sie nahezu 200-fachen Neutrinostrom aus- Masse etwas verschieden schnell zu Boden auch kleinen Laborproben ihren Stem- gesetzt, verglichen mit dem jetzigen Zu- fallen. Fischbach überlegte auch, wie das pel auf? Oder tun sie das gar nicht? Der stand beim fernen Saturn. Wenn die Son- die Erde umspannende Netz von Mobilte- stärks­te Zerfall erfolgt nämlich nicht zur nenneutrinos auch den Zerfall des Pluto- lefonen benutzt werden könnte, um Radio­ Zeit des stärksten Neutrinoeinfalls, son- niums stimulieren sollten, dann müsste aktivität überall in der Welt aufzuspüren. dern einen Monat später. die Leistung der Plutoniumbatterien bei Er untersuchte mit seinen Mitarbeitern, Vielleicht kann hier die Planetensonde der Venus deutlich höher gewesen sein als ob sich in der Ziffernfolge der Zahl Pi ir- Cassini weiterhelfen (siehe Bild oben). Sie jetzt bei Saturn. Leider ist das nicht so. De- gendwelche Regelmäßigkeiten finden las- erforscht zurzeit den Saturn samt seinen taillierte Untersuchungen zeigen keiner- sen. Und er stieß auch auf Alburgers Mes- Monden und Ringen und bezieht ihren lei Variation der erwarteten Art. sungen des Zerfalls von Silizium-32. Strom aus drei Plu­to­nium­batterien. Die- Ist damit die Anregung der Radioakti- se gewinnen ihre Energie aus der Tempe- vität durch Sonnenneutrinos passé? Nicht Ist die Sonne schuld? raturdifferenz zwischen dem durch seine ganz. Der Strom einer Plutoniumbatterie Es gäbe eine mögliche astronomische Ur- Radioaktivität erwärmten Plutonium-238 wird thermoelektrisch aus der Tempera- sache für die schwankende Zerfallsra- und der (kühleren) Umgebung. Das Pluto- turdifferenz zwischen dem radioaktiv er- te: Die Erde bewegt sich nicht in einem nium ist ein Alphastrahler, das heißt, sein wärmten Plutonium und der Umgebung Kreis, sondern in einer Ellipse um die Son- Atomkern stößt zwei Protonen und zwei gewonnen. Je größer die Differenz, um- www.astronomie-heute.de Februar 2010 41 Bedingt durch die Ellipsenform ihrer Bahn Erdbahn ist die Erde im Laufe eines Jahres einem leicht schwankendem Strahlungsstrom von der Sonne ausgesetzt. Auch die von der Sonne abströmenden Neutrinos, deren Dichteverlauf hier rot dargestellt ist, treffen deswegen im Jahresrhythmus in unterschiedlicher Anzahl auf die Erde. Sonne 5. Juli Rudolf Kippenhahn / SuW-Grafik 3. Januar so stärker die Leistung. Das aber wirkt ei- Auch die in Braunschweig gemessenen ner möglichen Verstärkung der Radioak- Zerfallsraten von Radium-226, das sich da- tivität durch Sonnenneutrinos entgegen. bei in das radioaktive Edelgas Radon um- Bei Fischbachs Braunschweiger Kollo- Bei der Venus: viele Neutrinos, aber we- wandelt, schwankten im jährlichen Rhyth- quium kam es zu keiner Einigung. Kurz gen der Sonnennähe warme Umgebung, mus und waren am Anfang jedes Jahres zuvor hatte Heinrich Schrader auf einer also geringe Temperaturdifferenz. Beim um zwei Promille höher als im Sommer Tagung in Bratislava berichtet, dass die Saturn: kalte Umgebung, also hohe Tem- [2]. Können Sonnenneutrinos nicht nur jährlichen Fluktuationen verschwinden peraturdifferenz, aber wenig Neutrinos. Betazerfälle, sondern auch Alphazerfälle oder sich verändern, wenn man die Mess- Auch wenn die Sonde hinreichend lange anregen? Bei Fischbachs Vortrag ging es methode wechselt. Das ist einer der Grün- im Schatten des Saturn fliegt, durchdrin- um die Frage nach den jahreszeitlichen de, derentwegen ich mich für die astro- gen die Sonnenneutrinos den Planeten Schwankungen der Zerfallsrate des Ra- physikalische Deutung der schwankenden mühelos, die Außentemperatur aber wür- dium-226. Auch als ich Heinrich Schra- Zerfallsraten nicht erwärmen kann. Aber de sinken und die Effizienz der Batterien der, einen der Verfasser der Braunschwei- ich