Klimawandel goes to Hollywood

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DOSSIER
FRITZ REUSSWIG
Klimawandel goes
to Hollywood
Risikoaufklärung durch Katastrophenpädagogik?
Der Film „The Day After Tomorrow“ wurde weltweit von rund
100 Mio. Menschen gesehen. Was hat der Film bewirkt? Haben die
Menschen ihn als ein Stück Science Fiction abgetan oder befördert er die Sache des Klimaschutzes noch viel mehr als tausend
Artikel oder umweltpädagogische Initiativen?
Am 28. Mai 2004 kam
mit „The Day After Tomorrow“
des Hollywood-Regisseurs Roland
Emmerich ein Film in über 80 Ländern weltweit in die Kinos, der erstmals den globalen Klimawandel
zum Hauptdarsteller macht. Der
Film hat bislang rd. 540 Mio. USD
eingespielt, er wurde weltweit von
rd. 100 Mio. Menschen gesehen, in
den USA von über 21 Mio., in
Deutschland von über 4 Mio., in
Österreich von rund 550.000 Menschen – mehr als jemals die Berichte des IPCC lesen würden.
Ergebnisse einer deutschen
Wirkungsstudie
Vermuten kann man viel,
aber eine wirkliche Wirkungsabschätzung lässt sich nur auf eine
empirische Untersuchung stützen.
Weltweit hat es vier solcher Untersuchungen gegeben: eine in den
USA, eine in Großbritannien, eine
in Japan und eine in Deutschland.
Die deutsche Studie wurde von
den Soziologen Dr. Fritz Reusswig
und Dipl.-Soz. Julia Schwarzkopf
vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) sowie von
Dipl.-Soz. Phlipp Pohlenz (Universität Potsdam) durchgeführt und
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finanziell vom Bundesumweltministerium in Berlin sowie vom
European Climate Forum (ECF), einem Zusammenschluss europäischer Klimaforschungsinstitute,
Unternehmen und NGOs, unterstützt. Es wurden über 1.300 Kinobesucher in sechs deutschen
Städten direkt vor und direkt nach
dem Ansehen von „The Day After
Tomorrow“ befragt, zusätzlich
wurde eine telefonische Nachbefragung von 150 Personen vier
Wochen später durchgeführt, um
der Frage nachzugehen, was von
dem Film im längeren Abstand
„hängen“ bleibt. Die Ergebnisse
der Studie liegen jetzt als PIKReport Nr. 92 vor (http://www.pikpotsdam.de/pik_web/publications/
pik_reports/reports/pr.92/pr92.pdf).
1. Hohe Medienwirkung: Die Medienwirkung des Films (Werbung, Interviews, Berichte) allein
hat zu einer kleinen Konjunktur
des Klimathemas im Sommer
2004 geführt und noch dazu
Menschen erreicht, die sich ansonsten für das Thema nicht
oder kaum interessieren.
2. Film stärkt Klimaskepsis. Überraschenderweise hat „The Day
After Tomorrow“ (TDAT) zu einer Abschwächung der wahrge-
nommenen Wahrscheinlichkeit
eines Klimawandels geführt:
Waren vorher noch 41,8 % der
Meinung, ein globaler Klimawandel sei „sehr wahrscheinlich“, so sank diese Zahl nach
Ansehen des Films auf 25,7 %
nachher. Dafür nahm der Anteil
derer deutlich zu, die den Klimawandel „nur“ noch für „eher
wahrscheinlich“ halten. Die Zahl
der „Klimaskeptiker“ (Klimawandel „eher“ oder „sehr unwahrscheinlich“) hat leicht zugenommen, bleibt aber insgesamt vorher und nachher eher
gering.
3. TDAT verändert das mentale Modell des Klimawandels. Aus den
Befragungen und den Fokusgruppen-Interviews geht eindeutig hervor, dass der Film das
bisher in der Bevölkerung vorherrschende Bild des Klimawandels ziemlich auf den Kopf stellt.
Die meisten hatten beim Eintritt
in das Kino eine Vorstellung von
Klimawandel im Kopf, die sich
so charakterisieren lässt: Emissionen führen zu einem allmählichen Temperaturanstieg, der in
einer eher fernen Zukunft zu
problematischen Folgen (wie
Meeresspiegelanstieg oder, immer wieder fälschlich als Klimafolge erwähnt: Vergrößerung
des Ozonlochs) führt, die hauptsächlich die Menschen weit
weg, in Entwicklungsländern
betreffen. Durch den Film werden die Besucher mit folgendem
Foto: 20th Century Fox
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Bild konfrontiert: Die globale Erwärmung führt paradoxerweise
zu einer sehr raschen Abkühlung, die vor allem für uns in den
Industrieländern katastrophale
Auswirkungen hat. Der Film hat
dazu geführt, dass die Menschen sich der Komplexität und
Verwundbarkeit des Weltklimas
stärker bewusst geworden sind.
