Oktober-Revolution - Konrad-Adenauer

LÄNDERBERICHT
Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.
ITALIEN
STEFAN V. KEMPIS
18. Oktober 2007
www.kas.de
„Oktober-Revolution“ für
Mitte-Links
Mehrere Millionen Menschen haben Mitte
Wahlkampf gestärkt wurde, ist unklar,
Oktober an so genannten Vorwahlen
welche Folgen die jüngsten Vorwahlen
(„primarie“) im Mitte-Links-Lager
einmal zeitigen werden, denn die
teilgenommen. Dabei konnte sich der
Legislaturperiode endet regulär erst 2011,
Spitzenkandidat mit mehr als 74 Prozent
und im Regierungschef Prodi hatte Mitte-
überraschend deutlich gegen weitere
Links eigentlich schon einen Anführer. Hat
Kandidaten durchsetzen. Vor allem die
es jetzt zwei? Und wie werden Prodi und
hohe Wahlbeteiligung hat die meisten
Veltroni im politischen Alltag miteinander
Polit-Analysten überrascht; das
auskommen?
„Centrosinistra“ verfügt nunmehr über
einen unangefochtenen Führer. Oder doch
Erdrutschsieg für Veltroni
nicht?
Um am vergangenen Sonntag an der
Was hier auf den ersten Blick wie eine
Abstimmung teilzunehmen, reichte es aus,
Beschreibung der jüngsten Vorwahlen für
mindestens 16 Jahre alt zu sein und sich als
die Präsidentschaft der neuen
Anhänger der Linken zu fühlen; auch
„Demokratischen Partei“ wirkt, ist in
Ausländer mit Wohnsitz bzw.
Wirklichkeit eine Nachricht vom Oktober
Aufenthaltserlaubnis in Italien durften
2005. Damals wurde Romano Prodi bei den
teilnehmen. Parteibücher waren keine
ersten „primarie“ der italienischen
Voraussetzung; jeder Wähler musste
Geschichte – sie waren seine Idee gewesen
lediglich einen Euro Schutzgebühr errichten.
– zum Spitzenkandidaten bei den ein halbes
1
Jahr später anstehenden Parlamentswahlen
Millionen Menschen in etwa 12.000
gewählt; in Rom regierte noch
Wahllokalen landesweit an den „primarie“
Ministerpräsident Silvio Berlusconi.
teil.
Mittlerweile aber, im Oktober 2007, ist Prodi
die “Konstituierende Nationalversammlung“,
selbst Hausherr des „Palazzo Chigi“ – und
die aus “Linksdemokraten” (früher:
stand bei den erneuten Vorwahlen im Mitte-
Kommunistische Partei Italiens) und
Links-Lager noch nicht einmal selbst zur
“Margherita” (christlich-liberal) eine große
Wahl. Stattdessen bescherte ihm der
“Demokratische Partei” (“Partito
Urnengang vom 14. Oktober im römischen
Democratico”, PD) der linken Mitte formen
Immerhin nahmen deutlich mehr als drei
2
Dabei bestimmten sie Delegierte für
Bürgermeister Walter Veltroni einen
Kronprinzen und möglichen Konkurrenten.
Die zweiten Vorwahlen binnen zweier Jahre
1
lassen sich, abseits von den blendenden
denn auch unter der Überschrift „Betrug“, sie habe einen
Resultaten, auch als Anzeichen für eine
Immigranten fünf- und eine Minderjährige dreimal ab-
fortdauernde Krise im „Centrosinistra“
stimmen lassen.
Die rechtsgerichtete Tageszeitung „Il Giornale“ behauptet
lesen; Prodi ist es nicht gelungen, seine
Partner dauerhaft an sich zu binden,
2
sondern muss von nun an mit einer
zwei Komponenten der künftigen „Demokratischen Partei“,
„Cohabitation“ im eigenen Lager leben.
haben zusammen etwas mehr als eine Million an einge-
Anders als 2005, als Prodi durch die
schriebenen Mitgliedern.
