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JOANNA
W OZNY
Biographie
1973
in Zabrze (Polen) geboren
1992-99
Studium der Philosophie in Katowice
1996-2003 Kompositions- und Musiktheoriestudium an der Kunstuniversität Graz bei Gerd Kühr und Beat Furrer
2002-2003 zusätzlicher Kompositionsunterricht bei Younghi Pagh-Paan
2003
Diplom mit Auszeichnung
Joanna Wozny lebt als freischaffende Komponistin in Graz.
PREISE UND AUSZEICHNUNGEN (AUSWAHL)
1997
Stipendium der Stefan-Batory-Stiftung Warschau
2001
Musikförderungspreis der Stadt Graz
2004
Würdigungspreis der Kunstuniversität Graz
2005
Österreichisches Staatsstipendium für Komponisten
2008
Österreichisches Staatsstipendium für Komponisten
Andrzej-Dobrowolski-Kompositionsstipendium
2010
Erste Bank Kompositionspreis
SKE Publicity Preis
2010/2011
young composer in residence von PHACE | CONTEMPORARY MUSIC
2011
Dreimonatiges Auslandsstipendium des Landes Steiermark
Composer in residence in der Kunststation Sankt Peter in Köln
AUFFÜHRUNGEN (AUSWAHL)
Warschauer Herbst, Klangspuren Schwaz, Musikprotokoll Graz, Ultraschall-Festival Berlin, Wien Modern, Forum
Neuer Musik des DLF Köln, Arnold Schönberg Center Wien, Radiokulturhaus des ORF Wien, Kulturzentrum bei den
Minoriten Graz, Brucknerhaus Linz, Austrian Cultural Forum London
INTERPRETEN (AUSWAHL)
Klangforum Wien, Radio-Symphonieorchester Wien, Münchner Rundfunkorchester, Ensemble Courage, Ensemble
PHACE, Ensemble Wiener Collage, szene instrumental graz, Ensemble PercussioNova, DOUBLE IMAGE, Trio EIS,
artresonanz trio, Rüdiger Bohn, Martyn Brabbins, Ulf Schirmer, Sascha Armbruster
Portrait
„Das Komponieren ist für mich sehr konkret, wenn man das so sagen kann. Wenn ich etwas schreibe,
dann denke ich: dieses Instrument – dieser Klang. Was kann man damit machen, was birgt er in sich,
was für Facetten, in welcher Höhe, Dynamik, Geschwindigkeit bleibt er noch dieser Klang und wann wird
daraus durch diese Parameter etwas ganz anderes?“
Der Klang als Fokus und als Ausgangspunkt genau ausgehörter musikalischer Gebilde und Strukturen
und einer hoch konzentrierten, fein ziselierten Musik steht im Zentrum von Woznys kompositorischem
Schaffen. So formuliert Wozny es auch in einem Interview mit Daniel Ender in der Österreichischen Musikzeitschrift vom November 2007: „Die Arbeit an den Stücken fängt im Kopf an – es sind Inspirationen,
die am Anfang der Kompositionen stehen, die sich meist auf klangliche Aspekte der Instrumente, für die
ich schreibe, beziehen. Dabei sind meist mehrere Instrumente ‘beteiligt’. Mit anderen Worten: Ich denke
mir einen bestimmten Klang aus, der meistens – aber nicht immer – zugleich der Anfangsklang der
Komposition ist. […] Diese Klänge sind in ständiger Bewegung, flüchtig, was sich aus dem Zusammenspiel der Parameter Lautstärke, Geschwindigkeit und Spieltechnik ergibt. Nachdem es eben diesen Anfang gibt, stelle ich ihn mir immer wieder vor; er bedingt dann auch die Form im weiteren Verlauf des
kompositorischen Prozesses.“
Aus diesen Äußerungen Woznys auf einen bestimmten musikalischen Stil zu schließen, würde aber in
die Irre führen. Ihr kompositorisches Schaffen zeichnet sich durch eine große Vielseitigkeit – sowohl in
den Besetzungen als auch im musikalischen Ausdruck – aus. Zwar liegt der Schwerpunkt Woznys auf
der Instrumentalmusik, vom Solo-Werk über Kammer- und Ensemblemusik bis zur Orchesterkomposition, daneben hat sie aber auch bereits mehrere Arbeiten für elektronische Musik sowie einige Vokalkompositionen vorgelegt.
