72 Wissen NZZ am Sonntag 5. März 2006 NZZ am Sonntag Wissen 5. März 2006 73 Der Gotthard-Basistunnel 57 Kilometer durch den Fels Der Gotthardbasistunnel ist mit einer Länge von 57 Kilometern das wichtigste Bauwerk der Neat und der längste Eisenbahntunnel der Welt. Derzeit sind annähernd 60 Prozent ausgebrochen. Darunter auch einige schwierige Passagen im Tavetscher Zwischenmassiv und in der Urseren-GaveraZone bei Sedrun. Hier warten aber noch grössere Risiken vor allem am Übergang zwischen Tavetscher Zwischenmassiv und Aarmassiv und weiter im Süden in der Piora-Zone. An diesen Stellen wurden vor Baubeginn diverse Sondierbohrungen durchgeführt. Ein besonderes Augenmerk müssen die Tunnelbauer auch auf die Stauseen im Süden Sedruns haben, deren Staumauern durch Senkungen des Gebirges beschädigt werden könnten. Chrüzlistock Piz Vagira Sondierbohrungen Piora-Zone Pizzo dell'Uomo Gesteinstypen Südrand Nordrand Sondierbohrungen Tavetscher Zwischenmassiv Bohrplatz Clavaniev Bohrplatz Plan dil Lai Stausee (Stauhaltung Nalps) Erstfelder Gneis Phyllit aus dem Permokarbon Piora-Zone: Zuckerkörniger Dolomit Phyllit/Schiefer Streifen-Gneis Leventina-/ Lucomagno-Gneis Quermuscovit-Gneis Medelser Granit Dolomitmarmor Gipshut Sondierbohrungen Schachtanlage Sedrun Niveau Basistunnel Etzlital Intschi-Zone Öfital Leventina Sondierstollen Quelle: Alptransit Vortrieb abgeschlossen Noch auszubrechen 0 km 57 km Zwischenangriff Sedrun Tavetscher Zwischenmassiv Aarmassiv Zwischenangriff Faido UrserenGavera-Zone Die Zeitmaschine im Berg ) Über die Hälfte des zukünftigen Gotthardbasistunnels haben die Mineure schon ausgebrochen. Für ihre Aufgabe reisen sie jeden Tag in die Vergangenheit der Erdgeschichte. Hunderte Millionen Jahre alter Fels muss den Tunnelbohrmaschinen des 21. Jahrhunderts weichen. Von Andreas Hirstein Tonnen erhöhen. Das bedeutet mehr Güter auf der Schiene und weniger Lastwagen auf der Strasse − hoffen jedenfalls die Planer. Wenn der alpenquerende Güterverkehr sich allerdings auch in Zukunft alle acht Jahre verdoppelt, wird auch die Neat bald an ihre Grenzen stossen. Auch ob die Verlagerung von der Strasse auf die Schiene tatsächlich schon im Jahr 2015 Wirklichkeit wird, steht noch auf einem anderen Blatt. Neben den noch verbleibenden geologischen Risiken (vgl. Grafik1), könnten den Bauherren auch längere juristische Auseinandersetzungen einen Strich durch die Rechnung machen. Derzeit blockiert beispielsweise eine Beschwerde gegen die Auftragsvergabe des Abschnitts zwischen Erstfeld und Amsteg den Baubeginn in dieser nördlichsten Teilstrecke des Tunnels. Weil solche Beschwerden infolge der bilateralen Verträge mit der EU auch hierzulande aufschiebende Wirkung haben, muss der Auftraggeber Alptransit, eine hundertprozentige Tochter der SBB, nun die beiden konkurrierenden Offerten erneut prüfen. Durchschlag im Sommer Im Süden, zwischen dem Portal Bodio und dem Zwischenangriff in Faido, von wo sich