„primarie“ für einen bevorstehenden
Zum Vergleich: “Linksdemokraten” und “Margherita”, die
2
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ITALIEN
sollen. Außerdem obliegt ihnen auch die
Sieg hat sich Veltroni zu einer gewissen
Wahl des künftigen “politischen Sekretärs”,
Zweigleisigkeit bekannt: Er werde die
also Führers der entstehenden Partei.
3
Vorzeichen“ bis zum Ende der
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Regierung Prodi „unter reformistischem
Schließt man nun von den bei den
Legislaturperiode stützen. Gleichzeitig
“primarie” bestimmten Wahlmännern auf ihr
müsse die entstehende Partei aber als „eine
Abstimmungsverhalten, so ergibt sich
neue Kraft“ erkennbar werden und daher
folgendes Bild:
Zeichen des „Wandels“ und der
„Diskontinuität“ setzen: „Das erwarten sich
•
75,74 Prozent für Walter Veltroni;
die Menschen, die für uns gestimmt haben.“
•
13,91 Prozent für
Prodi und Veltroni haben in den letzten
Familienministerin Rosy Bindi, die
anderthalb Jahrzehnten in der Regel gut
nach Ansicht vieler Beobachter von
zusammengearbeitet, doch eine gewisse
Prodi in Stellung gebracht worden
Konkurrenz zwischen ihnen war
war, um dem künftigen
unverkennbar. So lässt der römische
Konkurrenten Veltroni nicht
Bürgermeister wissen, dass „halb Italien“
kampflos das Feld zu räumen;
ihn seinerzeit gedrängt habe, an Prodis
10,15 Prozent für den
Stelle bei den Parlamentswahlen vom
Untersekretär im Amt des
letzten Jahr gegen Ministerpräsident Silvio
Ministerpräsidenten (eine Art
Berlusconi anzutreten.
•
5
Kanzleramts-Minister) Enrico Letta
•
und weit abgeschlagen die wenig
Die hohe Zustimmungsrate für den 52-
bekannten Mario Adinolfi (0,14
jährigen Veltroni entspricht den
Prozent) und Piergiorgio Gawronski
Erwartungen, die der eher für leisere Töne
(0,06 Prozent).
bekannte bisherige Linksdemokrat in den
letzten Jahren zu wecken gewusst hat.
Veltronis Ergebnis ist ein Triumph; für ihn
Veltroni hat als römischer Bürgermeister
haben, wie der “Corriere della Sera”
nicht nur ein großes Kino-Festival in seiner
feststellt, in etwa genauso viele Wähler
Stadt begründet, das mit Venedig
gestimmt wie bei Prodis “primarie” vor zwei
konkurriert, sondern die Einwohner der
Jahren – “und damals stimmte die ganze
Hauptstadt durch zahlreiche, oft sehr
Koalition ab”, nicht nur die Anhänger von
phantasievolle Initiativen für eine bessere
„Linksdemokraten“ und „Margherita“. “Kein
Infrastruktur, mehr Fußgängerzonen und
Wunder, dass Prodi von (seiner
höhere Lebensqualität für sich
Heimatstadt) Bologna aus nach Rom
eingenommen. Im Lauf seiner politischen
stürzte, um die Bühne zu besetzen.” So
Karriere verstand er es immer wieder,
sehr Veltroni jetzt auch Treue zur Regierung
Kräfte der Zivilgesellschaft hinter sich zu
schwöre und Prodi auf gute
scharen.
Zusammenarbeit setze: “Der Dualismus ist
ein Faktum. Die Frage ist, wer von jetzt an
die Richtung diktiert.”
