Gratwanderung zum Silberrücken

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TITEL
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Gratwanderung
zum Silberrücken
INGO ARNDT/NATUREPL.COM
ARTENSCHUTZ Safaris zu den Berggorillas im Kongobecken sind
faszinierend – doch die seltenen Tiere sind durch Wilderei und politische
Unruhen unter grossem Druck. Der WWF verstärkt seine Aktivitäten.
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WWF magazin 4/2007
WWF magazin 4/2007
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TITEL
Akute
Bedrohung:
Die wachsende
Bevölkerung
braucht Land und
Holz. Ins Visier
geraten auch die
Berggorillas – vier
Tiere wurden im
Sommer abgeschlachtet.
ur eine Stunde und ein Mindestabstand von sieben Metern, keine schnellen Bewegungen, nur leise Unterhaltung
und nicht in die Augen schauen.
Kommt es zu Drohgebärden, langsam in die Hocke gehen – die Ranger im kongolesischen Nationalpark
Virunga legen für die sechsköpfige
Besuchergruppe aus Europa die
Spielregeln fest. Es geht an diesem
Nachmittag um eine Begegnung
der ganz speziellen Art, die wohl
keiner je vergessen wird: Eine
Wanderung durch den Bergregenwald zu einer Berggorilla-Familie,
die an Menschen gewöhnt ist.
Der Berggorilla (Gorilla beringei beringei) ist eine Unterart des
Östlichen Gorillas und kommt nur
noch in den Regenwäldern der
zentralafrikanischen Vulkankette
in Höhen von 1600 bis 3800 Meter
vor. Nimmt man die beiden jüngs-
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WWF magazin 4/2007
ten Zählungen im Bwindi-Nationalpark in Uganda (2006) und im
Virunga-Gebiet (2002) als Messlatte, gibt es zurzeit 720 Exemplare. Für Bwindi bedeutet dies
einen Zuwachs von 12 Prozent
über die letzten 10 Jahre. Ein
Hoffnungsschimmer, immerhin.
«Die Arbeit zum Schutz der Berggorillas lohnt sich», sagt Doris
Calegari, Artenschutzexpertin
beim WWF Schweiz.
Eine unsichere Region
Wie wichtig diese Arbeit ist, zeigt
sich bereits im Anmarsch zum
Rendezvous mit dem Silberrücken
und seinem Harem (siehe Box). Im
Sommer 2004 haben hier illegale
Siedler innert weniger Tage rund
1500 Hektar des Virunga-Nationalparks gerodet. Und ganz schlimm
war es während des Bürgerkriegs
im benachbarten Ruanda, wo Hun-
derttausende über die Grenze
flüchteten und in Virunga Unterschlupf suchten. Bis zu 900 Tonnen
Holz sollen damals täglich gefällt
worden sein. Wegen der hohen
Bevölkerungsdichte in der Region
bleibt der Druck auf den Nationalpark hoch. Die Rodungswunden
sind nicht zu übersehen.
Räuspern als Vorwarnung
An diesem Nachmittag liegt der
Virunga-Regenwald ganz ruhig
da. Die Gipfel der bis zu 4500 Meter hohen Vulkane sind in Wolken
gehüllt. Die Temperatur ist angenehm auf 2000 Meter Höhe. Anfänglich führt ein Trampelpfad
tiefer in den Park. Kothaufen zeigen, dass es hier auch Büffel und
Elefanten gibt. Dann wird das
Gestrüpp am Boden dichter und
die Spannung bei den sechs Gorillawanderern grösser. Die Ran-
Der Druck auf Virunga und seine Berggorillas nimmt zu.
ger wissen meist ziemlich genau,
wo sich die an Menschen gewohnten Gorilla-Familien gerade
aufhalten. Die Wildhüter haben
die Tiere behutsam über Jahre an
die Besuche gewöhnt.
Untrügliches Zeichen dafür,
dass eine Gorilla-Gruppe nicht
mehr weit sein kann, sind frische
Bodennester. Gorillas betten sich
für ihre Nachtruhe täglich neu,
auf Blättern, Ästen und anderen
Pflanzenteilen.
Damit das Männchen und seine Gruppe frühzeitig mitbekommen, dass sich Menschen nähern,
räuspert sich ein Ranger jeweils
unüberhörbar. Ein Signal an die
Berggorillas, dass man in friedfertiger Absicht in ihr Territorium
eindringt. In der Regel tun die
Affen dann weiter das, was sie
häufig tun – fressen, was Wald
und Lichtungen hergeben. Von
den Besuchern nehmen sie meist
wenig Notiz.