Klanglich stehen Werke wie das zarte, von langen Pausen durchzogene und oft an der Grenze der Hörbarkeit agierende Streichtrio „Surfacing“ sehr kraftvollen Kompositionen gegenüber, wie das 2006
komponierte „Return“ für Saxophon und Ensemble, bei dem der geräuschhafte Klang des Saxophons
und teilweise eruptive Einwürfe des Ensembles die Komposition über weite Strecken prägen. In Woznys
„Musik für zwei Gitarren“ ist die melodische Figur der Ausgangspunkt eines musikalischen Dekonstruktionsprozesses, in „Loses“ sind es die unterschiedlichen klangfarblichen Facetten eines großen Orchesters, die den Ausgangspunkt der musikalischen Arbeit bilden. Aber letztlich sind all diese Klänge und
Strukturen nur Facetten von „feinst-verästelten Gebilden von rätselhaft leuchtender Schönheit“, wie
Woznys Kompositionen in einem Text Christian Kleins zu einem Portraitkonzert im Juni 2008 in Graz
genannt wurden, „deren (gerade noch so) gebändigte Energie quasi subkutan immer virulent ist.“
Werkverzeichnis
Kammermusik Solo
Die verlorenen Pfade II (2003
(2003) für Klarinette und CDCD-Zuspiel – 8’
UA Februar 2003, Forum Stadtpark (Maciej Golebiowski)
Das tiefe Blau dort im Lauf der Tage (2004
(2004) für Oboe – 6’
6’
UA Mai 2004, Kulturzentrum bei den Minoriten Graz (Markus Deuter)
Pneuma (2004
(2004) für Orgel
Orgel – 11’
11’
UA Juli 2004, Stift St. Lambrecht (Emanuel Schmelzer-Ziringer)
Kammermusik 2-3 Spieler
Die Spur der Welle (2003
(2003) für Flöte, Klarinette und Viola – 12’
12’
UA Juli 2003, Stift St. Lambrecht (Vera Fischer, Bernhard Zachhuber, Dimitrios Polisoidis)
Die verlore
verlorenen Pfade I (2003
(2003) für Tenorsaxophon, Kontrabass und Schlagzeug – 7’
7’
UA November 2003, Brucknerhaus Linz (Ensemble Wiener Collage)
Musik für zwei Gitarren (2005
(2005) – 6’
UA September 2005, Klangspuren Schwaz (Michael Öttl, Martin Öttl)
Musik für Flöte, Bassklarinette und Klavier (2005) – 15
15’
UA November 2005, Radiokulturhaus Wien – Großer Sendesaal (artresonanz trio)
Vom Verschwinden einer Landschaft (2005,
(2005, rev. 2010)
2010) für Klavier, Violine und Violoncello – 6’
UA Juni 2006, Zeughaus am Turm, Radstadt (Joanna Kamenarska, Chih-Hui Chang, Anneliese Schneider)
UA der revidierten Fassung Oktober 2010, Kulturrathaus, Dresden (Ensemble Courage)
Surfacing (2008
(2008)
2008) für Streichtrio – 13
13 ’
UA Juni 2008, Kulturzentrum bei den Minoriten Graz (Trio Eis)
Prolepsis (2010
(2010)
10) für Posaune, Perkussion und Kontrabass – 8’
UA Mai 2010, e_may Festival Wien (PHACE | CONTEMPORARY MUSIC)
Kammermusik ab 4 Spieler
… zum unberührten Schnee im fahlen Mondlicht … (1999)
1999) für vier Schlagzeuger – 10’
10’
UA November 1999, Kulturzentrum bei den Minoriten ( PercussioNova)
silbensilben- meermeer- farben (2004
(2004) für Flöte, Klarinette, Violine,
Violine, Viola und Violoncello – 5’
5’
UA September 2004, Wien (Klangforum Wien)
kahles Astwerk (2007/8
(2007/8)
7/8) für Singstimme, Flöte, Violine und Violoncello
Violoncello – 8’
8’
UA (Endfassung) Juni 2008, Kulturzentrum bei den Minoriten Graz (Stimme: Pirijo Kalinowska, Flöte: Sylvie Lacroix, Trio Eis)