4
Die “Unità” spricht
Viele Italiener haben angesichts der
„primarie“ zum ersten Mal seit Jahren das
von einer “Oktober-Revolution”, ein Titel,
Gefühl, dass man aus anderen europäischen
der impliziert, dass der gestürzte Zar
Hauptstädten einmal nicht mit Häme,
niemand anderes als Prodi ist. Bei einer
sondern mit Bewunderung und Interesse
Pressekonferenz am Morgen nach seinem
nach Rom blickt. Nur selten in den letzten
anderthalb Jahrzehnten, also seit dem
Untergang der „Democrazia Cristiana“, ist
3
Die “Konstituierende Nationalversammlung”, von der am
14. Oktober etwa 2470 Mitglieder gewählt wurden, soll
später urch Vertreter der italienischen Regionen auf ca.
ein solches Gefühl des Aufbruchs durch
Italien gegangen. Wie Veltroni, der entrückt
wirkende Versöhner, sind in den letzten 15
2.800 Delegierte aufgestockt werden.
4
Corriere della Sera, 15.10.07.
5
F. Ceccarelli in: La Repubblica, 16.10.07
3
Jahren auch Berlusconi und Prodi gleichsam
zum ersten Mal zusammentreten, übrigens
von außen in die italienische Politik
in Anwesenheit Prodis; dabei steht als
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hineingekommen: Antworten auf das
erstes die Wahl Veltronis zum Parteiführer
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tiefsitzende Misstrauen vieler Italiener
an, die nach seinem Erfolg bei den
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ihrer Berufspolitiker.
Vorwahlen nur noch eine Formalität ist. Die
Der neue Chef des „Partito Democratico“
Wahl des Tagungsortes, die Veltroni gegen
hat sich bisher auf erstaunliche Weise den
Bedenken Prodis durchsetzte, soll das
Eindruck des Outsiders im politischen
Interesse von Mitte-Links am Norden zeigen
Geschäft, des unverbrauchten Neulings
und den Willen, ihn nicht Silvio Berlusconis
bewahren können; die Gefahr ist allerdings,
„Forza Italia“ und deren Verbündeten zu
dass sich dieser Effekt genauso schnell
überlassen. Danach wird die Versammlung
abnutzt wie bei Berlusconi und Prodi. Zumal
ein Komitee von voraussichtlich 200
Veltroni ja in Wirklichkeit schon eine lange
Delegierten bestimmen, die ein Statut
politische Karriere hinter sich hat: Seit
entwerfen sowie Änderungen am Manifest
zwanzig Jahren im Parlament, Vize-
vornehmen sollen. Aus diesem Komitee
Regierungschef im ersten Kabinett Prodi von
könnte nach einer derzeit viel diskutierten
1996 bis 1998, politischer Führer der
Variante auch eine Art „national committee“
„Linksdemokraten“ bis 2001, seitdem
nach US-Vorbild werden, also ein
Bürgermeister von Rom.
Führungsgremium der Partei. Vor allem wird
gegen die „Kaste“
der „Partito Democratico“ darüber
Sieht man sich die Listenverbindungen der
entscheiden müssen, ob er sich auf
Wahlmänner an, die für Veltroni antraten,
europäischer Ebene mehr zur
dann fällt auf, dass der größte Teil (39
christdemokratischen oder eher zur
Prozent) auf die “Democratici con Veltroni”
sozialistischen Parteienfamilie hinorientiert.
entfällt – eine Gruppe, die den katholischen
An dieser immer noch ungelösten Frage
Politiker Dario Franceschini zum
hatte sich in den letzten Monaten ein
Bezugspunkt hat. Franceschini ist der
heftiger Streit zwischen „Linksdemokraten“
Hoffnungsträger derjenigen, die sich vom
und „Margherita“ über die Seele des „PD“
entstehenden “Partito Democratico” eine
entzündet. Im Jahr 2008 steht dann die
Neuauflage der untergegangenen
formelle Parteigründung an.