Ein Gorilla-Stündchen
Es ist ein hinreissendes Bild, wie
die Affen geduldig Ast um Ast abgrasen und ein Blatt nach dem
andern ins Maul stopfen. Nur die
jüngeren Tiere sind noch etwas
verspielt und balgen sich in den
Essenspausen. Das Leittier, wohl
fast 200 Kilo schwer, hockt unter
einem Baum, beäugt seine Gruppe und mampft ebenfalls. Wer
darauf hofft, dass sich der Silberrücken aufrichtet und auf seinen
mächtigen Brustkorb trommelt,
wartet dieses Mal vergeblich. Das
Männchen ortet keine Gefahr und
döst ein.
Die Stunde ist rasch vorbei
und die Ranger geben das Zeichen zum Aufbruch. Es braucht
strenge Regeln, um die Besuche
bei den vom Aussterben bedrohten Berggorillas zu kanalisieren.
Um Gorillagruppen an Menschen
zu gewöhnen, dauert es drei bis
vier Jahre. Weil nur ein kleiner
Teil der Affenfamilien an den
Tourismus gewöhnt wurde, ist der
Besucherdruck enorm. Trotz hoher Preise – die Gorillastunde kostet für Ausländer stolze 500 USDollar – sind die Rendezvous mit
den Silberrücken meist bereits ein
Jahr im Voraus ausgebucht. Die
Besuchergruppen dürfen nicht
mehr als acht Personen umfassen.
Die zwei Seiten der Medaille
Der Run nach Virunga und Bwindi
bringt hohe Einnahmen, die für
das Parkmanagement dringend
gebraucht werden. Andererseits
bringen die Besucher neue Gefahren für die Tiere mit sich. Das
Immunsystem der Gorillas ist vor
VirungaNationalpark
Uganda
Kenia
Ruanda
Burundi
BBDESIGN
Im Virunga-Nationalpark leben noch rund 320 Berggorillas.
WWF CANON/MARTIN HARVEY, ALTOR/GCP GOMA
WWF CANON/MARTIN HARVEY (2)
Gorilla-Safari:
Kleine Besuchergruppen werden
von Rangern durch
den Regenwald
zu BerggorillaFamilien geführt,
die an Menschen
gewöhnt sind.
Kongo
Tansania
VirungaNationalpark:
Eindrücklicher
Bergregenwald
im Grenzgebiet
zwischen Kongo
und Uganda.
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TITEL
ders schützenswert
gelten. Noch ist die
Vielfalt riesig: Es
zent.
Gorillababies
können
im
Alter
von
■ Der Gorilla gehört zur Ordnung der
gibt 400 Säugetiersieben bis zehn Monaten laufen und
Primaten und dort in die Familie der
arten, mehr als
werden
von
der
Mutter
rund
drei
Jahre
Hominidae (Grosse Menschenaffen).
lang gestillt. In der Wildnis werden die
1000 Vogelspezies
Der Gorilla wird in zwei Arten unterTiere meist bis zu 35 Jahre alt. Da
schieden: In den Westlichen Gorilla und
und über 10 000
sich Gorillas hauptsächlich von kaloriden Östlichen Gorilla. Der Östliche
Pflanzenarten. Unenarmer vegetarischer Kost ernähren
Gorilla teilt sich in zwei Unterarten auf,
ter anderem komund täglich bis zu 20 Kilo davon brauden Östlichen Flachlandgorilla oder
men hier der Westchen, verbringen sie einen Grossteil
Grauergorilla und den Berggorilla.
liche und Östliche
des Tages mit Fressen.
■ Berggorilla-Männchen können bis zu
Gorilla vor, ferner
■
Vom
Grauergorilla
leben
im
Osten
275 Kilogramm schwer und etwa 1,70
Schimpansen und
des Kongos etwa 3000 bis
Meter gross werden. Fast zwei Meter
Bonobos, Waldele5000
Exemplare,
vom
Berggorilla
sind
gross kann der Grauergorilla werden.
fanten und Waldes nur noch rund 720 Exemplare in
Ausgewachsene Weibchen beider Unzwei versprengten Populationen in
büffel, Bongoantiloterarten wiegen bis zu 90 Kilogramm
den Virunga-Bergen im Dreiländereck
und sind durchschnittlich 1,50 Meter
pen und WaldgirafKongo, Ruanda und Uganda sowie im
gross. Die Fellfarbe ist bei Geburt zufen. Viele Arten
Bwindi-Nationalpark in Uganda.
Silberrücken, Junges: Männchen
nächst glänzend schwarz und wird im
sind endemisch –
■ Seit 2002 bündelt der WWF seine
werden bis zu 275 kg schwer.