muss vorsichtig sein, ich habe in die- vergrößern. Auf meine Anfragen beim für ger Arbeit von 1998, kürzlich am Telefon ser Zeitschrift schon einmal über die Idee die Sonde verantwortlichen Jet Propulsion sprach, betonte er, dass er wie schon in der eines amerikanischen Kollegen gespottet. Laboratory, ob neben der offenbar unver- Arbeit vor elf Jahren die damals gemes- Doch er hatte Recht [3]. änderten Effektivität der Batterien auch senen Schwankungen auf Instabilitäten in die Zerfallsraten unverändert geblieben der Messapparatur zurückführt. sind, habe ich leider keine befriedigende Auskunft bekommen. … oder die Elektronik? Die Braunschweiger Physiker ben den von ihnen gefundenen Schwan- ist Astronom und Schriftsteller. kungen nie so ganz geglaubt. Sie hatten im Jahr 1998 zwei verschiedene Messmethoden benutzt, um den Zerfall zu mes- Fischbach im Kolloquium der Physika- sen. Zum einen prüften sie die Stärke der lisch-Technischen Bundesanstalt in Braun- von der Strahlung erzeugten Ionisation schweig. Dort hatten Messungen im Jahre in einer mit Argongas gefüllten Kammer. 1998 nahe gelegt, dass auch das radioak- Zum anderen benutzten sie Germanium- tive Element Radium-226 bei seinem Zer- Halbleiterdetektoren. Nur die Messungen fall einen Jahresrhythmus zeigt. Anschei- mit der Ionisationskammer zeigten die nend geht es nicht nur bei Betazerfällen jahreszeitlichen Schwankungen deutlich. nicht immer mit rechten Dingen zu. Silizi- So vermuteten sie schon im Jahr 1998, um-32 zählt zu den Betastrahlern, weil der dass die Schwankungen ihre Ursache in Atomkern ein Betateilchen, ein Elektron, der Messapparatur hatten. In ihr könnten abstößt. Das Radium-226 hingegen trennt durch das überall in der Natur vorkom- sich beim Zerfall von einem Alphateil- mende und in den Gesteinen der Erdkru- chen, also von zwei elektrisch positiven ste gebildete Radon hervorgerufene Ent- Protonen und zwei elektrisch neutralen ladungen die Zerfallsraten beeinflussen. Neutronen und wird mit einer Halbwerts- Das Radon diffundiert nämlich bei ver- zeit von 1600 Jahren zu Radon-222. schiedener Temperatur, also abhängig von Februar 2010 oder weniger stark in den Messraum. Rudolf Kippenhahn ha- Am 23. September 2009 sprach Ephraim 42 den Jahreszeiten, aus dem Erdboden mehr Literaturhinweise [1] Alburger, D. E., Harbottle, G., Norton, E. F.: Half-life of 32Si. In: Earth and Planetary Science Letters 79, S. 168 - 176, 1986. [2] Siegert, H., Schrader, H., Schötzing, U.: Half-life measurements of Europium radionuclides and the long-term stability of detectors. In: Applied Radiation and Isotopes 49, S. 1397 - 1401, 1998. [3] Kippenhahn, R.: Die Sonne bracht’ es an den Tag. In: Sterne und Weltraum 5/2002, S. 22 - 23. Sterne und Weltraum Since 1975 Ihr preiswerter Hersteller für astrofotografisches Zubehör E H Ö R · K A M E R A S · T E L E S KO P E · M O N T I E R U N G E N · F I LT E R · Z U B E H Ö R · K A M E R A S · T E L E S KO P Orion® StarShoot™ Deep Space Monochrome Imager III #52076 NGC 7380, aufgenommen mit einer Orion StarShoot DSMI III, Orion EON 120mm ED Refractor, Orion Atlas EQ-G Mount, Orion SteadyStar AO Guider, Orion StarShoot AutoGuider, Orion Extra Narrowband H-alpha und O-III fotografische Filter. Aufnahme: Orion Orion® 200mm f/4.0 Newtonian Astrograph #9527 Neu! Orion® SteadyStar™ Adaptive Optics Guider #53076 Neu! Orion® Awesome Autoguider Refractor Package #24770 Orion® 50.8mm Extra Narrowband Filters #25545 set of three Orion® Nautilus™ Motorized Filter Wheels 4x50.8mm #5526 7x31.7mm #5527 Neu! 1 Neu! Astro Optik Astroshop www.astrooptik.ch www.astroshop.de www.astronomie-heute.de 41(0)-41-661-12-34 08191-94049-1 #5527 Teleskop-Service O.S.D.V. 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