“Democrazia Cristiana” erhoffen. Weit
abgeschlagen im Vergleich: Die Links-
Der bisherige Führer der
Gruppe “A sinistra per Veltroni” um
„Linksdemokraten“, Piero Fassino, versucht,
Vinzenzo Vita (9 Prozent). Seine besten
aus der Not, nämlich der Unklarheit über die
Ergebnisse bekam Veltroni in Zentralitalien;
genaue inhaltliche Ausrichtung der neuen
in der Lombardei im Norden hingegen lag
Partei, eine Tugend zu machen:
sein Ergebnis nur bei 66 Prozent (im
„Normalerweise entstehen Parteien
Vergleich zu den über 75 Prozent
dadurch, dass einige Personen sich
landesweit).
zusammenschließen, sich ein Statut geben
und dann um Konsens und Stimmen in der
„Wir machen es andersherum“
Gesellschaft werben. Wir machen es
dagegen genau andersherum: Wir gehen
Wie geht es jetzt weiter? Ein Programm hat
von den Bürgern aus und bitten sie, von
die entstehende Mitte-Links-Partei noch
Anfang an die Hauptpersonen bei der
nicht, nur ein kurzes „Manifest der Ideen“.
Gründung des PD zu sein.“ Veltroni will jetzt
Am 27. Oktober soll in Mailand die
daran gehen, ein Team mit möglichst vielen
„Konstituierende Nationalversammlung“
neuen Gesichtern zusammenzustellen, um
zu verhindern, dass die entstehende
Bewegung von den „correnti“, also den
6
„La casta“ ist der Titel eines systemkritischen Buches,
von dem sich über eine Million Exemplare verkauft haben.
Es kritisiert an zahlreichen Einzelbeispielen, dass sich Italiens Demokratie zur teuersten der Welt entwickelt hat.
Strömungen der zwei Gründungsparteien
gelähmt wird. Von einer Art „Regie-Kabine“
aus wollen zwar die führenden
4
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Persönlichkeiten der im PD
Ansicht des „Corriere“ steht Prodi bei diesen
zusammenlaufenden zwei Parteien
7
Planungen unter dem Druck Veltronis;
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weiterhin ein wachsames Auge auf die
dieser gebe dem Premier nur etwa acht
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Baustelle der neuen Bewegung haben, aber
Monate Zeit, um wichtige Projekte wie die
Veltroni ist angeblich daran gelegen, einen
Wahlrechtsreform durchzusetzen, und wolle
künftigen Parteivorstand nicht mit den alten
dann Neuwahlen – nächstes Jahr oder
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Führern bestücken zu müssen.
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8
Dass sich
spätestens 2009.
10
Bislang hat Prodi
die „correnti“ trotz allem noch längere Zeit
öffentlich nur erklärt, dass er 2011 nicht
bemerkbar machen werden, liegt an dem
noch einmal als Regierungschef kandidieren
komplexen Erbe, das der “PD” antritt: Die
wird.
“Linksdemokraten” sind Nachfolger der kurz
nach dem Fall der Berliner Mauer
Weitere Themen, bei denen Veltroni den
aufgelösten “Kommunistischen Partei”, und
Regierungschef offenbar unter Druck setzt,
in der “Margherita” laufen, obwohl sie erst
sind eine Verfassungsreform, bei der der
vor fünf Jahren gegründet wurde, sehr viel
Weg der Verabschiedung von Gesetzen
ältere christdemokratische und liberale
drastisch vereinfacht werden soll, und eine
Traditionen zusammen.
deutliche Verkleinerung des Kabinetts. Es
sollte, so die Planspiele, um acht
In einem Brief an Veltroni hat Prodi nach
Ministerposten auf insgesamt 18 verkleinert
dessen Sieg bei den „primarie“ die
werden; die Hälfte dieser Ministerämter
Europawahlen von 2009 als ersten großen
würde der “Partito Democratico” besetzen,
Test des „PD“ markiert: „Das ist ein Termin,
die andere Hälfte stünde den neun weiteren
an dem wir nicht versagen dürfen.“ Die
Parteien zu, die Prodis Regierung tragen.
Tageszeitung „La Repubblica“ hält es für
Veltroni verspricht sich von einer
möglich, dass der Premier im gleichen Jahr
Kabinettsverschlankung ein starkes Reform-
2009, in dem Veltronis Amtszeit als
Signal.