Die Rolle der Ozeane etwa war
den meisten vor dem Film überhaupt nicht klar. Und Deutschland wird nach dem Film als gefährdeter eingestuft als vorher.
4. Film stärkt Unterstützung für Klimapolitik. Die Special Effects einer hereinbrechenden Klimakatastrophe führen bei den Zuschauern keineswegs zu Fatalismus oder Fluchtgefühlen. Im
Gegenteil: nur knapp 10 % der
Befragten nahmen die Botschaft
„Wir können ohnehin nichts
tun“ mit nach Hause, 82 %
wählten nach dem Film die Botschaft „Wir müssen den Klimawandel unbedingt aufhalten“ als
ihr Motto. Die meisten glauben
auch, dass es noch möglich sowie
unterm Strich auch wirtschaftlich
vernünftig ist, Klimaschutzpolitik
zu betreiben. Die deutsche Klimapolitik, die keine allzu guten
Noten vor dem Film erhalten hatte, wird nachher deutlich besser
bewertet – angesichts der kritischen Haltung des Films gegenüber der Klimapolitik der US-Regierung nicht besonders verwunderlich. Deutschland wird aufge-
fordert, auch international seine
Anstrengungen noch zu verstärken.
5. Film führt nicht zu einer Verstärkung der individuellen Handlungsbereitschaft. Im Gegensatz
dazu hat TDAT nicht zu einem
Sprung in der individuellen Bereitschaft geführt, etwas gegen
den Klimawandel im Alltagsleben
(Konsum, Mobilität, Energieverbrauch …) zu tun. Politik und
Wirtschaft werden als Hauptverantwortliche gesehen, nicht die
einzelnen Bürger oder die Umweltverbände. Angesichts des
Hauptkonflikts zwischen Wissenschaft und Politik im Film vielleicht nicht verwunderlich. Dennoch wird deutlich, dass Wissenschaft und Politik ihre Anstrengungen verstärken müssen, um
den einzelnen Menschen ihre eigene Verantwortung deutlich zu
machen, vor allem aber auch realistische und sinnvolle Handlungsmöglichkeiten im Klimaschutz aufzuzeigen sowie Hindernisse für klimafreundliches
Verhalten abzubauen.
Vergleich mit anderen
Studien
Neben der deutschen Studie
hat es weltweit noch vier andere
gegeben, die sich mit der Wirkung
des Films auf das Kinopublikum
beschäftigt haben: In Großbritannien haben Forscher des TyndallCentres 301 Filmbesucher be-
fragt, dabei wurden auch längere
Fokusgruppen-Gespräche geführt.
Eine zweite britische Studie wurde
von Zoologen der Universität
Cambridge durchgeführt, die 200
Kinobesucher befragten. Eine japanische Forschungsgruppe hat
384 Personen nach Ansehen des
Films befragt. Und in den USA hat
ein Forschungsteam 529 Personen
(sowohl Filmbesucher als auch eine Vergleichsgruppe) im Internet
befragt.
Interessant ist der Vergleich
zwischen den Studien, obwohl
dies aufgrund der verschiedenen
methodischen Zugänge – die Studien sind großteils unabhängig
voneinander entstanden – nur begrenzt möglich ist. Wie in Deutschland fiel auch in Japan und Großbritannien die wahrgenommene
Wahrscheinlichkeit des Klimawandels bei den Betrachtern ab – in
den USA nahm sie dagegen zu.
Dies kann auf den unterschiedlichen Kenntnis- und Relevanzstand des Klimathemas in den jeweiligen Bevölkerungen zurückgeführt werden: Während die Menschen in Europa und Japan mehr
über das Klimaproblem wissen
und ihm auch mehr Bedeutung zumessen, spielt es in den USA eine
weit geringere Rolle – und die
Bush-Regierung hat auch nicht gerade viel dafür getan, dies zu ändern. Vor diesem Hintergrund
wirkt ein Film aufrüttelnd, der den
Klimawandel als plötzliches Faktum darstellt. Europäer und Japaner dagegen sind mit den Fakten
etwas besser vertraut und zeigen
sich verunsichert angesichts des im
Film gezeigten Szenarios der globalen Eiszeit.
Die Unterstützung klimapolitischer Maßnahmen, die der Film
in Deutschland ausgelöst hat, bestätigt sich dagegen auch in den
USA. Auch die Sorge um das
Klima wurde durch den Film in den
USA deutlich erhöht. Die individuelle Handlungsbereitschaft zum
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Klimaschutz ist nach dem Film in
Deutschland und in der CambridgeStudie unverändert geblieben,
während die japanische und die
britische Tyndall-Studie einen nur
leichten Anstieg der individuellen
Bereitschaft verzeichnet haben,
persönlich etwas für den Klimaschutz zu tun. Erneut war die Wirkung in den USA deutlich ausgeprägter, der Film hat hier zu einer
deutlichen Erhöhung der individuellen Handlungsbereitschaft geführt.
