Die Zeitmaschine im Berg

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Wissen
NZZ am Sonntag 5. März 2006
NZZ am Sonntag
Wissen
5. März 2006
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Der Gotthard-Basistunnel
57 Kilometer durch den Fels
Der Gotthardbasistunnel ist mit einer Länge
von 57 Kilometern das wichtigste Bauwerk
der Neat und der längste Eisenbahntunnel
der Welt. Derzeit sind annähernd 60 Prozent
ausgebrochen. Darunter auch einige
schwierige Passagen im Tavetscher
Zwischenmassiv und in der Urseren-GaveraZone bei Sedrun. Hier warten aber noch
grössere Risiken vor allem am Übergang
zwischen Tavetscher Zwischenmassiv und
Aarmassiv und weiter im Süden in der
Piora-Zone. An diesen Stellen wurden vor
Baubeginn diverse Sondierbohrungen
durchgeführt. Ein besonderes Augenmerk
müssen die Tunnelbauer auch auf die
Stauseen im Süden Sedruns haben, deren
Staumauern durch Senkungen des Gebirges
beschädigt werden könnten.
Chrüzlistock
Piz Vagira
Sondierbohrungen
Piora-Zone
Pizzo dell'Uomo
Gesteinstypen
Südrand
Nordrand
Sondierbohrungen
Tavetscher
Zwischenmassiv
Bohrplatz
Clavaniev Bohrplatz
Plan dil Lai
Stausee
(Stauhaltung Nalps)
Erstfelder Gneis
Phyllit aus
dem Permokarbon
Piora-Zone:
Zuckerkörniger Dolomit
Phyllit/Schiefer
Streifen-Gneis
Leventina-/
Lucomagno-Gneis
Quermuscovit-Gneis
Medelser Granit
Dolomitmarmor
Gipshut
Sondierbohrungen
Schachtanlage
Sedrun
Niveau Basistunnel
Etzlital
Intschi-Zone
Öfital
Leventina
Sondierstollen
Quelle: Alptransit
Vortrieb abgeschlossen
Noch auszubrechen
0 km
57 km
Zwischenangriff
Sedrun
Tavetscher
Zwischenmassiv
Aarmassiv
Zwischenangriff
Faido
UrserenGavera-Zone
Die Zeitmaschine im Berg
)
Über die Hälfte des zukünftigen Gotthardbasistunnels haben die Mineure schon ausgebrochen.
Für ihre Aufgabe reisen sie jeden Tag in die Vergangenheit der Erdgeschichte. Hunderte Millionen Jahre
alter Fels muss den Tunnelbohrmaschinen des 21. Jahrhunderts weichen. Von Andreas Hirstein
Tonnen erhöhen. Das bedeutet mehr
Güter auf der Schiene und weniger
Lastwagen auf der Strasse − hoffen
jedenfalls die Planer. Wenn der alpenquerende Güterverkehr sich allerdings
auch in Zukunft alle acht Jahre verdoppelt, wird auch die Neat bald an
ihre Grenzen stossen.
Auch ob die Verlagerung von der
Strasse auf die Schiene tatsächlich
schon im Jahr 2015 Wirklichkeit wird,
steht noch auf einem anderen Blatt.
Neben den noch verbleibenden geologischen Risiken (vgl. Grafik1), könnten
den Bauherren auch längere juristische
Auseinandersetzungen einen Strich
durch die Rechnung machen. Derzeit
blockiert beispielsweise eine Beschwerde gegen die Auftragsvergabe
des Abschnitts zwischen Erstfeld und
Amsteg den Baubeginn in dieser nördlichsten Teilstrecke des Tunnels. Weil
solche Beschwerden infolge der bilateralen Verträge mit der EU auch hierzulande aufschiebende Wirkung haben,
muss der Auftraggeber Alptransit, eine
hundertprozentige Tochter der SBB,
nun die beiden konkurrierenden Offerten erneut prüfen.
Durchschlag im Sommer
Im Süden, zwischen dem Portal Bodio
und dem Zwischenangriff in Faido, von
wo sich riesige Tunnelbohrmaschinen
durch den Fels fressen, sind die Tunnelbauer schon weiter. Im Sommer erwarten sie hier den ersten Durchschlag
des Tunnelbauwerks. Insgesamt sind
derzeit rund 60 Prozent des Tunnels
ausgebrochen, die restliche Strecke
soll bis 2008 folgen (vgl. Hauptgrafik).
Dann bleiben noch sieben Jahre für den
Bau der Fahrbahn, der Stromversorgung und der übrigen Bahntechnik, be-
(
vor die Züge mit bis zu 250 Kilometern
pro Stunde nach Süden fahren.