Bürgermeister der Hauptstadt endet, dem
auch erkennen, dass es mit ihm nicht
Jüngeren auch das Amt des
unbedingt eine Fortsetzung der jetzigen 10-
Ministerpräsidenten abtreten wird.
9
Nach
11
Der Sieger der „primarie“ lässt
Parteien-Allianz der linken Mitte geben wird;
im Falle vorgezogener Neuwahlen könne der
„PD“ durchaus alleine antreten und dabei 37
7
Für die bisherigen “Linksdemokraten” sind das Außenmi-
bis 40 Prozent der Stimmen anpeilen.
12
nister Massimo D`Alema und Piero Fassino; für die bisherige „Margherita“ ist es Kulturminister und Vize-Premier
Francesco Rutelli.
8
Laut M.T. Meli, in: Corriere della Sera, 15.10.07, will
Veltroni daher dafür sorgen, dass Fassino 2011 Bürgermeister in Turin wird, Rutelli in zwei Jahren von neuem
Bürgermeister von Rom und Außenminister D`Alema EUAußenminister als Nachfolger Javier Solanas. U. Rosso
10
M.T. Meli in: Corriere della Sera, 15.10.07. Eine Regie-
rungskrise vom Februar 2007 hat deutlich gemacht, daß
Staatspräsident Giorgio Napolitano erst dann vorgezogenen Neuwahlen zustimmen wird, wenn die Parteien zuvor
das Wahlrecht reformiert haben.
nennt in der „Repubblica“ vom gleichen Tag folgende Strömungen in der künftigen Demokratischen Partei: Die früheren Linksdemokraten unter Veltroni; die ebenfalls sehr
stark vertretenen früheren Christdemokraten um Dario
Franceschini, der von Anfang an die Allianz mit Veltroni
gesucht hat; die Prodi nahestehenden „Ulivisten“ um Rosy
11
Vgl. B. Vespa in: Panorama, 18.10.07. Infrastruktur-
Minister Antonio Di Pietro (“Italia dei Valori”) setzt sich
sogar dafür ein, die Zahl der Minister und Staatssekretäre,
die derzeit bei 103 liegt, gleich um die Hälfte zu reduzieren.
Bindi und Verteidigungsminister Arturo Parisi; die „Coraggiosi“ („Mutigen“) um Francesco Rutelli, zu denen auch
Venedigs Philosophen-Bürgermeister Sergio Cacciari und
der frühere „UDC“-Politiker Marco Follini gezählt werden;
und eine Gruppe um Enrico Letta.
12
Bei den letzten Parlamentswahlen im April 2006 kamen
die geschlossen antretenden “Linkspartei” und “Margherita” auf 31 Prozent der Stimmen zum Abgeordnetenhaus.
Im Senat hingegen, wo sie getrennte Listen präsentierten,
erreichten sie zusammen nur 28 Prozent.
9
M. Marozzi in: La Repubblica, 16.10.07.
5
manipulierte und gefälschte Wahlen an und
Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.
Auswirkungen auf die Parteienlandschaft
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ziehen damit eine Linie bis zu den
Parlamentswahlen vom April 2006, von
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Die „primarie“ haben in allen politischen
denen Berlusconi bis heute glaubt, dass
Lagern und Parteien wieder jenen
eigentlich er sie gewonnen habe.
Rückenwind gegeben, die auf
Zusammenschlüsse, Einheitsparteien und
Allerdings ist es auch Berlusconi, der als
überhaupt auf eine Vereinfachung der
geschickter Stratege schon seit längerem im
unübersichtlichen italienischen
rechten Lager eine Antwort auf die
Parteienlandschaft hoffen. Justizminister
Einigungsbestrebungen seiner Gegner
Clemente Mastella von der kleinen „Udeur“-
sucht. Weil seine Bemühungen um eine
Partei, die sich dem Einheitssog des „PD“
Mitte-Rechts-Einheitspartei (Arbeitstitel:
widersetzt hat, hofft auf eine große
“Partito della Liberta”, also “Partei der
christdemokratische Mitte-Partei; über das
Freiheit”) seit mehr als zehn Jahren
Thema führt der Politiker, der nominell dem
regelmäßig am Eigensinn seiner Partner
Mitte-Links-Block angehört, schon seit
scheitern, hat der frühere Premier für die
längerem Gespräche mit Pierferdinando
Gründung von so genannten “Circoli della
Casini, dessen „UDC“ zum gegnerischen
Liberta”, also „Freiheitszirkeln“, im ganzen
Lager zählt.
