LIPP, Martin: Zum ursächlichen Zusammenhang

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Wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung des akademischen Grades eines Magister Artium
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Institut für Sportwissenschaft
Zum ursächlichen Zusammenhang zwischen Bewegungsmangel
und Übergewicht bzw. Adipositas bei Jugendlichen zwischen 12-16 Jahren
– eine Befragung an einer Spezialklinik in Bad Kreuznach
vorgelegt von:
Martin Lipp
Im SS 2010
Erster Referent:
Zweiter Referent:
Prof. Dr. H.-V. Ulmer
Dr. J. Oepen
Einleitung
Bewegungsmangel bei Kindern und Jugendlichen ist gerade im Zusammenhang mit Übergewicht und
Adipositas ein viel diskutiertes Thema. Dabei ist die öffentliche Diskussion auffällig pessimistisch. In Zeiten des von der deutschen Bundesregierung initiierten „Nationalen Aktionsplans Ernährung und Bewegung“ werden die Themen Übergewicht und Adipositas in den Fokus des öffentlichen Interesses gerückt.
Zahlreiche Studien und Statistiken beschreiben, dass die deutschen Jugendlichen immer dicker würden
(ZWIAUER 2003, WABITSCH et al. 2002, KOLETZKO et al., 2002). Ihrer Meinung nach ist es offensichtlich, dass sich Kinder und Jugendliche heute in den westlichen Industrienationen, also auch in Deutschland, aufgrund der Technisierung und der zunehmenden Mediatisierung viel weniger bewegten, als das
noch vor einigen Jahrzehnten der Fall gewesen wäre. Dies gäbe Anlass zur Sorge, da hier nicht nur gesundheitliche Probleme aufträten, sondern auch die persönliche Entwicklung der Jugendlichen aufgrund
von Selbstwertproblemen und Kontaktstörungen gefährdet werden könnte. Angesichts der von vielen
Seiten laut werdenden Stimmen, die Deutschen, darunter vor allem Kinder und Jugendliche, würden immer fauler und dicker, sprachen sich die damaligen Minister U. Schmidt (Bundesgesundheitsministerin)
und H. Seehofer (Bundesminister für Verbraucherschutz) im Mai 2007 mit dem Aktionsplan der Bundesregierung „Fit statt fett“ für mehr Bewegung und Sport zur Bekämpfung des Übergewichts aus.
Als Hauptgründe für die Zunahme von Übergewicht bzw. Adipositas werden auch in den Medien fast
ausschließlich die Faktoren Bewegungsmangel und Fehlernährung genannt, andere Ursachen bleiben
oft unberücksichtigt. Als Belegmaterial für diese Defizitannahme werden häufig Einzelstudien herangezogen, die lediglich einzelne Facetten der Problematik in den Blick nehmen.
An einem einfachen, ursächlichen Zusammenhang zwischen Bewegungsmangel und Übergewicht bzw.
Adipositas werden allerdings auch Zweifel geäußert, unter anderem von KLEIN (2006) sowie HÜTTLIN
(2008). Daher soll die vorliegende Arbeit eine verknüpfende Betrachtung der Befunde zu motorischen
Aktivitäten und Adipositas zusammen mit anderen wichtigen Determinanten wie die des sozialen Umfeldes, der Veranlagung und der Ernährung leisten.
Als der Autor beim Leiter einer Spezialklinik zur Behandlung chronischer Erkrankungen bei Kindern und
Jugendlichen1 nachfragte, ob er dort eine Erhebung über Bewegungsmangel als Ursache für Übergewicht bzw. Adipositas durchführen könne, zeigte sich dieser vor dem Hintergrund der oben erwähnten
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Dr. Johannes Oepen, Chefarzt des Viktoriastiftes in Bad Kreuznach. Dabei handelt es sich um eine Rehabilitations- und
Vorsorgeklinik zur Behandlung chronischer Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen, unter anderem auch von Adipositas.
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Problematik sehr interessiert. Daher sollte diesem so postulierten ursächlichen Zusammenhang anhand
einer Befragung von Eltern und Jugendlichen nachgegangen werden. Außerdem wollte der Autor dieser
Fragestellung anhand von Einsichtnahmen in die Krankenakten der betroffenen Jugendlichen nachgehen.
Zu Beginn der Arbeit sollen grundlegende Informationen zu Übergewicht bzw. Adipositas dargestellt werden, wie Definitionen, die Häufigkeit sowie Ursachen und Entstehung. Anschließend soll auf die Darstellung von Adipositas bei Kindern und Jugendlichen auf medialer und politischer Ebene eingegangen werden. Daran anschließend werden die bereits erwähnten Einflussfaktoren Bewegungsmangel und Ernährung sowie die oft vernachlässigten sozialen und genetischen Faktoren für die Entstehung von Adipositas
bei Kindern und Jugendlichen näher beleuchtet, um mit ihrer Hilfe die speziellen Fragestellungen der
Arbeit zu formulieren.
