Dokumentation filmtonart – Tag der Filmmusik im BR 24. Juni 2010

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Dokumentation
2010
filmtonart – Tag der Filmmusik im BR
24. Juni 2010
Inhaltsverzeichnis
2
Vorwort
3
Stimmen zu filmtonart 2010
4
Programmüberblick
6
Mythos Filmmusik – wo die Sprache aufhört, fängt die Musik an?
7
Musik im Film – (R)echt komplex.
12
Keynote: Der Ton macht die Musik –
Sender und Produzenten in angespannten Zeiten.
14
Get Together
16
Filmmusik – die Klassik der Zukunft?
18
3-D – auch ein Hörerlebnis!
22
Wie klingt ein Bild? Live erleben, wie Filmmusik wirkt.
24
Der deutsche Film im Aufwind –
können die einheimischen Komponisten davon profitieren?
26
Cinema in Concert
28
Preisverleihung
30
filmtonart im Bayerischen Fernsehen und in BR-alpha
32
Ausblick filmtonart 2011
35
Impressum
36
Vorwort
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Filmmusik,
der Zuspruch im Vorjahr hat uns ermutigt, filmtonart behutsam auszubauen. 2010 gab es beim Tag der Filmmusik im BR daher zusätzliche
Panels, ein erweitertes Themenspektrum und einen neuen, mit Telepool
gemeinsam geschaffenen Filmmusikpreis, der im Rahmen des Konzerts
des Rundfunkorchesters an Howard Shore verliehen wurde.
Hinter filmtonart steht die Idee, Aktivitäten und Veranstaltungen zur
Filmmusik so zu bündeln und zu konzentrieren, dass sie stärkere Aufmerksamkeit und Beachtung finden. Als Bayerische Rundfunk wollen wir mit
filmtonart in erster Linie eine Plattform bieten, auf der die Partner die
speziellen Aspekte des Themas Filmmusik unter verschiedenen Blickwinkeln in eigener inhaltlicher Verantwortung erörtern können und so zu der
Breite und Vielfalt innerhalb des Veranstaltungsprogramms beitragen.
Viele Komponisten und Filmschaffende leben und arbeiten in München.
Und nicht wenige bedeutende Filme und deren Soundtracks sind hier
entstanden. Schließlich hat auch der Bayerische Rundfunk bei Musik und
Film besondere Schwerpunkte gesetzt. Er kann sich mit seinen renommierten Orchestern, den Musikprogrammen und der Filmkompetenz in
idealer Weise einbringen. Was also liegt näher, als filmtonart in München
zu veransalten und damit das Münchner Filmfest um eine interessante
Facette zu bereichern?
Wir möchten mit filmtonart aber nicht nur eine Anlaufstelle für Filmkomponisten sein, sondern auch einen Austausch und Dialog der Musiker
mit Regisseuren, Drehbuchautoren und Produzenten ermöglichen. Und
schließlich soll der Filmmusik-Interessierte wertvolle Informationen und
unterhaltsame Diskussionen finden. Damit das alles am Ende nicht flüchtig, sondern zumindest in den wesentlichen Erkenntnissen in schriftlicher
Form festgehalten bleibt, haben wir diese kleine Dokumentation erstellt,
bei deren Lektüre ich Ihnen viel Freude wünsche!
Stefan Wittich
Leiter Hauptabteilung
3
Stimmen zu filmtonart 2010
Reinhold Heil,
Komponist:
„Ich freue mich, dass der Bayerische Rundfunk das Thema Filmmusik würdigt und
ihm einen ganzen Tag widmet, und ich freue mich auch, dass ich dazu eingeladen
worden bin!“
Reinhold Heil
Prof. Dr. Enjott Schmeider
Barbara Schardt
Christian Petzold
Prof. Dr. Enjott Schneider,
Komponist, Inhaber des einzigen deutschen Lehrstuhls für Filmmusik:
„filmtonart als Ganzes hat mir wunderbar gefallen. Jedes Filmkomponistenherz
muss sagen, so was hat in Deutschland bisher gefehlt. Und dann noch der weitere Höhepunkt am Abend: Cinema in Concert – Filmmusik mit großem Orchester! Filmmusik braucht die Öffentlichkeit, denn je mehr der Film momentan
digitalisiert wird, sprich: ins Technische, ins Künstliche rutscht, umso mehr muss
man die Seele des Films, also Musik und Ton kultivieren.“
Barbara Schardt,
Cluster audiovisuelle Medien:
„Den Tag der Filmmusik zu veranstalten ist eine sinnvolle und schöne Ergänzung
des Filmfest. Die Teilnehmer haben die Möglichkeit auch neue, komplexere Aspekte, wie die Filmmusik in 3-D, nachvollziehbar mitzuerleben.“
Christian Petzold, Filmemacher:
„Ich finde es sehr wichtig, dass Hörfunk und Fernsehen sich um die Filmmusik
kümmern, weil damit in den letzten Jahren so viel Schindluder getrieben worden
ist, und es ist richtig, darüber zu reflektieren. Insofern finde ich filmtonart eine
sehr gute Veranstaltung.“
Dr. Ralf Weigand,
Komponist, Vorsitzender des Dt. Komponistenverbands / Bayern:
„filmtonart verdient vollste Unterstützung, denn die Veranstaltung rückt mit der
Filmmusik auf sehr gelungene Weise ein für viele Komponisten äußerst wichtiges
Betätigungsfeld in den Mittelpunkt der Wahrnehmung der Filmschaffenden und
Filmfans; damit wird einmal mehr die Wertigkeit unserer Arbeit für das Gesamtkunstwerk Film verdeutlicht!“
Dr. Martin Diesbach,
Noerr LLP:
„filmtonart bietet den perfekten Rahmen um mit Experten die Themen zu erörtern, die alle interessieren, die sich mit den rechtlichen Aspekten der Musiknutzung auseinander setzen müssen.“
Dr. Ralf Weigand
4
Andreas Ströhl,
Leiter des Filmfest München:
„Ich freue mich über filmtonart, weil Film ja nicht nur eine visuelle Kunst ist,
sondern auch eine auditive und ich glaube und hoffe, dass dieser Auftakt für das
Filmfest auch so eine Art Nachklang hat, der das ganze Filmfest über anhält.“
Bettina Reitz,
Leiterin des Programmbereichs Spiel-Film-Serie beim BR:
„Ich finde filmtonart eine großartige Initiative, weil sie Filmschaffenden und
Künstlern aus der Musikszene die Möglichkeit gibt, sich zu begegnen, sich über
ihre Arbeit auszutauschen und auch ein anderes Verständnis für die jeweilige
Arbeit zu entwickeln.“
Axel Linstädt,
Mitinitiator von filmtonart, Leiter BR-KLASSIK:
„Es ist wunderbar, wie der intonationssichere und stets homogen klingende
BR-Chor, die hochmotivierten und Filmmusik-erprobten Musiker des Münchner Rundfunkorchesters und schließlich der fantastische Dirigent Ulf Schirmer
zusammenwirkten, um die jeweils unterschiedlichen Intentionen der Partituren
präzise zu realisieren und die spezifische und einmalige Atmosphäre der verschiedenen Filme zu erzeugen – dies stets ‚con grande emozione‘.
Roger Willemsen gelang es, aus facettenreicher Musik und intelligenter Moderation eine Art ‚Gesamtkunstwerk‘ zu formen.“
Howard Shore,
Komponist, Gewinner des ersten BR-Filmmusik-Preises gestiftet von Telepool:
„Es freut mich zu sehen, dass das Interesse an dem Thema Filmmusik so groß ist
und dass ich bei so einer gelungenen Veranstaltung dabei sein kann.“
Andreas Weyhenmeyer,
Preisträger beim filmtonart-Kompositionswettbewerb:
„Ich finde es generell interessant, dass man bei filmtonart einen Einblick in eine
Welt bekommt, von der man sonst nichts mitkriegt. Ich versuche zwar, irgendwann mal Fuß in diesem Bereich zu fassen, aber die ganze Atmosphäre hier
aufzuschnappen, mitzuerleben, wie diese Leute miteinander kommunizieren und
was in den Panels besprochen wird, finde ich persönlich sehr interessant. Das
bringt mir und allen anderen Besuchern sehr viel!“
Dr. Martin Diesbach
Andreas Ströhl
Dr. Bettina Reitz
Axel Linstädt
Thomas Bauer,
Preisträger beim filmtonart-Kompositionswettbewerb:
„Ich finde filmtonart eine super Veranstaltung, weil mich der Bereich Film sehr
interessiert. Auch toll, dass es so einen Wettbewerb gibt. Vielen Dank!“
Howard Shore
5
Programm
6
13.00 Uhr
Einlass
13.30 Uhr
Mythos Filmmusik –
wo die Sprache aufhört, fängt die Musik an?