13
Mehrere Parteien und
Land gesorgt. Sie sollen jüngere Leute, die
Gruppen der radikalen Linken wollen nach
sich politisch engagieren wollen,
Angaben des Führers der „Kommunistischen
untereinander vernetzen und an den Mitte-
Neugründung“, Franco Giordano, „bis
Rechts-Block binden. Leiterin der Zirkel, die
Dezember“ damit beginnen,
von Berlusconis Verbündeten in der “Forza
Mitgliedsausweise für einen neuen Verband
Italia” und bei den anderen Mitte-Rechts-
namens „Cosa Rossa“ auszugeben. Der
Parteien mit großer Unruhe und Misstrauen
frühere Außenminister Gianfranco Fini von
beobachtet werden, ist die 39-jährige
der „Alleanza Nazionale“, einer der
medienwirksame norditalienische
beliebtesten Politiker der Rechten, der vor
Unternehmerin Michela Vittoria Brambilla,
wenigen Tagen annähernd eine halbe Million
eine “Entdeckung” Berlusconis. Mit dem
Menschen zu einer Demonstration in Rom
Aufbau der Zirkel zeigt Berlusconi, dass im
zusammenbekommen hat, hat Veltroni nach
Mitte-Rechts-Block weiterhin er das Heft in
eigenen Angaben ein Glückwunschschreiben
der Hand hat; er setzt sein „Centrodestra“
geschickt und ruft erneut nach einer
unter Einigungsdruck und lenkt nicht zuletzt
Föderation der Mitte-Rechts-Parteien, stößt
einen Teil der Aufmerksamkeit von der
damit allerdings auf Widerspruch Casinis.
gleichzeitig entstehenden „Demokratischen
Partei“ hinüber in sein Lager.
14
Interessant ist die Reaktion von „Forza
Italia“-Chef Silvio Berlusconi: Der
langjährige Ministerpräsident sieht Veltronis
Triumph als „von den Medien
aufgebauscht“: „Das ändert nichts an den
Problemen der in sich tief gespaltenen
Mehrheit, und es ändert nichts am Schicksal
Prodis, der vielleicht noch vor Dezember
stürzen wird.“ Einige Vertreter der „Forza
Italia“ sehen die „primarie“ übrigens als
14
Die Struktur der „Freiheitszirkel“ ist noch unklar, und
offen bleibt auch noch, in welchem Verhältnis genau sie
zur „Forza Italia“ und den anderen Mitte-Rechts-Parteien
stehen. Diese Unsicherheit im Bauplan hängt damit zusammen, dass noch völlig ungewiss ist, wie Italiens Wahlrecht in den nächsten Jahren aussehen wird. Die Zirkel
könnten entweder eine Kleinpartei innerhalb einer MitteRechts-Liste sein oder aber, wenn das künftige Wahlrecht
13
Für 2008 hat Mastella den Gründungskongress einer
Einheitsparteien begünstigt, zum „Behälter“ für bisherige
Zentrums-Bewegung angekündigt, die sich bei den Euro-
Mitte-Rechts-Parteien werden. „Wie jeder Unternehmer
pawahlen 2009 präsentieren soll. Als Zugpferde wünscht er
bereitet Berlusconi seine Firma auf die Bedingungen des
sich neben Casini auch den derzeitigen Leiter des Indus-
künftigen Marktes vor, wie auch immer die aussehen wer-
triellen-Verbands Luca di Montezemolo.
den“, so A. Polito in: Panorama, 30.8.07.