riesige Tunnelbohrmaschinen durch den Fels fressen, sind die Tunnelbauer schon weiter. Im Sommer erwarten sie hier den ersten Durchschlag des Tunnelbauwerks. Insgesamt sind derzeit rund 60 Prozent des Tunnels ausgebrochen, die restliche Strecke soll bis 2008 folgen (vgl. Hauptgrafik). Dann bleiben noch sieben Jahre für den Bau der Fahrbahn, der Stromversorgung und der übrigen Bahntechnik, be- ( vor die Züge mit bis zu 250 Kilometern pro Stunde nach Süden fahren. So schnell ist die Stollenbahn in Bodio, die die Bergleute zu ihrem Arbeitsplatz im Berg bringt und das Ausbruchmaterial ins Freie befördert, natürlich nicht. Aber der Verkehr ist beträchtlich: «Jeden Tag fahren hier etwa genauso viele Züge wie durch den Bahnhof Olten», erklärt Matthias Neuenschwander, der Chefingenieur der Baustelle Bodio. Vom Komfort eines klimatisierten Intercitys kann man auf der holprigen Schmalspurbahn nur träumen. Wer zu wenig Schlaf hatte, wird hier wachgerüttelt. Je weiter man in den Berg fährt, desto wärmer und schwüler wird die Luft. Eine leistungsfähige Belüftungsanlage ist an allen Baustellen der Neat nötig, um die Temperaturen von bis zu 50 Grad auf Suvakonforme 28 Grad zu senken. Die Fahrt bis zur zwölf Kilometer vom Portal entfernten Ortsbrust, wo eine Tunnelbohrmaschine den Fels zermalmt, dauert 45 Minuten. Es ist eine Fahrt in eine andere Welt. Draussen winterliche Kälte und der wolkenlose Tessiner Himmel, drinnen grauer Fels, der angestrahlt von Scheinwerfern den Blick in alle Richtungen verstellt. Die subtropischen Temperaturen sind ein Überbleibsel aus 5 Milliarden Jahren Erdgeschichte: Wärme, die bei der Entstehung der Erde aus dem Staub verglühter Sterne und beim Zerfall radioaktiver Elemente frei wurde. Die Fahrt mit der Stollenbahn ist also nicht nur eine Reise in eine fremde Welt. Sie ist auch eine Reise in die Vergangenheit, der Tunnel eine Zeitmaschine der Erdgeschichte. «Das Gebirge im Süden des Tunnels bildete sich vor 40 Millionen Jahren, das Gotthard- massiv vor 35 und das Aarmassiv vor 20 Millionen Jahren bei der Kollision der europäischen mit der apulischen Kontinentalplatte», sagt Adrian Pfiffner von der Universität Bern. Die Gesteine selbst sind noch älter. «Der südliche Teil des Tunnels gehört zur penninischen Gneiszone, deren Gesteine vor 400 bis 1000 Millionen Jahren entstanden sind», erklärt Pfiffner. Andere Abschnitte wie etwa das Aarmassiv, das sich vom Nordportal bis fast nach Sedrun erstreckt, und das Gotthardmassiv enthalten auch 300 Millionen Jahre alten Granit. Dieses kristalline Gestein entsteht, wenn flüssiges Magma aus dem Erdmantel aufsteigt und langsam, im Zeitraum mehrerer Millionen Jahre, abkühlt und zu hartem Stein wird. Bei Tunnelbauern ist Granit trotz seiner Härte nicht unbeliebt. Denn beim langsamen Abkühlen entsteht ein standfester Fels, der nur bei hoher Überlagerung unliebsame Überraschungen bereithält. Gneise hingegen, die ausser in der penninischen