Schlußbetrachtung
In die abschließende Diskussion sollen auch diejenigen Faktoren mit einfließen, welche in den speziellen
Fragestellungen nicht behandelt wurden. Der Faktor Ernährung beispielsweise nimmt eine bedeutende
Rolle bei der Betrachtung der Adipositasentstehung ein. Er wird in zahlreichen Studien belegt und es ist
hinlänglich bekannt, dass eine gesunde Ernährung einen direkten Einfluss auf das Wohlbefinden hat.
Eine bedarfsgerechte Ernährung ist von fundamentaler Bedeutung für die normale Entwicklung, Gesundheit und Leistungsfähigkeit des Menschen. Mit Essen und Trinken assoziierte Faktoren sind darüber hinaus für das soziale und psychische Wohlbefinden von großer Bedeutung. Es wurde jedoch auch erwähnt,
wie ausgesprochen schwierig es ist, objektive Angaben zum Ernährungsverhalten von Jugendlichen zu
erhalten.
Die Esskultur in den reichen industrialisierten Ländern, das reichhaltige Nahrungsangebot und die ständige Verfügbarkeit der Nahrungsmittel bestimmen zweifellos einen Teil des Ursachenkomplexes für
Übergewicht und Adipositas im Kindes- und Jugendalter. Psychische Faktoren nehmen nach Meinung
des Verfassers einen nicht zu unterschätzenden Teil in diesem Ursachenkomplex ein. Auf die näheren
Krankheitsbilder, welche die Entstehung von Adipositas und anderer Essstörungen verursachen, soll hier
nicht eingegangen werden. Das Thema der Stigmastisierung wurde in Kapitel 2.4.2 behandelt. Gesellschaftliche Normen üben auf viele Menschen einen hohen Druck aus und isolieren diejenigen, welche
diesem Ideal nicht entsprechen. Adipöse werden stigmatisiert und am wenigsten akzeptiert. Einen
Schutzraum, wie ihn Kinder und Jugendliche mit anderen chronischen Erkrankungen meist haben, besitzen Adipöse nicht. Gerade weil in den Medien und der Wissenschaft ein einfacher, ursächlicher Zusammenhang von Bewegungsmangel und Fehlernährung einerseits und Übergewicht andererseits propagiert
wird, stellt für die Öffentlichkeit Adipositas kein Krankheitsbild dar. Die Schuld wird im Gegenteil bei den
Betroffenen selbst gesucht. Diese Stigmatisierung unterstützt den Teufelskreis, in dem sich Übergewichtige und Adipöse oft befinden; gerade Kinder und Jugendliche werden dann in ihrer physischen und psychischen Entwicklung alleine gelassen.
Die veränderten Rahmenbedingungen in unserer Gesellschaft sind ebenfalls angesprochen worden. Das
Aufbrechen von Familienstrukturen mit all seinen Konsequenzen für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen hat auch Einfluss auf die Entstehung von Adipositas. Immer mehr Alleinerziehende sehen
sich den Anforderungen einer technisierten, individualisierten und globalisierten Umwelt gegenüber. Zur
Beruhigung des „Schlechten Gewissens“ erkaufen sich die überforderten Erziehenden durch Fast-Food,
Fernsehkonsum und Videospiele die Anerkennung ihrer Kinder, denn immer mehr Kinder sind sich tagsüber allein überlassen, weil die Erziehungsberechtigten arbeiten gehen. Diese Freiheit birgt die Gefahr
der Orientierungslosigkeit und Unsicherheit in sich, da bindende Werte und Normen zunehmend fehlen.
Dass der Faktor Bewegungsmangel als Ursache alleine für die Entstehung von Übergewicht bzw. Adipositas nicht geltend gemacht werden kann, wurde im entsprechenden Teil der Arbeit und der Diskussion
dargelegt. Es lassen sich aber auch hinsichtlich der anderen Faktoren keine monokausalen Erklärungsansätze formulieren.
Kalorienaufnahme und Häufigkeit von Mahlzeiten sind in hohem Maße von emotionalen Faktoren und
Lernprozessen beeinflusst, welche bereits im Kindes- und Jugendalter manifestiert werden. Hierbei sind
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die Eltern die Vorbilder. Wie erwähnt, finden sich in der Literatur sehr gegensächliche Meinungen zum
Zusammenhang von Übergewicht bzw. Adipositas und körperlicher Inaktivität. Auch diese Arbeit bestätigt
dies. Es kann jedoch festgehalten werden, dass sich die Entstehung von Übergewicht und Adipositas
nicht monokausal erklären läßt, sondern eher als Ursachenkomplex zu betrachten ist.