Gäste: Reinhold Heil, Christian Petzold
Moderation: Bettina Reitz (BR)
13.30 Uhr
Musik im Film – (R)echt komplex.
Gäste: Steff Hummel, Kilian Steiner, Dr. Benjamin Vollrath, Georg Höss
Moderation: Dr. Martin Diesbach, (Noerr LLP)
14.45 Uhr
Keynote: Der Ton macht die Musik –
Sender und Produzenten in angespannten Zeiten.
Dr. Christoph E. Palmer, Geschäftsführer der
Allianz deutscher Produzenten – Film & Fernsehen e.V.
15.15 Uhr
Get-together
16.00 Uhr
Filmmusik – die Klassik der Zukunft?
Gäste: Thomas Frank, Ludwig Wicki, Frank Strobel, Howard Shore
Moderation: Matthias Keller (BR-KLASSIK)
16.00 Uhr
3-D – auch ein Hörerlebnis!
Gäste: Holger Busse, Jörn Langhammer, Heiko Müller, Ralf Wengenmayr
Moderation: Barbara Schardt (Cluster audiovisuelle Medien)
17.10 Uhr
Get-together, Kaffeepause
17.30 Uhr
Wie klingt ein Bild? Live erleben, wie Filmmusik wirkt.
Gäste: Prof. Dr. Enjott Schneider, Studierende der Musikhochschule München
Moderation: Adrian Prechtel (Abendzeitung)
17.00 Uhr
Der deutsche Film im Aufwind –
können die einheimischen Komponisten davon profitieren?
Gäste: Marcel Barsotti, Dr. Rainer Fabich, Bettina Reitz, Ralf Wengenmayr
Moderation: Dr. Ralf Weigand (Deutscher Komponisten Verband)
18.40 Uhr
Get-together
20.00 Uhr
Cinema in Concert im Circus Krone
und Verleihung des Filmmusik-Preises gestiftet von BR und Telepool
Panel: Mythos Filmmusik –
wo die Sprache aufhört, fängt die Musik an?
Unterschiedlicher könnten die Sichtweisen nicht sein: Die beiden Gäste, die Bettina
Reitz (BR, Leiterin Programmbereich Spiel-Film-Serie) zu ihrem Panel eingeladen hatte,
vertreten ganz verschiedene Standpunkte, was Musik im Film angeht. Allerdings hatten Reinhold Heil und Christian Petzold sich auf dem Flug von Berlin nach München
schon ausgetauscht (Reitz: „Oh, das ist immer gefährlich!“). Zwar sind sie dabei auf
keinen gemeinsamen Nenner gekommen, hatten aber offenbar Gemeinsamkeiten
entdeckt und von hartem Schlagabtausch schon von vornherein Abstand genommen.
Reinhold Heil war Bandmitglied in der Nina Hagen Band und bei Spliff. Heute ist er
als Komponist (zusammen mit Johnny Klimek und Tom Tykwer) für die Musik in den
Tykwer-Filmen (u.a. „Lola rennt“ (1998), „Das Parfum“ (2006), „The International“
(2009), „Drei“ (2010)) verantwortlich, hat aber auch mit verschiedenen anderen Regisseuren zusammengearbeitet, darunter mit Marc Rothemund für „Sophie Scholl - die
letzten Tage“ (2005). Bei Tykwer spielt die Musik eine absolut tragende Rolle, kreiert
ein spezifisches Lebensgefühl oder zieht den Zuschauer emotional in den Film hinein.
Heil lebt in Los Angeles und würde gerne ganz große Hollywoodfilme machen. Spaß
hat er aber auch an den US-amerikanischen „Super-Low-Budget-Filmen“, da dort die
Filmemacher richtig „hungrig seien“ und nicht wie hierzulande durch die Filmförderung „gesättigt“.
Der vielfach ausgezeichnete Autorenfilmer Christian Petzold (u.a. „Die innere Sicherheit“ (2000), „Toter Mann“ (2002), „Gespenster“ (2005), „Jerichow“ (2008)) hingegen
verfolgt in Punkto Filmmusik einen sehr minimalistischen Ansatz. Er setzt Musik nur
äußerst sparsam, wie er sagt „als Markierung wesentlicher Momente“ ein und lässt
an keiner Stelle „emotionale Überwältigungen“ rein durch die Musik zu.
Von links: Christian Petzold (Regisseur), Bettina Reitz (Leitung Programmbereich Spiel-Film-Serie, BR),
Reinhold Heil (Filmkomponist).
7
Panel: Mythos Filmmusik –
wo die Sprache aufhört, fängt die Musik an?
Fluch der „Temp Musik“
Der Vorspann von „Lola rennt“ zeigt, wie wichtig die Musik bei Tykwer ist:
Schnelle Technobeats treiben eine Trickfilmlola geradezu durch die Straßen,
Musik und Schnitt sind eine Einheit – Bettina Reitz fragt, was als Erstes da
war: Schnitt oder Musik? Heil erklärt, dass zunächst der Schnitt da war, dann
das Tempo festgelegt wurde und dem Ganzen eine sogenannte „Temp Musik“
unterlegt wurde, d.h. eine schon existierende Musik, die quasi als Platzhalter
dient, bis schließlich die eigentliche Filmmusik fertig ist. „Temp Musik“ ist
für Regisseure und Komponisten ein heißes Eisen, da man sich im Laufe der
Produktion sehr an sie gewöhnt, bzw. eine solch „emotionale Verbindung“
(Petzold) zu ihr aufbaut, dass sie für alle Beteiligten zum Original wird. Dieser
Gewöhnungsprozess muss dann für die eigentliche Filmmusik erst wieder von
vorne beginnen, was zu Frustrationen auf allen Seiten führt: Der Komponist
muss dagegen ankämpfen und der Regisseur hat zunächst das Gefühl, dass
das Ganze nie wieder so gut wird wie mit dem geliebten Platzhalter. Die Lösung liegt scheinbar auf der Hand: Warum wird der Prozess nicht umgekehrt,
warum wird nicht die endgültige Musik schon während des Drehs und beim
Schnitt verwendet? Heil erzählt, dass das bei „The International“ so war. Allerdings sei das eine Budgetfrage, weil nicht nur durch das nachträgliche Umarbeiten wieder Kosten anfallen. Momentan steckt Heil wieder in einem Projekt,
bei dem er sich eigentlich geschworen hat: „Nie wieder Temp Musik!“ – häufig
führe aber schlicht kein Weg daran vorbei.
Filmemacher als „Maler“, „Komponisten“ oder „Schriftsteller“
Auch in Petzolds „Jerichow“ hatte sich die gesamte Belegschaft, wie Petzold
erzählt, „in die Temp Musik geradezu verliebt“. Stefan Will musste als Komponist hinterher dagegen ankämpfen – keine leichte Aufgabe! Aber „Jerichow“
ist auch ein Beispiel dafür, wie sparsam Petzold mit Musik umgeht: Zunächst
dauert es sehr lange, bis die Musik überhaupt einsetzt und dann ist es immer
das gleiche Motiv, das als „Schwellenmusik“ wirkt, als Markierung wesentlicher
Momente. Heil pflichtet Petzold bei und sagt, zu eklektische Musik könne viel
kaputt machen. Einigkeit herrscht in der Runde: Unter den Filmemachern gebe
es eben „Maler“ wie Lynch, „Komponisten“ wie Tykwer und „Schriftsteller“ – und
zu Letzteren zählt sich Petzold.
8
Lieber zeitlos als modisch
Unterschiedlicher Einsatz von Klassik
Auf Bettina Reitz’ Frage nach Vorbildern antwortet Heil, er sei allgemein ein „Qualitätsfanatiker“.
An den Impressionisten, an Debussy oder Ravel,
aber auch an Strawinsky komme man als Filmmusikkomponist nicht vorbei. Heils Liebe zu Bach
zeigt sich in „Das Parfum“ (2006) – wiederum
eine Parallele zu Petzold, der in „Gespenster“ mit
der Bachkantate „Ich hatte viel Bekümmernis“
(BWV 21) auf eben jene musikalische Autorität
zurückgreift. So plädiert auch Petzold dafür, dass
Filmmusik zeitlos zu sein habe, sonst altere der
Film vorschnell. Als Beispiel nennt Heil den inzwischen zum Klassiker gewordenen Film „Scarface“
(1983), bei dem Giorgio Moroders elektronischer
Score vor nahezu 30 Jahren für den Golden Globe
nominiert war. Heute könne man die Musik nicht
mehr anhören – Einigkeit auch hier bei den Gesprächspartnern: lieber zeitlos als modisch, sonst
altert’s!