pale movements (2009) für Streichquartett – 8’
8’
UA Dezember 2009, Arnold Schönberg Center Wien (Ensemble Wiener Collage)
Joanna Wozny:
„kahles Astwerk“
(Takt 15-26)
Ensemble
Return (2006
(2006) für Saxophon und Ensemble (2
(2 Flöten
Flöten, Oboe,
Oboe, Klarinette,
Klarinette, Bassklarinette, 2 Hörner
rner,
er,
2 Schlagzeuger,
Schlagzeuger, Harfe, 2 Violinen,
Violinen, Viola,
Viola, Violoncello und Kontrabass) – 11’
11’
UA September 2006, Warschauer Herbst (Sascha Armbruster (Sax), Rüdiger Bohn (Dir), Polish-German Youth Ensemble)
Return – revidierte Fassung (2009
(2009)
09) für Saxophon und Ensemble (Flöte,
(Flöte, Oboe,
Oboe, Klarinette, Horn,
Trompe
Trompete, Posaune, Percussion, Kl
Klavier,
avier, 2 Violinen,
Violinen, Viola,
Viola, Violoncello und Kontrabass) – 11’
11’
UA März 2010, Small Hall Vatroslav Lisinski, Zagreb (Cantus ansambl)
as in a mirror, darkly (2010
(2010)
10) für Ensemble (Flöte,
(Flöte, Oboe,
Oboe, Klarinette, Saxophon,
Saxophon, Trompete, Posaune,
2 Schlagzeuger, Klavier,
Klavier, Violine,
Violine, Viola,
Viola, Violoncello und Kontrabass ) – 15
15’
UA Oktober 2010, Musikprotokoll Graz (Klangforum Wien, Ltg.: Brad Lubman)
Orchester
Loses (2006
(2006) für Orchester – 19’
19’
(2 Picc,
Picc, 2 Fl,
Fl, 2 Ob,
Ob, 4 Klar,
Klar, 4 Fg,
Fg, 4 Hr,
Hr, 4 Trp,
Trp, 3 Pos,
Pos, Tb,
Tb, 3 Perc,
Perc, Hfe,
Hfe, Klav,
Klav, Str:
Str: 1212-1010-8-6-4)
UA September 2006,Klangspuren Schwaz ( Radio-Symphonieorchester Wien, Ltg.. Martyn Brabbins)
Archipel (2008
(2008)
2008) für Orchester – 18
18’
(2 Fl,
Fl, 2 Ob,
Ob, 2 Klar,
Klar, 2 Fg,
Fg, 4 Hr,
Hr, 2 Trp,
Trp, 2 Pos,
Pos, 2 Perc,
Perc, Hfe,
Hfe, Str: 1010-8-6-4-3)
UA Januar 2009, Herz-Jesu-Kirche, München (Münchner Rundfunkorchester, Ltg.: Ulf Schirmer)
disintegrated
disintegrated (20
(2010
2010)
10) für Orchester – 10
10’
(3 Fl,
Fl, 3 Ob,
Ob, 3 Klar,
Klar, 3 Fg,
Fg, 4 Hr,
Hr, 3 Trp,
Trp, 3 Pos,
Pos, 3 Perc,
Perc, Hfe,
Hfe, Str: 1414-1212-1010-8-6)
UA Dezember 2010, Konzerthaus Wien (RSO Wien, Ltg.: Cornelius Meister)
Vokalmusik
Ferne – Annäherung (2008)
2008) für Vokalensemble – 10’
10’
UA Oktober 2008, Kirche Mariahilf Graz (Cappella Nova Graz, Ltg.: Otto Kargl)
Elektronische Musik
MedeaMedea-Projekt – Außenrauminstallation (2001)
2001) – 28’
28’
UA 2002, Universität für Musik und darstellende Kunst Graz
MedeaMedea-Projekt – Innernrauminstallation (2001
2001)
01) – 14’
14’
UA 2002, Universität für Musik und darstellende Kunst Graz
11/4 (2002
(2002) – 3’ 30’’
30’’
UA Dezember 2002, IEM CubeGraz
schweben wohin (2003
(2003) – 10’
10’
UA April 2003, Mausoleumsturm Graz
Klingende Erkenntnis
Über die Musik Joanna Woznys
von Iris Mencke
Für Joanna Wozny ist Komponieren eine sehr persönliche Sache. Uraufführungen empfindet sie als etwas „sehr
Intimes“, sogar etwas fast „Exhibitionistisches“. Die teils unangenehme Spannung, die sie dabei oftmals verspürt,
rührt nicht zuletzt daher, dass sie bereits in der Zeit zwischen Fertigstellung und Uraufführung eine distanzierte
Haltung zu ihrer Arbeit einnimmt, da sie „vielleicht nicht mehr hundertprozentig mit dem alten Ich konform“ ist.
