Industrie-Applikationen 378 BSE – eine Rinderseuche verändert die Gesellschaft Dr. Burkhard Ziebolz Science Communications, Roche Diagnostics E Als 1985 erstmals eine neuar- tige neurologische Erkrankung bei Rindern in Großbritannien beobachtet wurde, war niemandem die Tragweite dieser Beobachtung klar. Die erkrankten Tiere zeigte ängstliche bzw. aggressive Reaktionen, ihr Gang wirkte unkoordiniert, und sie stürzten sogar. Außerdem reagierten sie extrem empfindlich auf Berührung und Geräusche. Die Krankheit endete nach ein paar Monaten mit dem Tod der Tiere. Bei der Untersuchung der Kadaver fanden sich schwammartige („spongiforme“) Veränderungen im Zentralnervensystem – das gab der Krankheit den Namen Bovine Spongiform Encephalopathy (BSE). Die Symptome waren ähnlich der Scrapie, einer schon seit längerer Zeit bekannten Krankheit bei Schafen und Ziegen. Wie entstand BSE, und wie verbreitet sich diese Krankheit? Neuere Untersuchungen führen BSE auf veränderte Bedingungen in der britischen Tierkörperbeseitigung bzw. -verwertung zurück. Offenbar wirkten dabei mehrere Faktoren zusammen – die hohe Scrapie-Inzidenz, die Verfütterung von Tierkörpermehl an Wiederkäuer, sowie Veränderungen in der Tierkörpermehlproduktion. Über die Verfütterung infektiösen Tiermehles wurden „Rinder-adaptierte ScrapieErreger“ von Schaf auf Rind übertragen. In Großbritannien kam es in der Folge zu einem seuchenartigen Auftreten der BSE, das in den Jahren 1992/93 seinen Höhepunkt erreichte. In einer Reihe anderer Länder wurden ebenfalls BSE-Fälle nachgewiesen. Seit 1994 gehen die BSE-Fälle statistisch zurück, eine Folge des Verbotes der Tiermehlfütterung an Wiederkäuer. BSE gehört zu den sogenannten „Transmissiblen Spongifor- men Enzephalopathien“ (TSE), von denen auch andere Tierarten befallen werden können. Die oben beschriebene Scrapie (engl. to scrape = sich kratzen) wurde bei Schafen und Ziegen schon 1732 in England bzw. 1759 in Deutschland beobachtet. Wie sie übertragen wird, ist zum Teil noch unklar. Die Infektion vom Muttertier auf das Lamm könnte über die Plazenta laufen; auch über die Milch wäre eine Infektion möglich, wurde aber bisher nicht nachgewiesen. Innerhalb einer Herde dürfte sich Scrapie hauptsächlich dadurch verbreiten, dass infektiöse Nachgeburtsteile gefressen werden. Die Empfänglichkeit jedes Tieres für Scrapie wird durch eine Kombination genetischer Einflüsse und verschiedener Erregervarianten beeinflusst. TSE kommt auch bei anderen in Gefangenschaft gehaltenen Tieren vor. In allen Fällen geht man von einer Infizierung über das Futter aus. Bei Nerzen tritt sporadisch TME (Transmissible Mink Encephalopathy) auf (erstmals 1947 in den USA beobachtet); einige Antilopenarten wie Nyala oder Großes Kudu in britischen Zoos sind ebenfalls von einer TSEForm betroffen, und FSE, Feline spongiforme Enzephalopathie, tritt offiziell seit 1990 in Großbritannien bei Hauskatzen sowie Raubkatzen in Zoos auf. Einige Wildwiederkäuer in bestimmten Regionen Colorados und Wyomings erkranken an Chronic Wasting Disease (CWD), einer eigenständigen Form der TSE. Die Krankheit wurde sowohl bei freilebenden als auch in Gefangenschaft gehaltenen Tieren festgestellt, daher kann ein Zusammenhang mit der Verfütterung von Tierkörpermehlen wohl ausgeschlossen werden. Aber auch der Mensch ist be- Abb.1: Schematische Darstellung des Prionics-Check (Bildnachweis: Prionics AG, Zürich) troffen, die Folgen für die Gesellschaft sind unübersehbar. BSE hat unser Ernährungsverhalten so schnell verändert wie nichts anderes in den letzten zwanzig Jahren und stellt die Rindfleischproduzenten vor ernste Probleme. Mehr als 60 Prozent der Deutschen sehen in der Rinderseuche ein Risiko für ihre eigene Gesundheit, jeder zweite geht davon aus, in der Vergangenheit bereits Fleisch oder fleischhaltige Produkte mit BSE-Erregern verzehrt zu haben. 