Gneiszone auch im Gotthardmassiv reichlich vorhanden sind, halten sich nicht an simple Schemata. Das ist eine Folge ihrer wechselhaften Vergangenheit. Sie entstehen aus kristallinen Vorläufergesteinen, zum Beispiel aus Granit oder aus Sedimentgesteinen. Unter hohen Temperaturen .................................................................................. Massiver Stahl, der sich dem Berg entgegenstemmen sollte, wurde von der Last zerdrückt, als sei er aus Wachs. .................................................................................. I`j`bf>\fcf^`\ 4AVETSCHER:WISCHENMASSIV &ÈRDIEVERBLEIBENDEN!BSCHNITTEDES 4UNNELSRECHNENDIE'EOLOGENUND )NGENIEUREMITEINEM+OSTENRISIKOVON DURCHSCHNITTLICH(ÃHERE2ISIKEN ERWARTETMANINDER0IORA:ONEUNDIM 4AVETSCHER:WISCHENMASSIVNÃRDLICH VON3EDRUNINSBESONDEREINDER #LAVANIEV:ONE )NTSCHI:ONE #LAVANIEV :ONE !ARMASSIV 5RSEREN 'AVERA :ONE 'OTTHARDMASSIV 0IORA-ULDE PENNINISCHE'NEISZONE >\fcf^`jZ_\jI`j`bf .OCHAUSZUBRECHEN Gifq\ek Bis zur Eröffnung der Gotthardbahn 1882 dauerte die Reise von Zürich nach Mailand zwei Tage, und im Winter war die beschwerliche Fahrt mit der Postkutsche oft gar nicht möglich. Heute rollen Neigezüge in drei Stunden und vierzig Minuten nach Süden, und wenn im Jahr 2015 die Neue Eisenbahn-Alpentransversale (Neat) mit dem Gotthardbasistunnel, dem Zimmerbergtunnel im Norden und dem Tunnel durch den Ceneri im Süden fertig ist, wird die lombardische Metropole nochmals um eine Stunde näher rücken. Das ist im Vergleich zum Quantensprung, den der Gotthardtunnel im 19. Jahrhundert bedeutete, zwar nur ein bescheidener Fortschritt. Die geologische Herausforderung aber stellt alle Tunnel in den Schatten, die bisher in den Alpen realisiert wurden. Für Ingenieure ist es die erste alpenquerende Flachbahn. Für alle anderen ist es der längste Eisenbahntunnel der Welt. Die beiden einspurigen Tunnelröhren haben eine Länge von 57 Kilometern. Alle 325 Meter verbinden Stollen die beiden parallel verlaufenden Röhren, so dass sich Reisende im Notfall in Sicherheit bringen können. Insgesamt holen die Arbeiter 13 Millionen Kubikmeter Gestein aus dem Berg. Ein damit beladener Güterzug würde von Zürich bis fast nach Kapstadt reichen. Auf der Höhe Sedruns in Graubünden und Faidos im Tessin werden die Züge von der einen in die andere Röhre wechseln können. Diese beiden Multifunktionsstellen dienen auch als Nothaltestellen. Ein ausgeklügeltes Belüftungssystem liefert die notwendige Frischluft und hält die Fluchtwege auch bei einem Brand rauchfrei. In Sedrun befindet sich auch der Scheitelpunkt des Gotthardbasistunnels, eine Bezeichnung, die der höchstgelegene Ort der Tunnelröhre nach helvetischen Massstäben eigentlich gar nicht verdient: Nur 550 Meter liegt er über Meeresniveau, die maximale Steigung auf der gesamten Tunnelstrecke bleibt unter 8 Promille. Auf einem Kilometer müssen die Züge also höchstens acht Höhenmeter überwinden. Der Gotthardbasistunnel