Brigitte Zuber Gymnasiale Kunsterziehung der NS

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Brigitte Zuber
Gymnasiale Kunsterziehung der NS-Zeit. Das Beispiel München.
Erstveröffentlichung 2007
(Der Abschnitt diskutiert die Rezeption und Verbindung der nationalsozialistischen
Kunsterziehung [in München] zur nicht nur regional nahen Britsch-Kornmann-Schule)
(Auswahl AG Kirschenmann/Skladny/Stehr)
Da Kornmann gleichzeitig die »echte« deutsche Volkskunst als anzustrebendes Endergebnis der
Fortführung der »reinen Gestaltung des Kindes« ansah, verstärkte er automatisch den Mythos der
deutschen Volkskunst – und damit die einschlägige Bedeutung für die Hybris der Nazis. (Bekanntlich
hat niemand sonst so sehr die Reinheit – des Blutes, der Rasse, der deutschen Kunst, der deutschen
Frau usw. – postuliert wie die Nazis. Bekanntlich wurde die »Unreinheit der Juden« eine Begründung
für ihre Vernichtung.) Kornmann war kein Rassist, er war »nur« deutschnational eingestellt. Und doch
zeigte sich in den folgenden Jahren, wie sehr seine Betonung der Klarheit und Ordnung, des Echten,
Wahren und Reinen den Nazis dienstbar wurde. Kornmanns Leitbegriffe entsprachen einer vielfältigen
und überall in den Kulturwissenschaften vor 1933 schon zu beobachtenden Ordnungssemantik. Und
überall trugen »die Konzepte der beteiligten Disziplinen dafür Sorge, dass auf der einen Seite
ausgelesen und auf der anderen Seite ausgemerzt wurde, was die gewünschten Zustände bedrohen oder
ihnen im Wege sein konnte«.1
Hanns Egerland, einer der engsten Freunde von Britsch und Kornmann, einer »der Treuesten«2, zog
eine interessante Verbindungslinie zwischen Britsch und Orientierung suchenden deutschen
Frontsoldaten: »Eine Gruppe Studenten, Frontsoldaten, die nach der Heimkehr aus dem Felde in dem
Chaos und den richtungslosen Versuchen jener Zeit für ihren Berufsweg keine Lösung sehen konnte,
fand in ihm einen klaren künstlerischen Führer und Freund, der ihre Arbeit wieder sinnvoll machte,
denn mit dem Rüstzeug, das er schuf, erschloß sich ein neuer Weg unseres Volkes zu einer echten,
wahren, artgebundenen deutschen Volkskunst.«3 Egerlands Beschreibung könnte auf Fritz von
Graevenitz, Hans Herrmann und andere Frontkämpfer wie Andreas Scherr zutreffen. Kornmanns
Ordnungsauffassungen jedoch waren nicht deutschmilitaristischer Erziehung oder wirtschaftlicher
Existenznot geschuldet, sie speisten sich mehr aus einer neoklassizistischen schöngeistigen
Begriffswelt. Als sich Kornmann 1929 mit den »Bauhaus-Gedanken« auseinandersetzte, fand er
wieder jenes »für unsere Augen unerträgliche Durcheinander von Formen, wie wir es heute schon
überall in ›Blockmustern‹, Photomontage, Typografie und einer dieselben Tendenzen verkörpernden
Architektur sehen«.4
Kornmanns Gegenüberstellung von Technik und Kunst
In der betonten Ablehnung der modernen Technik fand durch Kornmann eine gravierende
Lutz, Raphael, Ordnung zwischen Geist und Rasse: Kulturwissenschaftliche Ordnungssemantik im Nationalsozialismus, in: Hartmut
Lehmann und Otto Gerhard Oexle (Hg.): Nationalsozialismus in den Kulturwissenschaften. Band2. Leitbegriffe - Deutungsmuster•—
Paradigmenkämpfe. Erfahrungen und Transformationen im Exil, Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte
(Band 211). Göttingen 2004, S. 133. Raphael beobachtete diese Radikalisierung und Politisierung des Ordnungsdenkens
vor allem in den Disziplinen Pädagogik, Raumforschung und Soziologie, »wo es darum ging, die Grenzen >konkreter
Ordnungen zu bestimmen bzw. zu sichern.« Die Kunstpädagogik gehört mit in diese Reihe: Die Veränderung der BritschTheorie ist dafür ein Beleg.