So bedienen sich sowohl Petzold als auch Heil beide
der Klassik, allerdings mit unterschiedlichem Ziel: In
„Sophie Scholl“ untermalt das Forellenquintett das
Bild und erzeugt eine freudvolle, heitere Stimmung.
Petzold hingegen sagt: „Musik soll keine Gefühle
abrufen, sonst ist es Werbung!“ – für ihn fungierte
die Bachkannte in „Gespenster“ eher als Ideengeber:
„Fluten rauschen stets einher, Sturm und Wellen mich
versehren, Und dies trübsalsvolle Meer will mir Geist
und Leben schwächen, Mast und Anker wollen brechen, Hier versink ich in den Grund, dort seh ich in der
Hölle Schlund.“ In der Kantate geht es um Trostarbeit
– in „Gespenster“ um das Trauma, ein Kind verloren zu
haben. Die Musik verleiht somit Tiefe und Dimension
und markiert jeweils die Schwelle, an der der Film
aufhört, dialogisch zu sein. Die Musik soll für Petzold
nicht ins Unbewusste wegrutschen, sondern wie der
Chor in der griechischen Tragödie als Kommentator
neben dem Bild stehen.
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Panel: Mythos Filmmusik –
wo die Sprache aufhört, fängt die Musik an?
Persönlicher Bezug vs. neu geschriebene Musik
„Elegant gescheitert“
Petzold benutzt Musik somit auf ganz spezifische Art: Häufig hat sie für ihn schon eine viel
ältere Geschichte als der Film selber, ist Musik,
mit der ihn etwas verbindet – häufig auf ganz
persönliche Weise. Für Heil als Filmkomponist ist
der Ablauf normalerweise ein ganz anderer: Es
gibt eine „Spotting Session“, bei der der Regisseur sagt, wo er Musik haben möchte und wo
nicht. Dann geht er als Komponist an die Arbeit
und macht Vorschläge, zu denen der Regisseur
ja oder nein sagen kann. Bei „Sophie Scholl“ sind
das Übergangsmusiken, z.B. wenn Sophie an
andere Orte gebracht wird, Spannungsmusiken,
z.B. während der Flugblattaktion oder aber Stille,
z.B. bei den Verhören. Die Hinrichtung wiederum
ist mit Musik unterlegt. Auf Bettina Reitz’ Frage,
warum das so sei, sagt Heil lakonisch: „Weil der
Regisseur das so wollte!“ – der Filmkomponist als
Auftragsempfänger!
Heil zufolge „allenfalls elegant gescheitert“ sei
das Trio Tykwer-Klimek-Heil an der Aufgabe,
für „Das Parfum“ eine Musik zu schreiben, die
Gerüche spürbar machen kann. Man habe zwar
die Berliner Symphoniker unter Sir Simon Rattle
mit Klängen experimentieren lassen, eigens
wurde ein avantgardistisches Ensemble zusammengestellt – letztlich sei es aber doch ein recht
klassischer symphonischer Score mit sehr vielen
musikalischen Themen geworden, die aber alle –
so Heil – „verwandt miteinander“ seien. Schließlich hat vor allem das Sounddesign eine tragende
Rolle übernommen. Dabei wurde dem Trio klar
– und bei dieser Erkenntnis musste Petzold dann
doch schmunzeln – dass die Manifestation von
Geruch durch Musik illusorisch ist.
Christian Petzold
10
Plattensammlung als Sargnagel für eine Ehe
Auf die Frage, ob er nicht auch mal Lust auf einen symphonischen Filmscore hätte, äußert Petzold seine Verehrung für die
Musiken von Georges Delerue für Jean-Luc Godard oder von
Bernard Herrmann für Alfred Hitchcock. Das seien keine, die
„einfach unter das Bild flutschen“, sondern welche, die daneben stehen bleiben. Außerdem habe er mal eine traumatische
Erfahrung mit Filmmusik gehabt - seitdem wolle er das Symphonische nicht mehr – vielleicht irgendwann mal wieder! Bis
dahin schreibt er bestimmte „wichtige Songs“ schon ins Drehbuch, wie etwa bei „Toter Mann“ (2001), wo Burt Bacharachs
„What the World Needs Now is Love“ quasi eine der Hauptrollen
des Filmes spielt. Petzold „schenkt“ der Figur den Song, der
den Mann bei seiner Gefühlsarbeit zeigt. Petzold benützt in
seinen Filmen wichtige Songs und erzählt von einem Freund,
der seine Plattensammlung mit in die Gruft nehmen möchte,
weil er Angst hat, dass die Sammlung nach seinem Ableben für
1 Euro verkauft wird. Dieser Gedanke gefällt Heil. Er erzählt, der
Sargnagel für seine Ehe sei der Moment gewesen als seine Frau
seine Plattensammlung in die Garage verlagert habe…
Bettina Reitz
Reinhold Heil
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Panel: „Musik im Film –
(R)echt komplex.“
„Die Klärung von Musikrechten für Filme gleicht einem Minenfeld, weil eine Vielzahl von Rechten zu klären sein
kann. Diese Minen wollen wir heute ausräumen“, begrüßte Rechtsanwalt Dr. Martin Diesbach von Noerr LLP die
Panelgäste. Georg Höss von Bavaria Film, Rechtsanwalt Dr. Benjamin Vollrath, Steff Hummel von der Agentur
Xscape und Kilian Steiner von der GEMA tauschten sich rege über die rechtlichen und praktischen Probleme bei
der Klärung von Musikrechten aus. Welche rechtlichen Fallstricke existieren, wenn Musik in Filmproduktionen
genutzt wird, und wie können diese vermieden werden?
Dr. Benjamin Vollrath
Georg Höss
Dr. Martin Diesbach
Um ein bestehendes musikalisches Werk, so genannte
Source-Musik, in einem Filmwerk zu nutzen, müssen die entsprechenden Rechte von verschiedenen
Berechtigten erworben werden. In der Praxis besteht
daher der Wunsch nach einem „One Stop Shop“ , einer
zentralen Anlaufstelle zur Klärung sämtlicher Rechte
an Komposition und Tonträger, um die Rechteklärung
zu vereinfachen. Dies ist praktisch aber nur schwer
umsetzbar, da es viele verschiedene Ansprechpartner
gibt. Überlegenswert könnte z.B. eine kollektive Abrechnung, z.B. über die GEMA als zentrale Ansprechpartnerin für die Verwerter, sein. Dies würde zwar
nicht dazu führen, dass die Rechte dadurch günstiger
werden, die Rechteklärung würde durch einen zentralen Ansprechpartner jedoch transparenter und
zumindest entstünde eine Zeitersparnis.
Einfacher erscheint es da, einen Komponisten ins Boot
zu holen und Musik selbst zu kreieren, so genannte
Score-Musik. Dazu muss mit dem Komponisten ein
unfangreicher Vertrag mit verschiedenen Vorgaben
12
Kilian Steiner
Steff Hummel
abgeschlossen werden. Festzulegen sind zum Beispiel wie die Musik klingen soll, die Terminierung der
Abnahme, Vergütungshöhe - üblich sind dabei zwei
bis fünf Prozent vom Filmbudget - und nicht zuletzt
die Beteiligung des Komponisten bei der weiteren
Auswertung. Zwar ist man bei Auftragsmusik am
Entstehungsprozess beteiligt, und die aufwändige
Rechteklärung entfällt, dafür muss der Auftraggeber
aber sehr genau hinschauen und eine präzise Vorstellung von dem Ergebnis haben. Dies ist manchmal sehr
zeitaufwändig und das Resultat kann überraschend
sein. Dafür können aber zusätzliche Erlöse bei der
Verwertung erzielt werden.
Oftmals wird in einem Film sowohl Source- als auch
Score-Musik verwendet. „Nach welchen Kriterien bestimmt sich eigentlich, ob in einer bestimmten Szene
Source oder Score Musik verwendet wird?“ möchte
Diesbach wissen. Höss entgegnet, dass die Entscheidung grundsätzlich vom Regisseur getroffen wird. Für
den Verwerter sei es aber meist kostengünstiger Score
Musik zu verwenden, bei bestimmten Szenen lasse es
sich aber nicht vermeiden Source Musik zu verwenden, z.B. weil ein bestimmtes Lied im Radio gespielt
werden soll, auch wenn dies für den Produzenten mit
einer aufwändigeren Rechteklärung und unter Umständen höheren Kosten verbunden ist ...
Ein Panel zum Thema „Rechtefragen“ anzubieten, das
war das Anliegen von filmtonart – sozusagen ein Serviceangebot für alle Komponisten oder anders Involvierten. Die Kanzlei Noerr hat mit ihrer Veranstaltung
das Studio bis hin zu den Stehplätzen gefüllt – Fortsetzung und Vertiefung im nächsten Jahr sind geplant!