erfüllt damit die Anforderungen, die Bahntechniker an eine durch Tunnel geführte Flachbahn stellen. Im Freien wären Steigungen bis 12 Promille erlaubt, weil dort der Luftwiderstand niedriger als in der engen Tunnelröhre ist. Dank der geringen Steigung werden Reisezüge mit 250 Kilometern pro Stunde durch die Alpen rauschen, und − was noch viel wichtiger ist − das Gewicht von Güterzügen wird sich von heute 1600 Tonnen auf maximal 4000 1UELLE!LPTRANSIT +OSTENSTREUMASSn PioraZone Gotthardmassiv und Druck verwandelt sich der ursprüngliche Fels in neues sogenannt metamorphes Gestein, das oft weniger standfest und schlecht prognostizierbar ist. Bei der Alpenbildung wurden die verschiedenen Gesteinstypen und Sedimentschichten durcheinander gemischt und zusammengequetscht. Häufig findet man dann auch Verschieferungen. Der Fels weist dann eine blätterteigähnliche Struktur auf. Wenn die Gesteinslagen parallel zur Tunnelrichtung liegen, kann das den Vortrieb eines Tunnels massiv behindern. Im Extremfall stossen die Tunnelbauer auf Störzonen, an denen der Fels fast wie Sand zerbröselt. Niederbruch in Faido Am Zwischenangriff Faido, wo Geologen eigentlich einen standfesten Fels erwarteten, stiessen die Tunnelbauer schon kurz nach Baubeginn im Jahre 2002 auf eine solche Zone. Statt eines kompakten Übergangs zwischen zwei Gneiszonen trafen die Tunnelvortriebe auf einen Bereich stark zerbrochenen Gesteins. Es kam zu einem Niederbruch. Massive Stahlträger, die sich dem Berg entgegenstemmen sollten, wurden von der Last zerdrückt, als seien sie aus Wachs. An den Bau der geplanten Multifunktionsstelle an dieser Stelle war nicht mehr zu denken. Sie musste um 700 Meter nach Süden verlegt werden. Inzwischen verlaufen die Arbeiten in Faido wieder nach Plan. Die Tunnelbohrmaschinen (vgl. Grafik2) arbeiten sich wie Riesenmaulwürfe nach Sedrun und nach Bodio vor. Der Bohrkopf der Maschinen hat einen Durchmesser von knapp zehn Metern und stemmt sich mit einer Kraft von 3000 Tonnen gegen den Fels. Die Bohrmaschinen haben eine Länge von fast 450 Metern und kümmern sich auch um den Abtransport des herausgebrochenen Gesteins. Die noch warmen Steine landen auf einem Förderband, das die im hinteren Teil der Maschine bereitstehenden Loren befüllt. Das tönt nach Fliessbandroutine, ist in der Praxis aber oft genug das Gegenteil. Grössere Komplikationen könnten auftreten, wenn die Arbeiter die gefürchtete Piora-Zone erreichen, die zwischen penninischer Gneiszone und Gotthardmassiv liegt. Dabei handelt es sich um Sedimente, die sich vor der Alpenhebung auf dem heutigen Gotthardmassiv abgelagert hatten. Viele Geologen waren der Ansicht, dass die fast lose Konsistenz dieser Gesteine den Tunnelbau unmöglich machen würde. Probebohrungen zeigten, dass 300 Meter über dem Tunnel in der Piorazone Wasser zirkuliert, was zu einem Klee\cYf_idXjZ_`e\ &ELSANKER 4UNNELBOHRMASCHINENWERDENANALLEN .EAT"AUSTELLENAUSSERAM:WISCHENANGRIFF 