13 Prozent der Befragten wollen künftig ganz auf Fleisch verzichten. Birgt BSE wirklich eine Gefahr für den Menschen? Es gibt starke Hinweise auf einen humanpathogenen Zusammenhang. BIOspektrum . 4/01 . 7. Jahrgang Industrie-Applikationen 379 1995 trat in Großbritannien erstmals bei Teenagern eine neuartige, tödlich verlaufende Form der Creutzfeldt-Jakob Krankheit (CJD) auf. CJD war bis dato nur bei 50-75-Jährigen tödlich verlaufen. Schnell vermutet man einen Zusammenhang mit BSE, durch Infektionsversuche mit BSE und CJD erhärtete sich der Verdacht. Viele Wissenschaftler nehmen an, daß durch den Verzehr BSE-verseuchten Fleisches die neue CJD ausgelöst wird. In Großbritannien, dem „BSE-Mutterland“, sind inzwischen über 90 Menschen daran erkrankt bzw. gestorben. Ein besonders spektakulärer Fall in einem Dorf in Leichesterchire ging kürzlich durch die Presse – fünf CJD-Tote innerhalb eines Jahres, deren einzige Gemeinsamkeit ihre Vorliebe für Rindfleisch war. Als Erreger aller TSE-Erkrankungen wurden sogenannte Prionen identifiziert. Der Begriff „Prion“ stammt von Stanley B. Prusiner und steht für „proteinaceous infectious particle“. Die von ihm unterstützte Protein-only-Hypothese besagt, daß ein Protein als Krankheitserreger der BSE fungiert. Prionen werden die hauptsächlich im Zentralnervensystem und in den Lymphorganen gebildet. Jedes Tier, und auch der Mensch, hat sie normalerweise in seinem Gewebe; wozu sie gut sind, ist bis heute unbekannt. Einzelne Prionen können „entarten“, d. h. sie verän- dern ihre Form und lösen dann eine Kettenreaktion aus, die zur BSE-Erkrankung führt. Die veränderten Prionen lagern sich in großen Mengen in bestimmten Gehirnarealen an und bewirken eine langsame Degeneration des Zentralnervensystems. Da bis heute BSE im lebenden Tier nicht nachgewiesen werden kann und klinische Untersuchungen lediglich eine Verdachtsdiagnose erlauben, erfolgt der diagnostische Nachweis mittels verschiedener Verfahren im ZNS geschlachteter bzw. verendeter Tiere. Zur Bewältigung größerer Untersuchungszahlen in einem angemessenen Zeitraum wurden mittlerweile von verschiedenen Herstellern Schnelltests entwickelt. Der Prionics-Check Western, ein BSE-Test von Roche Diagnostics, wurde von der jungen Züricher Firma Prionics entwickelt. Er wird von Roche Diagnostics seit Februar 2001 in den meisten wichtigen Märkten der Welt verkauft. Die Angst geht mittlerweile nämlich nicht mehr nur in Europa um. Auch in den USA, in Australien/Neuseeland und Asien ist man besorgt; Anfragen nach dem Prionics-Check aus diesen Regionen häufen sich. Wie alle derzeit erhältlichen Tests weist der von der EU empfohlene Prionics-Check BSEspezifische Prionen im Gewebe geschlachteter Tiere nach. Der Unterschied zu anderen Tests Abb. 2: Querschnitt durch die Medulla oblongata (Stammhirn) eines Schafes mit Scrapie; 400fache Vergrößerung. In den Nervenzellen liegen Hohlräume unterschiedlicher Größe vor (Aufnahme: Dr. Dünser, Bundesanstalt für Veterinärmedizinische Untersuchungen Linz). BIOspektrum . 4/01 . 7. Jahrgang liegt in der absoluten Zuverlässigkeit; seine Sicherheit ist aber nicht der einzige Vorteil. Der Test ist außerdem einfach in der Handhabung und kommt auch mit suboptimalem, sogar mit schon zersetzem Probenmaterial zurecht, oder mit Gehirnmaterial von Tieren aus Tierkörperbeseitigungsanlagen, also auch von sogenannten „gefallenen Tieren“. Der Vertrag, den Roche mit Prionics abgeschlossen hat, umfasst nicht nur die Vermarktungsrechte für den PrionicsCheck, sondern auch eine For- schungskooperation, z.B. für die Entwicklung eines Tests zum BSE-Nachweis an der lebenden Kuh. Das eigentliche Ziel der Zusammenarbeit von Roche und Prionics ist jedoch keine Anwendung für die Tierarztpraxis, sondern ein einfaches und zuverlässiges Verfahren zur Diagnose der menschlichen Creutzfeldt-Jakob Krankheit. Dr. Burkhard Ziebolz Science Communications Roche Diagnostics Sandhofer Str. 116, 68305 Mannheim Tel. (0621) 759 8555 Fax (0621) 759 8830 [email protected]