P O L I T I K MEDIZINREPORT Diskussion um Xenotransplantate Denn durch eine Xenotransplantation könnten Krankheitserreger vom Spender auf den Empfänger übertreten. Dies ist bisher noch nicht beobachtet worden. Die Forscher haben aber bereits einen Namen für diese Krankheiten: Xenozoonosen. Für Dr. Ralf R. Tönjes von der Abteilung Medizinische Biotechnologie des PEI ist die Gefahr nicht völlig Einer möglichen Heilung für einzelne Patienten müssen die aus der Luft gegriffen. Tönjes bereitet Gefahren für die Allgemeinheit gegenübergestellt werden. vor allem die denkbare Übertragung von Retroviren vom Schwein auf den Menschen Sorgen. Schweine sind zur m die Sicherheit von Xeno- und so die unkontrollierte Entladung Zeit die am häufigsten verwendeten transplantaten (Tierorgane) von Neuronen hemmen. Andere For- Xenospender. Ihre Organe haben in ist eine heftige Debatte ent- scher arbeiten an einer künstlichen Le- etwa die gleiche Größe wie beim standen. Im Wissenschaftsmagazin ber: In dem Gerät soll das Blut von Pa- Menschen. Die Verwandtschaft mit „Nature Medicine“ verlangten US- tienten mit akutem Leberversagen menschlichem Gewebe erscheint akForscher jüngst ein Moratorium für über Schweinehepatozyten geleitet zeptabel. (Noch besser wären Paviane diese Form der biomedizinischen For- werden. Sie ersetzen das Organ, bis ein geeignet, die aber aus Tierschutzbeschung. Die Mehrheit der involvierten menschlicher Spender gefunden ist. denken und wegen geringer PopulaForscher sowie die amerikanische GeNach einer Schätzung von „Na- tionen nicht zur Verfügung stehen.) sundheitsbehörde FDA lehnen dieses ture Medicine“ hat die Zahl der kliniSchweine sind als Spender jeAnsinnen ab. doch problematisch, da sie Träger „Wir müssen sehr genau die von sogenannten porcinen endoRisiken für die Allgemeinheit begenen Retroviren (PERV) sind. denken, die durch die mögliche Diese haben die Schweine irEntstehung neuer Krankheiten gendwann im Verlauf der Evolugegeben ist, auch wenn wir einen tion befallen. Als Retroviren einzelnen durch ein tierisches konnten sie ihre Gene ins Erbgut Organ retten könnten.“ So ihres Wirtes einschleusen. Tönjes brachte Prof. Reinhard Kurth, schätzt, daß eine bisher unbePräsident des Paul-Ehrlich-Instikannte Zahl von verschiedenen tuts (PEI) und kommissarischer Viren bei jedem Schwein in 30Leiter des Robert Koch-Instituts, bis 50facher Ausfertigung in der bei einem Symposium die DebatDNS jeder Zelle vorhanden sind. te auf den Punkt. Es ist denkbar, daß porcine Der Vorteil: Die XenotransRetroviren bei einer Xenotransplantation verspricht, sollte sie er- Im Verlauf der Evolution wurden die Schweine von porcinen endoge- plantation „als tückische blinde folgreich durchführbar sein, nicht nen Retroviren befallen. Als typische Vertreter ihrer Klasse konnten Passagiere“, wie Tönjes in einem nur den Engpaß bei den Organ- sie ihre Gene ins Erbgut ihres Wirtes einschleusen. Foto: Manfred Röhrig Artikel für „Spektrum der Wisspenden zu entlasten. Auch Stoffsenschaft“ (Juli 1997) schrieb, in wechselfunktionen, die bisher einer schen Versuche mit Xenotranplanta- den menschlichen Organismus gelanTransplantation nicht zugänglich wa- ten von 20 in 1994 auf über 100 in 1997 gen und dort eine Krankheit auslösen. ren, ließen sich wiederherstellen. So ist zugenommen. Schon bald könnten Im Labor ist eine Vermehrung von es bei Tieren gelungen, eine familiäre insgesamt 1 000 Patienten an klini- PERV in menschlichen Nierenzellen Hypercholesterinämie zu bessern schen Versuchen beteiligt sein. Sollten bereits gelungen (Nature Medicine; 3: (Nature Med 