Eine kontinuierliche Weiterentwicklung und die scheinbare Suche nach Etwas ist in ihrem kompositorischen Schaffen hörbar. Das Gefühl einer stetigen energetischen Eigendynamik lässt einen auch beim Hören ihrer Stücke nicht
mehr los. Es entsteht der Eindruck, eine Art „unbewegter Beweger“ setzte die Töne an ihre einzig richtige Stelle.
Am Anfang des kompositorischen Prozesses stehen für Joanna Wozny meist die Instrumente, aus deren Möglichkeiten sie dann spezifische Klänge und Klangfarben entwickelt. Durch das Streben, an die Grenzen der Klanglichkeit zu gehen, ergeben sich sowohl sehr komplex strukturierte als auch klanglich hochdifferenzierte Stücke, die
auch technisch an die Grenzen der Spielbarkeit gehen. So zeichnen sich ihre Stücke einerseits durch instrumentenunspezifische Klänge und andererseits durch „Klänge, die sich sozusagen in Zwischenbereichen abspielen“
aus. Extrem hohe und leise Töne in mehreren Abstufungen von sul ponticello bei Streichern oder eine ähnlich
differenzierte Aufteilung von verschiedenen Überblasstufen sowie sehr kurze Multiphonikklänge bei Bläsern prägen beispielsweise ihr Trio „Spur der Welle“ (2003). Dort arbeitet sie mit Beschleunigung, Verlangsamung und
Periodizität. Auffällig ist die Flüchtigkeit der Töne, die scheinbare Unwichtigkeit der einzelnen Stimmen, die durch
oftmals nur angespielte, kurz akzentuierte Töne oder schlicht durch pianissimo evoziert wird. In einem organischen Zusammenspiel von sich wiederholenden Figuren und einer wellenartigen Dynamik wird der Hörer auf komplexe, aber dezente und unaufdringliche Weise mitgenommen. Die Direktheit ist Joanna Woznys Stärke; auch hier
hat man den Eindruck, jede Note, sei sie noch so differenziert und leise, muss genau dort sein, wo man sie hört.
Auf Regelsysteme und außermusikalische Sujets greift sie – wenn überhaupt – erst zurück, nachdem sie den Klängen die Freiheit gegeben hat, die sie brauchen, um sich zu entfalten. Dann werden diese „fertigen“ Klänge teilweise mehrmals umgearbeitet oder es wird sozusagen in sie „hineingezoomt“. Diesen Prozess kann man in ihren
Kompositionen nachempfinden: ein paradoxes Gefühl von reflektierter Spontaneität lässt einen nicht mehr los, ist
vielleicht die treibende Kraft ihrer Kompositionen.
Joanna Wozny:
„Die Spur der Welle“
(Takt 45-60)
Gerade dies kann man in ihrer „Musik für zwei Gitarren“ (2005) gut nachvollziehen. Ein Stück, in dem die zwei
Instrumente immer wieder offene Fragen zu stellen scheinen. Es ist ihr Tonfall, der uns ein Rätsel aus der Musik
macht. Die spürbare Energie und Lebendigkeit trifft auf irgendetwas, das es ihr unmöglich macht, diese frei auszuleben. Sie wird immer wieder gedämpft, im piano gehalten oder abgebrochen. Doch die unterbrochenen Phrasen
tauchen wieder auf, diesmal in veränderter Form, strebend ... wohin? Zu weiteren Wiederholungen? Das Prinzip
der Repetition, maßgeblich von Morton Feldman inspiriert, spielt eine große Rolle in Woznys Schaffen. Das Gitarrenduo jedenfalls endet mit der Kombination zweier sich im Stück wiederholenden Phrasen bzw. Spieltechniken.