So schnell ist die Stollenbahn in Bodio, die die Bergleute zu ihrem Arbeitsplatz im Berg bringt und das Ausbruchmaterial ins Freie befördert, natürlich
nicht. Aber der Verkehr ist beträchtlich: «Jeden Tag fahren hier etwa genauso viele Züge wie durch den Bahnhof Olten», erklärt Matthias Neuenschwander, der Chefingenieur der Baustelle Bodio. Vom Komfort eines klimatisierten Intercitys kann man auf der
holprigen Schmalspurbahn nur träumen. Wer zu wenig Schlaf hatte, wird
hier wachgerüttelt. Je weiter man in
den Berg fährt, desto wärmer und
schwüler wird die Luft. Eine leistungsfähige Belüftungsanlage ist an allen
Baustellen der Neat nötig, um die Temperaturen von bis zu 50 Grad auf Suvakonforme 28 Grad zu senken.
Die Fahrt bis zur zwölf Kilometer
vom Portal entfernten Ortsbrust, wo
eine Tunnelbohrmaschine den Fels
zermalmt, dauert 45 Minuten. Es ist
eine Fahrt in eine andere Welt. Draussen winterliche Kälte und der wolkenlose Tessiner Himmel, drinnen grauer
Fels, der angestrahlt von Scheinwerfern den Blick in alle Richtungen verstellt. Die subtropischen Temperaturen sind ein Überbleibsel aus 5 Milliarden Jahren Erdgeschichte: Wärme, die
bei der Entstehung der Erde aus dem
Staub verglühter Sterne und beim Zerfall radioaktiver Elemente frei wurde.
Die Fahrt mit der Stollenbahn ist
also nicht nur eine Reise in eine fremde
Welt. Sie ist auch eine Reise in die Vergangenheit, der Tunnel eine Zeitmaschine der Erdgeschichte. «Das Gebirge im Süden des Tunnels bildete sich
vor 40 Millionen Jahren, das Gotthard-
massiv vor 35 und das Aarmassiv vor 20
Millionen Jahren bei der Kollision der
europäischen mit der apulischen Kontinentalplatte», sagt Adrian Pfiffner
von der Universität Bern.
Die Gesteine selbst sind noch älter.
«Der südliche Teil des Tunnels gehört
zur penninischen Gneiszone, deren
Gesteine vor 400 bis 1000 Millionen
Jahren entstanden sind», erklärt Pfiffner. Andere Abschnitte wie etwa das
Aarmassiv, das sich vom Nordportal
bis fast nach Sedrun erstreckt, und das
Gotthardmassiv enthalten auch 300
Millionen Jahre alten Granit. Dieses
kristalline Gestein entsteht, wenn flüssiges Magma aus dem Erdmantel aufsteigt und langsam, im Zeitraum mehrerer Millionen Jahre, abkühlt und zu
hartem Stein wird. Bei Tunnelbauern
ist Granit trotz seiner Härte nicht unbeliebt. Denn beim langsamen Abkühlen entsteht ein standfester Fels, der
nur bei hoher Überlagerung unliebsame Überraschungen bereithält.
Gneise hingegen, die ausser in der
penninischen Gneiszone auch im Gotthardmassiv reichlich vorhanden sind,
halten sich nicht an simple Schemata.
Das ist eine Folge ihrer wechselhaften
Vergangenheit. Sie entstehen aus kristallinen Vorläufergesteinen, zum Beispiel aus Granit oder aus Sedimentgesteinen. Unter hohen Temperaturen
..................................................................................
Massiver Stahl, der sich
dem Berg entgegenstemmen sollte, wurde
von der Last zerdrückt,
als sei er aus Wachs.
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Bis zur Eröffnung der Gotthardbahn
1882 dauerte die Reise von Zürich nach
Mailand zwei Tage, und im Winter war
die beschwerliche Fahrt mit der Postkutsche oft gar nicht möglich. Heute
rollen Neigezüge in drei Stunden und
vierzig Minuten nach Süden, und wenn
im Jahr 2015 die Neue Eisenbahn-Alpentransversale (Neat) mit dem Gotthardbasistunnel, dem Zimmerbergtunnel im Norden und dem Tunnel durch
den Ceneri im Süden fertig ist, wird die
lombardische Metropole nochmals um
eine Stunde näher rücken.
Das ist im Vergleich zum Quantensprung, den der Gotthardtunnel im 19.