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Über das politische Feld im engeren Sinn
hinaus geben die “primarie” aber auch ein
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wichtiges Signal an die italienische
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Gesellschaft. Sie wirken – und das hat
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“Vorwahlen” zählen sich bei Umfragen zu
den Anhängern Grillos.
16
Ebenfalls ein wichtiges Signal gegen die
Veltroni auch am Wahlabend selbst betont –
“anti-politica”-Stimmung und gegen den
als Antwort auf die so genannte “Anti-
Eindruck der Bewegungslosigkeit im
Politik”, ein eigentlich von der Rechten
politischen System war in der Woche vor
kommendes Phänomen, das aber derzeit im
den “primarie” eine von den
Komiker Beppe Grillo eine machtvolle
Gewerkschaften durchgeführte Befragung
Stimme auf der Linken gefunden hat. Grillos
über den so genannten “Welfare”-Komplex,
Protest richtet sich vor allem gegen die
also Prodis Pläne in der Sozialpolitik; sie
hohe Zahl der Parteien, die zu breit
sind vor allem unter den linken Partnern in
angelegten Koalitionen und ständig neuem
seiner Regierungsallianz heftig umstritten.
Austarieren des internen
Das “Referendum in den Fabriken” ergab
Krääftegleichgewichts zwingt – eine schwere
trotz möglicher Unregelmässigkeiten eine
Hypothek für die Handlungsfähigkeit
deutliche Mehrheit von über 75 Prozent für
jedweder Regierung. Die Zahl der Parteien
eine graduelle Anhebung des
liegt in Italien derzeit bei 57. Mit einem
Renteneintrittsalters, wie Prodi sie wünscht;
Referendum zum Wahlrecht will eine
an ihm beteiligte sich mehr als ein Drittel
Bürgerbewegung im nächsten Frühjahr
der bei dieser Abstimmung
diese Zahl drastisch reduzieren, und laut
Wahlberechtigten.
Umfragen wollen an dem Referendum an
die 80 Prozent der Wahlberechtigten
Ausblick
teilnehmen, so dass das Quorum gesichert
Vor allem die durch Beppe Grillo artikulierte
erscheint.
anti-politische Welle ist ein Indiz für den
Eine weitere, wichtige Forderung Grillos ist,
Ernst der Krise im italienischen
dass Vorbestrafte nicht für ein
Parteiensystem. Während Berlusconis
Parlamentsmandat kandidieren dürften.
Amtszeit verdeckte die heftige Debatte um
Anders als seine zahlreichen Vorgänger auf
den Premier diese Krise, alles konzentrierte
dem Feld der „Anti-Politik“ hat Grillo über
sich auf den Konflikt Berlusconi gegen die
seinen Webblog eine schlagkräftige
anderen. Mittlerweile jedoch wird eine ganz
Bewegung hinter sich gesammelt; ihm
andere Bruchlinie offenbar: Die Politiker auf
gelang es z.B. an einem einzigen Tag,
der einen, das desillusionierte Wahlvolk auf
300.000 Unterschriften für ein Gesetz gegen
der anderen Seite.
vorbestrafte Parlamentarier
entstehenden „Demokratischen Partei“
zusammenzubringen.
15
17
Die Kreise der
Bei genauem
Hinsehen lassen sich allerdings auch die
“primarie” teilweise als Ausdruck von “AntiPolitik” begreifen, denn auch sie waren
geprägt vom Überdruss am bisherigen
Parteienwirrwarr und an den bisherigen
Führungsgestalten. Viele im Mitte-LinksLager und auch viele der Wähler bei den
16
Bei den nächsten Kommunalwahlen will Grillo „bürgerli-
che Listen“ außerhalb der etablierten Parteien unterstützen. Nach den Umfragen würden 17 Prozent für ihn stimmen, wenn er selbst bei Wahlen anträte; bei „Centrosinistra“-Wählern liegt Grillos Zustimmungsrate sogar bei 59
Prozent. Je mehr sich der Komiker allerdings auf die Politik
einlässt, desto mehr wird er auch von bisherigen Sympathisanten als politischer Führer unter anderen wahrge-
15
Grillos Webblog hat 200.000 tägliche Kontakte, 35.000
Abonnenten und mindestens 1.000 Reaktionen auf jede
nommen. Die “Anti-Politik” wendet sich also paradoxerweise auch gegen ihren wortmächtigsten Vertreter.
neue Veröffentlichung. Die Bewegung der „Grillisti“ besteht
aus 241 Gruppen in fast 200 italienischen Städten und 21
ausländischen Staaten.