„Statisch und ruhig“, „mehr in sich kreisend“, so Joanna Wozny, fallen einige ihrer jüngeren Kompositionen aus.
Nach einer umfassenden Beschäftigung mit Melodie und der Erforschung verschiedenster Spieltechniken geht es
nun um das Durchleuchten von Klängen, wie und durch welche Parameter sie sich verändern. Wann fängt ein
Klang an, ein anderer zu werden? Es geht ihr dabei um allerfeinste Nuancen, die wie kleine Pinselstriche auf einem
Bild nicht sofort sichtbar sind, aber trotzdem existieren und zum Gesamteindruck beitragen. Blickt man auf die
Partitur des Streichtrios „Surfacing“ (2008), fällt sofort die reduzierte Verwendung von Spieltechniken auf. Dafür
stechen lang anhaltende Flageolett-Töne ins Auge. Sie pendeln ständig zwischen 4- und 2-fachem piano hin und
her, kommen aus dem oder gehen ins Nichts. Die Einsätze der gläsernen Klänge, nah am Steg gespielt, gehen
ineinander über, sind nicht voneinander zu trennen, sind nur partiell durchsetzt von harten pizzicati- und gettatiPassagen. Das Muster der Klangschemata wiederholt sich mit rhythmischen Variationen, die Vielfalt der Klänge
untersuchend. „Pausen sind auch Geschehen. Sie erklingen genauso wie die Musik“, sagt Joanna Wozny über ihr
Orchesterstück „Archipel“ (2008). Die reduzierte Lautstärke und das stufenweise Leiserwerden der einzelnen
Stimmen erheben die Pausen zu einem ebenbürtigen Parameter in der neu entwickelten Klangsprache. Während
zu Beginn die extrem hohen Klänge der Streicher durch Glissandi und Tremoli variiert und mit Abwärtstonleitern,
Tonrepetitionen und Trillern der Bläser sporadisch kombiniert werden, werden die Pausen im Verlauf des Stückes
immer wichtiger. Sie werden analog zu den „statischen und doch veränderlichen“ Akkorden immer länger. Der
Eindruck eines Auf- und wieder Abtauchens entsteht, das an den Titel des Stückes erinnert: Archipel. Die Pausen,
die Masse des Wassers, sowie die einzelnen Klänge, die Inseln, scheinen zu wachsen, anzusteigen.
Mit ihrer speziellen Art, sich der Klänge anzunehmen, die ihr Inneres hervorbringt, nämlich dem Prinzip der Wiederholung und Weiterentwicklung, gelingt es Joanna Wozny einen philosophischen Horizont aufzureißen. Durch
die Abwendung von allem nicht Musikimmanenten erfährt der Hörer eine intensive Innerlichkeit, die durch ihre
Authentizität und Direktheit fasziniert. Die kleinen Pinselstriche können, aber müssen nicht gehört werden, doch
wird man angeregt, eine Sache, sei es die Musik, sei es ein Gedanke, von mehreren Standpunkten aus zu betrachten. Denn erst in der Auseinandersetzung mit mehreren Perspektiven, wie es ihre Musik tut, beginnt das (musikalische) Leben in all seinen Facetten zu leuchten.
Interview
„DIE ARBEIT FÄNGT IM KOPF AN“
Joanna Wozny im Gespräch mit Daniel Ender
Erschienen in der Österreichischen Musikzeitschrift 11/12 (2007), S. 43-45
Daniel Ender: Joanna Wozny, Polen hat eine bedeutende Tradition zeitgenössischen Komponierens herausgebildet. Sie leben schon lange in Österreich, sind aber kürzlich etwa auch beim Warschauer Herbst in Erscheinung
getreten. Inwieweit fühlen Sie sich mit den musikalischen Entwicklungen in Ihrer Heimat verbunden?