2 Luise Kornmann, Leben und Wirken von Gustaf Britsch. Ratingen 1952, S. 134.
3 Egerland, zit. nach Diel, Die Kunsterziehung im Dritten Reich, S. 302 f.
4 Egon Kornmann in: Mitteilungen des Gustaf Britsch-Institutes für Kunstwissenschaft, Jahrgang 2, Nummer 3, Starnberg, 27.
Dezember 1929, S. 3. Kornmann kritisierte das »technische Oekonomieprinzip«, das »dogmatisch auf das Bildend-künstlerische
übertragen« werde, weshalb z.B. keine Rahmen und Sockel mehr gebaut würden. Bei Britsch jedoch sei der »Rahmen«, das
»Negativum«, das tragende Prinzip aller Gestaltung: die »U-Verwirklichung«.
1
Veränderung der Britsch-Überlegungen statt. Weil man »den Sinn einer technischen Funktion niemals
gesichtsvorstellungsmäßig ausdrücken« könne, »kann ein solcher unmittelbarer Ausdruck niemals ein
künstlerisches Gestaltungsproblem sein«.5 Im Gegensatz zu bildnerischer Qualität, die »niemals mittelbar
reflektierend«, sondern »nur unmittelbar sehend erlebt« werden könne, sei die technische Gestaltung
»Verwirklichung einer begrifflich-wissenschaftlichen Erkenntnis über die statischen und energetischen
Eigenschaften der Materie«. Und »Eigenschaften wie Schwere, Festigkeit, Energie« könne man »gar
nicht unmittelbar sehen« (»man kann sie nur wissen«). Kornmann war sich be-wusst, dass er in der
schwelenden Auseinandersetzung der Moderne die traditionalistische Extrem- und Abwehrposition
einnahm: »Ich weiß, wie sehr diese Feststellung heutigen Auffassungen widerspricht. Aber ich glaube,
daß gerade heute diese ungeklärten Begriffe von der Schönheit des Technischen, vom Ausdruck der
Funktion u.a. dringend der geisteswissenschaftlichen Klärung bedürfen. Und ich glaube, daß es gerade
eine Aufgabe der theoretischen Kunstwissenschaft ist, den Begriff der künstlerischen Qualität rein und
lebendig zu erhalten.«6 Kornmann verfestigte damit die Ansicht, die er schon 1926 als Britsch-These
ausgab: »Daß es also keine >Ingenieur-Ästhetik< gibt, sondern nur Technik - das ist Wissenschaft - auf
der einen, und bildende Kunst auf der andern Seite. Die beiden können sich nicht >durchdringen<,
sondern sie können nur nebeneinander am selben Objekt verwirklicht werden. Je mehr aber die Form
das Ergebnis der Berechnung des Ingenieurs wird, desto weniger Spielraum bleibt dem Künstler [,..].«7
Die starre Entgegensetzung von industrieller Technik und Kunst, von Ingenieur und Künstler,
beinhaltete eine Richtungsentscheidung, mit der Kornmann sich und das von ihm 1919 mitgegründete
Gustaf Britsch-Institut für Kunstwissenschaft in Starnberg zu einem Zeitpunkt eindeutig positionierte,
an dem der bekannte »Kulturkampf« zwischen Rosenberg und Goebbels zwar noch nicht
institutionalisiert war, an dem aber diese Positionierung bereits eine politische Dimension annahm und
eine weitere Weichenstellung für die Rosenberg'sche völkische Heimatkunst auf der Grundlage der