1996; 3: 26–27, 48–53) sich irgendwann einmal greifbare Er- 282–286). Die Nierenzellen haben sooder im Gehirn fehlende Neurotrans- folge einstellen, käme die Behandlung gar infektiöse Viruspartikel hergestellt. mitter zu ersetzen (Nature Med 1997; für Millionen von Menschen in Frage, „Damit kommt die Übertragung 3: 350–353). Ob die Behandlung lang- heißt es. einer direkten Injektion von Viren fristig und beim Menschen erfolgreich Vielen der beteiligten Wissen- gleich. Sie könnten sich ungehemmt sein wird, ist offen. schaftler ist jedoch „mulmig zu- vermehren und dann auch andere Erste klinische Studien haben je- mute“, wenn sie an die möglichen Ri- Menschen infizieren“, kommentiert doch bereits begonnen. Im Januar siken der Behandlung denken. Jede Tönjes. Theoretisch könnten die Viimplantierten Bostoner Ärzte einem Transplantation könnte weitreichen- ren dann andere Zellen des EmpfänEpilepsie-Kranken fetale Schweine- de Folgen haben, nicht nur für den Pa- gers infizieren. Wenn dies Keimzellen hirnzellen. Diese sollen Gamma-Ami- tienten und seine Umgebung, sondern sind, wäre die Spezies Mensch wohl nobuttersäure (GABA) produzieren für die gesamte Spezies Mensch. bald um ein ERV reicher. Auch der Tierorgane als trojanische Pferde für Erreger? U Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 31–32, 3. August 1998 (23) A-1895 P O L I T I K MEDIZINREPORT Mensch ist vermutlich Träger von endogenen Retroviren, die bei ihm ebenso wie die PERV beim Schwein keine Krankheit auslösen. Anders könnte dies aussehen, wenn PERV zum Sprung über die Speziesgrenze ansetzen. Die Chancen, daß sich die Viren im neuen Wirt etablieren, werden durch zwei Faktoren begünstigt: zum einen durch die auch nach Xenotransplantationen nötige immunsuppressive Behandlung der Patienten, zum anderen durch eine gentechnische Konditionierung der Xenotransplantatzellen, mit der die hyperakute Abstoßungsreaktion (HAR) verhindert werden soll. Die HAR tritt nur nach Xenotransplantation auf. Innerhalb weniger Minuten bis Stunden werden die Gefäße des transplantierten Organs zerstört. Die HAR beruht auf der Aktivierung des Komplementsystems mit Hilfe von Antikörpern. Die Antikörper sind bei den Patienten schon vor der Transplantation vorhanden. Sie binden an spezielle Zuckerreste auf den Endothelzellen des Spenderorgans. Da es bisher nicht gelungen ist, Schweine ohne dieses Merkmal zu züchten, setzen die Forscher zur Zeit auf genetisch modifizierte Tiere. Sie produzieren auf der Oberfläche ihrer Endothelzellen humane Regulatoren der Komplementaktivierung. Als „molekulare Tarnkappen“ unterdrücken sie die Aktivierung des menschlichen Komplementsystems. Gewünschte Wirkung: Die HAR wird unterdrückt. Mögliche Nebenwirkung: Da das Komplementsystem auch eine wichtige Abwehrlinie gegen virale Infektionen ist, könnten Xenozoonosen begünstigt werden. Diese Bedenken haben dazu geführt, daß der Xenotransplantationsforscher Fritz Bach von der HarvardUniversität ein Moratorium fordert. Alle laufenden Studien sollten gestoppt werden, bis eine öffentliche Debatte geführt worden und ein politischer Konsens darüber erreicht ist, unter welchen Bedingungen derartige Versuche überhaupt durchgeführt werden können. Begründet wird die Forderung nach einem Moratorium mit dem Prinzip des „informed consent“. So wie der Patient vor jeder Behandlung seine Einwilligung erst geben kann, wenn er über die möglichen Risiken aufgeklärt ist, so könne die Gesellschaft erst dann der Xenotransplantation zustimmen, wenn sie auf die möglichen Risiken aufmerksam gemacht wird. Dies sei notwendig, weil sie