3EDRUNEINGESETZT&AST-ETERLANGUND 4ONNENSCHWERBOHRENSIEBISZU -ETERGROSSE1UERSCHNITTEINDEN&ELS MITBIS5MDREHUNGENPRO-INUTE $ABEINUTZENSIEEINE,EISTUNGVONBISZU 036OMROTIERENDEN"OHRKOPFGELANGT DAS!USBRUCHMATERIALAUF&ÃRDERB³NDERDIE ESIN7AGGONSDER3TOLLENBAHNFÈLLEN )M)DEALFALLKANNEINE4UNNELBOHRMASCHINE BISZU-ETERPRO4AGZURÈCKLEGEN 3TEUERKABINE "ETONSPRITZAUTOMAT "OHRKOPF &ÃRDERBAND Jgi\e^$Mfiki`\Y )MDRUCKHAFTEN'EBIRGEKÃNNENKEINE 4UNNELBOHRMASCHINENEINGESETZTWERDEN WEILDIEDURCHFAHRENEN1UERSCHNITTE ZUN³CHSTNICHTSTABILSIND$URCHKONVENTIO NELLEN3PRENGVORTRIEBLEGTMANDAHER ZUN³CHSTGROSSE1UERSCHNITTEFREI$ANN SICHERTMANDAS'EBIRGEMIT&ELSANKERN LANGE3TAHLST³BEUNDMIT3TAHLBÃGEN $ER6ORTRIEBISTIM6ERGLEICHZUR4UNNEL BOHRMASCHINELANGSAMUNDERREICHTNUR WENIGE-ETERPRO4AG markanten Temperaturabfall führt (vgl. Grafik3), und dass die Gesteine dort als breiiger Sand vorliegen. Weitere Bohrungen weisen darauf hin, dass das Gestein auf Tunnelniveau kompakt und trocken ist und den Tunnelbau daher nicht behindert. Ob sich diese Einschätzung für den gesamten Tunnelquerschnitt bewahrheitet, wird sich allerdings frühestens nächstes Jahr zeigen, wenn die Tunnelbohrmaschinen den rund 150 Meter langen Bereich durchfahren sollen. Mit der Arbeit am Fliessband hat der Tunnelbau auch an geologisch weniger beanspruchten Stellen wenig gemein. Die Arbeit ist gefährlich, trotz strengen Sicherheitsauflagen im Tunnel. Es ist eng und laut, die Lichtverhältnisse niemals so gut wie über Tage, und das schwüle Tunnelklima fördert die Konzentration nicht gerade. Die Arbeiter auf der Tunnelbohrmaschine stehen ungesichert in einer Höhe von mehreren Metern. Hinzu kommen die geologischen Risiken, die sich trotz den fortlaufenden Sondierbohrungen nie ausschliessen lassen. Gefährliche Arbeit Auch die tägliche Vortriebsleistung lässt sich trotz Maschineneinsatz nicht planen wie der Ausstoss einer Autofabrik. «Schon kleinste Veränderungen der Felsqualität haben einen grossen Einfluss auf die Arbeit im Tunnel», erklärt Matthias Neuenschwander. «Im Moment schaffen wir pro Tag sechs bis zwölf Meter», sagt der Chefingenieur. Von den Bestleistungen, die vor Weihnachten erzielt wurden, ist das zwar noch einige Meter entfernt. Die Maschinen befinden sich jetzt aber in leicht druckhaftem Gebirge. Das bedeutet, dass ein einmal gebohrtes Loch sich aufgrund des Bergdrucks verkleinern oder sogar wieder vollständig schliessen würde, wenn keine Gegenmassnahmen ergriffen werden. In guter Geologie genügen in der Regel Felsanker zur Stabilisierung des aufgebohrten Profils. Das sind drei bis Südportal Bodio penninische Gneiszone &ELSANKER &RISCHLUFTZUFUHR "OHRWAGEN 3PRITZMOBIL 6ORTRIEBS"OHRWAGEN &AHRMISCHER -ULDENKIPPER 0NEULADER sechs Meter lange Stahlstäbe, die wie Dübel in den Fels gebohrt werden. Hinzu kommen Stahlnetze, die die Arbeiter vor Gesteinsbrocken schützen und die abschliessend mit Spritzbeton gesichert werden. Im druckhaften Gebirge müssen die Tunnelbauer