Steff Hummel, Agentur Xscape:
„Wenn man von Musikrechten spricht, rutschen die
Rechtsanwälte oft unruhig auf ihren Stühlen umher.
Hier wurden alle Eckpunkte angesprochen, worauf
man zukünftig aufbauen kann. Ich wünsche mir, dass
nächstes Mal die Plattenfirmen noch mehr eingebunden werden.“
Georg Höss, Bavaria Film:
„Das Panel hatte ein sehr gutes inhaltliches Niveau und
war nicht zu abgehoben. Insgesamt ist filmtonart ein
gelungener Event. Die Themen sind sehr gut geplant
und ausgewählt worden.“
Von links: Dr. Benjamin Vollrath (Noerr LLP Wirtschaftskanzlei), Georg Höss (Bavaria Film), Dr. Martin Diesbach (Noerr LLP Wirtschaftskanzlei),
Kilian Steiner (GEMA) und Steff Hummel (Agentur Xscape).
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Keynote: Der Ton macht die Musik –
Sender und Produzenten in angespannten Zeiten.
filmtonart will den Bogen spannen von den Musikschaffenden zu den Filmschaffenden. Deshalb wurde
mit Dr. Christoph E. Palmer, dem Geschäftsführer der
Allianz deutscher Produzenten, eine Schlüsselfigur aus
der Produktionsbranche gebeten, die Keynote zu sprechen. Palmer hat umgehend zugesagt und ein wichtiges Thema gesetzt: Wie sieht das Verhältnis von Sendern und Produktionen in angespannter Zeit aus?
Wer hat recht? Adorno, Arnheim oder Frank Strobel?
Während Theodor W. Adorno die Filmmusik zur „Begleiterin“ degradiert, Rudolf Arnheim die Filmmusik
im besten Falle nicht bemerken möchte, erklärt Frank
Strobel (Leiter der europäischen Filmphilharmonie in
Berlin) – das hatte Palmer ein paar Wochen vor filmtonart zufällig im Flieger gelesen – das sei ja „absoluter
Quatsch“. Und damit war die Keynote bei ihrem ersten
Thema: Film und Musik gehören zusammen. Und auch
wenn das Verhältnis zwischen der Welt an sich und der
Filmmusik als solcher nicht immer das allereinfachste
war: „Filmmusik ist ein magischer Teil des Schaffens,
der Gemeinschaftsarbeit Film“.
In der perfekten Filmmusik, so Palmer, käme Großes zu
Großem – und deshalb sei es wichtig, den Sinn dafür
zu schärfen:
14
„Unverzichtbar ist aus meiner Sicht jedoch, dass der
Produzent um die Bedeutung der Filmmusik weiß. Das
amerikanische Verständnis vom Eigenwert der Filmmusik ist zwar noch nicht überall in den deutschen
Köpfen angekommen, aber Veranstaltungen wie diese
tragen dazu bei, Veränderungen zu befördern.“
Diese Art von Qualitätspartnerschaft fordert Palmer einerseits von Produzent und Filmkomponist, aber auch
– und hier schlägt er den Bogen zu dem Thema, das
ihm am Herzen liegt – von Sender und Produzenten.
Im zweiten Teil seiner Keynote mahnt Palmer die Sender, die aus seiner Sicht unverzichtbare Neuregelung
der Vergabe von Rechten bei Auftragsproduktionen,
weiter voranzutreiben. Wer welche Rechte erhält, ist
zwischen Produzenten und Sendern ein stets diskutiertes Thema. Ein guter Schritt, so Palmer, sei die
Grundsatzverständigung zwischen der ARD und der
Produzentenallianz, die im vergangenen Jahr zustande
gekommen war.
Das Fazit der Keynote von Dr. Christoph E. Palmer: Wer
miteinander in Qualitätspartnerschaft tritt, kommt
voran. „Der gute Ton macht die Musik“ – das gilt für
Sender, Produzenten und Komponisten.
DR. Christoph E. Palmer (Geschäftsführer der Allianz deutscher Produzenten - Film und Fernsehen e.V.)
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Get Together
Georg Höss (links) und Dr. Martin Diesbach
Reinhold Heil im Interview
16
Marmorfoyer des Bayerischen Rundfunks
Von links: Hubert von Spreti und Markus Aicher
Von links: Horst Peter Koll
und Frank Strobel
Marmorfoyer des Bayerischen Rundfunks
Ludwig Wicki
Von links: Matthias Keller, Howard Shore, Jim Sampson.
Enjott Schneider im Interview.
Von links: Christian Petzold, Bettina
Reitz und Walter Greifenstein
Von links: Walter Greifenstein,
Thomas Sessner
Von links: Gesine Pucci, Steff Hummel und Uwe Sperlich
Innenhof des Bayerischen Rundfunks
Jürgen Seeger
Helmut Zerlett
Dieter Schleip
Dr. Steffen Kuchenreuther (links) und Prof. Dr. Klaus Schaefer
Christian Petzold im Interview.
Andreas Ströhl und
Elke Falkenberg
Von links: Axel Linstädtund Dr. Carsten Wulff
Marmorfoyer des Bayerischen Rundfunks
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Panel: Filmmusik –
die Klassik der Zukunft?
Fakt ist: Filmmusik begeistert viele, die mit klassischer
Musik gar nicht so viel anfangen können oder wollen.
Schüler, die von Richard Wagner nur schwer hinterm
Sofa hervorgelockt werden, sind ganz Ohr, wenn es
etwa um „Starwars“ geht. Musiklehrer Thomas Frank
greift deswegen in die Trickkiste, um an seine Schüler ranzukommen: Er spielt ihnen die Musik für den
Vorspann zu einem Film vor und sie sollen sagen, was
für ein Film das wohl ist. Der Trick dabei – die Musik
klang wie Filmmusik, war aber tatsächlich Wagners
„Fliegender Holländer“.
Neben dem Musikpädagogen Thomas Frank hatte
Matthias Keller („Cinema“ auf BR-KLASSIK) zu seinem
Panel noch Ludwig Wicki, den Dirigenten und künstlerischen Leiter des „21st Century Orchestra“, das mit
der Howard Shore-Musik aus „Der Herr der Ringe“ auf
Tour ist, und Frank Strobel, den Dirigenten und künstlerischen Leiter der Europäischen Filmphilharmonie,
eingeladen. Gemeinsam wollte man der Frage auf den
Grund gehen, ob in der Filmmusik, die generationsund genreübergreifend wirkt und über die Filme
Millionen erreicht, die Zukunft von Orchestern und
Klassikveranstaltern liegt. Als besonderer Höhepunkt
saß bei dieser Veranstaltung auch Howard Shore im
Publikum, der von seinem Platz aus mitdiskutierte.
Filmmusik – nur für musikalische Banausen?
Liegt die Begeisterung der Schüler am Thema „Filmmusik“ daran, dass sie, wie Frank Strobel es ausdrückt,
„Kino im Kopf“ entstehen lässt, weil es eine Musik ist,
die „griffig“ ist? Ludwig Wicki argumentiert ähnlich:
mit der Filmmusik sei man ja heutzutage aufgewachsen: „Es ist eine emotionale, freie Welt ohne die
Handschellen der klassischen Musik“. Schon als Kind
habe er gedacht: „Ich möchte die Musik von Winnetou
spielen!“ Und auch heute sagt er: „Ich mag Filmmusik“ – ein Satz, der ihn hierzulande früher als musikalischen Banausen gebrandmarkt hätte. Obwohl
das schon immer ein bisschen gewesen sei wie bei
McDonald’s: „Keiner geht hin, aber sie machen einen
Riesenumsatz!“
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In der Zwischenzeit hat sich daran einiges geändert.
Frank Strobel sagt, allein die Tatsache, dass die Berliner Philharmoniker Filmmusik spielen, sei ein sicheres
Anzeichen dafür. Und immer mehr Orchester machen
sich die Popularität beim jüngeren Publikum zunutze
– ist das ihr „neues“ Publikum, liegt hier ihre Zukunft?
Berührungsängste hierzulande
Die Wurzeln der Filmmusik liegen in Europa: Camille
Saint Saëns schrieb für „L’assassinat du duc de Guise“
(1908) die erste Originalmusik für einen Film. Dann
verlagerte sich der Schwerpunkt nach Hollywood und
kommt jetzt – so Matthias Keller – „wieder zurück“.