Jahrhundert bedeutete, zwar nur ein
bescheidener Fortschritt. Die geologische Herausforderung aber stellt alle
Tunnel in den Schatten, die bisher in
den Alpen realisiert wurden. Für Ingenieure ist es die erste alpenquerende
Flachbahn. Für alle anderen ist es der
längste Eisenbahntunnel der Welt.
Die beiden einspurigen Tunnelröhren haben eine Länge von 57 Kilometern. Alle 325 Meter verbinden Stollen
die beiden parallel verlaufenden Röhren, so dass sich Reisende im Notfall in
Sicherheit bringen können. Insgesamt
holen die Arbeiter 13 Millionen Kubikmeter Gestein aus dem Berg. Ein damit
beladener Güterzug würde von Zürich
bis fast nach Kapstadt reichen.
Auf der Höhe Sedruns in Graubünden und Faidos im Tessin werden die
Züge von der einen in die andere Röhre
wechseln können. Diese beiden Multifunktionsstellen dienen auch als Nothaltestellen. Ein ausgeklügeltes Belüftungssystem liefert die notwendige
Frischluft und hält die Fluchtwege
auch bei einem Brand rauchfrei.
In Sedrun befindet sich auch der
Scheitelpunkt des Gotthardbasistunnels, eine Bezeichnung, die der höchstgelegene Ort der Tunnelröhre nach
helvetischen Massstäben eigentlich gar
nicht verdient: Nur 550 Meter liegt er
über Meeresniveau, die maximale Steigung auf der gesamten Tunnelstrecke
bleibt unter 8 Promille. Auf einem Kilometer müssen die Züge also höchstens acht Höhenmeter überwinden.
Der Gotthardbasistunnel erfüllt damit
die Anforderungen, die Bahntechniker
an eine durch Tunnel geführte Flachbahn stellen. Im Freien wären Steigungen bis 12 Promille erlaubt, weil dort
der Luftwiderstand niedriger als in der
engen Tunnelröhre ist.
Dank der geringen Steigung werden
Reisezüge mit 250 Kilometern pro
Stunde durch die Alpen rauschen, und
− was noch viel wichtiger ist − das Gewicht von Güterzügen wird sich von
heute 1600 Tonnen auf maximal 4000
1UELLE!LPTRANSIT
+OSTENSTREUMASSn
PioraZone
Gotthardmassiv
und Druck verwandelt sich der ursprüngliche Fels in neues sogenannt
metamorphes Gestein, das oft weniger
standfest und schlecht prognostizierbar ist. Bei der Alpenbildung wurden
die verschiedenen Gesteinstypen und
Sedimentschichten durcheinander gemischt und zusammengequetscht.
Häufig findet man dann auch Verschieferungen. Der Fels weist dann eine
blätterteigähnliche Struktur auf. Wenn
die Gesteinslagen parallel zur Tunnelrichtung liegen, kann das den Vortrieb
eines Tunnels massiv behindern. Im
Extremfall stossen die Tunnelbauer auf
Störzonen, an denen der Fels fast wie
Sand zerbröselt.
Niederbruch in Faido
Am Zwischenangriff Faido, wo Geologen eigentlich einen standfesten Fels
erwarteten, stiessen die Tunnelbauer
schon kurz nach Baubeginn im Jahre
2002 auf eine solche Zone. Statt eines
kompakten Übergangs zwischen zwei
Gneiszonen trafen die Tunnelvortriebe
auf einen Bereich stark zerbrochenen
Gesteins. Es kam zu einem Niederbruch. Massive Stahlträger, die sich
dem Berg entgegenstemmen sollten,
wurden von der Last zerdrückt, als seien sie aus Wachs. An den Bau der geplanten Multifunktionsstelle an dieser
Stelle war nicht mehr zu denken. Sie
musste um 700 Meter nach Süden verlegt werden. Inzwischen verlaufen die
Arbeiten in Faido wieder nach Plan.
Die Tunnelbohrmaschinen (vgl. Grafik2) arbeiten sich wie Riesenmaulwürfe nach Sedrun und nach Bodio vor.
Der Bohrkopf der Maschinen hat einen Durchmesser von knapp zehn Metern und stemmt sich mit einer Kraft
von 3000 Tonnen gegen den Fels. Die
Bohrmaschinen haben eine Länge von
fast 450 Metern und kümmern sich
auch um den Abtransport des herausgebrochenen Gesteins. Die noch warmen Steine landen auf einem Förderband, das die im hinteren Teil der Maschine bereitstehenden Loren befüllt.