zusätzlich Stahlbögen einbauen, die den Gebirgsdruck aufnehmen. Sie bestehen aus mehreren Kreissegmenten, die sich infolge des Gebirgsdrucks ineinander schieben, bis der endgültige Tunneldurchmesser erreicht ist. «Das Prinzip stammt aus dem deutschen Steinkohlebergbau. In der Konstruktion steckt sehr viel Erfahrung. Schon kleinste Veränderungen können zum Verhaken der Segmente führen», erklärt Heinz Ehrbar, der Leiter Tunnel- und Trasseebau Nord von Alptransit. In einem solchen Fall verteilt sich die Kraft nicht mehr gleichmässig, und die schweren Stahlbögen knicken ein wie Strohhalme. Ehrbar ist für den Bauabschnitt Sedrun verantwortlich, der die höchsten Anforderungen an die Tunnelbauer stellt. Sedrun ist die einzige Baustelle im Gotthardbasistunnel, an der keine Tunnelbohrmaschinen eingesetzt werden. Das liegt einerseits am schwierigen Zugang zur Tunnelbasis, der zunächst über einen kilometerlangen Stollen und anschliessend über einen 800 Meter tiefen Schacht führt, und andererseits an der schwierigen Geologie in diesem Bereich des Tunnels. Nach Norden muss im konventionellen Vortrieb das Tavetscher Zwischenmassiv durchfahren werden, das zwischen Aar- und Gotthardmassiv eingeklemmt ist. Das Gebirge ist hier >\Y`i^jk\dg\iXkligif^efj\Xl]Klee\ce`m\Xl * >iX[:\cj`lj Zwischenangriff Amsteg Nordportal Erstfeld so druckhaft, das eine Tunnelbohrmaschine vom Gebirge eingeklemmt würde. «Statt rund neun Meter müssen wir im druckhaften Gebirge Querschnitte von bis zu 13 Metern Durchmesser ausbrechen», erklärt Ehrbar. Nur so können die Stahleinbaubögen am Ende einen ausreichend grossen Durchmesser freihalten. Für die Mineure bedeutet das, dass sie vor einer 130 Quadratmeter grossen Ortsbrust arbeiten, von der sich mit explosiver Energie jederzeit Gesteinsbrocken lösen können. Sondierbohrungen, Felsanker, Armierungsnetze und eine Versiegelung aus Spritzbeton sollen dieses Risiko so weit wie möglich reduzieren. Dieser Aufwand hat allerdings zur Folge, dass der Vortrieb pro Tag nur um durchschnittlich 1,30 Meter voranschreitet. Und dabei steht den Mineuren die schwierigste Aufgabe erst noch bevor: die etwa 50 Meter dicke Clavaniev-Zone am Übergang zwischen Tavetscher Zwischenmassiv und Aarmassiv, die sich grösstenteils aus kohäsionslosen, mürben Gesteinen zusammensetzt. Der Vortrieb nach Süden von Sedrun aus führt durch die Urseren-GaveraZone. Sie bildet eine geologische Ausnahme, weil sie aus Sedimentgestein besteht, das bei der Alpenbildung zwischen die kristallinen Massive eingebaut wurde. «Die Gesteine sind hier rund 270 Millionen Jahre alt und stark verschiefert», erklärt Adrian Pfiffner. «Glücklicherweise sind die Schieferlagen senkrecht zur Tunnelachse orientiert, was den Ausbruch erleichtert», erklärt der Geologe. Vier Meter im Tag Tatsächlich lief der Vortrieb nach Süden besser als erwartet, was an diesem Abschnitt zu einem Vorsprung von rund einem Jahr auf das Bauprogramm führte. «Die