EDITORIAL Schweiz Med Forum Nr. 10 6. März 2002 217 BSE und die variante Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJD) W. Schmid Die Rolle des VM-Polymorphismus in Codon-129 des menschlichen Prion-Gens Professor Werner Schmid ist am 3. Januar dieses Jahres überraschend verstorben. Er hat in den vergangenen Jahren in der Schweizerischen Medizinischen Wochenschrift mit seinen Mitarbeitern wiederholt wertvolle Beiträge zur Genetik verfasst. Die Publikation dieses, seines letzten Manuskriptes hat sich aus verschiedenen Gründen verzögert. Der Tod hat die vorgesehene Überarbeitung verhindert. Die Redaktion bedauert den Verlust und publiziert dieses Editorial im Andenken an unseren Kollegen in seiner ursprünglichen Fassung. Korrespondenz: Dr. med. dipl. Nat. ETH Roland Spiegel FMH/FAMH Medizinische Genetik Genetica AG Weinbergstrasse 9 CH-8001 Zürich Das unerhörte Gewicht der BSE-Krise beruht auf der Angst der Menschen vor der tödlichen Infektion mit BSE-verseuchtem Rindfleisch. Die Ansteckung durch die «verdrehten» Prionen BSE-kranker Rinder hat zu den über 110 Fällen von vCJD, vor allem in England, geführt. Infiziert haben sich diese meist jugendlichen Patienten 1985–1989, also zu einer Zeit als vCJD noch völlig unbekannt war. Der erste klinische Fall trat 1996 auf. Das infektiöse (Hack-)fleisch enthielt damals wohl noch ganze erkrankte Tiere samt allen Risikoorganen. Tiermehl wurde erst ab 1989 nicht mehr an Wiederkäuer verfüttert. In der Humanmedizin gehören die Prionenkrankheiten, ihrer Seltenheit wegen, zu den Exoten. Spezialisten kennen ihrer sieben: vier Kategorien der CJD, die Gerstmann-SträusslerKrankheit, die «fatal familial Insomnia» und Kuru. CJD teilt sich auf in spontane (sporadische), vererbte und iatrogene Krankheiten und jetzt noch die vCJD. Die spontanen Fälle treten fast ausschliesslich im höheren Alter auf. Die Häufigkeit beträgt weltweit etwa 1 auf 1 Million. Oft findet man in ihrem Prion-Gen, auf Chromosom 20, eine «krankmachende» Mutation, die an verschiedenen Stellen lokalisiert sein kann. Allerdings wäre es unrealistisch zu glauben, jedes von solchen Genen produzierte Prion sei verdreht; sonst würde es bis zum Ausbruch der Krankheit nicht so lange dauern. Viel eher gestattet es eine solche Mutation, dass sich im Laufe des Lebens gelegentlich ein paar Prionen «spontan» verdrehen können und dann pathogen werden. Das heisst, sie werden dann zur Ma- trize für die normalen Prionen, werden Protease-resistent und verursachen die spongiforme Enzephalopathie. Der gleiche Sachverhalt dürfte bei den vererbten CJDs vorliegen, bei denen man ganze Stammbäume mit unregelmässig dominanter Vererbung kennt. An dieser Stelle sei daran erinnert, dass sowohl bei BSE wie bei den menschlichen Prionenkrankheiten noch gewaltige Wissenslücken bestehen. Direkte Vererbung aufgrund von Mutationen im Prion-Gen spielt aber in der Epidemiologie der menschlichen Prionenkrankheiten eine untergeordnete Rolle. Allerdings standen «spontane» Fälle von CJD am Beginn der «Epidemien» sowohl bei den iatrogenen Fällen (Wachstumshormon aus Leichenhypophysen) als auch bei Kuru auf Neuginea. Aktuell steht aber bei der vCJD ein anderer genetischer Faktor ganz im Vordergrund: Der VM-Polymorphismus im Codon 129 des PrionGens. Dieses Codon codiert entweder für die Aminosäure Valin (V) oder Methionin (M) im Prion-Protein. Rund 40% der Westeuropäer sind homozygot für Methionin/Methionin (MM), 50% heterozygot für VM und 10% homozygot für VV. Ohne Infektion mit pathologischen Prionen ist dieser Polymorphismus offenbar belanglos. Bei den über 100 iatrogenen, durch verunreinigtes Wachstumshormon ausgelösten Fällen fand man, dass die meisten Kranken den seltenen Genotyp VV hatten. Bei den vCJD-Fällen hatten bisher alle 87 einwandfrei diagnostizierten, molekulargenetisch untersuchten und publizierten Fälle den Genotyp MM. Man kennt keine einzige Erkrankung bei den Genotypen VM und VV. Praktisch hat das die Bedeutung, dass die MMGenotypen beim Konsum von Rindfleisch, was dessen Herkunft anbelangt, vorsichtig sein sollten, während die VM- und VV-Genotypen auf der sicheren Seite stehen. Den Genotyp bestimmt man gewöhnlich aus etwas Kapillarblut; die Untersuchung (DNA-Extraktion, PCR, und Restriktionsverdau) dauert wenige Tage und kostet etwa 140.– Fr. Sie wird von Laboratorien in Zürich, Lausanne und München angeboten. Auf den Einwand, man sei nicht sicher, ob die Krankheit bei den VM- und VV-Genotypten nicht noch später, nach 10–30 Jahren auftreten EDITORIAL könnte, lässt sich erwidern, dass die menschlichen Prionenkrankheiten klinisch und bezüglich ihres Verhaltens zum Codon 129-Polymorphismus durchaus verschieden sind. Der Einwand ist somit rein hypothetisch und könnte nur durch langes Abwarten bewiesen werden. Auf der Höhe der BSE-Krise 10–30 Jahre abzuwarten, ist fragwürdig. Bis BSE nur in Westeuropa ausgerottet sein wird, wird es aufgrund der Betrügereien, die man seit letztem Herbst kennt, noch etliche Jahre dauern. Grosse Angst macht der Gedanke Schweiz Med Forum Nr. 10 6. März 2002 218 an BSE in Osteuropa, Asien und andern Kontinenten. Während es bei uns sichere Quellen für BSE-freies Rindfleisch gibt, sieht es bei Reisen ins Ausland ganz anders aus. Deshalb ist ein rationales Verhalten zum eigenen Schutz und demjenigen der Kinder, also die Kenntnis der Genotypen, ein dringendes Gebot der Vernunft. Der Arzt muss sich auch darauf gefasst machen, dass er von seinen Patienten über das Problem befragt wird und er mit stichhaltigen Argumenten zu fechten im Stande sein muss.