Das tönt nach Fliessbandroutine, ist
in der Praxis aber oft genug das Gegenteil. Grössere Komplikationen könnten
auftreten, wenn die Arbeiter die gefürchtete Piora-Zone erreichen, die
zwischen penninischer Gneiszone und
Gotthardmassiv liegt. Dabei handelt es
sich um Sedimente, die sich vor der
Alpenhebung auf dem heutigen Gotthardmassiv abgelagert hatten. Viele
Geologen waren der Ansicht, dass die
fast lose Konsistenz dieser Gesteine
den Tunnelbau unmöglich machen
würde. Probebohrungen zeigten, dass
300 Meter über dem Tunnel in der Piorazone Wasser zirkuliert, was zu einem
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BOHRMASCHINELANGSAMUNDERREICHTNUR
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markanten Temperaturabfall führt
(vgl. Grafik3), und dass die Gesteine
dort als breiiger Sand vorliegen. Weitere Bohrungen weisen darauf hin, dass
das Gestein auf Tunnelniveau kompakt
und trocken ist und den Tunnelbau
daher nicht behindert. Ob sich diese
Einschätzung für den gesamten Tunnelquerschnitt bewahrheitet, wird sich
allerdings frühestens nächstes Jahr
zeigen, wenn die Tunnelbohrmaschinen den rund 150 Meter langen Bereich
durchfahren sollen.
Mit der Arbeit am Fliessband hat der
Tunnelbau auch an geologisch weniger
beanspruchten Stellen wenig gemein.
Die Arbeit ist gefährlich, trotz strengen
Sicherheitsauflagen im Tunnel. Es ist
eng und laut, die Lichtverhältnisse niemals so gut wie über Tage, und das
schwüle Tunnelklima fördert die Konzentration nicht gerade. Die Arbeiter
auf der Tunnelbohrmaschine stehen
ungesichert in einer Höhe von mehreren Metern. Hinzu kommen die geologischen Risiken, die sich trotz den
fortlaufenden Sondierbohrungen nie
ausschliessen lassen.
Gefährliche Arbeit
Auch die tägliche Vortriebsleistung
lässt sich trotz Maschineneinsatz nicht
planen wie der Ausstoss einer Autofabrik. «Schon kleinste Veränderungen
der Felsqualität haben einen grossen
Einfluss auf die Arbeit im Tunnel»,
erklärt Matthias Neuenschwander. «Im
Moment schaffen wir pro Tag sechs bis
zwölf Meter», sagt der Chefingenieur.
Von den Bestleistungen, die vor Weihnachten erzielt wurden, ist das zwar
noch einige Meter entfernt. Die Maschinen befinden sich jetzt aber in
leicht druckhaftem Gebirge. Das bedeutet, dass ein einmal gebohrtes Loch
sich aufgrund des Bergdrucks verkleinern oder sogar wieder vollständig
schliessen würde, wenn keine Gegenmassnahmen ergriffen werden.
In guter Geologie genügen in der
Regel Felsanker zur Stabilisierung des
aufgebohrten Profils. Das sind drei bis
Südportal Bodio
penninische Gneiszone
&ELSANKER
&RISCHLUFTZUFUHR
"OHRWAGEN
3PRITZMOBIL
6ORTRIEBS"OHRWAGEN
&AHRMISCHER -ULDENKIPPER 0NEULADER
sechs Meter lange Stahlstäbe, die wie
Dübel in den Fels gebohrt werden. Hinzu kommen Stahlnetze, die die Arbeiter vor Gesteinsbrocken schützen und
die abschliessend mit Spritzbeton gesichert werden.
Im druckhaften Gebirge müssen die
Tunnelbauer zusätzlich Stahlbögen
einbauen, die den Gebirgsdruck aufnehmen. Sie bestehen aus mehreren
Kreissegmenten, die sich infolge des
Gebirgsdrucks ineinander schieben,
bis der endgültige Tunneldurchmesser
erreicht ist. «Das Prinzip stammt aus
dem deutschen Steinkohlebergbau. In
der Konstruktion steckt sehr viel Erfahrung. Schon kleinste Veränderungen können zum Verhaken der Segmente führen», erklärt Heinz Ehrbar,
der Leiter Tunnel- und Trasseebau
Nord von Alptransit. In einem solchen
Fall verteilt sich die Kraft nicht mehr
gleichmässig, und die schweren Stahlbögen knicken ein wie Strohhalme.
Ehrbar ist für den Bauabschnitt Sedrun verantwortlich, der die höchsten
Anforderungen an die Tunnelbauer
stellt. Sedrun ist die einzige Baustelle
im Gotthardbasistunnel, an der keine
Tunnelbohrmaschinen eingesetzt werden. Das liegt einerseits am schwierigen Zugang zur Tunnelbasis, der
zunächst über einen kilometerlangen
Stollen und anschliessend über einen
800 Meter tiefen Schacht führt, und andererseits an der schwierigen Geologie
in diesem Bereich des Tunnels.