Allerdings wurde ihr in Deutschland lange Zeit mit
großem Vorbehalt begegnet. Ganz anders im angelsächsischen Raum und in Osteuropa: Hier sei Filmmusik – ebenso wie in Österreich und in der Schweiz
– schon von jeher sehr populär, so Strobel. Berührungsängste, wie sie in Deutschland in Bezug auf
Filmmusik herrschen, erklärt Frank Strobel historisch
– und zwar mit der deutschen Geschichte im Allgemeinen: „Goebbels wusste genau, wie man Musik
einsetzt“! Langsam gebe es aber eine Öffnung in der
Klassikszene, eben weil Filmmusikkonzerte eine relativ
breite Öffentlichkeit begeistern und die Orchester sich
überlegen müssen, wer ihr neues Publikum ist. Filmmusik diene da momentan als probates Vehikel.
Filmmusik – schwer greifbar
Aber was ist eigentlich Filmmusik? Sie lässt sich nicht
in ein Genre fassen – die Bandbreite reicht von Renaissance-Musik bis Techno. Zudem ist Filmmusik eine Art
„Second Hand Musik“, wie Keller sich ausdrückt, deren
Erstverwendung im Film stattfindet und die danach
in den meisten Fällen erst transformiert werden muss
um aufführbar zu sein. So kann Musik, die im Film
wunderbar funktioniert, unter Umständen vollkommen ungeeignet für den Konzertsaal sein – oder aber
umgekehrt. Und auch wie mit den Noten umgegan-
gen wird, die für die Einspielung eines Scores benötigt wurden, ist ganz unterschiedlich: Von Ennio Morricone selbst
gibt es beispielsweise keinerlei Material. Er hat in Rom eine
Art „Giftkammer“, zu der nicht einmal seine Frau Zugang
hat, in der er die Noten für seine Musik aufbewahrt. Ganz
anders bei John Williams, der seine Musik selbst so transformiert, dass sie symphonisch aufgeführt werden kann.
Avantgarde für alle
Bei der konzertanten Aufführung von Filmmusik verfolgt
das Publikum eine Art von Musik mit Interesse, bei der
ansonsten häufig der Konzertsaal türenschlagend verlassen wird: Für Horrorfilme werden beispielsweise oft
hochavantgardistische Kompositionstechniken verwendet
– bis hin zur 12-Ton-Technik. Wicki erklärt sich das so: Musik
„funktioniert“, wenn man dabei fühlen kann, wenn der Hörer eine Art „Leitfaden für Gefühle“ an die Hand bekommt.
Das ist grundsätzlich bei Musik der Romantik – die ja
häufig „Programmmusik“ ist – eher einfach, bei avantgar-
distischer Musik hingegen schwierig. Wenn aber auf
einer anderen Ebene der Film schon Gefühle erzeugt
hat, kann die sperrige avantgardistische Filmmusik
trotzdem Gefühle erstehen lassen.
Der Herr der „Der Herr der Ringe“-Musik
Ludwig Wicki bringt mit seinem „21st Century Orchestra“ die Musik der „Der Herr der Ringe“-Trilogie
sehr erfolgreich zur Aufführung. Er schwärmt vom
breiten Spektrum, das die Howard Shore-Scores
bieten: Chorsequenzen mit Dissonanzen, Aleatorik
oder gregorianischem Gepräge – und alles aus einer
Hand! Diese Chormusik begeistert die Filmseher und
hat einen wahren Run auf Chöre in aller Welt ausgelöst. Matthias Keller nennt das eine „revolution in the
response of the audience“ und fragt Howard Shore
direkt, ob er das so erwartet habe. Howard Shore antwortet schlicht: „No!“
Von links: Ludwig Wicki (Dirigent), Matthias Keller (Moderator BR-KLASSIK), Thomas Frank (Musikpädagoge) und Frank Strobel (Dirigent und
künstler. Leiter der Europäischen Filmphilharmonie).
19
Panel: Filmmusik –
die Klassik der Zukunft?
“I see music and I hear movie!”
Qualität setzt sich durch
Howard Shore sagt, seine Musik sei keine neue
Form der Oper, da die Oper durch Worte funktioniere, eine Geschichte transportiere, wohingegen
seine Musik auf diese Verständnisebene nicht
angewiesen sei – die Choräle im Score von „Der
Herr der Ringe“ sind allesamt in der von Tolkien
erschaffenen Kunstsprache gehalten und somit
wirken die Worte jenseits des Textinhalts, anders
als in der Oper, in erster Linie musikalisch. Auch
Bilder braucht Howard Shores Musik nicht unbedingt um zu funktionieren. Er selbst sagt sowieso: „I see music and I hear movie“.
Howard Shore betont, dass es ihm wichtig ist,
seine Musik für die symphonische Aufführung im
Konzertsaal zu transformieren, weil sie so für die
Nachwelt erhalten bleibt: „I’m a collector. I like
and save things from the past! I preserve a score
that can thus be played – otherwise it would be
lost!“ So orchestriert er selbst und freut sich, dass
dadurch jedes Mal auch wieder etwas Neues
entsteht, das unabhängig von der Bildsprache
des Filmes funktioniert. Strobel fügt hinzu, dass
diese direkte Wirkung das Ganze so erfolgreich
macht, weil es eben auch ganz pur funktioniert.
Er sieht im Moment in der Gesellschaft ein Bedürfnis nach „einfachen, aber starken Formen“,
nach einer gemeinsamen Erfahrung jenseits von
Multimediaevents.
Zusammenfassend sagt Matthias Keller, dass Filmmusik
in Deutschland trotz der Veränderungen, die im Moment
zu verzeichnen sind, in der Konzertwelt immer noch einen
eher schwierigen Stand hat. Viele verbinden, so Keller, mit
Filmmusik keine qualitativ hochwertige und anspruchsvolle Musik, sondern denken an etwas, „das jemand schnell
am Computer zusammengeschraubt hat“. Aber einige
Komponisten sind sowohl im Film- wie auch im „seriösen“
Lager anerkannt. So etwa Nino Rota, der nicht nur Fellinis
Hauskomponist war, sondern auch für seine sonstigen
Kompositionen großes Ansehen genießt. Oder aber Camille
Saint-Saëns, Sergei Prokofjew oder Dmitri Schostakowitsch
– solche Namen überzeugen die Orchester davon, auch mal
Filmmusik ins Programm zu nehmen. Dazu kommt, dass
Filmmusik viel besser ist als ihr Ruf und insofern immer
mehr Anhänger findet. Wicki sagt, er als Kirchenmusiker habe es schon mit „großer klassischer Musik“ zu tun
gehabt, die qualitativ viel schlechter sei als Vieles, was sich
„Filmmusik“ nenne.
Keller fragt Wicki, ob er in seinen Konzerten auch mischen
würde, ob er Filmmusik und „seriöse“ Musik in einem
Konzert präsentieren würde, um so der Filmmusik aus
ihrem „Ghetto“ herauszuhelfen. Wicki betont, er müsse
darauf achten, dass Leute kommen, sei auf Eintrittsgelder
angewiesen, daher müsse er massentaugliche Konzepte
anbieten. Die Denkweise, so zu trennen sei ihm allerdings
fremd, er sagt, für ihn gebe es eben nur „tolle“ Musik oder
aber schlechte Musik.
Matthias Keller
20
Fazit
Wicki sagt: „Wir funktionieren nur, wenn Leute kommen, wir brauchen die Eintrittsgelder!“ Wenn man ein
„Konzert mit Musik von John Williams“ ankündige,
bleibt der Saal leer. Wenn man aber eine „StarwarsMusik-Nacht“ präsentiert, ist das Ganze ausverkauft.
Insofern funktioniert die Sache folgendermaßen:
Zuerst gibt es einen Film, den die Menschen lieben.
Deswegen wollen sie den Soundtrack hören und
schließlich kommen sie auch ins Konzert. Insofern ist
die Tatsache, dass Filmmusik bei der jungen Zuhörerschaft so beliebt ist, eng verknüpft mit den großen
Box-Office-Erfolgen und bietet, so Strobel „eine große
Chance für die Orchester, weil sie Menschen über die
Schwelle zum Konzertsaal hilft“. Wer diesen Mechanismus zu nutzen versteht, kann mit Filmmusik
auch konzertant große Erfolge verbuchen – oder aber
widerwillige Schüler begeistern.
Ludwig Wicki
Frank Strobel
Frank Strobel, Dirigent und künstlerischer
Leiter der Europäischen Filmphilharmonie
Ich finde natürlich eine solche Veranstaltung
ganz wichtig, weil wir ja immer alle gemeinsam dafür kämpfen, dass man Filmmusik etabliert, dass man Filmmusik ernst nimmt, dass
man sich mit Filmmusik von verschiedensten
Seiten aus auseinandersetzt und ihr begegnet. Und ich glaube, dass eine Veranstaltung
wie filmtonart hier im Bayerischen Rundfunk
gar nicht mehr wegzudenken ist.