Blut-und-Boden-Ideologie bedeutete. (Wie sehr diese Einschätzung zutrifft, ist in dem Kapitel II. 9.3
nachlesbar, wo Hans Herrmanns »Traktat über Kunst und Photographie« besprochen wird – er hatte es
1938 unter dem Pseudonym Hans Flüggen8 veröffentlicht: Offen, mit dem eigenen Namen »eine
widernatürliche Entwesung des Auges« zu beklagen, das schien ihm zu diesem Zeitpunkt angesichts
der für das Kriegführen angesagten Technikverherrlichung wohl zu schwierig.) Kornmann hatte
bereits 1926 die Denkgemeinschaft der Menschen eines Bildungskreises hinsichtlich bildender Kunst«
gefordert: »Lebendig« sei eine solche »z.B. unter Bauernstämmen, wo das einfache Holzgerät unter
den Händen der Männer ebenso zum Kunstwerk wird [...] wie die Web- und Nadelarbeiten unter den
Händen der Frauen [...]«, eine »Volkskunst im tiefsten Sinne des Wortes«.9 In der »Theorie der
bildenden Kunst« druckte Kornmann einen Anhang mit »Aufzeichnungen Gustaf Britschs« ab. Im
Theorie-Nachlass von Britsch ließ sich jedoch bis jetzt kein Beleg dafür finden, dass folgende Aussage
von Britsch selbst stammt: »Die Forderung zur Einheitlichkeit im künstlerischen Denken fuhrt zur
Volkskunst im eigentlichen Sinn als selbstständiger künstlerischer Leistung einer
Egon Kornmann in der Prager Rede 1928, in: Kunst und Jugend, a.a.O., S. 263.
Ebd.
7 Kornmann, Theorie der bildenden Kunst, S. 128.
8 Hans Herrmann alias Hans Flüggen, Traktat über Kunst und Photographie, München 1938, Seite25. .Hans Flüggen war nicht nur
Deckname, sondern der Landschaftsmaler, der (wie Eleonore Weindl, Leiterin des Gestalt-Archivs Hans Herrmann e.V.,
gegenüber der Verfasserin bestätigte) das Erscheinen des Traktats unter seinem Namen erlaubte. Flüggen war 1934/35 Mitglied
im NS-gleichgeschalteten Münchner Stadtrat und Leiter der Abteilung Kunst im städtischen Kulturamt; gemeinsam mit
Kulturamtsleiter Zöberlein setzte er sich hier z.B. für die Konzeption einer nationalsozialistischen Ausstellung »1000 Jahre
Deutsche Kultur« ein, die vom Zeichenlehrer Josef Buchner aus Dillingen eingereicht worden war. Die Ausstellung sollte eine
allein nach rassischen Kriterien zu deutende Kunstgeschichte präsentieren. Originalton Buchner: »Die Wissenschaft hat weiter die
Erkenntnis zu begründen, daß der Nationalsozialismus eine aus den Werten der Rasse und Bodenverbundenheit geistig
regenerierte, im Lebensgefühl wiederum deutsche Kunst fordert. [...] Die Ausstellung muß wirklich die erlesenste Auswahl
deutschen Kunstgutes darstellen, die möglich ist. Sie wird damit erstmalig ein Bild deutscher Kunst geben, wie es vom Blickpunkt
des nationalsozialistischen Staates aus gesehen wird.« Zit. nach Stefan Schweizer, »Unserer Weltanschauung sichtbaren Ausdruck geben«.
Nationalsozialistische Geschichtsbilder in historischen Festzügen zum ›Tag der Deutschen Kunst‹, Göttingen 2007. Siehe auch StAM, Kulturamt
vor 1945, Nr. 665.