17
Vgl.Corriere della Sera, 17.9.07.
7
Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.
könnten durch die Grillo-Bewegung
empfindlich gestört werden.
Die Bewährungsprobe für Veltroni könnte
18
schon bald kommen. Sollte Prodi, dessen
hauchdünne Mehrheit im Senat immer
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21
Längerfristig ist es eine offene Frage, ob es
brüchiger wird
der “Partito Democratico” oder vielleicht gar
inneren Widersprüche seiner breit
, über einen der vielen
die “Freiheitszirkel” sind, denen die bessere
gespannten Koalition stürzen, dann wird
Antwort auf die Bewegung der “Anti-Politik”
wohl der “PD”-Parteiführer Veltroni in den
gelingt. “Das Schwierige kommt ja jetzt
„Palazzo Chigi“ einziehen.
erst”, meint der Senator Antonio Polito mit
Blick auf die Demokraten, denn je mehr das
“Antidepressivum Walter” beim “leidenden
Mitte-Links-Volk” wirke, desto mehr werde
die Prodi-Regierung darunter leiden. “Je
idealer und innovativer das Programm des
PD-Führers erscheint, desto offensichtlicher
wird der Kontrast zur Regierung.”
19
Das
“Spiel, eine bessere Zukunft zu
versprechen”, funktioniere eben nur in der
Opposition, “nicht wenn du mitregierst… Auf
längere Sicht könnte das nicht nur Prodi,
sondern auch Veltroni selbst aufreiben”, und
das würde schließlich – die alte Befürchtung
von “Centrosinistra”-Politikern – doch
wieder nur Berlusconi in die Hände spielen.
Der bekäme übrigens, wenn es bald zu
vorgezogenen Neuwahlen kommen sollte,
nach den jetzigen Umfragen eine deutliche
Mehrheit.
20
Berlusconi versucht nicht ohne
Geschick, sich in die anti-politische Welle
einzuklinken: Das Phänomen Grillo erinnere
ihn an den „Geist von 1992/93“, der den
damaligen Medienunternehmer in die Politik
brachte. Und auch die Gründung der
„Freiheitszirkel“ kommt ja nicht ohne einen
Hauch von „Anti-Politik“ aus: Da entsteht,
weil sich die großen Parteien der Rechten
nicht geeinigt haben, eine konkurrierende
Bewegung von unten.
18
“Es besteht kein Zweifel, dass der Grillismus der Linken
am meisten schadet, weil es dort mehr Interesse an der
Politik und auch mehr Vertrauen gibt“, so der Politologe
Gianfranco Pasquino in: Panorama, 20.9.07.
21
Das Mehrheitsverhältnis im Senat steht derzeit 159 zu
156, die Senatoren auf Lebenszeit nicht eingerechnet.
19
In: Panorama, 18.10.07.
20
43 Prozent für Prodis Koalition, 57 Prozent für das Mitte-
Allerdings haben sich 12 Senatoren aus dem Mitte-LinksLager selbständig gemacht und wollen von Fall zu Fall entscheiden, ob sie mit der Regierungskoalition stimmen. Im
Rechts-Bündnis; die “UDC” würde bei einem solchen Zah-
Mitte-Links-Spektrum haben sich mit Blick auf ihr mögli-
lenverhältnis nicht mehr Zünglein an der Waage sein, denn
ches Erpressungspotential im Senat binnen einer Woche
Berlusconi könnte auch ohne sie eine Regierung bilden.
vier neue Parteien gegründet.