Ludwig Wicki, Dirigent und künstlerischer
Leiter des „21st Century Orchestra“
Ich bin ein langjähriger Fan von Filmmusik
und ich finde es toll, dass man heutzutage so
weit ist, dass man mit der Filmmusik in der
Öffentlichkeit so präsent sein kann.
Thomas Frank
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Panel: 3-D –
auch ein Hörerlebnis!“
„Setzen Sie sich nach Möglichkeit in die Mitte
des Raumes, dort werden Sie den besten Ton
erleben.“ Moderatorin Barbara Schardt (Cluster
audiovisuelle Medien) eröffnete das Panel mit
einem eindrucksvollen 3-D-Surround-Tonbeispiel.
Ein Mann läuft geräuschvoll treppauf, treppab, er
bohrt hier und dort Löcher, eine Tür knallt rechts
mit voller Wucht zu.
Filmkomponist Ralf Wengenmayr (u. a. Schuh des
Manitu, Lissy und der wilde Kaiser), Sounddesigner Heiko Müller, Tonmeister Holger Busse und
Tonsystementwickler Jan Langhammer diskutierten mit Barbara Schardt über Potenziale, aber
auch Risiken neuer Tonsysteme in Verbindung
mit 3-D-Bildern.
Wird nach dem Kassenschlager „Avatar – Aufbruch nach Pandora“ das 3-D-Kino nun allerorts
zum Serienmodell? Was bedeutet das für die
Komponisten der Filmmusik?
„Knallt es bald aus allen Ecken und Enden?“ fragt
Schardt die Teilnehmer. Wengenmayr entgegnet,
dass dies stark genreabhängig sei, sonst komme
es schnell zu einer Reizüberflutung. Die Musik
wird prominenter und markanter und sollte deswegen zunehmend als dramaturgisches Instru-
Barbara Schardt
22
ment eingesetzt werden. Bei Actionfilmen muss
es knallen, aber Ruhe tut einem Film auch gut.
Die Teilnehmer sind sich schnell einig, dass nicht
alles, was möglich ist, umgesetzt werden muss.
Ganz im Gegenteil werden lange stille Pausen
immer wichtiger, Geräusche müssen reduziert
werden.
„3-D Geräusche sind sehr präzise, soll denn auch
eine Fliege im Raum zu hören sein?“ möchte
Schardt wissen. Nicht unbedingt, sagt Langhammer, jedoch kann man mit dem neuen System
entscheiden, wo man die Fliege durch den Raum
summen lassen will, denn es verteilt den Ton
optimal auf die vorhandenen Boxen. Er geht
sogar noch einen Schritt weiter: „Sie können ihre
Sitzposition mit der des Dirigenten tauschen,
ohne seinen Job machen zu müssen. Je nach
Belieben können Sie auch einzelne Musiker, wie
den Solisten rausfiltern, denn jeder Ton wird
einzeln aufgenommen.“ Busse erläutert, dass
das Ergebnis insgesamt plastischer geworden ist.
Musiker werden einzeln greifbar, der Zuschauer
ist mittendrin. Der Ton ist dort zu hören, wo etwas passiert. Wird eine Figur von einem Dinosaurier angegriffen, kommt das Brüllen lautstark
von hinten. Je realer der Sound, desto realer wirkt
Holger Busse
das Bild. Allerdings gibt Busse auch zu bedenken, dass
eine Überproduktion möglich ist und ein gesundes
Mittelmaß gefunden werden müsse: „Man darf keinesfalls soweit gehen, dass der Zuschauer vom realen
Ton enttäuscht wird.“
Wengenmayr betont, dass sich aus technischer Sicht
für die Komponisten nichts ändern wird, die Tonmischung wird so abgeliefert wie bisher. Müller appelliert an die Filmschaffenden, dass die Sounddesigner
noch frühzeitiger in den Prozess eingebunden werden.
„Das spart Zeit und Geld, da Szenen nicht im Nachhinein herausgeschnitten werden müssen.“
Heiko Müller, Sounddesigner
Wavefront Studios:
„Das Schattendasein der Filmmusik
wurde in dem Panel sehr gut thematisiert. Spannend war, was über
das Zusammenspiel von SurroundTon und Bild gezeigt wurde. Um
noch bessere Klangerlebnisse zu
erzielen, wird es immer wichtiger,
die Musik frühzeitig und zwar
schon in der Drehbuchphase mit
einzubeziehen.“
Ist das neue Raumerlebnis noch Zukunftsmusik oder
bereits Praxis?
In manchen Kinos läuft das neue Tonsystem der Firma
IOSONSO schon im Regelbetrieb, serienmäßig ist es
jedoch noch nicht auslieferbar. Im Bereich HomeEntertainment ist es derzeit kaum erschwinglich.
„Dafür müssen Sie schon den Wert eines Kleinwagens
investieren“, sagt Langhammer.
Die zahlreichen Besucher des Panels sind von der Anschaulichkeit und den vielen praktischen Beispielen begeistert. Zum Schluss lauschen sie noch gespannt dem
Hörfilm „Die Kofferreise“ – natürlich in 3-D-Qualität.
Jan Langhammer
Von links: Ralf Wengenmayr und Heiko Müller
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Panel: Wie klingt ein Bild?
Live erleben, wie Filmmusik wirkt.
Wenn Musik über den Film gelegt wird, dann ähnelt
das einer chemischen Reaktion: Zwei Substanzen
reagieren miteinander. Das Ergebnis kann ein Knalleffekt sein oder eine ganz überraschende Farbe. Dieses
spannende Zusammenspiel von Musik und Film live
zu demonstrieren, war das Ziel des von Adrian Prechtel
(Abendzeitung) moderierten Panels. Im Mittelpunkt
standen der Kurzfilm „Formic“ von Florian Wittmann
und Roman Kälin – und dann verschiedene Vertonungen. Enjott Schneider und Adrian Prechtel veranschaulichten, wie stark die Wirkung von Filmmusik
ist, indem sie zeigten, dass ein und derselbe Film mal
Drama, mal Komödie sein kann – je nach Vertonung.
nierte einen von Maurice Ravel inspirierten Walzer, der
die Leichtigkeit des Films betont. Dabei geht er kaum
auf das Bild ein, sondern spannt einen größeren Bogen
– „Mickey-Mousing“ hier insofern kein Thema. Patrick M.
Schmitz schließlich sah in dem Film gar nichts Heiteres,
sondern identifizierte sich vollkommen mit der Ameise:
„Das konnte ich nicht witzig sehen, sondern dramatisch,
absolut lebensbedrohlich.“ Ihm ist vor allem aufgefallen,
dass der Film in der Mitte „durchhängt“, dass es zu viele
Skaterszenen gibt, die keinerlei Handlungsentwicklung
zur Folge haben – was die „Hauptaufgabe“ des
Filmkomponisten deutlich mache: „Filmreparatur“!
Fünf Leute – sechs Meinungen
Von „Mickey-Mousing“ bis „Filmreparatur“
Grundlage der Diskussion war natürlich der Film: In
„Formic“ setzt sich eine kleine Ameise tatkräftig gegen
einen übermächtig großen Skateboardfahrer zur Wehr:
eine archetypische „David gegen Goliath“-Geschichte.
Prechtel zeigte den Film zunächst mit der Originalmusik
– Beethovens „Neunter“. Daraufhin stellten drei Kompositions-Studenten von Prof. Dr. Enjott Schneider ganz
unterschiedliche, eigens komponierte Alternativen vor.
Zugespielt wurden die Vorschläge live mit Streichquintett, Klarinette und Klavier. Schnell wurde deutlich, wie
unterschiedlich derselbe Film wahrgenommen werden
kann: Alex Komlew legte einen Vorschlag vor, der sich
sehr stark am Bild orientiert. Sein eigenes Urteil, das sei
„Mickey-Mousing“ pur, empfand Enjott Schneider allerdings als viel zu negativ. Arash Safaian hingegen kompo-
Marlene Topka
24
Gerd Baumann
Außerdem konnten vorab auch AZ-Leser, bzw. BRHörer den Film anfordern und eigene Kompositionsvorschläge einreichen. Der beste dieser Beiträge sollte
mit einem Tag im Tonstudio des Musikers und Filmkomponisten Gerd Baumann honoriert werden, den
Adrian Prechtel als „Filmkommunisten“ angekündigt
hatte und der jeweils live sein Urteil fällte: von reinem
Sounddesign (Marlene Topka) über einen Beitrag, der
sich an Beethovens „Neunter“ orientierte (Maximilian
Heinrich) bis hin zu einem Beitrag, der musikmäßig an
die Skaterwelt anknüpft (David Reichelt) – die Ansätze waren äußerst verschieden. Zur Endabstimmung
wurden dem Publikum dann zwei komplett gegensätzliche Kompositionen gestellt: zunächst ein recht
minimalistischer Kompositionsvorschlag von Thomas
Bauer, den Gerd Baumann kommentierte: „Die Mini-
Adrian Prechtel
mal Patterns finde ich gut und auch das Übergehen der Cue-Punkte – wenn es
Absicht war!“ Der zweite Finalist, Andreas Weyhenmeyer, nennt hingegen Hans
Zimmer als Vorbild – was sich in seinem Vorschlag deutlich niederschlägt. Gerd
Baumann dazu: „fett produziert, ästhetisch zwar nicht mein Ding, aber durch
den fetten Sound bekommt das Ganze eine Art Persiflagecharakter!“
So unterschiedlich die Vorschläge, so entzweit das Publikum. Die Abstimmung
ergab einen absoluten Gleichstand – Enjott Schneider: „Das ist bei Filmmusik
immer so: Frag’ fünf Leute und du kriegst sechs Meinungen!“ Baumann lud
daraufhin beide Finalisten in sein Studio ein.
