Der Wahlausgang in Italien Das Parlament hat der Regierung Berlusconi grünes Licht gegeben, aber die Linke konnte nichts dagegen tun, denn mit einem Wahlergebnis von nur etwas mehr als 3 Prozent war sie erstmalig in der Nachkriegsgeschichte dort nicht mehr vertreten. Eine Art Tsunami-Welle hat die Linke weggefegt und Italien nach rechts gerückt. Das linke Wahlbündnis Sinistra Arcobaleno, die Regenbogenlinke (PRC, PdCI, Grüne, SDDemokratische Linke) hat 2.776.000 Stimmen verloren (2006 erhielt die Parteien zusammen 3.897.000 Stimmen, bzw. 10,2%) und damit ganz überraschend die Hürde von 4% in der Abgeordnetenkammer und von 8% im Senat verfehlt. Ungefähr 50% ihrer Stimmen hat sie an die Demokratische Partei (PD) von Veltroni und dessen Verbündeten Di Pietro (IDV – Italien der Werte) abgegeben, bis zu 25% an die Nichtwähler, 6% an die Rechte (PDL – Volk der Freiheit und Lega Nord) sowie ca. 14% an andere (La Repubblica, 17. April 2008). So stark war die Rechte in Italien noch nie. Berlusconi mit seiner PDL, zu der jetzt auch die Alleanza Nazionale des ehemaligen Faschisten Fini, des neugewählten Präsidenten der Abgeordnetenkammer, gehört, konnte die Wahl mit 46,8% in der Abgeordnetenkammer und 47,5 % im Senat gewinnen. Veltronis Bündnis blieb mit 37,6 in der Kammer und 38,2 im Senat weit hinter der Koalition der Rechten zurück. Berlusconi hat seinen Sieg vor allem der Lega Nord zu verdanken: Diese rassistische und populistische Formation schnitt prozentual und in absoluten Stimmen doppelt so gut ab wie 2006. Sie gewann 1,5 Millionen Stimmen hinzu und steigerte damit ihren Anteil von 4,1% auf 8,2%. Berlusconi und Fini dagegen erzielten ein schlechteres Ergebnis (Rückgang von 38,4 auf 37,4). Sie verloren mehr als eine Million Stimmen. Veltroni hat bis zum Letzten auf eine erfolgreiche Aufholjagd gehofft. Aber seine Fusionspartei aus den ehemaligen Linksdemokraten und den Christdemokraten der Margarita konnte nur 2% zulegen (von 31,2 auf 33,2) und ungefähr 100.000 Stimmen mehr gewinnen. In einem extrem polarisierten Wahlkampf setzte sich selbst die zentristische Partei des ehemaligen Kammerpräsident Casini (UDC-Zentrumsunion) immerhin noch mit 5,6% durch. Abspaltungen von Rifondazione comunista (PRC) wie die Sinistra Critica (Kritische Linke) oder die PCL (Kommunistische Partei der Arbeiter) lagen jeweils bei 0,6 und 0,4%. Die rechtsextreme La Destra (die Rechte) musste außerhalb des Parlaments bleiben, legte aber alarmierend zu (von 0,6 auf 2,4 – ca. 650.000 Stimmen mehr). Alle Parteien haben nach rechts verloren: Die Linke wurde von Veltronis PD ausgehöhlt. Der wollte die Moderaten anlocken, aber die gaben ihre Stimme der IDV seines Bündnispartners Di Pietro, der zentristischen UDC oder Berlusconi. Die UDC verlor an die PDL Berlusconis und diese an die Lega Nord. Unter den Lega-Wählern finden sich jetzt 19 % ehemalige Berlusconi-Anhänger, während 11% 2006 die ex-faschistische Alleanza nazionale gewählt hatten. Der Rechtsruck zeichnete sich bereits 2006 ab, als Prodis Mitte-Links-Koalition die Wahl nur mit 25.000 Stimmen gewann. Zum jetzigen Wahlausgang haben unterschiedliche Elemente beigetragen. Die Polarisierung hat in der Ausgangsituation eine bedeutende Rolle gespielt. Der Wahlkampf wurde von den Medien als eine Auseinandersetzung zwischen den beiden größten Parteien dargestellt, und auch deren Vertreter wiesen immer wieder darauf hin. Das sogenannte „voto utile“, das taktische Wählen, um einen Sieg von Berlusconi zu verhindern, ist ein Grund, warum die Hälfte der linken Wählerschaft zur PD oder zur IDV (Steigerung des Stimmenanteils 2,3 auf 4,4 %) übergelaufen ist. Die tiefe Enttäuschung über die Regierung Prodi veranlasste einen Teil der linken WählerInnen dazu, sich der Stimme