Alter grau. Charakteristisch für Männsie leben ausAnstrengungen zum Schutz der afrikachen ist ein silbrig weisser Rücken.
schliesslich in
nischen Menschenaffen in einem
Silberrücken – einem dominanten
Die tagaktiven Tiere halten sich meist
dieser Region.
eigenen Programm. Mehr Infos in
Männchen – angeführt wird. Zur Familie
am Boden auf. Gorillas stützen sich
Die grösste
englischer
Sprache
fi
nden
Sie
unter
gehören mehrere Weibchen und vier
beim Laufen auf ihren Handknöcheln ab,
Bedrohung für die
www.panda.org und www.traffic.org.
bis fünf Jungtiere.
während andere Menschenaffen dazu
Wälder im KongoDie Virunga-Ranger führen zudem unter
■ Die Weibchen gebären etwa alle vier
ihre Handflächen benutzen. Östliche
www.wildlifedirect.org ein Tagebuch
Becken ist die
Jahre ein Junges. Die natürliche SterbGorillas bilden einen Familienverbund
zur aktuellen Situation im Nationalpark.
lichkeit der Jungtiere liegt bei 40 Provon meist 15 bis 20 Tieren, der vom
kommerzielle Holzwirtschaft, die Ausdehnung landwirtschaftlicher Nutzflächen und der
allein bis im Herbst dieses Jahres
allem auf Atemwegserkrankungen
Bergbau. Bereits 1987 gründete auf sieben Tiere. «Ein herber
der Menschen nicht eingerichtet.
der WWF das UmweltsensibilisieRückschlag für den Erhalt der
Insbesondere jüngere Tiere scheirungsprogramm PEVI (Project
Art», bedauert Doris Calegari.
nen empfindlich zu reagieren,
Environemental des Virungas). Es
Dazu kommen verstärkte
doch gerade diese unterschreiten
wird vom Nationalpark zusammen
Unruhen in der Demokratischen
den Mindestabstand von sieben
mit der dort lebenden Bevölkerung
Republik Kongo. Seit Anfang SepMetern zu den Menschen oft und
durchgeführt. Dazu der lokale
tember toben in Virunga heftige
bringen sich dadurch in gesundWWF-Projektleiter Bisidi Yalolo:
Kämpfe mit den Milizen des Reheitliche Gefahr. Die Verantwort«Die Menschen wollen nur Ruhe
bellenführers Nkunda. Mehrmals
lichen überlegen sich nun, den
vor dem Krieg und Nahrung für
wurden Wildhüterposten ausgeBesuchern Schutzmasken abzusich und ihre Kinder.»
raubt. Die Ranger und ihre Famigeben.
lien mussten flüchten, zusammen
Köpfe als Trophäe
Stetes Auf und Ab
mit Tausenden Menschen aus
der Region. In den vergangenen
Das viel grössere Risiko bleiben
Die Kriegsgräuel machen viel Aufzehn Jahren verloren mehr als
aber illegale Abschüsse. Gorillas
bauarbeit zunichte. Es gibt aber
100 Wildhüter im Virunga-Gebiet
werden getötet, um ihr Fleisch zu
auch Erfolge. So wurden Wälder
im Kampf gegen Rebellen und
verkaufen, um Affenbabies den
wieder aufgeforstet und SolarkoWilderer ihr Leben.
Müttern wegzunehmen, um Trocher reduzieren den Holzbedarf;
Der Krieg gefährdet das Naphäen wie Köpfe und Hände zu
ausserdem bringen Bienen- sowie
turjuwel des Kongo-Beckens. Hier
handeln oder um NahrungskonFischzucht neue Einnahmen. Mit
wachsen nach Amazonien die
kurrenten auszuschalten. LetzDorfgemeinschaften wurden Abzweitgrössten zusammenhänteres dürfte der Grund für das
kommen geschlossen zur schogenden Regenwälder der Erde. Sie
schlimmste Massaker in jüngster
nenden Nutzung der Pufferzonen;
sind Lebensgrundlage für MillioZeit gewesen sein. Im Sommer
das verhindert, dass der Virunganen von Menschen und ein riewurden gleich vier Gorillas, drei
Nationalpark als Selbstbediesiger CO2-Speicher für das WeltWeibchen und ihr Silberrückennungsladen missbraucht wird.
mann, im Virunga-Nationalpark
Und das wiederum ist gut für die
klima. Dieses Gebiet umfasst
abgeschlachtet. Damit erhöht sich
Berggorillas.
sechs jener 238 vom WWF ermitdie Zahl der getöteten Gorillas
telten Ökoregionen, die als besonWWF INTERNATIONAL/BERNHARD RAOS
OKAPIA KG
HINTERGRUND: ÖSTLICHER GORILLA
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