Adrian Prechtel, Abendzeitung:
Ich fand filmtonart in diesem Jahr ganz, ganz große Klasse, weil es noch lebendiger war als letztes Jahr und das Publikum noch stärker darauf reagiert hat.
Ich glaube, die Sache bekommt jetzt so einen richtigen Zug und Schwung. Die
Livemusik, die wir beim Panel „Wie klingt ein Bild? Live erleben, wie Filmmusik
wirkt“, ausprobiert haben, hat gezündet, und die Leute hatten wirklich viel Spaß
– und was kann man sich mehr wünschen, als dass Sachen sowohl lehrreich sind,
als auch Spaß machen?
Gerd Baumann, Filmmusikkomponist und Produzent:
Ich freue mich, dass es überhaupt einen Tag gibt, der nur der Filmmusik gewidmet wird, was in der Natur der Sache liegt, weil ich da selbst herkomme. Ich
konnte leider nicht den ganzen Tag hier verbringen. Aber das, was ich mitbekommen habe, fand ich auch wirklich spannend, weil so was kann ja auch sehr
öde sein und sehr trocken und sehr theoretisch. Und gerade die Veranstaltung
„Wie klingt ein Bild – Live erleben, wie Filmmusik wirkt“ fand ich ganz besonders
prickelnd: mit einem sehr fähigen Ensemble auf der Bühne und sehr fähigen
Studenten, die dem Publikum konkret vorführen, wie sich Filmmusik anfühlt!
filmtonart ist somit eine Veranstaltung, die sich nicht damit zufrieden gibt, das
Publikum mit endlosen Wortbeiträgen zu langweilen, sondern die tatsächlich
was vorführt, was man spüren kann. Das hat mir einfach extrem gut gefallen!
Patrick M. Schmitz
Prof. Dr. Enjott Schneider
Der Komponist Alex Komlew dirigiert ein
Musiker-Ensemble
Der Komponist Patrick M. Schmitz dirigiert
ein Musiker-Ensemble
Alex Komlew und Patrick M. Schmitz
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Panel: Der deutsche Film im Aufwind –
können die einheimischen Komponisten davon profitieren?
„Der deutsche Film ist internationaler geworden“,
hatte Kulturminister Bernd Neumann in Hollywood
kurz vor der Oscar-Verleihung verkündet. Produktionen wie „Wicki und die starken Männer“ und „Die
Päpstin“ können es mit internationalen Kassenschlagern aufnehmen. Hat diese Entwicklung auch positive
Auswirkungen auf die Situation der deutschen Komponisten und wie kann sie fürs Image der Filmmusik
„Made in Germany“ genutzt werden? Diese Fragen
diskutieren die Filmkomponisten Marcel Barsotti, Ralf
Wengenmayr und Dr. Rainer Fabich sowie Bettina
Reitz, Programmbereichsleiterin Spiel-Film-Serie beim
BR, mit GEMA- Aufsichtsrat und Vorstand des DKV Dr.
Ralf Weigand.
Die Teilnehmer sind sich schnell einig, dass deutsche Komponisten noch zu wenig wahrgenommen
werden. Derzeit gebe es kaum Foren, wo die Musiker
in die Öffentlichkeit treten können, ein Reputationsaufbau ist so nicht möglich. Auch sind Aufträge aus
dem Ausland derzeit noch eine Seltenheit. Während
Barsotti bereits erste Aufträge aus dem Ausland für
Produktionen erhalten hat, setzt Wengenmayr darauf,
dass sein Hauptauftraggeber Bully Herbig ihn mit
Arbeit versorgt, noch sei er zu unbekannt im Ausland.
„Deutsche Komödien versteht niemand im Ausland,
Karl May, den Bully persifliert, ist dort unbekannt und
auch der Humor ist ein anderer“, sagt Wengenmayr.
In den USA geht’s anders zu –
das können alle bestätigen:
Muss ein Film international funktionieren, herrsche
oftmals hoher Druck auf allen Beteiligten. In der
Filmmusik wird nicht selten die Rettung des Projekts
gesehen. Die Frage ist, welcher Komponist diesem
Druck am ehesten Stand hält. Während Filmmusiker
in Deutschland eher Einzelkämpfer sind, gibt es in
den USA Gruppenstudios mit bis zu fünf Filmkomponisten, die sich bei Problemen gegenseitig auffangen
können. Zudem werden bei internationalen Produktionen große Namen internationaler Komponisten
bevorzugt. In Ausnahmefällen gibt es bei einem großen Budget eine zweifache Besetzung. Reitz betont,
dass die Qualität bei internationalen Komponisten
nicht unbedingt besser ist, sie habe es auch schon
andersherum erlebt: „Hier ist es wichtiger, dass das
Gesamtpaket stimmt.“ Weigand sagt, dass man realistisch bleiben sollte: „Um in den USA stark zu sein,
muss man dort präsent sein, eine Agentur vor Ort ist
notwendig.“
Von links: Marcel Barsotti, Bettina Reitz, Dr. Ralf Weigand, Ralf Wengenmayr und Dr. Rainer Fabich
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Fabich plädiert dafür, Filmmusik als Pflichtfach an
den Hochschulen zu etablieren. Es solle mehr Wissen
transferiert werden. Hier sehe er großen Optimierungsbedarf. „Noch gibt es zu viele Filmschaffende,
die keine Ahnung von Filmmusik haben. So kann
mehr Verständnis für Filmmusik erreicht werden,
Defizite können ausgebügelt werden.“ Dies hält
Reitz hingegen für nicht notwendig. Es gebe bereits
genug Filmmusiker, deswegen sollte man nicht noch
mehr ausbilden. „Vielmehr ist es notwendig, dass
deutsche Komponisten sich zusammenschließen, um
so Filmschaffenden gegenüber gebündelt auftreten
zu können, zum Beispiel auf der Berlinale oder dem
Filmfest.“
Im Anschluss gibt es eine rege Diskussion mit
dem Publikum. Zahlreiche Besucher, darunter
viele deutsche Filmkomponisten, haben die
Chance ergriffen, Fragen an die die Fachleute auf
dem Podium zu richten.
Detailfragen wie: Warum stehen die Komponisten nicht, oder nur selten im Fernsehabspann?
Allgemeine Appelle, das Image der deutschen
Filmmusik zu verbessern und konkretes Anbahnen: Bettina Reitz nahm das Demo-Tape einer
Komponistin aus dem Publikum entgegen. Die
Diskussion hätte noch länger dauern dürfen –
also Fortsetzung erwünscht.
27
Cinema in Concert
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On with the concert!
Auftakt zum Filmfest München 2010
mit dem Münchner Rundfunkorchester und dem Chor
des Bayerischen Rundfunks, Leitung: Ulf Schirmer,
Moderation: Roger Willemsen
„Es duftet nach ihren Deodorants, es hätte ganz
anders riechen können, schnodderte Roger Willemsen
augenzwinkernd ins Publikum, das bei sommerlicher
Hitze seine Anspielung auf die eigentliche Bestimmung des Circus Krone gut nachvollziehen konnte.
Denn hier treten bekanntermaßen eher Elefanten
oder Dickhäuter der Unterhaltungsbranche auf.