zu enthalten oder die PD, bzw. die IDV des ehemaligen Staatsanwalts Di Pietro zu wählen. Im Wahlkampf distanzierte sich Veltroni von der Regierung Prodi, in der seine Partei immerhin 16 Minister gestellt hatte. Er sprach von einem „Neuanfang“ und konnte einen Teil der linken Wählerschaft davon überzeugen, dass er das Neue darstelle. Seine Partei ist übrigens erst letztes Jahr entstanden. Die Regierung Prodi war nicht in der Lage, eine Verbesserung der sozialen Verhältnisse zustande zu bringen, wie die linke Wählerschaft erwartete und wie es die Koalitionsvereinbarung versprach. Die Linke wurde bestraft, weil sie nicht fähig war, den Widerstand der Regierung gegen die Forderungen der sozialen Bewegungen zu überwinden und diese durchzusetzen. Die Regierung vertrat getreulich die Interessen der Unternehmer und des Vatikans. Dabei waren das Weiterbestehen von prekären Jobs und die Anhebung des Rentenalters auch von den Gewerkschaften unterstützt worden. Andererseits stand die Linke vor dem Problem zu vermeiden, dass sie für den Sturz Prodis verantwortlich gemacht werden könnte. Viele Linken hätten ihr das vorgeworfen, denn ungeachtet der Verbitterung über die Politik des Kabinetts empfanden sie dieses als „ihre Regierung“. Die Regenbogenlinke konnte kein klares inhaltliches Profil zeigen. Sie wurde als ein unter Zeitdruck zusammengezimmertes Wahlbündnis und nicht als politisches Projekt gesehen. Damit hätte man viel früher anfangen müssen. Das Bündnis war ein Versuch, alle politischen Kräfte links von der PD zusammenzuschließen. Aber zu unterschiedlich waren die Auffassungen der Vertreter der einzelnen Parteien, um glaubwürdig zu wirken und ein überzeugendes Bild von Geschlossenheit zu vermitteln. Die einen sahen in dem Bündnis die Grundlage eines künftigen einheitlichen linken Subjektes, die anderen nur eine Koordinierung oder eine Föderation verschiedener, auch künftig weiterbestehender Parteien. Hauptthemen im Wahlkampf waren die innere Sicherheit und die Migrationspolitik. Die verheerende soziale Lage, die immer prekäreren Jobs und Lebensverhältnisse, die die Krise der kapitalistischen Globalisierung verursacht hat, erzeugen Unsicherheit und Angst. Das ist das ideale Terrain für Hetze gegen die Fremden, die zum Sündenbock werden, wie es zur Tradition der politischen Rechten gehört. Sie haben einfache Antworten auf die Krise parat: die Abschottung ganz Italiens oder der „engeren Heimat“. Die Lega Nord war in diesem Sinne immer politisch konsequent und erzielte daher – wie bereits Mitte der 90er Jahre – in einer Zeit der besonders akuten Krise erneut riesige Zugewinne. Leider ist auch das Mitte-Links-Lager gegen solche Ideen nicht immun. Im November letzten Jahres hatte die Regierung Prodi ein Dekret über die sofortige Abschiebung aller Migranten verabschiedet, die „eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen können“. Das Dekret wurde von Veltroni, damals Bürgermeister von Rom, durchgepeitscht, nachdem ein Rumäne eine Frau brutal ermordet hatte. Auch der Minister für soziale Solidarität, Paolo Ferrero, von Rifondazione comunista gab dem Dekret seine Zustimmung. PD-Bürgermeister laufen mit ihren Maßnahmen (Gründung von Bürgerwehren, Abbau von Roma-Siedlungen) der Lega Nord hinterher. Seit einigen Jahren herrscht eine kulturelle Hegemonie der Rechten. Ihr Sieg widerspiegelt diese Situation. Walter Veltroni mit seinem zentristischen Projekt der PD ist für Vieles verantwortlich: eine Amerikanisierung der politischen Landschaft und die konsequente Auslöschung der Linken durch Überwindung der Aufteilung der politischen Landschaft in ein linkes und ein rechtes Lager, die Bereitschaft zum Dialog mit den Rechten, was Verfassungs- und Wahlrechtsreformen – inklusive das Europa-Wahlrecht – anbelangt, wie er schon im Wahlkampf angekündigt hatte. In diesem Sinne ist auch Berlusconis Dialogangebot im Parlament und sein Dank an Veltroni zu verstehen. Auf Berlusconis Rede erwiderte Veltroni: "Wir werden gegen Ihre Regierung stimmen, aber wir werden uns im Interesse des Landes beteiligen. Aus diesem Grunde werden wir Maßnahmen zustimmen, die richtig und gut für Italien sind. Wir werden nicht mit den Muskeln spielen, sondern die Intelligenz und den Verantwortungssinn einer alternativen offenen Kraft haben." Schon vor der geplanten Verschärfung der „Sicherheitspolitik“, d.h., der Migrationspolitik durch den LegaInnenminister Maroni haben angesehene PD-Vertreter bereits ihre Unterstützung erklärt. Von diesem Vorhaben des Innenministers wären besonders die rumänischen Bürger betroffen: Er möchte illegale Einwanderung bestrafen, das Aufenthaltsrecht nur Menschen mit einem Mindesteinkommen zugestehen, die Grenzen für Rumänen schließen und das SchengenAbkommen aussetzen, wenn Gefahr für „die nationale Sicherheit“ besteht. Die Migrantenfrage ist eine Priorität für die Regierungspolitik und laut einer Umfrage auch für 70% der Italiener. Für 68% sind Roma unerwünscht. In der Tat stellen Migranten nur 5% der Bevölkerung dar, aber werden als „Notstand“, als Bedrohung insbesondere für Ältere und für Frauen empfunden. Dabei werden in Italien die meisten Frauen von Familienangehörigen missbraucht und die meisten Verbrechen von der Mafia begangen. Leider sind weite Teile der traditionell linken Bevölkerung inzwischen mehr oder weniger bewusst auch fremdenfeindlich geworden. In Neapel wurden Roma-Siedlungen letzte Woche von der lokalen Bevölkerung niedergebrannt, nachdem ein Roma-Mädchen vermutlich ein Kind entführt hatte. Die Camorra, die neapolitanische Mafia, machte beim Aufstand mit, um zu „zeigen, dass sie dort präsent ist, wo der Staat seine Bürger im Stich lässt - bei der Bewältigung des Einwanderungsproblems“ (Stern, 15.05.2008). Die Polizei organisierte im Laufe der letzten 10 Tage an mehreren Nomadenlagern in ganz Italien gegen „Straßenkriminalität“ Razzien, und mehr als hundert ausländische Bürger wurden abgeschoben. Verteidigungsminister La Russa will sogar die Armee einsetzen. Neben Mailand hat nun auch Rom einen Sonderbeauftragten für den „Notstand“ gefordert. Hier hat ebenfalls ein rechter Bürgermeister die Wahl gewonnen: Es ist Gianni Alemanno, der aus der faschistischen Bewegung der 70er Jahr kommt. Rechte Positionen machen sich nach und nach auch in den Gewerkschaften breit. Die linke FIOM (die italienische IG-Metall) wird mehr und mehr ausgegrenzt. Flächendeckende Tarifverträge werden in Frage gestellt zugunsten von lokalen Vereinbarungen mit den Unternehmen und differenzierten Lohnniveaus im Norden und Süden, was zu einem Bruch der Solidarität zwischen den ArbeitnehmerInnen führt. Das Konzept des Steuerföderalismus der Lega Nord geht in die gleiche Richtung. Es sind schwierige Zeiten für die Linke. Sie muss aus dem eigenen Scheitern lernen, wieder in Kontakt mit der Gesellschaft zu kommen, die entstandene Entfremdung von der Bevölkerung abzubauen. Die Linke hat die gewaltigen Veränderungen in der sozialen Kultur nicht wahrgenommen. Nach verbreiteter Meinung besteht die Lösung der Globalisierungskrise nicht in dem Motto „Eine andere Welt ist möglich“, sondern im Rückzug auf das Heimatdorf. Die Linke muss politische Glaubwürdigkeit zurückgewinnen und sich zugleich auch um den Wiederaufbau der politischen und sozialen Kultur kümmern, was eine gigantische Aufgabe ist. Damit kann sie auf lokaler Ebene beginnen, denn sie hat in mehreren Fällen bei den am selben Tag stattfindenden Kommunalwahlen besser abgeschnitten als bei den Parlamentswahlen. Paola Giaculli 19.05.2008