Insgesamt hat der Film die
Komplexität und Verwundbarkeit
des Erdsystems ins Bewusstsein
gerückt, gleichzeitig etwas Verwirrung ausgelöst. Dieses Gelegenheitsfenster müssten Wissenschaft
und Umweltbildung nützen.
Konsequenzen für die
Umweltbildung
Obwohl nicht in umweltbildnerischer Absicht, hat der Film
dennoch ein Stück Umweltbildung
bewirkt. In Zukunft muss das Medium Film bzw. die Unterhaltungsindustrie generell stärker beachtet
werden. Das bietet Chancen, aber
auch Herausforderungen für Wissenschaft und Umweltbildung.
Obwohl der Film Elemente einer
kruden Moral enthält, kommt er
doch im Medium der Unterhaltung
(und auch mit Humor-Elementen)
daher, erzählt aber vor allem eine
Geschichte. Auch „die Wissenschaft“ wird durch eine glaubwürdige Person verkörpert. Vielleicht
sollte die Umweltbildung das Element der glaubwürdigen Geschichte in ihr Arsenal aufnehmen
– vielleicht auch die Geschichte,
die einen selbst hierher geführt
hat.
Einer der großen Schwachpunkte des Films aus meiner Sicht
ist es, den Klimawandel nur als
(dramatisch gesteigerte) Gefahr,
nicht aber auch als Chance für den
Übergang in eine nachhaltige, le-
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benswerte Zukunft darzustellen.
Individuelle Rettung trotz kollektiven Untergangs ist das Maximum
dessen, was er uns zu hoffen gibt.
Um so ermutigender ist, dass das
Publikum von sich aus auf den Gedanken kam, eine Katastrophe
wie die im Film gezeigte müsse
und könne verhindert werden.
Wir sollten es in dieser Überzeugung unterstützen, und wir sollten dies im Rahmen einer Chancen-, nicht nur einer Risikokom-
munikation tun. Der Film „The
Day After Tomorrow“ zeigt aber
auch dann, dass dies eben auch
im Rahmen von Unterhaltung und
dem Sinn-Basteln durch glaubwürdige Geschichten geschehen
sollte, wenn es Breitenwirkung
haben soll.
Dr. Fritz Reusswig ist
Mitarbeiter des Potsdam-Instituts
für Klimafolgenforschung (PIK),
www.pik-potsdam.de
Quergelesen
Der Schwarm – ein neuer Ökothriller?
Hat der sensationelle Erfolg von „The Day After Tomorrow“ etwa schon
einen würdigen Nachfolger gefunden? Der „atemberaubende, hochintelligente und trotz des unglaublichen Szenarios realistisch daherkommende
Spannungsroman“ (ZDF) „Der Schwarm“ hat sich in ebenso atemberaubender Geschwindigkeit in die Liga amerikanischer Top-Bestseller eingereiht, räumt allerorts Preise ab – zuletzt beim Deutschen Buchpreis für
Belletristik –, schneller, als man den Tausend-Seiten-Wälzer
ausgelesen haben kann. Nächstes Jahr wird er in fast sämtliche Sprachen übersetzt, Hollywood ante portas, die nötigen big budgets scheinen gesichert.
Wie konnte ein solcher Wurf gelingen? Für „Der
Schwarm“ recherchierte Schätzing vier Jahre lang und bot
dafür eine ganze Armada an wissenschaftlichen Beratern
auf. Das globale Katastrophenszenario stellt „mit großer
Dringlichkeit die Frage nach der Rolle des Menschen in der
Schöpfung“.
Mit einem peruanischen Fischer, der vom Meer „verschluckt“ wird, fängt alles an. Doch bald häufen sich die
irritierenden Geschehnisse, Wale greifen Touristen-Sightseeingboote an ... aus kleinen Unfällen werden große Katastrophen.
Parallel zur Spannung baut sich (vielleicht) auch ein Kombinieren und
Vernetzen der Zusammenhänge im Kopf der LeserInnen auf. Der Autor
verwehrt sich – mit spürbarem Vergnügen an der apokalyptischen Vision –
gegen das Label „Ökothriller“ und meint bei den Preisverleihen kokett:
„Ist soviel destruktive Energie überhaupt preiswürdig?“, um dann im
gleichen Atemzug von einer „Liebeserklärung an die Vielfalt auf dem
Planeten Erde“ zu sprechen.
Die Gattin wischt sich dabei verstohlen eine Träne aus dem Auge.
Ein wenig befremdlich vielleicht, aber die Umweltbildung hat zu wenige
solcher „Bestseller“, um es sich leisten zu können, diese Gunst der Stunde
und diesen Hype nicht freudig zu begrüßen und aufzugreifen.
Monica Lieschke
Zum Weiterlesen
Frank Schätzing: Der Schwarm, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2004, 100 S.,
EUR 24,90, ISBN: 3462033743, www.derschwarm.com
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