Worum es allerdings an jenem 24. Juni 2010 gehen
sollte, war spätestens nach den ersten Trompetenstößen der berühmten „Fox-Fanfare“ klar: Am Vorabend
des Filmfest München 2010 befeuerte das Münchner
Rundfunkorchester unter der Leitung seines Maestros Ulf Schirmer die Zirkusarena zu einer festlichen
Gala der berühmtesten Filmmusiken. Das Tempo, das
Roger Willemsen mit seinen mitreißenden Moderationen vorlegte, wurde vom Rundfunkorchester
sogleich aufgenommen, als es vereint mit dem Chor
des Bayerischen Rundfunks das Publikum in den Sog
der Klangmassen aus John Williams’ „Star-Wars“Filmmusiksuite hineinzog. Von der extraterrestrischen
Jedi-Ritter-Schlacht inklusive chorisch geschmetterter
Sanskrit-Phrasen zurück zum Planeten Erde, genauer
gesagt, nach Italien; dort steuerten Ennio Morricone
die Musik zu kultigen Spaghettiwestern und Nino
Rota zu legendären Fellini-Streifen bei. Für einen
deutschen Beitrag sorgte Enjott Schneider, der eigens
zu diesem Abend einen Überblick über seine größten
Erfolge (Scores zu „Herbstmilch“, „Stalingrad“ usw.)
zusammengestellt hat. Dazu spöttelte Willemsen:
„Glauben Sie ja nicht, dass wir diese Weltmeisterschaft der Filmmusik den Amerikanern und Italienern
überlassen würden!“
Spätestens nach der kurzen Pause dürfte dann einer
Mehrheit klar geworden sein, dass es in einem Filmmusikkonzert zumal im Circus Krone ebenso locker
zugeht wie im Kinosaal, wo Getränke und Popcorn
auch nicht außen vor bleiben müssen. So konnte man
sich unter ständiger Befeuchtung der Kehle der Musik
zum Fantasy-Streifen „Der Herr der Ringe“ hingeben.
Dessen weihevolle Klänge wurden vom Münchner
Rundfunkorchester wie ein imaginärer roter Teppich
ausgebreitet, auf dem der Abend seinem Höhepunkt zustrebte: die Verleihung des 2010 erstmals
vergebenen und mit 10.000 Euro dotierten und von
Telepool gestifteten BR-Filmmusik-Preises. Dann
duftete es plötzlich auch nach Hollywood und Walk of
Fame, als Howard Shore das Rund betrat und aus den
Händen des Intendanten und Laudatoren Dr. Thomas
Gruber die Ehrung empfing. Durch drei Oscars und
zahlreiche weitere Preise auf großem Parkett geübt,
fand der gebürtige Kanadier herzliche und knappe
Worte des Danks, in einer Filmstadt wie München
einen solchen Preis zuerkannt zu bekommen. Mit der
gleichen Akkuratesse, mit der er eine 17-SekundenFilmsequenz mit packender Musik unterlegen würde,
ebenso präzise sprach er Dankesworte und war sich
bewusst, dass an diesem Abend noch viel spannende
Musik bevorstand: „Bravo and thank You, the Rundfunkorchester und der Choir of the Bavarian Radio
… On with the concert!“ Die Volte zurück zur Musik
vollendete Roger Willemsen, der Howard Shore als
Schöpfer der Filmmusik zum Fantasy-Dreiteiler „Der
Herr der Ringe“ zum neuen Richard Wagner ausrief.
Immerhin sei die Partitur seines „Rings“ auch neun
Stunden lang. Großer Applaus inklusive Zugabe für
weitere Kostproben des frischgebackenen BR-Filmmusik-Preisträgers Howard Shore und für Berühmtes
von Maurice Jarre („Doktor Schiwago“), Miklós Rózsa
(„Ben-Hur“), John Williams („Jurassic Park“) und Ennio
Morricone („The Mission“).
29
Preisverleihung
Der Filmmusik-Preis 2010 von BR und Telepool.
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Der Intendant des Bayerischen Rundfunks, Dr. Thomas Gruber, bei
seiner Laudatio auf den Preisträger des Filmmusik-Preises von BR
und Telepool 2010.
Der Intendant des Bayerischen Rundfunks, Dr. Thomas Gruber, und
Dr. Thomas Weymar (Telepool) überreichen dem Komponisten
Howard Shore den ersten Filmmusik-Preis von BR und Telepool.
Von links: Dr. Thomas Gruber gratuliert Howard Shore.
Komponist Howard Shore aus Kanada bedankt sich in einer kurzen
Ansprache für die Auszeichnung. Moderator Roger Willemsen
übersetzt für das Publikum.
Howard Shore (Filmkomponist und Preisträger) bedankt sich bei
Rundfunkorchester und Chor des Bayerischen Rundfunks für das
wunderbare Konzert.
31
filmtonart im Bayerischen Fernsehen und in BR-alpha
Am Samstag, 26. Juni 2010 um 22.05 Uhr wurde das Filmmusik-Konzert im Bayerischen Fernsehen
ausgestrahlt. Zuvor, um 21.50 Uhr brachte Kino Kino Extra eine Zusammenfassung von filmtonart.
Jürgen Seeger
Bayerischer Rundfunk, Leiter der Redaktion Musik und Theater
Musik ist die Sprache der Seele. Musik sagt mehr als tausend Worte. Mit Musik lassen sich Stimmungen heben und dämpfen. Musik kann zu Tränen rühren, Spannung erzeugen und Aggression
befördern. So gesehen tragen alle, die mit Musik im Film umgehen eine große Verantwortung.
„filmtonart 2010“ hat in seinen Vorträgen und Diskussionen das Bewusstsein für die Möglichkeiten und Grenzen der musikalischen Mittel im Film auf hohem Niveau und auf lebendige Weise
gestärkt.
Und „Cinema in Concert“ im Circus Krone bot anschließend die Gelegenheit, die Theorie hinter
sich zu lassen und einzutauchen in die phantastischen Klangwelten der besten Filmmusik-Komponisten unserer Zeit. Das Konzert mit dem Münchner Rundfunkorchester und dem Chor des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Ulf Schirmer war ein voller Erfolg. Und die Sendung im
Bayerischen Fernsehen hat viele positive Zuschauerreaktionen ausgelöst. „filmtonart“ und „Cinema in Concert“ haben sich wunderbar ergänzt.
Ein herzliches Dankeschön an alle, die dieses Zusammenspiel ermöglicht haben.“
32
BR-alpha zeigte die Aufzeichnungen zweier Panels
im Rahmen von „Denkzeit“ im Juli 2010:
„Mythos Filmmusik – wo die Sprache aufhört, fängt die Musik an?“
am Samstag, 24. Juli, um 22.30 Uhr
„Filmmusik – die Klassik der Zukunft? “
am Samstag, 31. Juli um 22.30 Uhr
Statement Werner Reuß, Leitung BR-alpha
Musik ist eine der schönsten und ältesten Ausdrucksformen des Menschen und wird seit jeher in allen
Kulturen intensiv gepflegt. Denn „Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann, worüber es
aber unmöglich ist, zu schweigen“ (Victor Marie Hugo). Da Bildung auch immer eine Reise mit und zu
sich selbst ist, gehört die Musik zu ihren emotional prägendsten Inhalten. Musik bewegt, Musik macht
sichtbar, Musik erhellt. Musik ist Balsam für die Seele. Und Musik gibt jedem Film die besondere Note,
den letzten Schliff, die Einmaligkeit und die Emotionalität. Musik ist Teil unseres Bildungsauftrages.
Daher sind filmtonart und BR-alpha kongeniale Partner. Ich freue mich über die Zusammenarbeit, gratuliere filmtonart zu dem großen Zuspruch und wünsche weiterhin viel Erfolg!
33
Roger Willemsen
Sopranistin Masako Goda
Dr. Thomas Weymar
Münchner Rundfunkorchester
Moritz Soellner
Markus Böker
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Cinema in Concert im Circus Krone
Ulf Schirmer
Publikum
Annette Betz
Cornel Ionescu spielt die Mundharmonika,
dirigiert von Ulf Schirmer
Prof. Dr. Klaus Schaefer mit Gattin
Thomas Sessner (l.)und Andreas Bönte
Ausblick: filmtonart 2011
29. Juni 2011
Ausblick: filmtonart 2011
2011 findet filmtonart während des Filmfest München statt.
Grund für die Verlegung ist die Tatsache, dass der Donnerstag vor
der Eröffnung des Festivals auf den Feiertag Fronleichnam fällt.
Save the Date!
Mittwoch, 29. Juni 2011 filmtonart – Tag der Filmmusik im BR
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Weitere Informationen zu filmtonart finden Sie unter:
www.br-online.de/filmtonart
Rückfragen richten Sie bitte an [email protected]
Aktuelles finden Sie auf www.facebook/filmtonart
Impressum:
Herausgeber Bayerischer Rundfunk,
HA Intendanz, Stefan Wittich
Fotos: BR/Ralf Wilschewski, BR/Annette Goossens
Gestaltung: BR/Vanessa Schütz
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