velorene jungs - Ox

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Interviews & Artikel
VELORENE JUNGS
Abrechnung mit der
Vergangenheit
Die Oi!-Punks von VERLORENE
JUNGS sind keine Oi!-Punks
mehr, sondern Musiker, die den
nächsten Schritt gehen wollen: Weg mit dem Ballast der
Vergangenheit. Hinein in eine Zukunft, in der sich die Band
neu positioniert. VERLORENE JUNGS meinen es ernst. Und
Sänger Schwefel zeigt sich im Gespräch zur neuen
Zeitrechnung als ehrliche Haut.
Wer euer neues Album hört, der erkennt, Oi!-Punk gehört bei
euch endgültig der Vergangenheit an. Ihr macht jetzt Punk,
der – so würde ich es bezeichnen – zeitgemäß ist.
So ist es. Ich höre privat ja schon länger Bands wie MUFF
POTTER, TURBOSTAAT oder diese Jens Rachut-Sachen. Und
wir wollen uns als Musiker ja schließlich auch weiterentwickeln
und uns im Proberaum nicht langweilen: Wenn wir einen Song
schreiben, dann hauen wir gerne auch mal eine Kerbe ins Stück.
Es soll nicht alles nach dem Strophe-Refrain-Strophe-Muster
gehen.
Das Album ist selbstbetitelt. So verfahren Bands
normalerweise bei ihrem Debüt. Habt ihr es gemacht, um eine
neue Zeitrechnung zu beginnen?
Das ist der eine Grund. Der andere ist: Wir wollten damit
unterstreichen, dass man sich nur wegen des Namens nicht auf
einen Stil beschränken muss. Wenn wir morgen eine Elektroplatte
aufnehmen würden, wäre es immer noch eine Platte von
VERLORENE JUNGS.
Und doch werdet ihr von vielen immer noch unter Oi!
einsortiert. Wie viel Überzeugungsarbeit wird noch nötig
sein?
Einiges. Aber ich bin zuversichtlich, dass es irgendwann alle
kapieren.
Ein Anfang könnten die Konzerte sein. Spielt ihr live noch
viele alte Songs?
Ungefähr ein Drittel des Sets besteht daraus. Aber das wird
weniger. Ich denke, ab dem nächsten Album werden wir uns
ausschließlich auf neue Stücke beschränken.
Das klingt wie das Verleugnen der eigenen Vergangenheit.
Nein. Es ist ja nicht alles schlecht, was wir gemacht haben. Daher
überlegen wir auch, ob wir einige alte Stücke noch mal neu
arrangieren. Es wäre für die neuen Hörer interessant, zu wissen,
wie unsere musikalische Vergangenheit aussieht.
Gibt es viele dieser neuen Hörer?
Ja. Ich bekam zuletzt zahlreiche Zuschriften von Leuten, die die
neue Platte gekauft und gleich noch unseren Back-Katalog dazu
bestellt hatten. Aber von dem waren die meisten dann nicht so
angetan ...
Und die alten Hörer?
Viele von denen finden das, was wir jetzt machen, scheiße.
Gerade im Internet geht es da hart zur Sache.
Wie begegnest du diesen Kritikern?
Ich nehme das so hin. Denn wir machen Musik ja in erster Linie
für uns. Das ist auch der Unterschied zur alten Besetzung. Da
hieß es immer: „Was sollen die Leute von uns denken? Wir haben
einen Ruf zu verlieren!“ Heutzutage ist mir das egal. Sollen die
Leute sagen, was sie wollen. Eine Grenze überschritten wird für
mich allerdings bei manchen Reaktionen auf unsere „Pro Asyl“Aktion: Wir hatten unser neues Album ja zum Vorbestellen im
Internet angeboten. Ein Euro von jeder Bestellung ging an den
Verein „Pro Asyl“. Und nach jedem Beitrag, den wir bislang auf
unserer Facebook-Seite zu dieser Aktion schalteten, verloren wir
bis zu dreißig „Freunde“.
Das ist erschreckend und vielsagend ...
Absolut. Es zeigt, dass diese Oi!- und Skinhead-Szene gar nicht
so unpolitisch ist, wie sie sich immer darstellt. Und es geht ja
weiter: Wenn ich mir die Facebook-Profile derjenigen ansehe, die
uns vorwerfen, dass wir keinen Oi! mehr machen, dann finde ich
darunter auch Sympathisanten von PEGIDA und ähnlichem Mist.
Erschreckt dich da der Gedanke an frühere Konzerte und wer
mitunter so alles vor dir gestanden haben muss?
Ja. Ich frage mich schon: Für wen haben wir da all die Jahre
Musik gemacht? Aber sei’s drum: Diese Leute sollen
verschwinden und gut ist.
Ich finde es sehr mutig, dass du so offensiv mit diesem
Thema umgehst.
Das ist doch unerlässlich. Und das tun heutzutage leider nicht
viele von denen, die dieses Thema betrifft. Sieh dir nur mal Bands
an wie BÖHSE ONKELZ oder FREI.WILD: Viele von deren Fans
laufen bei PEGIDA mit. Aber ein klares Statement dieser Musiker,
dass PEGIDA und Co. verachtenswert sind, hat es bislang doch
nicht gegeben. Vielleicht weil sie Angst haben, dann weniger
Platten zu verkaufen? Dabei wäre ein Zeichen gerade von ihnen
so verdammt wichtig: Würden die einmal klipp und klar sagen:
„PEGIDA und alles, was damit zu tun hat, ist scheiße“ – dann
kämen vielleicht nur noch halb so viele Leute zu den Demos. Das
wäre schon ein Gewinn.
„Verlorene Jungs“ habt ihr auf eurem eigenen Label
rausgebracht. Gezwungenermaßen oder geplant?
Das war schon so geplant. Früher waren wir zu naiv und haben
politische Dinge völlig außer Acht gelassen. Nicht böswillig,
sondern weil wir nicht darüber nachgedacht haben. Und genau
das wollen wir jetzt ändern. Denn wer sich jetzt nicht positioniert,
in einer Zeit, in der immer mehr Flüchtlinge sterben und die Leute
zugleich gegen angebliche Überfremdung auf die Straße gehen,
der handelt unverantwortlich und macht sich mitschuldig! Wir
hatten auch jetzt wieder Anfragen von Labels, bei denen wir uns
unwohl gefühlt hätten. Namen möchte ich nicht nennen. Nur dies:
Es wäre in Richtung Deutschrock gegangen. Aber das haben wir
alles genauso abgelehnt wie Interviewanfragen von DeutschrockMedien und das Angebot, im Rahmen der „GOND“, der „Größten
Onkelz-Nacht Deutschlands“, aufzutreten. Ich will mit all diesen
Leuten einfach nichts zu tun haben! Also haben wir – lange Rede,
kurzer Sinn – auch die Platte selber rausgebracht. Jetzt liegt die
Kontrolle bei uns. Das ist zwar mit viel Arbeit und finanziellem
Aufwand verbunden, aber es ist wichtig und richtig.
Frank Weiffen
Webseite
© by Ox-Fanzine / Ausgabe #120 (Juni/Juli 2015)
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