Neue Zürcher Zeitung vom 11.09.2015, Seite 57: Ist die Alzheimerdemenz übertragbar? Im Gehirn von Personen, die an einer Prionenkrankheit gestorben sind, haben Forscher erstmals auch Alzheimer-verdächtige Veränderungen festgestellt. Diese könnten – wie die Prionen – aus einem anderen Hirn stammen. Alan Niederer Die durch Prionen ausgelöste Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJD) und die Alzheimerdemenz haben vieles gemein. Beides sind neurodegenerative Leiden, also Krankheiten, bei denen die Hirnzellen zerstört werden. Zudem ist die Ursache in beiden Fällen ein falsch gefaltetes Protein: das Prion-Protein bei CJD und das Beta-Amyloid bei Alzheimer. Möglicherweise kommt eine weitere Parallele dazu. Denn britische Forscher legen Indizien vor, die nahelegen, dass nicht nur falsch gefaltete Prionen übertragen werden können, sondern auch falsch gefaltetes Beta-Amyloid.¹ Wachstumshormon von Toten Dass dies bei Prionenkrankheiten wie der CJD möglich ist, weiss man schon länger. Dabei können die Prionen nicht nur durch den Verzehr von BSE-verseuchtem Fleisch auf den Menschen übertragen werden, sondern auch bei medizinischen Therapien. Traurige Berühmtheit erlangte in diesem Zusammenhang die Behandlung kleinwüchsiger Kinder mit humanem Wachstumshormon. Dieser Stoff wurde bis 1985 aus der Hirnanhangdrüse (Hypophyse) von Verstorbenen extrahiert und den Patienten in den Muskel injiziert. Mit dem Wachstumshormon sind in manchen Fällen auch Prionen auf den Empfänger übertragen worden. Allein in Grossbritannien sind bis heute 77 Personen gestorben, die auf diese Weise mit CJD angesteckt wurden; weltweit sind es mehrere hundert. Dass mit dem Wachstumshormon aus Spender-Hypophysen auch die Alzheimerkrankheit übertragen werden könnte, darüber wird unter Experten schon länger diskutiert. Um hier Licht ins Dunkel zu bringen, haben John Collinge vom University College London und Kollegen die Gehirne von acht kürzlich verstorbenen CJD-Patienten untersucht. Die Patienten waren zwischen 36 und 51 Jahre alt geworden und hatten vor über 30 Jahren humanes Wachstumshormon erhalten. Obwohl bei keinem zu Lebzeiten eine Alzheimerdemenz diagnostiziert worden war, liessen sich bei sechs von ihnen nicht nur Prionen, sondern auch Beta-Amyloid-Depots im Gehirn nachweisen. Bei vier fanden sich die Eiweissklumpen auch in der Wand von zerebralen Blutgefässen. Ein solcher Befund ist laut den Forschern bei so jungen Personen extrem selten – insbesondere wenn, wie in diesem Fall, keine Genmutationen vorliegen, die mit einer frühzeitigen Alzheimerdemenz einhergehen. Dennoch wäre es verfrüht, schon jetzt von einem Beweis für die Übertragbarkeit von Alzheimer zu sprechen, sagt Mathias Jucker vom Hertie-Institut der Universität Tübingen, der einen Kommentar zur britischen Studie geschrieben hat, auf Anfrage. Noch gebe es Ungereimtes, das in weiteren Studien geklärt werden müsse. So liess sich etwa in den Gehirnen der Verstorbenen kein TauProtein nachweisen, das ebenfalls zum Vollbild der Alzheimerkrankheit gehört. Es sei möglich, so die Studienautoren, dass sich das Eiweiss erst noch gebildet hätte, wären die Patienten nicht so früh gestorben. Medizinischer Indizienprozess Für die Forscher ist es jedenfalls plausibel, dass das nachgewiesene Beta-Amyloid – wie die Prionen – aus der Hypophyse der Hormonspender stammt. Einem Saatkorn gleich soll das falsch gefaltete Amyloid im Empfängerhirn das natürliche Amyloid «angesteckt» und verklumpt haben. Dass das möglich sein könnte, dafür spricht vieles. So finden sich bei etlichen Alzheimerpatienten die Beta-Amyloid-Klumpen in der Hypophyse. Zudem liess sich falsch gefaltetes Beta-Amyloid bei Primaten und Mäusen bereits experimentell übertragen. Die Weitergabe funktionierte selbst dann, wenn das kontaminierte Gewebe nicht direkt ins Gehirn, sondern in die Bauchhöhle injiziert wurde; das Beta-Amyloid gelangte dann über das Blut ins Hirn. Dass eine solche Übertragung – zum Beispiel bei einem neurochirurgischen Eingriff mit unvollständig sterilisiertem Operationsbesteck – auch beim Menschen passieren könnte, dafür liefert die neue Studie erstmals beunruhigende Hinweise. Bei aller Sorge darf aber nicht vergessen werden, dass Prionenkrankheiten und Alzheimer keinesfalls ansteckende Leiden sind, die sich direkt von Mensch zu Mensch übertragen lassen. ¹ Nature, Online-Publikation vom 9. 9. 15.