von den Folgen der Forschung, Epidemien und Pandemien neuer Krankheiten betroffen sei. Parallelen zur GentechnikDebatte der 70er Jahre Auch in Deutschland wird eine öffentliche Debatte gefordert. Prof. EveMarie Engels, die an der Universität Tübingen Ethik in den Biowissenschaften lehrt, hob auf dem PEI-Symposium hervor, daß sich für sie die Frage stelle, „ob die Xenotransplantation mit den Grundprinzipien der medizinischen Ethik, den Prinzipien der Heilung von Krankheiten und der Schadensvermeidung, der Autonomie und der Gerechtigkeit vereinbar ist“. Auch tierethische Aspekte könnten die Xenotransplantation in Frage stellen. In den USA will man von derartigen Bedenken nichts wissen. Zwar wurden im Oktober 1997 kurzzeitig alle klinischen Versuche mit Verwendung von Schweinematerial gestoppt. Da aber noch bei keinem Patienten eine Übertragung von Schweineviren nachgewiesen werden konnte, erlaubte die FDA bald, daß einzelne Studien fortgesetzt werden. Viele US-Forscher fühlen sich an die Debatte um die ökologischen Konsequenzen der Gentechnik aus den 70er Jahren erinnert. Damals wurde ein Moratorium erlassen, das die Forschung nur behinderte, aber keinen wesentlichen Beitrag zur Sicherheit leistete. Gänzlich liberalisiert ist die Xenotransplantation aber auch in den USA nicht. Im Januar dieses Jahres überarbeitete die FDA ihre Richtlinien zur Xenotransplantation. Die hygienischen Anforderungen der Tierhaltung sollen verschärft werden. Die Tiere dürfen nicht an Krankheiten leiden, die für Menschen ansteckend sind. Geplant ist ein Nationales Register aller Empfänger von Xenotransplantaten. Gewebeproben sollen für spätere Untersuchungen eingefroren werden. Außerdem ist ein nationales Beratergremium geplant, das die weitere Entwicklung überwachen soll. Rüdiger Meyer Die Kirchen zur Xenotransplantation In einer gemeinsamen Stellungnahme haben die katholische und die evangelische Kirche die wichtigsten Gesichtspunkte zur ethischen Beurteilung der Xenotransplantation dargestellt. Diese als „Diskussionsbeitrag“ bezeichnete Schrift wurde von einer im Auftrag des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland und dem Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz eingesetzten Arbeitsgruppe verfaßt. Nach Auffassung der Kirchen könnte die Xenotransplantation durchaus medizinische Vorteile bringen. So bestünde die Möglichkeit, wegen der Resistenz tierischer Organe gegen Hepatitis-Erreger bei Lebertransplantationen das Auftreten dieser Krankheit zu vermeiden. Als Chance der Xenotransplantation sehen die Kirchen auch die „Überwindung des ethisch verwerflichen Handels mit Spenderorganen“. Diesen Chancen stünden jedoch eine Reihe von Risiken gegenüber. Die Bereitschaft zur Organspende könnte weiter sinken, wenn Tierorgane in unbegrenzter Zahl zur Verfügung stünden. Die Schrift weist auch auf den Konflikt zwischen dem Lebensrecht des Menschen und dem Lebensrecht von Tieren hin. Wegen der nicht unerheblichen Risiken hält die Kommission eine Xenotransplantation nur dann für ethisch gerechtfertigt, wenn alle Risiken von unabhängigen Instanzen (Ethikkommissionen) als vertretbar eingestuft wurden. Die Einführung dieser medizinischen Technik müsse außerdem ständig kontrolliert werden, „damit sich die Grenze zwischen Heilversuch und Versuch am Menschen nicht verwischt“. Gegen eine weitere Erforschung der Xenotransplantation wendet sich Dr. med. Wiltrud Kernstock-Jörns, Berlin, in einem im Anhang der Schrift abgedruckten „abweichenden Votum“. Kli A-1896 (24) Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 31–32, 3. August 1998