9 Kornmann, Theorie der bildenden Kunst, S. 130.
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Volksgemeinschaft.«10
In München standen sich also die an der Technischen Hochschule eingebürgerte technisch rigide
Zeichen- und Kunstausbildung und die von der Starnberger Schule postulierte »künstlerische
Denkgemeinschaft wie solche unter Bauernstämmen« diametral gegenüber. Wie sich in der Folgezeit
zeigte, wurden beide Positionen, die in der THM propagierte »Schönheit der Technik« und die von
Kornmann und seinen Schülern geforderte »Volkskunst im tiefsten Sinne des Wortes«, von den Nazis
in Dienst genommen. Kornmanns Begriffswelt vom Erhabenen, vom »ewigen Verlangen nach
Vollkommenheit des Sichtbaren, nach Erhöhung des Lebens durch gestaltete Schönheit«11, verschmolz
mit einem Heimatbegriff, der 1937 längst von den Nazis besetzt war. In den »Mitteilungen des Gustaf
Britsch-Instituts für Kunstwissenschaft« instruierte Kornmann regelmäßig seine Leserinnen. So z.B.:
»Wer sagt: Die technischen Dinge sind so wie sie sind einfach eine sachliche Notwendigkeit, dem
kann man entgegnen: Wenn diese Werke aber das Angesicht der Heimat zerstören, wenn sie ihr die
Werte der Form-Kultur nehmen, sind sie dann noch in einem tieferen Sinn sachlich?«12 In dieser
Verbindung entstand und verfestigte sich auch Kornmanns Begriff des Musischen: So war für ihn z.B.
der »Wehrturm des 16. oder 17. Jahrhunderts« zwar ein Zweckbau, aber trotzdem »ein Stück BauKunst. An seiner Formung war das schöpferische Auge bildend beteiligt, und darum stand seine Form
in der Landschaft als ›Bild‹. Dieser musische Wert des Gestalteten aber ist einer der Werte des
Heimatlichen, ist ein ›Schatz‹, der unserem Heimatgefühl Reichtum gibt.«13
Die politische Dimension dieser Art von Verehrung der Heimat- und Volkskunst entwickelte sich im
realen Nazi-Deutschland in einer eigenen Dynamik. Bei Kornmann führte sie beispielsweise anlässlich
der Annexion Österreichs zu folgender Stellungnahme: »Das grosse Ereignis der Vereinigung
Österreichs mit Deutschland gibt auch uns Anlaß für unser besonderes Gebiet der Kunsterziehung des
Zuwachses an Werten und Kräften zu gedenken, den das österreichische Volk dem Reiche zubringt.
Denn es ist kein Zweifel, daß diesem Stamm eine besondere Begabung für das Bildnerische
eingeboren ist [...]. Wie reich z.B. die Volkskunst der Tiroler Alpenländer gewesen ist [...]. In den
holzreichen Tälern des Gebirges entwickelte sich eine starke bodenständige Kunst des bäuerlichen
Holzgerätes. Sie ist besonders reich an jenen originalen Bildungen, die nicht zurückgebildete Formen
der Hochkunst sind, sondern echte Frühkunst. Diesen Werken hat von je unser besonderes Interesse
gegolten [,..].«14 Die Freude über den Zuwachs an Werten und Kräften15 wurde offensichtlich mit
politisch opportuner Haltung erkauft.
Otfried Schütz in einem Gespräch mit der Verfasserin, Februar 2007. Siehe Punkt 10 auf S. 147 der Erstauflage 1926 der
Theorie der bildenden Kunst.
10
11
Egon Kornmann, Über die Technik in der Landschaft, in: Mitteilungen des Gustaf Britsch-Instituts für Kunstwissenschaft, Jahrgang 9, Nr.
6, Starnberg, 15. März 1937.
12
Ebd., S. 1.
13
Ebd. - Die Verbindung »musisch« mit »heimatlich«, mit »gestalteter Heimat« usw. prägte sich bei Kornmann während der NS-Zeit stark
aus. So stand neben der »soldatisch-musischen« Erziehung von Krieck und Baeumler auch der musische Heimatstrang zur Verfügung, immer
in Verbindung mit »gestalteter Schönheit« im traditionalistischen Sinn. In fast allen Mitteilungsblättern, die Kornmann bis Ende 1943 in
Starnberg herausgab, propagierte er das »Musische«. 1945 knüpfte er daran an.
14
Mitteilungen des Gustaf Britsch-Institutes für Kunstwissenschaft, 15.3.1938, S. 1.
15
»Wir freuen uns besonders, auch einige in der praktischen Arbeit stehende österreichische Lehrer zu unserem Kreis zählen zu dürfen.«
Ebd., S. 3.
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