Joanna Wozny: Da ich mein Kompositionsstudium in Österreich begonnen und in Polen weder Komposition studiert noch darin Unterricht genommen habe, fanden meine ersten kompositorischen Versuche in Österreich statt.
Meine musikalische „Sprache“ wurde hier ausgebildet, beeinflusst vom Umfeld der Musikhochschule in Graz, von
meinen Lehrern, von Musik, die ich in Konzerten gehört habe.
D. E.: Fühlen Sie sich durch bestimmte Komponisten beeinflusst?
J. W.: Ja, dazu zählen sicherlich Luigi Nono – vor allem was die rhythmische Struktur seiner Stücke betrifft –, Salvatore Sciarrino oder Beat Furrer als mein Lehrer. Auch Morton Feldman gehört zu den Komponisten, die für mich
wichtig waren, sowohl durch seine musikalische Sprache mit Wiederholungen und kleinsten Veränderungen als
auch durch seine Arbeitsweise, bei der Gedächtnis und Vergessen von Bedeutung sind.
D. E.: Ihre Stücke tragen häufig eine deutlich erkennbare Handschrift: flüchtige, schattenhaft wirkende Klänge, die
immer wieder abgetastet zu werden scheinen. Wie gelangen Sie in Ihren Kompositionen von diesen Klängen zur
Form? Gibt es hier ein wiederkehrendes Schema?
J. W.: Die Arbeit an den Stücken fängt im Kopf an – es sind Inspirationen, die am Anfang der Kompositionen stehen, die sich meist auf klangliche Aspekte der Instrumente, für die ich schreibe, beziehen. Dabei sind meist mehrere Instrumente „beteiligt“. Mit anderen Worten: Ich denke mir einen bestimmten Klang aus, der meistens – aber
nicht immer – zugleich der Anfangsklang der Komposition ist. Man könnte auch sagen, ich fange einfach an. Viele
Komponisten lassen sich „außermusikalisch“ inspirieren, sei es durch andere Kunstsparten wie Literatur, Film, sei
es durch physikalische Phänomene oder durch Philosophie. Wenn ich ein Stück beginne, fange ich einfach damit
an, an den Klang zu denken, an die Instrumente, an die akustischen Begebenheiten der Besetzung – das ist für
mich der Anfang. Bei der Suche nach diesen ersten klanglichen Inspirationen versuche ich solche zu finden, die
nicht unbedingt instrumentenspezifisch sind. Das erreiche ich durch zweierlei: Zum einen wähle ich Klänge aus,
die für das jeweilige Instrument eben „unspezifisch“ sind, wenn man das heute überhaupt noch sagen kann, die
z.B. sehr hoch, also eigentlich zu hoch, oder zu tief oder zu leise sind, aber auch geräuschhafte Klänge, die mit
sehr viel Luftanteil bei Blasinstrumenten oder durch unspezifische Bogenführung bei Streichinstrumenten hervorgebracht werden. Zum anderen interessieren mich Klänge, die sich sozusagen in Zwischenbereichen abspielen,
deren Dauer bzw. Lautstärke ihre Realisation quasi unmöglich macht: z.B. ein Multiphonikklang, der nur einen
Sekundenbruchteil dauert, oder ein sehr hoher Klang, der sehr, sehr leise ausgeführt werden soll. Diese Klänge
sind in ständiger Bewegung, flüchtig, was sich aus dem Zusammenspiel der Parameter Lautstärke, Geschwindigkeit und Spieltechnik ergibt. Nachdem es eben diesen Anfang gibt, stelle ich ihn mir immer wieder vor; er bedingt
dann auch die Form im weiteren Verlauf des kompositorischen Prozesses. Die Form stellt sich für mich wie eine
(kleine) Anzahl von Stationen dar, im Komponieren bestreite ich den Weg über diese bzw. zu diesen Stationen. Ich
komponiere also die Übergänge und auch die Stationen, wobei die letzteren mehr oder weniger klar bestimmt
sind, während die Wege zu diesen Stationen erst im Kompositionsprozess, im Schreiben selbst, entstehen. Es
existiert kein immer wiederkehrendes Schema im Kompositionsprozess. Der kompositorische Prozess ist ein freier, es sind aber bestimmt streckenweise immer wieder die gleichen Wege, die ich beschreite.