durchschnittliche Leistung beträgt derzeit drei bis vier Meter pro Tag», sagt Heinz Ehrbar. Von Se- + Die Mineure arbeiten vor einer riesigen Wand, von der sich mit explosiver Energie Gestein lösen kann. .................................................................................. drun aus werden die Bergleute daher mindestens einen Kilometer weiter nach Süden vorstossen als ursprünglich geplant. Ganz ohne Schwierigkeiten wird es aber auch im Süden von Sedrun nicht weitergehen. Die Gefahren liegen hier ausnahmsweise nicht in der Tiefe. Schon bald passieren die Mineure die Hunderte Meter über ihnen liegenden Staumauern Nalps, Curnera und Santa Maria (vgl. Hauptgrafik). Sie sind einer der Gründe für die von oben betrachtet S-förmige Linienführung des Tunnels, der keine Staumauer direkt unterfahren wird. Damit minimieren die Planer das Risiko, das durch die Entwässerung des Gebirges auftreten könnte. Der Schaden an der Talsperre Zeuzier im Wallis hatte gezeigt, dass Tunnel gefährliche oberirdische Deformationen verursachen können. Auch Messungen an der Gotthardpassstrasse ergaben Senkungen von bis zu 11,5 Zentimeter − hervorgerufen vermutlich durch die Entwässerung des Gebirges durch den Strassen- und den Eisenbahntunnel. Auch der neue Tunnel wird dem Gebirge Wasser entziehen, das durch eine Sammelleitung nach draussen geleitet wird (vgl. Grafik4). Weitere Deformationen des Gotthardmassivs werden also nicht ausbleiben. Aber anders als im 19. Jahrhundert haben die Tunnelbauer von heute ein vollautomatisches Messsystem zur Verfügung. Falls notwendig, informiert es sie täglich darüber, wie der Hunderte Millionen Jahre alte Fels auf die Begegnung mit der Technik reagiert. ;`\Klee\ci_i\ $IE+ONSTRUKTIONDER4UNNELRÃHREMUSS DIE3TABILIT³TGERANTIERENUNDDAS %INDRINGENVON7ASSERVERHINDERN$AZU DIENTEINE!BDICHTUNGSFOLIEAUS0LASTIC DIEDAS"ERGWASSERZUR'EWÃLBEDRAINAGE LEITET)NDER3AMMELLEITUNGINDER-ITTE DES4UNNELSWIRDDASWARME"ERGWASSER GESAMMELTUNDNACHDRAUSSENGELEITET $URCHDIEKLEINERE4UNNELWASSERLEITUNG FLIESST!BWASSERDASBEIM"ETRIEB DES4UNNELSANF³LLT$IESES7ASSERMUSS AUSSERHALBDES4UNNELS GEKL³RTWERDEN .................................................................................. !USBRUCHSICHERUNG !BDICHTUNGSFOLIE 4UNNELGEWÃLBE )NNENSCHALE 3ICKERGERÃLL 'EWÃLBE DRAINAGE %RSTFELD !MSTEG 3EDRUN &AIDO "AUABSCHNITTE $IE4EMPERATURDES'ESTEINSAUF4UNNEL NIVEAUH³NGTVONDERLOKALEN¯BERDECKUNG AMJEWEILIGEN3TANDORTAB3IEKANNÈBER 'RAD#ELSIUSBETRAGEN*ETIEFERDER 4UNNELUNTERDER%RDOBERFL³CHELIEGTDESTO 1UELLE!LPTRANSIT "ERGWASSER3AMMELLEITUNG KM "ODIO W³RMERISTDER3TEIN$ESWEGENSPIEGELTDER PROGNOSTIZIERTE4EMPERATURVERLAUFZIEMLICH GENAUDIE4OPOGRAPHIEWIDER%INE!USNAHME STELLTDIE0IORA:ONEDAR5RSACHEISTDIE KÈHLENDE7IRKUNGZIRKULIERENDEN7ASSERS 3OHLEAUS"ETON 4UNNELWASSERLEITUNG $AS4UNNELGEWÃLBEKANNUNTERSCHIEDLICHE 7ANDST³RKENAUFWEISENDAMITESJENACH GEOLOGISCHEN"EDINGUNGENEINENSTABILEN $URCHMESSERDES4UNNELSGEW³HRLEISTET 1UELLE!LPTRANSIT