Gegen die Vermutung eines einfachen, ursächlichen Zusammenhangs von Adipositas und Übergewicht
bei Jugendlichen sprechen die Ergebnisse dieser Arbeit. Die hier befragten Übergewichtigen unterscheiden sich nicht signifikant in ihrer Einstellung zum Sport und zur körperlichen Aktivität von der Vergleichsgruppe der normalgewichtigen Jugendlichen. Im Gegenteil lassen sich in einzelnen Parametern Tendenzen erkennen, in denen die übergewichtigen Jugendlichen sich bezüglich ihrer körperlichen Aktivitäten
positiv von der Referenzgruppe abheben.
Die Unterstellung eines generell negativen Trends hinsichtlich Bewegungsaktivität der Jugendlichen allgemein lässt sich in der Arbeit auch nicht bestätigen. Neben dem Bewegungsmangel gibt es weitere Faktoren, die eine bedeutende Rolle bei der Entstehung von Übergewicht und Adipositas spielen. Aufgrund
dieser Faktorenvielfalt ist es auch schwer, allgemein gültige Aussagen über einen UrsacheWirkungszusammenhang zu treffen.
Zusammenfassung
Die Zunahme von Übergewicht und Adipositas gerade bei Kinden und Jugendlichen in Deutschland ist
ein viel diskutiertes Thema. Vor allem körperliche sowie sportliche Inaktivität von Kindern und Jugendlichen werden dafür verantwortlich gemacht.
An diesem ursächlichen Zusammenhang zwischen Bewegungsmangel und Adipositas werden allerdings
in Literatur auch Zweifel geäußert, unter anderen von KLEIN (2006) und HÜTTLIN (2008). Die vorliegende Arbeit soll daher eine verknüpfende Betrachtung der Befunde zu motorischen Aktivitäten und Adipositas zusammen mit anderen wichtigen Determinanten wie die des sozialen Umfeldes, der Veranlagung
und der Ernährung leisten. Ziel war es dabei, anhand eines Bewegungsfragebogens die Einstellung von
Kindern unterschiedlicher Gewichtsklassen hinsichtlich ihrer körperlichen Aktivitäten zu vergleichen.
Hierzu wurden Kinder an einer Spezialklinik zur Behandlung chronischer Erkrankungen für Jugendliche
und Schüler einer Hauptschule mittels Fragebogen befragt. Auch sozioökonomische Indikatoren wie Einkommen und Bildungsstand der Eltern wurden erhoben.
Bei der Daten-Auswertung ergab sich ein eindeutiger Zusammenhang zwischen den sog. Body Mass
Index (BMI)-Werten der Mütter und ihrer Kinder sowohl für die übergewichtigen als auch für die normalgewichtigen Jugendlichen. Zusammenhänge zwischen sozialem Status und dem Auftreten von Übergewicht bzw. Adipositas konnten in der Datenanalyse nicht bestätigt werden. Die Ergebnisse hinsichtlich
eines Zusammenhangs zwischen Übergewicht und körperlicher Inaktivität dagegen waren eindeutig:
Es stehen 58,6 Prozent der Übergewichtigen gerade 60 Prozent der Normalgewichtigen gegenüber,
wenn es darum geht, sich gerne körperlich zu betätigen. Hier ist deutlich kein Unterschied in der Einstellung bezüglich der körperlichen Anstrengung zu erkennen. Selbst 42,9 Prozent der adipösen Jugendlichen strengen sich noch „gerne“ an. Auch die nachlassenden Mitgliedszahlen in Sportvereinen werden
häufig in der Diskussion um mangelnde körperliche Aktivität der Kinder und Jugendlichen angeführt. Diese Behauptung lässt sich anhand der empirischen Ergebnisse wiederum nicht bestätigen. Sowohl ein
Drittel der übergewichtigen als auch der adipösen Jugendlichen gibt an in mindestens zwei Vereinen zu
sein.
Hinsichtlich ihrer Einstellung gegenüber körperlichen Aktivitäten unterschieden sich die übergewichtigen
in den untersuchten Stichproben demnach nicht eindeutig von den normalgewichtigen Jugendlichen.
Damit schließt sich diese Arbeit in ihren Ergebnissen den o. g. Arbeiten von KLEIN sowie HÜTTLIN an.
Aufgrund der niedrigen Fallzahl stellen die gefundenen Zusammenhänge bzw. Unterschiede allerdings
keine repräsentativen Ergebnisse dar; sie zeigen lediglich Tendenzen auf. Sie werfen allerdings ein aussagfähiges Schlaglicht in die Komplexität der Unsachen für die Entstehung von Übergewicht und Adipositas.
Dateiname Ulmer:
Kurzfassung Lipp f. Homepage 19.04..doc
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