Nach Norden muss im konventionellen Vortrieb das Tavetscher Zwischenmassiv durchfahren werden, das
zwischen Aar- und Gotthardmassiv
eingeklemmt ist. Das Gebirge ist hier
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*
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Zwischenangriff
Amsteg
Nordportal Erstfeld
so druckhaft, das eine Tunnelbohrmaschine vom Gebirge eingeklemmt würde. «Statt rund neun Meter müssen wir
im druckhaften Gebirge Querschnitte
von bis zu 13 Metern Durchmesser ausbrechen», erklärt Ehrbar. Nur so können die Stahleinbaubögen am Ende einen ausreichend grossen Durchmesser
freihalten.
Für die Mineure bedeutet das, dass
sie vor einer 130 Quadratmeter grossen
Ortsbrust arbeiten, von der sich mit
explosiver Energie jederzeit Gesteinsbrocken lösen können. Sondierbohrungen, Felsanker, Armierungsnetze und
eine Versiegelung aus Spritzbeton sollen dieses Risiko so weit wie möglich
reduzieren. Dieser Aufwand hat allerdings zur Folge, dass der Vortrieb pro
Tag nur um durchschnittlich 1,30 Meter
voranschreitet. Und dabei steht den
Mineuren die schwierigste Aufgabe
erst noch bevor: die etwa 50 Meter
dicke Clavaniev-Zone am Übergang
zwischen Tavetscher Zwischenmassiv
und Aarmassiv, die sich grösstenteils
aus kohäsionslosen, mürben Gesteinen
zusammensetzt.
Der Vortrieb nach Süden von Sedrun
aus führt durch die Urseren-GaveraZone. Sie bildet eine geologische Ausnahme, weil sie aus Sedimentgestein
besteht, das bei der Alpenbildung zwischen die kristallinen Massive eingebaut wurde. «Die Gesteine sind hier
rund 270 Millionen Jahre alt und stark
verschiefert», erklärt Adrian Pfiffner.
«Glücklicherweise sind die Schieferlagen senkrecht zur Tunnelachse orientiert, was den Ausbruch erleichtert»,
erklärt der Geologe.
Vier Meter im Tag
Tatsächlich lief der Vortrieb nach Süden besser als erwartet, was an diesem
Abschnitt zu einem Vorsprung von
rund einem Jahr auf das Bauprogramm
führte. «Die durchschnittliche Leistung beträgt derzeit drei bis vier Meter
pro Tag», sagt Heinz Ehrbar. Von Se-
+
Die Mineure arbeiten
vor einer riesigen
Wand, von der sich
mit explosiver Energie
Gestein lösen kann.
..................................................................................
drun aus werden die Bergleute daher
mindestens einen Kilometer weiter
nach Süden vorstossen als ursprünglich geplant.
Ganz ohne Schwierigkeiten wird es
aber auch im Süden von Sedrun nicht
weitergehen. Die Gefahren liegen hier
ausnahmsweise nicht in der Tiefe.
Schon bald passieren die Mineure die
Hunderte Meter über ihnen liegenden
Staumauern Nalps, Curnera und Santa
Maria (vgl. Hauptgrafik). Sie sind einer
der Gründe für die von oben betrachtet
S-förmige Linienführung des Tunnels,
der keine Staumauer direkt unterfahren wird. Damit minimieren die Planer
das Risiko, das durch die Entwässerung des Gebirges auftreten könnte.
Der Schaden an der Talsperre Zeuzier
im Wallis hatte gezeigt, dass Tunnel gefährliche oberirdische Deformationen
verursachen können. Auch Messungen
an der Gotthardpassstrasse ergaben
Senkungen von bis zu 11,5 Zentimeter −
hervorgerufen vermutlich durch die
Entwässerung des Gebirges durch den
Strassen- und den Eisenbahntunnel.
Auch der neue Tunnel wird dem Gebirge Wasser entziehen, das durch eine
Sammelleitung nach draussen geleitet
wird (vgl. Grafik4). Weitere Deformationen des Gotthardmassivs werden
also nicht ausbleiben. Aber anders als
im 19. Jahrhundert haben die Tunnelbauer von heute ein vollautomatisches
Messsystem zur Verfügung. Falls notwendig, informiert es sie täglich darüber, wie der Hunderte Millionen Jahre
alte Fels auf die Begegnung mit der
Technik reagiert.
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