D. E.: Ist der geschilderte Prozess bei klein besetzten Stücken, wo Sie sich auf wenige Elemente konzentrieren,
grundsätzlich anders als bei einem großen Orchesterwerk, wo das Geflecht zahlreiche Schichten umfasst? Oder ist
der Unterschied „nur“ ein gradueller?
J. W.: Der Kompositionsprozess ist im Grunde der gleiche, aber der Ausgangspunkt ein anderer. Meine ziemlich
konkreten klanglichen Vorstellungen, von denen ich ausgehe, sind meist an ganz bestimmte Instrumente gekoppelt, das Orchester als Instrument zu denken fällt mir aber schwer. Der Orchesterklang ist ja sehr vielfältig, und es
gibt vielleicht gar keinen Orchesterklang als solchen, sondern nur verschiedene Kombinationen von Instrumenten,
die einen spezifischen Klang haben. Das ist natürlich auch sehr stark geschichtlich begründet. Wenn ich also ein
Stück für Orchester schreibe, denke ich in der Suche nach dem Ausgangsklang höchstens an InstrumentenFamilien. Abgesehen davon verleitet mich der Reichtum an Möglichkeiten, den die Orchesterbesetzung bietet,
dazu, andere Kompositionstechniken anzuwenden.
D. E.: Gehen Sie auch mit systematischen oder theoretischen Fragestellungen an Ihre Kompositionen heran?
J. W.: Nein, ich gehe nicht systematisch oder theoretisch an die Kompositionen heran, außer in einigen ganz frühen Stücken, wo ich Aleatorik angewendet habe. Ich denke allerdings beim Komponieren kontrapunktisch.
D. E.: Ihre insistierenden, in die Tiefe gehenden Erkundungen von immer wiederkehrenden Konstellationen, Klängen und Motiven, wirken auf mich oft wie mikroskopisch angewendete, aber starke Energie. Kann man das Leise,
Tastende als „Negativform“ des Eruptiven verstehen?
J. W.: In dieser Beschreibung finde ich mich schon wieder, aber ich mag da das Wort „eruptiv“ nicht, weil es eine
gewisse Form aufzwingt und zu sehr in eine Richtung orientiert ist. Ich finde auch nicht, dass man in meinen Stü-
cken etwas durch Negation beschreiben muss, und ich glaube auch nicht, dass ich wirklich so leise Musik schreibe. Man könnte vielleicht sagen: Meine Musik besitzt geballte Energie. Diese Energie ist nicht frei, ist sozusagen
gefangen und kommt eben durch die Unmöglichkeit der Realisierung bestimmter Klänge zustande: durch die kurze Dauer in der schnellen Bewegung, durch die reduzierte Lautstärke.
D. E.: Ist Ökonomie dabei eine wichtige Kategorie, in dem Sinn, dass aus der wohlüberlegten Beschränkung dann
ein Reichtum an Perspektiven entsteht?
J. W.: Ich denke nicht ökonomisch. Die Beschränkung ergibt sich vielleicht aus der begrenzten Auswahl der Klänge.
Ich versuche die gleichen Klänge in immer neue Konstellationen einzusetzen, einzubauen, sozusagen ihr Potenzial
auszuschöpfen. Ich sehe das aber nicht so, dass Ökonomie dabei von vornherein eine zentrale Kategorie wäre.
D. E.: Welche Rolle spielen Prozesse, in denen sich aus dem Anfangsmaterial vielleicht unerwartete Entwicklungen
ergeben?
J. W.: Ja, das passiert immer wieder, diese Entwicklungen werden begrüßt und manchmal eingebaut.
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NOTENABBILDUNGEN: © EDITION JULIANE KLEIN
FOTO VON JOANNA WOZNY: © J. J. KUCEK
DER TEXT VON IRIS MENCKE IST EIN ORIGINALBEITRAG FÜR DIESES HEFT
WEITERE INFORMATIONEN ZU JOANNA WOZNY UNTER WWW.EDITIONJULIANEKLEIN.DE/INDEXWOZNY
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